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1 Michelle Becka, Würzburg Kritik in Zeiten des Populismus - und die Notwendigkeit der Solidarität M A N U S K R I P T Antrittsvorlesung 1 Einleitung Es ist wohl nicht klug, ein Thema zu wählen, das so aktuell ist, dass man beim Nachdenken regelmäßig von der Wirklichkeit überholt wird. Aber wir müssen uns dem stellen und versuchen, dennoch etwas Distanz hineinzubringen. Das bleibt dann manchmal etwas holzschnittartig, auch ein wenig assoziierend – ich nehme mir heute die Freiheit. Zudem hat in meiner Vorstellung eine Antrittsvorlesung immer auch den Anspruch einer Standortbestimmung des eigenen Fachverständnisses und einer bescheidenen Programmatik. Anlehnungen an die ein oder andere laufende Lehrveranstaltungen sind beabsichtigt – die Nähe zu einer der Probevorträge letzte Woche war nicht beabsichtigt. Worum soll es gehen? Konkreter Anlass für das Thema war die Relecture von Michel Foucaults kleiner Schrift „Was ist Kritik?“. Als eine Begriffsbestimmung von Kritik nennt er das „Nicht- regiert-werden-wollen“. Bei aller notwendigen Einbettung in Foucaults Auffassung von Regieren, Macht und anderem hatte diese Aussage für mich etwas Provokatives: Bezogen auf die Pegidas unserer Zeit, die so nicht regiert werden wollen, stellt sich die Frage, ob diese Bestimmung Foucaults nicht sehr gefährlich ist. Kritik ist erlaubt und erwünscht. Aber welche Kritik? Dem möchte ich hier nachgehen und einige Impulse für eine kritische Sozialethik zusammentragen. Dazu gehe ich von Foucault aus, ohne hier eine Foucault-Exegese zu betreiben oder seine Position im Einzelnen zu verteidigen. Dann frage ich nach dem Kennzeichen von Populismus und der „Kritik“, die dieser übt, um schließlich die Frage zu erörtern, was Kritik eigentlich ausmacht. Ich versuche normative Kriterien darzulegen (beschränke mich auf die beiden wichtigsten), die zur Beurteilung von Kritik hilfreich sein könnten. Anschließend werde ich mich der Frage nach der Notwendigkeit von Solidarität widmen. Sie Annahme ist, dass sie notwendig ist, weil sie die Kritik vor der Selbstbezogenheit bewahrt. 1 Bei diesem Text handelt es sich um den Vortragstext der Antrittsvorlesung vom 26.01.2017. Der Beitrag erscheint im Sommer 2018 in ausgearbeiteter Form in: Emunds/Eurich/Kubon-Gilke/Meireis/Möhring-Hesse/Becka: Kritik und Ethik im Nomos Verlag.

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Michelle Becka, Würzburg

Kritik in Zeiten des Populismus - und die Notwendigkeit der Solidarität

M A N U S K R I P T Antrittsvorlesung1

Einleitung

Es ist wohl nicht klug, ein Thema zu wählen, das so aktuell ist, dass man beim Nachdenken

regelmäßig von der Wirklichkeit überholt wird. Aber wir müssen uns dem stellen und

versuchen, dennoch etwas Distanz hineinzubringen. Das bleibt dann manchmal etwas

holzschnittartig, auch ein wenig assoziierend – ich nehme mir heute die Freiheit. Zudem hat

in meiner Vorstellung eine Antrittsvorlesung immer auch den Anspruch einer

Standortbestimmung des eigenen Fachverständnisses und einer bescheidenen Programmatik.

Anlehnungen an die ein oder andere laufende Lehrveranstaltungen sind beabsichtigt – die

Nähe zu einer der Probevorträge letzte Woche war nicht beabsichtigt.

Worum soll es gehen? Konkreter Anlass für das Thema war die Relecture von Michel Foucaults

kleiner Schrift „Was ist Kritik?“. Als eine Begriffsbestimmung von Kritik nennt er das „Nicht-

regiert-werden-wollen“. Bei aller notwendigen Einbettung in Foucaults Auffassung von

Regieren, Macht und anderem hatte diese Aussage für mich etwas Provokatives: Bezogen auf

die Pegidas unserer Zeit, die so nicht regiert werden wollen, stellt sich die Frage, ob diese

Bestimmung Foucaults nicht sehr gefährlich ist. Kritik ist erlaubt und erwünscht. Aber welche

Kritik? Dem möchte ich hier nachgehen und einige Impulse für eine kritische Sozialethik

zusammentragen. Dazu gehe ich von Foucault aus, ohne hier eine Foucault-Exegese zu

betreiben oder seine Position im Einzelnen zu verteidigen. Dann frage ich nach dem

Kennzeichen von Populismus und der „Kritik“, die dieser übt, um schließlich die Frage zu

erörtern, was Kritik eigentlich ausmacht. Ich versuche normative Kriterien darzulegen

(beschränke mich auf die beiden wichtigsten), die zur Beurteilung von Kritik hilfreich sein

könnten. Anschließend werde ich mich der Frage nach der Notwendigkeit von Solidarität

widmen. Sie Annahme ist, dass sie notwendig ist, weil sie die Kritik vor der Selbstbezogenheit

bewahrt.

