32
Rhein-Tour: Barrierefreie Festung Seite 10 Zeitreise: DMSG muss jünger werden Seite 16 Kurz-Trips: Veranstaltungs- Kalender 2014 K o m p a s s Ihr Wegweiser Ausgabe 2/2013 Quantensprung: Neue Therapien wecken Hoffnung Seite 20 Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft Berlin e.V. Ausblick: Betreuungsverbund kommt Seite 4 Beilage

Kompass 02 2013 291113 web

Embed Size (px)

DESCRIPTION

 

Citation preview

Page 1: Kompass 02 2013 291113 web

Rhein-Tour: Barrierefreie

Festung

Seite 10

Zeitreise: DMSG muss

jünger werden

Seite 16

Kurz-Trips: Veranstaltungs-

Kalender 2014

KompassIh

r W

egw

eise

r

Ausgabe 2/2013

Quantensprung: Neue Therapien

wecken Hoffnung

Seite 20

DeutscheMultiple SkleroseGesellschaftBerlin e.V.

Ausblick: Betreuungsverbund

kommt

Seite 4

Beilage

Page 2: Kompass 02 2013 291113 web

2 • Kompass

Inhalt

Editorial3 • Liebe Mitglieder

Landesverband4 • Hertie-Stiftung spendet

25.000 Euro5 • MS und Beruf: Ein Spagat?6 • Welt-MS-Tag im

Landesverband Berlin8 • Neue Peer-Counselor

stellen sich vor9 • Umsetzung der BRK:

Mitstreiter gesucht!9 • Neuer Internet-Auftritt

der DMSG Berlin

Horizont10 • Burgfestung – behinderten gerecht12 • Stadtentwicklung – konsequent

barrierefrei14 • Reisen mit Handicap wird

leichter – nur nicht in Gruppen15 • Reise nach Korfu

Wissenschaft & Forschung16 • Bundesverband DMSG appel-

liert: Ermuntern und zulassen18 • MS World Conference 2013 Berlin

19 • Veranstaltung: „Update Multiple Sklerose“

20 • Neue Medikamente in der MS-Therapie

21 • Jobinitiative für Menschen mit Behinderungen

Unter uns22 • Mensch Hüppe: Der Behinder-

tenbeauftragte des Bundes setzt auf Inklusion

24 • Alles eine Frage der Organisati-on: Einmal Nordpol und zurück

26 • „Who is Who“ in der deutschen Behindertenszene?

28 • Cornelia Wislaug findet Kraft im Engagement

S(e)itenblicke29 • Knud Kohr: Helden wie Ihr30 • Rollingplanet bringt’s

auf den Punkt31 • Der neue Kalender

„Handicaps 2014“ ist da!

32 • Biosphäre Potsdam lockt mit Tropenwelt

Impressum

Herausgeberin: Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft, Landesverband Berlin e.V.

Sitz der Geschäftsführung:Paretzer Straße 1, 10713 BerlinTelefon: 030-313 06 47E-Mail: [email protected]

Verantwortlich für den Inhalt:Der Vorstand Dr. Sigrid Arnade, Karin Klingen, V.i.S.d.P.: Robert Bauer

Redaktion: Stefanie Schuster(nie)

Redaktionelle Beratung: Kathrin Geyer

Spendenkonto:Sparkasse BerlinBLZ: 100 500 00Kto: 1130004500

Anzeigen: Paul-Michael Leißner

Layout: Jennifer Saewe

Gestaltung: Angela Obermaier

Druck: KOMAG mbH, BerlinTöpchiner Weg 198/20012309 Berlin

KOMPASS erscheint halbjähr-lich. Der Bezugspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.

Redaktionsschluss für die nächste Ausgabe ist der 1. März 2014

Wir danken der Rentenversicherung des Bundes und der Rentenversicherung Berlin-Brandenburg für Ihre freundliche Unterstützung

Achtung: Vorstandswahlen!

Wie soll die Vereinsarbeit in den kommenden vier Jahren aussehen? Welche Projekte sollten in Angriff genommen werden? Was könnte den Betroffenen im Landesverband helfen? Wenn solche Fragen Sie umtreiben, dann sollten Sie sich für die Wahlen zum Vorstand der DMSG zur Verfügung zu stellen, denn im kommenden Jahr wird ein neuer Vorstand gewählt. Sie soll-ten Lust und Energie haben, in Vorstandssit-zungen mitzuarbeiten.

Im kommenden KOMPASS wollen wir die Be-werber bereits mit Bild und Text vorstellen, so dass sich die Mitglieder der Berliner DMSG einen Eindruck verschaffen können, bevor sie zur Wahl schreiten.

Zuschriften richten Sie bitte bis zum 1. März 2014 an unsere Geschäftsstelle: DMSG Landesverband Berlin e.V., Paretzer Straße 1, 10713 Berlin oder an: [email protected].

Unser ehrenamtlicher Besuchs-dienst hat seine Arbeit aufgenom-men, erste Kontakte sind herge-stellt. Nach wie vor können sich Menschen, die anderen Betroffe-nen Zeit schenken möchten, bei uns melden, ebenso Betroffene, die einen Besuch wünschen. Wir versuchen, passende Paarungen zu finden.

Der Besuchsdienst beinhaltet NICHT Pflege und Hauswirtschaft, es geht vielmehr um gemeinsame Gespräche, kleinere Unterneh-mungen, Vorlesen etc. und findet nach Absprache zwischen Besu-cher und Besuchten in der Regel 1 Mal pro Woche statt. Die DMSG bietet eine Schulung und regel-mäßige Treffen der Besucher zum Erfahrungsaustausch an.

Wir freuen uns auf Sie!

Kontakt bitte über die DMSG, Tel.: 313 06 47 oder Katja Bumann

!

Page 3: Kompass 02 2013 291113 web

Kompass • 3

Liebe Mitglieder des DMSG-Landesverbandes

Berlin,große Ereignisse liegen hinter uns, wenn Sie diese Ausgabe des Kompass in den Händen halten: Aus aller Welt haben sich die Fachleute zum Thema Multiple Sklerose Anfang Oktober in Berlin zum Welt-MS-Kongress getrof-fen und Erfahrungen sowie Erkennt-nisse ausgetauscht. Dazu finden Sie Informationen in diesem Heft, mehr aber noch auf der Homepage des DMSG-Bundesverbandes.

Auch auf der kleineren Ebene des Lan-desverbandes Berlin gibt es einige Neuigkeiten, die Sie vielleicht interes-sieren:

• Im September schlossen zehn MS-Betroffene erfolgreich die einjährige Weiterbildung zu Peer-CounselorInnen (Peer-BeraterIn-nen) ab. Dazu gratulieren wir an dieser Stelle herzlich! Nun kann der Landesverband eine noch qualifi-ziertere Beratung von Betroffenen für Betroffene anbieten.

• Mit dieser Weiterbildung kommt der Landesverband seinem nach der jüngsten Vorstandswahl gesteckten Ziel näher, das vertrauensvolle Ge-spräch auch durch professionelle Kenntnisse der BeraterInnen zu un-terstützen.

• Von der Hertie-Stiftung erhalten wir einen Zuschuss, um das betreute Einzelwohnen zu einem größeren Betreuungsverbund auszubauen. Wir hatten Sie, liebe Mitglieder, vor einiger Zeit im Kompass nach Ihren diesbezüglichen Bedürfnissen ge-fragt und aus den Antworten einen steigenden Bedarf abgelesen. Nun sind wir froh, mit diesem Projekt starten zu können und danken Jutta Moltrecht herzlich für ihr Engage-ment!

• Erstmals trafen sich Ende August die hauptamtlichen MitarbeiterIn-nen und die Vorstandsmitglieder zu einer eintägigen Klausurtagung.

In entspannter Atmosphäre wurde in der Villa Donnersmarck vor al-lem die Zusammenarbeit zwischen Vorstand und Geschäftsstelle dis-kutiert und strukturiert. Außerdem wurden Arbeitsschwerpunkte de-finiert. Einhellig waren die Betei-ligten hinterher der Ansicht, dass dieser fruchtbare Austausch wie-derholt werden soll.

• Im Verbund mit vielen anderen Behindertenverbänden unterstützt der DMSG-Landesverband Ber-lin jetzt auch die Kampagne für ein Gesetz zur Sozialen Teilhabe (s. www.teilhabegesetz.org). Dabei geht es darum, Leistungen zur So-zialen Teilhabe aus der Sozialhilfe herauszulösen und einkommens- und vermögensunabhängig auszu-gestalten. Wie viele von Ihnen si-cherlich wissen, müssen Menschen mit Unterstützungsbedarf bislang ihre behinderungsbedingten Leis-tungen zu einem erheblichen Teil selbst finanzieren, so dass sie und ihre engsten Angehörigen zu einem Leben auf Armutsniveau gezwun-gen werden.

Da diese Regelungen nach Ansicht vie-ler ExpertInnen der UN-Behinderten-rechtskonvention und dem deutschen Grundgesetz widersprechen, besteht hier dringender Handlungsbedarf.Liebe DMSG-Mitglieder, wie Sie sehen, arbeiten wir mit Hochdruck an einer Neuausrichtung unseres Verbandes. Um diesen aber weiter in eine Rich-tung zu entwickeln, die vor allem den Mitgliedern zugute kommt, sind wir auf Ihre Unterstützung angewiesen: Wir wollen wissen, welche Angebote

Sie brauchen und sich wünschen. Wir wollen wissen, welche Themen Sie in unserer Mitgliederzeitschrift, dem Kompass, besonders interessieren. Nur so können wir die passenden An-gebote machen.

Dieses Heft widmet sich übrigens ganz der so genannten schönsten Zeit im Jahr: dem Urlaub. Wir haben daher ei-niges für Sie zusammengetragen: Ein paar schöne Ziele in der Nähe und wei-ter weg, einige Hinweise zur Planung.

Außerdem haben wir für Sie auch wieder kleine Ausflüge vom Alltag or-ganisiert. In der Mitte unseres Heftes finden Sie auf ein paar Extra-Blättern unseren Veranstaltungskalender. Zwar mussten wir dieses Mal aus Kosten-gründen darauf verzichten, ein eige-nes Heft dafür zu erstellen, doch über Ihre Teilnahme freuen wir uns! (Anmel-den nicht vergessen…).

Für die weitere Arbeit des Landes-verbands Berlin ist vor allem wichtig, dass sich Mitglieder finden, die sich engagieren und die Verbandsarbeit weiter gestalten wollen. Wir suchen in-teressierte Menschen, die ab dem Jahr 2014 für den Vorstand kandieren wol-len und stehen für Nachfragen sehr gerne auch in persönlichen Gesprä-chen zur Verfügung. Melden Sie sich, wir freuen uns auf Sie!

Wir wünschen Ihnen eine angenehme Lektüre dieser Kompass-Ausgabe und grüßen Sie herzlich!

Ihre Karin Klingen und Sigrid Arnade

Editorial

Dr. Sigrid ArnadeKarin Klingen

Page 4: Kompass 02 2013 291113 web

Landesverband

4 • Kompass

In der KOMPASS Ausgabe vom Novem-ber 2012 haben wir Sie über unsere Überlegungen informiert, im Rahmen des Betreuten Einzelwohnens einen Betreuungsverbund zu eröffnen. In ei-nem beigefügten Fragebogen wollten wir mehr über Ihr Interesse an diesem Projekt erfahren

Das Ergebnis: 44 Fragebögen kamen zurück. neun der Interessenten möch-ten möglichst bald in das geplante Betreuungsprojekt einziehen, zwanzig können sich das in ein bis zwei Jahren vorstellen. An dieser Stelle möchte ich mich noch einmal herzlich bei allen In-teressenten für Ihre Mühe bedanken.

Zum Jahreswechsel erreichte uns die Ausschreibung der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung, Fördermittel für die Entwicklung und Realisierung effizi-enter sozialer Maßnahmen im Bereich der Erkrankung Multiple Sklerose zur Verfügung zu stellen. Daher haben wir in Abstimmung mit dem Vorstand im Februar 2013 unseren Antrag für den geplanten Betreuungsverbund gestellt. Der Gesamtbedarf beläuft sich auf ca. 65.000 Euro und beinhal-tet die Kosten für die Ausstattung der Stützpunktwohnung, laufende Kosten der Stützpunktwohnung in der Anlauf-phase (Miete, Strom und weitere Ne-benkosten) sowie Personalkosten für die Projektphase, die auf zwei Jahre angelegt ist.

Im April erhielten wir die erfreuli-che Nachricht, dass eine fünfköpfige Jury aus 24 eingegangenen Bewer-bungen sechs Maßnahmen für die Förderung durch die Hertie-Stiftung ausgewählt hat und dass unsere Maß-nahme mit einer Förderungssumme von 25.000 Euro dazugehört. Für den

Rest der Finanzierung werden wir uns um Spenden und weitere Förderungen bemühen. Der Vorstand hat dankens-werter Weise entschieden, eine mög-liche Finanzierungslücke aus Mitteln der DMSG zu schließen. Mit dieser Sicherheit im Rücken haben wir am 1. Juni 2013 mit der Projektphase be-gonnen.

Was ist seither geschehen?

Mit einem Rundbrief habe ich als Pro-jektverantwortliche zunächst alle In-teressenten über die nächsten Schrit-te informiert. Der schwierigste Punkt wird es sein, ein geeignetes Wohnpro-jekt zu finden. Das Projekt wird sich voraussichtlich in einem Hochhaus realisier werden. Alle Wohnungen müssen barrierefrei sein. Es muss eine rollstuhlgerechte Verkehrsanbindung geben und Einkaufsmöglichkeiten des täglichen Bedarfs müssen sich in der Nähe befinden.

In der Zwischenzeit habe ich ein Pro-fil für unsere Wohnungssuche erstellt und über 40 Baugenossenschaften und 10 Wohnungsbaugesellschaften zugeschickt. Nun werde ich zu allen angeschriebenen Bauträgern persön-lichen Kontakt aufzunehmen.

Wie geht es weiter?

Wenn die geeigneten Wohnen gefun-den sind, werde ich Kontakt zum zu-ständigen Bezirksamt aufnehmen, um die bestmöglichen Voraussetzungen für die spätere Kostenübernahme der Betreuungskosten im Betreuten Ein-zelwohnen zu klären.

Parallel dazu werde ich persönlichen Kontakt zu den Interessenten auf-nehmen, um deren individuelle Vor-stellungen und die für sie notwendi-ge sozialpädagogische Betreuung zu erfragen und mit ihnen gemeinsam zu präzisieren. Es ist geplant, alle In-teressenten, die in das Betreuungs-projekt einziehen wollen, gemeinsam einzuladen, um Ihnen die Möglichkeit zu geben, sich untereinander ken-nenzulernen und sie über die weitere inhaltliche und zeitliche Planung auf dem Laufenden zu halten.

Ich hoffe, dass es möglichst schnell gelingt, einen geeigneten Standort zu finden, damit ich dann zügig mit der Realisierung des Betreuungsprojekts fortfahren kann.

Wenn Sie auf unsere Fragebogenak-tion nicht geantwortet, aber dennoch Interesse an dem geplanten Betreu-ungsverbund haben, können Sie mich gerne in der Geschäftsstelle der DMSG anrufen oder mir eine Mail zuschik-ken. Sie erreichen mich in der Regel dienstags und donnerstags in der Zeit von 10:00 bis 16:00 unter der Nummer 313 06 47. Meine Mail-Adresse lautet jutta.moltrecht @dmsg-berlin.de

Jutta MoltrechtProjektverantwortliche undLeiterin Betreutes Wohnen

Hertie-Stiftung spendet 25.000 Euro

„Betreuungsverbund“ soll realisiert werden

Wir danken der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung dafür, dass sie mit ihrer großzügigen Förderung den Start unseres Projekts überhaupt erst ermöglicht hat.

Page 5: Kompass 02 2013 291113 web

Landesverband

Kompass • 5

Die berufliche Aktivität ist eine zen-trale Größe im Leben eines jeden Menschen. Wir entfalten unsere Fä-higkeiten, finden Anerkennung, pfle-gen soziale Kontakte und verdienen unseren Lebensunterhalt. Durch eine MS-Diagnose wird all dies in Frage ge-stellt. Das verunsichert Betroffene wie Arbeitgeber und Kollegen. Wie schaf-fen an MS erkrankte MitarbeiterInnen den Spagat durch die zusätzliche Be-lastung? Welche Unterstützungsstruk-turen gibt es? Was können die Betrie-be zur Entlastung beitragen?

Eine MS-Erkrankung wirkt sich immer auf die berufliche Tätigkeit aus, auch wenn die Diagnose zunächst nicht be-kannt gegeben wird. Die Auswirkungen sind sehr individuell und schwierig einzuschätzen. MS kann, muss jedoch nicht zwingend die Leistungsfähigkeit beeinträchtigen. Das hängt davon ab, welche Symptome auftreten und ob diese für das Ausüben der beruflichen Tätigkeit im Einzelfall relevant sind.

