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Landtag Enquetekommission Nordrhein-Westfalen EKPr 16/18 16. Wahlperiode 29.04.2016 Enquetekommission VI 14. Sitzung (öffentlicher Teil) 1 29. April 2016 Düsseldorf Haus des Landtags 10:30 Uhr bis 13:30 Uhr Vorsitz: Ralph Bombis (FDP) Protokoll: Ulrike Schmick Verhandlungspunkt: 1 Fachkräftesicherung und Arbeitswelt im Handwerk 4 Anhörung von Sachverständigen (Teilnehmende Sachverständige und Stellungnahmen siehe Anlage.) * * * 1 siehe nichtöffentlicher Teil nöEKPr 16/103 mit den TOPen 2 und 3

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Landtag Enquetekommission Nordrhein-Westfalen EKPr 16/18 16. Wahlperiode 29.04.2016

Enquetekommission VI 14. Sitzung (öffentlicher Teil)1

29. April 2016

Düsseldorf – Haus des Landtags

10:30 Uhr bis 13:30 Uhr

Vorsitz: Ralph Bombis (FDP)

Protokoll: Ulrike Schmick

Verhandlungspunkt:

1 Fachkräftesicherung und Arbeitswelt im Handwerk 4

– Anhörung von Sachverständigen –

(Teilnehmende Sachverständige und Stellungnahmen siehe Anlage.)

* * *

1 siehe nichtöffentlicher Teil nöEKPr 16/103 mit den TOPen 2 und 3

Landtag Nordrhein-Westfalen - 3 - EKPr 16/18

Enquetekommission VI 29.04.2016 14. Sitzung (öffentlicher Teil) schm Vorsitzender Ralph Bombis: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich darf Sie alle ganz herzlich zur 14. Sitzung der Enquetekommission VI zur Zukunft von Handwerk und Mittelstand begrüßen. Vor Ein-tritt in die Tagesordnung darf ich nicht nur Sie als Kommissionsmitglieder, sondern auch die Experten, die uns heute in der Sitzung freundlicherweise zur Verfügung ste-hen, ganz herzlich begrüßen. Schön, dass Sie uns Ihre Stellungnahme zugesandt ha-ben, Sie hier gleich noch Stellung nehmen werden und uns vor allen Dingen – das ist erfahrungsgemäß der Schwerpunkt – noch mit Rede und Antwort zu dem heutigen Thema zur Verfügung stehen werden.

Ich möchte darauf hinweisen, dass sich für die heutige Sitzung Herr Ehlert und Herr Ihm leider entschuldigen mussten und Herr Prof. Woywode krankheitsbedingt fehlt. Das ist sehr schade, aber er wird uns durch die Zusendung seiner Stellungnahme noch die entsprechenden Informationen zukommen lassen. Insofern kompensiert sich das hoffentlich in angemessener Weise.

Ich stelle fest, dass die Tagesordnung zur heutigen Sitzung mit der Einladung 16/1683 Neudruck versandt worden ist und mir Änderungs- und Ergänzungswünsche zur Ta-gesordnung nicht zugegangen sind. Da ich das auch jetzt nicht erkennen kann, gilt die Tagesordnung als festgestellt.

Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich noch darauf hinweisen, dass die Gäste zur Beratung des nichtöffentlichen Teils am heutigen Nachmittag für 14 Uhr eingeladen worden sind. Wir haben jetzt drei Stunden Zeit, uns mit der Thematik „Fachkräftesi-cherung und Arbeitswelt im Handwerk“ auseinanderzusetzen.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich die Gelegenheit nutzen, zwei Punkte noch besonders anzusprechen.

Heute wird die letzte Sitzung von Frau Birgit Müller sein. Frau Müller ist uns als Refe-rentin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wohlbekannt, sowohl hier in der Enquete-kommission als auch in der Zusammenarbeit in der Referenten-Runde, die dem Ver-nehmen nach immer eine äußerst konstruktive und positive Runde gewesen ist. Inso-fern bedauern wir natürlich sehr, dass Sie, Frau Müller, uns verlassen werden. Auf der anderen Seite habe ich ein gewisses Verständnis dafür, weil Sie ab Mai eine neue Aufgabe als stellvertretende Pressesprecherin im Umweltministerium von Nordrhein-Westfalen übernehmen werden. Dazu möchte ich im Namen der gesamten Kommis-sion zunächst einmal ganz herzlich gratulieren.

(Allgemeiner Beifall)

Ich bedanke mich bei Ihnen für die sehr konstruktive, gute, positive und kollegiale Zu-sammenarbeit. Ich übernehme einmal den in der Kommission gefallenen Satz: Ich bin eine Freundin des Handwerks geworden. Ich glaube, das können viele, die es nicht sowieso schon wussten, durch die Arbeit in der Kommission behaupten. Wir wünschen Ihnen für Ihren weiteren Weg alles Gute und freuen uns, Sie in der neuen Rolle hof-fentlich noch möglichst häufig zu treffen.

(Allgemeiner Beifall)

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Enquetekommission VI 29.04.2016 14. Sitzung (öffentlicher Teil) schm Selbstverständlich werden wir Ihnen auch eine Ausfertigung des Abschlussberichts zukommen lassen und hoffen, dass es auch den entsprechenden Eingang in die Arbeit innerhalb des Umweltministeriums finden wird.

Der Vollständigkeit halber darf ich darauf hinweisen, dass Frau Michèle Eichhorn zu-künftig die Arbeit der Fraktion der Grünen und insbesondere Herrn Michael Basten unterstützen wird, der die Rolle von Frau Müller übernimmt. Das will ich insofern beto-nen, weil Herr Basten heute nach einer längeren Zeit wieder bei uns ist. Auch hier ist jetzt offiziell eine Gratulation sehr angebracht. Denn Herr Basten ist vor nicht allzu langer Zeit Vater geworden, weswegen er eine Weile nicht mit dabei war. Wir freuen uns umso mehr, dass Sie jetzt wieder einsteigen. Wir hoffen, dass Sie trotzdem genug Zeit für die notwendigen Pflichten finden, die Sie zu Hause haben. Im Namen der ge-samten Kommission alles erdenklich Gute für Sie und für Ihre Familie.

(Allgemeiner Beifall)

Nach diesem sehr angenehmen Teil kommen wir jetzt zu dem nächsten angenehmen, aber auch informativen Teil und treten nun in die Tagesordnung ein.

Ich rufe auf:

1 Fachkräftesicherung und Arbeitswelt im Handwerk

– Anhörung von Sachverständigen –

(Teilnehmende Sachverständige und Stellungnahmen siehe Anlage.)

Liebe Sachverständige, ich begrüße Sie noch einmal in unserer Runde. Wir haben in der Sitzung vom 4. März 2016 beschlossen, zum Thema Fachkräftesicherung und Ar-beitswelt im Handwerk eine Anhörung durchzuführen. Mit Schreiben vom 14. März 2016 hat die Landtagspräsidentin Sie als Sachverständige zur heutigen Anhörung ein-geladen. Noch einmal herzlichen Dank, dass Sie dieser Einladung nachgekommen sind. Ich möchte noch einmal auf darauf hinweisen, dass Überstücke der eingegange-nen Stellungnahmen ausliegen.

Ich möchte Ihnen der Reihe nach die Möglichkeit geben, ein Eingangsstatement ab-zugeben. Die Erfahrung hat gezeigt, dass es sinnvoll ist, wenn wir versuchen, diese Statements sehr kurz zu halten, damit wir hinterher noch die Möglichkeit haben, in den Austausch zu gehen. Ich werde im Anschluss daran den Kommissionsmitgliedern die Möglichkeit geben, Nachfragen zu stellen. Ich erlaube mir den Hinweis an die Kolle-ginnen und Kollegen, dass ich mich freuen würde, wenn sie sich auf zwei Fragen pro Fragerunde beschränken und den von Ihnen adressierten Experten oder die Expertin nennen würden, damit wir viele Fragen aufnehmen können.

Damit darf ich Ihnen, Herr Dannenbring, als erstem Experten das Wort erteilen. Sie sind Abteilungsleitungsleiter für den Bereich Arbeitsmarkt, Tarifpolitik und Arbeitsrecht im ZDH.

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Enquetekommission VI 29.04.2016 14. Sitzung (öffentlicher Teil) schm

Arbeitsmarkt, Tarifpolitik und Arbeitsrecht Zentralverband des Deutschen Hand-werks): Vielen Dank für die Einladung zu dieser Anhörung, die sich mit einem Thema befasst, das für das Handwerk von zentraler Bedeutung ist. Die Fachkräftesicherung ist für das Handwerk das A und O. Gerade für die personalintensiven Betriebe des Handwerks sind gut qualifizierte Fachkräfte das Rückgrat für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Ich glaube, insofern ist das Handwerk besonders gefordert, sich diesem Thema zu widmen. Denn wir stehen hier vor großen Herausforderungen. Allein schon aufgrund der demografischen Entwicklung nimmt das Arbeitskräfteangebot schon jetzt ab, und es wird in den nächsten Jahren noch stärker abnehmen. Darunter werden gerade die Kleinbetriebe des Handwerks leiden. Denn sie stehen in einem unmittelbaren Wettbewerb um die besten Talente mit den großen Unternehmen, die teilweise vielleicht andere Arbeitsbedingungen anbieten können. Daher ist das Hand-werk gefordert, sich in diesem Wettbewerb neu aufzustellen, besser zu positionieren und alle Möglichkeiten zur Fachkräftesicherung auszuschöpfen.

Es geht vor allen Dingen darum, die Gruppen am Arbeitsmarkt, die bisher nicht so im Fokus stehen, noch stärker in den Blick zu nehmen, beispielsweise Frauen und Lang-zeitarbeitslose stärker für das Handwerk zu gewinnen. Migranten, Flüchtlinge ist ein ganz aktuelles Thema, wo sich Handwerk besonders engagiert. Das sind die Themen-bereiche, die wir heute noch verstärkt besprechen werden. Insofern freue ich mich, zu diesen einzelnen Themen später noch Stellung zu nehmen.

Vorsitzender Ralph Bombis: Ich darf zu Herrn Dr. Stettes überleiten. Herr Dr. Stettes ist Leiter des Kompetenzfelds Arbeitsmarkt und Arbeitswelt beim IW Köln.

Dr. Oliver Stettes (Leiter des Kompetenzfelds Arbeitsmarkt und Arbeitswelt Insti-tut der deutschen Wirtschaft e. V.): Vielen Dank für die Einladung zu der heutigen Anhörung. Bei dem Thema Fachkräftesicherung und wie sich die Arbeitswelt im Hand-werk entwickeln wird steht für uns insbesondere die Frage im Fokus, wie sich die Fach-kräftesicherung und die Arbeitswelt in kleinen und mittleren Unternehmen gestalten wird. Herr Dannenbring hat es angesprochen. Die Herausforderungen von der Seite des Arbeitsangebots her sind bekannt, die demografische Entwicklung soll weniger werden, das heißt, es wird einen stärker und intensiver werdender Wettbewerb um Fachkräfte geben. Wir werden älter, das heißt, wir müssen uns die Frage stellen, wie wir alternde Belegschaften so entwickeln und in die Fähigkeit versetzen können, bis zu einem höheren Renteneintrittsalter beschäftigt zu sein.

Wir haben ein Erwerbspersonenpotenzial, das insgesamt bunter geworden ist. Wir ha-ben in den letzten Jahren eine deutlich gestiegene Frauenerwerbsbeteiligung be-obachten können. Wir werden mit Blick auf die Frage von EU-Binnenwanderung bzw. Integration von Flüchtlingen – das konnten wir aber schon in der Vergangenheit be-obachten – über eine stärkere Erwerbsbeteiligung von Personen mit Migrationshinter-grund zu sprechen haben. Alle diese Gruppen haben sehr unterschiedliche Heraus-forderungen und Anforderungen, die sie an Arbeitgeber stellen, und zwar nicht nur

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Enquetekommission VI 29.04.2016 14. Sitzung (öffentlicher Teil) schm zwischen den Gruppen, sondern auch innerhalb der Gruppen differenzieren sich die Lebensentwürfe aus. Das stellt Herausforderungen auch an kleine und mittlere Unter-nehmen, sich aktiver darüber Gedanken zu machen: Wie werde ich attraktiver Arbeit-geber, wie bleibe ich attraktiver Arbeiter, und wie kann ich Personalpolitik entspre-chend gestalten, dass ich genügend Fachkräfte rekrutieren und an mich binden kann?

Vorsitzender Ralph Bombis: Als nächstem Redner erteile ich Herrn Clemens Vatter, Vorstandsmitglied der SIGNAL IDUNA Gruppe, das Wort. Er wird für eine Versiche-rung, die dem Handwerk sehr eng verbunden ist, die Sicht der Versicherungsbranche und die Fachkenntnis hier einbringen.

Clemens Vatter (Vorstandsmitglied der SIGNAL IDUNA Gruppe): Herr Vorsitzen-der, Sie sagten es gerade. Wir sind als SIGNAL IDUNA hervorgegangen aus Selbst-hilfeeinrichtungen des Handwerks und von daher seit über 100 Jahren dem Handwerk sehr intensiv verbunden. Ich würde mich in meinem Statement gern auf die Frage 5 des Fragenkatalogs konzentrieren, die Frage der Altersabsicherung und der sozialen Absicherung. In der Frage haben Sie bereits angedeutet, man müsse unterscheiden zwischen abhängig Beschäftigten und den Betriebseigentümern. Ich hoffe, wir kom-men nachher zu der Diskussion, was im Handwerk wichtig ist.

Aus unserer Sicht ist wichtig, Stabilität im Rechtsrahmen zu haben. Denn wenn wir über Altersversorgung reden, dann reden wir bei Auszubildenden, die mit 16 Jahren in den Beruf einsteigen, womöglich über Verträge, die 80 oder 90 Jahre laufen. Das ist etwas, was einen anderen Rechtsrahmen oder eine andere Stabilität benötigt als viel-leicht kurzfristigere Verträge. Im Handwerk ist insbesondere das Thema „Einfachheit, Verständlichkeit und Verwaltungsarmut“ wichtig. Ich würde mich freuen, wenn wir dar-über diskutieren können. Wo haben sowohl abhängig Beschäftigte als auch die Be-triebseigentümer ähnliche Interessen, und wo spielen sie zusammen? Das scheint mir ein wichtiger Punkt zu sein, gerade wenn wir über das Handwerk reden, wo wir andere Strukturen haben als in der Großindustrie.

Vorsitzender Ralph Bombis: Als nächster Redner hat Herr Dr. Weingarten von der Project Consult GmbH das Wort. Herr Dr. Weingarten, Sie sind im Bereich Studien, Analysen, Arbeitsmarktpolitik und Internationale Projekte tätig.

Dr. Jörg Weingarten (Wirtschaftsgeograph PCG – Project Consult GmbH): Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich habe mich in meinem Statement a) auf die Herausforderungen des demografischen Wandels bezogen und bin b) der Frage nachgegangen: Wie kann das Handwerk vor dem Hintergrund des steigenden Konkurrenzdrucks um Facharbeiter, um Auszubildende konkurrenzfähig bleiben? Dazu gehören Fragen, wie man in Zukunft betriebliches Gesundheitsmanagement in den Betrieben stärker fördern und bei alternden Belegschaften die Leistungsfähigkeit und auch die Arbeitsfähigkeit aufrechterhalten werden kann.

Dann muss man darüber nachdenken, wie Betriebe, die im Handwerk eher aus einer kleinbetrieblichen Struktur kommen, in Zukunft vielleicht über Kooperationsmodelle

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Enquetekommission VI 29.04.2016 14. Sitzung (öffentlicher Teil) schm gemeinsam Angebote strukturieren oder schaffen können. Das gilt ebenso für die Be-reitstellung von Kitas, dass man als attraktiver Arbeitgeber in Zukunft im Handwerk stärker wahrgenommen wird, als es heute der Fall ist. Ich bin auch der Frage nachge-gangen, wie man über ein Employer Branding, Arbeitgebermarke, in Zukunft stärker in Erscheinung treten kann. Natürlich noch der Sachverhalt einer möglichen stärkeren Tarifbindung, dass auch vonseiten der Entlohnungsstrukturen das Handwerk in Zu-kunft attraktiver sein kann und der Industrievergütung näherkommt.

Vorsitzender Ralph Bombis: Als nächste Rednerin hat Frau Lanvermann das Wort. Sie sind Landesvorsitzende der Unternehmerfrauen im Handwerk NRW e. V. und in-sofern – wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf – eine der tragenden Säulen im Handwerk, was die Wirklichkeit der Betriebe angeht.

Tatjana Lanvermann (Landesvorsitzende Unternehmerfrauen im Handwerk e. V.): Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Mit großem Interesse verfolgen wir, die Unter-nehmerfrauen im Handwerk, die Erfolge dieser Enquetekommission im Handwerk. Wir sind begeistert von den Berichten und damit von den Informationserfolgen, die hier geleistet werden. Die Vielfalt der Referenten, die zu diesen Themen berichten, ist wirk-lich beeindruckend. Deshalb danken wir der Enquetekommission, dass wir zur Zukunft im Handwerk einige Gedanken beisteuern dürfen.

Wer sind eigentlich die Unternehmerfrauen? Sie finden uns fast in jedem gut aufge-stellten Handwerksbetrieb. Wir sind die mitarbeitenden Ehefrauen, Partnerinnen, Fa-milienangehörige und Führungskräfte, aber auch selbstständige Unternehmerinnen, die in den Unternehmen häufig für den betriebswirtschaftlichen Bereich verantwortlich sind. Die UFH haben sich in Arbeitskreisen zusammengeschlossen, um sich regelmä-ßig fortzubilden. Politische Vertretung ist der Landesverband. Diese Aufgabe erfülle ich heute nun bei Ihnen als UFH-Landesvorsitzende NRW, Unternehmerfrau in einem Heiz- und Sanitärinstallationsbetrieb Lanvermann in Borken, wie bei den meisten un-serer Mitglieder durch Heirat berufen.

In der Regel gründet ein Handwerksmeister bzw. eine -meisterin das Unternehmen im Handwerk. Die Führungsebene liegt in der Regel jedoch bei den Ehepartnern gemein-sam. Dieses ermöglicht die große Flexibilität. Der Fachkräftemangel macht es möglich, dass die Zielgruppe der Frauen verstärkt wahrgenommen wird. Deswegen in unserem Statement die Nachwuchssicherung und auch die großen Vorteile, die sich bei der Einstellung von Frauen ergeben, aber auch die Nachfolgesicherung im Handwerk. Das Handwerk ist an den Schulen unterrepräsentiert. Das Thema im Handwerk muss einen höheren Stellenwert in den Schulen bekommen.

Des Weiteren habe ich mich darum gekümmert, warum die Gründungszahlen gerade bei Frauen zurückgehen. Da ist es erwiesen, dass sie einen geringeren Kapitalbedarf, aber eine höhere Kapitalabsicherung benötigen, um überhaupt in eine Gründungs-phase hineinzukommen. Dann haben wir uns um die veränderte Ausgestaltung der Vergütungsstrukturen gekümmert, und wir wünschen uns eine Überdenkung der Ehe-gattensplittung, aber auch die kalte Progression, Einkommensverlust trotz Gehaltser-

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Enquetekommission VI 29.04.2016 14. Sitzung (öffentlicher Teil) schm höhung, sind die Motivation bei Unternehmern und Arbeitnehmern. Eine hohe Lohn-steigerung sollte immer zu Lohngewinn und nicht zu -verlusten führen. Gerade in den geringen Gehaltsklassen führt der Lohn noch zur Motivationsförderung.

In meinem Statement bin ich auch auf die Lebensarbeitszeitkonten, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die flexible Arbeitszeitgestaltung und die verlängerten Urlaubs-ansprüche bei Familien mit schulpflichtigen Kindern eingegangen. Was uns allerdings ebenfalls wichtig ist, ist die Alters- und Sozialabsicherung gerade im Handwerk, da im Handwerk ein hoher Anteil von älteren Unternehmern über 70 Jahre alt ist und es nicht in notwendiger Weise im Alter abgesichert ist. Das liegt nicht nur daran, dass sie sich nicht abgesichert haben, sondern dass sich die Geschäftslage im Laufe der Jahre ein-fach verändert hat und sie ihre ganzen Guthaben und Ersparnisse – heute nennt man es unternehmerisches Risiko – ihrer Altersversorgung eingebracht haben. Hierzu ha-ben wir noch einige Vorschläge gemacht. Ein Wunsch vieler Unternehmer ist die Lo-ckerung des Kündigungsschutzes. Das finden Sie ebenfalls in dem Statement.

Vorsitzender Ralph Bombis: Als nächstem Redner darf ich Herrn Göbel das Wort geben. Sie leiten beim Westdeutschen Handwerkskammertag das IQ-Netzwerk NRW. Sie befassen sich in diesem Kontext in erster Linie mit dem Potenzial von Migrantinnen und Migranten und haben als ehemaliger Chefredakteur der Zeitschrift „Handfest“ möglicherweise auch von dort noch einige Einblicke mitgebracht.