1 Bei diesem Text handelt es sich um den Vortragstext der Antrittsvorlesung vom 26.01.2017. Der Beitrag erscheint im Sommer 2018

in ausgearbeiteter Form in: Emunds/Eurich/Kubon-Gilke/Meireis/Möhring-Hesse/Becka: Kritik und Ethik im Nomos Verlag.

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Zugrunde lege ich ein Verständnis von Ethik als Reflexionstheorie des Handelns. Ethik soll gute

Gründe angeben für richtiges Handeln und für die Gestaltung gerechter Institutionen und

Strukturen. Ethik gibt in diesem Sinne Handlungssicherheit. Insofern Ethik vorhandene

Praktiken und Strukturen auf ihre Richtigkeit – oder auch Angemessenheit hinterfragt, hat sie

aber auch eine kritische Funktion: Ist etwas richtig, so wie es ist oder gemacht wird? Ist das

gut so? Oder, wie wir in den Ethikkomitees in den JVA´s sehr konkret fragen: Dient eine

konkrete Praxis eigentlich ihrem Ziel? Und: ermöglichen Strukturen wirklich richtiges

Handeln? Diese Kritik entschleunigt, unterbricht, stellt in Frage – und hat nicht immer gleich

die richtige Antwort parat. Kritik stellt eine wichtige Dimension von Ethik dar. Auch daher die

Beschäftigung mit dieser Fragestellung.

Nun aber zu Foucaults Ausführungen zur Kritik.

1. Foucault: Nicht regiert werden wollen

Im Begriff der Kritik klingt der emanzipatorische Anspruch der Aufklärung an, dass das

mündige Subjekt kraft seiner Vernunft das durch Autoritäten Vorgegebene – etwa Normen –

anfragen, hinterfragen, in Frage stellen kann. Weil es vernunftbegabt ist, kann es auch nach

vernünftigen Gründe verlangen. Wo sie fehlen, erscheinen Praktiken oder Institutionen als

nicht gerechtfertigt. Schon Adorno formuliert daher: „Wenig übertreibt, wer den

neuzeitlichen Begriff der Vernunft mit Kritik gleichsetzt“ (Adorno, 1). Kritik und Vernunft, so

meine Grundannahme, gehören zusammen. Und Mündigkeit und Kritik sind Bedingungen der

Demokratie (Adorno ebd.).

(Etwa) In diesem Sinne verfährt auch Foucault in seinem Vortragstext: „Was ist Kritik?“ (Vgl.

Foucault, 1992). Es geht ihm durchaus um die Rettung – und freilich Radikalisierung – des

emanzipatorischen Projekts der Aufklärung, auch wenn er bekanntermaßen diese gleichzeitig

kritisiert: (indem er Folgen überzogener Vernunfterwartung aufzeigt, Kausalitäten aufbricht,

Heterogenität gegenüber der Homogenität betont und blinde Flecken der Aufklärung

aufzeigt.) Und doch bleibt es ein aufklärerisches Projekt, und so rückt Foucault in dem Vortrag

Aufklärung und Kritik nahe zueinander.

Sein Zugang ist das „Regiert-werden“. „Sich regieren lassen“ verankert Foucault in der Pastoral

des Hochmittelalters (so wie er sie versteht) - als Notwendigkeit sich zum Heil lenken zu

lassen. Es geht ihm um diese Grundfigur des Sich-Führen-Lassens/Lenken-Lassens durch

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andere (durch Autoritäten) zum eigenen Besten. Und er findet diese Figur in andere Bereiche

ausgedehnt: Ökonomie, Politik, Pädagogik. (Allerdings ignoriert Foucault gewisse

Ambivalenzen, die von den jeweiligen Disziplinen zudem selbstkritisch reflektiert werden. Also

z.B. weiß die Pädagogik um die Ambivalenz eines „An-Leitens zur Selbständigkeit“). Foucault

selbst weist darauf hin, dass dem Regiertwerden von Anfang an „etwas“ entgegengesetzt

wurde: Wir wollen nicht regiert werden, oder: Wir wollen nicht so regiert werden (vgl.

