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DOI: 10.1002/ckon.201410222 „Kɒnstliches Blut“ – Synthese eines magnetisch und farblich schaltbaren Eisen- Komplexes Julian Rudnik,* [a] Holger Naggert,* [b] Stefan Schwarzer,* [a] Felix Tuczek* [b] und Ilka Parchmann* [a] Stichworte: Chemische Schalter · Koordinationschemie · Komplexverbindung · Paramagnetismus · Spin-Crossover 1. Einleitung Farbigkeit und Magnetismus sind faszinierende PhȨnomene. Viele chemische Reaktionen laufen unter FarbverȨnderungen ab und zeigen damit die Umsetzung der Ausgangsstoffe auf. Schulisch bekannte Beispiele sind Redox- sowie Komplexbil- dungsreaktionen. ErklȨrt wird die Farbigkeit ɒber den Prozess der Absorption von Licht einer bestimmten WellenlȨnge und der Anregung von Elektronen, in der Sekundarstufe II ggf. unter Aufzeigen der Besetzung von energetisch hçherliegen- den Orbitalen. WȨhrend Farbigkeit in der Schule zumindest phȨnomenologisch in allen BundeslȨndern betrachtet wird, bleibt die chemische Deutung von Magnetismus eher der Uni- versitȨt vorbehalten. Magnetismus tritt auf, wenn ungepaarte Elektronen vorliegen. Bekannte Versuche thematisieren an- schaulich das PhȨnomen, etwa ɒber das Verhalten von flɒssi- gem Sauerstoff [1] oder sauerstoffreichen Verbindungen wie KO 2 [2] im Magnetfeld. Interessant erscheint in diesem Zu- sammenhang die weiterfɒhrende Untersuchung magnetischer Eigenschaften von Ƞbergangsmetallverbindungen, z.B. Eisen- Komplexen [3,4]. Einer der bekanntesten Metallkomplexe dieser Art ist das HȨmoglobin, welches fɒr die rote Farbe des Blutes verantwortlich ist und auf einen Stimulus hin nicht nur seinen magnetischen Zustand, sondern ebenfalls seine typi- sche Farbe von dunklem Purpurrot zu leuchtend hellem Rot verȨndert [5]. Letztendlich lassen sich diese verȨnderbaren Ei- genschaften nur anhand der elektronischen Struktur der Mole- kɒle und ihrer Elektronenkonfiguration erklȨren. In diesem Artikel wird die Synthese einer farbigen Eisen(II)-Koordinati- onsverbindung als „kɒnstliches Blut“ vorgestellt. Die parallele Untersuchung von Farb- und Magnetismus-PhȨ- nomenen sowie deren ErklȨrung mit Hilfe unterschiedlicher Modelle stellt unseres Erachtens ein vielversprechendes Thema dar, um Schɒlerinnen und Schɒlern einen Ausblick auf ein universitȨres Fachstudium zu geben. Einen Teil der PhȨno- mene kçnnen sie bereits mit Hilfe schulischer Modelle erklȨ- ren, fɒr andere sind jedoch weiterfɒhrende Modelle notwen- dig. Diese wɒrden sie an der UniversitȨt vertiefen und ausbau- en, ein entsprechendes Motivationspotenzial soll durch die ex- perimentellen Untersuchungen sowie die damit verbundenen PhȨnomene geweckt werden. Analog kann das Thema auch in universitȨren Vorkursen oder Tutorien in der Studienein- gangsphase eingesetzt werden, wiederum verbunden mit der Zielsetzung, an schulisches Wissen anzuknɒpfen, dieses zu ak- tivieren, aber auch weiterfɒhrende Perspektiven aufzuzeigen. 