Rolf Göbels (Leitung IQ-Netzwerk NRW Westdeutscher Handwerkskammertag): Sehr geehrter Herr Vorsitzender! Verehrte Abgeordnete! Vielen Dank für den Chefre-dakteur. Das hätte ich schon fast vergessen. Vorab muss ich erklären, IQ steht für Integration durch Qualifizierung. Man könnte andere Assoziationen haben, die aber falsch sind. In der Leitung sind wir im Team insbesondere auf Frage 3 des Fragenka-talogs eingegangen, wie wir Zielgruppen, die bislang nicht im Fokus der Beschäftigen stehen, im Handwerk zukünftig dahin bekommen können, dass dort vielleicht eine hö-here Repräsentanz gewährleistet ist.

Kurz einige Spiegelstriche zu den Ausführungen. Unserer Meinung nach ist es so, dass Exoten, solange wir sie als solche behandeln, auch Exoten bleiben. Das heißt, wir haben eine Vielfalt, eine Dynamik, Flexibilität gerade in den Handwerksbetrieben. Von meiner Vorrednerin haben wir sehr beeindruckend gehört, welche Vielfalt nicht nur gelebt wird, sondern tagtäglich in den Betrieben stattfindet. Um diese Vielfalt nach vorn zu bringen und auch in die Beschäftigtenstrukturen zu bekommen, haben wir die große Herausforderung, überall dort Unterstützung zu leisten, wo Beschäftigte die Hür-den von Ausbildung nicht selbständig meistern können. Es gibt sehr viele Unterstüt-zungssysteme, aber es ist dennoch so, dass wir es mit sehr vielen Standards zu tun haben, die richtig sind, um eine gewisse Qualität zu gewährleisten. Andererseits haben wir eine neue Vielfalt, der wir zu begegnen haben. Diese neue Vielfalt setzt voraus, dass wir seitens der Betriebe und der Unterstützungsstrukturen versuchen, diese Viel-falt möglichst individuell zu unterstützen.

Unsere Blickrichtung geht dahin, einen einzelnen Menschen nicht auf ein einzelnes Merkmal zu reduzieren, sondern – die Sinus-Milieu-Studien machen das sehr stark –

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Enquetekommission VI 29.04.2016 14. Sitzung (öffentlicher Teil) schm ihn jeweils in seinen verschiedenen Dimensionen abzubilden und zu versuchen, dar-über die Ansprache zu finden. In den Schulen – Frau Lanvermann hat es bereits er-wähnt – müssen wir dafür sorgen, dass wir das Bild des Handwerks in die Richtung bekommen, wie es nicht nur der Realität entspricht, sondern wie es auch für die Ju-gendlichen attraktiv ist. Das ist eine Herausforderung. Wir gehen bislang seitens des Handwerks mit den Institutionen und Strukturen sehr intensiv auf Schulen zu, bekom-men aber gerade in Richtung Gymnasium nicht unbedingt den Zugang, wie er wün-schenswert wäre. Da könnten wir uns sehr gut vorstellen, dass es mit Blick auf Eltern, Lehrer und wie Schule vorbereitet, lebhafter stattfindet, um für den einzelnen Jugend-lichen andere Perspektiven aufzuzeigen.

Noch eine Bemerkung, weil Sie vorhin den Chefredakteur genannt haben. Ich war viele Jahre in Betrieben unterwegs und habe zu vielen Themen Jugendliche und Handwer-ker besucht. Es ist selten so, dass jemand, der einen Migrationshintergrund hat, sich als solcher immer in die erste Reihe stellen will. Wenn das junge Mädchen, das Stra-ßenbauer lernt, immer nur vor die Kamera gezerrt wird und es als Straßenbauerin ge-rade wegen des Geschlechts in der ersten Reihe steht, ist das nicht unbedingt förder-lich. Diese Vielfalt müssen wir in den Blick bekommen. Das ist aber eher ein Problem der Gesellschaft und der Medien, als dass es ein Problem des Handwerks an sich ist.

Vorsitzender Ralph Bombis: Nun erteile ich Herrn Dittke das Wort. Zur Fachkräfte-sicherung und Arbeitswelt darf natürlich die Stimme der Arbeitnehmerseite nicht feh-len.

Helmut Dittke (DGB-Bundesvorstand): Vielen Dank für die Einladung. Ich denke, das Thema Fachkräftesicherung im Handwerk wird ein Dauerbrenner bleiben. Wir ha-ben von der Vorrednerin und den Vorrednern schon viele Ansätze gehört. Da ging es immer wieder um den Wettbewerb um die Köpfe, attraktiver Arbeitgeber, Konkurrenz-fähigkeit, wie wir im Handwerk attraktiv bleiben können. Es gab aber eine Forderung nach Lockerung des Kündigungsschutzes. Ich frage mich, wie das in diese positive Reihe passt.

Wir als DGB haben natürlich den größten Bereich im Handwerk zu vertreten. Denn die überwiegende Anzahl der Beschäftigten in den Handwerksbranchen sind Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmer. Wir haben vor dem Hintergrund der Frage der Fachkräf-tesicherung auch einmal die Arbeitnehmerinnen und Arbeitsnehmer gefragt. Der DGB führt jedes Jahr eine Befragung im Rahmen des „DGB-Indexes Gute Arbeit“ durch.

Aktuell ist eine kleine Broschüre mit dem Titel „Gute Arbeit ist das beste Werkzeug!“ erschienen. Ich will nicht die ganze Broschüre vortragen, aber für uns ist es eine Be-stätigung, wie stark Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Handwerksbranchen sich mit ihrem Beruf, mit ihrem Arbeiten verbinden. 81 % der Befragten – es war eine repräsentative Umfrage – identifizierten sich sehr stark mit ihrem Beruf und mit ihrem Handwerk. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht ist, dass nur insgesamt 10 % der Befragten gesagt haben, sie hätten gute Arbeitsbedingungen. Also 90 % de-rer, die aus Handwerksberufen mitgemacht haben, sagen, sie hätten keine guten Ar-beitsbedingungen. Ich denke, daran muss dringend gearbeitet werden. 53 % derer, die

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Enquetekommission VI 29.04.2016 14. Sitzung (öffentlicher Teil) schm mitgemacht haben, sind der Meinung, dass ihr Arbeitsentgelt ihre Leistungen nicht o-der nur unzureichend gerecht entlohne. Also mehr als die Hälfte der Beschäftigten im Handwerk hat aus ihrer Sicht keine leistungsgerechte Entlohnung. 45 % derer, die im Handwerk arbeiten, sagen, das Arbeitseinkommen reiche nicht zum Leben. Ich glaube, das Größte, dem wir uns im Laufe der Diskussion nähern sollten: 80 % der Teilneh-merinnen und Teilnehmer sagen, ihre Rente werde nicht zum Leben reichen. Im End-effekt ist bei den Beschäftigten im Handwerk die Sorge über die Zukunft, was im Alter passiert, aber auch über die Lebensqualität, über Verdienst und Einkommen sehr groß.

Wir haben uns dieses Thema schon seit Längerem auf die Fahne geschrieben. Wir haben dazu im vergangen Jahr gemeinsam mit dem Zentralverband des Deutschen Handwerks und mit dem Bundeswirtschaftsministerium auf Bundesebene einen Bran-chendialog Handwerk geführt, wo wir intensiv das Thema Fachkräftesicherung, aber auch die Frage von guter Arbeit und Tarif- und Sozialpartnerschaft diskutiert haben. An der Stelle passt zwischen dem Zentralverband des Deutschen Handwerks, Herr Dannenbring, kein Blatt. Wir sagen auf Bundesebene, dass Tarifbindung ein wichtiger Baustein beim Thema Fachkräftesicherung ist.

Unsere Probleme liegen aber nicht auf der Bundesebene, sondern, wenn man es ab-schichtet, darunter. Wir haben im Handwerk eine Sonderregelung, dass die Tarifbin-dung nicht nur nach Tarifvertragsgesetz entsteht, sondern auch durch die Handwerks-ordnung. In der Struktur sind die öffentlich-rechtlichen Innungen, oder ihre Landesin-nungsverbände, oder die Bundesinnungsverbände Tarifpartner. Da haben wir insbe-sondere in Nordrhein-Westfalen sehr starke Probleme, was die Tarifbindung angeht. Es gibt drei Strukturen, wie die Tarifbindung umgangen wird. Eine Struktur ist, dass die Innung selbst als Tarifträger sich zu einer sogenannten OT-Innung erklärt, also ohne Tarifbindung eine Mitgliedschaft anbietet. Diese Struktur konnten wir jetzt vor dem Bundesverwaltungsgericht stoppen, indem das Bundesverwaltungsgericht ge-sagt hat, OT in öffentlich-rechtlichen Innungen sei nicht zulässig. Darüber hinaus ha-ben wir Strukturen, dass Landesinnungsverbände, die in der Regel die Tarifverträge abschließen, sagen: Wir bekommen von unseren Innungen nicht mehr den Auftrag, die Delegation Tarifvertrag abzuschließen; deshalb sind wir kein Verhandlungspartner mehr.

Das hat im Kfz-Handwerk Nordrhein-Westfalen dazu geführt, dass der Landesinnungs-verband nicht mehr verhandelt und gesagt hat: Ihr müsst jetzt als IG-Metall zu einer sogenannten Tarifgemeinschaft gehen und dort einen Tarifvertrag abschließen. Aber diese Tarifgemeinschaft hat kaum Mitglieder. Die hat sich auch vor ein paar Jahren für nicht mehr verhandlungsfähig erklärt. Das heißt, im Kfz-Handwerk brechen jetzt die Arbeitgeberstrukturen im Handwerk weg, weil erstmals große Handwerksbetriebe zur Metall- und Elektroindustrie gehen und dort Tarifverträge abschließen müssen, also eine Erosion der Arbeitgeberstrukturen. Wir haben auch eine Erosion der Mitglied-schaft in den Innungen, im Osten unter 10 %, im Westen je nach Branche im Schnitt 45 %. Auch da gibt es massive Probleme, wo wir gemeinsam schauen müssen: Wie kommen wir dahin, dass die Innungen ihre Tarifhoheit wieder wahrnehmen?

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Enquetekommission VI 29.04.2016 14. Sitzung (öffentlicher Teil) schm Ein großes Problem im Handwerk ist, dass viele Branchen mit Gewerkschaften – in Anführungszeichen – Tarifverträge abschließen, die überhaupt keine Mitglieder haben. Also auch da gibt es zwar einen formalen Tarifvertrag. Aber dadurch, dass diese so-genannte Gewerkschaft keine Mitglieder hat, entsteht auch keine Bindewirkung. Also haben wir auch da OT-Strukturen.

Deshalb ist im Endeffekt die Situation so, wie ich sie eingangs beschrieben habe. Der Bereich der Tarifbindung geht zurück. Wir hatten in den 80er-Jahren noch flächende-ckende Tarifverträge, wir hatten keine riesigen Unterschiede zwischen Industrie und Handwerk, was die Tariflöhne anging, aber seit den 90er-Jahren bricht das Ganze auseinander. Wenn dort nicht schnell ein Riegel vorgeschoben wird und die Arbeitge-berverbände, Landesinnungsverbände ihrer Aufgabe nachkommen, laufen aus unse-rer Sicht viele Bemühungen betreffend die Fachkräftesicherung ins Leere.

Ein weiterer Punkt ist die Ausbildung. Das Arbeitsministerium von Nordrhein-Westfa-len hat auf der Internetseite eine sehr interessante Broschüre zum Thema „Vergütung für Auszubildende“. Dort können Sie nachlesen, dass in vielen Handwerksbereichen überhaupt keine Ausbildungstarifverträge mehr vorhanden sind, sondern lediglich völ-lig unverbindliche Empfehlungen der Innungen, an die sich aber niemand halten muss. Wenn Sie einmal schauen, bei welcher Höhe die Ausbildungsvergütungen liegen, wer-den Sie sehen, dass das Handwerk am unteren Ende liegt. Es sind jede Menge Fra-gen, die aufgeworfen werden. Ich denke, letztendlich müssen wir – da bin ich noch einmal bei der Arbeitgebermarke – wieder das Bild haben: Wenn ein Handwerksbe-trieb in der Innung und tarifgebunden ist und das Schild „Innungsmitglied“, was man früher an der Tür des Handwerksbetriebs hatte, wusste jeder, der zahlt Tariflohn. Das ist in den letzten Jahren komplett zerbröselt. Wir haben noch Bereiche, in denen es so ist. Aber in vielen Bereichen ist es nicht mehr so.

Deshalb brauchen wir dringend eine Diskussion, eine Debatte, vielleicht auch auf Lan-desebene in Nordrhein-Westfalen, wo wir regionale Branchendialoge angehen, dass sich die Sozialpartner im Land branchenmäßig zusammensetzen und schauen: Wie bekommen wir in unserer Verantwortung Tarifautonomie hin? Wie bekommen wir in unserer Verantwortung die Branche attraktiv gestaltet? Das ist der wesentliche Punkt. Dann kann man rundherum über Imagekampagnen, über bestimmte Förderpro-gramme ergänzen. Aber ich glaube, die Hauptaufgabe, attraktiv zu werden, liegt im Rahmen der Sozialpartner, und die müssen dringend miteinander verbindliche Rah-menbedingungen schaffen.

Vorsitzender Ralph Bombis: Herzlichen Dank Ihnen allen für diese Eingangsstate-ments. Ich glaube, wir haben einiges „Futter“, was die Fragerunden angeht.

Bevor ich in die erste Fragerunde einsteige, würde ich gern der stellvertretenden Vor-sitzenden das Wort erteilen – das tue ich aus purer Neugier – mit der Aufforderung, mir und uns allen zu erklären, warum wir in den Genuss einer solchen netten Überra-schung kommen.

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Enquetekommission VI 29.04.2016 14. Sitzung (öffentlicher Teil) schm Daniela Jansen (SPD): Herr Vorsitzender! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Neugier will ich gern stillen. Meine Schwester tut aktiv etwas gegen den Fachkräfte-mangel, und ich bin heute Morgen zum dritten Mal Tante geworden. Es ist ein kleines Mädchen. Da ich mich sehr darüber freue und heute mit Ihnen hier sitze, möchte ich auch mit Ihnen feiern und anstoßen. Auf das Wohl der neuen kleinen Erdenbürgerin mit dem Namen Emma Ida.

(Allgemeiner Beifall)

Vorsitzender Ralph Bombis: Das war eine sehr schöne Überraschung. Alles Gute an die neue Erdenbürgerin von uns allen, und vielen Dank.

Ich eröffne die erste Fragerunde.

Lukas Lamla (PIRATEN): Sehr verehrte Sachverständige, vielen Dank für Ihre Stel-lungnahmen und Ihre heutige Teilnahme. Ich habe die Stellungnahmen mit Interesse verfolgt und studiert, und mir ist bei einigen etwas aufgefallen. Wenn Sie vom Fach-kräftemangel oder vom Fachkräfteengpass sprechen, dann scheinen Sie häufig unter-schiedliche Ansichten darüber zu haben, was das genau ist. Ich würde gern einigen von Ihnen die Möglichkeit geben, zu versuchen, kurz und knapp zu definieren, was aus Ihrer Sicht dieser Fachkräftemangel ist. Die Frage geht an Herrn Dannenbring, Herrn Dr. Stettes, Herrn Dr. Weingarten und Herrn Dittke. Was ist Fachkräftemangel aus Ihrer Perspektive? Ich denke, es gibt durchaus Unterschiede, und wenn wir uns darüber unterhalten, dann sollten wir uns vielleicht auf eine Definition einigen, um in der Arbeit der Enquetekommission weitermachen zu können.

Herr Dr. Weingarten, Sie schreiben in Ihrer Stellungnahme zum Thema Flüchtlinge, dass es dort eine 70%ige Abbruchquote gebe, und Sie erheben Zahlen der Hand-werkskammer für München und Oberbayern. Mich würde interessieren: Sind das re-präsentative Zahlen? Kann man diese Zahlen auch auf andere Gegenden übertragen? Was kann man dagegen unternehmen? Gibt es Nachbesserungsbedarf? Kann man es optimieren, damit diese Quote nicht so hoch ist? Das sollte uns durchaus beschäf-tigen.

Herr Dittke, Sie sprachen die Identifikation junger Menschen mit ihrem Handwerk, mit ihrem Beruf an. Es hat einen sehr hohen Wert, aber die Rahmenbedingungen sind nicht so optimal, Stichwort Lohngefüge. Ich habe hier den Auszug aus dem Tarifregis-ter NRW. Das ist tatsächlich eine Bandbreite, die phänomenal ist. Ich wusste gar nicht, dass Bierbrauer so viel verdienen.

(Heiterkeit)

Es ist interessant. Das Elektrohandwerk ist fast unten auf dieser Liste. Während wir hier auf politischer Ebene über die Innovationsfähigkeit des Handwerks reden, über SmartHome usw. und da Zukunftspotenzial sehen, sehen wir gleichzeitig das Elektro-handwerk im unteren Drittel, fast am Ende dieser Liste. Ist das ein Schlüssel? Müssen wir da ansetzen, müssen wir dieses Lohngefüge ausgleichen und da jetzt massiv nach-bessern? Denn die Auftragsbücher scheinen voll zu sein, auch in diesem Bereich. Ist

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Enquetekommission VI 29.04.2016 14. Sitzung (öffentlicher Teil) schm das eines der Kernelemente, der Hauptschlüssel, an dem gedreht werden müsste? Wie ist Ihre Einschätzung dazu?

Dr. Birgit Beisheim (GRÜNE): Auch vonseiten der Grünen herzlichen Dank für Ihre Stellungnahmen und Ihre Bereitschaft, mit uns heute Morgen in einen Austausch zu kommen.

Ich habe eine Frage an die Vertreter des Deutschen Handwerks, die Unternehmer-frauen und das Institut der deutschen Wirtschaft, und zwar ob zu dem Komplex, den die Unternehmerfrauen im Handwerk aufgerufen haben, Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die Dinge, die sich rund um das Themenfeld Work-Life-Balance ranken, vielleicht über die Schaffung einer Art Sozialwerk ausgelöst werden könnte, wie man es aus der Landwirtschaft kennt, dass man den Handwerkerinnen und Handwerkern Hilfestellung zur Verfügung stellt. Das würde aus meiner Sicht auch Männern und Frauen zugutekommen, auch, wenn es durch Krankheit oder andere Dinge dem Fir-meninhaber nicht möglich ist, das Unternehmen zu führen, die mitarbeitende Frau die Fachlichkeit nicht besitzt, es aber notwendig ist, die Firma zum Wohle der Mitarbeiter fortzuführen.

Es wäre zu überlegen, ob es irgendeine Form von Unterstützungsmöglichkeiten gäbe, um damit den Druck wegzunehmen von solchen Dingen wie veränderte Urlaubszeiten für Mitarbeiter mit Kindern, wie Pflege für Angehörige, auch wenn es kleine Unterneh-men sind, die es betrifft und die Beschäftigten dort die gleichen Bedürfnisse haben, die auch in den größeren Unternehmen bzw. im öffentlichen Dienst bereits befriedigt wer-den. Es ist bezogen auf den Fachkräftemangel eine Herausforderung, durch diese Soft Skills attraktiv zu bleiben. Die Frage ist, wie man das finanzieren kann. Denn eines ist klar: Auch wenn wir über gute Arbeit und über Gesundheitsmanagement sprechen, ist es immer noch eine Frage, wie Dienstleistung finanziell bewertet wird. Insgesamt ist Dienstleistung wenig wert. Von den Vertretern des DGB würde ich gern wissen, was mit den schlechten Arbeitsbedingungen gemeint war, ob Sie das nur pauschal gefragt haben oder ob Sie das ein wenig konkretisieren könnten. Die nächste Frage geht an das Institut der deutschen Wirtschaft. Was glauben Sie, wie wir aus dieser Abwärts-spirale der Dienstleistungsentlohnung herauskommen? Ich glaube, wenn wir es nicht schaffen, diese Spirale nach unten aufzuhalten und wieder nach oben zu schrauben, dass vernünftige Handwerksleistung auch vernünftig bezahlt wird, dann brauchen wir uns nicht über diese Dinge wie zusätzliche Förderungsmöglichkeiten für Frauen im Handwerk oder Attraktivierung allgemeiner Art zu unterhalten.

Rainer Christian Thiel (SPD): Das erste Thema betrifft die Bezahlung im Handwerk. In vielen Stellungnahmen wird darauf hingewiesen, dass das ein Problem unterschied-licher Natur ist. Es wird auch darauf hingewiesen, dass es im Handwerk Betriebe gibt, die haben eine Tarifbindung und andere haben keine. Ich kenne das beispielsweise aus Gesprächen mit Betriebsräten aus der Kfz-Branche – ich will das nicht näher zu-ordnen –, großer Autohändler in Düsseldorf mit vielen Filialen, vorbildlich in der Ta-rifbindung. Die Betriebsräte berichten aber, dass sie massiv unter Druck stehen, weil Konkurrenzunternehmen nicht mehr in der Tarifbindung sind. Das wirkt sich natürlich

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Enquetekommission VI 29.04.2016 14. Sitzung (öffentlicher Teil) schm aus, obwohl das Unternehmen mit der Tarifbindung am Markt eigentlich das erfolg-reichste Unternehmen ist, was auch damit zusammenhängt, dass es insgesamt mit Qualitätsstandards verbunden ist. Denn wenn man ordentlich bezahlt, kann man auch ordentliche Arbeit erwarten.