Andererseits sind MS-Betroffene oft überdurchschnittlich gut qualifiziert und engagiert. Nicht zuletzt aufgrund ihrer Diagnose sind viele besonders pflichtbewusst und zuverlässig. Es liegt somit im Interesse aller, das Ar-beitsverhältnis auch bei Krankheit

fortzusetzen. Werden die veränderten Bedürfnisse der Betroffenen und die Anforderungen durch die berufliche Tätigkeit im Unternehmen klar ange-sprochen, ist der Weg frei für eine wei-tere erfolgreiche Zusammenarbeit.

Das Bundesarbeitsministerium für Ar-beit und Soziales hat diesen Umstand zum Anlass genommen und fördert das Projekt Dupl-EX der BUPNET GmbH, das sich mit genau dieser Problematik be-fasst. Das Vorhaben will in Berlin und Brandenburg Unterstützungssysteme entwickeln. Im Zentrum steht eine ziel-orientierte Beratung und Aufklärung für Betriebe und deren MitarbeiterInnen. Die Berater halten ihr Fachwissen und ihre Erfahrung für die betroffenen Mit-arbeiterInnen und deren Arbeitgeber bereit, damit ein Arbeitsverhältnis trotz MS-Diagnose erfolgreich weitergeführt werden kann, und zwar befriedigend für beide Seiten.

In der Beratung werden zum Beispiel folgende Themen angesprochen:

• Informationen über MS und ihre möglichen Auswirkungen

• Arbeitsplatz- und Arbeitszeitgestal-tung für Menschen mit MS

• Eingliederungsmaßnahmen und Hilfsmittel

• Individuelle Berufswegeplanung und aufbauende Qualifizierungs-maßnahmen

• Fragen rund um die Sozialversiche-rung (Ansprüche, Antragstellung, Formulare)

• Möglichkeiten für Arbeitgeber/in-nen, die Thematik MS im Unterneh-men anzusprechen

Das Ziel des Projektes Dupl-EX ist es:

• eine betriebliche Lösung zur Anpas-sung des Arbeitsverhältnisses zu etablieren und

• die betroffenen MitarbeiterInnen genau auf ihre Situation vorzuberei-ten, so dass Beruf und Privatleben noch nebeneinander passen.

Durch die Förderung wird der Löwen-anteil der Kosten durch den Europäi-schen Sozialfonds (ESF) übernommen.

MS und Beruf: ein Spagat?Neues Projekt unterstützt MS-betroffene MitarbeiterInnen und Unternehmen

Information für interessierte Betriebe und MitarbeiterInnen: BUPNET GmbH – Projekt Dupl-EXGeschwister-Scholl-Allee 314532 KleinmachnowAnsprechpartner: Martin SudfeldtTel: 033203 77 12 72Fax: 033203 7 80 [email protected]

Page 6: Kompass 02 2013 291113 web

6 • Kompass

Welt-MS-Tag im Landesverband Berlin

Mehr als hundert Mitglieder der DMSG kamen

am 29. Mai in die Geschäftsstelle der DMSG, um

den Welt-MS-Tag zu feiern.

Als amtierende Vorsitzende begrüßte DMSG-Schatzmeisterin Dr. Sigrid

Arnade die Besucher des Welt-MS-Tages. Im Hintergrund lockte ein

Kuchenbuffet aus handgemachten Köstlichkeiten und Hunderte von

Donuts der Firma Dunkin’ Donuts – allesamt Spenden.

Die Sängerin Bettina Kühnel (Mitte) leitet seit einem Jahr den Chor der DMSG. „Wir singen alles – von Volksliedern über Kanons bis hin zu mehrstimmigen Werken – wir haben an allem Spaß“, sagt sie. 12 bis 13 Leute treffen sich immer donnerstags zwischen 10.30 Uhr und 11.30 Uhr in der Geschäftsstelle.

„Das einzige was zählt, das ist,

wie man den Augenblick nimmt“,

sagt Friedel Rosenthal, Fotografin

und Krankenschwester im Ruhe-

stand. Die ehemalige Gruppen-

sprecherin der Selbsthilfegruppe

Pankow nimmt die allermeisten

Augenblicke optimistisch. So viel

positive Energie strahlt bis in

den grünen Daumen; hunderte

von selbst gezogenen Pflanzen

sorgten dafür, dass sich das

Spendentöpfchen der Gruppe

schnell füllte.

Im Januar hatte der Musiker Jochen Horvath zum ersten Mal

DMSG-Mitglieder zu einem dreistündigen Trommelkurs

eingeladen – mit buchstäblich großer Resonanz. Seitdem

trifft sich die Gruppe einmal im Monat für drei Stunden zum

Trommeln. „Das ist ganz wunderbar“, sagt Regine Czycykowski.

„Es baut schlechte Energien ab.“

Page 7: Kompass 02 2013 291113 web

Kompass • 7

Welt-MS-Tag im Landesverband Berlin

Foto

s un

d Te

xte:

Ste

fani

e Sc

hust

er

Das T-Shirt von Gruppenleiterin Tamara aus

Lankwitz spricht Bände. Ihre Spezialität ist,

sich auf gar keinen Fall unterkriegen zu lassen

– und das mit viel Humor.

Die Heilpraktikerin Antje Schwan hatte, wie so oft, alle Hände voll zu tun mit ihren kostenlosen Massa-gen. Unermüdlich knetete sie wäh-rend des Festes verspannte Nacken und steife Schultern – und hinterließ auf den Gesichtern ihrer Klienten eine tiefe Spur von Entspannung und Dankbarkeit. Sie packte erst ein, als niemand mehr im Regen-Zelt sitzen mochte.

Nicht wie auf Wolken, sondern wie auf rohen

Eiern läuft DMSG-Sozialarbeiterin Linda Piele.

Tunnelblick-Brille und Eierlauf-Matratze sind nur

ein Teil dessen, was die Fühlstraßen-Macher für

die (gesunden) Probanden bereit halten. Auch

Kartoffelschälen mit Skihandschuhen gehört

zum Repertoire um zu zeigen, was MS im Alltag

bedeuten kann.

Malen macht immer Spaß: Ines Giermann und Cornelia Wislaug führten die Besucher des Welt-MS-Tages an ihrem Stand auch in die Kunst der Enkaustik ein. Dazu braucht man im Grunde nur ein heißes Eisen, auf dem bunte Wachsstifte angeschmolzen werden und stabiles Papier. Die Ergebnisse sind immer beeindruckend.

Der Kern der Frauen-Selbsthilfegruppe: Tamara Unbehaun, Simone

Kreetz und Birgit Balla (von links). Die drei treffen sich bereits seit

1999. Jetzt sind es wieder um die 12 Frauen, die sich regelmäßig

zum Erfahrungsaustausch und zum Plaudern zusammenfinden,

allerdings an wechselnden Orten, bis das Café Blisse in der

Blissestraße wieder eröffnet.

Am späteren Nachmittag verließ die DMSG das Wetterglück. Als die Zelte unter der Last der Wolkenbrüche zu kippen drohten, griff Sozialarbeiterin Rebecca Greufe beherzt ins Gebälk und sorgte für Erleichterung.

Page 8: Kompass 02 2013 291113 web

Landesverband

8 • Kompass

Aufeinander zugehen:

Neue Peer-Counselor stellen sich vor

Gaby Tkatczenko. 60 Jahre alt, Iyengar Yogalehrerin

Durch das Peergefühl ahne ich, dass ich durch die

Ausbildung konstruktiv helfen kann. Ich habe gelernt,

mein Fühlen, Denken und Handeln zu respektieren,

wertzuschätzen und die Erkenntnis gewonnen, dass

Behindertsein ein wertvoll-wichtigerBestandteil unse-

rer Gesllschaft ist. Auch durch diese Einsicht hat sich meine Lebens

quali-

tät erheblich verbessert. Lebe freier und unbeschwer-

ter, glücklicher. Dieses und noch vieles mehr möchte

ich durch das neu erworbene Wissen weitergeben.

Ich heiße Irmgard Walleshauser, bin 51 Jahre alt, Dipl. Pädagogin und Gestalttherapeutin. Für mich kam die Wei-terbildung genau im richtigen Moment, als ich meinen Job als Dozentin an der Freien Fachschule aus gesundheitlichen Gründen aufgeben musste und ich mir überlegte, wie es beruflich weitergehen könnte. Persönlich war es für mich eine wichtige, grundlegende Erfahrung, mich selbst mit The-men rund um die MS auseinanderzusetzen. Das hat mich sicherer gemacht im Umgang mit MS, hat mir viele Ängste genommen. Selbst wenn ich irgendwann im Rollstuhl sitzen sollte (was nicht sein muss) wird mein Leben selbstbestimmt und gut weitergehen. Ich kann klar sagen: meine Lebens-qualität hat sich erheblich verbessert. Beruflich hat mir die Weiterbildung neue Optionen eröffnet. Als Betroffene und Gestalttherapeutin ist es mir ein wichtiges Anliegen, mich für Menschen mit MS einzusetzen, entweder in der Be-ratung oder in der Therapie. Eine wichtige Erkenntnis ist dabei: ich kann nur dann gut beraten, wenn ich mich selbst mit den Themen auseinandergesetzt habe.

Ich heiße Frank Müller und bin 47 Jahre

alt. Bis zu meiner MS-Diagnose habe ich

in einer Kunstgalerie als Galerist gearbeitet.

Die Peer-Counseling-Weiterbildung hat mir

sehr geholfen, mich mit der MS-Diagnose

und den Symptomen auseinanderzusetzen.

Das Konzept, gemeinsam mit den Ratsu-

chenden im Gespräch die eigenen Stärken

und Bedürfnisse herauszuarbeiten und sie

dadurch zu befähigen, Herausforderungen

anzunehmen und anzugehen, halte ich für

den richtigen Weg.

Fee Scherer

Mein Name ist Barbara Wohlfeil. Ich bin 58 Jahre alt und seit neun Jahren als Bera-tungskraft in der DMSG. Die ersten sieben Jahre war ich ehrenamtlich tätig; seit 2012 arbeite ich auf Minijob-Basis. Durch die Fortbildung habe ich noch viele neue Aspekte kennengelernt, die mir helfen, die Probleme betroffener Menschen von mehreren Seiten zu beleuchten. Wichtig war es für mich zu lernen, nicht zu sehr meine eigenen Erfah-rungen in die Gespräche einfließen zu lassen.

Jacqueline Rese Simone

Zepp-LePlat

Sylivia Heger

Mark Lorenz

Page 9: Kompass 02 2013 291113 web

Landesverband

Kompass • 9

Umsetzung der BRK: Mitstreiter gesucht!Denken Sie auch, dass die DMSG politischer werden muss? Dass die Lebensqualität der von MS Betroffenen erheb-lich gesteigert werden könnte, wenn man nur mal die bestehenden Gesetze so umsetzen würde, wie sie gemeint sind? Dass chronisch Kranke nicht automatisch auf Sozialhilfe-Niveau leben sollten? Die Schatzmeisterin des DMSG-Landesverbandes Berlin, Dr. Sigrid Arnade, jedenfalls will einen Arbeitskreis anregen, der die Umsetzung der von ihr mit geschriebenen UN-Behindertenrechtskonvention vorantreibt. „So lange es keine Medikamente gibt, die uns heilen können, müssen wir alles daran setzen, die Lebensqualität von Betroffenen zu steigern. Und das geht nur, wenn der politische Kontext stimmt.“ Die Barrieren in der Umwelt sollen ebenso angegangen werden wie die in den Köpfen. Ein sichtbares – und gleich wirksames – Zeichen wäre es schon, „wenn man ein Teilhabegesetz schaffen würde – und zwar so, dass die Eingliederungshilfe einkommensunabhängig gezahlt würde.“ Das bedeute dann nämlich, dass man end-lich aus dem Fürsorgegedanken herauskomme, so Dr. Arnade. „Sozialhilfe ist ja immer nur für den Übergang gedacht, als letztes Mittel. Chronisch Kranke gehören da gar nicht hinein.“ Jüngst berichtete die Süddeutsche Zeitung über eine Richterin, die auf Hartz-IV-Niveau lebt, weil sie auf Assistenz angewiesen ist. Und wobwohl sie natürlich theoretisch eine Gutverdienerin ist, geht fast alles für die Entlohnung der Assistenz drauf. Bundesweit gibt es Beispiele dafür. „Es fehlt ja auch jeder Arbeitsanreiz, wenn man nie über den Regelsatz hinauskommt.“ Ein eigener Arbeitskreis soll auf Landesebene bei anderen Verbänden und in der Politik darauf drängen, dass die Gleichstellung von Menschen mit und ohne Behinderungen endlich in der Gesellschaft verankert wird.

Interessenten können sich beim DMSG-Vorstand melden. (nie)

Mit neuem Design präsentiert sich fortan der Landesverband im In-ternet. Frischer, attraktiver und an-sprechender sind unsere Seiten ge-worden. Nun haben die wichtigsten Veröffentlichungen ein einheitliches Aussehen: der KOMPASS, das Veran-staltungsprogramm, die Selbstdar-stellung und die Webseite.

Wir haben die Navigation verändert und die bisherige Unübersichtlichkeit neu strukturiert. Kurz und knapp stel-len wir unser umfangreiches Angebot an Beratung, Betreuung und Hilfen vor und nennen Ihnen die jeweiligen Ansprechpartner. Wir haben die Texte überarbeitet und auf das Wesentliche reduziert. Blättern Sie in Ruhe durch frühere Ausgaben des KOMPASS und informieren Sie sich über laufende Projekte. Und wenn Sie aktuell informiert werden wollen, abonnieren Sie einfach unseren dmsg-Newsletter.

Wenn Sie Anregungen und Wünsche haben – schreiben Sie uns oder rufen Sie uns an.

Gefördert wurde das Projekt durch Mittel aus dem PS-Sparen der Berliner Sparkasse in Höhe von 10.000 EUR, die dem Geschäftsführer Robert Bauer (Mitte) überreicht wurden von Matthias Wichers, dem ehemaligen Leiter des Sparkassen-Kundencenters Savignyplatz und Karen Pihatschek, der Leiterin des Sparkassen-Kundencenters Bundesallee. Wir bedanken uns an dieser Stelle ganz herzlich für die Unterstützung bei der Berliner Sparkasse sowie der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales.

+++ Neuer Internet-Auftritt der DMSG Berlin +++

von links nach rechts: Matthias Wichers, Robert Bauer, Karen Pihatschek

Foto

: Ber

liner

Spa

rkas

se

Page 10: Kompass 02 2013 291113 web

10 • Kompass

Horizont

heit, der Heilige Rock, dort aufbewahrt wurde. 1801 ließ Napoleon, dessen Truppen zwei Jahre lang um die Burg gekämpft hatten, die Burg sprengen. Doch als die Allianz gegen Frankreich nach dessen Niederlage beim Wiener Kongress Europa neu aufteilte, ging das Rheinland an Preußen – und König Friedrich Wilhelm III. befahl den Aus-bau Koblenz’ zur Festungsstadt. Auf dem Ehrenbreitstein wurde eine der größten Festungen Europas errichtet, ausgestattet mit allen Mitteln zur Ver-teidigung gegen die damals bekann-ten Waffenarten. Nach dem Ersten Weltkrieg sollte die Festung erneut ge-mäß den Bestimmungen des Versailler Vertrages geschleift werden, doch die Alliierten ließen sich von ihrem kultu-rellen Wert beeindrucken – und sahen davon ab. Während des Zweiten Welt-krieges wurden dort kurzzeitig Kunst- und Kulturgüter eingelagert. Stollen, vom Ehrenbreitstein ausgehend, soll-ten bis zu 10.000 Menschen Schutz vor Luftangriffen bieten. Nach 1945

Von Stefanie Schuster

Seit mehr als 1000 Jahren steht eine Burg hoch auf den Felsen über dem heutigen Koblenz, da, wo Rhein und Mosel zusammenfließen. Aus luftigen 118 Metern hat man einen meist kla-ren Blick weit übers Land und über die mächtigen Flüsse am Deutschen Eck – so genannt, weil sich dort der Deut-sche Orden 1216 ansiedelte. Militä-risch uneinnehmbar steht Ehrenbreit-stein dort – unbesiegt jedoch nicht. Konnte man die Burg nicht sturmreif schießen, so hungerte man eben die Einwohner aus, wie 1799 geschehen – nach zweijähriger Belagerung.

Die ersten Funde, die auf eine regulä-re Besiedlung des Berges hinweisen, sind Pfähle aus dem 10. Jahrhundert vor Christus; sie gehörten zu einer bronzezeitlichen Wehranlage. Die erste Burg jedoch ließ der Konradi-ner Ehrenbert um das Jahr 1000 bau-en. Im 11. Jahrhundert ging sie in den

Besitz des Trierer Erzbischofs Poppo über; sein Nachfolger baute die Anla-ge aus. Im 12. Jahrhundert kam – als Neubau – Burg Helfenstein dazu, ein Grafensitz. Im 15. Jahrhundert sorgte Erzbischof Richard von Greiffenclau dafür, dass die Feste gegen Artillerie gesichert wurde. An ihn wie an das wechselnde Kriegsglück erinnert noch heute die damals größte Kanone Eu-ropas, „Vogel Greif“, die in Frankfurt aus Bronze gegossen wurde. Napole-on ließ sie 1799 nach Frankreich brin-gen, die Deutschen holten sie nach der Niederlage Frankreichs im Zweiten Weltkrieg wieder nach Koblenz. 1946 brachte man sie erneut nach Paris – und 1984 im Zuge der Aussöhnung als Dauerleihgabe nach Ehrenbreitstein zurück. Zurück trat damals übrigens aus Protest der Direktor des französi-schen Armee-Museums.

