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44 archithese 6.2007 KUNST FÜR KONSUM Architektur im Dienst des Shoppings in Tokio Um im Zentrum von Tokio aufzufallen, muss man architektonisch etwas bieten. An der Omotesando-Strasse, einer bevorzugten Einkaufsgegend für luxuriöse Mode, gibt es auffällig viele Werke internationaler Architekturstars. Vielen der zum Teil exzentrischen Bauten ist indes eine Baukultur des Zeigens und Verhüllens gemeinsam, welche die Exklusivität der angebotenen Ware subtil zum Ausdruck bringt – und trotz aller Modernität an die traditionelle japanische Architektur anknüpft. 1 2

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44 archithese 6.2007

KUNST FÜR KONSUMArchitektur im Dienst des Shoppings in Tokio Um im Zentrum von Tokio aufzufallen, muss man architektonisch etwas

bieten. An der Omotesando-Strasse, einer bevorzugten Einkaufsgegend für luxuriöse Mode, gibt es auffällig viele Werke

internationaler Architekturstars. Vielen der zum Teil exzentrischen Bauten ist indes eine Baukultur des Zeigens und Verhüllens

gemeinsam, welche die Exklusivität der angebotenen Ware subtil zum Ausdruck bringt – und trotz aller Modernität an die

traditionelle japanische Architektur anknüpft.

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Text: Simone Korein

Der Omotesando im vornehmen Aoyama-Viertel ist eine von

Tokios berühmtesten Strassen. In den Zwanzigerjahren des

letzten Jahrhunderts als Verbindungsachse zum Meiji-

Schrein angelegt, ist er nach dem Muster der Pariser Champs-

Elysées als repräsentative Allee ausgebildet und lädt – im

Unterschied zu den meisten japanischen Strassen – zum Fla-

nieren ein. Die Ähnlichkeit zum prestigeträchtigen Vorbild

wird dadurch verstärkt, dass der Omotesando und die umge-

benden Strassen sich in den letzten Jahren als exklusive Ein-

kaufsgegend etabliert haben. Waren die Niederlassungen

internationaler Mode- und Kosmetiklabels lange Zeit vor al-

lem in der Ginza, dem noblen Viertel in der Nähe des Kaiser-

palastes, zu finden, weist mittlerweile auch der Omotesando

eine beeindruckende Liste von Luxusboutiquen auf. Die

Initialzündung kam von Yoshi Yamamoto und Issey Miyake,

die das Quartier als Standort für ihre Shops wählten. 1994

folgte Calvin Klein, der hier als erster ausländischer Designer

sein weltweit erstes Exklusiv-Geschäft eröffnete. Christian

Dior, Paul Smith, Louis Vuitton, Donna Karan, Cartier, Tod’s

und Prada zogen nach, ebenso wie weitere japanische Labels

wie Comme des Garçons. Heute gibt es kaum eine interna-

tionale Luxusmarke, die nicht mit einem Shop am oder um

den Omotesando vertreten wäre.

Grosse Namen für grosse Marken

In einem Punkt allerdings unterscheidet sich die von Zelko-

ven gesäumte Allee von vergleichbaren Prachtstrassen. Wäh-

rend in europäischen Städten grosse Marken meist in den his-

torischen Stadtzentren – an ehrwürdiger Adresse und oft in

Baudenkmälern – zu finden sind, handelt es sich bei den To-

kioter Flagship-Stores in der Regel um Neubauten. Gerade in

der Ginza oder am Omotesando zeichnen sich viele dieser

Konsumpaläste trotz astronomischer Bodenpreise durch in-

novative Architektur aus. Selbst auf Tradition bedachte La-

bels wie Louis Vuitton wagen hier gestalterische Experi-

mente. Diese ungewohnte Aufgeschlossenheit hat zum einen

mit der Bedeutung des japanischen Marktes für die Mode-

und Kosmetikindustrie zu tun; Louis Vuitton etwa erwirt-

schaftet die Hälfte seines gesamten Umsatzes in Japan. Zum

anderen scheint die markenbewusste Kundschaft spektaku-

läre Bauten zu schätzen, die ebenso exklusiv und luxuriös

sind wie die darin angebotene Mode.