2. Aktuelle Fachforschung didaktisch rekonstruiert: Untersuchung von Eisen(II)- Komplexen als molekulare Schalter In den folgenden Synthese- und Schauexperimenten werden die PhȨnomene Farbigkeit und Magnetismus an einem thermo- chromen Spin-Crossover (SCO) Eisen-Komplex erlȨutert, dabei wird ein Einblick in aktuelle Forschungsfelder des Kieler Sonderforschungsbereiches 677 „Funktion durch Schal- ten“ gegeben. An der Christian-Albrechts-UniversitȨt zu Kiel forschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an einer Vielzahl von chemischen Schaltern, die in nanodimensionierte Umgebungen eingebettet sind. Dabei werden auch magne- tisch-bistabile Systeme in Lçsung und in Form von Filmen auf OberflȨchen untersucht. In Lçsung wird die Anwendung als Kontrastmittel fɒr die Kernspintomographie (MRT) verfolgt und in dɒnnen Filmen (Monolagen) kçnnen adressierbare Einheiten fɒr die Datenspeicherung beschrieben und ausgele- sen werden [6]. Verschiedene Experimente zu molekularen Schaltern wurden bereits von Tausch und Krees beschrieben [z.B. 7], weitere zu Nanostrukturen und Schaltern werden im Schɒlerlabor Klick! [8] am IPN in Kiel und in der Schule ein- gesetzt. Einen Einblick in die Forschung des SFB 677 und ein weiteres Beispiel fɒr schaltbare Molekɒle gibt zudem der Podcast „Molekɒle als Nanomaschinen?“ [8a]. Fɒr die Erweiterung des bisherigen Programms im Klick! im Sinne der oben genannten didaktischen Zielsetzung wurden drei Experimente entwickelt, die sowohl die Synthese einer Eisen-Koordinationsverbindung als auch die Eigenschaften des synthetisierten Schalters erarbeiten. Auch die Darstel- lungsweisen und Bezeichnungen (z.B. in Abb. 2 und 4) folgen der in der Fachchemie ɒblichen Konvention und bieten damit ebenfalls Einblicke in universitȨre Denk- und Arbeitsweisen. Das erste Experiment befasst sich mit der Synthese der Eisen- Koordinationsverbindung im Schɒlerlabor und bietet Einbli- cke in Bedingungen und Umsetzungen chemischer Synthesen. [a] J. Rudnik, Dr. S. Schwarzer, Prof. Dr. I. Parchmann Leibniz-Institut fɒr die PȨdagogik der Naturwissenschaften und Mathematik Olshausenstr. 62 24118 Kiel * E-Mail: [email protected] [email protected] [email protected] [b] H. Naggert, Prof. Dr. F. Tuczek Christian-Albrechts-UniversitȨt zu Kiel (CAU) Institut fɒr Anorganische Chemie Max-Eyth-Str. 2 24118 Kiel * E-Mail: [email protected] [email protected] CHEMKON 2014, 21, Nr. 2, 85 – 88 # 2014 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim 85 DAS EXPERIMENT