Foucault, 11). Gleichzeitig mit den Regierungspraktiken ist die kritische Haltung entstanden,

(so)nicht regiert werden zu wollen.

Er führt aus, diese Haltung der Kritik - nämlich dem, was Unrecht erscheint, etwas

entgegenzusetzen – berufe sich auf das, wie er es nennt, „unverjährbare Rechte“ (ebd. 13),

den kritischen Impetus eines Naturrechts im allgemein Sinn. Das Subjekt nimmt sich das Recht

heraus, das, was ist zu hinterfragen auf seine Rechtmäßigkeit. Für ihn ist damit eng verbunden,

die Wahrheit auf die Machteffekte hin zu befragen und die Macht auf ihre Wahrheitsdiskurse

hin (vgl. ebd. 15). Diese Begriffsbestimmung von Kritik sei, so Foucault, dem nahe, was Kant

unter Aufklärung versteht, denn es geht um ein Sich-Befreien aus der Unmündigkeit. Jene

kritische Bewegung also ist Aufklärung – oder Aufklärung ist jene kritische Bewegung. Dabei

bleibt die Fragwürdigkeit des Ortes, von dem aus wir Kritik artikulieren. Die Praxis der Kritik

ist voraussetzungsreich (Vgl. Jaeggi/Wesche, 8). Wir kommen darauf zurück.

2. Pegida und andere Formen des Rechtspopulismus

Öffnet nun Foucault Pegida und anderen Populisten Tor und Tür, bietet ihnen sogar eine

Legitimationsgrundlage? Denn die populistischen Gruppierungen beanspruchen für sich,

berechtigte Kritik zu üben – so nicht regiert werden zu wollen. Warum sollte das also

problematisch sein?

Dazu benötigen wir ein Begriffsverständnis von (Rechts-)Populismus. Populismus zu

definieren, ist schwierig, weil der Begriff als Platzhalter für verschiedene Phänomene fungiert.

Der Definitionsgehalt bleibt daher begrenzt. Den wissenschaftlichen Gehalt des Begriffs prägt

v.a. seine Anti-Establishment Orientierung: Das „einfache“ Volk ergreift Partei gegen die

herrschende Partei oder Elite. Träger einer solchen Orientierung können einzelne Personen,

Bewegungen, Parteien oder auch ganze Regime sein (vgl. Decker/Lewandowsky, 1). Zu der

klaren Unterscheidung: hier das (moralisch reine) homogene Volk, dort die korrupten Eliten,

kommt der Anspruch, allein die Interessen dieses Volkes zu vertreten. Die anderen Parteien

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setzen sich demnach nicht für die wahren Interessen des Volkes ein. Populismus ist daher

antipluralistisch, und er wird autoritär, wenn er, um die eigenen Interessen durchzusetzen,

demokratische Mitwirkung ignoriert und demokratisch legitimierte Verfahren umgeht (vgl.

Müller, Jan Werner).

Populisten kritisieren viel! Doch Kritik, so meine Annahme, reduziert sich hier weitgehend auf

Protest. (Auch wenn ich weiß, dass die Grenzen hier nicht scharf gezogen werden können.)

Während die Kritik ein emanzipatorisches Moment/Anliegen hat und gleichzeitig selbstkritisch

ist, ist der Protest einfach dagegen: „Wir sind dagegen“.

Protest liegt im Trend, und er ist durchaus wichtig. So wird die globale Protestwelle derzeit

etwa interpretiert als eine Art Aufstand einer libertären Mittelklasse, der kein positives

Programm aufweist, sondern einer „democracy of rejection (Krastev)“ den Weg bahnt. Bei uns

wäre das die sogenannten Wutbürger, denken wir an Stuttgart 21, oder im Rhein-Main-Gebiet

an die Montagsdemos gegen den Flughafen-Ausbau. Allerdings sind diese Arten von Protest

dadurch gekennzeichnet, dass sie sich gegen konkrete einzelne Vorhaben richten. Davon

unterscheiden möchte ich den diffusen Protest, der Bewegungen wie Pegida prägt. Meistens

muss jemand oder etwas „weg“: „Weg mit Merkel, weg mit dem Euro, weg mit den

Flüchtlingen“ – und dann wird alles gut. „Was folgen soll, wenn das, was weg muss,

irgendwann einmal weg sein sollte, dafür gibt es kein Konzept. Auch das ist ein Kennzeichen

des Populismus: Er malt Dystopien an die Wand, hat aber kein Gegenmodell zu bieten.“