Herr Dittke vom DGB-Bundesvorstand beschreibt in seiner Stellungnahme, dass ge-rade Innungen und Landesinnungen eine Strategie haben, die Tarifbindung zu unter-laufen und ihre Mitgliedsunternehmen geradezu animieren, aus der Tarifbindung her-auszugehen, sodass die Landesvereinigungen wie beispielsweise IG Metall dann kei-nen Gesprächspartner mehr haben – so habe ich es verstanden –, was das Problem verschärft. Bei der Frage der Attraktivität des Handwerks und der Fachkräfte- und Nachwuchssicherung ist neben den Soft Skills, die Frau Dr. Beisheim erwähnt hat, die Frage wichtig, was man verdienen kann.

Daher die Frage an Herrn Dannenbring, der für Arbeitsmarkt, Tarifpolitik und Arbeits-recht beim Zentralverband des Deutschen Handwerks zuständig ist. Wie sehen Sie das? An Herrn Dittke geht die gleiche Frage. Sie wären an dieser Stelle eigentlich die naturgegebenen Tarifpartner, zumindest die Partner, die die beiden Lager der Arbeit-nehmer und Arbeitgeber vertreten. Die zweite Frage hängt damit zusammen. Im Hand-werk wird einerseits schlechter verdient als in der Industrie und andererseits werden durch verschiedene Dinge wie Unterlaufen des Mindestlohns oder zeitliche Befristung noch weitere prekäre Situationen geschaffen. Das wirkt sich natürlich massiv auf die Frage der Rentenhöhe aus, die – das schreibt Herr Dr. Weingarten –, wenn sie weiter abgesenkt wird, dramatisch niedrige Werte erreicht, auch auf der Basis von Leuten, die nur in Teilzeit beschäftigt sind. Irgendwo stand, 17 % der Beschäftigten im Hand-werk arbeiten Teilzeit oder in 450-Euro-Jobs. Auf der Grundlage, wie es im Alter wei-tergeht, erfüllt einen das mit Sorge.

Frau Lanvermann hat in ihrer Stellungnahme beschrieben, dass viele Unternehmer selbst oftmals von Altersarmut betroffen sind, weil sie das, was sie an Rücklagen hät-ten bilden können, durch Kapitalgarantien im Risikokapitalbereich verbraucht haben oder gar nicht erst angespart haben, weil die Margen zu knapp waren. Wir empfehlen – das lese ich in anderen Papieren auch – einerseits eine Versicherungspflicht für Al-tersvorsorge und eine Krankenversicherungspflicht für Arbeitgeber. Andererseits wird empfohlen, sich Gedanken zu machen, wie durch Zusatzversorgung für Arbeitnehmer die Altersarmut abgemildert werden kann, aber weil die sowieso schon wenig verdie-nen, ist die Frage, wie das finanziell passieren soll. Welche Altersversorgungsversi-cherungssysteme stellen Sie sich vor? Die Frage richtet sich an Herrn Dittke, Frau Lanvermann und Herrn Dr. Weingarten.

Rainer Spiecker (CDU): Auch wir bedanken uns recht herzlich für die Stellungnah-men. Unsere Frage geht in den Bereich Altersvorsorge. Diese Frage richtet sich an Herrn Vatter. Welche Maßnahmen können die Verbreitung der betrieblichen Altersver-sorgung für abhängig beschäftigte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in kleinen und mittleren Unternehmen im Handwerk fördern? Welche Hemmnisse bestehen in diesem Bereich? Meine zweite Frage ist die Ergänzung zu dem, was Herr Thiel gesagt hat. Welche Maßnahmen können die Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung

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Enquetekommission VI 29.04.2016 14. Sitzung (öffentlicher Teil) schm für Betriebseigentümerinnen und -eigentümer in kleinen und mittleren Unternehmen im Handwerk fördern? Welche Hemmnisse können darin bestehen? Denn wir glauben, das ist die Ergänzung zu diesem Thema, aber aus der Sicht der klassischen Altersver-sorgung heraus.

Rüdiger Weiß (SPD): Ich habe zwei Fragen an diejenigen, die sich zum Thema Schule sehr deutlich geäußert haben. Das ist zum einen Herr Göbels. Sie haben explizit die Gymnasien genannt. Sie wissen, dass an deren Ende das Abitur steht und man damit die Befähigung hat, ins Studium zu gehen, was zunächst nicht darauf hindeutet, dass das Handwerk davon profitiert. Gibt es Ihrer Ansicht nach Lösungsmöglichkeiten, ei-nen Fuß in die Tür zu bekommen, hier etwas zu bewirken, damit das Gymnasium, das Sie – wie gesagt – breit erwähnt haben, sich vielleicht auch anders orientiert, vielleicht stärker hin zu anderen Dingen, als es bisher der Fall war?

Frau Lanvermann, Sie haben das Thema Schule auch angesprochen. Sie haben ge-sagt, das Berufsfeld Handwerk komme in Schule so gut wie gar nicht vor, zumindest sehr schwach. Gibt es aus Ihrer Sicht Wünsche an Schule, das zu verändern und zu verbessern, damit das Handwerk eine andere Perspektive, ein anderes Standing in Schule hat als es bisher der Fall war?

Vorsitzender Ralph Bombis: Sie sind alle angesprochen worden. Ich darf Ihnen der Reihe nach das Wort erteilen.

Jan Dannenbring (Abteilungsleiter Arbeitsmarkt, Tarifpolitik und Arbeitsrecht Zentralverband des Deutschen Handwerks): Ich beginne mit der Frage von Herrn Lamla zur Definition von Fachkräftemangel. Soweit mir bekannt ist, gibt es tatsächlich keine allgemeingültige Definition eines Fachkräftemangels über alle Branchen hinweg. Aber wir können das abbilden, was uns von den Handwerksbetrieben zurückgemeldet wird. Wir haben vor einiger Zeit eine Umfrage im ZDH unter unseren Untergliederun-gen im gesamten Handwerk gemacht, wie sich die Fachkräftesituation für die Betriebe gestaltet. Da wurde uns zurückgemeldet, dass 40 % aller Handwerksunternehmen mittlerweile Probleme bei der Besetzung offener Stellen haben. Das ist schon eine „Hausnummer“, von der wir ableiten können, dass es mittlerweile einen doch erhebli-chen Fachkräftemangel gibt, das Thema Fachkräftesicherung ein spürbares Thema beim Handwerk ist und in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat. Zumindest haben wir diese anekdotische Evidenz aus unseren Mitgliedsbetrieben. Ich glaube, die ist unangefochten, und die nehmen wir beim Wort.

Im Übrigen spiegelt sich das Thema Fachkräftesicherung und Fachkräftemangel auch in den Erhebungen der Bundesagentur für Arbeit wider. Es gibt die Engpassanalyse, die Auflistung von Engpassberufen der Bundesagentur für Arbeit. Dort tauchen immer mehr Handwerksbranchen auf, die unter diese Definition der Engpassberufe fallen. Darunter sind seit Jahren schon die Klempner, das Sanitär-, Heizungs- und Klima-Handwerk, aber auch das Elektro-Handwerk, viele Gesundheitsberufe. Aus diesen of-fiziellen Statistiken der Bundesagentur für Arbeit kann man ableiten, dass das Thema

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Enquetekommission VI 29.04.2016 14. Sitzung (öffentlicher Teil) schm Fachkräftemangel im Handwerk schon lange angekommen ist und an Bedeutung ge-winnt.

Sie hatten das Thema Flüchtlinge und die Abbrecherquote angesprochen. Die Frage richtete sich an jemand anderes, aber als Flüchtlingsbeauftragter des ZDH juckt es mich in den Fingern, hier kurz Stellung zu nehmen. Das war eine Meldung, die für große Aufmerksamkeit gesorgt hat. Ich möchte hier deutlich machen, dass man diese Meldung, glaube ich, nicht verallgemeinern kann und sollte, sondern das war eine Mel-dung, die sich auf spezifische Kurse in Bayern bezog, die schon eine Weile zurücklie-gen.

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Teilnahme der Flüchtlinge an Qualifizie-rungsmaßnahmen gerade für das Handwerk unmittelbar korreliert mit der individuellen Betreuung. Je besser die Betreuung der Flüchtlinge in diesen Maßnahmen, desto bes-ser ist auch deren Durchhaltevermögen. Das ist nicht verwunderlich. Für die Flücht-linge ist das eine komplett fremde Welt, in die sie eintauchen, vor allem eine komplett fremde Arbeitswelt. Sie brauchen eine individuelle Betreuung, damit sie sozusagen bei der Stange bleiben. Ansonsten sind sie schnell überfordert von den Anfordernissen dieser für sie neuen Arbeitswelt. Wir haben in etlichen Projekten, gerade von Hand-werkskammern, die Erfahrung gemacht. Es gibt fast bundesweit flächendeckend viele Projekte von Handwerkskammern für die Qualifizierung und Ausbildung von Flüchtlin-gen. Je besser die Betreuung, desto mehr halten sie durch. Also, die 70 % darf man nicht verallgemeinern.

Ich möchte auf den Frageblock von Frau Beisheim eingehen. Sie hatten vor allen Din-gen das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie angesprochen. Da fühle mich auch ein Stück weit angesprochen. Das ist ein Thema, das auch für das Handwerk immer größere Bedeutung erlangt, gerade vor dem Hintergrund, dass wir versuchen, mehr Frauen für das Handwerk zu gewinnen. Frau Lanvermann kann dazu gleich bes-ser Auskunft geben. Ich möchte aus Sicht des ZDH betonen, dass es für uns ein ganz wichtiges Thema ist, wir aber auch den Blick auf die besonderen Strukturen der kleinen Unternehmen haben müssen. Meistens sind es Kleinstunternehmen mit fünf bis zehn Beschäftigten. Die haben natürlich ganz andere Möglichkeiten, sich um das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu kümmern, gerade was informelle Möglichkeiten angeht.

Ich glaube, hier sind die Handwerksbetriebe besonders gefordert, aber auch beson-ders in der Lage, im Gespräch mit ihren Mitarbeitern flexible und einvernehmliche Lö-sungen herbeizuführen. Ob dagegen formalisierte Unterstützungsstrukturen, wie Sie sie vorgeschlagen haben, der richtige Weg sind, das möchte ich hier nicht abschlie-ßend bewerten. Ich möchte aber zu bedenken geben, dass das oft mit administrativen Belastungen für die kleinen Unternehmen einhergeht, was es unter Umständen wieder unattraktiver machen könnte. Hier muss man immer sehr genau schauen, ob so gut gemeinte Unterstützungsstrukturen am Ende des Tages von den kleinen Unternehmen dann angenommen werden. Da muss man sehr KMU-spezifische Lösungsansätze verfolgen.

Zu dem Fragekomplex von Herrn Thiel zum Thema Vergütungsstrukturen und Tarifbin-dung. Das ist ein Thema, das auch Herr Dittke in seinem einführenden Statement

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Enquetekommission VI 29.04.2016 14. Sitzung (öffentlicher Teil) schm schon deutlich angesprochen hat. Insofern bin ich froh, dass ich dazu aus Sicht eines Arbeitsgebervertreters im Handwerk Stellung nehmen kann. Herr Dittke hat zu Recht betont, dass kein Blatt zwischen uns passt, was die Frage der Tarifbindung angeht. Wir wollen vonseiten des ZDH und vonseiten des UDH, des Unternehmerverbands des Deutschen Handwerks, eine starke Tarifbindung. Wir haben dies in mehreren Er-klärungen zusammen mit dem DGB auch deutlich gemacht. Das ist uns ein großes Anliegen.

Aber zur Wahrheit gehört ebenso, dass sich die Situation in den einzelnen Branchen im Handwerk sehr unterschiedlich darstellt. Wir haben Tarifbindungen von bis zu über 90 % bei den Schornsteinfegern bis hin zu sehr niedrigen Werten im Friseur-Handwerk und anderen. Regional – das hat auch Herr Dittke gesagt – ist es noch einmal sehr unterschiedlich zwischen Ost und West. Ein entscheidender Faktor ist die Wettbe-werbssituation für die kleinen Unternehmen. Diese Wettbewerbssituation hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Deshalb besteht ein zunehmender Bedarf an flexiblen tarifvertraglichen Lösungen, die dieser Wettbewerbssituation gerecht werden. Hier hatten wir in einzelnen Branchen den Eindruck, dass der jeweilige Tarifpartner nicht immer in der Lage war, diese Flexibilität in den Tarifverträgen abzubilden, was wiederum zu entsprechenden Reaktionen der Unternehmen geführt hat, wobei – das möchte ich ganz deutlich sagen – wir vonseiten des UDH kein Befürworter der OT-Mitgliedschaft sind. Der Kfz-Bereich ist ein besonderer Bereich. Darüber führen wir in der Branche schon seit Jahren intensive Diskussionen. Da gibt es eine Historie, die ich hier nicht nachzeichnen möchte, sonst würde ich die nächsten anderthalb Stunden darüber referieren können. Wir wissen, das ist im Kfz-Handwerk eine besondere Situ-ation, gerade in NRW. Aber wir sind weiterhin in Kontakt mit der IG-Metall, um hier einen Neustart hinzubekommen, und wir sind guten Mutes, dass das gelingen wird.

Was die Tarifbindung und die Wettbewerbssituation angeht, ist ein Thema die Zu-nahme der Solo-Selbstständigen. Es ist ein großes Problem im Handwerk, dass in den letzten Jahren die Zahl der Solo-Selbstständigen deutlich zugenommen hat, die nicht einer Tarifbindung und der Sozialversicherungspflicht unterliegen, die keine Mindest-löhne einhalten müssen und dadurch Preise am Markt anbieten können, die für die normalen Unternehmen nur sehr schwer nachzuvollziehen sind. Diese Zunahme der Solo-Selbstständigkeit macht uns große Sorgen. Mit diesem Thema beschäftigen wir uns gemeinsam mit den Gewerkschaften, um Initiativen zu starten, dieser Entwicklung vorzubeugen.

Eine Initiative, die die Tarifvertragsparteien gestartet haben, ist im Baugewerbe, zum Beispiel Solo-Selbstständige in den Anwendungsbereich der Tarifverträge zur Berufs-ausbildung einzubeziehen und sie auch mit einer Umlage zu belasten. Das ist eine sehr innovative und interessante Reaktion der Tarifvertragsparteien im Handwerk, um diesem Trend entgegenzuwirken, um diese Wettbewerbsungleichheit zwischen Solo-Selbstständigen und normalen Unternehmern ein Stück weit mit den Mitteln der Tarif-vertragsparteien zu bekämpfen. In dem Zusammenhang ist das Instrument der AVE wichtig. Solche Instrumente funktionieren nur, wenn sie allgemeinverbindlich erklärt werden. Es ist wichtig, deutlich zu machen, dass das Handwerk und die Arbeitgeber-verbände allein im Handwerk, wenn man das mit anderen Arbeitgeberverbänden der Wirtschaft vergleicht, ein großes Interesse an AVE haben und wir das auch regelmäßig

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Enquetekommission VI 29.04.2016 14. Sitzung (öffentlicher Teil) schm unterstützen. In der Vergangenheit haben wir uns immer für branchenspezifische all-gemeinverbindlich erklärte Mindestlohnregelungen in den Branchen eingesetzt. Inso-fern tun wir vonseiten der Arbeitgeberverbände schon eine Menge im Handwerk, um dieser durchaus problematische Entwicklung in der Tarifbindung entgegenzuwirken. Ich bin sicher, dass wir an diesem Kurs in den nächsten Jahren festhalten werden.

Ein Stichwort zum Thema Solo-Selbstständigkeit ist das Thema Altersvorsorge. Auch der ZDH befürwortet eine Altersvorsorgepflicht von Solo-Selbstständigen, allerdings mit Wahlfreiheit. Sie sollten freiwillig entscheiden können, ob sie in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen oder sich privat versichern. Aber eine solche Vorsorge-pflicht wäre ein Element, um die Wettbewerbsstrukturen im Handwerk ein Stück weit anzugleichen.

Dr. Oliver Stettes (Leiter des Kompetenzfelds Arbeitsmarkt und Arbeitswelt Insti-tut der deutschen Wirtschaft e. V.): Herr Lamla, Sie hatten die Frage wegen der Fachkräfteengpässe auch an mich gestellt. Die Antwort fällt nicht unwesentlich anders aus, wie Sie sich vorstellen können. Sie haben zunächst einmal die betriebliche Per-spektive. Das hängt ganz stark davon ab, ob ein Betrieb in der Lage ist, eine offene Stelle in einem gewissen Zeitraum oder überhaupt zu besetzen. Das ist die betriebliche Perspektive.

Dann haben Sie die Frage gestellt: Können Sie entsprechende Engpassdiagnosen in Qualifikations- und Berufssegmenten machen? Wir im IW Köln machen es so, dass wir in bestimmten Berufssegmenten von einem Engpass sprechen, wenn bundesweit ein Arbeitsloser auf eine gemeldete offene Stelle kommt. Sie können sich vorstellen, was das bedeutet. Das heißt, die offene Stelle kann in München und der Arbeitslose könnte in Hamburg sein. Durch die regionale Unterschiedlichkeit bedeutet das: Je we-niger Personen eine Stelle potenziell besetzen können aus dem Reservoir derjenigen, die aktuell über diese beruflichen Qualifikationen verfügen, umso eher sprechen wir von einem beruflichen Engpass auf der volkswirtschaftlichen Ebene.

Sie haben noch eine andere Dimension, nämlich eine aktuelle Bestandsaufnahme – das ist das, was ich Ihnen gerade gesagt habe – sowohl auf der betrieblichen als auch auf der volkswirtschaftlichen Ebene, und Sie haben eine zukünftige Bestandsauf-nahme. Wir wissen, dass im Grunde genommen die Jahrgangsstärken der jüngeren Alterskohorten nicht ausreichen werden, um die Jahrgangsstärken der aus dem Er-werbsleben ausscheidenden Alterskohorten zu kompensieren. Wir wissen zugleich, dass es in bestimmten beruflichen Segmenten – dazu zählt auch das Handwerk – die Neigung, im Vergleich zu anderen Ausbildungswegen dort eine berufliche Ausbildung zu beginnen, geringer ist und abgenommen hat. Das heißt, auf absehbare Zeit wird es so sein, dass sich durch die aktuellen Engpässe, die wir zum Teil schon beobachten können und von denen insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen betroffen sind, für diese Unternehmen bzw. für diese Berufe die Situation verschlechtern könnte, weil die Anzahl derer, die nachrückt und die erforderlich sind, um die ausscheidenden Alterskohorten zu ersetzen, nicht ausreichen wird. Das ist das Hauptproblem, mit wir uns auseinandersetzen müssen.

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Enquetekommission VI 29.04.2016 14. Sitzung (öffentlicher Teil) schm Frau Beisheim, zu ihren Fragen mit Blick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bzw. einer Work-Life-Balance. Es ist eine betriebliche Aufgabe, mir als Arbeitgeber die Frage zu stellen, wie ich so attraktiv sein kann, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit unterschiedlichsten Anforderungen, die sie aus ihrem privaten Umfeld mitbringen und die sie auch in einem Arbeitsverhältnis austariert wissen möchten, so entgegen-zukommen, dass die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer sagt: Okay, das ist ein Unternehmen, bei dem unterschreibe ich einen Arbeitsvertrag, das ist ein Unterneh-men, bei dem bleibe ich. Es ist aber für den Betrieb immer die Aufgabe, das mit den wirtschaftlichen Notwendigkeiten, die aus einem wirtschaftlichen Umfeld heraus ent-stehen, auszutarieren.

Es ist so, dass wir gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen das Bewusstsein stärken müssen, dass Vereinbarkeitsfragen und überhaupt Fragen des Austarierens von betrieblichen und privaten Anforderungen eine Frage der systematischen Befas-sung mit Personalmanagement ist. Es ist nicht unbedingt erforderlich, dazu eine Per-sonalabteilung wie in Großunternehmen zu haben, aber es ist eine Frage des Be-wusstseins, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Zu versuchen, gemeinsam mit den Beschäftigten Antworten zu finden, ist sehr spezifisch und sehr individuell auf den einzelnen Betrieb zugeschnitten, und man kann hier keine allgemeingültigen Ant-worten geben. Es ist so – Herr Dannenbring hat es angesprochen –, dass kleinere Unternehmen geringere Möglichkeiten haben, bestimmte Maßnahmenpakete anzu-wenden – denken Sie an Kinderbetreuung – als es bei Großunternehmen der Fall ist. Hier ist es hilfreich, sich aus betrieblicher Perspektive Gedanken darüber zu machen, ob es hier Kooperationsmöglichkeiten gibt. Aber das sollte auf freiwilliger Basis pas-sieren.

Gleichwohl ist für die Kinderbetreuung und Betreuung von Angehörigen die Betreu-ungsinfrastruktur, die der Staat zur Verfügung stellt, im Grunde der Handlungsrahmen abgesteckt, in dem Betriebe nur aktiv werden können. Betriebe können hier nur unter-stützend wirken. Es ist nicht originäre Aufgabe der Betriebe, sich beispielsweise um Kinderbetreuung oder um die Unterstützung bei der Betreuung von pflegebedürftigen Angehörigen zu kümmern. Da können und sollten Betriebe sich die Frage stellen, wo sie unterstützend eingreifen könnten, um attraktive Arbeitgeber zu werden.