„Künstliches Blut“ - Synthese eines magnetisch und farblich schaltbaren Eisen-Komplexes

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DOI: 10.1002/ckon.201410222

„K�nstliches Blut“ – Synthese einesmagnetisch und farblich schaltbaren Eisen-KomplexesJulian Rudnik,*[a] Holger Naggert,*[b] Stefan Schwarzer,*[a] Felix Tuczek*[b] undIlka Parchmann*[a]

Stichworte: Chemische Schalter · Koordinationschemie ·Komplexverbindung · Paramagnetismus · Spin-Crossover

1. Einleitung

Farbigkeit und Magnetismus sind faszinierende Ph�nomene.Viele chemische Reaktionen laufen unter Farbver�nderungenab und zeigen damit die Umsetzung der Ausgangsstoffe auf.Schulisch bekannte Beispiele sind Redox- sowie Komplexbil-dungsreaktionen. Erkl�rt wird die Farbigkeit �ber den Prozessder Absorption von Licht einer bestimmten Wellenl�nge undder Anregung von Elektronen, in der Sekundarstufe II ggf.unter Aufzeigen der Besetzung von energetisch hçherliegen-den Orbitalen. W�hrend Farbigkeit in der Schule zumindestph�nomenologisch in allen Bundesl�ndern betrachtet wird,bleibt die chemische Deutung von Magnetismus eher der Uni-versit�t vorbehalten. Magnetismus tritt auf, wenn ungepaarteElektronen vorliegen. Bekannte Versuche thematisieren an-schaulich das Ph�nomen, etwa �ber das Verhalten von fl�ssi-gem Sauerstoff [1] oder sauerstoffreichen Verbindungen wieKO2 [2] im Magnetfeld. Interessant erscheint in diesem Zu-sammenhang die weiterf�hrende Untersuchung magnetischerEigenschaften von �bergangsmetallverbindungen, z.B. Eisen-Komplexen [3,4]. Einer der bekanntesten Metallkomplexedieser Art ist das H�moglobin, welches f�r die rote Farbe desBlutes verantwortlich ist und auf einen Stimulus hin nicht nurseinen magnetischen Zustand, sondern ebenfalls seine typi-sche Farbe von dunklem Purpurrot zu leuchtend hellem Rotver�ndert [5]. Letztendlich lassen sich diese ver�nderbaren Ei-genschaften nur anhand der elektronischen Struktur der Mole-k�le und ihrer Elektronenkonfiguration erkl�ren. In diesemArtikel wird die Synthese einer farbigen Eisen(II)-Koordinati-onsverbindung als „k�nstliches Blut“ vorgestellt.Die parallele Untersuchung von Farb- und Magnetismus-Ph�-nomenen sowie deren Erkl�rung mit Hilfe unterschiedlicherModelle stellt unseres Erachtens ein vielversprechendesThema dar, um Sch�lerinnen und Sch�lern einen Ausblick auf

ein universit�res Fachstudium zu geben. Einen Teil der Ph�no-mene kçnnen sie bereits mit Hilfe schulischer Modelle erkl�-ren, f�r andere sind jedoch weiterf�hrende Modelle notwen-dig. Diese w�rden sie an der Universit�t vertiefen und ausbau-en, ein entsprechendes Motivationspotenzial soll durch die ex-perimentellen Untersuchungen sowie die damit verbundenenPh�nomene geweckt werden. Analog kann das Thema auch inuniversit�ren Vorkursen oder Tutorien in der Studienein-gangsphase eingesetzt werden, wiederum verbunden mit derZielsetzung, an schulisches Wissen anzukn�pfen, dieses zu ak-tivieren, aber auch weiterf�hrende Perspektiven aufzuzeigen.

2. Aktuelle Fachforschung didaktischrekonstruiert: Untersuchung von Eisen(II)-Komplexen als molekulare Schalter

In den folgenden Synthese- und Schauexperimenten werdendie Ph�nomene Farbigkeit und Magnetismus an einem thermo-chromen Spin-Crossover (SCO) Eisen-Komplex erl�utert,dabei wird ein Einblick in aktuelle Forschungsfelder desKieler Sonderforschungsbereiches 677 „Funktion durch Schal-ten“ gegeben. An der Christian-Albrechts-Universit�t zu Kielforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an einerVielzahl von chemischen Schaltern, die in nanodimensionierteUmgebungen eingebettet sind. Dabei werden auch magne-tisch-bistabile Systeme in Lçsung und in Form von Filmen aufOberfl�chen untersucht. In Lçsung wird die Anwendung alsKontrastmittel f�r die Kernspintomographie (MRT) verfolgtund in d�nnen Filmen (Monolagen) kçnnen adressierbareEinheiten f�r die Datenspeicherung beschrieben und ausgele-sen werden [6]. Verschiedene Experimente zu molekularenSchaltern wurden bereits von Tausch und Krees beschrieben[z.B. 7], weitere zu Nanostrukturen und Schaltern werden imSch�lerlabor Klick! [8] am IPN in Kiel und in der Schule ein-gesetzt. Einen Einblick in die Forschung des SFB 677 und einweiteres Beispiel f�r schaltbare Molek�le gibt zudem derPodcast „Molek�le als Nanomaschinen?“ [8a].F�r die Erweiterung des bisherigen Programms im Klick! imSinne der oben genannten didaktischen Zielsetzung wurdendrei Experimente entwickelt, die sowohl die Synthese einerEisen-Koordinationsverbindung als auch die Eigenschaftendes synthetisierten Schalters erarbeiten. Auch die Darstel-lungsweisen und Bezeichnungen (z.B. in Abb. 2 und 4) folgender in der Fachchemie �blichen Konvention und bieten damitebenfalls Einblicke in universit�re Denk- und Arbeitsweisen.Das erste Experiment befasst sich mit der Synthese der Eisen-Koordinationsverbindung im Sch�lerlabor und bietet Einbli-cke in Bedingungen und Umsetzungen chemischer Synthesen.