(Diener) Nun könnte man sagen, Merkel, der Euro etc. sind konkret und damit sei dieser

Protest ähnlich wie der gegen den Flughafen-Ausbau oder Stuttgart 21. Aber die

Flughafengegner erwarten von der Verhinderung des Ausbaus weniger (oder nicht noch mehr)

Lärm, auch die Stuttgarter hatten recht konkrete Gründe und Erwartungen. Pegida und

ähnliche hingegen überfrachten einzelne Bedeutungsträger mit Erwartungen, ohne dass eine

nachvollziehbare Beziehung bestünde. Die erhoffte Wirkung steht in einem unbestimmten

Verhältnis zum Objekt der Kritik!

Doch die Trennlinien sind nicht scharf. Und so könnte man behaupten, dass Populismus als

gemeinschaftliche Selbstorganisation dennoch von Bedeutung ist, weil er indiziert, wo die

Politik Schwächen hat oder versagt und uns darauf hinweist, dass wir in unserem

demokratischen System wohl tatsächlich so etwas wie eine Krise der Repräsentation haben.

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Kritik am Politischen und der Wille zur Transformation des Politischen ist legitim – selbst dann,

wenn noch keine genaue Vorstellung besteht, wie es besser gehen könnte. Denn, so Adorno,

das Falsche, das einmal erkannt und bestimmt ist, ist bereits der Index des Besseren (vgl.

Adorno, 1969, 7). Ist also der Populismus von Pegida und Co ein nützliches Korrektiv im Sinne

einer berechtigten Kritik oder gefährdet er die Demokratie? Wann ist der Übergang vom einen

zum anderen – und nach welchen Kriterien bestimmen wir ihn?

Die Unterscheidung zwischen richtiger und falscher Kritik, zwischen legitimer und nicht-

legitimer Kritik erscheint problematisch. Kritik ist Kritik. Doch, so meine These vom Anfang,

wenn sie Kritik sein will, muss sie sich dem Projekt der Aufklärung verpflichtet wissen. Deshalb

geht es im Folgenden darum, herauszuarbeiten, was Kritik ausmacht.

Das wiederum ist von Bedeutung, um erkennen zu können, was einen Beitrag zur Demokratie

darstellt und wo ihre Gefährdung beginnt.

3. Was kennzeichnet Kritik?

Ich behaupte, Foucault liegt diese Auslegung des „Nicht-regiert-werden-wollens“ sehr fern.

Ein Grund: Die Populisten setzen sich selbst ins Recht: Von einem seltsam objektiven Punkt

aus widersetzen sie sich „der Macht“, die für sie klar abgrenzbar ist und dem „Wir“ oder dem

„einfachen Volk“ entgegensteht. Foucault hingegen steht in einer Tradition, in der die Linien

eben nicht klar gezogen werden können, in der wir selbst dem Verdacht nicht enthoben sind,

weil wir – und unser kritisches Denken – doch niemals unabhängig sind. Spätestens seit Marx

dürfte klar sein, dass wir uns nicht ganz frei machen können von unseren Umständen

(Gesellschaft, Konsum, Arbeit, Kultur…), dass wir durch sie bedingt sind. Und in dieser Linie

warnt Adorno, selbst großer Kritiker, vor der Überheblichkeit, wenn wir als Kritiker meinen zu

wissen, was richtig ist, und uns selbst ins Recht setzen – und davor, den anderen damit ins

Unrecht zu setzen (vgl. Adorno, 1996, Vorlesung 17). Foucault verschärft diesen Gedanken

nochmals, weil er die Bedingtheit des Subjekts radikalisiert, wenn er die Übergänge

nachzeichnet von den Herrschaftstechniken, durch die das Subjekt unterworfen wird zu den

Selbsttechnologien, mit denen wir uns selbst unterwerfen (etwa – vereinfachend – in der

Selbstinszenierung und Informationsfreigabe in sozialen Netzwerken). Eine klare

Entgegensetzung von kritisierendem Subjekt und kritisierter Macht wird dadurch noch

schwieriger. Diese Schwierigkeit bleibt als Stachel – in der Fraglichkeit des Ortes, so dass wir

uns immer wieder selbst anfragen und darüber Rechenschaft geben müssen, von wo aus wir

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Kritik üben. In dieser Fraglichkeit hält auch Foucault an der Möglichkeit der Kritik fest. Und

diese Möglichkeit der Kritik gründet auch bei ihm in einem Freiheitsmoment – auch wenn er

sich freilich mit dem Begriff reichlich schwer tut.2

Ohne diese Spannung zu ignorieren, also ohne die eigene Be- und Gefangenheit aufzugeben,

müssen wir heute, so denke ich deutlicher und mutiger sein in der Kennzeichnung der

normativen Grundlagen der Kritik – um den Kritikbegriff zu stärken und um zwischen Kritik

und pauschalem Protest unterscheiden zu können. Das mache ich jetzt mit den beiden

Kriterien Wahrheit/Vernunft und Menschenwürde.