Die zweite Frage betraf die Abwärtsspirale bei der Entlohnung in bestimmten Berei-chen. Wir sollten uns zunächst einmal klar darüber sein, dass die Frage der Entloh-nung oder der Verdienstperspektiven in einer Branche, in einem bestimmten Beruf da-von abhängt, wie die Zahlungsbereitschaft der Kunden ist.

(Dr. Birgit Beisheim [GRÜNE]: Danach habe ich gefragt!)

Das ist eine Frage, die uns als private Kunden betrifft, gleichermaßen wie die Frage, wo der Staat als Kunde auftritt, beispielsweise bei der öffentlichen Auftragsvergabe und dergleichen mehr. Aber wir müssen uns darüber klar werden, dass letztendlich wir als Kunden, ob wir Privatpersonen oder Unternehmen sind, im In- und Ausland darüber befinden, wie die Verdienstperspektiven in einer Branche aussehen. Das mag uns aus gesellschaftspolitischer Sicht nicht immer gefallen, dass bestimmte Berufsbereiche vielleicht nicht solche Verdienstperspektiven ermöglichen wie andere. Das ist darauf

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Enquetekommission VI 29.04.2016 14. Sitzung (öffentlicher Teil) schm zurückzuführen, dass wir als einzelne Unternehmen die Dienstleistungen oder die Er-zeugnisse, die bereitgestellt werden, entsprechend unterschiedlich honorieren wer-den. Daran kann man nichts ändern, und das ist ein Wesen unserer Marktwirtschaft. Wir haben nur die Möglichkeit, Menschen ausreichend darüber zu informieren, wie die Verdienstperspektiven in bestimmten Branchen, in bestimmten Berufssegmenten sind, um ihnen für die Berufswahlentscheidung klarzumachen, wie die Verdienstperspekti-ven in Zukunft sind, sodass das sie das in ihr Kalkül aufnehmen können. Das ist si-cherlich ein entscheidender Faktor, um hier ein größeres Verständnis von unterschied-lichen Verdienstperspektiven zu gewinnen.

Im Übrigen haben wir – man kann darüber streiten, ob man das gut oder schlecht findet – mit dem gesetzlichen Mindestlohn, mit Branchenmindestlöhnen eine Untergrenze, die natürlich sozusagen eine Abwärtsbewegung, eine Schranke einzieht. Damit ist eine zunehmende Abwärtsspirale aus unserer Sicht nicht mehr zu erkennen, unabhängig davon, wie man die Mindestlöhne im Einzelnen bewerten möchte.

(Dr. Birgit Beisheim [GRÜNE]: Ich meinte das bezogen auf den Unter-nehmer!)

– Sie meinen den Verdienst des Unternehmers. Der Verdienst des Unternehmers ist letzen Endes abhängig davon, ob die Dienstleistung, das Werk bzw. das Erzeugnis, was bereitgestellt wird, von den Kunden entsprechend honoriert wird.

(Dr. Birgit Beisheim [GRÜNE]: Geiz ist geil!)

Clemens Vatter (Vorstandsmitglied der SIGNAL IDUNA Gruppe): Die Fragen würde ich gern gemeinsam beantworten, denn die hängen miteinander zusammen. Es geht um die Frage: Wie kann man die betriebliche Altersversorgung für abhängig Be-schäftigte, aber auch für Betriebseigentümer verbessern, und welche Hemmnisse gibt es heute? Beginnen wir mit den abhängig Beschäftigten. Das sind Menschen wie wir alle, die mit den sogenannten drei Säulen der Altersversorgung ihre Altersversorgung gestalten wollen, mit der gesetzlichen, mit der betrieblichen und mit der privaten Rente.

Wir wollen uns in der Frage auf die betriebliche Rente konzentrieren. Klar ist, die ge-setzliche Rente allein wird es nicht retten können. Das liegt schon an der demografi-schen Entwicklung, die uns allen – glaube ich – bewusst ist. Wir sehen insgesamt in Deutschland, dass bereits fast 60 % der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten heute eine betriebliche Altersversorgung haben. Ab und an entsteht der Eindruck, dass kaum jemand noch eine bAV hat, aber ganz so ist es nicht. Was man jedoch sieht, ist, dass in typischen Handwerksunternehmen, nämlich bei kleinen und mittleren Unter-nehmen, der Anteil deutlich unter diesen 60 % liegt.

Wir haben in den vergangenen Jahren in der Branche Untersuchungen angestellt, wo-ran es liegt, dass zwar in vielen der Handwerksbetriebe betriebliche Altersversorgung existiert, sich aber nicht immer alle Mitarbeiter des Unternehmens dann dafür entschei-den. Am Ende geht es darum, dass die bAV an sich schon sehr komplex ist und gerade in kleinen und mittleren Unternehmen, in Handwerksbetrieben deren besondere Kom-plexität stark aufschlägt.

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Enquetekommission VI 29.04.2016 14. Sitzung (öffentlicher Teil) schm Frau Lanvermann hat vorhin treffend beschrieben, was die typische Personalabteilung eines Handwerkers ist. Das ist tendenziell die Ehefrau, zumindest heute. In Zukunft kann sich das sicherlich ändern. An der Stelle ist es wichtig, dass die Verwaltung ein-fach ist. Es gibt keine Rechtsabteilung und keine Steuerabteilung dahinter, sondern das ist alles sozusagen in ihrer Person vereint. Was ist wichtig, wenn wir über Verein-fachung reden? Ich sagte zu Beginn, ein stabiler Rechtsrahmen ist ein Thema. Wenn wir immer wieder über neue Durchführungswege, über zusätzliche Rahmenbedingun-gen der bAV sprechen, dann bleibt der Eindruck, dass es kein stabiler Rechtsrahmen ist. Von daher ist an der Stelle Ruhe erste Bürgerpflicht, und das bringt sicherlich po-sitive Aspekte in dieses Geschäft.

Was heißt einfach verständlich planbar und verwaltungsarm? Was ich zu Beginn sagte, es gibt heute bereits fünf Durchführungswege, aber wenn wir die im Detail dis-kutieren, dann werden die sehr komplex. Es gibt einen Durchführungsweg, der zu 80 % bei kleinen und mittleren Unternehmen gewählt wird, nämlich die sogenannte Direktversicherung. Die ist für die Personalabteilungen im Handwerk am verwaltungs-ärmsten. In großen Unternehmen kann man die Vorteile von anderen Durchführungs-wegen nutzen, aber das ist im Handwerk nicht der Fall.

Es gibt zwei große Hemmnisse, um dieses Thema betriebliche Altersversorgung und – öfter gewählt – Direktversicherungen in die Betriebe zu bringen. Es ist erstens das Thema Anrechnung auf die Grundsicherung, das heißt Mitarbeiter im Handwerk argu-mentieren sehr stark damit, dass sich Sparen nicht lohnt. Denn wenn man heute spart, dann wird, wenn man in Rente geht, womöglich an der Grundsicherung gekürzt. Da spielt sicher auch der Eindruck, den Herr Dittke vorhin dargestellt hat, dass die Rente sowieso nicht reichen wird, eine Rolle. Es ist ein Gefühl, es ist nicht unbedingt tatsäch-lich so, aber das ist es, was den Menschen in den Bäuchen herumschwirrt. Das Thema Anrechnung auf Grundsicherung ist ein psychologisches Hindernis, bei dem wir insge-samt als Branche der Meinung sind, das sollte noch einmal grundlegend überdacht werden.

Zweitens. Das nächste Thema spielt in das Thema Rechtsrahmen hinein. Vor wenigen Jahren ist die sogenannte Doppelverbeitragung in der Kranken- und Pflegeversiche-rung entstanden. Das heißt, Menschen, die lange Jahre in ihre betriebliche Altersver-sorgung eingezahlt und dann ihre Auszahlung bekommen haben, haben jetzt überra-schend Abzüge, Zahlungen an die Krankenversicherungen, bekommen. Das ist sys-temisch durchaus nachvollziehbar, ist aber bei den einzelnen Menschen nicht nach-vollziehbar, wo sie doch irgendwann einen Vertrag abgeschlossen oder eine Zusage im Unternehmen bekommen haben, die vermeintlich sozialversicherungsbeitragsfrei war. Auch an der Stelle plädieren wir dafür, dass die Rentner nur noch die Arbeitneh-merbeiträge für die Krankenversicherung bezahlen müssen und nicht auch den Arbeit-geberbeitragsanteil. Das wäre die Vorstellung auf der Seite der abhängig Beschäftig-ten. Das zeigt sowohl die Hemmnisse als auch Möglichkeiten, das zu verbessern.

Aus Sicht der Betriebseigentümer klappt das in einem der Eingangsstatements viel früher. Die typische Altersversorgung des Betriebseigentümers war der Betrieb an sich, der irgendwann verkauft oder übergeben wurde. Das ist in den letzten Jahren nicht mehr die erfolgversprechende betriebliche Altersversorgung gewesen. Wenn

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Enquetekommission VI 29.04.2016 14. Sitzung (öffentlicher Teil) schm man sich einmal anschaut, wie strukturiert die Handwerksbetriebe sind, dann reden wir zum einen von sehr kleinen Unternehmen, Personengesellschaften, die heute überhaupt keine Möglichkeit mehr haben, betriebliche Altersversorgung zu betreiben, und auf der anderen Seite Kapitalgesellschaften, typischerweise GmbHs, die eine ge-setzliche Rente und die Möglichkeit haben, privat vorzusorgen.

An der Stelle gibt es diverse Möglichkeiten, betriebliche Altersversorgung zu betreiben. Problem auch dort: Es gibt sehr komplexe Regelungen. Es ist nicht einfach, einem beherrschenden Geschäftsführer einer GmbH zu erklären, was er tun kann, wie er es tun kann, mit welchen Beträgen er es tun kann. Wir plädieren sehr stark dafür, die Regeln auf den Prüfstand zu stellen, inwieweit man entschlacken und vereinfachen kann.

Zum Thema Personengesellschaft, wo es heute keine Möglichkeit gibt, bAV zu betrei-ben. Das wäre ein Weg, den man sich vorstellen kann, wenn für die Mitarbeiter dieser Personengesellschaft nennenswert bAV betrieben wird, dass es dann die Möglichkeit gibt, für den Eigentümer eine betriebliche Altersversorgung in Anspruch zu nehmen. Auch das empfehlen wir zu prüfen. Warum? Weil wir die Erfahrung haben, betriebliche Altersversorgung wird bei den Mitarbeitern betrieben, wo der Chef/die Chefin positiv gegenüber betrieblicher Altersversorgung eingestellt sind. Wenn jemand glaubt, das ist eine Lösung für sich selbst, dann wird es den Mitarbeitern so erläutert, dass auch die einsehen, dass es eine sehr attraktive Möglichkeit ist, für das Alter vorzusorgen. Umgekehrt ist das nicht der Fall. Findet der Betriebseigentümer das alles kompliziert, schwierig und nicht erfolgversprechend, dann gibt es wenige Chancen bei den Mitar-beitern, Geld in die Hand zu nehmen, Arbeitslohn in die Hand zu nehmen und heute zu verzichten, um zukünftig Renten zu erhalten.

Ich würde gern noch zu einem Thema rund um die Betriebseigentümer Stellung neh-men, auch wenn die Frage nicht an mich gerichtet war. Herr Thiel hat die Pflichtversi-cherung angesprochen. Die heutige Handwerkerpflichtversicherung in der gesetzli-chen Rente, wie sie heute gestaltet ist, ist äußerst komplex und auch nicht logisch nachvollziehbar. Den Weg zu gehen, die Hindernisse auszuräumen, halten wir nicht für sachgerecht. Zum einen betreiben Handwerker, gerade wenn sie die Betriebsei-gentümer sind, unternehmerische Initiativen, nutzen unternehmerischen Freiraum, und wenn sie den Freiraum nutzen, dann sollten sie ihn auch in ihrer Altersversorgung haben, was nicht heißt, dass, wenn wir zu einer Vorsorgeverpflichtung kommen, auch die gesetzliche Rente für den einen oder anderen eine Möglichkeit sein kann. Gleich-zeitig haben viele heute schon vorgesorgt – egal, ob in Immobilien, in Versicherungen oder in andere Altersanlagen – und Altersvorsorge betrieben. Diesen Freiraum sollte man auch zukünftig lassen. Das heißt verkürzt gesagt: Versicherungspflicht sollte nicht Pflichtversicherung heißen.

Das größte Hemmnis ist nicht eines, das Kern der Enquetekommission ist. Das größte Hindernis, derzeit Vorsorge, Altersvorsorge, betriebliche Altersvorsorge zu betreiben, sind die niedrigen Zinsen. Das künstlich niedrige Zinsniveau führt in den Gesprächen, die wir derzeit mit Kunden führen, dazu, dass es zum einen die Aussage gibt, Alters-vorsorge lohne sich nicht. Die Bereitschaft zur Altersvorsorge geht deutlich zurück. Auf der anderen Seite müsste bei dem heutigen Zinsniveau deutlich mehr auf die hohe

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Enquetekommission VI 29.04.2016 14. Sitzung (öffentlicher Teil) schm Kante gelegt werden, um es später zu haben. „Spare in der Zeit, dann hast du in der Not“, gilt derzeit ganz sicher. Aber dieser Zusammenhang, dass durch niedrige Zinsen Sparen noch wichtiger ist, anstatt zu sagen, durch niedrige Zinsen lohne sich Sparen nicht mehr, ist in der Bevölkerung nur sehr schwer zu verankern. Von daher ist es ein sehr großes Hindernis, egal, ob für die betriebliche oder die private Altersversorgung. Ich befürchte, dass die Enquetekommission nur begrenzt unterstützen kann, das zu revidieren.

Dr. Jörg Weingarten (Wirtschaftsgeograph PCG – Project Consult GmbH): Zu-nächst einmal zur Frage des Fachkräftemangels. Meine Vorredner haben schon ge-sagt, dass der Fachkräftemangel empirisch evident nachmessbar ist. Der Fachkräfte-mangel entsteht zum einen aus dem allgemeinen demografischen Wandel, dass die jüngeren Kohorten nicht die Abgänge der älteren Teile der Gesellschaft, die in Rente gehen, auffangen können und man daher Zuwanderung braucht, um diese Fachkräf-telücke in Zukunft schließen zu können, insbesondere im Handwerk, weil das Hand-werk in starker Konkurrenz zur Industrie steht.

Das führt mich zur nächsten Überlegung, dass es im Grunde drei Faktoren sind, die letztendlich den Fachkräftemangel im Handwerk auslösen. Der erste Faktor ist, dass viele Handwerksbetriebe Stellenbesetzungsprobleme im Bereich der Auszubildenden haben. In manchen Betrieben und Gewerken wird über Bedarf ausgebildet, beispiels-weise im Friseur-Handwerk, andere haben Stellenbesetzungsprobleme wie zum Bei-spiel Bäckereien. Dann haben wir eine Fluktuation von Gesellen, die ihren Gesellen-brief haben, Junggesellen sind, die merken, dass sie in der Industrie vielleicht attrakti-vere Arbeitsbedingungen haben und dann, obwohl sie sich mit ihrem Beruf, mit ihrem Handwerk stark identifizieren, in die Industrie abwandern. Der dritte Faktor, was Herr Dittke schon angesprochen hat, dass viele ältere Beschäftigte wie beispielsweise Dachdecker und Gerüstbauer nicht bis zur Rente im eigentlichen Gewerk verbleiben können und an der Stelle ein Defizit bei den älteren Gesellen, bei den älteren Beleg-schaften entsteht. Letztendlich tragen verschiedene Faktoren zum Fachkräftemangel im Handwerk bei.

Zu der Frage von Herrn Lamla zur Abbruchquote von Zuwanderern und zu der Ausbil-dung. Ich habe die Mitteilung vom Präsidenten der Handwerkskammer für München und Oberbayern verfolgt. Der sagte in seinem Statement, dass er den Eindruck hätte, dass das repräsentativ für die Bundesrepublik wäre. Ich habe gehört, dass das nicht stimmt. Ich kann das nicht evaluieren; es gibt unterschiedliche Meinungen. Sie sagen, das ist nicht so.

Sie haben auch angesprochen, dass es sinnvoll ist, den Betrieben vonseiten der Hand-werkskammer Berater zur Seite zu stellen, dass sie betrieblich sensibilisieren und da-rauf einwirken können, dass der Migrant die Ausbildung zu Ende führt, er betreut und begleitet wird. Ich habe aus Gesprächen gehört, dass Flüchtlinge, die eine Ausbildung anfangen, oftmals abbrechen, weil sie sagen, sie hätten in anderen Berufen als Hilfs-arbeiter, zum Beispiel in der Logistik, höhere Verdienstmöglichkeiten als in der Ausbil-dung. Ich glaube, der Betreuer oder Begleiter muss für den späteren Berufsweg auf

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Enquetekommission VI 29.04.2016 14. Sitzung (öffentlicher Teil) schm den Stellenwert nach Fachausbildung in der Bundesrepublik hinweisen, sodass signa-lisiert wird: Mache deine Ausbildung zu Ende, dann hast du bessere Chancen, lang-fristig im Arbeitsmarkt hier in der Bundesrepublik erfolgreich zu sein und deinen Weg zu gehen.

Zur Frage der Rente. In den Gesprächen, die ich geführt habe, haben viele dafür plä-diert – dem würde ich mich auch anschließen –, eine Versicherungspflicht, sei es ge-setzlich oder privat, für Selbstständige, Scheinselbstständige oder Solo-Selbststän-dige der Handwerksordnung in der Anlage B einzuführen. Wie gesagt, ob privat oder pflichtversichert, soll dahingestellt sein. Ich glaube, dass durch die Nullzinspolitik – wie Herr Vatter es sagte –, durch niedriges Zinsniveau die Anreize für Beschäftigte sehr niedrig sind, in eine private Zusatzversicherung zu investieren, weil dort die Ertrags-perspektiven zu gering sind. Ich denke, dass Attraktivitätssteigerung und Verwaltungs-vereinfachung im Bereich der betrieblichen Altersvorsorge gerade für KMUs förderlich sind. Ich bin kein Rentenexperte, aber vielleicht muss man in Zukunft einmal über al-ternative Rentenmodelle speziell für das Handwerk nachdenken, wie wir es bei Ver-mögenswirksamen Leistungen haben, indem man sagt, es gibt einen zeitlichen Zu-schuss, der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer zahlt einen Zuschuss.

Vorsitzender Ralph Bombis: Herzlichen Dank. Was das Nachdenken angeht, haben wir uns das hier sozusagen auf die Fahne geschrieben. Insofern schauen wir einmal, welches Ergebnis wir in dieser Richtung haben werden.

Tatjana Lanvermann (Landesvorsitzende Unternehmerfrauen im Handwerk e. V.): Zu der Frage von Frau Dr. Beisheim zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. In der Praxis der Handwerksbetriebe müssen wir schnell viele Entscheidungen treffen. Wenn es dann politische Unterstützungen gibt und wir auf irgendetwas zurückgreifen können, erleichtert es uns in den Betrieben die Arbeit allgemein.

Ich gehe auf verschiedene Dinge ein. Es gibt bei Einstellungen von Frauen tolle Lö-sungen von Frau und Beruf. Die gelebte Familienfreundlichkeit und die Vereinbarkeit sowie die Absprachen unter den Mitarbeitern in den Betrieben funktionieren wesentlich besser und reibungsloser, wenn auch Frauen dort beschäftigt sind. Wir haben in Be-trieben verschiedene Möglichkeiten. Das fängt beim „betrieblichen Pflegekoffer“ an. Wenn der Mitarbeiter sagt, er habe einen Pflegefall in der Familie und er brauche jetzt drei Wochen Urlaub, fällt für uns natürlich der Mitarbeiter für drei Wochen aus. Sie haben zwar gesagt, das sei nicht unbedingt die Aufgabe der Betriebe, aber im Sinne der Mitarbeiter müssen wir schnellstmöglich Lösungen schaffen.

Bei uns im Münsterland gibt es den „betrieblichen Pflegekoffer“, in dem Lösungen sind, womit sich der Mitarbeiter beschäftigen und dann sofort anrufen kann. Dieses muss ich als Betrieb darstellen und auch spontan leisten können. Das muss für die kleineren Betriebe genauso leistbar sein, und meistens obliegt es der Unternehmerfrau, hier zü-gig Lösungen zu finden, da wir den Mitarbeiter wieder schnell im Betrieb brauchen. Es ist auch die Absprache mit den Mitarbeitern, weil jeder Mitarbeiter eine andere Verein-barkeit braucht. Seine Frau ist vielleicht ganz anders beschäftigt als er. Wir müssen individuell in den Betrieben auch die Arbeitszeiten regeln.

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Enquetekommission VI 29.04.2016 14. Sitzung (öffentlicher Teil) schm Zum Thema Work-Life-Balance. Es kommt jetzt wieder die Urlaubszeit und die Ferien-zeit. Klar, haben wir alle 30 Tage Urlaub, aber die Familie möchte natürlich gemeinsam Urlaub machen. Wenn die Ehefrau und der Ehemann den Urlaub für die Ferienzeit der Kinder aufbrauchen müssen, können sie keinen gemeinsamen Urlaub mehr mit der Familie verbringen. Ich finde, die Familie sollte im Fokus stehen. Wir arbeiten mit fle-xibler Arbeitszeitgestaltung, aber viele Mitarbeiter müssen, wenn sie in den Ferien ge-meinsam mit der Familie Urlaub machen wollen, auch unbezahlten Urlaub für diese Ferienzeit nehmen. Ich finde, das kann nicht die Lösung sein.