[a] J. Rudnik, Dr. S. Schwarzer, Prof. Dr. I. ParchmannLeibniz-Institut f�r die P�dagogik der Naturwissenschaften undMathematikOlshausenstr. 6224118 Kiel* E-Mail: [email protected]

[email protected]@ipn.uni-kiel.de

[b] H. Naggert, Prof. Dr. F. TuczekChristian-Albrechts-Universit�t zu Kiel (CAU)Institut f�r Anorganische ChemieMax-Eyth-Str. 224118 Kiel* E-Mail: [email protected]

[email protected]

CHEMKON 2014, 21, Nr. 2, 85 – 88 � 2014 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim 85

DAS EXPERIMENT

Die in der Fachliteratur bekannte Synthese nach Real et al. [9]wurde durch Substitution des toxikologischen Methanols (Ent-z�ndlich, Giftig und Gesundheitsgef�hrdend) und 1,10-Phen-anthrolin (Giftig und Umweltgef�hrlich) durch 4-Methyl-1,10-phenanthrolin (4-Me-Phen) und tert-Butylmethylether(MTBE; Entz�ndlich, Gefahr) als Lçsungsmittel hinsichtlicheiner Ersatzstoffpr�fung optimiert und erçffnet damit eine al-ternative Syntheseroute. Die darauf aufbauenden Experimen-te sind aufgrund des bençtigten fl�ssigen Stickstoffs grçßten-teils Sch�lerlaboren, Sch�lerpraktika oder Sch�ler-Wettbewer-ben vorbehalten. Die Koordinationsverbindung und alle benç-tigten Verbrauchsmaterialien kçnnen dagegen zum Selbstkos-tenpreis beim Erstautor bezogen werden. Eine ausf�hrlicheVersuchsanleitung mit Aufgabenvorschl�gen steht als Online-Erg�nzung als Download zur Verf�gung.Die folgenden Experimente sind in einem Lehrvideo mit demTitel „K�nstliches Blut“ zusammengefasst und �ber den QR-Code in Abb. 1 zug�nglich [10].

3. Experimente

Versuch 1: Synthese der Eisen-Koordinationsverbindung

Ger�te und Chemikalien: Einmalspritzen (5 mL), lange Kan�-len (70 mm), Vakuum-Membranpumpe oder Wasserstrahl-pumpe, Vakuumschlauch, Trichter, Becherglas, Filterpapier, 4Rollrandgl�ser bereits mit den Edukten unter Schutzgas be-f�llt (zum Selbstkostenpreis beim Erstautor zu beziehen)(Tab. 1).

