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Zeitschrift für Rheumatologie Kasuistiken Z Rheumatol 2020 · 79:195–199 https://doi.org/10.1007/s00393-020-00745-y Online publiziert: 31. Januar 2020 © Der/die Autor(en) 2020 Redaktion M.O. Becker, Zürich P. Hoff, Berlin A.J. Hueber, Bamberg F. Moosig, Neumünster N. Zipfel 1 · L. Dießel 2 · K.-S. Delank 3 · G. Keyßer 1 · C. Schäfer 1 1 Klinik für Innere Medizin II, Arbeitsbereich Rheumatologie, Universitätsklinikum Halle (Saale), Halle (Saale), Deutschland 2 Institut für Pathologie, Universitätsklinikum Halle (Saale), Halle (Saale), Deutschland 3 Klinik für Orthopädie, Unfall- und Wiederherstellungschirurgie,Universitätsklinikum Halle (Saale), Halle (Saale), Deutschland Langsam progrediente Gelenkzerstörung bei einem älteren Mann als Ausdruck einer Hydroxylapatiterkrankung. Fallbericht und Literaturübersicht Falldarstellung Anamnese Ein 75-jähriger Mann litt seit 10 Jah- ren an Arthralgien der großen Gelenke. Aufgrund einer Gonarthrose wurde ini- tial eine Knie-Totalendoprothese rechts implantiert, die 8 Jahre später unter dem Verdacht auf Protheseninfektion mehr- fach revidiert wurde, ohne dass jemals Abb. 1 8 Ellenbogengelenk rechts mit Bursitis olecrani eine bakterielle Besiedlung nachweisbar war. Seither nahmen die Arthralgien des rechten Hüſtgelenkes, beider Kniegelen- ke und des rechten Ellenbogengelenkes schleichend zu, sodass der Patient nur noch am Rollator auf geringen Gehstre- cken mobil war. Klinische Untersuchung Klinisch imponierte eine ausgeprägte Bursitis mit Rötung und Streckhem- mung des rechten Ellenbogengelenkes (. Abb. 1). Weiterhin bot der Patient eine schmerzhaſt aufgehobene Innenrotation des rechten Hüſtgelenkes und eine mas- sive Bewegungseinschränkung im linken Kniegelenk mit palpablem Erguss. Abb. 2 9 Röntgen Beckenübersicht, schwere Koxarthro- se rechts mit kranial aufgebrauchtem Gelenkspalt und Entrundung des Femurkopfes. Das linke Hüftgelenk ist unauffällig Diagnostik Laborchemisch fielen ein erhöhtes C-re- aktives Protein (CRP) von 153,7mg/l bei normwertigem Procalcitonin und eine Leukozytose von 10,4 Gpt/l auf. Die Harnsäure war mit 426μmol/l leicht erhöht. Der Rheumafaktor und die An- tikörper gegen zyklisches citrulliniertes Peptid waren negativ. Der Antinukleäre Antikörper(ANA)-Titer lag bei 1:320, das ANA-Profil war negativ. Röntgenologisch zeigten sich reak- tionsarme, erosive Destruktionen des rechten Hüſtgelenkes (. Abb. 2), rechten Ellenbogengelenkes (. Abb. 3), linken Kniegelenkes (. Abb. 4) sowie des lin- ken Hand- und Daumensattelgelenkes (. Abb. 5). Polarisationsmikroskopisch waren keine Kristalle im Ellenbogengelenk- Zeitschrift für Rheumatologie 2 · 2020 195

Langsamprogrediente Gelenkzerstörungbeieinem … · 2020-03-03 · [7,8,15].DasmittlereErkrankungsalter liegt bei 45 Jahren, es werden jedoch auch Fälle im Kindesalter beschrieben

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Zeitschrift fürRheumatologieKasuistiken

Z Rheumatol 2020 · 79:195–199https://doi.org/10.1007/s00393-020-00745-yOnline publiziert: 31. Januar 2020© Der/die Autor(en) 2020