Ein großes Projekt, dem sich auch die Unternehmerfrauen angenommen haben, ist das Betriebshilfeprojekt. Wenn wir unvorhergesehene Ereignisse wie Krankheit, Mut-terschaft, Erziehungszeiten haben, stellt das für viele Unternehmerinnen und Unter-nehmer in Kleinbetrieben große Herausforderungen dar und gefährden eigentlich die Existenz der Betriebe. Eine kostenlose Ersatzkraft, die die Betriebsführung während der Ausfallzeiten aufrechterhält, würde Soforthilfe schaffen. Ich habe meiner Stellung-nahme ein Positionspapier vom Landesverband der UFA Thüringen beigelegt, die ein Projekt angestoßen haben. Dort wir klar dargelegt, wie man sich eine solche Unter-stützung vorstellt.

Herr Thiel, Sie sprachen über die Altersabsicherung. Ich möchte die Aussage von Herrn Dannenbring bestätigen. Wir fordern eine Versicherungspflicht auch im Hand-werk, aber wir benötigen dabei unbedingt eine Wahlfreiheit, die beinhalten sollte, dass eine flexible Stundung und eine Möglichkeit zur Unterbrechung der Einzahlungszeiten besteht, und zwar bei Zahlungsunfähigkeit im Betrieb – dann kann ich auch nicht in eine Altersvorsorge einzahlen –, bei Gründern – denn sie brauchen die Kapitalbindung in den ersten Jahren –, bei Erziehungszeiten und bei unvorhergesehenen Krankheiten.

Herr Weiß, Sie fragten nach Lösungsmöglichkeiten, wie man das Berufsfeld Handwerk in den Schulen attraktiver gestalten könne. Wir haben durch die Imagekampagne Handwerk im Moment tolle Mädchenbilder. Ich habe in meiner Stellungnahme aufge-führt, welche Bilder es bei den Unternehmerfrauen, aber auch bei den Unternehmern gibt. Es ist nicht nur wichtig, dass wir das Mädchenbild darstellen, wir müssen auch das gemeinsame Bild Junge und Mädchen darstellen. Denn es gibt die Bewerbung auf beiden Ebenen, die es auch weiterhin geben sollte. Es sollte auch da eine Gleichbe-rechtigung für beide geben, also der mit den besseren Fähigkeiten sollte in der Aus-bildung zum Zuge kommen. Ich habe hier schon einmal gesagt: Nicht jedes Mädchen ist für das Handwerk geeignet, aber auch nicht jeder Junge. Deshalb finde ich es wich-tig, nicht dieses Bild zu haben, der Junge oder der Mann gehört ins Handwerk. Wir müssen auch auf die Mädchen eingehen, dass sie genauso die Möglichkeit haben, im Handwerk zu bestehen. Das müssen wir auch als Bild in den Schulen zeigen, denn diese Bilder kommen bei den Mädchen an.

Wo wir immer Schwierigkeiten haben: Wir entscheiden uns für Auszubildende oder mittlerweile entscheidet sich der Auszubildende für uns als Handwerksbetrieb und möchte uns kennenlernen, bevor er in die Ausbildungszeit hineingeht. Da haben wir keinerlei Möglichkeiten. Die Praktika sind meistens gelaufen oder so fest gebunden, dass sie sich ein halbes Jahr oder ein Dreivierteljahr vorher in einem Betrieb auf dieses Praktikum bewerben mussten. Aber wenn sie einen Betrieb finden, der sie gern als

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Enquetekommission VI 29.04.2016 14. Sitzung (öffentlicher Teil) schm Auszubildende haben möchte, sie sich aber erst einmal in dem Betrieb umsehen möchten, haben wir keine Möglichkeit, dass der Junge oder das Mädchen sich noch einmal den Betrieb anschaut. Wir plädieren für flexible Praktika während der Schulzeit, dass noch eine Möglichkeit besteht, sich in der Entscheidungsphase den Ausbildungs-betrieb anzusehen.

Rolf Göbels (Leitung IQ-Netzwerk NRW Westdeutscher Handwerkskammertag): Herr Weiß, Sie fragten, wie man das Berufsfeld Handwerk an den Gymnasien zukünf-tig attraktiver gestalten kann bzw. welche Maßnahmen und Strategien zu verfolgen sind. Zum Vergleich: Wir haben insgesamt ca. 330 Ausbildungsberufe, wir haben meh-rere tausend Studiengänge. Wenn man davon ausgeht, dass die subjektiven Erwar-tungen, die jeder an sein Berufsleben hat, darüber entscheiden, in welche Ausbildung man letztlich geht, wenn ich höre, dass man so etwas wie Bachelor of Golf Manage-ment studieren kann, dann habe ich eine Klientel. Dann brauche ich einen Abiturienten nicht mehr zu fragen, ob er vielleicht Bäcker werden will. Ich glaube, die Lebenswelt, was sich ein Jugendlicher für sein Leben beruflich vorstellt, ist bei vielen Jugendlichen sehr viel näher, auch wenn das vielleicht nicht zu Ende gedacht ist.

Aus Sicht des Handwerks sollten wir von den Universitäten noch ein Stück weit lernen, in der Kommunikation mehr auf das einzugehen, was Ziel der Ausbildung ist. Wir ver-suchen, immer zu kommunizieren, was die Tätigkeiten sind, wie die Ausbildung aus-sieht, dass man viel verdient und mit dem Gesellenbrief etwas Wichtiges in der Hand hat. Wenn man sich beispielsweise die Werbung für Ausbildungsplätze der Fluggesell-schaften ansieht, dann sieht man nur, wie toll es ist, wenn man in New York ist und sieht nicht, wie eingepfercht man im Flieger sitzt. Genauso ist es mit der Handwerks-ausbildung. Wenn ich immer nur feilende junge Herren und Damen in der Werkstatt zeige und diese Bilder in den Gymnasien etabliere, dann bin ich schnell draußen. Ge-nauso ist es, wenn wir von Praktika reden. Es gibt keine schönere Überzeugung, sich für einen Beruf zu entscheiden, als ihn einmal selbst ausprobiert zu haben, zum Bei-spiel in einem Praktikum.

Meine Tochter hat sich in der zehnten Klasse die Universität einmal angeschaut und gesagt, der Campus habe Spaß gemacht. Aber was hat Spaß gemacht? Das war nicht die Vorlesung, sondern es war das Studentenleben, das gelebt wird. Das heißt, es geht nicht um das Studieren, sondern um das Studentenleben.

Wir sollten einmal überlegen, wie wir es in die Köpfe hineinbekommen, dass Betriebe, die Praktika anbieten, diese so realisieren – ich gehe davon aus, dass es bei Ihnen in den Betrieben so stattfindet –, dass jemand, der vom Gymnasium kommt, auch kom-muniziert bekommt, was man mit dem Beruf erreicht und nicht, was man in der Aus-bildung machet Hier werden wieder Klischees bedient, dass beispielsweise die Halle gefegt werden muss. Da muss man auch einmal mit ins Kundengespräch genommen werden, und es muss eine Planung geben, was man nach der Ausbildung macht. Das heißt, es wird beispielsweise nicht das Bild des Mediziners, der bis zum Physikum den Pschyrembel auswendig lernt, gezeigt, sondern es werden der weiße Kittel oder der grüne Kittel am OP-Tisch gezeigt. Das ist das Bild, das ich habe, wenn ich Arzt werden will. Wir sollten einmal schauen, dass diese Bilder, die entstehen, gerade mit Blick auf

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Enquetekommission VI 29.04.2016 14. Sitzung (öffentlicher Teil) schm Gymnasien dafür sensibilisieren, dass Handwerk ökologisch, sozial ist und es auch andere Kompetenzen als Feilen, Sägen, Bohren gefordert gibt. Das ist unsere Erfah-rung in dem Bereich.

Zum Thema Ausbildung an sich. Es gibt sehr viele schöne, gute Modelle, zum Beispiel duale Ausbildung, triale Studiengänge, wo der Abiturient oder die Abiturientin vermittelt bekommt, dass der Abschluss, der erreicht worden ist, sich auch lohnt. Ein großes Problem bei vielen, die sich für eine Ausbildung im Handwerk entscheiden würden, ist, dass sie sich fragen: Wofür habe ich denn Abitur gemacht, warum lohnt sich das? Damit sich dieses Lohnen für denjenigen, der sich für das Handwerk entscheidet, auch perspektivisch auszahlt, finde ich diese Kombination einen guten Weg, um zu kommu-nizieren: Das, was du bis zum Abitur gemacht hast, kannst du auch während der Aus-bildung einsetzen, und es war nicht umsonst. Denn die Jahre bis zum Abitur sind ein Brett. Dann zu sagen, man macht jetzt etwas, was auch jeder andere ohne Schulab-schluss machen könnte, das muss man „im Kopf erst einmal gerade bekommen“. Da finde ich gerade die kombinierten Ausbildungsgänge sehr interessant. Hier sollte man überlegen, wie man die kleinen und mittleren Unternehmen des Handwerks unterstüt-zen kann, um dieses anzubieten. Denn bei einem kleinen Betrieb mit fünf, sechs Per-sonen, und dann noch Abiturient und duale Ausbildung, fehlt noch einmal sehr viel Zeit. Da braucht man Unterstützungsleistungen, damit jemand für eine gewisse Zeit für die Hochschule freigestellt wird, um diese doppelten Abschlüsse zu erlangen.

Eine weitere Facette ist die gesellschaftliche Meinung sowie die Haltung von Lehrern, von Gymnasien an sich gegenüber dem, was handwerkliche Ausbildung ist, je nach-dem, in welchen Zusammenhängen man über handwerkliche Leistung redet. Gerade Bauhandwerker kennen das. Wenn man Lehrer als Kunden hat, ist das nicht ganz einfach.

(Heiterkeit)

Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist, dass den Schülerinnen und Schülern mit Blick auf das Abitur – es wurde schon gesagt, es ist der Fokus, um den es geht – zu kommunizieren, dass man vielleicht auch über ein duales oder triales Studium dahin kommt, dass man sich das als Lebenstraum erfüllt. Das in die Lehrer-köpfe hineinzubekommen, ist schwierig, wenn man die Biografie sieht. Manche sagen, Lehrer hätten noch nicht gearbeitet. Meine Frau ist Lehrerin. Deswegen weiß ich, dass es nicht so ist. Aber trotzdem ist die Einstellung zu dem, wie im Handwerk gearbeitet wird, sehr von dem geprägt, was das Tun auf der Baustelle oder an der „Front“, der Leistung der Produktion, stattfindet. Wir haben sehr schöne Beispiele, wo sich Lehrer auch einmal in die Werkstätten, in die Betriebe begeben. Es gibt auch viele Gymna-sien, die sich dafür öffnen und da durchaus zusammenarbeiten, und wir dafür sorgen können, dass für die Schüler noch etwas anderes dabei herauskommt als diese Ein-bahnstraße Hochschule. Wenn wir es schaffen, die Betriebe ein Stück weit zu unter-stützen, den Wert des Abiturs in die Ausbildung mit hineinzunehmen, dann ist das, glaube ich, ein richtiger Schritt.

Noch eine kurze Schlussbemerkung zur dualen Ausbildung. Viele Abiturienten sagen – das ist die persönliche Erfahrung –, Berufsschule sei schwierig. Wenn Gymnasiasten ein vernünftiges Abitur gemacht haben und in der Berufsschule dann mit dem Stoff

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Enquetekommission VI 29.04.2016 14. Sitzung (öffentlicher Teil) schm anfangen, den sie vor vier Jahren schon gehabt haben – zwar vergessen haben, wes-wegen es nicht schlecht ist, den Stoff zu wiederholen –, ist es nicht der Erkenntnisge-winn, den man unbedingt bekommt. Das sorgt nicht dafür, dass diese Schüler dann als gute Multiplikatoren auftreten, und auch das ist eine wichtige Aufgabe.

Helmut Dittke (DGB-Bundesvorstand): Zu den Fragen von Herrn Lamla zur Identifi-kation von Fachkräftemangel. Ich denke, es gibt in Deutschland keinen flächendecken-den Fachkräftemangel. Es gibt aber vor dem Hintergrund des demografischen Wan-dels natürlich einen verstärkten Wettbewerb einzelner Branchen um gute Fachkräfte.

Ich hatte eingangs schon gesagt, wir haben gemeinsam mit ZDH und BMWI einen Branchendialog Handwerk gemacht. Zu diesem Branchendialog gab es im Vorfeld eine Online-Konsultation, und da haben von den teilnehmenden Betrieben fast die Hälfte, nämlich 49,5 %, gesagt, sie spüren aus betrieblicher Sicht einen sehr starken Fachkräftemangel. 36,5 % haben gesagt, sie spüren einen leichten Fachkräftemangel, und nur 9,2 % haben gesagt, sie haben keine Besetzungsprobleme. Wie ich schon ausführte, bei unserem „Index Gute Arbeit“ haben 10 % der Beschäftigten gesagt, sie haben gute Arbeitsbedingungen. Das sind dann wahrscheinlich die 10 % der Beschäf-tigen, die in den 10 % der Betriebe arbeiten, in denen es gute Arbeitsbedingungen gibt. Das ist jetzt eine steile These, aber ich denke, das hat direkt etwas miteinander zu tun.

Im Handwerk selbst bei 370.000 Auszubildenden in der Branche bundesweit ist auch immer noch eine Ausbildungsquote, die weit über dem Bedarf liegt, also kann es auch nicht sein, dass im Handwerk zu wenig ausgebildet wird. Es bleiben mittlerweile 20.000 Ausbildungsstellen, die Handwerksbetriebe anbieten, unbesetzt, wo junge Menschen gar nicht mehr in diese Ausbildung gehen möchten. Aus unserer Sicht findet da eine Abstimmung der jungen Menschen mit den Füßen statt. Der DGB hat diese Woche eine Expertise veröffentlicht, die auszugsweise in unserer Stellungnahme ist, wo man der Frage nachgegangen ist: Woran liegt es bei den Berufen, die die größten Beset-zungsprobleme in der Ausbildung haben? Woher kommen die Hintergründe? Ich will es jetzt nicht noch einmal einzeln aufzählen, es liegt auch schriftlich vor. Von daher denke ich, flächendeckenden Fachkräftemangel nicht, und die einzelnen Branchen müssen schauen, wo sie hinkommen.

Dann komme ich zu der Frage Ausbildungsvergütungen, Arbeitsbedingungen im Handwerk. Das ist ein Block, wozu viele von Ihnen Fragen gestellt haben. Wir haben eine sinkende Tarifbindung. Es wird immer wieder auch von Arbeitgeberseite gesagt, die Branchen stünden in einem starken Wettbewerb. An der Stelle muss man sehen, Tarifverträge sind dazu da, einen fairen Wettbewerb zu organisieren. Wir wollen den Qualitätswettbewerb und nicht einen Dumpingwettwerb. Wenn im Kfz-Handwerk jeder Betrieb sich an Tarifverträge hält oder in anderen Branchen über eine Allgemeinver-bindlichkeit Rahmenbedingungen festgelegt werden, haben wir Wettbewerbsbedin-gungen, zumindest Startbedingungen, die in Ordnung sind. Betriebe können letztend-lich noch überlegen, ob sie über Tarif bezahlen. Aber mit Branchenregularien haben wir eine untere Linie. Deshalb liegen beispielsweise im Kfz-Handwerk für die Beschäf-tigten zwischen tarifgebundenen und nicht tarifgebunden Betrieben schon einmal 1.000 € im Monat.

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Enquetekommission VI 29.04.2016 14. Sitzung (öffentlicher Teil) schm Ich komme zur nächsten Frage. Der Betrieb, der Tarif zahlt, gerät in einen großen Wettbewerbsdruck. Wenn der Krauter an der Ecke auch bei den Vergütungen seiner Beschäftigten spart, kann er natürlich zu niedrigeren Stundensätzen anbieten. Das führt zu Problemen bei der Qualität der Arbeit. Von Frau Beisheim war die Frage, ob wir beim „Index Gute Arbeit“ auch tiefergehend gefragt haben. Ja, haben wir. Es leiden zum Beispiel 45 % der Beschäftigten unter extremer Leistungsverdichtung. Die muss-ten mehr arbeiten, mehr leisten. Das hängt auch damit zusammen, dass das Hand-werk im Moment eine Sonderkonjunktur hat. Man liest Berichte von Handwerkskam-mern, von Verbänden, dem Handwerk gehe es glänzend, das Handwerk habe golde-nen Boden. Aber es fehlen Beschäftigte. Das heißt, die Strategie vieler Unternehmen ist, dass die Beschäftigten, die da sind, Überstunden fahren müssen, Leistungsver-dichtung bekommen, was noch einmal zum Sinken der Attraktivität einzelner Hand-werksbranchen führt.

Es wurde die Frage gestellt: Was machen die Betriebe konkret, damit Beschäftigte gesund bleiben? Welche Angebote gibt es? Da sagen uns nur 11 % der Beschäftigten, ihre Betriebe machen Angebote zum Thema Gesundheitsschutz, was zu der Frage der älter werdenden Belegschaften führt: Wie lange bleiben Belegschaften in der Be-schäftigung? Dazu komme ich gleich noch. 52 % der Beschäftigten haben gesagt, sie haben eine wesentliche Steigerung im Stress und sie halten bis zur Rente nicht durch. Also, jeder zweite Arbeitnehmer im Handwerk sagt, er hält diese Arbeitsbedingungen nicht bis zur Rente durch. Ich denke, wir müssen konkret nachhaken, was passieren muss, wenn die Beschäftigten vor dem Hintergrund Rente mit 67 – manche träumen schon von einer Rente mit 70 – nicht mehr im Betrieb sind.

Nur einige Zahlen. Bei den Bäckern sind nur noch 2,6 % im Alter von über 60 Jahren im Beruf, bei den Friseuren knapp über 4 %, bei den Dachdeckern nur noch 2 %, im Kfz-Bereich 3,8 %, das heißt, die meisten halten nicht durch. Bei den Erwerbsminde-rungsrenten liegen die Dachdecker und Gerüstbauer mit 55,8 % vorn. Ein Großteil der Kolleginnen und Kollegen geht mit Erwerbsminderungsrente; sie schaffen es gar nicht bis zum Schluss. Bei den Friseuren sind es 23 %, bei den Bäckern 41 %, die in Er-werbsminderungsrente gehen. Deshalb brauchen wir auch flexible Übergänge in die Rente, damit die Brüche nicht so stark sind. Wir müssen schauen, wie wir die Erwerbs-minderungsrente so gestalten, dass die Menschen, nachdem sie sich im Beruf kaputt-gemacht haben, davon leben können. Ich denke, das ist bei der Altersvorsorge ein Riesenproblem.

Bei den Renten ist es auch ein großes Problem, dass wir hohe Minijob-Zahlen haben. Bei den Gebäudereinigern sind 43 % im Minijob. Das heißt, die können keine vernünf-tigen Ansprüche erwerben. Bei den Bäckern sind es knapp 25 % – da sind oft die Verkäuferinnen in der prekären Situation –, bei den Friseuren sind es 20 %, die Mi-nijobs haben. Wir haben also insgesamt das Problem, dass nicht genug Anwartschaf-ten erworben werden können und zusätzlich das Rentenniveau der gesetzlichen Rente auf 43 % abgesenkt werden soll. Da rollt im Handwerk ein Riesenberg an Altersarmut auch auf die öffentliche Hand zu. Denn die Menschen, die von ihrer Erwerbstätigkeit keine Rentenansprüche haben, landen irgendwann in der Grundsicherung.

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Enquetekommission VI 29.04.2016 14. Sitzung (öffentlicher Teil) schm Zum Thema Solo-Selbstständige. Wir machen die Erfahrung, dass von den vielen Neugründungen nach der HwO-Novelle 2004 viele als Ich-AG gestartet sind, aber auch viele in den deregulierten Handwerksbereichen – Beispiel Fliesenleger – von ih-rem ehemaligen Betrieb freigesetzt wurden und heute als Sub-Unternehmer für den ehemaligen Chef arbeiten. Wir müssen genau hinschauen: Wie ist überhaupt die Struktur? Denn es sind Werksvertragskonstruktionen, die auch im Handwerk laufen. Wie ist die Definition des normalen Werkvertrags, den die meisten Handwerksbetriebe als Auftragnehmer annehmen? Wie ist ein Schein-Werkvertrag definiert?

Im Handwerk haben wir mittlerweile im Baubereich zum Teil katastrophale Bedingun-gen. Das hat auch Auswirkungen in den Handwerkskammern. Wenn Sie sich einmal die Handwerksrollen, das Verzeichnis der Betriebe, und die Beiträge, die diese Kleinstbetriebe leisten, ansehen, sind in den Handwerkskammern mittlerweile – das ist auch unterschiedlich – bis zu 60 % Kleinstunternehmer, die nur den Mindestbeitrag leisten. Das sind oft Unternehmen, die weniger als 17.500 € Jahresumsatz haben, das heißt, die fallen nicht in die Mehrwertsteuerpflicht und sind somit noch einmal an der Wettbewerbsverzerrung beteiligt. Denn der normale Handwerksbetrieb unterliegt der Mehrwertsteuerpflicht von 19 %, und der Kleinstunternehmer ist außen vor.