- 3a

1. Kriterium: Wahrheit und Vernunft

Foucault verstand die Kritik als Ausdruck einer emanzipatorischen Vernunft.

Er macht in diesem Zusammenhang den Begriff der Parrhesia geltend, der sowohl im antiken

Griechenland als auch in der jüdischen und frühchristlichen Tradition verortet ist. Parrhesia

meint, bei allen Unterschieden, das mutige freie Aussprechen der Wahrheit. Bezogen auf das

Christentum ist sie für Karl Rahner die Aposteltugend des Christen, der als Glaubensbote mutig

und je an seinem Platz in der Welt Zeugnis geben soll.3 Das zeigt sich am deutlichsten an den

Märtyrern, von denen Stephan Goertz sagt: „Sie bezeugen eindeutiger als andere, was als die

religiöse Neuerung der biblischen Parrhesia gilt: der freie und freudige Stand des Gerechten

vor Gott, die Parrhesia gegenüber Gott. Das Gottesverhältnis treibt hier nicht in die

sklavische Angst, sondern begründet ein freimütiges, ein furchtloses Vertrauen. “ (Goertz,

8). Nicht nur Märtyrer, alle Glaubenszeugen, alle Gläubigen sind hier angesprochen. Ein Satz,

der als Kennzeichen jeder theologischen Ethik dienen kann.

Die Parrhesia ist Ausdruck eines kritischen Denkens.

Im politischen Raum ist die Parrhesia verbunden mit der Meinungsfreiheit. Jeder hat das Recht

frei zu reden. Es ist ein wichtiges Recht – auch wenn uns nicht immer gefällt, was geredet wird.

ABER: „Die Tatsache, daß jedermann reden kann, bedeutet nicht, daß jedermann das Wahre

2 Foucault scheut sich, zu benennen, worin das Nicht-Regiert-Werden-Wollen gründet, es bleibt schwierig. Er nennt die

ursprüngliche Freiheit, zieht das Gesagte zurück, weil er diese Freiheit nicht begründen kann und will. Vgl. Butler, 241 f.

3 Vgl. Goertz,4) Der Mainzer Moraltheologe Stephan Goertz hat die Bedeutung der Parrhesia für die Moraltheologie vor einigen Jahren sehr gut herausgestellt. In Anlehnung daran kann ich mich hier kurz fassen

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sagen kann“ (Foucault 2009, 235). Das heißt: Die Parrhesia geht über die Redefreiheit hinaus,

sie sucht den (sehr wohl komplizierten) Bezug zur Wahrheit. Auf mindestens dreierlei Weise:

- Parrhesia ist verknüpft mit dem Prinzip: „Man soll die Wahrheit über sich selbst sagen“

(Foucault, 2010, 16). Wahr sprechen beinhaltet also Auskunft geben können über

mich, meinen Ort – vor einem anderen.

- Wahr sprechen ist „Alles sagen“ – ohne etwas davon zu verbergen oder zu

verschleiern,

- UND Parrhesia bedeutet, die Rede an der Vernunft auszurichten.

Es muss also darum gehen, statt einer unbegründeten Meinung eine begründete Position zu

vertreten. Die Theologie kann das, denn die Theologie ist ja eine lange Geschichte der

Verhältnisbestimmung von Glaube und Vernunft. Aktuell sind wir hier gefordert!

Als gesellschaftsrelevante Praxis geschieht das, wenn Einzelpersonen, Gruppen, Verbände und

Glaubensgemeinschaften der auf Meinung sich gründenden Angstrhetorik etwas

entgegensetzen (Danke an dieser Stelle an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer meines

laufenden Seminars, die sich mit einer Veranstaltung an der Initiative „Offene Gesellschaft“

beteiligen werden). Das geschieht, wenn die New York Times Journalisten einstellt, um sie mit

der Aufgabe zu betrauen, Falschaussagen des frisch eingesetzten Präsidenten konsequent zu

entlarven und Fakten und Zusammenhänge darzustellen, oder wenn die Medieninitiative

Schmalbart dem amerikanischen Newsportal Breitbart etwas entgegensetzen will und Fake-

news als solche entlarvt, das geschieht aber auch im Versuch zu verhindern, dass

wirtschaftliche Interessen immer stärker die Wissensbildung (die Wahrheitsproduktion!)

beeinflussen durch die Finanzierung von Studien, Gutachten etc. (Fake und Wahrheit sind

nicht immer leicht auseinanderzuhalten). Parrhesia als Teil einer Gesellschaftsethik und als ein

Kriterium für Kritik: Kritik richtet sich an der Vernunft aus.