RedaktionM.O. Becker, ZürichP. Hoff, BerlinA.J. Hueber, BambergF. Moosig, Neumünster

N. Zipfel1 · L. Dießel2 · K.-S. Delank3 · G. Keyßer1 · C. Schäfer1

1 Klinik für Innere Medizin II, Arbeitsbereich Rheumatologie, UniversitätsklinikumHalle (Saale), Halle(Saale), Deutschland

2 Institut für Pathologie, UniversitätsklinikumHalle (Saale), Halle (Saale), Deutschland3 Klinik für Orthopädie, Unfall- und Wiederherstellungschirurgie,UniversitätsklinikumHalle (Saale), Halle(Saale), Deutschland

Langsam progredienteGelenkzerstörung bei einemälteren Mann als Ausdruck einerHydroxylapatiterkrankung.Fallbericht und Literaturübersicht

Falldarstellung

Anamnese

Ein 75-jähriger Mann litt seit 10 Jah-ren an Arthralgien der großen Gelenke.Aufgrund einer Gonarthrose wurde ini-tial eine Knie-Totalendoprothese rechtsimplantiert, die 8 Jahre später unter demVerdacht auf Protheseninfektion mehr-fach revidiert wurde, ohne dass jemals

Abb. 18 Ellenbogengelenk rechtsmit Bursitisolecrani

eine bakterielle Besiedlung nachweisbarwar. Seither nahmen die Arthralgien desrechten Hüftgelenkes, beider Kniegelen-ke und des rechten Ellenbogengelenkesschleichend zu, sodass der Patient nurnoch am Rollator auf geringen Gehstre-cken mobil war.

Klinische Untersuchung

Klinisch imponierte eine ausgeprägteBursitis mit Rötung und Streckhem-mung des rechten Ellenbogengelenkes(. Abb. 1).Weiterhin bot der Patient eineschmerzhaft aufgehobene Innenrotationdes rechten Hüftgelenkes und eine mas-sive Bewegungseinschränkung im linkenKniegelenk mit palpablem Erguss.

Abb. 29 RöntgenBeckenübersicht,schwere Koxarthro-se rechtsmit kranialaufgebrauchtemGelenkspalt undEntrundungdesFemurkopfes. Daslinke Hüftgelenk istunauffällig

Diagnostik

Laborchemisch fielen ein erhöhtes C-re-aktives Protein (CRP) von 153,7mg/lbei normwertigem Procalcitonin undeine Leukozytose von 10,4Gpt/l auf.Die Harnsäure war mit 426μmol/l leichterhöht. Der Rheumafaktor und die An-tikörper gegen zyklisches citrulliniertesPeptid waren negativ. Der AntinukleäreAntikörper(ANA)-Titer lag bei 1:320,das ANA-Profil war negativ.

Röntgenologisch zeigten sich reak-tionsarme, erosive Destruktionen desrechten Hüftgelenkes (. Abb. 2), rechtenEllenbogengelenkes (. Abb. 3), linkenKniegelenkes (. Abb. 4) sowie des lin-ken Hand- und Daumensattelgelenkes(. Abb. 5).

Polarisationsmikroskopisch warenkeine Kristalle im Ellenbogengelenk-

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Kasuistiken

Abb. 38 Röntgen Ellenbogen rechts anterior-posterior,massive osteodestruktive Verände-rungen und transparenzgeminderteWeichteil-schwellung (Dreiecke)mit vereinzelten Kalkab-lagerungen (Kreis)

punktat nachweisbar. MikrobiologischeKulturen mehrerer Gelenkpunktate blie-ben steril. Aufgrund des hohen Lei-densdrucks des Patienten, der nichtbeherrschbaren lokalen Entzündungund zur Probengewinnung erfolgte ei-ne operative Bursektomie des rechtenEllenbogengelenks, wobei histologischzunächst eine unspezifische Entzün-dungsreaktion beschrieben wurde. Inder Alizarinrotfärbung ([21]; . Abb. 6)konnten wir schließlich Hydroxylapatit-kristalle nachweisen.