Wir haben durch die Digitalisierung neue Geschäftsmodelle, die diese Entwicklung noch betreiben, beispielsweise diese Putz-Plattformen „helpling.de“, „bookatiger.com“ oder andere. Da ist zum Teil das Geschäftsmodell, dass die Gebäudereiniger nicht mehr beim Betrieb angestellt, sondern als Solo-Selbstständige unterwegs sind. Die machen eine Rechnung von 12,50 € pro Stunde auf. Von den 12,50 € gehen erst ein-mal 20 % an den Plattformbetreiber, und von dem Rest müssen noch diverse Kosten beglichen werden, unter anderem soziale Absicherung. Das heißt, diese Menschen sind, wenn sie mit ihrer Arbeit fertig sind, bei 6,50 € pro Stunde. Wir haben im Gebäu-dereiniger-Handwerk jetzt einen neuen Mindestlohntarifvertrag, wo die Sozialpartner gesagt haben, 10 € im Westen müssen es schon sein.

Wir müssen darüber nachdenken, wie diese neuen Solo-Selbstständigen geschützt werden, indem man sehr genau Werkverträge definiert. Bei den Plattformen muss man schauen, ob die vielleicht nicht Arbeitgeberfunktion haben. Wir müssen überlegen, ob man in dem Bereich Solo-Selbständige nicht einmal über Mindesthonorare nachdenkt. An der Stelle müssen wir Lösungen finden. Denn die Ausweichbewegung der Betriebe, immer mehr aus der regulären Beschäftigung in solche prekären Systeme zu geben, ist riesengroß. Da muss ordnungspolitisch die soziale Marktwirtschaft das „sozial“ ein bisschen stärker schreiben. Ich denke, dann bekommen wir da ein bisschen einen Haken dran.

Vorsitzender Ralph Bombis: Für die zweite Fragerunde gibt es fünf Wortmeldungen.

Daniela Jansen (SPD): Ich habe zwei Fragen, die erste Frage geht an Frau Lanver-mann. Frau Lanvermann, ich war zusammen mit Frau Dr. Beisheim und mit einigen anderen Kolleginnen und Kollegen vor zwei Jahren zu dem Gedankenaustausch bei Ihnen. Das fand ich spannend. Wir haben auch über das Thema Berufsorientierung

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Enquetekommission VI 29.04.2016 14. Sitzung (öffentlicher Teil) schm und über die Programme, die das Land im Rahmen von „Kein Abschluss ohne An-schluss“ aufgelegt hat. Damals hatte ich gefragt, inwieweit das in den Betrieben über-haupt schon ein Begriff ist, dass man Praktikumstage, also einzelne Tage als Berufs-feldorientierung, anbieten sollten, damit man mehr junge Leute für das Handwerk ge-winnt. Das war damals bei den meisten Ihrer Mitgliedsbetriebe kaum bekannt, weil wir erst damit angefangen haben.

Mich würde interessieren, ob das jetzt bekannter ist und besser angenommen wird. Denn wir haben in den Gesprächen mit Handwerkskammern immer wieder gehört, ein Tag sei viel zu wenig, es werde eher abschreckend von den Jugendlichen wahrge-nommen, weil man kaum Zeit hat, sich mit ihnen zu beschäftigen. Es wird eher präfe-riert, einmal Fähigkeiten, die zu einem Beruf gehören, in einer Werkstatt auszuprobie-ren. Dazu würde mich Ihre Einschätzung interessieren, gerade aus Ihrer großen Nähe zu den Betrieben.

Herr Dittke, Sie haben in Ihrem Statement, das ich sehr interessant fand, etwas zur Frauenförderung und zur Berufsorientierung gesagt, um Mädchen und Frauen für ei-nen Beruf im Handwerk zu gewinnen. Mich würde abstrakt interessieren: Was können Gewerkschaften vielleicht in Zusammenarbeit mit den Betriebsräten tun, um diese Be-mühungen zu verstärken? Oder sagen Sie, Sie halten sich da raus?

Reiner Nolten (Sachverständiger der Fraktion der FDP): Auch mein Dank an die Experten. Ich habe zwei Fragen. Die erste Frage bezieht sich auf das Thema Verein-barkeit von Familie und Beruf und hier auf die angesprochenen Betriebskindergärten und richtet sich an Herrn Stettes, Herrn Weingarten und Herrn Dittke. Hier stellt sich erst recht die Frage, wenn vielleicht Dritte das für KMUs organisieren sollen, weil KMUs allein nicht genug Mitarbeiter haben, um die nötige Kinderzahl zu haben, wie Sie die Finanzierung der Betriebskindergärten sehen. Sie sind gegenüber Kindergärten in so-zialer, christlicher oder öffentlicher Trägerschaft von staatlicher Seite benachteiligt.

Zur zweiten Frage. In den Stellungnahmen zum Thema Fachkräfte haben Sie, Herr Dannenbring und Herr Göbels, das Thema Flüchtlinge und Migranten mit aufgenom-men. Es ist unbestritten, dass die Migranten eine hohe Bedeutung im Bereich Fach-kräfte für das Handwerk haben. Welche Bedeutung können Flüchtlinge da überhaupt haben?

Rainer Spiecker (CDU): Ich habe zwei Fragen. Herr Stettes, Ihr Verband fordert die weitere Öffnung der Hochschulzugänge für Personen mit Fortbildungsabschluss sowie für Ausbildungsabsolventen mit mehrjähriger Berufserfahrung. Das zielt nach meiner Auffassung darauf, dass der Meisterzugang zum Masterstudium gar nicht erhalten werden soll. Oder was muss dafür zusätzlich getan werden? Zweitens. Frau Lanver-mann, können Sie mir kurz erklären, was Ihr Vorschlag zur Betriebshilfe sein sollte und wie das Finanzierungsmodell dann aussehen könnte und – was mich entscheidend interessiert – wer der Träger wäre?

Oskar Burkert (CDU): Ich habe eine Frage an Herrn Dannenbring, Herrn Dr. Wein-garten, Herrn Göbels und Herrn Stetten. Herr Dr. Weingarten, in Ihrer Stellungnahme

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Enquetekommission VI 29.04.2016 14. Sitzung (öffentlicher Teil) schm haben Sie aufgeführt, dass in vielen Gewerken nicht bis zum 60. oder 65. Lebensjahr die Arbeit geleistet werden kann. Besonders aufgeführt waren Gerüstbauer, Dachde-cker, Maurer. Welche Lösungsvorschläge haben Sie, die wir gerade für diese Alters-gruppe mitnehmen können? Gesundheit wurde schon erwähnt, das heißt Prävention. Welche anderen Möglichkeiten gibt es, damit die Menschen, die körperlich diese Ar-beiten nicht mehr verrichten können, frühzeitig in andere Branchen, andere Berufe, andere Tätigkeiten wechseln können? Wenn ich zum Beispiel den Dachdecker nehme. Der hat in seinen vielen Jahrzehnten, in denen er am Bau gearbeitet hat, eine wahn-sinnige Erfahrung gesammelt, die dann verschwindet, die nicht weitergegeben wird. Welche Lösungsmöglichkeiten könnten Sie uns mitgeben?

Dr. Birgit Beisheim (GRÜNE): Ich habe eine Frage an Herrn Dannenbring und Herrn Vatter bezogen auf die Altersversorgung. Aus eigener Erfahrung als Selbstständige muss ich sagen: Seitdem Banken Versicherungen verkaufen, traue ich weder einer Bank noch irgendeiner Versicherung. Nichtsdestotrotz ist die Frage nach unabhängi-ger Beratung. Man muss sich irgendwann überwinden und ans Alter denken, aber man hat immer das Gefühl, man wird über den Tisch gezogen. Wie können wir es schaffen, für Selbstständige wieder mehr Vertrauensbasis in diese Anlageformen zu gewinnen, um sie transparenter und durchsichtiger zu machen, damit sie auch angenommen wer-den? Ansonsten bleibt am Ende ein Zwang in die Aufnahme der normalen Rentenver-sicherung, weil es auf Basis der Freiwilligkeit nicht funktioniert hat.

Rainer Christian Thiel (SPD): Ich habe eine Frage zum Thema Weiterbildung. In ei-ner Zeit, in der Produkte tendenziell schlauer als ihre Nutzer oder Häuser schlauer als ihre Inhaber werden, ist es für diejenigen, die damit zu tun haben, auf der Höhe der Zeit zu bleiben, eine wesentliche Frage. Wir haben über duale Ausbildung gesprochen, zum Beispiel wie man Auszubildende, Abiturienten, sprich Auszubildende mit Stu-dienerfahrung, Hauptschüler bekommt. Wir haben aber auch Facharbeiter, Gesellen im Handwerk, deren Weiterbildung im Wesentlichen darin besteht, dass sie, wenn bei-spielsweise Vaillant am Produkt etwas ändert, beigebracht bekommen, was sich am Produkt geändert hat. Wenn beispielsweise Audi etwas Neues hat, bekommt man das beigebracht, und zwar nicht alle, sondern nur der, der mit der Elektronik zu tun hat. Wie sehen Sie einen allgemeinen Weiterbildungsbedarf innerhalb des Handwerks, zwar auch bei den Inhabern, aber in erster Linie bei den Arbeitnehmern, um am Markt wettbewerbsfähig zu sein, dass man die Werthaltigkeit ihrer Arbeitskraft erhält? Die Frage geht an Herrn Dannenbring, Herrn Stettes, Herrn Göbels und Herrn Dittke.

Vorsitzender Ralph Bombis: Ich erlaube mir, zum Abschluss eine Frage an Herrn Dannenbring, Herrn Dr. Stettes, Herrn Göbels und Herrn Dittke zu stellen. Wir haben viel über die sicherlich enorm wichtigen Themen der Tarifsituation, der Gehaltssitua-tion, der Renten- und Alterssicherungsthematik und der Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf gesprochen. Ich würde Sie bitten, vielleicht schlagwortartig auf die Fragen einzugehen. Was sehen Sie darüber hinaus, und wenn ja, was sehen Sie noch als wesentliche Rahmenbedingungen für eine Arbeitswelt im Handwerk? Spielen zum Beispiel aus Ihrer Sicht – möglicherweise ist es aus den Zahlen teilweise abzulesen –

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Enquetekommission VI 29.04.2016 14. Sitzung (öffentlicher Teil) schm die Möglichkeiten des Aufstiegs im Handwerk eine Rolle, auch im Hinblick auf Betrieb-sübernahme oder Ähnliches? Sehen Sie darüber hinaus noch andere Dinge? Sollte es darüber Erkenntnisse geben, auch gern mit Blick auf die Menschen, die noch nicht im Handwerk sind, sondern eher noch auf der schulischen Seite zu erreichen sind.

Damit kommen wir zur Antwortrunde.

Jan Dannenbring (Abteilungsleiter Arbeitsmarkt, Tarifpolitik und Arbeitsrecht Zentralverband des Deutschen Handwerks): Ich bin von Herrn Nolten zum großen Themenbereich Flüchtlinge im Handwerk angesprochen worden. Das ist ein Themen-bereich, der von sehr aktueller Bedeutung ist und wo sich das Handwerk sehr stark engagiert. Ich glaube, es ist richtig, dass wir uns in diesem Themenbereich engagie-ren. Es ist Teil unserer humanitären Verantwortung, die wir im Handwerk wahrnehmen, dass wir versuchen, Flüchtlingen eine Qualifizierung und eine Ausbildung zukommen zu lassen, damit sie am deutschen Arbeitsmarkt Fuß fassen können und damit letztlich eine wesentliche Grundlage schaffen, damit sie sich selbst versorgen können und aus dem Sozialleistungsbezug herauskommen. Ich glaube, das ist eine Initiative, die ganz wichtig ist für das Handwerk.

Etliche Handwerkskammern sind schon vorbildlich unterwegs. Auch in NRW gibt es viele Projekte von Handwerkskammern für die Qualifizierung und Ausbildung von Flüchtlingen. Aber es gehört auch zur Realität, dass die Maßnahmen, die wir ergriffen haben – das betrifft nicht nur das Handwerk, diese Erfahrungen gibt es auch aus an-deren Wirtschaftsbereichen –, die Qualifizierung und Ausbildung von Flüchtlingen, sich durchaus schwieriger gestalten, als wir es zunächst angenommen haben. Wir im Handwerk waren anfangs fast euphorisch, als die Flüchtlingswelle begann. Wir hatten die Hoffnung, dass wir die Flüchtlinge relativ schnell integrieren könnten. Diese Hoff-nung hat sich als trügerisch erwiesen, und zwar vor dem Hintergrund, dass die Quali-fikationsstruktur der Flüchtlinge deutlich schlechter ist als erwartet. Gerade im berufli-chen Bereich gibt es kaum verwertbare Qualifikationen, die die Flüchtlinge mitbringen, weil aus den meisten Herkunftsländern keine duale Ausbildung oder berufliche Ausbil-dung – wie auch immer man sie definieren mag – vorhanden ist. Das ist das eine Problem.

Zum anderen ist in vielen Herkunftsländern, gerade aus dem arabischen Raum, das Handwerk schlecht angesehen. Alle streben einen akademischen Beruf an. Das Hand-werk ist eine – in Anführungszeichen – dreckige Arbeit, die ungern gemacht wird. Hier müssen wir erst einmal Überzeugungsarbeit bei den Flüchtlingen leisten, damit sie den Stellenwert von Handwerk in Deutschland, die Vorteile einer dualen Ausbildung, die Karrierechancen, die damit verbunden sind, erkennen. Stichwort Sprachkompetenz. Das ist nun einmal eine wichtige Kompetenz, die für die Durchführung einer dualen Ausbildung unabdingbar ist. Gerade in der Berufsschule bedarf es der Grundkennt-nisse der deutschen Sprache, und das dauert sehr viel länger als wir erwartet haben. Ich glaube, wir alle sind gut beraten, uns beim Thema Flüchtlinge mehr Zeit zu geben, sowohl den Flüchtlingen als auch den Unternehmen. Das Ganze ist eine größere Her-ausforderung als wir angenommen haben.

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Enquetekommission VI 29.04.2016 14. Sitzung (öffentlicher Teil) schm In einem Satz möchte ich darauf eingehen, dass der ZDH selbst etliche Projekte durch-führt. Wir haben vor Kurzem eine Initiative mit dem Bundesforschungsministerium und der Bundesagentur für Arbeit angestoßen, um 10.000 Flüchtlinge im Handwerk über den Zeitraum 2016/2017auszubilden. Auch das unterstreicht noch einmal unser Enga-gement in diesem Bereich. Ich glaube, das unterscheidet uns durchaus von anderen Wirtschaftsbereichen, die nicht, zumindest nicht in diesem Umfang, für Flüchtlinge tätig geworden sind.

Ich komme zu der Frage von Herrn Burkert, wie wir es schaffen können, dass die Be-schäftigten im Handwerk noch länger für das Handwerk da sind und sie nicht frühzeitig aus dem Handwerk ausscheiden. Auch da sind branchenspezifische Lösungsansätze ganz wichtig. Sie haben es selbst gesagt, dass es in den körperlich belastenden Be-trieben andere Herausforderungen gibt als in den anderen Handwerken. Besonders in den Bauberufen ist das Thema Umschulung ein wichtiges Thema. Die Kompetenzen, die vorhanden sind, dürfen nicht verlorengehen. Gerade bei Beschäftigten, die schon körperliche Beeinträchtigungen haben, sollte versucht werden, sie in andere Bereiche des Unternehmens zu überführen, die weniger körperlich belastend sind, oder sie über das Handwerk hinaus in andere Wirtschaftsbereiche zu bringen, die baunah sind. Ich denke an die Baumärkte und Ähnliches. Da gibt es Einsatzbereiche, die man quanti-tativ aber nicht überschätzen darf. Es ist uns bewusst, dass am Ende des Tages nicht jeder Handwerker aus den Bauberufen in eine andere Tätigkeit überführt oder umge-schult werden kann.

Deswegen ist das Thema Gesundheitsvorsorge ganz wichtig. Wir müssen unsere Be-triebe ein Stück weit stärker sensibilisieren, dass gerade in den körperlich belastenden Betrieben die Gesundheitsvorsorge dazu beiträgt, die Beschäftigten länger in der Be-schäftigung zu halten. Ich glaube, das ist ein Thema im Handwerk, bei dem es noch Handlungsbedarf gibt.

Im Bereich der Rente ist zu überlegen, ob es nicht verstärkt flexible Renteneintritts-möglichkeiten geben sollte. Hier setzt der ZDH vor allen Dingen in dem Bereich der Teilrente an, dass die Möglichkeit der Teilrente stärker ausgedehnt wird, damit sie at-traktiver wird für Handwerker, die dann ab dem 63. Lebensjahr mit einer Teilrente teil-weise schon Rente beziehen, aber teilweise noch im Beruf bleiben. Es gibt erste Über-legungen innerhalb der Bundesrepublik, und wir sind in einem engen Dialog mit dem Bundesarbeitsministerium und hoffen, dass es zu attraktiven Lösungen für die Hand-werker kommen wird.

Frau Dr. Beisheim fragte zum Thema Altersvorsorge und Beratung für Selbstständige und deren Altersvorsorge. Das ist ein weites Feld. Ich gebe Ihnen recht, die kommer-ziellen Anbieter haben nicht immer nur die Interessen der Selbstständigen im Blick, sondern durchaus kommerzielle eigene Interessen. Deswegen ist es sicherlich eine Aufgabe der Kammern. Die Handwerkskammern können unabhängig und neutral be-raten, und das tun sie auch. Über die Betriebsberater gibt es die Möglichkeiten der Beratung, was die Altersvorsorge angeht. Ich bin sicher, auf diesem Gebiet können und müssen die Kammern in der Zukunft noch einen stärkeren Akzent setzen.

Das Gleiche gilt für den Bereich der Weiterbildung, den Herr Thiel angesprochen hat. Auch das ist natürlich ein weiter Bereich, in dem ich ehrlicherweise kein Experte bin.

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Enquetekommission VI 29.04.2016 14. Sitzung (öffentlicher Teil) schm Deswegen kann ich dazu nicht viel sagen. Vielleicht können die anderen Sachverstän-digen das noch ergänzen. Die Weiterbildung ist eine Herausforderung sowohl für die Arbeitnehmer als auch für die Unternehmen. Beide sind gefordert, hier tätig zu werden. Auch die Bundesagentur für Arbeit ist gefordert, verstärkt Angebot zu machen oder bei ihren Ausschreibungen, was den Weiterbildungsbereich angeht, stärker die Qualität der Angebote von Handwerkskammern zu berücksichtigen. Wir hören immer wieder die Kritik, dass die guten Angebote der Handwerkskammern bei den Ausschreibungen der Bundesagentur für Arbeit nicht zum Zuge kommen, weil sie sozusagen zu teuer, aber qualitativ sehr hochwertig sind. Hier würden wir uns wünschen, dass dieser qua-litative Aspekt bei der Vergabe der Leistungen der Bundesagentur für Arbeit noch stär-ker berücksichtigt wird.

Herr Bombis, zu Ihrer Frage, was die Aufstiegsmöglichkeiten angeht bzw. was das Handwerk generell noch machen kann, um weitere Gruppen am Arbeitsmarkt für sich zu gewinnen. Wir haben schon eine Reihe von Gruppen angesprochen. Frauen im Handwerk und Flüchtlinge haben wir angesprochen. Migranten ist seit Jahren ein Thema im Handwerk. Ein Thema, welches wir in letzter Zeit verstärkt behandelt haben und weiterhin behandeln werden, ist das Thema Inklusion. Auch Behinderte sind durchaus eine Fachkräftegruppe, die für das Handwerk interessant sein kann. Wir ha-ben zusammen mit dem DIHK und der BDA eine neue Initiative „Inklusion gelingt!“ gestartet, um auch hier noch einmal ein wenig Überzeugungsarbeit bei den Betrieben im Handwerk zu leisten, die im Übrigen hier teilweise vorbildlich unterwegs sind, ob-gleich sie keine rechtliche Verpflichtung haben, Behinderte zu beschäftigen und auch nicht der Ausgleichsabgabe unterliegen, sich dennoch sehr stark engagieren. Auch die Handwerkskammern stellen ein breites Beratungsangebot über ihre Inklusionsberater bereit. Ich glaube, hier kann man wirklich noch viel tun. Das Gleiche gilt für das Thema Langzeitarbeitslose. Ich glaube, auch hier liegen noch Potenziale für das Handwerk.

Zum Abschluss möchte ich davor warnen, das Handwerk als Reparaturwerkstatt für den deutschen Arbeitsmarkt anzusehen. Es wird oft gerade bei den Problemgruppen gesagt, das Handwerk könne da sicherlich noch ein bisschen helfen und für diese und jene Gruppe etwas tun. Am Ende brauchen wir qualifizierte Fachkräfte, die für die Be-triebe einen Nutzen, einen Mehrwert darstellen und die Betriebe nicht belasten. Sonst funktioniert es nicht. Mein Appell zum Schluss ist, dass das Handwerk qualifizierte Fachkräfte braucht und wir alles dafür tun müssen, dass das sowohl von der Politik als auch vonseiten der Kammern flankiert wird.

