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Kriegserlebnisse
und
Gefangenschaft
Aus der Erinnerung niedergeschrieben Heinz Neidhart Jahrgang 1926
Kriegserlebnisse und Gefangenschaft aus der Erinnerung niedergeschrieben Heinz Neidhart
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Der Zweite Weltkrieg tobte bereits im 4. Kriegsjahr und noch immer war kein Ende
abzusehen. Trotzdem schien eine Wende eingetreten zu sein, als die Schlacht um
Stalingrad Anfang 1943 verloren ging.
Damals war ich in der 6. Klasse im Fürstenberg-Gymnasium in Donaueschingen.
Beim Reichsarbeitsdienst
Anfang Oktober 1943 erhielt ich den Stellungsbefehl und mußte am 13. Oktober
nach HECHINGEN/HOHENZOLLEERN einrücken. Ich war gerade 17 Jahre alt.
Wir waren in Holzbaracken untergebracht. Ich gehörte dem 3. Zug an. Unser Vor-
mann hieß DOMAGALA. Er stammte aus Freiburg/Brsg. Gleich zu Beginn wehte ein
frischer Wind. Es hieß stramm stehen und Befehle befolgen. Unser Tagesablauf war
wie folgt: 6.00 Uhr wecken, anschl. Frühsport, dann kalt duschen, fertig machen zum
Frühstück. Dann folgte der eigentliche Dienst mit exerzieren, Spaten klopfen und
Ausbildung im Gelände. Um 22.00 Uhr war Zapfenstreich und absolute Ruhe.
Trotz der vorgerückten Jahreszeit durfte in den Baracken nicht geheizt werden. Es
hieß immer: "Ihr müßt hart werden wie Krupp-Stahl, zäh wie Leder und schnell wie
die Windhunde".
Kurz vor Weihnachten erkrankte ich an einer schweren Angina und hatte hohes Fie-
ber. Ich wurde ins Lazarett nach Tübingen eingeliefert, wo ich bis 22. Januar 1944
lag. In der Zwischenzeit wurde unser Lager aufgelöst. Nach Wiedergenesung erhielt
ich die Entlassungspapiere und fuhr nach Hause zu meinen Eltern. Hier durfte ich
dann bleiben bis zu meiner erneuten Einberufung.
Kriegserlebnisse und Gefangenschaft aus der Erinnerung niedergeschrieben Heinz Neidhart
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Bei der Kriegsmarine
Als Kriegsfreiwilliger der Marine bin ich dann am 13. Juni
1944 in KIEL-ECKENFÖRDE/OSTSEE eingerückt. Wir
waren in Kasernen untergebracht. Eine Woche später
wurde ich dann mit anderen Kameraden nach KAMPEN
auf der Insel SYLT/NORDSEE versetzt. Hier begann die
eigentliche Ausbildung.
Zunächst wurden wir in Kompanien und dann in Gruppen
aufgeteilt. Unterbringung war in Baracken. Der Dienst
war streng und intensiv. Die ersten Wochen war exer-
zieren - "schleifen" angesagt. Glücklicherweise war das
Jahr 44 ein Jahrhundertsommer mit viel Sonne und
kaum Regen. Mit aufgezogener Gasmaske und vorgehaltenem Karabiner wurden wir
die Dünen 'rauf und 'runter gescheucht. Im übrigen wurden wir täglich an den Waffen
ausgebildet. So kannten wir den Karabiner und das MG 42 in- und auswendig. Auf
Sport wurde großen Wert gelegt, den wir meistens am Strand durchführen mußten.
Nach 6 Wochen, also Anfang August, wurden wir in WESTERLAND vereidigt. Bis
dahin durften wir die Garnison nicht verlassen. Danach war an den Wochenenden
"Landgang" angesagt. Meistens gingen wir an den Strand zum Baden und genossen
Wind und Wellen. Das war immer ein großes Erlebnis.
Auf meiner Stube hatte ich mich mit einem sehr sympathischen Kameraden ange-
freundet. Er hieß GUNNAR VON WEIZENBERG und stammte aus REVAL - heute
TALLIN/EST-
LAND. Er war 2 Jahre älter als ich und hatte bereits das Abitur. Seine Eltern waren
durch die Kriegswirren nach CUXHAVEN geflüchtet. Mit GUNNAR war ich einige Ma-
le an Wochenenden in Westerland und besahen uns die einstige mondäne Bade-
stadt. Bei Kaffee und Kuchen vergaß man, daß wir uns im Krieg befanden. Hier war
noch tiefer Friede. Aber wie lange noch?
Am Ende unserer Ausbildung - es war Anfang September 1944 - wurden von 3 Kom-
panien, 10 Mann für die Offizierslaufbahn vorgeschlagen. Ich war dabei und auch
Heinz in Uniform 1944
Kriegserlebnisse und Gefangenschaft aus der Erinnerung niedergeschrieben Heinz Neidhart
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mein Freund Gunnar. Wir wurden geimpft und sollten in den nächsten Tagen nach
WAREN AN DER MÜRITZ/MECKLENBURG versetzt werden. Doch es kam ganz
anders. Nachdem die Fronten in Ost und West zusammengebrochen waren, mußte
der Oberkommandierende der Insel Sylt, auf Befehl von Adolf Hitler, 10 000 Mann für
den Volkssturm abstellen. Das war ein schwerer Schlag für die Seeleute. Am Sonn-
tag, 9. September 1944, verließen wir die schöne Insel Sylt mit unbekanntem Ziel.