Diagnose

WirstelltendieDiagnoseeinerHydroxyl-apatitkristallarthropathie als hochent-zündliches und destruierendes Krank-heitsbild.

Therapie und Verlauf

Der Patient erhielt postoperativ eineMo-bilisierung des Ellenbogengelenkes un-ter Schmerztherapie mit Buprenorphin-Pflaster 15μg/h alle 7 Tage, Metamizol500mg Tabletten 4-mal täglich und Ce-lecoxib 100mg 2-mal täglich. In der am-

Abb. 48 Röntgen Knie links anterior-posterior,schwere osteodestruktive Gonarthrosemit auf-gebrauchtemGelenkspalt,multiplen kleinenGeröllzysten und inhomogenen vermehrtenSklerosezonen

bulanten Kontrolle 25 Tage nach demErsteingriff war die Ellenbogenschwel-lung rechts regredient, jedochnochdeut-lich vorhanden. Hinweise für eine post-operativeWundinfektion lagennicht vor.Eine erneute Punktion ergab weitgehendorganisiertes, nichtmehrflüssiges Sekret.

Das CRP war anhaltend zwischen 80und 100mg/l erhöht, dies wurde im Zu-sammenhang mit der Grunderkrankunginterpretiert. Die Punktionen beiderKniegelenke und des rechten Hüftgelen-kes erbrachten keinen Keimnachweis.Die Indikation zu einer endoprotheti-schen Versorgung beider Gelenke waraufgrund der massiven Destruktionengegeben und wurde mit dem Patientengeplant.

Diskussion

Eine Hydroxylapatit-Kristallarthropa-thie (auch kalzifizierende Tendinitis,Tendinitis calcarea, Peritendinitis calca-rea,Periarthropathiacalcificansgenannt)kann sich mono- oder polyartikulär dar-stellen [6, 8]. Typisch ist eine akuteOmarthritis mit radiologisch darstell-baren periartikulären Kalzifikationen

Abb. 58 RöntgenHand links anterior-poste-rior, ausgedehnte erosive Veränderungen derCarpalia undderOs-metacarpale-I-Basis

(„Milwaukee-Schulter“), in 20–30% derFälle auch beidseitig [18]; es kann jedochnahezu jedes Gelenk betroffen sein [3,6, 8, 17]. Am zweithäufigsten ist dasHüftgelenk befallen [18], gefolgt vonFallberichten mit isoliertem Befall vonEllenbogen- [9], Knie- [12], Sprung-und Fußgelenk [10]. Die Hände undHandgelenke sind nur bei etwa 2% derPatienten betroffen, vorwiegend die Seh-nen von Flexor carpi ulnaris, Extensorcarpi ulnaris und den Fingerextensorenund -flexoren [3, 17]. In der Literaturreicht die Prävalenz, bezogen auf dieMilwaukee-Schulter, in der Allgemein-bevölkerung von 2,7–22%, vermutlichbedingt durch die Heterogenität in denStudienkohorten und die unzureichendstandardisierten Diagnosekriterien mit-tels bildgebender Verfahren [7]. In einerAnalyse von 1219 Erwachsenen mit undohne Schulterschmerzen fanden sichKalkablagerungen bei 7,8% der asym-ptomatischen und 42,5% der symp-tomatischen Patienten [14]. Konkreteepidemiologische Daten zu anderen Be-fallsmustern wie in unserem Fall liegennicht vor. Frauen sind mit einer Ratio2:1 bis 5:1 häufiger betroffen als Männer

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Page 3: Langsamprogrediente Gelenkzerstörungbeieinem … · 2020-03-03 · [7,8,15].DasmittlereErkrankungsalter liegt bei 45 Jahren, es werden jedoch auch Fälle im Kindesalter beschrieben

[7, 8, 15]. Das mittlere Erkrankungsalterliegt bei 45 Jahren, es werden jedochauch Fälle im Kindesalter beschrieben[3, 6].