- B: 2. Kriterium: Menschenwürde

Die Kritik entzündet sich am Unrechtszustand. Dieser zeichnet sich dadurch aus, dass

Menschen Unrecht geschieht, dass Menschen nicht zu ihrem Recht kommen, das ihnen dank

ihrer Würde zusteht. Es ist die Erfahrung der Verletzung, die die Kritik hervorruft. Dabei ist

manchmal zunächst nicht klar, worin genau die Verletzung besteht; es ist die Erfahrung des

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„So geht es nicht“ – die Kontrasterfahrung, wie Dietmar Mieth sie genannt hat. Diese kann

zum Nachdenken über ein richtiges, ein besseres Handeln führen – aber sie muss auch in die

Reflexion münden. Das „So nicht“ allein verbleibt im Protest, der ins Leere mündet.

Die Verletzung der Würde geschieht nicht einfach durch einen Mangel an Mitteln – der

„Arme“ ist weder würdelos noch wird er per se entwürdigt. Sondern es geht um die bewusste

Verletzung des moralischen Status, die Nicht-Anerkennung von Rechten, nicht auf Augenhöhe

behandelt zu werden: Das reicht vom „Luft-Sein“ sein für andere bis zum körperlich und

seelisch Gequält-Werden (vgl. Forst, 153) – oder zum Verursachen von Verhältnissen, die

Armut hervorbringen.

„In meiner Würde als Mensch anerkannt zu sein, heißt generell, in Fragen, die mich wesentlich

betreffen, nicht übergangen zu werden.“ (Forst, ebd.) Es geht darum, in meiner Autonomie

als eigenständiges - und verletzliches – Wesen respektiert zu werden – und nicht durch dazu

nicht-legitimierte Kräfte beherrscht zu werden. Nun könnten die Pegidas dieser Welt

antworten, dass es ihnen genau darum geht – und so sind wir wieder beim Nicht-regiert

werden wollen. Doch das Nicht-Beherrscht-Werden-Wollen der Autonomie ist kein willkürlich-

trotziges „Ich will aber nicht“, sondern ein mit Verantwortung verbundenes und begründetes,

das zu erklären hat, was genau eigentlich verletzt wird und das begründen muss, inwiefern die

einwirkenden Kräfte illegitim sind.

Doch der entscheidende Punkt ist: die Würde, um die es hier geht, ist nicht nur meine Würde,

und die Würdeverletzung ist nicht nur subjektiv. Den Kern des Menschenwürdekonzepts

bestimmen seine Allgemeinheit und seine Reziprozität. Es geht hier um eine Norm, die

allgemeine und wechselseitige Anerkennung beansprucht. Niemand kann legitimer Weise

Ansprüche erheben, die er anderen verweigert - Reziprozität der Inhalte - , und die Gründe,

die eine Norm legitimieren, sollten von allen Personen geteilt werden können - Allgemeinheit

(vgl. Forst, 157). Wenn es um Würde geht, geht es also immer auch und v.a. um die Würde

und das menschenwürdige Leben der anderen. Insofern es darum geht, dieses Leiden

wahrzunehmen, und auf Bedingungen hinzuwirken, die ein menschenwürdiges Leben

ermöglichen, ist die Kritik mit der Solidarität verbunden, wir kommen gleich darauf zurück.

Formen sogenannter Kritik also, die die Würde anderer missachten und schädigen -sei es

durch Herabstufung von Gruppen als minderwertig, durch Falschaussagen über andere, durch

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Nicht-Ernstnehmen als Gesprächspartner solche und ähnliche Formen der Kritik sind

moralisch unzulässig. Oder anders gesagt: Sie sind nicht Kritik im hier gebrauchten Sinne.

Solidarität

Die Beziehung zur Solidarität ist ein Thema, das sich hier stellt und dem allein ich nachgehe.

Wollten wir die Frage nach dem Umgang mit Populismus weiterverfolgen, müssten man sich

auch und v.a. Gerechtigkeitsfragen stellen: Was sind die Mechanismen, welche die

Möglichkeiten der Teilhabe mancher Bevölkerungsschichten verhindern und dadurch

ausschließend sind. Das kann aber hier nicht meine Frage sein. (Auch wenn außer Frage steht,

dass die Gerechtigkeit Zielperspektive jeder Sozialethik ist.)