Am anderen Morgen, gegen 7.00 Uhr, landeten wir dann in LUSTINITZ und weiter
gings nach MILOWITZ bei PRAG auf den Truppenübungsplatz. Wir ahnten nichts
Gutes. Hier waren ca. 50.000 Mann stationiert, bestehend aus Luftwaffe, Marine,
Genesenden und anderen Einheiten. In Tages- und Nachtübungen wurden wir auf
unseren Einsatz als Volksgrenadiere ausgebildet. In 8 Tagen war es soweit. Mein
Transport ging nach Westen und wir landeten etwa am 17. September 44 morgens
um 4.00 Uhr in AMELN bei KÖLN. Hier war bereits Kriegszustand. Die feindlichen
Jabos und Lightnings flogen über uns und warfen Bomben. Wir flüchteten in eine
Zuckerrübenfabrik, wo wir uns tagsüber bis zur Abenddämmerung aufhalten mußten.
Gegen 20.00 Uhr setzten sich die Heerwurm in Marsch, bis wir am anderen Morgen
um 6.00 Uhr im Kampfgebiet AACHEN einmarschierten. Der erste Eindruck war
schrecklich. Die Straßenbahnen waren von der Artillerie zerfetzt, tote Pferde und tote
Landser lagen zerstreut auf den Straßen, ein Trümmerfeld neben dem anderen. Jetzt
wußten wir, was auf uns wartete. Am Abend marschierten wir ins Stadtzentrum und
bezogen Stellung. Der Hauptgefechtsstand war Hotel "Quellenhof", ein 10-stöckiges
Gebäude. Unser Kampfkommandant hieß General GRAF VON SCHWERIN. Er wur-
de später von Oberst WILK abgelöst.
Die amerikanischen Streitkräfte waren uns haushoch überlegen. Die Artillerie trom-
melte Tag und Nacht und aus der Luft wurden wir pausenlos angegriffen. Wir hatten
nur wenig entgegenzusetzen. Die Amis rückten immer näher an die Stadt heran. An-
fang Oktober waren wir total eingeschlossen. Am 9. Oktober schoß der Ami mit
Pappgranaten Flugblätter ab. Ein Exemplar ist heute noch in meinem Besitz (Kopie
anbei). Er bat um sofortige Einstellung der Kampfhandlungen und um ehrvolle Über-
gabe der Stadt Aachen. Es herrschte 24 Stunden Waffenruhe, die auf beiden Seiten
eingehalten wurde. Noch am gleichen Tag fuhr ein amerikanischer Parlamentär am
Hauptgefechtsstand vor - ich hatte gerade Wache - und dieser führte ein Gespräch
mit unserem Stadtkommandanten Oberst Wilk. Die Verhandlung war kurz, die ge-
stellten Bedingungen wurden abgelehnt. Auf Befehl von Hitler sollte die Stadt Aachen
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bis zum letzten Mann verteidigt werden. Die Waffenruhe endete am 10. Oktober
11.11 Uhr. Das angekündigte Inferno begann.
Am 12. Oktober sind die Amis mit ca. 40 Panzern in der Jülicher Straße zum Groß-
angriff angetreten. Diese Straße ist ca. 3 km lang und schnurgerade - vergleichbar
mit der Kaiser-Josef-Straße in Freiburg. Die Gruppe LANKES, so hieß unser Grup-
penführer, der ich angehörte, mußte noch am gleichen Abend in Stellung gehen. Am
anderen Tag, also am 13. Oktober rückten die Panzer immer näher und nahmen uns
unter Beschuß. Unser MG-Schütze SEPP aus Bayern lag hinter einer Litfaßsäule
und feuerte auf die heranrückende Infanterie, die hinter den Panzern Schutz suchten.
Sepp erhielt einen Volltreffer. Sicher gilt er heute noch als vermißt. Am Nachmittag
endete unser sinnloser Kampf undwir gerieten gegen 16.00 Uhr in Gefangenschaft.
Dabei war auch Gunnar von Weizenberg und HANNES STEUßLOFF. Mit erhobenen
Händen wurden wir hinter die Front getrieben, vorbei an der Schirmfabrik, Zentis-
fabrik und dem Bahnhof Rote Erde. Endlich erreichten wir den Sammelplatz der ge-
fangenen Kameraden. Jetzt war der Krieg für uns zu Ende - Gott sei Dank.
In der Gefangenschaft
Noch am gleichen Abend wurden wir weit hinter die Front zurückgekarrt. Erst jetzt
sahen wir, welch ungeheures Kriegsmaterial der Ami zu Verfügung hatte. Und wel-
che Verwüstung der Krieg angerichtet hatte. Große Viehherden lagen zerrissen und
zerfetzt auf den Weiden. Welch ein Verbrechen. Wir landeten in einer großen Halle.