Die Ätiopathogenese ist bisher nichtvollständig verstanden. Diskutiert wer-den Veränderungen in der Vaskulari-sierung, Hypoxie und Trauma. AuchErkrankungen wie Sklerodermie, Nie-reninsuffizienz (insbesondere bei Dia-lysepflicht), Hyperparathyreoidismus,Hämochromatose, multiples Myelomund metabolische Störungen wie Dia-betes mellitus und Hyperurikämie sindmit dieser Form der Kristallarthropathieassoziiert [3, 6, 7, 17, 19]. Charakte-ristisch ist die Ablagerung von Hydro-xylapatitkristallen im periartikulärenWeichteilgewebe, wie z.B. Sehnen [3, 6].Diese induzieren über die Aktivierungdes Inflammasoms die Produktion vonInterleukin-1β und führen so zu einerProstaglandin E2-vermittelten Entzün-dungsreaktion [1, 5, 16].

Differenzialdiagnostisch kommenErkrankungen wie die Calciumpyro-phosphat(CPPD)-Kristallarthropathie,Arthritis urica, rheumatoide Arthritis,Infektionen, Frakturen, metabolischeStörungen und Kollagenosen infrage[3, 6, 17]. Die Diagnostik kann pro-blematisch sein. Makroskopisch stellensich die Hydroxylapatitkristalle wie auchverwandte CPPD-Kristallablagerungenals kalzifiziertes amorphes Material miteiner „milchigen“ oder „käsigen“ Konsis-tenz imperiartikulären Bindegewebe dar[6]. Mikroskopisch sieht man eine zel-luläre Entzündungsreaktion um die kal-zifizierten Ablagerungen. Die Diagnosewird mit dem Nachweis von Hydro-xylapatitkristallen gestellt. Die Kristallevariieren in ihrer Größe von 100–200nmund können damit nur elektronenmi-kroskopisch, in der Röntgenbeugungs-analyse oder mittels Alizarinrotfärbungunter gewöhnlicher Lichtfeldmikrosko-pie nachgewiesen werden [6]. Es gibtwenige Berichte, dass Hydroxylapatit-kristalle auchmittels Arthrosonographienachweisbar seien, jedoch ist diese Me-thode noch nicht gut etabliert [3, 14, 16].Fodor et al. beschreiben 4 arthrosono-graphische Varianten der Kalzifikatio-nen: 1) bogenförmig mit Schallschatten,2) verteilt mit oder ohne Schallschatten,

Zusammenfassung · Abstract

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N. Zipfel · L. Dießel · K.-S. Delank · G. Keyßer · C. Schäfer

Langsam progrediente Gelenkzerstörung bei einem älteren Mannals Ausdruck einer Hydroxylapatiterkrankung. Fallbericht undLiteraturübersicht

ZusammenfassungWir berichten über einen 75-jährigenmännlichen Patienten mit seit 10 JahrenbestehendenArthralgiender großen Gelenke.Klinisch fand sich eine Bursitis des rechtenEllenbogengelenkes. Laborchemisch zeigtesich eine Entzündungskonstellation, undröntgenologisch ergaben sich erosive Ge-lenkdestruktionen. Es erfolgte eine operativeBursektomie. Histologisch konnten in derAlizarinrotfärbung Hydroxylapatitkristalle

nachgewiesen und die Diagnose einerKristallarthropathie gestellt werden. DieDiagnostik ist schwierig, da die Kristallenur elektronenmikroskopisch oder mittelsSpezialfärbungen nachgewiesen werdenkönnen.

SchlüsselwörterArthritis · Kristallarthropathie · Tendinitiscalcarea · Hydroxylapatit · Kalzifikation

Slowly progressive joint destruction in an older man as expressionof hydroxyapatite disease. Case report and literature review

AbstractThis article reports the case of a 75-year-old male patient presenting with arthralgiaof the large joints that had existed for10 years. Clinically, bursitis of the rightelbow joint was found. Laboratory testsshowed elevated inflammatorymarkers andimaging revealed erosive joint destruction.A surgical bursectomy was performed.Histologically, hydroxyapatite crystals were

detected in alizarin red S staining and a crystalarthropathy was diagnosed. The diagnosticsare difficult since crystals can only be detectedby electron microscopy or special stainingmethods.