Versuchsdurchf�hrung und Beobachtung: Zun�chst werdendie unter Schutzgas in den Rollrandgl�sern gelagerten Aus-gangsstoffe 1 und 3 (Abb. 2,a) in jeweils 5 mL, das Borat 2 in10 mL absolutem MTBE gelçst. Zu beachten ist, dass mit denSpritzen die entsprechenden Volumina Schutzgas umgespritztwerden m�ssen, um einen Druckausgleich zu gew�hrleisten.Dazu werden eine mit 5 mL MTBE gef�llte Spritze sowie eineleere Spritze aufgesetzt (Abb. 2,b). Die Lçsung des Borates 2wird zur Eisen-Lçsung 1 im Rollrandglas hinzugetropft. Diedaraus hervorgehende gelbliche Lçsung der oxidationsemp-findlichen, tetraedrischen Eisenvorstufe Fe[(H2B(pz)2)2] 4wird in eine leere Spritze aufgezogen und zu der Lçsung desPhenanthrolins 3 gegeben (vgl. Abb. 2,c). Die Bildung der ok-taedrischen Zielverbindung Fe[(H2B(pz)2)2(4-Me-Phen)] 5deutet sich durch die rot-violette F�rbung der Lçsung an (vgl.Abb. 2,d). Der ausgefallene Feststoff kann �ber einen Trichterabfiltriert oder durch Einengen des Lçsungsmittels miteiner Vakuum-Membranpumpe/Wasserstrahlpumpe gewon-nen werden. Das „k�nstliche Blut“ wird als rot-violetter, luft-stabiler Feststoff erhalten.Auswertung und Deutung: Im Syntheseabschnitt wird ein Ei-sen(II)-Komplex mit den bidentaten Liganden Kalium-dihydrobispyrazolylborat K[H2B(pz)2] und 4-Methyl-1,10-phenanthrolin hergestellt, das unter Temperaturver�nderungein magnetisch bistabiles System darstellt. Zun�chst wirdim 1. Reaktionsschritt die tetraedrische ZwischenstufeFe(H2B(pz)2)2 unter Bildung von Kaliumperchlorat ausEisen(II)-perchlorat und K[H2B(pz)2] erhalten (Abb. 3). An-schließend wird im 2. Reaktionsschritt der Eisen(II)-dihy-drobispyrazolylborat-Komplex Fe[H2B(pz)2]2 mit dem4-Me-Phen zum Eisen(II)-Komplex Fe[(H2B(pz)2)2(4-Me-Phen)] umgesetzt, welcher eine rot-violette Farbe aufweist undim Sinne der Koordinationschemie f�r das Zentral-Ion Eisendie bevorzugte oktaedrische Koordination besitzt (vgl. Abb. 3).

Abb. 1: Durch Abk�hlung mit fl�ssigem Stickstoff induzierter Spin-�bergang zwischen High- und Low-Spin eines Eisen(II)-Komplexes(links). �ber QR-Code beziehbares Video zum Spin-Crossover Schau-experiment (rechts) [10].

Tab. 1: Ausgangsstoffe mit Summenformeln bzw. Abk�rzungen, Mengen und Gefahrstoffkennzeichungen

1 Eisen(II)-perchlorat-Hydrat Fe(ClO4)2 · x H2O (s) 23,2 mg Brandfçrdernd, Gefahr2 Kaliumdihydrobispyrazolylborat K[H2B(pz)2] (s) 24,8 mg Entz�ndlich, Achtung3 4-Methyl-1,10-phenanthrolin 4-Me-Phen (s) 12,9 mg Entz�ndlich, Achtung

tert-Butylmethylether MTBE (tBuOCH3) (l) 20 mL Gefahr

Abb. 2: Synthese des Komplexes aus drei Edukten unterSchutzgas

Abb. 3: Synthese zum SCO-Komplex Fe[(H2B(pz)2)2(4-Me-Phen)]

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DAS EXPERIMENT Rudnik, Naggert, Schwarzer, Tuczek, Parchmann

Versuch 2: Temperaturabh�ngige Ver�nderung derFarbigkeit

Ger�te und Chemikalien: Dewar-Gef�ß, Tiegelzange, fl�ssigerStickstoff, Produkt aus Vers. 1: Fe[(H2B(pz)2)2(4-Me-Phen)].Versuchsdurchf�hrung und Beobachtung: Der hergestellteFeststoff wird im Rollrandglas belassen und mit einer Tiegel-zange direkt in fl�ssigen Stickstoff getaucht (Abb. 4). BeimAbk�hlen des rot-violetten Feststoffes wird eine Farb�nde-rung zu violett beobachtet. Beim Aufw�rmen �ndert sich dieFarbe zu rot-violett. Dieser Farbwechsel kann mehrmalsdurchgef�hrt werden und ist vollst�ndig reversibel.Auswertung und Deutung: Beim Abk�hlen der Substanz mitfl�ssigem Stickstoff �ndert sich die Besetzung der Niveaus inden d-Orbitalen, was als thermischer Spin�bergang (engl.Spin-Crossover) bezeichnet wird und unmittelbaren Einflussauf die Farbigkeit sowie das magnetische Verhalten des Kom-plexes hat (s. Abb. 4). Bei Raumtemperatur liegt der Komplexin der Farbe rot-violett und im paramagnetischen High-Spin(HS) Zustand vor. Unterhalb von �108 8C (165 K) wird derEisen-Komplex violett und liegt im diamagnetischen Low-Spin (LS) Zustand vor. Aus Abb. 4 wird ersichtlich, dass sichim LS-Zustand alle d-Elektronen unter Spinpaarung in dent2g-Orbitalen befinden. Die Beobachtung der Farb�nderungberuht darauf, dass im LS-Zustand die Fe-N-Abst�nde im Ver-gleich zum HS-Zustand um 0,2 ·10�10 m verk�rzt sind und eineErhçhung der Ligandenfeldst�rke bewirken, was in Analogiezum bereits erw�hnten H�moglobin (s. Einleitung) steht, woebenfalls eine entsprechende Bindungsl�ngenverk�rzung [5]beobachtet werden kann. Oberhalb von �1088C werden dieeg-Orbitale besetzt, die Bindungsabst�nde vergrçßern sich unddas Molek�l wird paramagnetisch.