Über Jahrhunderte war die Festung Eh-renbreitstein so sicher, dass eines der kostbarsten Reliquien der Christen-

Darum ist es am Rhein so schön:

Burgfestung – behindertengerecht

Reisetipp!

Page 11: Kompass 02 2013 291113 web

Kompass • 11

Horizont

„Von der Hand in den Mund“ – Besuch der historischen Gärten aus Steinzeit, Römerzeit und Mittelalter, sowie „Pe-ter Joseph Lenné – Eine Gartenreise im Rheinland“. Es gibt aber auch eine „Landessammlung zur Geschichte der Fotografie in Rheinland-Pfalz“ und ein wunderbares Stück Industrieschau in der Ausstellung „Zündende Ide-en – Marken aus Rheinland-Pfalz“. In der Sommersaison lockt jeden ersten Sonntag im Monat die Aktion „hands on“ – da können Besucher die Aus-stellungsstücke aus den Vitrinen so-gar in die Hand nehmen.

Mindestens ebenso schön wie die Be-sichtigung der in nahezu allen Teilen barrierefreien Burg, sind jedoch die Außenanlagen. Wo 2011 die Bundes-gartenschau war, sind heute noch die Rabatten, die Aussichtsplattformen und die großzügig angelegten Sitz- und Liegemöglichkeiten zu genießen.

kamen dort Displaced Persons und Vertriebene unter; auf den Burgmau-ern wurden Gärten angelegt.

Heute ist der Ehrenbreitstein ein kul-turelles Zentrum, wie man es selten findet: Das Landesmuseum Koblenz zeigt Ausstellungen zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Region. Das Programm ist breit gefächert: Man kann sich per Audioguide durch die Festung führen lassen (eine span-nende Angelegenheit!) oder eine der zahlreichen Themenführungen mitma-chen. Es geht um „Geborgene Schät-ze. Archäologie an Mittelrhein und Mosel“ oder „Übung macht den Men-schen – Künste und Handwerk“, „Hält Essen und Trinken Leib und Seele zusammen? – Eine kulinarische Zeit-reise“, „Scharfe Sache! – Die Entwick-lung der Klinge vom Faustkeil bis zum Eisenschwert“ . Auch „Mit den Hän-den sehen!“ – Führungen im Hands on-Erlebnisbereich der Archäologie für Sehbehinderte und Blinde, ist im Angebot und „Historische Zeitgärten“,

Eine mehrere hundert Meter lange Rampe ermöglich zudem den barriere-freien Blick von einer Aussichtsplatt-form über den Rhein. Just verlängert ist auch die Betriebserlaubnis für die Gondelseilbahn, die von der Burg hi-nunter zum Deutschen Eck führt. Einst umstritten als Verschandelung des Weltkulturerbes gilt sie heute als eine der Hauptattraktionen des Geländes.

Tipp: Einen Tag sollte man für die Festung Ehrenbreitstein selbst ein-planen, einen weiteren für die Besichtigung der 3,5 Kilometer lan-gen Kaiserin-Augusta-Anlagen und des Konrad-Adenauer-Ufers. Gestaltet wurde die Burg übrigens von Peter-Joseph Lenné, der nach Vorlagen des Fürsten von Pückler-Muskau arbeitete.

Außerdem bieten sich Dampferfahr-ten auf dem Rhein und die Besichti-gung von Koblenz an.

Da kann jeder rauf: Die barrierefreie Plattform mit Blick über den Rhein kann man sogar im Liegendtransport erklimmen – eine Errungen-schaft der Bundesgartenschau 2011.

Eine Ausstellung in der Burg Ehrenbreitstein erinnert an den

Garten- und Landschaftsarchi-tekten Peter Jospeh Lenné, der die Rheinanlagen zu Füßen der

Burg gestaltete. Fo

tos:

Ste

fani

e Sc

hust

er

Page 12: Kompass 02 2013 291113 web

Horizont

Längst sind die Zeiten vorbei, in denen Bundesgartenschauen den Beweis da-für führen müssen, wie viele Tulpen auf einen Quadratmeter passen. Vor allem innerhalb geschlossener Stadtgebie-te bieten die Aussttellungsareale den Planern immer wieder die Möglich-keit, ganze Stadtteile neu zu erfinden. Stefanie Schuster sprach darüber mit dem Garten- und Landschaftsbauer Hanspeter Faas, der bereits seit mehr als drei Jahrzehnten das Wachsen und Werden der Bundesgartenschauen in leitender Position mit verantwortet – unter anderem als Geschäftsführer der Bundesgartenschau Koblenz 2011; jetzt ist er Geschäftsführer der Bun-desgartenschau Heilbronn 2019.

Herr Faas, Sie gestalten schon sehr lange die Bundesgartenschau mit, wie wichtig sind diese Schauen in der tou-ristischen Entwicklung einer Region?

Hanspeter Faas: Heute setzen Gar-tenschauen wichtige städtebauli-che Impulse und sind Triebfeder, um Maßnahmen in der Stadtentwicklung zeitnah zu realisieren. Dabei stellen sie für die Stadt und die Region einen bedeutenden wirtschaftlichen Faktor dar, der den Vergleich mit anderen Großveranstaltungen (z. B. internatio-nalen Sportevents) nicht zu scheuen braucht. Gleichzeitig locken sie viele 100.000 Gäste in die Stadt und die

Region. Damit kann das touristische Potential nachhaltig erschlossen und gefördert werden.

Haben Sie beobachtet, dass sich dar-aus eine Sogwirkung entwickelt?

Hanspeter Faas: Die wirtschaftlichen Impulse, die von einer Gartenschau ausgehen, sind heute beachtlich. Indirekte Entwicklungen, die durch die Veranstaltung ausgelöst wer-den, übertreffen meist die direk-ten Investitionen. In Koblenz hat die Bundesgartenschau 2011 wirt-

schaftliche Impulse von fast 500 Mio EUR ausgelöst. Bemerkenswert ist, dass diese Sogwirkung über den ei-gentlichen Zeitraum der Bundesgar-tenschau hinaus anhält.

Seit neuestem müssen die Bundesgar-tenschauen auch behindertengerecht sein – merkt man das auch in der Um-setzung?

Hanspeter Faas: Gartenschauen ha-ben eine bemerkenswerte Tradition im behindertengerechten Ausbau ihrer Anlagen. Viele der durch Gartenschau-en entstandenen Parkanlagen sind barrierefrei. Heute geht man offener mit dieser Thematik um, der barriere-freie Ausbau der Anlagen ist selbst-verständlicher geworden und man hat keine Scheu, diese Qualität in der Kommunikation positiv darzustellen.

Die ganze Burg Ehrenbreitstein ist er-staunlich behindertengerecht – war sie das auch schon, bevor die BUGA kam? Konnte man da auch den Anteil der damaligen Sozialministerin Malu Dreyer beobachten?

Hanspeter Faas: Die Burg Ehrenbreit-stein war bis zur BUGA nur in wenigen Teilbereichen behindertengerecht ausgebaut. Heute sind nahezu alle Be-reiche barrierefrei. Bereiche, die bar-rierefrei nicht erreicht werden können, werden nicht mehr für Ausstellungen

geöffnet. Meiner Auffassung nach hat hier das Land Rheinland-Pfalz einen sehr hohen Anspruch und damit einen mustergültigen Standard positioniert. Das Besondere ist – und daran hat die damalige Sozialministerin Malu Drey-er sicherlich einen beachtlichen Anteil – dass dieser Anspruch wie selbstver-ständlich in die Planung einfließt. Es bedarf keinerlei Rechtfertigung der Akteure, um den barrierefreien Aus-bau zu realisieren. Das hat viel Geld gekostet. Das Land Rheinland-Pfalz und die Bundesgartenschau Koblenz 2011 GmbH haben dieses Geld zur Verfügung gestellt. Auch dies ist Teil dieses Selbstverständnisses.

Hat sich die Zahl der Menschen mit Behinderung unter den Besuchern der Bundesgartenschau in den vergange-nen Jahrzehnten verändert – bemerkt man mehr Mobilität?

Hanspeter Faas: Menschen mit einem Handicap sind meiner Auffassung nach selbstbewusster geworden. Sie unterstützen die Akteure bei der Pla-nung und bei der Realisierung der Baumaßnahmen mit ihrem Wissen und mit ihren Erfahrungen. Dies ge-schieht heute in einem offenen und selbstverständlichen Dialog. Dieser Umstand führt dazu, dass heute deut-lich mehr Menschen mit Behinderun-gen Gartenschauen und vermutlich auch andere Ausstellungen besuchen. Dies hängt wahrscheinlich aber auch damit zusammen, dass Menschen mit Handicap heute insgesamt mobiler geworden sind und leichter zu den Ausstellungen kommen.

Wie herausfordernd ist es, deren Be-dürfnisse mit zu berücksichtigen?

Hanspeter Faas: Technisch ist es nicht wirklich eine Herausforderung, bar-rierefrei zu bauen. Viel entscheiden-der ist es, das Bewusstsein dafür zu wecken, bei den Planungen daran zu denken und bereits zu einem frühen

Hanspeter Faas

12 • Kompass

Stadtentwicklung – konsequent barrierefrei

Interview

Page 13: Kompass 02 2013 291113 web

Kompass • 13

Horizont

Wasser spielen zu sehen, ist für mich als Planungsverantwortlichen ein be-sonderes Erlebnis.

Wie wird die BUGA in Heilbronn?

Hanspeter Faas: Mit der Bundesgar-tenschau Heilbronn 2019 wird ein neu-es Stadtquartier mitten in der Stadt entwickelt. Es ist eine außergewöhnli-che und zukunftsorientierte Aufgabe. In Verbindung mit dem Stadtquartier entstehen neue Landschaften mit ei-nem vielfältigen Anspruch und neue Wegeverbindungen in der Stadt. Wie leben Menschen in einem neuen Stadtquartier im Jahr 2014? Welche Auswirkungen haben der demogra-phische Wandel, die Klimaverände-rung und die künftigen Ansprüche der Bewohner? In diesem Spannungsfeld wird im Jahr 2019 die Gartenschau stattfinden. Sie wird ihren eigenen Weg gehen. Ich bin überzeugt, dass sie hinsichtlich der Attraktivität an die Durchführung der Bundesgartenschau Koblenz anschließt und – sie wird bar-rierefrei sein.

Besten Dank für das Gespräch!

Zeitpunkt Lösungen anzubieten. Der barrierefreie Ausbau muss in der Pla-nungsphase genauso selbstverständ-lich sein wie alle anderen technischen Standards.

Geht es nur um die Wege und die Infra-struktur – oder hat es auch das Bild der Bundesgartenschau selbst verändert?

Hanspeter Faas: Wege und Infrastruk-tur sind nur ein kleiner Teil der Barrie-refreiheit. Das Thema heute heißt In-klusion. Der Anspruch muss sein, eine Ausstellung zu generieren, in der sich behinderte und nicht behinderte Besu-cher gleichberechtigt begegnen. Hier hat die Gartenschau die Möglichkeit, in den Köpfen etwas zu verändern, be-wusst zu machen, wie wichtig Inklusion für unsere Gesellschaft ist und das vom Miteinander gleichermaßen Behindere und nicht Behinderte profitieren.Wichtig war für uns, dass auch die Spielplätze von behinderten Kindern genutzt werden konnten. Besonders gerne erinnere ich mich an den Was-serspielplatz, der heute noch immer in Betrieb ist. Dort behinderte und nicht behinderte Kinder gemeinsam mit

Titel: © beatrice prève/Fotolia.comS. 5: © Brian McEntire/istockphoto.comS. 15: © Kathrin GeyerS. 21: © Enno HurlinS. 29 Mitte rechts: © Andreas Hermsdorf/Pixelio.deAlle übrigen Fotos: Stefanie Schuster

Bildnachweis

Natürlich gibt es auch im Internet zahlreiche Angebote, Vorschläge und Buchungsmög-lichkeiten zum Thema Reisen:

• www.rollstuhlundbehinderten-urlaub.de

• www.schottland-fuer-alle.com

• www.barrierefrei-branden- burg.de

• www.accept-reisen.de

• www.segeltoern-reisen.de

• www.wheeltheworld.net

• www.vba-reisen.de

• www.mis-ch.ch

• www.handicap-travel.com

• www.italiapertutti.org

• www.rollihotel.ch

• www.grabo-tours.de

• www.rollontravel.de

• www.mis-infothek.ch

• www.mapblast.com

• www.runa-reisen.de

• www.urlaubundpflege.de

• www.bahn.de/mobilitaets- eingeschraenkte

• www.rolli-flugreisen.de

• www.mobidat.net

• www.berlin-informativ.de

• www.berlin.de

Page 14: Kompass 02 2013 291113 web

14 • Kompass

Horizont

Braucht man eigentlich immer noch spezialisierte Reisebüros, um Men-schen mit Behinderungen um die Welt zu schicken? Was können diese mehr leisten als man ohnehin im In-ternet findet? Und muss ein Urlaub speziell ohne Hindernisse immer teurer sein als einer mit Barrieren? Diese und viele andere Fragen stell-te Stefanie Schuster Felix Karsch, dem Inhaber des Reiseveranstalters Accamino Reisen.

Herr Karsch, Sie haben seit mehr als 15 Jahren Erfahrung in ihrem Metier. Muss Urlaub für Menschen mit Behin-derungen ganz anders geplant wer-den als ein „normaler“ Urlaub?

Felix Karsch: Grundsätzlich müssen Sie alle Bestandteile des Urlaubs, an-gefangen bei der Bereitstellung der Informationen, der An- und Abreise, Unterkunft, Verpflegung bis hin zu den Ausflügen, bzw. dem Programm auf ihre Eignung für z.B. Rollstuhlfahrer, Gehbehinderte, Sehbehinderte oder Hörbehinderte überprüfen und anpas-sen. Jeder dieser Bestandteile birgt Ri-

siken und Probleme. Der Aufwand ist dementsprechend größer.

Was war Ihr erster Aha-Effekt in die-sem Arbeitsgebiet?

Felix Karsch: Das war mein Glücksge-fühl, das ich als Reiseleiter bei meiner ersten Gruppenreise erlebte, nach-dem alles gut geklappt hatte und ich nur zufriedene und glückliche Gesich-ter sah. Es ist einfach etwas Besonde-res, wenn die Reise ein Erfolg ist. Ich bin mir sicher, dass ich nicht annäh-rend so zufrieden wäre, wenn ich eine Gruppe von Menschen ohne jegliche Einschränkung begleiten würde.

Ist die Situation für Menschen mit Be-hinderungen in den vergangenen Jah-ren leichter geworden?

Felix Karsch: Das kann man schon so sagen. Das Thema rückt immer mehr in den gesellschaftlichen Mittelpunkt. Neue Hotels werden i.d.R. ohne größe-re Barrieren gebaut. Die Infrastruktur verbessert sich. Es gibt immer wieder neue Veranstalter und Reiseanbieter

für Menschen mit Behinderung. Dies gibt ihnen mehr Möglichkeiten, einen schönen Urlaub zu erleben.

Wo hakt es noch am meisten?

Felix Karsch: Ich habe immer wieder Schwierigkeiten bei der Suche nach passenden Unterkünften für Gruppen. Abgesehen von Hotels in Berlin bieten die meisten Hotels in deutschen Städ-ten gerade mal 2–4 Zimmer für Roll-stuhlfahrer. Selbst neue Hotels bieten oft nur wenige an. Da muss sich noch gehörig etwas ändern. Schwierig ist auch das Schließen der Servicekette, also z.B. die Versorgung mit den rich-tigen Hilfsmitteln vor Ort, das Angebot von barrierefreien Ausflugsfahrten und die Beförderung am Urlaubsort. Das bieten wir in Berlin schon an. Da-rüber hinaus arbeiten wir mit unserer Marke „Germany for All“ am deutsch-landweiten Angebot. Bereits heute ha-ben wir Rollstuhl-Gruppen aus Frank-reich, England, Dänemark, Israel, den USA und einigen anderen Ländern in Berlin und Deutschland begleitet und bedient. Momentan sind wir dabei,

Reisen mit Handicap wird leichter – nur nicht in GruppenSpezialisierte Anbieter nehmen zu

Foto

: Acc

amin

o Re

isen

Page 15: Kompass 02 2013 291113 web

Kompass • 15

Horizont

unsere Reisen natürlich keine Gebüh-ren. Ebenso wenig bei den In- und Auslandsreisen von Accamino Reisen.

Wohin würden Sie reisen, wenn Sie im Rollstuhl säßen?