KeywordsArthritis · Crystal arthropathy · Tendinitiscalcarea · Hydroxyapatite · Calcification

3)Knötchen ohne Schallschatten, 4) Zys-te mit schwachen, internen Echos oderÜberlagerungen [4]. Angaben zur Sen-sitivität und Spezifität dieser Merkmalewurden bisher nicht veröffentlicht.

Im Röntgen zeigen sich meist dichte,homogene, amorphe, runde oder ova-le Kalkablagerungen im periartikulärenWeichteilgewebe, die sich über die Zeit inihrerGrößeundFormverändernkönnen[3, 6]. Kalziumtendinitiden können mit-unter ausgeprägte Weichteil- und Kno-chenveränderungen wie Erosionen undperiostale Reaktionen bedingen. Intra-artikuläre Hydroxylapatitkristalle löseneine chronische Synovitis aus, wodurchEnzyme wie aktive Kollagenase und Pro-tease freigesetzt werden und langfristigzur Gelenkdestruktion führen [7]. DieseVerläufe dürfen nicht, wie anamnestischvermutlich bei unserem Patienten, mitInfektionen oder malignen Erkrankun-gen verwechselt werden [17].

Die Arthritiden treten meistens akutauf und zeigenwie andere Kristallarthro-pathien eine Spontanregredienz inner-halb weniger Wochen [3]. In Fallserienwerden jedoch auch prolongierte Ver-läufe mit Tendenz zur Chronifizierungbeschrieben, wie es bei unserem Pati-enten zu beobachten war [7, 17]. Be-zogen auf die Omarthritis identifizierteCodman Patienten mit sehr kurzen undmit langwierigen Verläufen und stelltedie Hypothese auf, dass die akute unddie chronische Form 2 verschiedene Er-krankungen sind [7]. Im Gegensatz da-zu steht das zyklische Phasenmodell vonUhthoff und Loehr: 1) präkalzifizierte,2) kalzifizierte (unterteilt in formieren-de, anhaltende und resorptive), 3) post-kalzifizierte Phase [20]. Sie erklären dievariierenden Zeitverläufe durch das un-terschiedliche Voranschreiten innerhalbdes Zyklus [7]. Beide Hypothesen sind

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Kasuistiken

Abb. 68 Histologie vonder Bursektomie Ellen-bogengelenk rechts in der Alizarinrotfärbung.Die Hydroxylapatitkristalle sind rot eingefärbt

noch nicht an größeren Fallzahlen vali-diert.

Die Behandlung der Hydroxylapatit-kristallarthropathie erfolgt symptoma-tisch mit nichtsteroidalen Antirheuma-tika, Wärme- oder Kältetherapie undRuhigstellung ggf. mit Schienenanlage[3, 6, 11, 17]. Die konservative Therapiesollte mindestens 6 Monate erfolgen,bevor bei prolongierten Verläufen extra-korporale Stoßwellentherapie, Needling(perkutane Kollageninduktion) oder lo-kale Injektionen mit Anästhetika und/oderGlukokortikoiden angewendet wer-den [11]. DieWirksamkeit von Needlingund intraartikulären Injektionen konn-te in mehreren Studien belegt werden[18]. Eine Studie von del Cura et al.ergab, dass 1 Jahr nach der Interven-tion 91% der behandelten 67 Schulternsymptomfrei und in 89% der Fälle auchradiologisch keine Kalzifikationen mehrnachweisbar waren. Andere Behand-lungsmethoden wie Iontophorese undUltraschalltherapie waren nicht effekti-ver als Physiotherapie oder Placebo [2].Bei Schulterbefall ist die extrakorporaleStoßwellentherapie in randomisiert kon-trollierten Studien effektiv [13], jedochschmerzhaft, teuer und nicht überall ver-fügbar [2]. Bei destruktiven Verläufen isteine Endoprothetik häufig unumgäng-lich. Eine kausale, spezifische Therapiemittels „diseasemodifying anti-rheuma-

tic drugs“ (DMARDs) oder Biologikaist bisher nicht durch Studien belegt.Kleinere Fallserien mit insgesamt 7 Pa-tienten berichten von klinischen undlaborchemischen Verbesserungen untereiner Therapie mit Anakinra [1, 22].