Versuch 3: Temperaturabh�ngige Ver�nderung derFarbigkeit und des Magnetismus

Ger�te und Chemikalien: Neodym-Magnet, z.B. aus einerComputerfestplatte, N�hgarn, Trinkhalm, Feuerzeug, Stativ,Stativmuffe, Stativklemme, Pinzette, Spatel, Dewar-Gef�ß,fl�ssiger Stickstoff, Produkt aus Vers. 1: Fe[(H2B(pz)2)2(4-Me-Phen)].Versuchsdurchf�hrung und Beobachtung: Der Feststoff wirdmittels eines Spatels aus dem Rollrandglas entnommen und ineinen transparenten Trinkhalm gef�llt, der zuvor mit einemFeuerzeug am unteren Ende abgeschmolzen wurde. Nach demBef�llen, wobei eine dichte Packung des Feststoffes in deretwa 1 cm langen Kapsel erhalten werden soll, wird der Stroh-halm am oberen Ende – unter Einbindung eines St�cks N�h-garn als Halterung – abgeschmolzen. Das Ende des N�hgarn-fadens wird am Stativ befestigt und die Kapsel in einem gerin-gen Abstand zum Neodym-Magneten aufgeh�ngt. Die Kapselwird bei Raumtemperatur vom Magneten angezogen undhaftet an dessen Oberfl�che. Wird die Kapsel in fl�ssigemStickstoff abgek�hlt, tritt die bereits unter Versuch 2 erw�hnteErhçhung der Ligandenfeldst�rke mit einer Farb�nderung ein.Anschließend wird die tiefgek�hlte Kapsel direkt vor den Ma-gneten geh�ngt. Sie wird zun�chst vom Magneten abgestoßen.

Unter Aufw�rmung tritt der Farbwechsel zu rot-violett einund die Kapsel wird wieder vom Magneten angezogen.Ergebnis und Deutung: Wie bereits in Versuch 2 diskutiert,tritt unterhalb von �1088C Diamagnetismus ein, welcherdeutlich sichtbar wird, da in einem homogenen Magnetfelddiamagnetische Substanzen herausgedr�ckt werden: DieKapsel wird vom Neodym-Magneten abgestoßen. Anschlie-ßend wird die Kapsel unter Erw�rmung wieder vom Magnetenangezogen und die rot-violette F�rbung f�r den paramagneti-schen Zustand tritt auf.

4. Fazit und AusblickDie Farbigkeit sowie der Magnetismus von Komplexverbin-dungen resultieren aus Struktur-Eigenschaftsbeziehungen.Diese kçnnen zum Teil auf Basis schulischer Modelle erkl�rtwerden, zeigen aber auch das weiterf�hrende Erkl�rungspo-tenzial eines Studiums auf. Beide Ph�nomene, die beim Spin-Crossover auftreten, werden durch die elektronische Strukturgedeutet. Damit soll die Notwendigkeit einer tiefergehendenBetrachtung von solchen Strukturen mit Hilfe der beeindru-ckenden Ph�nomene motiviert werden. Schlussendlich l�sstsich mit der untersuchten Substanz ein molekularer, reversi-bler Schalter veranschaulichen, der auf Inhalte der aktuellenForschung an deutschen Hochschulen (Kiel, Bayreuth, Berlin,Mainz, Erlangen uvm.) verweist. Der Transfer von aktuellerForschung in den Schulunterricht kann mit diesem Beispiel ge-zeigt werden.