Eine weitere Besonderheit ist, dass auffällig viele Shops

von namhaften Architekturbüros entworfen werden. In der

Ginza beispielsweise haben SANAA für Opaque (1998), Ri-

cardo Bofill für Shiseido (2000) und Dior (2004), Renzo Piano

für Hermès (2002) und Toyo Ito für Mikimoto (2005) gebaut;

neuste Highlights sind das im November 2006 eröffnete

Gucci-Gebäude von James Carpenter und Shozo Toyohisa,

dessen Fassade nachts in wechselnden Mustern leuchtet,

oder das vor wenigen Wochen eingeweihte Nicolas G. Hayek

Center von Shigeru Ban. Am und um den Omotesando ist die

Dichte von architektonischen Preziosen womöglich noch hö-

her. Praktisch die ganze internationale Architekturelite ist

hier mit Werken vertreten; seit Kenzo Tanges Hanae Mori

1 Strassenansicht:Links ist Omote-sando Hills von Tadao Ando, rechtsdas Dior-Gebäudevon Sanaa zu sehen (Fotos 1, 3–7, 9–11:Simone Korein)

2 Labels am und um den Omote-sando(Grafik:www.superfuture.com)

3 Future Systems:Boutique Commedes Garçons, 1999

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Building von 1979 kommt laufend die eine oder andere At-

traktion hinzu. Am Omotesando wird die in der Modebranche

an sich nicht neue Erkenntnis, dass der Name internationaler

Architekturstars das eigene Markenprofil stärken kann, mit

restloser Konsequenz umgesetzt. Umgekehrt profitieren auch

die Entwerfer vom Prestige ihrer Auftraggeber. Besonders

augenfällig wird diese Symbiose beim 2003 fertiggestellten

Prada-Gebäude von Herzog & de Meuron, wo der Name des

Modehauses und jener der Architekten als doppelter Brand

auf der Fassade zu lesen sind (vgl. archithese 6.2003). Aber

auch vom gestalterischen Standpunkt aus hat die Aufgabe, in

dieser erlauchten Nachbarschaft zu bauen, ihren Reiz: Um

sich mit möglichst luxuriösen Shops zu positionieren, ge-

währen die Labels den Architekten eine ebenso luxuriöse ge-

stalterische Freiheit – zumindest, was die Fassadengestal-

tung anbelangt.

Variation traditioneller Gestaltungsthemen

Die Gebäudehüllen machen denn auch die Besonderheit der

meisten Flagship-Stores am Omotesando aus. Im Gegensatz

zu den Innenräumen, die vor allem bei internationalen Mar-

ken von deprimierender Banalität sind, bietet die Fassade

fast unbegrenzte gestalterische Möglichkeiten. Dennoch fällt

auf, dass viele Neubauten trotz aller Vielfalt auch Gemein-

samkeiten aufweisen. Eine davon ist die extrem hohe hand-

werkliche Qualität, die oft dank modernster technischer Hilfs-

mittel erreicht wird. Eine andere ist die Beschäftigung mit

Gestaltungsthemen, die der traditionellen japanischen Ar-

chitektur entlehnt sind und als solche vom Publikum offen-

sichtlich auch verstanden und geschätzt werden: Transpa-

renz und Transluzenz, Schichtung und Schatten, direktes und

diffuses Licht. Die immer neue Variation dieser Themen ver-

bindet die ansonsten sehr unterschiedlichen Bauten, deren

individueller Reiz dadurch noch zunimmt. Die Baukünstler

übertreffen sich gegenseitig mit subtilen Fassadenspielen

wie Intellektuelle mit geistreichen Bonmots – zur Freude des

aufmerksamen Publikums.

Ein Beispiel für diese formale Überfeinerung ist die 1999

eröffnete Boutique von Future Systems für Comme des Gar-

çons. Als eine der ersten markiert sie die Trendwende vom

Minimalismus, wie ihn John Pawson und Claudio Silvestrin in

den Neunzigerjahren mit ihren Interieurs definiert hatten,

und umgibt sich mit einer blau gepixelten, schrägen und ge-

wellten Glasfassade, die je nach Distanz und Lichtverhält-

nissen mehr oder weniger transparent wirkt. Der von Jun

Aoki entworfene Flagship-Store für Louis Vuitton (2002) evo-

ziert das Bild aufeinander gestapelter Truhen, in die man

durch feine Metallgewebe Einblicke erhaschen kann. Ein

Jahr später entstand das opake, milchig schimmernde Dior-

Gebäude von Sanaa: Hinter der transparenten Glasfassade

liegt eine Schicht von gewellten, weiss bedruckten Acryl-

platten, die wie stilisierte Vorhänge wirken. Das fast zeit-

gleich eröffnete Geschäftshaus One Omotesando von Kengo

Kuma, das diverse grosse Marken beherbergt, verbirgt sich

hinter einem schlichten, beim Vorbeigehen leicht flimmern-

den Schleier aus dunklen Holzlatten. Das Prada-Gebäude von

4 Jun Aoki: Flag-ship-Store LouisVuitton, 2002

5 Kengo Kuma:Geschäftshaus OneOmotesando, 2003

6 Herzog & deMeuron: PradaAoyama, 2003

7 SANAA: Flag-ship-Store Dior,2003

8 Toyo Ito & Associates: Flag-ship-Store Tod’s,2004(Foto: Nakasaka &Partners Inc.)

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Herzog & de Meuron spielt mit den optischen Eigenschaften

rhombenförmiger, konkaver und konvexer Gläser – wobei

dieser Bau einer der wenigen ist, deren Qualität sich nicht auf

die Fassade beschränkt, sondern in der Einheit von Tragkon-

struktion, Raumstruktur und Hülle ihren Höhepunkt findet.