Felix Karsch: Innerhalb Deutsch-lands ganz klar Berlin. Und außerhalb Deutschlands Teneriffa. Der Süden der Insel hat sich zu einem Mekka für Rollstuhlfahrer entwickelt. Jetzt gerade antworte ich Ihnen von Teneriffa aus. Ich befinde mich hier im Spa und Sport-hotel Mar y Sol mit einer Reisegruppe. Auch würde ich jedem, der sich bis-her noch nicht getraut hat, eine Reise zu unternehmen, einen Aufenthalt im Mar y Sol wärmstens empfehlen. Viele Dienstleister haben sich hier auf Roll-stuhlfahrer eingestellt. Es gibt einen rollstuhlgerechten Strand mit kosten-losen Strandrollstühlen und Assistenz.

Schicken Sie Berlin-Touristen auch ins Umland, um Natur zu erleben?

Felix Karsch: Ja, z.B. in den Spree-wald. Dort kann man eine Tour auf einem barrierefreien Kahn unterneh-men. Oder nach Potsdam.

Besten Dank!

aber spezielle Anforderungen stellt, z.B. einen Lifter und Pflegebett benö-tigt, müssen diese angemietet wer-den. Aber auch da gibt es Hotels, die bereits Pflegebetten in die Zimmer in-tegriert haben. Da fällt dann vielleicht ein kleiner Aufpreis an.

Testen Sie die Angebote, die Sie ma-chen – oder haben Sie dafür ein spe-zielles Portal?

Felix Karsch: Alle unsere Angebote sind uns gut bekannt. Die meisten habe ich persönlich getestet. So habe ich z.B. jedes unserer Berliner Hotels selbst besichtigt und die rollstuhlgeeigneten Zimmer vermessen. Die Ausflüge ha-ben wir selbst konzipiert. Unsere Acca-mino-Reisen-Angebote im In- und Aus-land sind uns auch persönlich bekannt.

Erheben Sie eine spezielle Gebühr für die Buchung einer Reise?

Felix Karsch: Nein, das kann man so pauschal nicht sagen. In Berlin z.B. bieten wir verschiedene Einzelleis-tungen an, bei der wir eine Art Gebühr erheben müssen. Das trifft dann zu, wenn wir z.B. Pflegeleistungen ver-mitteln. Wir agieren aber auch als Reiseveranstalter. Da erheben wir auf

ein Netzwerk von Hilfsmittelverleihen aufzubauen. In Berlin und den meis-ten unserer Destinationen funktioniert das schon recht gut. Dieser Bereich wird in Zukunft allerdings noch deut-lich ausgebaut.

Gibt es auch besondere Fördertöpfe, die man abfragen kann, wenn man als Mensch mit Behinderungen in Urlaub fahren will?

Felix Karsch: Mir sind das „persönli-che Budget“ und die „Verhinderungs-pflege“ bekannt. Ich empfehle, sich bei der Pflegekasse darüber zu infor-mieren. Auch wir können da erste Hin-weise geben.

Ist barrierefreier Urlaub generell teu-rer – oder sind die Preise schon so weit gesunken, dass sie sich ähneln?

Felix Karsch: Was ich sagen kann ist, dass ein barrierefreier Urlaub nicht unbedingt teurer sein muss als ein „normaler“ Urlaub. Es kommt immer darauf an, welche Leistungen der Kun-de in Anspruch nehmen muss. Wenn es sich z.B. nur um ein rollstuhlge-rechtes Zimmer in einem Hotel z.B. in Berlin handelt, ist dies nicht teurer als ein Standardzimmer. Sobald der Gast

In einen Katalog für behindertengerechtes Reisen passt Kreta noch nicht auf die erste Seite. Zum Strand findet man mitunter behindertengerechte Zugänge, manche antiken Ausgrabungsstätten sind barrierefrei. Es gibt gute Quartiere, aber so gut wie kein Lebensmittelgeschäft ohne Stufen. Abgesenkte Bordsteinkanten sind nicht selbstverständlich, das Pflaster ist eher historisch. Trotzdem, die Flora ist wunderschön, die Landschaft sehr beeindruckend. Ich war mit meinem Freund unterwegs und traf sehr freundliche Griechen, so dass ich kein wirkliches Problem hatte. Genau genommen war ich privile-giert mit meinem Rollstuhl. Ich habe während zwei Wochen in der zeitigen Vorsaison keinen Einheimi-schen im Rollstuhl gesehen. Dass dort alle gesund sind, dürfte nicht sehr wahrscheinlich sein – auch das ist ein bleibender Eindruck. Kathrin Geyer

Page 16: Kompass 02 2013 291113 web

16 • Kompass

Frau Pitschnau-Michel, Sie haben den Internationalen MS-Kongress in Berlin maßgeblich gestaltet. Sind Sie zufrie-den mit seinem Verlauf?

D. Pitschnau-Michel: Ja, sehr. Wir ha-ben ausschließlich positive Rückmel-dungen. Es war sehr interessant, und meine Mitarbeiter und Mitarbeiterin-nen haben großartige Arbeit geleistet.

Sie haben zu hochwertigen wissen-schaftlichen Vorträgen eingeladen – wer war dabei Ihr Zielpublikum?

D. Pitschnau-Michel: Unsere Zielgrup-pe ist immer eine Mischform, es ist also nie eine reine Patientenveranstal-tung. Wir haben, wie die MS-Gesell-schaften der anderen Länder, ärztliche Beiräte, es kommen auch die der an-deren Landesverbände, viele haupt-

und ehrenamtliche Mitarbeiter, aber natürlich auch Betroffene. Der Anteil der Fachbesucher lag bei 50 Prozent.

Manche Bundesverbände wünschen sich die DMSG politischer – ist das für Sie auch denkbar?

D. Pitschnau-Michel: Wir sind durch-aus politisch! Nur wird das, was wir tun, nicht immer von einzelnen Per-sonen ausreichend wahrgenommen. Doch unser Leitbild sagt, dass wir uns nur in MS-spezifische Themen rein-hängen wollen – sonst würden wir uns auch überfordern. Ein Beispiel ist das Teilhabegeld, das wir aus der Sozial-hilfe herauslösen wollen. Da haben wir uns mit dem Paritätischen eindeu-

tig dafür ausgesprochen, dass das po-litisch in Angriff genommen wird.

Kann die DMSG in dem Bereich noch mehr Druck ausüben?

D. Pitschnau-Michel: Wir können, wenn es Resolutionen zu dem Thema gibt, entsprechend tätig werden. Bis jetzt haben wir es an unseren politi-schen Verteiler herausgegeben. Weite-re Initiativen sind noch in Arbeit, doch die müssen noch vorbereitet werden.

Ein großes Thema während des Kon-gresses war das Fundraising – war-um? Werden mehr Gelder gebraucht oder ist die Spendenfreudigkeit ge-sunken?

Wissenschaft und Forschung

Bundesverband DMSG appelliert: Ermuntern und zulassen

„Wir brauchen einen Generationswechsel“

„Shaping the future together“ – die Zukunft gemeinsam ge-stalten. Unter diesem Motto hatten der Bundesverband der DMSG und die Multiple Sclerosis Internationale Federation (MSIF) am ersten Oktoberwochenende Fachleute aus ganz Europa und den USA zum Internationalen MS-Kongreß eingeladen. Es ging um neue Therapieansätze, um Fundraising, um Palliativmedi-zin und um Entspannungstechni-ken. In Vorträgen und Workshops konnten sich die Teilnehmer wertvolle Anregungen holen. Ganz nebenbei feierte die DMSG auch noch ihren 60. Geburts-tag – die Glückwünsche kamen aus aller Welt. Stefanie Schuster sprach mit der Bundesgeschäfts-führerin der DMSG, Dorothea Pitschnau-Michel.

Networking im schönsten Kreis: DMSG-Bundesgeschäftsführerin Dorothea Pitschnau-Michel begrüßte zum 60. Geburtstag der Patientenvereinigung die Schirmherrinnen (von links) Herzogin Elizabeth in Bayern (für den bayerischen Landesverband), Ursula Späth (für Baden-Württemberg) und die SPD-Politikerin Manuela Schwesig (für Mecklenburg-Vorpommern).

Page 17: Kompass 02 2013 291113 web

Kompass • 17

betrachten Sie als die größte Heraus-forderung in der kommenden Dekade?

D. Pitschnau-Michel: Die größte Her-ausforderung ist die Veränderung der DMSG, um sie an die Wünsche und Bedürfnisse der jungen Erkrankten zwischen 20 und 30 Jahren anzupas-sen. Derzeit bildet die DMSG diese nur teilweise ab – und die jungen Erkrank-ten sind die, die in den kommenden Jahren die Arbeit fortführen, weiter-tragen, entwickeln sollen. Ich glaube nicht, dass wir eine Selbsthilfebewe-gung, so wie sie derzeit aufgestellt ist, in ein paar Jahren noch haben wer-den. Natürlich brauchen junge Leute auch junge Ansprechpartner. Es wird mehr über die elektronischen Medien laufen, die Gremienarbeit wird sich ändern. Ich bin schon sehr gespannt, wie man die Dinge weiter entwickeln kann. Man kann natürlich ganz viel lamentieren, dass man ausgegrenzt wird als älterer Mensch, aber Zukunft gestalten müssen die Jungen, das muss man zulassen.

Haben Sie festgestellt, dass die jünge-ren Betroffenen vereinsmüde sind?

D. Pitschnau-Michel: Es gibt einer-seits Vereinsmüdigkeit – andererseits sehe ich, wenn andere Arbeit zuge-lassen wird, dass sich ganz viel Enga-gement entwickelt – vor allem in den mitgliederstarken Landesverbänden, wie in Bayern oder Nordrhein-Westfa-len. Es ist wie immer in gesellschaftli-chen Strukturen: Die Alten muss man überreden, zuzulassen, die Jungen muss man überreden, mitzumischen. In dem Moment, wo eine Seite nicht mehr flexibel ist, treten Konflikte auf. Dann schlägt sich der Frust nieder. Es ist natürlich auch gut, wenn Betroffe-ne im Vorstand sind, schwierig finde ich jedoch, wenn man das als alleini-gen Anspruch hat. Jede Organisation ist immer nur so gut wie sie es schafft, alle gemeinsam an einen Tisch zu bringen und gemeinsame Ergebnisse zu erarbeiten.

Vielen Dank für das Gespräch!

Forschungsförderung beteiligen solle. Ist das auch Ihre Absicht? Wollen Sie auch deshalb künftig das Fundraising intensivieren?

D. Pitschnau-Michel: Wir betreiben schon seit vielen Jahren Forschungs-förderung, aber bislang immer nur er-gänzend zu laufenden Projekten. Da-rüber berichten wir auch regelmäßig. In den kommenden Jahren wollen wir das ausweiten, auch dazu brauchen wir Fundraising. Die angloamerikani-schen Modelle, die auf dem Kongress vorgestellt wurden, lassen sich aber nie übertragen – das macht sich auch im Äußeren fest. Dennoch ist es wich-tig, dass solche Projekte vorgestellt werden, denn da sind häufig gute An-regungen dabei.

Welche haben Sie denn für sich mitge-nommen?

D. Pitschnau-Michel: Das kann ich jetzt noch nicht verraten – das ma-che ich immer erst, wenn die Planung steht.

Gab es auch schon den umgekehrten Weg?

D. Pitschnau-Michel: Ja! Beispiels-weise haben wir als Deutsche drauf bestanden, dass der Welt-MS-Tag eingeführt wurde, die Engländer und die Amerikaner waren da nicht so amused, weil sie viele öffentli-che Events haben, auch die WHO hat gleich abgewinkt – für so eine kleine Anzahl von Menschen machen wir keinen Extra-Tag. Wir haben drei Jah-re dran gearbeitet, bis es ihn endlich gab – und der Erfolg war international groß, nicht nur in Deutschland. Auf der anderen Seite machen die Amerikaner immer gute Awareness-Kampagnen, die auf das Problem MS hinweisen, das können wir auf uns übertragen.

Sie haben in den vergangenen Jahren die Weichen für die Arbeit der DMSG entscheidend mit gestellt. Wohin soll die DMSG im 7. Jahrzehnt gehen – was

D. Pitschnau-Michel: Fundraising war nur ein Teil der Patientenservice-Pro-jekte während des Kongresses. Aber es ist ein grundlegendes Thema. Auf der ganzen Welt finanzieren sich die MS-Verbände durch diese Arbeit. Je-des Jahr muss man sich etwas Neues einfallen lassen, vor allem, wenn man Geld für etwas haben will, wo die Spender keinen direkten Gegenwert sehen. Zudem nimmt in Europa die Spendenbereitschaft nicht zu, wohl aber die Zahl der Organisationen, die Geld haben wollen, weil die Projekte ja alle finanziert werden müssen. Eine staatliche Förderung haben wir schon seit Jahren nicht mehr. Ein Zuschuss der Deutschen Rentenversicherung deckt etwas mehr als ein Sechstel un-seres Gesamtbudgets – das ist alles, was wir kriegen. Den Rest müssen wir uns erarbeiten.

Auf dem Kongress wurde eine in der MS-Therapie neue Fachrichtung vor-gestellt: die Palliativmedizin. Gibt es Landesverbände, die sich dem schon geöffnet haben?

D. Pitschnau-Michel: Als Bundes-verband beobachten wir schon seit Jahren die Arbeit von Professor Voltz an der Uniklinik Köln, doch im Mittel-punkt stehen bislang Krebskranke. Er ist auch dabei, eine Studie zum The-ma anzufertigen. Es geht uns darum, die Lebensqualität von sehr schwer Erkrankten zu steigern. In Deutsch-land werden Betroffenen doch oft noch allein gelassen in Pflegeheimen und in Familien; häufig ist es noch die Unkenntnis von besseren Behand-lungsmethoden. Vorbild in dieser Initi-ative sind die Engländer, dort arbeitet man schon sehr lange und erfolgreich palliativ. Im kommenden Jahr wollen wir eine Palliativ-Sprechstunde am Telefon mit Professor Voltz ins Leben rufen. Da sollen dann auch Kontakte zu örtlichen Palliativ-Stationen herge-stellt werden.

Immer wieder wird der Ruf danach laut, dass auch die DMSG sich an der

Wissenschaft und Forschung

Page 18: Kompass 02 2013 291113 web

18 • Kompass

Wissenschaft und Forschung

Vor knapp 600 Gästen aus 37 Nationen eröffnete Bundespräsident a.D. Christian Wulff (re.), der Schirmherr der DMSG, am Samstagmorgen den Kongress. Seine Mutter war ebenfalls an MS erkrankt.

Am Samstag Abend wurde der 60. Geburtstag der DMSG

gewürdigt. Dort präsentierte Prof. Gernot Schulz das

„Unternehmen Orchester“: Der ehemalige Dirigent der

Berliner Philharmoniker zeigte nach dem festlichen Diner

mit Hilfe der Kammersymphonie Berlin, was eine gelun-

gene Unternehmenskultur ausmacht.

In Workshops konnten die Konferenz-Teilnehmer

tiefer in die Themen einsteigen. Prof. Dr. med.

Raymond Voltz referierte über die zunehmende

Bedeutung der Palliativ-Medizin, die bislang vor

allem von Krebspatienten genutzt wird, jedoch

auch für MS-Patienten offen steht, um die Lebens-

qualität zu steigern.

Auf den Fluren des andel´s Hotel Berlin an der Landsberger Allee waren zahlreiche Beratungsstände aufgebaut, an denen sich Betroffene über Hilfsmittel u.ä. informieren konnten. Dem Bundesverband war es gelungen, den gesamten Kongress über Teilnehmer-gebühren und Spenden zu finanzieren.

Fatigue – das ist für den emeritierten Professor Randall T. Schapiro der Elefant im Raum, der Haufen macht. „Wir wissen einfach nicht, woher diese Müdig-keit kommt, “ sagt der Präsident der Schapiro Mul-tiple Sclerosis Advisory. Aber eines stehe fest: „Das einzige Mittel gegen die Behinderung ist Mobilität.“

Eindrücke

Foto

s: S

tefa

nie

Schu

ster

Page 19: Kompass 02 2013 291113 web

Kompass • 19

Wissenschaft und Forschung

Ein herzliches Dankeschön!Unseren Förderern und Unterstützern für 2013

Dank nachfolgender Zuwendungsgeber kann der DMSG Landesverband Berlin e.V. wichtige Projekte anbieten: Bera-tung und Betreuung von Menschen mit MS, Förderung der Selbsthilfe, Fortbildung Ehrenamtlicher, Verbesserung der Lebensqualität, Durchführung von Symposien, Veranstaltungen und Freizeiten sowie unserer Öffentlichkeitsarbeit.

ALBA Berlin danken wir für Freikarten für den Eurocup.Das Basketballteam verschenkt Freikarten an uns für ausgewählte Spiele in der Bundesliga oder Eurocup.