Es war stockdunkel. Am Geräuschpegel vermuteten wir weit über Tausend Mitgefan-
gene. Wir waren total erschöpft und schliefen die ganze Nacht. Am nächsten Mor-
gen, es war der 14. Oktober, ging es auf LKW's weiter nach HEINRICHS KAPELL in
BELGIEN, ca. 40 km hinter der Front. Das eilig hergerichtete Lager befand sich auf
einer Wiese. Hier mußten wir 4 Tage und Nächte unter freiem Himmel ausharren. Es
regnete fas ununterbrochen. Abends taten wir uns mit 8 Mann zusammen. Vier De-
cken auf den Boden und vier zum Zudecken, so verbrachte wir die Nächte. Länger
als 1 Stunde hielt man es nicht aus. Dann mußte man sich bewegen. Die Nacht woll-
te nicht enden. Tagsüber mußten wir auf dem nahe gelegenen Soldatenfriedhof Grä-
ber ausheben, wo die Gefallenen aus Aachen bestattet wurden. Mit LKW's wurden
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die Toten angekarrt. Meist voll bis unter die Decke. Ein schrecklicher Anblick. Ob
Schwarze oder Weiße, ob Amis oder Deutsche, alle wurden sie gleich begraben und
zwar in Einzelgräber. Am dritten Tag erhielten wir zum ersten Mal etwas zu essen.
Man glaubt nicht was der Mensch aushält.
Vierzig Jahre später habe ich diesen Friedhof mit meiner Frau wieder besucht. Er
war nicht mehr zu erkennen. In der Zwischenzeit erfolgte die Umbettung der Gefalle-
nen, so daß ein rein amerikanischer Friedhof daraus entstand. Hier ruhen 7989 Sol-
daten aus den USA, gefallen in Aachen und bei der Ardennen-Offensive. Am 18. Ok-
tober wurden wir in Viehwagons verladen. Endlich ein Dach über dem Kopf. Wohin
es ging, wußten wir nicht. Immer wieder standen wir auf toten Gleisen. Zu essen be-
kamen wir spärlich, aber nichts zu trinken. Das war das Schlimmste. Nach 3 Tagen
landeten wir in COMBIEN/FRANKREICH. Hier hausten wir 1 Woche in Steinbara-
cken.
Am 29. Oktober ging es weiter - wieder in Viehwagons und wieder wie gehabt. Nach
3 Tagen wurden wir in LÜTTICH/BELGIEN ausgeladen. Es war der 1. November.
Unterbringung in einem ausgedienten Schießstand unter freiem Himmel. Tagsüber
mußten wir auf einem großen Platz Planierarbeiten verrichten. Eine Vorarbeit für ein
amerikanisches Verpflegungslager. Am 9. November ratterte die erste V1 über uns
hinweg, in Richtung ROTTERDAM. Dort landeten Geleitzüge aus den USA mit
Kriegsmaterial und Verpflegung für die geplante Frühjahrsoffensive. Einige Tage
später schlug die erste V1 bei uns in Lüttich ein. Dies wiederholte sich alle 45 Minu-
ten. Egal wo die Dinger einschlugen, wir Gefangene mußten stehen bleiben wo wir
waren. Am 15. November verließen wir den Schießstand. Wir wurden in einer Fabrik
mitten in der Stadt untergebracht. Welch ein Komfort -ein Dach über dem Kopf,
wenngleich wir auf dem Betonboden schlafen mußten. Täglich trafen 7 Güterzüge
aus Rotterdam in Lüttich ein. Diese mußten wir Gefangene entladen. Es handelte
sich überwiegend um Verpflegung in Holzkisten, die auf dem vorgesehenen Platz
gestapelt werden mußten. Wir waren ca. 3000 Mann. Morgens um 5 Uhr mußten wir
aufstehen. Um 6 Uhr ging es im Galopp durch die Stadt an die Maas, wo wir in
Schüben übergesetzt wurden. Der Lagerplatz befand sich auf der andere Flußseite.
Dann schlug die erste V2 bei uns ein und wieder im 45-Minuten-Takt. Die Wirkung
war verhältnismäßig groß, aber nicht kriegsentscheidend. Wo diese "Koffer" - so
nannten wir die Dinger, einschlugen, hatten wir im Gehör. Erst hörte man ein fernes
Brummen, das sich immer mehr steigerte, bis zu einem ohrenbetäubenden Lärm.
Kriegserlebnisse und Gefangenschaft aus der Erinnerung niedergeschrieben Heinz Neidhart
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Ähnlich einer Dreschmaschine. Dann setzte der Antrieb aus und die Rakete kippte
und schlug ein. Solch ein Einschlag erlebte ich bei Aufräumarbeiten in der Nähe vom
Bahnhof, nicht mehr als 100 Meter von uns entfernt. Wir hatten Todesangst und
dachten, jetzt ist es aus. Gott sei Dank blieben wir unversehrt. Der Schock saß tief
und abends waren wir noch alle leichenblaß.