Auch das 2004 vollendete Tod’s-Gebäude von Toyo Ito spielt

mit Ein- und Aussichten. Das Fassadenmuster, das sich rund

um das Gebäude zieht, ist ein abstrahiertes Schattenbild der

Bäume am Strassenrand. Die Analogie ist nicht nur eine for-

male: Die Betonstämme und -äste sind statisch wirksam, die

tragende Fassade ermöglicht stützenfreie Innenräume. Die

Bereiche zwischen den sich kreuzenden Ästen sind mit grün-

lichen, aussenbündigen Gläsern ausgefacht und gewähren

stimmungsvolle Einblicke. Das etwas kleinere Cartier-Ge-

bäude (2005) von Jun Mitsui schliesslich operiert mit drei-

eckigen, seitlich beleuchteten weissen Segeln hinter be-

druckten Gläsern.

Shopping statt Wohnen

Jüngster grosser Neubau an der Prachtstrasse ist das 2006 er-

öffnete Einkaufszentrum Omotesando Hills von Tadao Ando.

Bauherr ist der stadtbekannte Bautycoon Minoru Mori, Er-

bauer des gigantischen Ensembles Roppongi Hills, das mit

mehreren Hochhäusern – das höchste heisst Mori-Tower und

enthält unter anderem auch das Mori Art Museum – die Stadt-

silhouette beherrscht; im Gegensatz dazu nimmt sich Omo-

tesando Hills geradezu bescheiden aus. Trotzdem hatte das

Projekt bereits in der Planungsphase zu Kontroversen ge-

führt. Es ersetzt einen Gebäudekomplex, dessen Zerstörung

die Gemüter ungewöhnlich stark zu erregen vermochte – ob-

schon der Umgang mit alter Bausubstanz in Japan, zumal im

Vergleich mit Westeuropa, oft eher unzimperlich anmutet.

Diesmal ging es jedoch um einen wichtigen Bestandteil des

nationalen architektonischen Erbes: Die Donjukai-Aoyama-

Apartments, nach dem grossen Kanto-Erdbeben von 1923 er-

richtet, waren nicht nur Japans erster gemeinschaftlicher Be-

tonwohnbau, sondern auch von hoher architektonischer und

städtebaulicher Qualität. Für Ando stellte sich deshalb die

Frage, wie die Bedeutsamkeit des «significant place of great

memories» den nächsten Generationen vermittelt werden

könnte.

Omotesando Hills fügt sich in die Massstäblichkeit der

Umgebung ein. Der 250 Meter lange Riegel ist mit sechs ober-

irdischen Geschossen etwa gleich hoch wie die Nachbarhäu-

ser; dafür wurde in Kauf genommen, dass mehr als die Hälfte

des Volumens unterirdisch ist und bis zu dreissig Meter

unter Strassenniveau liegt. In den obersten Geschossen sind

Wohnungen untergebracht, und auch die stark von Sichtbe-

ton geprägten Innen- und Aussenfassaden können als An-

spielung auf den Vorgängerbau gelesen werden. All dies

täuscht aber nicht darüber hinweg, dass der Charakter des

Ortes grundlegend verändert wurde. Omotesando Hills ist

eine luxuriöse Shopping-Mall wie viele andere auch. Unge-

wöhnlich ist allenfalls die formale Reduktion der Innen-

räume: Die dreieckige Mall etwa, an deren Basis sich die Roll-

treppen spektakulär in die Höhe türmen, ist so zurückhaltend

materialisiert, dass die farbigen, saisonal wechselnden Licht-

projektionen der Betreiber als echte Bereicherung wahrge-

nommen werden; die leuchtenden Muster tragen viel zum

Reiz der ansonsten eher sterilen Halle bei. Insofern funktio-

niert Omotesando Hills als Shopping-Mall gut, und auch die

Fassade leistet mit ihren Glasbausteinen, die nachts in unter-

schiedlichen Farben sanft leuchten, einen diskreten Beitrag

zu dem allgegenwärtigen Transparenz- und Transluzenz-

spiel. Dennoch fehlt dem Bau die Eleganz der benachbarten

Signature Buildings. Und nicht zuletzt drängt sich der Ver-

dacht auf, dass der Name des Entwerfers in diesem Fall nicht

nur im Rahmen einer Branding-Strategie, sondern auch zur

Legitimation eines umstrittenen Abbruchs instrumentalisiert

worden ist.

Autorin: Simone Korein ist Architektin und lebt in Zürich und Paris.

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9+10 Tadao Ando:Roppongi Hills,2006

11 Jun Mitsui:Cartier Aoyama,2005

12+13 Toyo Ito &Associates + TaiseiDesign PAE:Mikimoto Ginza,2005(Fotos: Toyo Ito &Associates)