Einladung zur Veranstaltung:

„Update Multiple Sklerose“Datum: Samstag, den 23.11.2013, 9:00–13:00 UhrOrt: Alte Nervenklinik, Großer Hörsaal, Campus Mitte, Bonhoefferweg 3, 10117 Berlin

Programm: 09:00 Begrüßung Prof. Dr. Matthias Endres, Direktor der Klinik für Neurologie, Charité – Universitäts­

medizin Berlin

09:10 Kognitive Störungen bei MS und NMO: Symptomatologie, bildgebende Befunde und Diagnostik

Prof. Dr. Friedemann Paul

09:30 Primär Chronisch Progrediente MS – Resignation oder Hoffnung? Prof. Dr. Lutz Harms

09:50 MikroRNAs, Antikörper etc. – was können wir von neuen Biomarkern bei der MS erwarten?

PD Dr. Klemens Ruprecht

10:10 Interessante neuroimmunologische Fälle aus der Charité

10:50 –11:20 Kaffeepause

11:20 Die neuen MS-Medikamente in der Praxis: Worauf müssen wir achten? Dr. Oliver Wengert

11:40 Ketogene Diät – eine neue neuroprotektiveTherapieoption bei MS? Markus Bock

12:00 Die Sonne am Horizont? Vitamin-D in der Behandlung der MS Dr. med. Jan Dörr

12:20 Immunpathogenese der MS – Stand 2013 Prof. Dr. Reinhard Hohlfeld, Institut für Klinische Neuroimmunologie, LMU München

ab 13:00 Gemeinsamer Imbiss

Page 20: Kompass 02 2013 291113 web

20 • Kompass

Wissenschaft und Forschung

So eröffnete Priv.-Doz. Dr. med. Karl Baum, der Chefarzt der Neurologi-schen Abteilung und Leiter des An-erkannten MS-Zentrums der Klinik Hennigsdorf, seinen Vortrag für die Mitglieder der Berliner DMSG. Seit mehr als 20 Jahren befasst sich Baum mit allem, was mindestens zur Linde-rung der Multiplen Sklerose beitragen könnte. Tausende von Patienten hat er in dieser Zeit behandelt. Und wenn er auch, von Berufs wegen, vorsich-tig ist, gleich drei neue Medikamente mit positiver Wirkung in den jüngsten Studien vorzustellen, so ist das doch für das Mitglied des Ärztlichen Beira-tes der DMSG ungewöhnlich. Stefanie Schuster sprach mit dem Spezialisten Dr. Karl Baum darüber.

Herr Dr. Baum, Sie haben für diesen Herbst die Markteinführung von neu-en Medikamenten in der Basistherapie angekündigt. Worum handelt es sich?

Dr. Baum: Anfang Oktober 2013 steht die Wirksubstanz Teriflunomid unter dem Handelsnamen Aubagio® in der Dosierung von 14 mg am Morgen als orale Verabreichungsform zur Verfü-gung. Der Hersteller ist Sanofi-Aventis. Ebenfalls Anfang Oktober 2013 ist Alemtuzumab unter dem Handelsna-men Lemtrada® erhältlich. Der Herstel-ler ist Genzyme. Dieses Medikament wird als Infusionszyklus an fünf Tagen hintereinander gegeben und nach ei-nem Jahr nochmals in einem Zyklus von drei Infusionen hintereinander.Bei dem dritten Medikament mit ei-ner möglichen Markteinführung noch in diesem Jahr handelt es sich um die

Wirksubstanz Dimethylfumarat (BG-12) unter dem Handelsnahmen Tecfidera® in der Dosierung von 2 mal 240 mg am Tag. Dieses Medikament wird oral ver-abreicht. Der Hersteller ist Biogen.

Wie wirken diese drei neuen Medika-mente?

Dr. Baum: Teriflunomid hemmt das Stoffwechselenzym DHODH, womit die Neubildung des Stoffwechselpro-duktes Pyrimidin blockiert und damit die Bildung aktiver T- und B-Lympho-zyten reduziert wird, also auch der Zel-len, die MS als entzündliche Erkran-kung verursachen.Alemtuzumab richtet sich als mo-noklonaler Antikörper gegen das Zelloberflächenmolekül CD52 und reduziert damit die für die MS mitver-antwortlichen T- und B-Lymphozyten. Dimethylfumarat (BG-12) aktiviert den sogenannten Nrf2-Signalweg, ein Stoffwechselweg mit entzündungs-hemmenden und wahrscheinlich neu-roprotektiven Eigenschaften.Neu ist nicht nur die Wirkweise der Medikamente, sondern auch deren Darreichungsform. Alemtuzumab wird als Infusionszyklus nur einmal im Jahr verabreicht, die anderen beiden Medi-kamente liegen in oraler Form vor.

Für die spritzenmüden Patienten muss sich das gut anhören. Ist es das auch?

Dr. Baum: Die Einmalgabe eines Infu-sionszyklus oder die orale Einnahme mag attraktiver in der Darreichungs-form sein. Entscheidend ist jedoch für den einzelnen Patienten, ob eine der bisher eingesetzten Therapien bei gu-ter Verträglichkeit die erhoffte Wirkung gezeigt hatte, d.h. weniger Schübe, geringere Behinderungszunahme, we-niger neue Herde im Gehirn. Alle neuen Medikamente zeigen ganz eigene, spezifische Wirkmechanis-

men. Auch durch die neuen Medika-mente tritt nicht bei allen Patienten der erhoffte Erfolg ein. Jeder Wechsel, unter anderem aus Gründen der oralen Einnahme, führt bei einer bis dahin er-folgreichen Therapie immer auch zu dem Risiko, dass der MS-Patient auf die neue Therapie nicht anspricht. Bei den meisten Patienten mit den ge-spritzten Basistherapien der Interfero-ne oder Glatirameracetat liegt wenig Spritzenmüdigkeit vor. Grundsätzlich ist eine mit dem Patien-ten ausführlich zu besprechende Risi-ko-Nutzen-Abwägung vorzunehmen, in Kenntnis aller Daten zu Wirksamkeit und Nebenwirkungen.

Wir beurteilen Sie nach den bis jetzt abgeschlossenen Studien deren Wirk-weise und Verträglichkeit?

Dr. Baum: Teriflunomid zeigte in der für die Zulassung bedeutsamsten Studie (TEMSO) eine Verminderung der Schubzahl um 32 Prozent im Ver-gleich zur Scheinbehandlung. Die Be-hinderungszunahme fiel im Vergleich zur Scheinbehandlung um 30 Prozent geringer aus. In der Kernspintomogra-phie, dem MRT, zeigte die Herdlast im Vergleich zur Scheinbehandlung eine um 67 Prozent geringere Zunahme. An Nebenwirkungen zeigte sich, dass die Teriflunomid – Gruppe häufiger an Durchfall, erhöhten Leberwerten, Übelkeit und verringerter Haardichte litt als die scheinbehandelte Gruppe.Alemtuzumab zeigte in den beiden CARE – Studien im Vergleich zu Rebif 44 µg 3 Mal die Woche eine Verminde-rung der Schubzahl um 49 bis 55 Pro-zent. Im Vergleich der Behinderungszu-nahme fiel diese um bis zu 42 Prozent geringer aus bei Alemtuzumab. Auch die kernspintomographischen Daten zeigten deutliche Effekte zugunsten von Alemtuzumab. Bemerkenswert ist unter Alemtuzumab die Abnahme der

Neue Medikamente in der MS-TherapieMarkteinführung ab Herbst 2013

»Das hat es, so lange ich in der MS-Therapie arbeite, in dieser

Fülle noch nicht gegeben.«

Interview

Page 21: Kompass 02 2013 291113 web

Kompass • 21

gung stehen. Im Falle der sekundär progredienten MS ist ein Hoffnungs-träger unter anderem Natalizumab in der ASCEND-Studie, im Falle der pri-mär progredienten MS liegen Hoffnun-gen auf der Wirksubstanz Fingolimod aufgrund der INFORMS-Studie.

Vielen Dank für das Gespräch!

ten in Studien aufgenommen, die z. B. nur einen Schub in den letzten 12 Mo-naten vor Studieneinschluss hatten und möglicherweise den letzten Schub vor vielen Jahren, oder auch Patienten, die lediglich einen frischen, Kontrastmittel

aufnehmenden Herd in der Kernspin-tomographie der letzten sechs Wochen zeigten und davor vielleicht über lange Zeit stabil waren. Diese verschiedenen Einschlusskriterien erschweren die Ver-gleichbarkeit der Medikamente.

Die meisten Medikamente sind nur für die Behandlung der schubförmig verlaufenden MS geeignet. Warum ist diese Form der Erkrankung so viel leichter zu behandeln?

Dr. Baum: Einzelne der bisherigen Me-dikamente sind auch in der Basisthe-rapie für die sekundär progrediente MS zugelassen, wie einige Interfero-ne. Für die genannten neuen Medika-mente gibt es keine Daten zu der se-kundär progredienten oder gar primär progredienten Verlaufsform der MS. Zu Beginn der Multiplen Sklerose über-wiegt die entzündliche Phase, im Laufe der Jahre, insbesondere beim Wechsel in die sekundär progrediente Form, nehmen die entzündlichen Verände-rungen der klassischen Art eher ab, an-dererseits spielen neurodegenerative Prozesse wie Untergang von Nervenfa-sern und Nervenzellen eine zunehmen-de Rolle. Hinzu kommt bei der sekun-där progredienten MS das Entstehen von entzündlichen Knötchen in den Hirnhäuten mit einer ganz offensicht-lichen Aktivierung von B-Lymphozyten. Diese späten entzündlichen Phasen sind erfahrungsgemäß schwieriger mit Immunmodulatoren oder Immunsup-pressiva zu behandeln.

Wird Forschung betrieben, um die bei-den chronisch progredienten Formen der MS zu behandeln?

Dr. Baum: Hier läuft Forschung in meh-reren Phase II- und Phase III-Studien. Es wird mindestens drei Jahre dauern, bis neue Wirksubstanzen zur Verfü-

Hirnvolumenminderung im zweiten Jahr auf das Ausmaß, das dem natürli-chen Alterungsprozess entspricht. Ne-benwirkungen betreffen Infusionsre-aktionen, ein höheres Infektionsrisiko und autoimmune Sekundärstörungen wie entzündliche Schilddrüsenerkran-kungen, Blutungen als Folge einer gegen Blutplättchen gerichteten Au-toimmunantwort und seltene Fälle von autoimmunen Nierenentzündungen.Dimethylfumarat (BG-12) weist im Vergleich zur Scheinbehandlung eine Verminderung der Schubzahl in den beiden für die Zulassung bedeut-samen Studien (DEFINE, CONFIRM) zwischen 44 und 53 Prozent aus. Bei der Behinderungszunahme zeigte zu-mindest eine der Studien nach drei Monaten eine signifikante Redukti-on um 38 Prozent, verglichen mit der Scheinbehandlung. Im MRT fiel die Zu-nahme der Herdlast um 71–85 Prozent geringer aus im Vergleich zur Schein-behandlung. Die Nebenwirkungen betreffen in den ersten Monaten der Behandlung den sogenannten Flush, also eine Rötung, evtl. Glühen im Ge-sicht, und Magen-Darm-Beschwerden.

Sie betonen in Ihren Vorträgen, dass die Wirkung der „alten“ Medikamente mit den neuen nur eingeschränkt ver-gleichbar sei, weil die untersuchten Patienten sich unterscheiden. Woran liegt das?

Dr. Baum: In den späten 80er und den ge-samten 90er Jahren unterschieden sich die Einschlusskriterien zur Aufnahme in MS-Studien von den Einschlusskriterien der letzten 8–10 Jahre. Früher waren für die Aufnahme in die Studien mindestens zwei Schübe in den letzten zwei bis drei Jahren erforderlich. In dem Zeitraum der letzten 8–10 Jahre wurden auch Patien-

Wissenschaft und Forschung

Priv.-Doz. Dr. med. Karl Baum kam zum

Vortrag in die Villa Donnersmarck.

Jobinitiative für Menschen mit Behinderungen

Eine gemeinsame Inklusionsinitiative für mehr betriebliche Ausbildung und Be-schäftigung von Menschen mit Behinde-rungen haben im Oktober Vertreter von Politik, Behindertenverbänden und der Wirtschaft vereinbart. Im Mittelpunkt soll die Sensibilisierung von Unternehmen für das Arbeitskräftepotenzial und die Leistungsfähigkeit von Menschen mit Be-hinderungen stehen. Durch regionale Ko-operation sollen neue Ausbildungs- und Arbeitsplätze für Menschen mit Handicaps gesichtet und besetzt werden.

Außerdem sollen die Agenturen für Ar-beit und die kommunalen Jobcenter die Vermittlung von schwerbehinderten Menschen intensiver vorantreiben. Da-für stehen ihnen 50 Millionen Euro zu-sätzlich aus Mitteln des Ausgleichsfonds zur Verfügung. Damit sollen auch neue, nachhaltige lokale Projekte, beispiels-weise für langzeitarbeitslose schwerbe-hinderte Menschen, entwickelt und eta-bliert werden. Das Programm startet in 2014 und läuft über drei Jahre. Die Initi-ative ist Teil des Nationalen Aktionsplans der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, aber auch ein wichtiger Beitrag zur Fachkräfte-offensive der Bundesregierung, um mehr Menschen in Ausbildung und Beschäfti-gung zu bringen.

Zudem werden die Spitzenverbände der Wirtschaft mit einer eigenen Kampagne „INKLUSION GELINGT!“ für mehr Ausbil-dung und Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen werben. Quelle: Beauftragter der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen

Page 22: Kompass 02 2013 291113 web

22 • Kompass

Von Stefanie Schuster

Den Beauftragten der Bundesregie-rung für die Belange behinderter Men-schen zu einem Gespräch zu treffen ist schwierig. Wer würde bestreiten, dass er nicht alle Hände voll zu tun hat da-mit, die Inklusion voranzubringen.

In einem Interview hat er mal gesagt, dass diese Jahre als Behindertenbe-auftragter die stressigste Zeit seines Lebens gewesen sei. Ein Ehrenamt übrigens, neben seiner Tätigkeit als Bundestagsabgeordneter.

Der bekennende Katholik ist seit 1971 Christdemokrat: Schülerunion, Junge Union, Kreisvorsitzender der Schüler-Union im westfälischen Kreis Lünen, wo er geboren ist, Beisitzer im Lan-desvorstand. Seit 1982 Mitglied der Christlich-Demokratischen Arbeitneh-merschaft. 1982 bis 1990 Mitglied des Landesvorstandes der Jungen Union, seit 1988 Mitglied des CDU-Bezirks-vorstandes Ruhrgebiet, seit 1989 Kreisvorsitzender der CDU Unna. Im Bundestag seit 1991; dort blieb er bis 2009, und, als Nachrücker für einen Kollegen, wieder seit 2012.

Hauptberuflich ist Hüppe Diplomver-waltungswirt. Ein Aktenfresser? Eher nicht. Auf seinen Homepages zeigt er sich gerne im Gespräche – „Mensch Hüppe“, steht darüber; das ist schön gemacht. Zwei Generationen neben ihm, ein Teenager und eine Senio-rin. Einer zum Anfassen, so die Bot-schaft.

Hüppe hat viel zu tun. Er ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Spina bifi-da und Hydrocephalus e.V. Dortmund und bei Gemeinsam leben – gemein-sam lernen e.V., als Beiratsmitglied in der Bundesarbeitsgemeinschaft Inte-grationsfirmen e.V. Berlin, im Bundes-vorstand der Bundesvereinigung Le-benshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e.V. Marburg, stellvertre-tender Bundesvorsitzender der Christ-demokraten für das Leben e.V. Müns-ter, Mitglied des Sprecherrates des Expertenkreises „Inklusive Bildung“, Ständiger Gast des Hauptausschus-ses im Deutschen Verein für öffentli-che und private Fürsorge e.V. Berlin, Mitglied der Jury zum Inklusionspreis des „UnternehmensForums“, Mitglied des Ausschusses Nationaler Aktions-plan zur Umsetzung der UN-Behinder-tenrechtskonvention im des Bundes-arbeitsministeriums und Mitglied im Expertenbeirat zum Pflegebedürftig-keitsbegriff. Unter anderem.

In der heißen Phase des Wahlkampfes veröffentlichte er auf seiner Home-page einen Artikel: „Im Endspurt des Bundestagswahlkampf will der hei-mische CDU-Bundestagsabgeordnete Hubert Hüppe für Bürgerinnen und Bürger erreichbar sein. Ab sofort ist er unter der Handynummer 0175-70 22 14 44 für Fragen, Anliegen, An-regungen und mehr zu erreichen.“ Wie viele Anrufe mögen das gewesen sein? Um solche Dinge abzufragen ist das 30minütige Interview zu kurz. Es reicht nur für das Wichtigste. Was er für sei-ne größten Erfolge hält, etwa. Das hat er auch schon in seiner eigenen Bilanz dargestellt: „Dass wir für contergan-geschädigte Menschen eine Lösung

herbeiführen konnten, mit der viele nicht gerechnet hatten. Ich hatte da auch meine Zweifel, ob das gelingt.“ Kein Wunder, denn dieses „Dritte Ge-setz zur Änderung des Conterganstif-tungsgesetzes“ beendete endlich das 50jährige Gezerre um eine angemes-senere Unterstützung der Menschen, die Ende der 50er Jahre mit schweren körperlichen Schäden zur Welt ka-men. Seit dem 1.8.2013 ist es in Kraft, und es verheißt neben anderem eine „Angemessene Unterstützung con-tergangeschädigter Menschen rück-wirkend ab 1. Januar 2013: Erhöhung der monatlichen Conterganrenten von maximal 1.152 Euro auf maximal 6.912 Euro, Bereitstellung zusätzlicher Bun-desmittel von 30 Mio. Euro jährlich zur Deckung spezifischer medizinischer Bedarfe“. Ein Meilenstein.