Unser Fall illustriert einen seltenen,chronischen Verlauf einer Hydroxyl-apatitkristallarthropathie mit schwerendestruktiven Gelenkveränderungen. Ne-bendenhäufigerenKristallarthropathienoder septischen Arthritiden ist es wich-tig, auch diese Diagnose in Betracht zuziehen.

Fazit für die Praxis

4 Die Hydroxylapatitkristallarthropa-thie verläuft häufig als akute Arthritismit Spontanregredienz innerhalbweniger Wochen, ein chronisch pro-gredienter Verlauf ist jedochmöglich.

4 Die Diagnose wird elektronenmi-kroskopisch, mittels Röntgenbeu-gungsanalyse oder histologischdurch Nachweis von Hydroxylapatit-kristallen in der Alizarinrotfärbunggestellt.

4 Eine kausale Therapie existiert bishernicht.

Korrespondenzadresse

Dr. N. ZipfelKlinik für Innere Medizin II, ArbeitsbereichRheumatologie, UniversitätsklinikumHalle(Saale)Ernst-Grube-Str. 40, 06120 Halle (Saale),[email protected]

Funding. Open Access funding provided by ProjektDEAL.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt. N. Zipfel, L. Dießel, K.-S. Delank,G. Keyßer undC. Schäfer geben an, dass kein Interes-senkonflikt besteht.

Für diesenBeitragwurden vondenAutoren keineStudien anMenschenoder Tierendurchgeführt. Fürdie aufgeführten Studiengelten die jeweils dort ange-gebenen ethischenRichtlinien. Für Bildmaterial oderanderweitigeAngaben innerhalbdesManuskripts,über die Patienten zu identifizieren sind, liegt vonihnenund/oder ihrengesetzlichenVertretern eineschriftliche Einwilligung vor.

Open Access.Dieser Artikelwird unter der CreativeCommonsNamensnennung4.0 International Lizenzveröffentlicht, welche dieNutzung, Vervielfältigung,Bearbeitung, VerbreitungundWiedergabe in jegli-chemMediumundFormat erlaubt, sofern Sie den/dieursprünglichenAutor(en)unddieQuelle ordnungsge-mäßnennen, einen Link zur Creative Commons Lizenzbeifügenundangeben, obÄnderungen vorgenom-menwurden.Die in diesemArtikel enthaltenenBilder und sonstigesDrittmaterial unterliegen ebenfalls der genanntenCreative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbil-dungslegendenichts anderes ergibt. Sofern das be-treffendeMaterial nicht unter der genanntenCreativeCommons Lizenz steht unddie betreffendeHandlungnicht nachgesetzlichenVorschriften erlaubt ist, ist fürdie oben aufgeführtenWeiterverwendungendesMa-terials die Einwilligungdes jeweiligen Rechteinhaberseinzuholen.WeitereDetails zur Lizenz entnehmenSie bitte derLizenzinformation auf http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de.

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Fachnachrichten

Gesundheits-App als Fitness-Coach für Familien

Die Familie prägt die eigenen Ess- und Bewegungsgewohnheiten. Dieser Aspektspielt eine wesentliche Rolle im Projekt SmartFamily zur digital unterstützten Ge-sundheitsförderung. Sportwissenschaftler des Karlsruher Instituts für Technologie(KIT) haben gemeinsam mit Experten aus Psychologie, Ernährungswissenschaftund Informatik eine mobile App mit integriertem Gesundheitstrainer erarbeitet.Die Weiterentwicklung der App fördert das Bundesministerium für Bildung undForschung (BMBF) mit 350.000 Euro.