Welch eine Ironie des Schicksals. Bei der Gefangennahme glaubten wir, der Krieg
sei für uns vorbei. Doch jetzt mußten wir das Gegenteil erfahren. Sollten wir jetzt
noch vor die Hunde gehen? Und zudem durch die eigenen Leute. Wir haben's über-
standen.
Am 25. November wurden ca. 1000 Mann abgestellt. Ich war auch dabei. Wir mußten
früh morgens antreten. Der amerik. Transportoffizier hatte eine Liste in der Hand und
rief HEINZ NEIDHART und ERICH WEBER vortreten. Wir erhielten Schaufel und
Besen und wurden von zwei bewaffneten Schwarzen zum Bahnhof gebracht. Dort
mußten wir die bereitgestellten Wagons sauber machen und die Verpflegungskisten
für den Transport in den letzten Wagen befördern. Hier ereignete sich ein folgen-
schweres Mißgeschick. Ein belgischer Bahnarbeiter wollte gerade eine Kiste klauen,
als wir uns wieder dem letzten Wagon näherten. Als er uns sah, ließ er von seinem
Vorhaben ab. Fabrikarbeiter auf der gegenüberliegenden Seite beobachteten diesen
Zwischenfall und schrien "Hitler kaputt, Hitler kaputt". Unsere beiden Wachmänner
glaubten, wir wollten die Kiste klauen und so entstand dieses Mißverständnis. Die
beiden Schwarzen schlugen mit den Gewehrkolben auf uns ein, während die Fabrik-
arbeiter immer noch schrien "Hitler kaputt". Glücklicherweise kam in diesem Augen-
blick unser Transport anmarschiert und so ließen die beiden von uns ab. Hier sieht
man, was blinder Haß von Menschen anrichten kann.
Unser Zug setzte sich in Bewegung und wieder mußten wir 3 Tage und 3 Nächte in
den Viehwagons ausharren. Zwar erhielten wir spärliche Verpflegung, aber kein
Wasser. Wohin es ging wußte niemand. Wir landeten in STENAY, ca. 50 km westlich
von Luxemburg. Hier wurden wir in ein Schlammlager getrieben, wo vor uns schon
tausend Kameraden durchgeschleust worden sind. Es regnete. Wir standen Mann an
Mann unterm freien Himmel und die Nacht wollte nicht enden. Die nächste Nacht
durften wir in Steinbaracken verbringen. Dann ging es wieder weiter. Irgendwohin in
Frankreich.
Am 3. Tag unserer Reise - ich glaube es war der 1. Dezember 44 - rollte der Zug in
CHERBOURG ein. Der Bahnhof liegt unten am Hafen. Unser Lager ganz oben am
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äußersten Zipfel der COTATAIN-Halbinsel. Wir mußten also 3 Stunden marschieren
bis wir oben ankamen. Hier sahen wir das Ausmaß dieses großen Lagers. Es be-
stand aus 50 000 Gefangenen, eingeteilt in 50 Käfige. So nannten wir die einzelnen
Lager. Diese bestanden wiederum aus je 10 Zelten links und rechts. In jedem Zelt
vegetierten 50 Mann, als 1000 Mann in einem Käfig. So verbrachten wir den Winter
1944 auf 1945 auf nacktem Boden, ohne Arbeit und ohne zu wissen, wie es wohl
weiter gehen würde.
Am 25. Februar 45 wurden alle Angehörigen der SS, Luftwaffe und Kriegsmarine he-
rausgezogen. Niemand wußte was das bedeuten sollte. Wir marschierten also wie-
der hinunter zum Bahnhof, wo die Viehwagons unseres Transportes bereit standen.
Und ab ging die Reise ins Niemandsland. Dadurch, daß etliche Gleiskörper und
Bahnhöfe durch den Krieg zerstört waren, wurden Gefangenentransporte kreuz und
quer durchs Land gekarrt. Am 2. Tag erspähte ein Kamerad durch die Ritze des Wa-
gons den Eiffelturm und wir wußten, jetzt sind wir in der Nähe von Paris. Mehr wuß-
ten wir allerdings nicht. Am dritten Tag erreichten wir BOLBEC, ca. 50 km von LE
HAVRE entfernt. Das Lager befand sich oben auf einem Berg. Ich erinnere mich
noch ganz genau an diesen Tag. Es war Sonntag. Denn, als wir ins Lager marschier-
ten, begegneten wir den sonntäglich gekleideten Franzosen, die in die Kirche zum
Gottesdienst gingen. Welch ein Gegensatz! In Bolbec waren wir einige Tage. Es
hieß, dies sei ein Verschiffungslager. Und tatsächlich am 3. März 1945 um 3.00 Uhr
morgens wurden wir geweckt. Wir mußten zunächst über Felder marschieren, bis wir
dann an eine Straße kamen, wo etliche Sattelschlepper auf uns warteten. Die Fahrt
ging in rasendem Tempo auf offenen Fahrzeugen durch nebelnassen Morgen nach
LE HAVRE. Die Stadt war buchstäblich dem Erdboden gleich gemacht. Wir fuhren
durch eine Trümmerlandschaft und plötzlich hielten wir im Hafen, wo die "Montecello"
auf uns wartete. Dieses große Schiff, ein ehemaliges italienisches Luxusschiff als
Truppentransporter umgebaut, hatte 24.000 BRT. Jetzt wußten wir, es geht nach
Amerika. Gleich nach Betreten des Schiffes - wir waren 3.000 Gefangene - stürzten
sich die Landser auf die Aschenbecher, die mit halb gerauchten Zigarettenstummel
gefüllt waren. Sofort erschien ein amerikanischer Marineoffizier und sagte: "Does
anybody of you boys speak English?" Meine Kameraden deuteten auf mich. Und so
fungierte ich 14 Tage auf dem Schiff als Dolmetscher, obwohl mein Englisch noch
nicht perfekt war. Zuerst mußte ich aus den Reihen der Gefangenen Köche, Bäcker
Kriegserlebnisse und Gefangenschaft aus der Erinnerung niedergeschrieben Heinz Neidhart
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und Metzger zusammentrommeln, die in den beiden Kombüsen Hilfsdienst leisten
sollten. Und dies funktionierte reibungslos.