Den ersten Schritt der Solidarität stellt die sensible Wahrnehmung der Ungerechtigkeit dar,

jenes aufmerksame und einfühlsame Hinschauen und An-Erkennen des Leides und eben jener

Würdeverletzung des Anderen. Es ist Kennzeichen des moralischen Bewusstseins, so Enrique

Dussel, in der Lage zu sein, den anderen zu hören – oder hören zu können. Es gilt ihn zu hören,

seine ganz konkrete Not wahrzunehmen, um (durch diese Interpellation) gerufen sein zu

handeln. Ich muss, so Dussel, mit meinem Leben antworten, damit das negierte Leben des

Opfers das Stadium der Unterdrückung überwinden kann, das es erleidet (vgl. Dussel, 2016,

135). Entscheidend dabei ist, dass die Umstände verändert werden müssen, die die

Unterdrückung bewirken.

Aus der Wahrnehmung des Leidens oder der Ungleichheit, dem Erkennen, dass es an

Gerechtigkeit fehlt, folgt das solidarische Handeln, das ein Einsatz für Gerechtigkeit ist – sei es

zur Herstellung oder zur Wiederherstellung von Gerechtigkeit. Solidarität wird als

transformativer Akt verstanden, der Bestehendes zu verändern sucht auf ein „mehr an

Gerechtigkeit“ hin. Solidarität ist ein dynamischer Begriff und bezeichnet ein Überschreiten

auf einen besseren Zustand hin.

Was aber meint Solidarität neben diesem grundsätzlichen Verständnis nun konkret für die

Gesellschaft?

Nach Jürgen Habermas bezieht sich Solidarität innerhalb einer Gesellschaft auf das

gemeinsame, das je eigene Wohl einschließende Interesse an der Integrität einer

gemeinsamen politischen Lebensform (vgl. Habermas 2013, 104). Im Sinn der der klassischen

Prinzipien der Katholischen Soziallehre lässt sich ergänzen (oder besser gesagt voraussetzen),

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dass die Solidarität dem Menschen als Sozialwesen entspricht, der eben zugleich einzigartig in

seiner Würde, autonom in seiner Vernunft und als relationales Wesen auf andere Menschen

verwiesen ist. Aus der Sozialität des Menschen erwächst der normative Anspruch, dem im

gemeinschaftlichen Leben Ausdruck zu geben, etwa im Streben nach der Realisierung eines

Gemeinwohls, das zu jener Integrität der gemeinsamen Lebensform, wie Habermas sie nennt,

gehört.

Das Schwierige an der Solidarität in der Gesellschaft ist nun Habermas zufolge, dass sich das

solidarische Verhalten in der pluralen Gesellschaft gerade nicht auf „konventionelle sittliche

Beziehungen einer naturwüchsig existierenden Gemeinschaft (ebd.)“ stützen kann. Ihr fehlt

der Vertrauensvorschuss, der Handeln in emotional geprägten Beziehungen in

Gemeinschaften oft kennzeichnet und aber nicht jene Beziehungen in der ausdifferenzierten

modernen Gesellschaft. Die Gesellschaft ist also auf Solidarität angewiesen, doch sie tut sich

schwer damit, Solidarität hervorzubringen oder zu ermöglichen. Nun können und wollen wir

kaum zurück zum Leben in Stammesgemeinschaften.

Also ist die Frage, wo im konkreten Alltagshandeln, dieser Vertrauensschuss gewährt wird, wo

also Solidaritätspotentiale liegen, die stärker zu nutzen wären. Ein Beispiel scheint mir in der

sogenannten „Willkommenskultur“ vom Herbst 2015 zu liegen (unabhängig von allen

Diskussionen, ob damit auch rechtzeitig politische Maßnahmen einhergingen, um diese

umzusetzen). Denn, so meine These, diese „Willkommenskultur“ beinhaltete einen solchen

Vertrauensvorschuss: Obwohl es Unbekannte, „Fremde“, waren, fühlten sich Menschen als

Helferinnen und Helfer angesprochen durch deren Not, deren Leid – durch ihr schlichtes „Da-

Sein“, das es erforderlich machte zu handeln. Dieser Handlungsimpuls enthält einen

Vertrauensvorschuss im Sinne Habermas´. Der Vertrauensvorschuss ersetzt die Angst in der

Begegnung mit anderen, so dass etwas Neues erwachsen kann. Die Willkommenskultur und

der Einsatz zahlreicher Menschen für andere und für das gemeinsame Wohl schaffen

Beziehungen jenseits bereits vorhandener konventioneller Gemeinschaftsformen und stärken

damit das soziale Geflecht – die Grundlage, die eine Gesellschaft benötigt.