Doch es sind auch die vielen kleinen, kaum medienwirksamen Gesetze, die Hüppe – bei aller Bescheidenheit – mit Stolz erfüllen: Eine neue Regelung, die besagt, dass Fernbusse bald barri-erefrei sein müssen, inklusive zweier Plätze für Rollstuhlfahrer; die Barrie-refreiheit beim elektronischen Rechts-verkehr und beim E-Government und nicht zuletzt in der Filmförderungs-richtlinie (der KOMPASS berichtete), wonach nur Filme Geld vom Bund be-kommen, wenn sie mit Zusatzausstat-tungen für Menschen mit Seh- oder Hörschäden daherkommen. Und auch Auslandsschulen müssen künftig ein inklusives Konzept nachweisen.

Also läuft es gut mit der Umsetzung der Behindertenrechtskonvention? Ja, vieles ist gelungen, sagt Hüppe. Der Inklusionsbeirat, den er 2010 ins Le-

Unter uns

Mensch Hüppe: Der Behindertenbeauftragte des Bundes setzt auf Inklusion – auch finanziell

Hubert Hüppe

Telefon-

interview

Page 23: Kompass 02 2013 291113 web

Kompass • 23

schaffen kann“, stellt Hüppe klar. „Aber man kann den Zuwachs bremsen.“

Noch eines lässt ihn leidenschaftlich werden und – fast – die Zeit vergessen: „Die Reform der Eingliederungshilfe zu einem Bundesleistungsgesetz. Da darf es nicht nur um die Verteilung der Kos-ten vom Bund und den Ländern gehen, da müssen richtige Strukturverände-rungen vorgenommen werden. Außer-dem will ich ein Teilhabegeld, und zwar ohne dass die Betroffenen ihr eigenes Einkommen und Vermögen aufbringen müssen, oder ihre Ehepartner. Denn es geht um behinderungsbedingte Nach-teilsausgleiche und nicht um Almosen.“ Wiederum eine Kostenfrage? „Nein, das ist eine Sache der Menschenrechte. Ich will, dass die Menschen leben können, wie sie wollen und wo sie wollen. Und ich glaube auch nicht, dass es viel teu-rer wird, denn jetzt entstehen hohe Kosten dadurch, dass die Verwaltung so lange nachrechnen muss, welche Leistungen zuerkannt werden sollen.“ Klar, Assistenz koste was – aber ob sie im Heim günstiger sei? Außerdem fehlten Leistungsanreize, wenn Men-schen für notwendige Assistenz fast ihr gesamtes Einkommen und Vermögen einsetzen müssen.

Eine weitere Baustelle ist die Barriere-freiheit im Gesundheitsbereich: „Das ist die Grundvoraussetzung für eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Wenn Sie als hörbehinderter Mensch kein Hörgerät bekommen, dann ist es schwierig mit der Inklusion. Die An-sprüche sind gesetzlich häufig schon geregelt, doch oft hängt es an der Um-setzung – die Haken möchte ich gerne noch beseitigen.“

Dann muss er los – zur Familie, nach Hause. Die hat er im Wahlkampf und in der Hektik danach zu selten gesehen, auch den jüngsten Sohn, der gerade eine Ausbildung begonnen hat. „Da muss ich jetzt hin, sonst verpass ich was.“ Mensch, Hüppe.

so Hüppe, habe er einen Arbeitgeber kennen gelernt, der sogar mehrere behinderte Menschen angestellt habe – zum Tariflohn. Klar, da würden auch Zuschüsse gezahlt – aber es lohne sich, für alle. Arbeit gebe es genug. Die Eingliederungshilfe müsse an der richtigen Stelle gezahlt werden – ohne bürokratischen Aufwand. Darüber wird bei Bund und Ländern noch gestritten. „Man sagt immer: Inklusion darf kein Sparmodell sein“, ärgert sich Hüppe. „Niemand spricht darüber, wie teuer

Exklusion ist.“

Die Kosten darzu-legen bedeutet für ihn nur einen Griff ins Archiv. Insge-samt rund 13 Mil-liarden Euro netto

haben Länder und Kommunen im ver-gangenen Jahr an Eingliederungshilfe gezahlt; über drei Viertel der Summe gingen an Einrichtungen – und sie stei-gen weiter. Warum, wenn doch die Po-litik die Inklusion will? „Die Fallzahlen sind enorm gestiegen“, sagt Hüppe. „Es gibt mehr Ältere, mehr psychisch Kranke.“ Pause. „Aber ich habe den Eindruck, dass der Hauptgrund für die steigenden Fallzahlen woanders liegt.“ Immer noch werde Menschen mit Behinderungen – und deren An-gehörigen – erzählt, dass sie in ge-schützten Räumen besser aufgehoben seien. „Wenn Sie durchsetzen wollen, dass Ihr Kind in den ersten Arbeits-markt geht, dann erzählt man Ihnen an tausend Stellen, dass es dafür kei-ne Eingliederungshilfe gibt. Und am Ende glauben Sie das.“

Im Jahr 2011 gab es rund 790.000 Leis-tungsberechtigte für die Eingliederungs-hilfe; das waren fast 65.000 mehr als noch 2009. Betrachtet man die Zeit bis 2006, so war es ein Zuwachs von mehr als 23 Prozent. Die Ausgaben stiegen mit, auch für Leistungen in Werkstätten für behinderte Menschen. „Ich glaube nicht, dass man die Werkstätten ab-

ben gerufen hat, um die Behinderten-rechtskonvention umzusetzen, sei sein erstes Erfolgsmodell gewesen. „Den haben nicht alle toll gefunden. Wir ha-ben den Grundsatz der Behinderten-rechtsbewegung übernommen: Nichts über uns ohne uns. Das hat am Anfang ganz schön geruckelt.“ Der Inklusions-beirat besteht fast ausschließlich aus Menschen mit Behinderungen, 10 der 13 Mitglieder des Inklusionsbeirats sind vom Deutschen Behindertenrat vorgeschlagen worden, neben ande-ren auch DMSG-Schatzmeisterin Dr. Sigrid Arnade. „Dass die Betrof-fenen ihre Belange selbst in die Hand nehmen, war rich-tig und höchste Zeit“, findet er. Auch in der DMSG. „Sie haben doch Sigrid Arnade,“ lacht er, „da wissen Sie Bescheid.“

Doch trotz aller Anstrengungen gebe es noch strukturelle Mängel in der Umsetzung der Behindertenrechtskon-vention. „Der Schlimmste ist der, dass Eingliederungshilfen meist nur dann gezahlt werden, wenn man sich in einer speziellen Einrichtung befindet, und das ist ja gerade nicht gewollt.“ Derzeit sei es so: „Wenn Sie Ihr behindertes Kind in einem Regelkindergarten an-melden, dann müssen Sie meist die Gebühren selbst zahlen und es selbst hinbringen und abholen. Wenn Sie es aber in einer speziellen Einrichtung an-melden, dann wird es abgeholt und zu-rückgebracht. Die Einrichtung ist auch kostenlos – das übernimmt die Ein-gliederungshilfe. Die wird derzeit dann gezahlt, wenn Sie bereit sind, den Menschen auszugliedern.“ Dasselbe gelte auch für Werkstätten für Men-schen mit Behinderungen, dabei zeig-ten Beispiele aus der Praxis ganz deut-lich, dass es sehr wohl möglich sei, auch Menschen mit Behinderungen im so genannten ersten Arbeitsmarkt un-terzubringen. In Baden-Württemberg,

Unter uns

»Dass die Betroffenen ihre Belange selbst in die Hand nehmen, war richtig und

höchste Zeit«

Page 24: Kompass 02 2013 291113 web

24 • Kompass

Unter uns

Wie reisen, wenn nichts mehr so rich-tig geht? Der in Cuxhaven geborene Journalist und Buchautor Knud Kohr macht’s vor: Als die Multiple Sklerose begann, ihm Knüppel zwischen die Beine zu werfen, nahm er Stöcke zur Hand (für die kürzeren Strecken) und bretterte mit außerordentlich coolen Quads durchs Gelände. Sehr schön nachzulesen in seinem Buch „500 Me-ter“. Dann, als der Radius kleiner wurde, verbrachte er offensichtlich viel Zeit am Fenster oder direkt vor der eigenen Haustür; daraus wurde die Kolumnensammlung „Helden wie ihr“. Nach einem schweren Schub im vergangenen Jahr allerdings hat er sich einen Scooter gegönnt, und ist seitdem buchstäblich wieder mehr auf Achse. Stefanie Schuster sprach mit dem Wahl-Berliner übers Reisen mit Hindernissen.

Bis vor nicht allzu langer Zeit sind Sie noch regelmäßig beruflich auf Reisen gewesen – sind Sie das jetzt wieder?

Im Juno 2012 hatte ich einen schweren Schub und kam kaum noch zum eige-nen Briefkasten. Jetzt überlege ich, mit meinem neuen Elektroscooter die Rei-sen wiederaufzunehmen. Die einzige Reise in diesem Jahr war die Reise zum Nordpol und zurück – an einem Tag. Diese Reise wird einmal jährlich von Air Berlin angeboten – früher war es Düsseldorf. Man kommt da morgens um 7 Uhr zum Einchecken, um 8 Uhr geht’s los, dann geht’s über Skandi-navien und Spitzbergen bis hin zum Packeis – und dann ist man überm Nordpolgebiet. Das ist ja eigentlich nichts als eine große Eisscholle – noch nicht einmal einen Kilometer dick, weil kein Land drunter liegt, wie am Südpol. Da sind anderthalb bis vier Meter Eis. Und weil da keine Fah-ne gesteckt ist, muss man das jetzt einfach mal dem Piloten glauben.

Nördlich des 88. Breitengrades gibt es auch kein Wetter mehr, wie wir das kennen – dazu ist es zu kalt; da gibt es nur einen sehr dichten Nebel. Zuerst hatten wir ganz großartiges Wetter – dann erst zog sich’s zu. Zurück ging’s über Grönland – da guckt man ja nur runter. Das sieht man sonst auch ei-gentlich nicht – jedenfalls nicht die Ostseite, auch, wenn man sie auf dem Weg nach New York manchmal über-fliegt. Das ist schon anrührend, wenn man in so einer fliegenden Zahnpasta-tube drüberzieht – es waren vielleicht in der ganzen Menschheitsgeschichte 500 Leuteauf dem Nordpol . Elf Stun-den später sind wir wieder in Berlin gelandet – das war ein schöner Tag, muss man sagen. Das ist schon teuer, aber toll. Die Preise gehen von 499 bis 3333 Euro – im kommenden Frühjahr findet’s wahrscheinlich wieder statt.

Lohnt sich das denn?

Eigentlich schon – wenn man an die günstigen Tickets rankommt. Die Fens-terplätze teilt man sich sowieso – da sind alle eine große Gemeinschaft. Ich bin ja 15 Jahre lang um die Welt geflo-gen, und für mich war das nichts so Besonderes. Aber einige Leute, die um mich rum waren, sind eigens aus den USA angereist und aus China, um zum Nordpol zu fliegen – Air Berlin macht derzeit den einzigen Nordpolflug der Welt. Insgesamt passen gut 300 Leute in diesen Flieger.

Sind Sie reisesüchtig?

Einfach nur Stadtportraits interessie-ren mich nicht mehr – weil ich davon früher zu viel gemacht habe. Jeden Tag muss man dann in ein bis zwei Hotels und Nachtclubs gehen, die coolsten Clubs anschauen, Locations checken. Das habe ich lange genug gemacht. Aber in Australien war ich noch nicht.

Alles eine Frage der Organisation:

Einmal Nordpol und zurückWenn ich aber wegfahre, dann will ich auch arbeiten. Die sicherste Methode, mich in den Wahnsinn zu treiben, ist, mich an den Strand zu legen.

Sie haben lange das Geld mit Reisen verdient – geht das jetzt immer noch?

Das kann ich nicht mehr. Ich habe viele Jahre für Abenteuer und Reisen gearbeitet – letztlich ein Fan-Magazin für reiselustige; die sind interessiert an: wo ist ein guter Club, ein schönes Hotel, wo geht der Bus ins Umland. Ich glaube, ich könnte mit diesem Scooter wohl wieder ein Berlin-Portrait hin-kriegen – aber ich weiß nicht, ob ich dazu noch Lust hätte. Ich habe ja nie davon gelebt; Reisen war nur eins von drei Standbeinen. Ich habe mir Ne-benwege aufgebaut: Jetzt schreibe ich ein Konzept für ein neues Buch, habe einen Artikel für den Tagesspiegel ge-schrieben über Doktor Seltsam.

Sind Ihnen bei Dienstreisen besonders behindertengerechte Gegenden auf-gefallen?

Ich glaube, die USA sind immer gut.

Wenn ich an New York denke, dann sehe ich nur die hohen Bordsteinkan-ten, die Treppen und engen Drehkreu-ze an der U-Bahn.

Ich fand die USA dennoch gut – da achten die da Menschen sehr auf Be-hinderte. Es ist einfach das Selbstver-ständnis, dass jeder alles erreichen kann – denn neben jeder Treppe steht einer, der einem hinauf helfen kann. Andererseits: So viele Gegenden, in denen es richtig leicht ist, mit Rollstuhl voranzukommen, gibt es gar nicht. Ich war ja auch immer mit einem Fotogra-fen und meiner Freundin unterwegs – da haben wir meistens ein Auto gemietet. Das waren immer mehr so

Page 25: Kompass 02 2013 291113 web

Kompass • 25

Unter uns

aber je ärmer das Land ist, desto sinn-voller ist die Begrenzung.

Worauf muss man achten, wenn man mit Rolli auf Reisen geht?

Man muss immer recherchieren: Ist da ein S-Bahnhof mit Aufzug, und gibt es eine zweite Möglichkeit? Man muss auch immer viel Extra-Zeit einplanen. Oder wenn ich fliege: Kann ich meinen Scooter an Flughafen stehen lassen, kann ich mir am Zielort einen auslei-hen? Kann der zum Flughafen kom-men? Gut ist immer ein Special Service – wenn einen da einer abholt. Und der Special Service ist immer kostenlos. Auf Reisen haben ich auch immer eini-ge Münzen oder Dollarscheine in der Tasche; es gibt aber auch Länder, wo es total verpönt ist, Trinkgeld anzu-nehmen. Das muss man auch vorher rauskriegen.

Haben Sie denn nie Angst, dass Sie die MS mal ereilt – und es ist schlimm?

Doch, schon. Aber nach einem Jahr-zehnt MS ist es ja so, dass man jeder-zeit mit dem Kopf voran die Treppe runterfallen kann. Ich mache halt Me-ditation. Ich versuche, so durch den Tag zu gehen, dass es auch zu Ende gehen kann.

Besten Dank für das Gespräch!

nichts – nur stimmt meist nicht das, was man vorher liest. Aber wenn man bis zum ersten Menschen am Schal-ter kommt, dann wird’s viel einfacher. Dann muss man eben dieses zwie-spältige Vergnügen wahrnehmen, sich in die Hand von Leuten zu begeben, die dafür sorgen müssen, dass man nicht zum Versicherungsfall wird . Man kriegt meist wirklich gute Hilfe – man wird nur zu einem Gepäckstück, das sprechen kann. Doch wenn man sich darauf einlässt, dann kommt man um die ganze Welt.

Generell gelten Schwellenländer oder Länder der Dritten Welt als schwierig, was den behindertengerechten Ausbau angeht – ist das auch Ihre Erfahrung?

Ich war beispielsweise in Laos – das ist eines der ärmsten Länder der Welt. Ich würde jetzt nicht den Irrsinn bege-hen, dann mit Stöcken und Scooter hinzufahren und zu sagen: Das geht schon. Das geht nämlich eventuell nicht. Da ist es das Sinnvollste, sich mit Auto, Fahrer und Reisegesellschaf-ten eher abzuschotten. Wenn man aus Europa kommt verkörpert man da ei-nen Reichtum, den sich die Menschen dort gar nicht vorstellen können – und da ist es schon sinnvoll, sich nicht an Stöcken in eine dunkle Gasse locken zu lassen. Das entspricht eigentlich nicht meiner politischen Sichtweise,

Roadmovies. Und bis hinauf nach Ne-braska haben wir festgestellt – es gibt eine riesengroße Hilfsbereitschaft. Und wenn ich noch eine Reise machen könnte, dann würden es die USA sein. Meine letzte richtig große Reise ging 2011 nach China und Tibet – da war ich auch schon ziemlich angehauen, aber letztlich war das kein großes Pro-blem. Ich rasiere ja auch meinen Kopf – für die Chinesen sehe ich aus wie ein richtig alter Mann – deshalb wird einem da auf jeden Fall geholfen. Wie es für Frauen ist, kann ich da gar nicht einschätzen. Aber Island war schwie-rig – das ist sehr dünn besiedelt und lebt von seinen Hochplateaus und der Unberührtheit – ohne Fahrstuhl, ohne Shuttle; da hat man’s schwer.