Von der ersten Stunden an, fühlten wir uns auf dem Schiff in guten Händen und ge-
borgen. Das Essen war traumhaft. Wir bekamen 3 warme Mahlzeiten, genau so wie
die Besatzung. Im Gegensatz zu den zurückliegenden Monaten fühlten wir uns wie
im Paradies. Wir liefen zunächst SOUTHAMPTEN/ENGLAND an und nahmen einige
Zivilisten - vermutlich Geschäftsleute- auf. Dies konnte ich mit eigenen augen sehen.
Am 3. Tag, wir befanden uns bereits auf hoher See auf dem Atlantik, durften die
Landser zum ersten Mal an Deck, um frische Luft zu schnappen. Was wir da sahen,
überstieg unser Fassungsvermögen. Wir befanden uns als Mutterschiff in einem
Convoi von schätzungsweise 100 Schiffen aller Gattungen. Soweit man sah - von
Horizont zu Horizont - Schiffe über Schiffe. Jetzt spürte man die Macht der USA.
Von den 3.000 Gefangenen waren mindestens 2.000 Mann seekrank. Entsprechend
sahen die Toiletten aus. Ich selbst wurde verschont, da ich ständig unterwegs war.
Nach 14 Tagen, erreichten wir am 17.03.1945 NEW YORK. Unsere "Montecello"
wurde der Größe wegen von 2 Schleppern in den Hafen gebracht. Wir landeten an
der Habak Peer. Im Hintergrund sahen wir die Wolkenkratzer (Manhatten) von New
York. Ein gigantisches Erlebnis.
In riesigen Hallen wurden wir zunächst entlaust. D. h., die Kleider wurden unter hei-
ßen Dampf gesetzt. Entsprechend erhielten wir sie zurück, nachdem wir die Uniform
ein halbes Jahr am Körper getragen hatten. Dann durften wir den Pullmanzug
besteigen. Immer 3 Mann in ein Abteil. Die Sitze waren mit Mohairplüsch bezogen.
Alles Dinge, die wir nicht fassen konnten. Ein Tag und zwei Nächte rauschten wir
durch den mittleren Osten der USA. Die Fahrt ging über die APPALACHEN - PITTS-
BURG (vergleichbar mit dem früheren Ruhrgebiet), LOUSVILLE in OHIO nach FORT
KNOX in KENTUCKY. Man schrieb den 19. März.
Hier gab es 2 Lager. Im oberen waren die Gefangenen aus dem Afrika-Corps von
1943. Wir kamen ins untere Lager, das neu errichtet worden war. Zuerst mußten wir
unter die Dusche. Jeder erhielt zuvor eine Toiletten-Seife und ein Frottierhandtuch.
Die Sanitär-Anlagen waren auf dem neuesten Stand. Unsere alten zerschlissenen
Uniformen konnten wir wegschmeißen. Dafür wurden wir komplett neu eingekleidet.
Ich sagte es bereits - wir kamen aus dem Staunen nicht heraus.
Unsere Unterkunft bestand aus stabilen Holzbaraken, die Fenster mit Moskitonetzen
bespannt. Die Betten sehr bequem mit 2 Steppdecken. Für uns das reinste Himmel-
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bett. Dann blies der Trompeter zum Essen. Es ging in die Speisebaracke. Ich erinne-
re mich noch genau an die erste Mahlzeit. Es gab für 6 Mann eine große Platte mit
Hackepeter und Weißbrot so viel man essen konnte. Dazu wurde Bohnenkaffee ge-
reicht. Die Landser hauten rein "wie Max in die Graupen".
Da sich die USA an die Abmachung der Genfer Konvention hielt, erhielten wir fast
das gleiche Essen wie die eigenen Soldaten. D. h. bis zum 8. Mai, dem Tag der be-
dingungslosen Kapitulation. Dann wurde alles anders. Statt Schnitzel gab es jetzt
Bohnensuppe usw., aber wir wurden immer satt. Und die Behandlung war sehr gut.