Dr. Oliver Stettes (Leiter des Kompetenzfelds Arbeitsmarkt und Arbeitswelt Insti-tut der deutschen Wirtschaft e. V.): Ich beginne mit dem Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie und dem Hinweis auf die Betriebskindergärten von Herrn Nolten. Wir müssen uns angesichts der kleinbetrieblichen Struktur des Handwerks darüber klar werden, dass das Thema Betriebskindergarten in der Regel für kleine und mittlere Unternehmen nicht das relevante Thema ist. Denn der Bedarf nach Kinderbetreuung tritt nicht in jedem kleineren Betrieb und dann nur bei einzelnen Personen auf, sodass Betriebe hier eher darüber nachdenken könnten, inwieweit sie, wenn ein solcher Fall eintritt, dann in Kooperation mit Kinderbetreuungseinrichtungen in der Umgebung ein-treten, statt das Thema Betriebskindergarten selbst zu forcieren.

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Enquetekommission VI 29.04.2016 14. Sitzung (öffentlicher Teil) schm Zur Frage der Öffnung des Hochschulzugangs von Herrn Spiecker. Wir müssen davon wegkommen, dass zwischen Hochschulausbildung, dualer Ausbildung und anschlie-ßender Fortbildung ein Dissens besteht und wir die gegeneinander ausspielen, son-dern es von Anfang an Möglichkeiten gibt, beide Wege der beruflichen Aus- und Fort-bildung miteinander zu verzahnen. Dann ist es, wenn man Zielgruppen erreichen möchte, für diejenigen, für die durch den Erwerb von Studienberechtigungen eine be-stimmte Alternative, nämlich eine Hochschulausbildung, infrage kommt, eine entschei-dende Frage. Was passiert, wenn ich mir beispielsweise mit 16 Jahren überlege, möchte ich jetzt noch eine Studienberechtigung, das Abitur erwerben, möchte ich gleich eine Ausbildung beginnen und eine abschließende Fortbildung zum Meister ma-che, um mir aber noch eine Option zu eröffnen, letztendlich noch ein Hochschulstu-dium anzuschließen, wenn es in meinem Interesse ist oder meinem beruflichen Fort-kommen dient? Das müssen wir immer gemeinsam betrachten. Es ist auch darüber nachzudenken, inwieweit an den konkreten Hochschulen Möglichkeiten bei den Zu-gangsvoraussetzungen für die Personen erweitert werden, die sich zunächst für die berufliche Ausbildung in einem Handwerksberuf, berufliche Fortbildung zu einem Meis-ter entscheiden, die sich anschließend noch überlegen, vielleicht noch einen Master oder dergleichen zu machen. Das ist eine Frage der Anrechenbarkeiten der Unterstüt-zung in einem solchen Fall, beispielsweise im Sinne eines BAföG.

Zum Thema längeres Arbeiten in bestimmten Berufen. In der Tat ist das etwas, wo-rüber sich Betriebe mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Gedanken machen müssen, wenn man absehen kann – daran führt kein Weg vorbei –, dass es Berufe gibt, die man nicht mit 20 Jahren beginnen und mit 65 Jahren aufgrund der verschie-denen Belastungen und Belastungsmerkmale, die dort auftreten, noch ausüben kann. Aber man muss sich darüber im Klaren sein – das gehört zur Eigenverantwortung einer und eines jeden Einzelnen, sich darüber bewusst zu werden, dass man 45 oder mehr Berufsjahre im Berufsleben stehen wird. Es ist ausreichend Zeit, sich Gedanken dar-über zu machen: Wie soll sich die Berufsbiografie vollziehen? Wie kann und sollte ich mich in meinem angestammten Beruf, den ich erlernt habe, weiterentwickeln, wie muss ich mich möglicherweise anders entwickeln, und wo kann das gemeinsam mit dem Betrieb passieren, in dem ich gerade beschäftigt bin? Denn es ist völlig klar, dass die Möglichkeiten eines anderen Einsatzes, eines alternativen Arbeitsplatzes in einem kleinen Betrieb deutlich geringer sind, als wenn ich in einem Großbetrieb beschäftigt bin. Das ist eine Frage, die man sich als einzelne Arbeitnehmerin, als einzelner Arbeit-nehmer immer wieder stellen muss.

Es gibt noch weitere Fragen. Wie sieht es mit flexiblen Übergangsmöglichkeiten aus dem Erwerbsleben in die Rente aus? Herr Dannenbring hat einige Beispiele genannt. Für die Betriebe ist es eine Frage der Attraktivität und auch der Wettbewerbsfähigkeit, sich darum zu bemühen, die Beschäftigten durch Personalentwicklungsmaßnahmen, durch Gesundheitsmanagement so beschäftigungsfähig zu erhalten, dass man dem gemeinsamen Interesse, Beschäftigung in einer bestimmten beruflichen Aufgabe, bis ins höhere Renteneintrittsalter bewältigen kann.

Herr Thiel, Sie hatten den Weiterbildungsanspruch angesprochen. Richtig ist – das würden wir immer unterstützen –, dass Weiterbildung vor dem Hintergrund dessen, dass sich natürlich berufliche Anforderungen über lange Zeit verändern werden, ist

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Enquetekommission VI 29.04.2016 14. Sitzung (öffentlicher Teil) schm elementar in unserem Berufsleben. Es wird nicht mehr ausreichen, dass man einmal etwas erlernt hat und das bis zum Ende seines Berufslebens benötigen kann, sondern man wird sich fortentwickeln müssen, Stichwort lebenslanges Lernen. Aber wir müs-sen uns darüber im Klaren sein, dass die berufliche Ausbildung ein feines Austarieren, eine Balance zwischen betrieblichen Interessen einerseits und den individuellen Inte-ressen des Arbeitnehmers, der Arbeitnehmerin andererseits erfordert. Dort, wo es ein vorwiegendes Interesse des Individuums der einzelnen Arbeitnehmerin, des einzelnen Arbeitnehmers ist, fällt es aus der Entscheidungsdomäne und der Verantwortungsdo-mäne des Betriebes, weil der Betrieb nur dort ein besonders Engagement zeigen kann und wird, wo er letztlich gemeinsam mit der Arbeitnehmerin, dem Arbeitnehmer davon profitieren kann. Deshalb halten wir einen allgemeinen Weiterbildungsanspruch für in-sofern problematisch, weil er genau dieses feine Austarieren zwischen betrieblichen und individuellen Interessen aus der Balance bringen kann. Denn ein allgemeiner Wei-terbildungsanspruch bedeutet, man kann eine Weiterbildung oder Qualifizierungsmaß-nahmen machen, die nicht unbedingt im betrieblichen Interesse stehen.

Rainer Christian Thiel (SPD): Darf ich eine Zusatzfrage stellen? – Sie haben gesagt, im Rahmen der Lebensbilanz gebe es Berufe, die man nicht 45 Jahre ausüben kann und das sei dann individuelle Angelegenheit, aber wenn sich der Arbeitnehmer weiter-bilden wolle, dann sei es nicht im betrieblichen Interesse. Irgendwie geht das nicht miteinander.

Dr. Oliver Stettes (Leiter des Kompetenzfelds Arbeitsmarkt und Arbeitswelt Insti-tut der deutschen Wirtschaft e. V.): Das geht schon miteinander, weil die individuelle Perspektive nicht immer die Perspektive des Betriebs sein muss, in dem ich beschäf-tigt bin. Dort, wo es zusammenfällt, kann es auch gemeinsam gemacht werden. Es können natürlich gemeinsam Wege in der Personalentwicklung, in der Weiterbildung gegangen werden. Dort, wo es jedoch dem beruflichen Fortkommen woanders dient, ist es eher eine individuelle Aufgabe. Gleichwohl kann sich ein Unternehmen da frei-willig engagieren, um ein attraktiver Arbeitgeber zu sein.

Herr Bombis, Sie hatten die allgemeinen Rahmenbedingungen angesprochen. Ich habe zunächst eine etwas günstigere Einschätzung als Herr Dittke, was die Arbeits-bedingungen im Allgemeinen aber auch im Handwerk angeht. Ich sehe es nicht, dass wir eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen oder so dringenden Handlungsbe-darf haben, der neue Regularien und Regelungen auf dem Arbeitsmarkt erfordert. Denn grundsätzlich ist es so: Wir haben eine günstige Arbeitsmarktlage, und wir sehen mit Sorge, dass vor dem Hintergrund vermeintlicher Belastungen, vermeintlicher Be-anspruchungen in den unterschiedlichen Kontexten Vorschläge für Neuregulierung für den Arbeitsmarkt gestellt werden, die natürlich zu einer Belastung von insbesondere kleinen und mittleren Betrieben führen wird, weil sie deren Anpassungsfähigkeit redu-zieren würde.

Ich kann einige Stichworte nennen. Wenn wir über Stress-Verordnung, über Dinge im Zusammenhang mit Lohngleichheitsgesetz und über die Regulierung von Zeitarbeit, von Werkverträgen sprechen – Herr Dittke, Sie hatten es angesprochen –, dann sind

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Enquetekommission VI 29.04.2016 14. Sitzung (öffentlicher Teil) schm das alles Maßnahmen, die die Anpassungsflexibilität insbesondere von kleineren Be-trieben reduzieren würde. Das senkt am Ende auch die Bereitschaft, Arbeitsplätze be-reitzustellen. Arbeitsplätze müssen bereitgestellt werden, um überhaupt günstige Ein-kommens- und Aufstiegsperspektiven zu ermöglichen. Da sehen wir die Sorge, dass wir in der Politik – momentan auch in Berlin – eine Reihe von Initiativen beobachten können, die eher zu einer Deregulierung des Arbeitsmarktes führen.

Clemens Vatter (Vorstandsmitglied der SIGNAL IDUNA Gruppe): Frau Dr. Beis-heim, Sie hatten gefragt, wo der Selbstständige vertrauensvolle Beratung findet. Da ist der Handwerker in einer sehr glücklichen Lage. Die überwiegende Mehrzahl der Kam-mern hat sogenannte Versorgungswerke. Das sind Selbsthilfeeinrichtungen des Hand-werks. Das ist zum einen die Schnittstelle, die den Handwerker beraten kann, was der Bedarf ist, weil der individuell entsteht, zum anderen die Schnittstelle in den Markt, für das Kollektiv, die Gruppe der im Versorgungswerk Versicherten attraktive Konditionen, eine vernünftige Verwaltung und vernünftige Begleitung durch professionelle Anbieter sicherzustellen. Von daher ist das Versorgungswerk der ideale Ansprechpartner für den selbstständigen Handwerker.

Ich möchte gern sagen, als Branche arbeiten wir daran, dass wir nicht nur bei Selbst-ständigen, sondern auch bei nicht Selbstständigen und abhängig Beschäftigten Ver-trauen, das wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten sicherlich verloren haben, wie-dergewinnen. Da sind die Schlagworte auf der einen Seite Transparenz und auf der anderen Seite Mindeststandards für Produkte, wie wir sie bei Riester-, bei Basisrenten und bei Ähnlichem haben, sodass es Verlässlichkeit gibt, was ist in diesem Produkt drin und auch nachlesbar ist, was an Kosten und an weiteren Bedingungen dahinter-steckt.

Dr. Jörg Weingarten (Wirtschaftsgeograph PCG – Project Consult GmbH): Zu der Frage zu den Betriebskindergärten. Da muss ich meinem Vorredner zustimmen. Auf-grund der kleinbetrieblichen Strukturen vieler Handwerksbetriebe und der verstreuten räumlichen Lage wird es schwierig, über Kooperationsmodelle vielleicht gemeinsam Betriebskindergärten aufzuziehen. Man sollte darüber nachdenken, ob man vielleicht Kooperationen oder Rahmenverträge mit kommunalen Kindergärten schließt, in denen dann eine gewisse Anzahl an Plätzen vorgehalten und die Finanzierung sowohl durch Arbeitgeber- als auch Arbeitnehmerbeiträge gesichert wird. Ansonsten muss man schauen, ob man nicht in größeren Gewerbegebieten, in denen Industriebetriebe und Handwerksbetriebe angesiedelt sind, versucht, eine Kita oder einen Betriebskinder-garten sozusagen übergreifend aufzubauen und aufzuziehen.

Zum Thema alternsgerechtes Arbeiten, Vorruhestand und Arbeiten bis zur Rente. Eine Säule ist die Prävention. Wir hatten jetzt ein großes Projekt der Fachkräfteinitiative des Landes NRW, GOMEO, Gesundheitsoffensive Mülheim–Essen–Oberhausen. Es wa-ren viele größere Unternehmen dabei, aber es ist uns nicht gelungen, einen Hand-werksbetrieb aufzuschließen. Ich habe in Gesprächen mitbekommen, dass von Hand-werksbetrieben zu geförderten Programmen, die sich an KMUs richten, gesagt wird: es wäre besser, wenn man einmal auf die Probleme, die Handwerksbetriebe haben,

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Enquetekommission VI 29.04.2016 14. Sitzung (öffentlicher Teil) schm eingehen würde und spezifische Förderprogramme zuschneidet, die an Handwerks-betriebe adressiert sind, die sich nicht so sehr unter dem Label KMU sehen.

Dann ist die Frage, wie man den Beschäftigten mit Personalentwicklungs- und Um-schulungsmaßnahmen sozusagen den Übergang in einen anderen Beruf ermöglichen kann, oder ob man darüber nachdenkt, Teilzeitrentenmodelle in Verbindung mit Le-bensarbeitszeitkonten zu etablieren und/oder wie es gelingen kann, dass ältere Be-schäftigte, die ein großes fachliches Know-how, ein großes Erfahrungswissen haben, vielleicht in die überbetriebliche Ausbildung integriert werden und stärker in den Be-reich Kundenberatung, Kundenbetreuung gehen können und man dann in Betrieben vielleicht Modelle fährt, dass der ältere Beschäftigte drei oder vier Tage auf der Bau-stelle ist und einen Tag in den anderen Zusammenhängen, die ich gerade benannt habe, tätig sein kann.

Tatjana Lanvermann (Landesvorsitzende Unternehmerfrauen im Handwerk e. V.): Frau Jansen, wir haben Sie im November 2014 kennengelernt, und Sie wollten jetzt gern wissen, wie das bei uns mit der Berufsorientierung weiter vorangegangen ist. KAoA ist in den Betrieben angekommen, die Online-Plattform auch. Das Funktio-nieren dieser Plattform lässt sich noch ein bisschen besser ausbauen. Uns selbst ist das passiert. Wir haben uns auf der Online-Plattform dargestellt, und plötzlich stand der Praktikant vor der Tür, obwohl er sich nicht angemeldet hatte. Denn das sollte über die Lehrer laufen. Das ist alles noch verbesserbar, doch es läuft und ist auch bei uns angekommen, aber es ist noch nicht flächendeckend in ganz NRW angekommen.

Super und fast ein Selbstläufer ist der Girls’Day. Die Praktikantinnen melden sich selbstständig bei uns. Es ist mittlerweile auch Aufgabe der Schulen geworden, die Mädchen – ob sie nun wollen oder nicht – in Handwerksbetrieben oder in Betrieben, die nicht mädchentypisch sind, zu melden. Sie kommen erst etwas widerwillig an, aber sie nehmen sehr viele Erfahrungen von diesem Tag mit. Die ganzen Vermittlungsan-sätze, die in den Praktika laufen, verdanken wir den funktionierenden Handwerksor-ganisationen. Denn die Handwerksorganisationen, gerade die Kreishandwerkerschaf-ten, sprechen spezielle Betriebe auf die Plattform an, was wir auch immer als Wieder-holungseffekt brauchen. Sie sagen: Es ist wieder Zeit, ihr müsst noch einmal danach schauen. Oder: Wir sind auf dieser Ausbildungsbörse, lasst euch dort einmal blicken. Genauso ist es mit der Vermittlung der Praktika-Plätze und der Vorstellung an den Schulen. Das übernehmen hauptsächlich die Kreishandwerkerschaften. Darüber sind gerade die kleinen Betriebe sehr dankbar. Denn diesen Aufgabenbereich können sie nicht mehr übernehmen.

Herr Spiecker, bei Ihrer Frage ging es um die Betriebshilfe. Wie in dem Positionspapier schon beschrieben, sind verschiedene Organisationen als Kooperationspartner darge-stellt, zum Beispiel die Handwerkskammer, die Krankenkassen, das Land oder die Unternehmerfrauen selbst, die die finanziellen Mittel und die Organisationsabwicklung zur Verfügung stellen. Persönlich sind mir dazu einige Dinge eingefallen. Über die Krankenkassen könnte man sich das vielleicht mit einer – es gibt die U1-Abgabe und die U2-Abgabe – U3-Abgabe über das Land oder über einen freiwilligen Versiche-rungsträger vorstellen. Das ist vielleicht eine Herausforderung an Herrn Vatter. Was

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Enquetekommission VI 29.04.2016 14. Sitzung (öffentlicher Teil) schm sich die UFH auch vorstellen könnte, wäre eine Stiftung. Jedes Mal, wenn wir dieses Projekt vorstellen, gibt es tatsächlich Betriebe, die gesagt haben: Wenn du es schaffst, das auf die Reihe zu bekommen, bekommst du finanzielle Unterstützung. Die Träger-schaft könnte man sich also auch in Form einer Stiftung vorstellen.

Das sind drei Lösungsansätze, die ich Ihnen zur Aufgabe weitergegeben habe.

Rolf Göbels (Leitung IQ-Netzwerk NRW Westdeutscher Handwerkskammertag): Zunächst möchte ich auf die Frage von Herrn Burkert zu den Lösungsmöglichkeiten bei frühzeitigem Ausscheiden, insbesondere auf die Kompetenzen, die da verlorenge-hen, eingehen. Da fallen natürlich für einen Betrieb, der einen Beschäftigen hat, der vielleicht gemeinsam mit der Chefin oder dem Chef den Laden in den letzten 30 Jahren aufgebaut hat und dann auf einmal ausscheidet, nicht nur die Kompetenzen weg, son-dern vor allen Dingen Netzwerke und Zugänge zu Herstellern und Ähnlichem, die an dieser Person hängen, und einen Wert haben, der für das Betriebsvermögen nicht schätzbar genug sein kann.

Modelle zu entwickeln, funktioniert aus unserer Sicht nur sehr frühzeitig. Das heißt, wenn man so lange wartet, bis jemand als Dachdecker wirklich nicht mehr aufs Dach kommt, und dann überlegt, wie man den im Betrieb einsetzen kann, dann ist es we-sentlich zu spät. Wir bräuchten also viel frühzeitiger die Beratung der Betriebe, wo hingegangen wird, um alternative Beschäftigungsmöglichkeiten im Betrieb, im betrieb-lichen Umfeld zu gewährleisten. Das kann Ausbildung sein, das kann Beratung sein, das können Kundenkontakte und Ähnliches sein. Da kommen noch ganz andere Auf-gaben auf die Weiterbildung zu, um zu gewährleisten, dass die Beschäftigung im Rah-men des Unternehmens weiterhin möglich ist und diese Kompetenz immer noch zur Verfügung steht. Denn das ist wirklich ein wertvoller Schatz gerade für kleine und mitt-lere Unternehmen.

Zu der Frage von Herrn Thiel, allgemeinen Weiterbildungsbedarf und Wettbewerbsfä-higkeit zu erhalten. Zulieferer prägen in erheblichem Umfang das, was an Weiterbil-dung stattfindet, weil es produktbezogen ist. Das ist nicht nur in den technischen Be-reichen so, es ist auch in manchen gestalterisch-kreativen Bereichen der Fall, dass die Weiterbildung sehr produktbezogen vorhanden ist. Wenn beispielsweise L'Oréal mit einem neuen Produkt herauskommt, wird ein Event daraus gemacht. Ich weiß nicht, wie viel Weiterbildung, wie viel Verkaufsstrategie dahintersteckt. Bei den Ärzten wis-sen wir teilweise auch nicht, was die Pharmaindustrie macht.

Ich denke, uns tun zwei Dinge gut. Zum einen sehr viel frühzeitiger in der Ausbildung darauf hinzuweisen, dass man mit dem Gesellenbrief nicht den Berufsabschluss hat, der einen durch das Leben bringt, das heißt mitzunehmen, was die Gymnasien ma-chen, Weiterbildung lernen, zum anderen in der Ausbildung mitzugeben, in der Lage zu sein, über die modernen Medien, über die Bildungsangebote, die das Handwerk bietet, am Ball zu bleiben und sich nicht irgendwann vor der Herausforderung zu se-hen, dass der Heizkessel schlauer ist als ich. Da muss ich also schauen, dass ich das in der Ausbildung über den Betrieb und über die verschiedenen Träger der Ausbildung mitbekomme.