Generell ist aber das alles eine Frage der Organisation. Etwa Lappland im Frühjahr – Schnee und 15 Grad mi-nus. Geben Sie mir zwei Tage Zeit und ich buche Ihnen eine Fahrt von hier bis Nordkanada. Wenn ich einen Fo-tografen dabei habe, dann muss ich vielleicht 650 Meter zu Fuß gehen. Die meisten Reiselinien haben einen Service, nicht nur das Gepäck son-dern auch den Reisenden selbst von zu Hause abholen zu lassen. Theore-tisch muss man sich nur aufs Trottoir stellen- und zumeist ist das auch gar nicht teuer. Auch Special Service an Flughäfen und Bahnhöfen kostet gar

+++ Suche +++

Ich (männlich, 45 Jahre, verheiratet) habe Multiple Sklerose und suche eine kleine 1–1,5- oder 2-Zimmer-wohnung im Zentrum von Berlin! Da ich (noch) nicht auf einen Rollstuhl angewiesen bin, bevorzuge ich eine Wohnung im ersten Obergeschoss, – aber gerne auch mit Fahrstuhl, gerne Bad mit Fenster, Küche und Altbau. Eine kleine, günstige Wohnung (Kaufpreis und Nebenkosten) bis zu 50.000 Euro wäre genau richtig!

Bitte kontaktieren Sie mich unter [email protected].

DANKE !Steffi Raila, Tel.: 0821-45 55 840, E-Mail: [email protected]

Behindertengerechte-Reisen.com

Nichts ist unmöglich!Hotel

Ferienhaus

Kreuzfahrt . Kur

Segeltörn . Safari

Rund- & Fernreise

Wohnmobil

Anzeige

Page 26: Kompass 02 2013 291113 web

26 • Kompass

Behindertenhilfe im Sixpack

In Deutschland entwickelten sich nach 1945 zwei Richtungen von Behinder-tenorganisationen: Die Behinderten-hilfe (die Wohlfahrtsverbände – sie wurden und werden bis heute durch die Aktion Sorgenkind gefördert) und die Behindertenselbsthilfe (die vor-rangig in ihrem Dachverband, der Bun-desarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe BAGS – organisiert ist).

Schauen wir uns in der zweiten Folge unserer Serie die Verbände der soge-nannten „Behindertenhilfe“ einmal etwas genauer an. Dazu gehen wir zu-rück in das Schlüsseljahr 1964.

Ein Sorgenkind kommt auf die Welt

Im Jahr 1964 wird Nelson Mandela in Südafrika zu lebenslanger Haft ver-urteilt, Martin Luther King erhält den Friedensnobelpreis und im Anschluss an die neue ZDF-Lotterie „Vergiß-meinnicht“ wird zum ersten Mal die Sendung „Aktion Sorgenkind“ aus-gestrahlt. Ihr Redaktionsleiter Hans Mohl ruft zu Spenden auf, die zusam-

men mit den Erlösen der Lotterie in die Behindertenhilfe gehen sollen. Zum „Zweck der ordnungsgemäßen Mittelvergabe“ wird vom ZDF und den sechs Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege der Verein „Aktion Sorgenkind“ gegründet, der 2000 nach zweimaliger Umbenennung „Ak-tion Mensch“ heißt. Aus den Erträgen, rund 400 Millionen Euro im Jahr, wer-den monatlich rund 300 Projekte der Behindertenarbeit, aber auch der Kin-der- und Jugendhilfe gefördert.

Es sind ihre umfangreichen Aufklä-rungskampagnen und Aktionen, die seit Ende der 90er Jahre das Bild der Wohlfahrtsverbände als Behinderten-hilfe prägen. Etwa die Gründung der Verbändeplattform „Aktion Grund-gesetz“ im Jahr 1997 mit dem Slogan „Behindert ist man nicht, behindert wird man“ oder die Kampagne für ein barrierefreies Internet www.einfach-fuer-alle.de. De facto haben diese Kampagnen mehr bewirkt als manch jahrelange Öffentlichkeitsarbeit der eigentlichen Behindertenverbände.

Sechs Spitzenverbände prägen das Bild

Nur in Deutschland gibt es eine „freie“ Wohlfahrtspflege neben der staatlichen, so lohnt sich ein Blick auf die sechs Spitzenverbände, die jeweils durch unterschiedliche welt-anschauliche oder religiöse Motive geprägt sind. Da haben wir also in alphabetischer Reihenfolge – die Ar-beiterwohlfahrt (AWO), das Deutsche Rote Kreuz (DRK), den (katholischen) Deutschen Caritasverband (DCV), das

Diakonische Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland (DW), den Pari-tätischen Gesamtverband und – den meisten unbekannt – die Zentralwohl-fahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST).

Zusammengeschlossen haben sie sich nach dem zweiten Weltkrieg in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW). Darin ist der Sozial- und Wohlfahrts-verband „Volkssolidarität“, 1945 im Osten Deutschlands gegründet und in der DDR primär in der Betreuung älte-rer Menschen tätig, nur indirekt ver-treten: durch seine Mitgliedschaft im Paritätischen Gesamtverband.

Hilfe in Sozialen Mischkonzernen

Doch ist die „Behindertenhilfe“ nur ein Arbeitsbereich der Wohlfahrtsver-bände: Es geht auch immer um Kinder- und Jugendhilfe, um Pflege, um Alten-arbeit, um Migrationssozialarbeit, um Schwangerschaftberatung oder um Katastrophenhilfe. Teilweise ist die Behindertenhilfe in eigenen Verbän-den organisiert.

In den Einrichtungen der Wohlfahrts-verbände sind rund 1,4 Millionen Men-schen hauptamtlich beschäftigt.

Sonderfall Paritätischer Gesamtverband

Ein Sonderfall unter den Wohlfahrts-verbänden ist der Paritätische, da er

Unter uns

„Who is Who“ in der deutschen Behindertenszene?

In einer dreiteiligen Serie wollen wir zur Orientierung in der deut-schen Behindertenszene beitra-gen. Im ersten Teil haben wir uns mit den historischen Wurzeln der Verbände befasst. Im zweiten Teil der Serie geht es um die Wohl-fahrtsverbände.

H.-Günter Heiden

Teil 2

Page 27: Kompass 02 2013 291113 web

Kompass • 27

Verbänden der Behindertenselbst-hilfe kommt es in den letzten Jahren verstärkt zu Kooperationen. Die DVfR etwa betont in ihren Veröffentlichun-gen stets, dass auch die Betroffenen mit einbezogen werden sollen. Dort lautete der Slogan immerhin „Nichts über uns ohne uns!“ Beispiel einer solchen Kooperation ist auch der „Deutsche Reha-Tag“, der 2004 von 20 Reha-Trägerorganisationen ins Le-ben gerufen wurde und ideell von Be-hindertenverbänden unterstützt wird. Am 28. September dieses Jahres fand er bereits zum 10. Mal statt.

Bei allen Kooperationen schwingt je-doch immer die Frage mit, inwieweit die Zusammenarbeit ernst gemeint oder die Beteiligung der Selbsthilfe-verbände nur Schmuckwerk ist, um die gute Absicht der Initiatoren her-auszustreichen und die eigenen wirt-schaftlichen Interessen zu befördern. In diesem Sinne wird es nun Zeit, sich endlich mit den unmittelbar Betroffe-nen und ihren Verbänden zu beschäf-tigen – dazu mehr im nächsten Heft.

H.-Günter Heiden

• Teil 3: Die Verbände im Aktions-bündnis Deutscher Behindertenrat

aber als überkonfessionell arbeitend versteht.

Reha- und Fachverbände: alles interdisziplinär?

Wenn die Trennlinie der Verbandser-kennung zwischen „Hilfe“ und „Selbsthilfe“ verläuft, so gehört na-türlich noch ein kurzer Blick auf die Verbände der Professionellen dazu. Die finden wir vorrangig in den Feldern der medizinischen und beruflichen Rehabilitation oder im Pflegebereich. Fast alle versammelt finden wir sie bei einem Verband, der hier – stellvertre-tend für alle anderen – genannt wer-den soll: die Deutsche Vereinigung für Rehabilitation (DVfR), die sich nach eigener Darstellung heutzutage als „interdisziplinäres Forum versteht“, in dem sich „alle Fachleute aus Einrich-tungen, Institutionen und Verbänden, die mit der Rehabilitation und Integ-ration von Menschen mit chronischen Krankheiten und Behinderungen be-fasst sind, austauschen können“.

Ein aktuelles Thema der DVfR ist, ne-ben der Beschäftigung mit der UN-Behindertenrechtskonvention, die Umsetzung der Internationalen Klas-sifikation der Funktionsfähigkeit, Be-hinderung und Gesundheit (ICF) in der beruflichen Rehabilitation. Kurz zum Verständnis: In der ICF wird erstmals die rein medizinische Betrachtung von Behinderung verlassen – statt dessen geht es um das Verständnis von Be-hinderung als Wechselwirkung einer individuellen Funktionsbeeinträchti-gung mit einer Teilhabebarriere in der Gesellschaft.

Kooperation oder Schmuckwerk?

In Zeiten eines solchen, sich wandeln-den Verständnisses von Behinderung und den selbstbewusster werdenden

ein „Dachverband von nahezu 10.000 eigenständigen Organisationen, Ein-richtungen und Gruppierungen im Sozial- und Gesundheitsbereich“ ist. Unter den Mitgliedsorganisationen finden wir sowohl den „Bundesver-band spanischer sozialer und kulturel-ler Vereine e.V.“ als auch das „Bundes-wehr-Sozialwerk“ oder das „Netzwerk der Gehörlosen-Stadtverbände“ – eine wahrlich bunte und spannende Mischung.

In unserem Zusammenhang erwäh-nenswert ist das „Forum chronisch kranker und behinderter Menschen“, das im Jahre 1986 als ein übergrei-fender organisatorischer Zusammen-schluss von Mitgliedsverbänden des Paritätischen gegründet wurde – eine lose Vereinigung von knapp 40 Ver-bänden wie der Aids-Hilfe, der Tinni-tus-Liga, der Rheuma-Liga etc.. Zwei-mal im Jahr trifft man sich zu einer Vollversammlung, die unter anderem der Entwicklung von Positionen zu ge-meinsamen Themen dienen soll.

Behindertenhilfe international

Während sich die Arbeit der Spitzen-verbände vorrangig auf das Gebiet Deutschlands bezieht, gibt es seit 1998 auch eine Organisation, deren Behindertenhilfe vorwiegend interna-tional ausgerichtet ist: Handicap In-ternational (HI) mit Sitz in München. Hauptaktionspunkte von HI sind der Kampf gegen Landminen und Streu-bomben, die im Gefolge militärischer Auseinandersetzungen zu vielfachen Beeinträchtigungen der Zivilbevölke-rung führen. Beispielsweise werden Rehabilitationszentren mit Werkstät-ten für einfache Orthopädiegeräte und Prothesen aufgebaut etc.. Ebenfalls international ausgerichtet, jedoch mit Focus auf die Belange blinder und sehbehinderter Menschen, ist die Christoffel-Blindenmission, das sich

Unter uns

Infokiste:www.aktion-mensch.de

www.awo.de

www.bagfw.de

www.bag-selbsthilfe.de

www.caritas.de

www.diakonie.de

www.drk.de

www.dvfr.de

www.handicap-international.de

www.paritaet.org

www.rehatag.de

www.zwst.org

www.volkssolidaritaet.de

Page 28: Kompass 02 2013 291113 web

28 • Kompass

Unter uns

Anfang der 90er Jahre traten bei mir die ersten Symptome auf. Es begann mit Kribbeln in den Beinen und Ar-men, Doppelbildern und ich hatte kei-ne Kraft mehr. Die Müdigkeit, die mich befallen hat, wurde immer stärker. Ich war mehrfach im Krankenhaus. Man vermutete einen leichten Schlaganfall. Erst im Jahr 2000 kam die richtige Dia-gnose – Multiple Sklerose.

Was nun? Was kommt auf mich zu? Was sagt meine Familie dazu? Viele Fragen, wenige Antworten. Für mich war klar: Ich brauche eine Selbsthilfe-gruppe. Anfang 2001 kam ich das er-ste Mal zu einem Gruppentreffen und wurde herzlich aufgenommen. Alle meine Fragen wurden beantwortet. In meiner Gruppe sind die Mitglieder un-terschiedlich stark betroffen. Ich nahm mir die positiven Verläufe zum Vorbild � und lasse mich nicht unterkriegen.

Meinem Arbeitgeber sagte ich zu-nächst nichts von der Erkrankung. Ich hatte schließlich schon einmal meine Arbeit verloren, weil ich lange im Krankenhaus gewesen war. Doch dann kamen gleich mehrere Schü-be hintereinander, und im Mai 2003 wurde es so schlimm, dass ich einen Kurantrag stellte und den Arbeitgeber

informieren musste. Er reagierte sehr wohlwollend. Zehn Wochen lang fuhr ich in Kur. Neben meiner Familie und Mitgliedern der Selbsthilfegruppe besuchten mich dort auch Kollegen und halfen mir über manch schwere Stunde hinweg. Die Ärzte rieten mir, einen Rentenantrag zu stellen; das fiel mir schwer. Doch im Februar 2004 kam der Rentenbescheid; nun war es endgültig. Meine Kollegen waren sehr traurig, doch mir selbst bekam die Ruhe zu Hause besser als der tägli-che Stress auf der Arbeit. Nun konnte ich mich ausruhen wann immer ich es brauchte, und die Arbeit zu Hause konnte ich mir einteilen.

Doch was sollte ich den ganzen Tag über tun? Ich half in der Selbsthil-fegruppe. Weihnachtsfeiern und Fa-schingsfeste mussten vorbereitet werden, das macht mir Spaß. Eines Tages fragte mich die Gruppenspre-cherin, ob ich nicht ihre Vertretung übernehmen würde. Ich sagte zu. Es mussten Gelder für Therapien bei den Krankenkassen beantragt werden und ich begann, die Briefe zu schreiben. Dann folgte die Gestaltung von neuen Gruppen-Flyern, die Gruppentreffen mussten vorbereitet werden, und so vertiefte ich mich immer weiter in die-se Arbeit. Ende 2004 fragte mich un-sere Gruppensprecherin, ob ich nicht ihre Aufgaben übernehmen würde. Ich sagte zu. Nun leite ich seit Januar 2005 unsere Selbsthilfegruppe. Das macht mir viel Freude und hilft mir bei der Bewältigung der Krankheit.

2006 feierte die Gruppe Köpenick ihr 20jähriges und unsere Gruppe das 10jährige Jubiläum. Wir planten

Neue Pfade finden:

Cornelia Wislaug findet Kraft im Engagement

ein großes Fest. Während dieser Zeit stellte man bei mir Brustkrebs fest. Auch dieses Mal standen mir Fami-lie, Freunde und die Mitglieder der Selbsthilfegruppe bei der Bewälti-gung der Krankheit zur Seite. Eine weitere Selbsthilfegruppe – „Ich will leben – auch mit Krebs“ unterstützte mich bei der Nachsorge. Die Planung des großen Festes gab mir Halt. Un-ter anderem schrieben alle Mitglieder ihre Gedanken zum Thema MS auf. Daraus wurde ein Teil unserer Chronik „Wir über uns“. Der damalige Bürger-meister, Dr. Klaus Ulbricht, hielt eine Rede. Es kamen Familienangehörige, Sponsoren und Vertreter der Kranken-kassen – es war eine gelungene Party.

Wir treffen uns zwei Mal im Monat. Je-den ersten Montag im Monat sind wir kreativ: Wir basteln, machen Seiden-malerei oder Gestecke für die Weih-nachtszeit oder Wachsmalerei. Dabei geht es auch darum, die Feinmotorik unserer Hände wieder zu verbessern. Bei unserem Gruppentreffen am dritten Montag im Monat sprechen wir über die neuesten Informationen zum The-ma MS, hören Vorträge und versuchen, Fragen von Betroffenen zu beantwor-ten, und, bei Kaffee und Kuchen, auch über anderes. Dank der Fördermittel der Krankenkassen können wir auch Therapien für unsere Mitglieder organi-sieren, etwa Atem- oder Entspannungs-therapien oder ein Gedächtnistraining. Zudem machen wir einmal im Jahr eine Bildungsfahrt – 2010 etwa war das die Biosphäre in Potsdam.

2011 feierte die Treptower Gruppe ih-ren 15. und die Köpenicker Gruppe den 25. Jahrestag. Cornelia Wislaug

Cornelia Wislaug (li.)