Ich möchte sagen gentleman-like.
Die Arbeit, die wir verrichten mußten war vielseitig. Dafür bekamen wir pro Monat 23
Dollar als Vergütung in Form von Gutscheinen, die wir in der Kantine einlösen konn-
ten. Hier gab es Milch, Erdnüsse, Schokolade, Chewing-gum, Zigaretten und Tabak
usw.
Zunächst arbeitete ich im Wald. Wir mußten Telefonstangen schlagen. Ein ruhiger
Job. Etwas später wurde ich mit noch 2 Kameraden einige Monate auf dem Golfplatz
eingesetzt, wo wir Gras mähen mußten. Der Golfplatz lag ganz in der Nähe von der
streng bewachten Anlage, wo das Gold der USA deponiert war. Danach arbeitete ich
in einem Service-Club, ähnlich einem Wehrmachtsheim, wo ich als Abservierer fun-
gierte. Andere Kameraden arbeiteten in der Küche als Beikoch oder als Spüler usw.
Entsprechend wurden wir mit guten Happen versorgt. Und als letzte Tätigkeit wurde
ich in einem Kegelclub eingesetzt, wo ich im 2-Stunden-Takt Kegel aufstellen mußte.
Hier konnten die Amis auf 10 Bahnen kegeln.
Nach 18 Monaten erhielt ich die erste Post von daheim, auf die ich sehnlichst gewar-
tet hatte. Es war im Januar1945. Apropos Winter. Wir hatten 2 Öfen in der Baracke
und hatten Kohle soviel wir wollten. Frieren brauchten wir nie.
Abschließend kann ich sagen, die Zeit in Amerika als Gefangener war eine schöne
Zeit, gemessen an dem, was wir vorher erlitten hatten. Von den Kameraden in Ruß-
land ganz zu schweigen. Das einzige was uns belastete, war die Sehnsucht nach
Daheim.
Am 25. Februar 1946 war große Aufbruchstimmung. Wir verließen Fort Knox und
fuhren wieder im Pullmanzug ins Lager Camp-Shangs bei NEW-JERSEY. Von hier
sollten wir nach Deutschland entlassen werden. Die Vorfreude war riesengroß. Und
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tatsächlich, am 3. März, also genau nach einem Jahr, sagten wir Amerika good-bye
und stachen von New-York aus in See. Dieses Mal mit einem Liberty-Schiff von
7.000 BRT. Eine Nußschale gegenüber der Montecello auf der Hinreise. Wir hatten
uns zu früh gefreut, denn am 9. März befanden wir uns in der irischen See und lan-
deten dann am 12. März statt in Bremerhaven in LIVERPOOL/ENGLAND. Der Ami
hatte uns also an den Tommy verkauft. Ein englischer Offizier, er war Jude und
sprach perfekt deutsch, sagte uns wortwörtlich: "Meine Herrn, sie haben sich noch
mit 7 Jahren Aufenthalt in England gefaßt zu machen." Unsere Stimmung fiel auf den
Nullpunkt. Jetzt ging es ins Lager nach Nottingham. Hier waren die Verhältnisse
ganz anders als in den USA. Sowohl die Unterkunft als auch die Verpflegung. Man
spürte, daß England unter der
Last des Krieges sehr zu
leiden hatte. Nach ca. 1 Wo-
che wurde ich mit noch
anderen Kameraden nach
SELBY versetzt, etwa 50 km
westlich von HULL. Von hier
wurden wir täglich nach GOOL
gefahren, wo wir auf einem
Militär-Depot arbeiten mußten.
Ende Mai hieß es erneut Seesack
packen und ab gings ins nächste
Lager. Es hieß BISHOFS-
MONKTON, in der Nähe von YORK,
Grafschaft NORTHUMBERLAND.
Hier waren wir mit nur 50 Mann in
Nissen-Hütten (Wellblechhütten)
untergebracht. Der übliche
Stacheldraht fehlte gänzlich. Und die Lage des Lagers war wunderschön. Links und
rechts Mischwald, dazwischen Wiesen und Felder und nicht weit davon ein Fluß,
ähnlich der Donau in Donaueschingen. Wir fühlten uns frei und nicht wie Gefangene.
Kriegserlebnisse und Gefangenschaft aus der Erinnerung niedergeschrieben Heinz Neidhart
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Hier lernte ich meinen Freund Horst Neugebauer aus SCHWERIN/MECKLENBURG
kennen, auf den ich später noch zu sprechen komme.
Wir wurden in einem nahe gelegenen englischen Militärstützpunkt eingesetzt, wo
junge Pioniersoldaten ausgebildet wurden. D. h. die Tommys bauten Brücken über
den Fluß und wir Gefangenen bauten sie wieder ab. Dieses Spiel wiederholte sich
Tag für Tag im gleichen Rhythmus.
In der Freizeit spielten wir Faustball und abends Skat oder Schach. So verging der
Sommer und das Jahr 1946.