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Enquetekommission VI 29.04.2016 14. Sitzung (öffentlicher Teil) schm Weil es sehr viele Mitarbeiter gibt, die ein Stück weit von Weiterbildung weg sind, brau-chen wir so etwas wie „Weiterbildung lernen“. Da gibt es viele Initiativen und viele An-sprachen, aber die guten Argumente gehen immer in die Richtung: Tue etwas, damit du in Zukunft weiterhin am Wettbewerb teilnehmen kannst oder dein Arbeitsverhältnis sicherst. Das ist für einen Menschen, der nach der Ausbildung Mitte bis Ende 20 Jahre alt ist, erst einmal nicht nachvollziehbar. Denn sie fühlen sich in der Beziehung ja fit. Dort aber diese Perspektiven noch einmal anders zu formulieren, damit sie nachvoll-ziehbarer werden, müssen – glaube ich – die Verkaufsargumente so sein, dass sich Weiterbildung für den Einzelnen konkret lohnt. Das ist ein Verkaufsargument, welches am meisten zieht, wenn ich damit, wenn auch nur kurzfristig, einen kleinen Erfolg habe, sei es nur der Tag Sonderurlaub, den ich dafür bekomme, wenn ich das toll bestehe. Das sind die kleinen Dinge, die die Weiterbildung ein Stück weit dahin bringen, dass sie auch Spaß macht.

Zu der Frage von Herrn Nolten zum Thema Flüchtlinge, die Bedeutung von Geflüch-teten für das Handwerk. Das ist ein tagesfüllendes Programm und nicht so kurz abzu-handeln. Ich möchte einige Stichpunkte aus dem IQ-Netzwerk heraus formulieren. Wir haben zum Teil die Erwartung, dass Arbeitsmarktintegration kurzfristig möglich ist. Wir sehen uns im Moment einer Ernüchterung dieser Erwartungshaltung und der Argu-mente gegenüber, dass die Qualifikationen vielleicht doch nicht so vorhanden sind, wie sie gewünscht sind. Anfangs hieß es: Es kommen nur syrische Ärzte, wir haben den Querschnitt der Gesellschaft, den wir hier haben, auch in Syrien, und genau die-sen Querschnitt haben wir unter den Geflüchteten und können damit umgehen. Es ist nicht der Fall, dass wir es mit eindimensionalen Maßnahmen oder Unterstützungen und Programmen hinbekommen. Integration ist ein Prozess, der nur sehr individuell und nur regional zu bewältigen ist und vor allen Dingen Zeit braucht. Es sind Zeiträume zwischen sieben und zehn Jahren, um jemanden am Arbeitsmarkt wirklich so zu etab-lieren, dass er selbstständig für sich und für das, was an Leistungen dafür notwendig ist, sprachlich so fit ist, dass es funktioniert. Da rede ich nicht nur von Ärzten, sondern ich denke, das ist für viele andere Berufe genauso.

Um das zu realisieren, haben wir im Moment – wie Herr Dannenbring gesagt hat – gute Maßnahmen im Handwerk, „PerjuF-H“ und viele andere Instrumente und Initiati-ven gibt es. Wir haben viele Stradivaris aber genauso viele Dirigenten und finden im Moment noch nicht die richtige Melodie, die dem einzelnen zuträglich ist, um das zu bekommen, was er sich beruflich wünscht und am Arbeitsmarkt nachgefragt wird. Das heißt, gerade in den Regionen zu fördern und zu unterstützen, was hier passiert, was die Ehrenamtsträger machen, was die vielen Unterstützer und die Programme leisten, ist eine riesige Herausforderung. Ich glaube, da die Orientierung zu bieten, die der einzelne, nicht nur als Geflüchteter, sondern als Beratender braucht, das ist es, was uns am meisten bei dem Thema hilft, wenn es in Richtung Arbeitsmarkt geht.

Vielleicht noch einen Spiegelstrich dazu. Thema „Berufliche Kompetenzen“. Es ist rich-tig, in Syrien gibt es nicht die duale Ausbildung, aber diejenigen haben ein großes Paket an non formalen oder informell erworbenem Wissen, Kompetenzen, wo wir im Moment noch nicht genau wissen, wie wir damit umzugehen haben. Das hat sehr viel damit zu tun, dass es nicht gerade in unsere Bildungsbiografien hineinpasst, das heißt wir müssen sehen, wo wir jetzt Zugänge, Übergänge hinbekommen, wie wir es durch

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Enquetekommission VI 29.04.2016 14. Sitzung (öffentlicher Teil) schm vorbereitende Maßnahmen schaffen. PerjuF-Handwerk ist gerade bei Jugendlichen ein gutes Beispiel. Aber es gibt sehr viele Jugendliche, die jenseits dessen sind, dass eine solche Ausbildung sinnvoll ist. Wie bekommen wir es hin, durch vorbereitende Maßnahmen diejenigen kulturell, beruflich, fachlich und sprachlich so fit zu machen, dass sie in Beschäftigung kommen.

Unser Ansinnen ist: Beschäftigung bitte möglichst früh. Ob dann direkt die Qualifizie-rung anschließt, ob die Ausbildung direkt im ersten Schritt stattfinden muss, weiß ich nicht. Ich glaube, wir sollten uns daran gewöhnen, dass die meisten Menschen, mit denen wir hier zu tun haben, vielleicht ein Jahr oder zwei Jahre brauchen, in einem Betrieb einfach einmal mitzuarbeiten, beschäftigt zu sein, um dann über Qualifizierung, Weiterbildung und Ähnliches nachzudenken. Ich glaube, es ist wichtig, den ersten Schritt zu tun, um jemanden erst einmal kennenzulernen und zu versuchen, dass eine Beschäftigung stattfindet. Die Geflüchteten sagen: Es ist erst einmal traurig, aber es ist mir egal, welche Arbeit es ist und wo sie stattfindet. Ich fahre überall hin und mache alles. Mir ist egal, was ich verdiene, ich möchte nur in den Betrieb. Es ist die Aufgabe, das mit den Möglichkeiten, die wir haben, zu schaffen. Es gehört dazu, dann zu über-legen, wie wir die Qualifikationen hinbekommen. Ein langfristig prekäres Arbeitsver-hältnis im Niedriglohnsektor ist nicht das Ziel, aber es ist Ziel, das über die Beschäfti-gung und über die Arbeitgeber, die ein Interesse haben, Fachkräfte zu bekommen, entwickeln zu lassen, den Prozess betreffend Sprache und Qualifizierung durch flan-kierende Maßnahmen in Gang zu bringen.

Herr Bombis, Sie haben gefragt, wie die Rahmenbedingungen sind und wie sich die Arbeitswelt in Zukunft vielleicht aufstellen sollte. Ich glaube, wir bekommen eine Vielfalt nicht nur durch die aktuelle Flüchtlingsherausforderung, sondern auch gesellschaftli-cher Wandel in Richtung Handwerk 4.0 ist ein Stichwort. Wie sollen wir uns von den Fachkräften her aufstellen? Wie müssen wir uns aufstellen, um nicht nur in fünf oder zehn Jahren, sondern vielleicht noch darüber hinaus ein Leistungsspektrum anzubie-ten und Menschen zu beschäftigen, die das leben, was die Gesellschaft nicht nur braucht, sondern was sie auch nach vorn bringt?

Ein Bereich ist die berufsfeldübergreifende Qualifizierung. Warum sollte nicht ein Tischlergeselle, der sich in einem Betrieb um die Kunden und um die Leistungserstel-lung kümmert, sich nicht gleichzeitig um den Internetauftritt der Firma kümmern? Das heißt, zu fördern und es zu kommunizieren, dass man, wenn man eine Ausbildung im Handwerk macht, in dem Beruf nicht sein Leben lang auf den Werkstoff Holz festgelegt ist, dass nicht nur die modernere Technologie an der CNC-Fräse dazugehört, sondern unter Umständen auch der Bereich Webdesign, wenn das die Leidenschaft ist. Warum sollte man nicht einmal das Denken und die Beschäftigungsfelder öffnen? Ich denke, dadurch bekommt es für alle eine andere Attraktivität, im Handwerk beschäftigt zu sein.

Helmut Dittke (DGB-Bundesvorstand): Ich will kurz auf das Thema Flüchtlinge ein-gehen, weil Herr Göbels mich direkt angesprochen hat. Ich glaube, wir müssen in die-

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Enquetekommission VI 29.04.2016 14. Sitzung (öffentlicher Teil) schm ser Gesellschaft extrem aufpassen, dass wir keine Spaltung in der Gesellschaft be-kommen. Deshalb vielleicht der etwas flapsig gemeinte Spruch, „es ist mir egal, was ich verdiene“.

(Rolf Göbels: Das war ein Zitat, das war kein Spruch!)

Ich glaube, wir müssen schauen, dass diejenigen, die neu kommen, nicht denen, die schon da sind, Angst machen, dass hier ein neuer Niedriglohnsektor entsteht. Deshalb bin ich dem ZDH dankbar, dass sich Herr Wollseifer klar gegen Tendenzen anderer ausgesprochen hat, die den Mindestlohn für Flüchtlinge unterlaufen wollen. Denn wie aktuelle Wahlergebnisse aussehen, darauf muss man nicht näher eingehen.

Frau Jansen, Sie hatten mich gebeten, zum Thema Frauenförderung, was die Gewerk-schaften tun, etwas zu sagen. Ich denke, wir tun einiges, damit Emma Ida irgendwann die Möglichkeit hat, einen Ausbildungsplatz im Handwerk oder woanders zu bekom-men. Der DGB ist Partner im „Nationaler Pakt für Frauen in MINT-Berufen“. Der ZDH ist letztes Jahr als zweihundertster Partner beigetreten. Das fand ich gut. Wir haben gerade im Handwerk noch einen riesigen Nachholbedarf. Der DGB hat gemeinsam beispielsweise mit der Handwerkskammer Berlin eine größere Veranstaltung gemacht, wo er mit Arbeitgeberinnen, mit „Frau und Handwerk“, mit Gewerkschafterinnen, mit Kolleginnen aus der Selbstverwaltung, aber auch mit Hauptamtlichen aus Kammern und 90 Teilnehmerinnen und Teilnehmern diskutiert haben, was man tun muss. Wir machen darüber hinaus jedes Jahr Workshops, in denen wir die Akteurinnen aus dem Handwerk an einen Tisch bringen, um zu diskutieren.

Wir sehen auch, dass man mit guten Beispielen vorangehen muss. Wir nutzen die Selbstverwaltung in den Handwerkskammern, wo wir Arbeitnehmerbeteiligung haben, um da voranzukommen. Deshalb haben wir jetzt in unserer DGB-Mustersatzung bei der Besetzung der Vollversammlungen verbindliche Ziele formuliert, wie Vollversamm-lungen zukünftig auch Frauen entsprechend ihrer Bedeutung für die Handwerksbran-chen aufnehmen sollen. Ich glaube, da haben wir in der Selbstverwaltung noch Nach-holbedarfe. Wir machen aber auch Ansätze, dass die Ausbildungsberater der Hand-werkskammern über die Selbstverwaltung gesteuert und passgenauer für die hetero-genen Zielgruppen eingesetzt werden. Das sind Frauen, das sind geflüchtete Men-schen. Ich denke, wir müssen die Betriebe, die das erste Mal eine junge Frau in diesen MINT-Berufen ausbilden, mehr darauf vorbereiten, was die Ansprachen, die Bedarfe sind, wo man vielleicht die männliche Belegschaft darauf hinweisen muss, dass eine junge Frau andere Ansprachen braucht oder das eine oder andere nicht geht. Da sind wir im Rahmen unserer Möglichkeiten über die Selbstverwaltung unterwegs.

Wir haben darüber hinaus das Thema Berufsorientierung. Sie haben den Girls’Day angesprochen. Girls’Day ist nur ein kleiner Teil Praktikam und auch die Fragen, was konkret im Betrieb ist, muss noch stärker gespielt werden. Wir haben die Idee, ob das Thema Duales Studium in bestimmten Handwerksbereichen interessanter wäre, um Frauen in diese Berufe zu locken. Man könnte auch einmal ein Projekt in Richtung SHK oder Elektrohandwerk machen. Das ist der Bereich, den wir mit unseren Kolle-ginnen diskutiert haben.

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Enquetekommission VI 29.04.2016 14. Sitzung (öffentlicher Teil) schm Zur Frage von Herrn Nolten, Finanzierung der Kindergärten. Wir wollen natürlich Kita-plätze für alle. Aber man muss auch diskutieren, wie die Einnahmebasis des Staates ist, dass genügend Steuern eingenommen werden, damit man solche Dinge für alle kostenlos zur Verfügung stellen kann. Das sind Themen, die wir auch an anderer Stelle diskutieren.

Herr Thiel, Sie hatten die Frage von Weiterbildung eingebracht. An der Stelle ist mir das Wort Eigenverantwortung immer ein wenig unbehaglich. Denn wir müssen auch schauen, dass die Rahmenbedingungen stimmen. Ich will noch einmal auf unsere Um-frage zurückkommen. 53 % aller Beschäftigten im Handwerk sind der Meinung, dass sie nicht leistungsgerecht entlohnt werden. Die Anreize, die ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin hat, eine Weiterbildung zu machen, kann nicht nur ein Tag Son-derurlaub sein, sondern wir brauchen eine leistungsgerechte Entlohnung, und die funk-tioniert natürlich nur über ordentliche Tarifverträge.

Da sind wir bei dem, was wir politisch machen. Wir haben im Bundesarbeitsministe-rium die Sozialpartnerrichtlinie noch einmal neu verhandelt. Das Bundesarbeitsminis-terium hat erhebliche Mittel bereitgestellt, um sozialpartnerschaftlich ausgehandelte Weiterbildungsvereinbarungen oder Weiterbildungstarifverträge zu fördern, wobei ich immer wieder appelliere, dass auch die Innungen und Verbände im Handwerk im Rah-men der Sozialpartnerrichtlinie Verabredungen mit den Gewerkschaften treffen, wie man eine verbindliche Weiterbildung hinbekommen kann.

Darüber hinaus ist die Frage: Wie bekommt man junge Menschen dahin, dass sie le-benslang lernen? Wir haben die Erstausbildung mittlerweile so organisiert, dass Hand-lungskompetenz vermittelt wird. Das heißt, im Endeffekt sollen die jungen Menschen in der Ausbildung schon den Grundstein gelegt bekommen, dass sie Weiterbildungs-bedarfe erkennen, um entsprechend den ersten Schritt zu gehen. Es sind aber auch im Rahmen von Personalentwicklung oder Qualifizierungsberatungen Angebote zu machen, wozu ich Möglichkeiten in den KMUs sehe, dass die Handwerkskammern an der Stelle stärker in die Qualifizierungsberatungen einsteigen. Aber da ist unsere An-forderung keine produktbezogene Beratung. Man hat hier nicht nur den Servicetech-niker, den Energieberater oder den Betriebswirt des Handwerks, sondern dazu gehört, dass man schaut: Wo ist der einzelne Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin? Wo hole ich die ab, und wie kann dann ein individueller Qualifizierungsplan erarbeitet werden? Ich denke, auf der Basis kommen wir uns auch näher.

Insgesamt fordern wir ein Weiterbildungsgesetz analog des Berufsbildungsgesetzes. Es muss nicht unbedingt der Töpferkurs in der Toskana laufen, der immer wieder gern genommen wird. Ich denke, auch im Interesse der Attraktivität dualer Ausbildung muss das Thema Weiterbildung stärker reglementiert und stärker vorangebracht werden. Denn wir müssen uns nicht wundern, wenn einerseits duale Ausbildung immer weiter zurückgeht und andererseits Hochschulausbildung immer weiter nach vorn kommt. Dann muss man sich überlegen, was man bieten muss, damit junge Menschen kom-men.

Herr Bombis, zu den Rahmenbedingungen. Sie haben gefragt, ob das verstärkte Wer-ben mit Selbstständigkeit vielleicht etwas sein könnte. Der Zentralverband des Deut-

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Enquetekommission VI 29.04.2016 14. Sitzung (öffentlicher Teil) schm schen Handwerks hat 2008 eine Forsa-Umfrage gemacht. Da wurden junge Men-schen, die kurz vor der Berufswahl stehen, gefragt: Was wollt ihr, was ist für euch wichtig? Mit über 90 % waren es gute Entlohnung und Arbeitsbedingungen, Spaß an der Arbeit und im unteren Drittel, sich im Handwerk selbstständig zu machen und Meisterbrief. Also, junge Menschen, die ins Berufsleben einsteigen, sehen erst einmal ein kurzes Stück Weg. Die Frage, sich selbstständig zu machen, kommt erst im Be-reich des Berufswegs. Da ist es wichtig, anfangs schon darzustellen: Du machst erst eine duale Ausbildung, kannst hinterher studieren oder dich weiterentwickeln. Dafür müssen wir gemeinsam mit den Sozialpartnern werben, um attraktive Rahmenbedin-gungen darstellen zu können.

Ich will schließen mit der Frage: Wie bekommen wir Menschen länger in den Betrieb? Wir gehen stärker in die Diskussion alternsgerechtes Arbeiten. Es nützt nichts, wenn man 55-Jährigen sagt, sie müssten auf ihre Gesundheit aufpassen, damit sie bis zum Alter von 67 arbeiten können. Wir gehen den Weg, schon einem 17-, 18- oder 19-Jährigen klarzumachen, dass die Kraft und die Gesundheit endlich sind. Wir haben in verschiedenen Handwerkskammern mit den Arbeitnehmervertretern die Diskussion geführt, dass man im Rahmen der überbetrieblichen Lehrlingsausbildung im Handwerk eventuell schon während der Ausbildung Arbeitsschutzparcours machen kann. Das heißt, alle, die in der ÜLU-Bildungsstätte sind, laufen durch einen Parcours. Dort wird mit einem Alterssimulationsanzug durch Gewichte die Beweglichkeit und mit einer Brille die schwindende Sehkraft simuliert. Es wird aber auch versucht, die jungen Leute auf gesunde Ernährung, auf Folgen von Drogenmissbrauch sowie Hebetechniken hin-zuweisen. Man muss die jungen Leute früh sensibilisieren, damit sie den Weg so ge-hen, dass sie durchhalten.

Dazu gehört auch die Frage Stress und Arbeitsbelastung. Man muss sich nur die Sta-tistiken ansehen, an welchen Krankheiten die Menschen leiden, wenn sie aus dem Arbeitsleben ausscheiden. Dann sind die Antworten, die wir in der sozialen Marktwirt-schaft liefern müssen, klar. Dafür werben wir. Ich denke, mehr Regulierung, mehr Ord-nungspolitik ist das, was dem deutschen Arbeitsmarkt guttut. Wo die Grenzen sind, das hat die Politik zu nivellieren. Wir, die Arbeitgeber, machen Lobbyarbeit und schauen, was dabei herauskommt.

Vorsitzender Ralph Bombis: Wir alle werden sehen, was dabei herauskommt. Ich habe Ihnen allen herzlich für Ihre Ausführungen sowie für die Beantwortung der Fragen zu danken. Ich bin sicher, dass vieles von dem, was heute angesprochen wurde, sei-nen Eingang in den Abschlussbericht finden wird. Insofern darf ich Ihnen im Namen der gesamten Enquetekommission noch einmal ganz herzlich danken, dass Sie heute unsere Gäste waren und sich mit Ihrer Fachkenntnis hier eingebracht haben. Ich glaube, das hat uns wirklich weitergebracht. Herzlichen Dank!

(Beifall)

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Enquetekommission VI 29.04.2016 14. Sitzung (öffentlicher Teil) schm Ich verbinde es mit der Bitte um Nachsicht für meinen Hinweis auf ein immer zügiges Voranschreiten in der Beantwortung. Ich glaube, wir haben trotzdem sehr substanti-ierte Rückmeldungen bekommen, die uns wirklich weiterbringen werden.

gez. Ralph Bombis Vorsitzender

Anlage

01.06.2016/16.06.2016

50

Anhörung der Enquetekommission VI des Landtags NRW

am 29. April 2016 10.30 Uhr, E 1 D 05

Thema: „Fachkräftesicherung und Arbeitswelt im Handwerk“

T A B L E A U

Eingeladene Sachverständige/r

Redner/in ggf. weitere Teilnehmer/-

innen

Stellungnahme

Jan Dannenbring Abteilungsleiter Arbeitsmarkt, Tarifpolitik und Arbeitsrecht Zentralverband des Deutschen Handwerks

Jan Dannenbring

16/3714

Dr. Oliver Stettes, Leiter des Kompetenzfelds Arbeitsmarkt und Arbeitswelt Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V.

Dr. Oliver Stettes 16/3747

Prof. Dr. Michael Woywode Universität Mannheim Institut für Mittelstandsforschung Lehrstuhl für Entrepreneurship

Prof. Dr. Michael Woywode

angekündigt

Clemens Vatter Vorstandsmitglied SIGNAL IDUNA Gruppe

Clemens Vatter 16/3817

Dr. phil. Jörg Weingarten Wirtschaftsgeograph PCG-Project Consult GmbH

Dr. Jörg Weingarten 16/3803

Tatjana Lanvermann Landesvorsitzende Unternehmerfrauen im Handwerk NRW e.V. Kreishandwerkerschaft Borken/Bocholt

Tatjana Lanvermann Jutta Schmidt

Dirk Lanvermann 16/3728

Rolf Göbels Leitung IQ-Netzwerk NRW Westdeutscher Handwerkskammertag

Rolf Göbels 16/3713

Helmut Dittke DGB-Bundesvorstand

Helmut Dittke 16/3813

Landtag Nordrhein-Westfalen - 47 - Anlage zu EKPr 16/18