Das kann als ein Beispiel gelten, wie neue Solidaritäten geschaffen werden in einer Zeit, in der

traditionelle Formen der Solidarität stark geschwächt sind. Das scheint mir bislang wenig

anerkannt. Doch es ist zentral für das Selbstverständnis einer Gesellschaft und es ist

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wünschenswert, aus dieser Erkenntnis heraus selbstbewusst die Diskussion um die Integration

oder den Zusammenhalt der Gesellschaft mitzugestalten.

Solidarität kann in einer vernetzten und globalisierten Welt jedoch nicht an den

Landesgrenzen haltmachen. Das stellt uns vor Herausforderungen. Gewöhnlich beziehen wir

die Solidarität auf eine bestimmte Gruppe oder Gemeinschaft. Es ja genau diese Partikularität,

die die Solidarität von einer allgemein gedachten Gerechtigkeit unterscheidet. Zu dieser

Partikularität gehört, dass sie auf ein konkretes Leid (ein Antlitz) reagiert – ABER, so macht

Enrique Dussel immer wieder deutlich, der konkrete Mensch, der leidet, und mit dessen Leid

wir konfrontiert werden, muss nicht zwingend Teil unserer Gemeinschaft sein. Er

unterscheidet die Fraternité (Brüderlichkeit, die Philadelphia) als sich auf die eigene

Gemeinschaft erstreckend von der Solidarität, die über die gewohnte Ordnung – auch die der

rechtlichen und moralischen Pflichten – hinausgeht.4 Die Geschichte par excellance ist

natürlich Lk 10, 25-37 – das Gleichnis vom barmherzigen Samariter, die Geschichte der

geleisteten Solidarität durch den Fremden auf die Frage, wer ist mein Nächster. Es

kennzeichnet die so verstandene Solidarität, dass man zum Nächsten wird durch und im

Handeln. In Dussels (durchaus gewöhnungsbedürftiger) Sprache durchbricht dieses

solidarische Handeln den eigenen Zentrismus und gelangt in den Bereich der „Exteriorität“

des anderen – erkennt ihn wirklich als anderen oder andere an.

Viele Solidaritäten sind daher möglich und nötig. Solidarität in einer nicht nur pluralen

Gesellschaft sondern auch Welt ist im Plural zu denken. Es ist wohl eher an ein Netz von

Solidaritäten zu denken, dass die Welt umspannen kann und so Zusammenhalt stiftet, als auch

der Suche nach der einen Solidarität zu verzweifeln und zu scheitern.

Ich komme zum Schluss

Der salvadorianische Philosoph, Theologe und Märtyrer Ignacio Ellacuria hat einmal gesagt.

“En tiempos como estos no hay cosa más práctica que la teología” (Homepage UCA) – In Zeiten

wie diesen gibt es nichts, das praxisbezogener – oder praxisrelevanter – wäre als die

Theologie. Die Theologie muss sich dieser Zeiten annehmen, sie muss sie sehen und ernst

44 Das kann bezogen auf die Frage nach der Gültigkeit der Ordnung folgenreich sein. Dussels Forderungen nach einer notwendigen

Veränderungen bestehender Ordnungen sind daher sehr weitreichend, um nicht zu sagen: revolutionär. Vgl. Dussel, 2016, 192 ff.

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nehmen. Und die Theologie ist relevant für die Analyse und für die Bewältigung dieser Zeit,

denn sie bietet eine besondere Perspektive an – des Sinns, des Verstehens und des Handelns.

Ohne überheblich zu werden (und die Fraglichkeit des eigenen Standortes zu ignorieren),

sollten wir die Kritik freimütiger äußern als etwa Foucault das konnte. Wir sollten das können,

wenn es stimmt, dass das Gottesverhältnis nicht in die sklavische Angst führt, sondern ein

freimütiges, ein furchtloses Vertrauen begründet. Als Christinnen und Christen haben wir eine

besondere Verantwortung, die Wahrheit zu suchen und die Würde und Rechte der Menschen

zu schützen. Für die Sozialethik dieser Zeit ist es Programm, diese Prozesse, wo sie in der

Gesellschaft stattfinden, zu begleiten und zu reflektieren, sich einzumischen und gute Gründe

zu suchen für ein verantwortliches Handeln.

Literatur

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