»Ich heiße Cornelia Wislaug, bin

53 Jahre alt, verheiratet und habe eine Tochter«

Page 29: Kompass 02 2013 291113 web

Kompass • 29

S(e)itenblicke

Vor einiger Zeit besuchte mein Va-ter Berlin. Wir waren verabredet, und deshalb wartete ich am S-Bahnhof Charlottenburg auf ihn. Nach wenigen Minuten fuhr ein Zug Richtung Alexan-derplatz ein. Ganz hinten, ungefähr vier Waggons von mir entfernt, wurde eine Tür aufgerissen. Mein Vater stand darin. Obwohl seit einigen Jahren Rent-ner, ist er noch immer ein Kanten von einem Mann: 1,88 groß, knapp zwei Zentner schwer. Das Gesicht gegerbt von jahrzehntelanger Auslandsmonta-ge und gekrönt mit einem Toupet, wie es außer ihm höchstens noch Käpt’n Iglo bei der Fischstäbchendegustation zu tragen wagt. Da er in einem vergan-genen Jahrtausend eine solide Ama-teurboxkarriere in der Kampfgemein-schaft seines Heimatorts hinter sich gebracht hatte, neigte er noch immer zu sportlichen Angebereien. Lässig winkte er mir zu, und dann wuchtete er seinen Körper auf den Bahnsteig, bevor der Zug richtig zum Stehen ge-kommen war. Plötzlich sprang ein dünnes, etwa 16-jähriges Bürschchen in Bomberjacke von der Seite her auf ihn zu. Vielleicht sah mein Vater noch, dass der Kleine ihm ein Bein stellen wollte, doch er war noch viel zu sehr in Schwung, um dem ausgestreckten Springerstiefel ausweichen zu kön-nen. So knallte er direkt auf ein Knie, und als er herumrollte, rutschte das Toupet in den Dreck.

„Papa!“, schrie ich und lief los. Ich hatte gesehen, dass auf einer Bank in der Nähe drei weitere Bomberjacken saßen und grölend lachten. Da sie alle etwas älter aussahen als der Klei-ne, hatten die ihn wahrscheinlich auf eine Mutprobe geschickt. Natürlich konnte keiner von ihnen ahnen, dass der dicke Greis, der da eben zu Boden gegangen war, im vergangenen Jahr-tausend eine Sportskanone gewesen war. Jedenfalls guckte das Bürschchen

ziemlich dämlich, als mein Vater wie-der stand, bevor es auch nur seinen Kumpanen triumphierend zuwinken konnte. Eine kurze Linke schob sein Gesicht in die richtige Position, dann krachte ein schwerer rechter Schwin-ger gegen seinen Unterkiefer.

Die Bomberjacken vertrödelten ihre einzige Chance zu gewinnen. Denn statt sofort in geschlossener Forma-tion auf meinen Vater loszugehen, glotzten sie fassungslos auf dieses Monster, das mit flatterndem Toupet-pflaster am wutroten Schädel auf sie zukam. Ohne Zögern griff Vater an. Ich war mittlerweile nahe genug, um das unangenehme Knirschen eines Na-senbeins zu hören, als die erste Jacke über die Rückenlehne der Bank fiel. Die nächste Jacke erwischte er noch mit einem Wischer an der Schulter, be-vor sie fliehen konnte. Nur eine kam ungeschoren davon.

Einige Fahrgäste, vor allem ältere Her-ren mit erkennbaren Gewichtsproble-men und Bluthochdruckteint, klopften anerkennend von innen gegen die

Zugscheiben. Ich blieb stehen und hob Vaters Haarteil aus dem Staub.

„Gut, dass du da bist, Junge. Den Letz-ten hätte ich bestimmt nicht mehr ge-schafft“, log er, um mir eine Freude zu machen.

Nachdem wir bei einem Friseur in der Nähe sein Toupet notdürftig hatten ausbürsten lassen, gingen wir in einen Biergarten. An diesem Abend drängel-te ich mich besonders rücksichtslos durch das Gästerudel vor dem Tre-sen. Wann immer mich jemand em-pört anschaute, fixierte ich ihn lange und scharf. Und ich schwöre, wenn an diesem Abend jemand auf Streit aus-gewesen wäre, hätte ich ihm gesagt: „Wenn du mich schlägst, dann hole ich meinen Papa!“

Knud Kohr: Helden wie Ihr Toupet ohne Gnade

Kolumne!

Mehr dieser Kolumnen finden Sie in dem gleichnamigen Buch von Knud Kohr: Helden wie Ihr, 2013 erschienen im Verbrecher Verlag Berlin. 224 Seiten, 14 Euro.

Page 30: Kompass 02 2013 291113 web

30 • Kompass

S(e)itenblicke

Herr Schubert – warum sind Sie „nur für’s Impressum“ Chefredakteur?

Franz Schubert: Weil wir ein Team sind. Wir haben beispielsweise im vergangenen Jahr zwei TV-Anfragen abgelehnt – weil wir wissen, dass das Fernsehen in wenigen Minuten zuspitzen muss, und sich keiner von uns für ROLLINGPLANET feiern lassen will, während in Wirklichkeit sehr viele Menschen dahinterstecken. Aus recht-lichen Gründen brauchen wir jedoch einen Verantwortlichen.

Wie kam’s von der Idee zur Umset-zung?

Franz Schubert: Unser Gründungsteam – vier Rollstuhlfahrer aus München und Heidelberg, die sich seit langem über den Sport und gemeinsame Rei-sen kennen –, wollte schon seit ei-nigen Jahren ein Onlinemagazin für Behinderte machen. „Irgendetwas Spannendes.“ Dann hatten wir das

enorme Glück, professionelle Hilfe von einigen Münchner Journalisten zu be-kommen, die solch ein Projekt unbe-dingt ehrenamtlich unterstützen woll-ten. Wir haben als vier ziemlich beste Freunde begonnen – und sind es heute noch. Nach dem Start im Januar 2012 kamen zwei Bekannte hinzu. Schließ-lich sind in den vergangenen Monaten zwei weitere wichtige Mitarbeiter dazu gestoßen, ohne die ROLLINGPLANET so heute gar nicht möglich wäre. Sie waren als Leser von ROLLINGPLANET begeistert und brachten sich spontan ein. Aber wie gesagt, es gibt noch zahl-reiche andere Unterstützer und Mitma-cher. Sie beteiligen sich je nach Zeit, Lust, Laune und Anliegen. Wir nennen sie nur deshalb nicht im Impressum, weil sie nicht regelmäßig „gezwungen“ sein wollen, aktiv zu sein.

Sie arbeiten alle ehrenamtlich, müs-sen aber trotzdem Geld über Anzeigen und Sponsoren einwerben – wofür ei-gentlich?

Franz Schubert: Wir dachten am An-fang auch, dass man ROLLINGPLANET praktisch mit einem Null-Budget re-alisieren kann, wenn alle ehrenamt-lich mitarbeiten. Das war aber dann doch ein gehöriger Irrtum. Wir haben wie jedes Hobby-Projekt erst mal mit einem Billigserver für 10 Euro im Mo-nat angefangen. Inzwischen mussten wir aufgrund des Traffics auf einen ei-genen Server umziehen. Hin und wie-der müssen wir einen Programmierer beschäftigen. Wir nutzen, worauf wir stolz sind, „wie die großen Magazi-ne“ den kostenpflichtigen Service der Deutschen Presseagentur.

Neunzig Prozent unseres Bildermate-rials sind kostenlos, aber manchmal haben wir den Anspruch, besonders aktuelle Motive zu bieten. Das kann bei einer Katastrophe ebenso sein wie bei einem Promi. Da kostet ein einzel-nes Foto schon mal schnell 300 Euro. Wir haben derzeit monatliche Kosten

Alles dreht sich um Behinderungen

ROLLINGPLANET bringt’s auf den Punkt

Wer einmal drauf clickt, der kommt so schnell nicht mehr davon los: Zu spannend ist die Welt, wie die

Mitarbeiter des Online-Magazins „ROLLINGPLANET“ sie sehen. Seit Januar 2012 publizieren die allesamt unentgelt-lich arbeitenden Journalisten in saubers-tem Journalismus ganz viel von dem, was vor allem Menschen mit Behinderungen betrifft. In der Rubrik „Über uns“ werden die derzeit acht Mitarbeiter in alphabeti-scher Reihenfolge vorgestellt. Als Chef-redakteur fungiert Franz Schubert „aber auch nur, weil wir offiziell einen fürs Im-pressum brauchen“. Stefanie Schuster sprach mit ihm über diesen ganz besonde-ren Planeten.

Page 31: Kompass 02 2013 291113 web

Kompass • 31

Hat ROLLINGPLANET eigentlich ein me-diales Vorbild? Oder setzen Sie „nur“ das um, was Sie immer schon mal ma-chen wollten?

Franz Schubert: Das ist schwierig zu beantworten. Jeder von uns hat an-dere Vorbilder. Einige von uns hätten gerne eine „Süddeutsche Zeitung“ oder „taz“ für Menschen mit Behin-derung, ich selbst finde „Bild“ prima, nicht wegen der Methoden, aber weil sie die Leute erreicht. Das ist sozusa-gen Leichte Sprache – um ein Thema der Barrierefreiheit aufzugreifen, das momentan aktuell ist.

Besten Dank für das Gespräch!

http://rollingplanet.net/

nennen Menschen, die sich unberech-tigt auf einen Behindertenparkplatz stehen, Parkplatzschweine.

Die Resonanz ist bei solchen Themen immer groß. Allerdings hat sich der Wunsch eines ROLLINGPLANET-Lesers nicht erfüllt, der uns schrieb: „Hoffent-lich tut Euch de Maizière den Gefallen und verklagt Euch, das gibt viel Pub-licity.“ Das wäre eine schicke Sache – andererseits warten wir schon seit langem dann doch nicht so angstfrei darauf, dass wir mal verklagt werden. Wir haben intern schon zum Scherz ausgelost, wer seine Lebensversiche-rung verkaufen muss, um die Prozess-kosten zu bezahlen.

Sex sells – bemerkenswert oft zeigen Sie Bilder von spärlich bekleideten Menschen mit und ohne Behinderun-gen; der Auftritt von Lady Gaga im Roll-stuhl wurde weidlich ausgeschlachtet. Ist das eine Strategie, um mehr Clicks zu bekommen oder meinen Sie das ernst?

Franz Schubert: Nein, wir meinen das ganz ernst. Aus unserer Sicht bringen wir sogar zu wenige Sexthemen. Wir finden, dass Behinderte viel zu selten über Sex sprechen und Medien das Thema meistens ignorieren. Laut ei-ner Studie denken Frauen und Männer angeblich täglich 18 Mal an Sex – da sind wir mit unseren kleinen Schwei-nereien, die wir uns alle paar Tage ehr-licherweise auch mal aus den Fingern saugen, ziemlich schwach auf der Len-denhöhe. Wir würden die Dosis gerne verstärken – scheuen uns aber, weil man schnell in die Schmuddelecke kommt.

Wieviele Clicks gehen im Monat auf das Konto von ROLLINGPLANET?

Franz Schubert: Wir haben im Mo-nat rund 100.000 – manchmal sogar schon 150.000 – Clicks – im nächsten Jahr wollen wir das verdoppeln.

von über 4000 Euro, das ist schon ein ziemlicher Brocken.

Man muss es sich ja auch leisten kön-nen, unentgeltlich zu arbeiten – ma-chen Sie und die anderen die Arbeit für ROLLINGPLANET in Ihrer Freizeit?

Franz Schubert: Bis auf drei Ausnah-men sind wir berufstätig. Einige von uns verdienen etwas besser, weshalb wir das Projekt finanzieren können. Die von ROLLINGPLANET-Mitarbeitern geschriebenen Artikel sind zu 95 Pro-zent exklusiv für ROLLINGPLANET.

ROLLINGPLANET sollte ja eigentlich mal eine Art Reisemagazin werden – warum hat sich das Projekt dann so ganz anders entwickelt?

Franz Schubert: Wir wollten ursprüng-lich ein literarisches Format, haben aber das Genre Reiseberichte und –Reportagen unterschätzt. Fast alle Reisebeiträge von nicht professionel-len Autoren beginnen ja ungefähr so: Es war schönes Wetter, wir haben um 9 Uhr den Flughafen erreicht, und sind am nächsten Morgen in Soundso an-gekommen. Grässlich. Das wird auch nicht besser, wenn man sogenannte nutzwertige Informationen für Men-schen mit Behinderung einstreut. Durchgängig Qualität zu liefern, war für uns einfach nicht möglich.

Sie schrecken auch nicht vor klarer Kan-te zurück – erreichen Sie damit eine breite Resonanz? Bekommen Sie Zu-spruch – und Beschwerden? Etwa von Thomas de Mazière? Oder Air Berlin?

Franz Schubert: Wir haben den Vertei-digungsminister Thomas de Maizière das „Arschloch des Tages“ genannt, weil er es okay findet, dass Werkstät-ten für behinderte Menschen für die Rüstungsindustrie produzieren. Wir stellen Air Berlin an den Pranger, weil die Fluggesellschaft mehrfach behin-derte Menschen diskriminiert hat. Wir

S(e)itenblicke

Kalender

2014!

Erhältlich ab jetzt im Lappan-Verlag: www.lappan.de/index.php/titelansicht/artikel/9783830374275.html.

Der neue Kalender „Handicaps 2014“ von Phil Hubbe ist da!

Page 32: Kompass 02 2013 291113 web

32 • Kompass

Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft Landesverband Berlin e.V. Paretzer Straße 1 10713 BerlinTelefon: 030-313 06 47

E-Mail: [email protected]: www.dmsg-berlin.de

DeutscheMultiple SkleroseGesellschaftBerlin e.V.

Ab in den Dschungel!Biosphäre Potsdam lockt mit Tropenwelt

Hier ist immer Sommer: Auf rund 7000 Quadratmetern präsentiert die Biosphä-re Potsdam eine Tropenwelt, die (fast) so schön ist wie ein richtiger Dschungel

– nur ohne freilaufende Giftspinnen, Schlangen und Regen am Nachmittag um drei. Bei Temperaturen zwischen 23 und 28 Grad und 80 Prozent Luftfeuchtigkeit

kann man den nahenden Winter ganz gut eine Weile vor der Tür lassen.

Die futuristisch anmutende Pyramide mit Glasdach steht gleich neben dem Rosengarten im Volkspark Potsdam und ist, wie dieser, eine Errungenschaft im Nachklapp der Bundesgartenschau 2001. Die gläserne Halle beherbergt knapp 20.000 Tropenpflanzen, darunter zahlreiche Orchideenarten, Mangroven, Palmen, Kletterpflanzen, Kakao- und Kaffeepflanzen, einen Wasserfall, zwei Seen und mehr als 150 Bäume. Dazwischen vergnügen sich zahlreiche frei fliegende Vögel, auch Enten und Hühner, Terrarien mit solch erstaunlichen Insekten wie Gottesanbeterinnen, Wandelnden Blättern, Stabschrecken und ähnlichen Mimikry-Wundern, aber auch zahlreiche Echsen-Arten.

Der Rundgang beginnt immer mit einem kurzen Informationsfilm, der in der nachempfundenen Studierstube des Alexander von Humboldt gezeigt wird. Wechselnde Ausstellungen – bis vor kurzem waren es lebensgroße Dino-saurier, die aus dem Gebüsch lugten – sorgen für Abwechslung, denn nicht wenige Potsdamer und Berliner nutzen Dauerkarten, die sich ab dem dritten Besuch innerhalb eines Jahres bezahlt machen.

Gut zweieinhalb Stunden braucht man für den durchgehend behindertengerecht angelegten Weg durch Europas größte Tropenhalle, wenn man die Informationstafeln zu den wechselnden Ausstellungen am Wegesrand noch durchlesen, den Geysir mit dem nötigen Druck oder die Pilze im Kurbelvideo wachsen lassen will.

Mit am schönsten ist jedoch das 60 Quadratmeter große, begehbare Schmetterlingshaus, wo frei fliegende Schmet-terlinge von erstaunlicher Größe zu besichtigen sind. Nicht selten setzen sie sich nicht nur auf die Blätter ihres Refugiums, sondern auch auf die Schultern der Besucher. Die fachkundige Aufsicht dort beantwortet auch gerne Fragen rund um das flatterhafte Volk und hat sogar Anschauungsobjekte da (wie Larven oder leere Puppenhüllen), die man anfassen darf.

Im Café am See in der Tropenhalle kann man – direkt neben dem Fischteich – seinen Kaffee auf der Terrasse nehmen. Zum Abschluss lockt dann noch ein virtueller Rund-flug über den Regenwald.

Geöffnet ist die Biosphäre Potsdam in der Georg-Hermann-Allee 99 montags bis frei-tags zwischen 9 und 18 Uhr (letzter Einlass: 16,30 Uhr), sonn- und feiertags von 10 bis 19 Uhr (letzter Einlass: 17.30 Uhr). Tageskarten für Erwachsene kosten 11,50 Euro, ermäßigt 9,80 Euro; Kinder zwischen 5 und 13 Jahren zahlen 7,80 Euro, von 3–4 Jahren 4,50 Euro. Auch Führungen sind möglich – allgemein oder zu speziellen Themen. Wei-tere Infos unter www.biosphäre-potsdam.de oder unter Tel.: 0331 – 55074-0. (nie)