Bis zum 9. Januar1947 - das Datum weiß ich noch ganz genau - hatten wir noch kei-
nen Schnee in England. Aber in der darauf folgenden Nacht ging es los und es
schneite 1 Woche lang ohne Unterbrechung. Fallschnee ca. 1 Meter. Danach
herrschte eine große anhaltende Kälte, die uns schwer zu schaffen machte. Die
Wasserrohre froren ein und an waschen war nicht zu denken. Nachts kamen die Rat-
ten und suchten die Brotkrümel auf.
So hielt sich der strenge Winter bis Gründonnerstag. Dann kam der Frühling mit Fön
und Tauwetter und in wenigen Tagen war der Schnee verschwunden. Entsprechend
hatten wir mit dem Hochwasser und Überschwemmung zu kämpfen.
Ende April 47 wurde das Lager Bischofs-Monkton aufgelöst. Wir kamen in ein großes
Lager von ca. 2.000 Mann nach PONTELAND, ca. 15 km von NEWCASTLE UPON
TYNE entfernt. Ebenfalls in Northumberland. Mein Freund Horst war mit mir in der
gleichen Baracke. Hier fertigten wir beide Hausschuhe (slippers) an, die wir draußen
in der Stadt verklopften wollten. Aber wie aus dem Lager herauskommen? Das war
das Problem, da rings um das Lager ein hoher Stacheldrahtzaun angebracht war.
Jeden morgen um 7 Uhr mußten wir zur Zählung antreten. Und an diesem Morgen
nach der Zählung, während die anderen Kameraden zum Frühstück gingen, machte
ich mich auf den Weg. Ich schlüpfte mit meinen 10 Paar Slippers im hintersten Eck
des Lagers durch ein kleines Loch. Ich war draußen. Jetzt ging's über Felder zur
nächsten Bushaltestelle und dann per Bus in die Stadt Newcastle upon Tyne. A-
bends kam ich unbemerkt zurück und hatte8 Paar Hausschuhe zum Preis von à 10
Shilling verkauft. Das nächste Mal sollte Horst die gleiche Tour machen, doch er
weigerte sich - er war kein Verkäufer. So startete ich noch 2 mal mit ähnlichem Er-
folg. Mit dem Erlös kauften wir Kaffee, Kakao, Nadeln, Faden und andere
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Gebrauchsgegenstände, die wir nach Hause schickten. Denn in Deutschland gab es
zu jener Zeit nicht das Notwendigste.
Mittlerweile gab es die Möglichkeit, sich auf eine Farm zum Arbeiten zu melden. Vor-
ausgesetzt, man konnte melken und traktorfahren. Beides konnten weder Horst noch
ich. Trotzdem meldeten wir uns auf der Schreibstube. Und tatsächlich, nach ca. 14
Tagen wurden wir beide mit dem Jeep abgeholt. Wir landeten auf einer Farm, na-
mens HOLE-ROW, etwa 40 km vom Lager entfernt; in der Nähe von Consett. Die
Farm gehörte einem Multimillionär, namens ATKINSON und wurde von einem Ver-
walterehepaar namens RONNIE und WINNIE LOWDEN verwaltet. Wir beide waren
in einem Nebengebäude untergebracht und fühlten uns vogelfrei. Endlich kein Sta-
cheldraht. Die Farm hatte eine Größe von ca. 100 ha, bestehend aus Weide- und
Ackerland. Dazu gehörten 150 Kühe (Ammenhaltung) und 350 Schafe.
Der Sommer1947 war ein Jahrhundertsommer mit viel Sonne und kaum Regen. Aty-
pisch für England. Die Heuernte
wurde gut eingebracht und die
Frucht (Weizen, Gerste, Roggen,
Hafer) wurde gleich auf dem Feld
gedroschen und heimgefahren. Die
Arbeit machte uns viel Spaß und wir
wurden vorbildlich behandelt.
Rundum, es war eine schöne Zeit
auf der Hole-Row-Farm.
Das Essen war gut und reichlich und
wurde gemeinsam mit dem
Verwalterehepaar und den beiden
Kindern John und Regie eingenommen.
Die Verwalterin Winnie war nur wenige
Jahre älter als wir und war uns sehr
zugetan. Hier bestand für uns eine
gewisse Gefahr, der wir standhielten.
Wann immer möglich, stellte uns Winnie
heimlich einen Topf Milch aufs Fenstersims, die wir mit großem Genuß tranken.
Kriegserlebnisse und Gefangenschaft aus der Erinnerung niedergeschrieben Heinz Neidhart
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An Sonntagen, außerhalb der Erntezeit, hatten wir frei. Wir gingen ins Kino oder zum
Baden am nahegelegenen Fluß. Hier lernten wir eine sehr nette junge Dame kennen,
namens ETHEL ROBINSON, Jahrgang 1921, mit der ich heute noch in Briefverbin-
dung stehe. Übrigens, sie wird jetzt am 2. Juli 2001 80 Jahre alt. Wie doch die Jahre
vergehen. Horst würde ihr sicher auch zum Geburtstag gratulieren, wenn er noch
leben würde. Leider ist er vor 2 1/2 Jahren verstorben.