DankDie Autoren danken Gerda Ledwig f�r die Unterst�tzung beiden experimentellen Arbeiten, Henning Broda f�r die 3D-Mo-dellierung der Koordinationsverbindung in der Videoanimati-on und der DFG f�r die finanzielle Unterst�tzung im Rahmendes Teilprojektes �ffentlichkeitsarbeit des Sonderforschungs-bereichs 677.

Zus�tzliche InformationEine Online-Erg�nzung ist verf�gbar, die �ber den Hinter-grund der Experimente berichtet sowie Arbeitsvorschl�ge f�rdie Sch�lerinnen und Sch�ler aufzeigt.

Literatur

[1] Adelhelm, M., Habekost, A. (2008). Magnetische und optische Ei-genschaften von Sauerstoff. Chem. Unserer Zeit 42, 200–210.

[2] Kunze, N., Oetken, M. (2009). „KO2 can do“ – ein einfaches Expe-riment zur Demonstration des Ph�nomens des Paramagnetismus.CHEMKON 16/4, 202–203.

[3] Valle, A., Train, C., Roux, C. (2013). Synthesis and Properties ofa Thermochromic Spin Crossover FeII Complex: An Under-graduate Coordination Chemistry Laboratory Experiment. J.Chem. Educ. 90/8, 1071–1076; DOI: 10.1021/ed4000487.

Abb. 4: Temperaturinduzierter Spin-�bergang zwischen High- und Low-Spin (links) und Elektronenkonfigu-ration beim Spin�bergang im Ei-sen(II)-Komplex (rechts)

CHEMKON 2014, 21, Nr. 2, 85 – 88 � 2014 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.chemkon.wiley-vch.de 87

K�nstliches Blut CHEMKON

[4] Hoffmann, C., Mika, S., Herbst-Irmer, R., Irmer, E., Waitz, T.(2012). Echt anziehend – Untersuchung des magnetischen Verhal-tens von Komplexverbindungen. PdN-ChiS 61/6, 31–35.

[5] Bodenthin, Y., Kurth, D. G., Schwarz, G., (2008). Spin-�berg�ngein supramolekularen Strukturen. Chem. Unserer Zeit 42, 256–263.

[6] Naggert, H., Bannwarth, A., Chemnitz, S., van Hofe, T., Quandt,E., Tuczek, F. (2011). First observation of light-induced spinchange in vacuum deposited thin films of iron spin crossover com-plexes. Dalton Trans. 40, 6364.Gopakumar, T. G., Matino, F., Naggert, H., Bannwarth, A.,Tuczek, F., Berndt, R. (2012). Elektroneninduzierter Spin-Cross-over von Einzelmolek�len in einer Doppellage auf Gold. Angew.Chem. 124/25, 6367–6371.

[7] Tausch, M. W., Spinnen, S., Essers, M., Krees, S. (2014). Die Um-gebung macht�s – Lichtabsorption und -emission in Lçsung und inFeststoffmatrix. PdN-ChiS, 63/2, 36.

[8] Schwarzer, S., Rudnik, J., Parchmann, I. (2013). Chemische Schal-ter als potenzielle Lernschalter. CHEMKON 20/4, 175–181.a)https://vimeo.com/87175015 (letzter Zugriff am 24.03.2014).

[9] Real, J. A., Munoz, M. C., Faus, J., Solans, X. (1997). Inorg. Chem.36, 3008–3013.

[10] http://vimeo.com/77133485 (letzter Zugriff am 24.03.2014).

Eingegangen am 16. August 2013Angenommen am 18. Februar 2014Online verçffentlicht am 17. April 2014

[8a]

88 � 2014 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim CHEMKON 2014, 21, Nr. 2, 85 – 88

DAS EXPERIMENT Rudnik, Naggert, Schwarzer, Tuczek, Parchmann