Mehr Obst und Gemüse essen, öfter maldas Fahrrad nehmen, statt sich ins Auto

zu setzen – gemeinsam lassen sich solche

Vorsätze leichter verwirklichen. Deshalb setztdas Projekt SmartFamily auf den Teamgeist:

Eltern und Kinder stecken sich miteinander

Ziele für mehr Bewegung und gesündereMahlzeiten. In der App legt die Familie fest,

was sie gemeinsam innerhalb einer Wocheerreichenwill. Die Koppelung der Handy-App

mit einem Bewegungssensor ermöglicht es,

jederzeit Rückmeldungen über die eigenenund familiären Beiträge zum Erreichen des

Wochenziels zu erhalten. Der eigene Beitrag

bleibt dabei für die anderen unsichtbar.

„Die App bewirkt, dass die Familienmitglie-der sich mehr bewegen und gesünder essen,

darauf weisen erste Ergebnisse unserer Un-

tersuchung deutlich hin“, sagt Janis Fiedler,wissenschaftlicherMitarbeiter am Institut für

Sport und Sportwissenschaft (IfSS) des KIT. 60

Familien hatten in der ersten, mehrjährigenPhase der Studie zur Wirksamkeit der App

teilgenommen; ihre Daten werden derzeitausgewertet.

Künftig soll die auf sportwissenschaftlichenFakten und psychologischen Erkenntnissen

basierende App interaktiv und optisch an-

sprechender werden. Davon versprechensich die Wissenschaftler eine noch bessere

Wirksamkeit der App, die zuvor auf Basisele-mente beschränkt war. Jetzt versorgt ein

Bewegungscoach in Gestalt einer animierten

Figur die App-Nutzer auf Wunsch bis zu 5Mal am Tag mit Fakten rund um die Themen

Gesundheit und Ernährung und regt dazu

an, sich zu bewegen. Zudem fragt die Figurim Sportdress nach der aktuellen Stimmung,

nach der Anzahl der am Tag gegessenenGemüseportionen, und ob sich die Nutzer

wach oder müde fühlen. „Dies hilft uns zu

verstehen und erklären, warum jemand sichnicht bewegt und ermöglicht Rückschlüsse

auf Zusammenhänge zum Beispiel mitSchlafmangel“, erläutert Sportwissenschaft-

ler Fiedler. Die zweite Phase des Projekts

läuft bis 2021. Die App soll für Öffentlichkeitund Wissenschaft nach Ende der zweiten

Projektphase 2021 kostenlos bereitgestellt

werden.

Im Fokus der Studie SmartFamily – Mobilefamilienbasierte Intervention zur Förderung

des Aktivitäts- und Ernährungsverhaltens

– steht die Motivation der Teilnehmenden.„SmartFamily ist in das Forschungsprojekt

SmartAct eingebunden, dessen Ziel es ist,

mit Hilfe mobiler Technologien wie Smart-phones das Gesundheitsverhalten der Men-

schen langfristig zu verbessern“, sagt TobiasEckert, wissenschaftlicher Mitarbeiter am

IfSS des KIT. Kooperationspartner des KIT im

Verbundprojekt sind die Universität Konstanzund die Universität Mannheim. „Im Zentrum

steht die Entwicklung und Erprobung einer

Toolbox, die eine unmittelbare Rückmeldungzum Gesundheitsverhalten ermöglicht“, so

der Sportwissenschaftler. Die Karlsruher For-scher setzen für ihre Studie einen Sensor ein,

den die Teilnehmenden mit einem Klipp in

Hüfthöhe zum Beispiel am Gürtel befestigen.Er misst nicht nur die Zahl der Schritte, son-

dern erkennt auch die Bewegungsintensität.

Für die Studie mit ihrer weiterentwickelten

App suchen die Wissenschaftler des IfSSwieder interessierte Familien – mindestens

ein Elternteil und mindestens ein Schulkind,

das noch zu Hause wohnt – aus dem RaumKarlsruhe. Wer teilnimmt, erhält eine wissen-

schaftliche Auswertung seiner sportlichen

Aktivität und individuelle Empfehlungen vonden Experten.

Quelle: Karlsruher Institut fürTechnologie, www.kit.edu

Zeitschrift für Rheumatologie 2 · 2020 199