Mit Ethel machten wir schöne Spaziergänge und hatten viele schöne Gespräche.
Freitags waren wir von ihren Eltern, die uns sehr schätzten, eingeladen. Es gab im-
mer "Fish and Chips". Mit großer Dankbarkeit denke ich heute noch an diese liebe
Familie zurück. Noch ein Wort zu Mr. Atkinson. Sein Enkel, Mr. Bean, so sein Künst-
lername, in England ein sehr bekannter Komiker, sieht man hier in Deutschland öf-
ters im Fernsehen. Welch ein Zufall.
Ende November war die Arbeit auf der Farm getan und wir mußten wieder zurück ins
Camp nach Ponteland. Tage vorher, sobald wir die Küche zum Essen betraten,
stand Winnie in einer Ecke, die Schürze vor dem Gesicht und weinte bitterlich. Der
Abschied fiel ihr sichtlich schwer.
Das Jahr 1947ging zu Ende - Weihnachten stand vor der Tür. Die 5. Weihnacht, die
ich in der Fremde verbringen mußte. Kurz vorher erhielt ich Post von Rosmarie
Höfler mit der Mitteilung, daß meine Klasse das Abitur gemacht hatte. Und ich war
immer noch in Gefangenschaft. Ein schwerer Tag für mich.
Die Freude war groß, als Horst und ich von
Familie Robinson zu Weihnachten eingeladen
wurden. Diese Möglichkeit gab es 1947, als die
Fraternisierung bekannt gegeben wurde. Wir
verbrachten 3 unvergeßliche Tage in der
Familie.
Ende Februar 1948 wurde das Lager in Ponte-
land aufgelöst. Es gab2 Transporte. Der eine
ging nach WESTMOORS in Südengland in der
Nähe von BORNMOUTH, wo ich dabei war.
Der andere Transport nach Südostengland, wo
Horst hinkam. So wurden wir getrennt und sahen uns erst nach 42 Jahren wieder,
nachdem die Mauer der DDR im Juni 1990 gefallen war. In der Zwischenzeit wurden
Kriegserlebnisse und Gefangenschaft aus der Erinnerung niedergeschrieben Heinz Neidhart
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wir je nach Gefangennahme in Entlassungsgruppen eingeteilt. Wer bei der Invasion
im Juni 1944 in Frankreich in Gefangenschaft geriet, erhielt die Entlassungsgruppe
18. Der Juli 19 usw. - der Oktober, als ich geschnappt wurde 22. So konnte man aus-
rechnen, wann man dran war.
Im April war es soweit. Ich kam ins Entlassungslager nach SHEFFIELD, wo wir noch
einige Tage festgehalten wurden. Und am 16. April 1948 wurden wir in HARWICH
eingeschifft, wo ich meinem "little, old, lovely England good-bye sagte. Am anderen
Tag trafen wir in HOOK VAN HOLLAND ein, wo es anschließend im überfüllten Zug
in Richtung Deutschland ging.
Morgens um 6.00 Uhr passierten wir die holländisch-deutsche Grenze und fuhren im
Bahnhof BENTHEIM ein. Mit den Worten: "Die Heimat grüßt Euch" wurden wir herz-
lich empfangen. Dann ging es durch deutsche Lande. Überall waren die Menschen
auf den Feldern und winkten uns freundlich zu. Wir Landser hingen an den Fenstern
und keiner schämte sich seiner Tränen. Endlich sind wir wieder Daheim! Und jeder
wußte und fühlte was es heißt "Deutsche Erde." Gegen Mittag - es war ein Sonntag -
machte der Zug halt in WANNE-EICKEL. Ein Männergesangsverein brachte uns ein
Ständchen zur Begrüßung und Hände wurden geschüttelt. Weiterging die Fahrt ins
Munsterlager in der Lüneburger Heide. Hier wurden wir nach einigen Tagen in die
jeweilige Zone weiterbefördert. So erreichte ich BREZENHEIM, das französische
Entlassungslager. Und am 27. April 1948 11.11 Uhr marschierte ich als freier Mann
durch das Lagertor. Leicht und beschwingt, den Seesack auf dem Rücken, mar-
schierte ich zur Bahnstation BAD KREUZNACH. Es waren ja nur 3 km, entlang den
schönen Rebbergen. Nur noch eine Nacht, dann fuhr der Zug morgens gegen 6 Uhr
in DONAUESCHINGEN ein. Und weiter ging es nach GEISINGEN in meine Heimat-
stadt, nach der ich mich all die Jahre so sehr gesehnt hatte. Der Empfang bei meinen
Eltern und Geschwistern war unbeschreiblich.
Dann hieß es einen Beruf zu ergreifen. Das Abitur nachzuholen erschien mir nach
fast 5-jähriger Schulunterbrechung nicht der richtige Weg. Dafür entschied ich mich
für eine kaufmännische Ausbildung.
Lenzkirch, im Juni 2001
Heinz Neidhart