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Seite 3 Lean-Management als Methode, um Unternehmen agil und anpassungsfähig zu halten. Worauf es ankommt, und warum auch flexible IT-Systeme dabei besonders wichtig sind. Von Dr. Daniela Kudernatsch Foto: iStock.com Nah am Kunden R ank und schlank sowie möglichst „fett- frei“ – so wollen nicht nur viele Män- ner und Frauen, sondern auch Unter- nehmen sein; unter anderem, damit sie „agiler“ sind. Diesen Eindruck gewinnt man oft beim Lesen ihrer Verlautbarungen. So häufig taucht darin der Begriff „lean“ – und seit zwei, drei Jahren das Wort „agil“ – auf. Doch was bedeutet „Lean“ eigentlich? Ist Lean ein „Instrument zum Fördern der bereichs- und funktionsübergreifenden Zusammenarbeit? Oder primär ein Mittel zur Kostensenkung? Oder lässt sich hiermit das durchrationalisier- te Unternehmen verwirklichen, das eine immer höhere Qualität produziert? Oder zielt Lean da- rauf ab, den Kunden mehr Nutzen zu bieten, um im Wettbewerb die Nase vorne zu haben? Werte schaffen und Verschwendung vermeiden Analysiert man die verschiedenen Lean Ma- nagement-Methoden und -ansätze, dann stellt man fest, dass diese stets zwei Ziele anstreben: » Werte für die Kunden schaffen und » Verschwendung vermeiden. Die betriebliche Praxis ist eine andere. Dort konzentrieren sich die Lean-Initiativen oft auf das zweite Ziel: Verschwendung vermei- den. Als Verschwendung wird hierbei alles be- trachtet, was Ressourcen kostet oder bindet und keinen Beitrag zum Erreichen der (finan- ziellen) Ziele des Unternehmens leistet – wie zum Beispiel lange Durchlaufzeiten, ein ho- her Ausschuss, überflüssige Kontrollstrukturen BILDUNGaktuell 06/2017

Lean Management Beratung: Lean Berater …und Dokumentationen. Unternehmen, die ihre Lean-Projekte nur auf das Ziel „Verschwendung vermeiden“ konzentrieren, gewinnen nur kurz-fristig

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Page 1: Lean Management Beratung: Lean Berater …und Dokumentationen. Unternehmen, die ihre Lean-Projekte nur auf das Ziel „Verschwendung vermeiden“ konzentrieren, gewinnen nur kurz-fristig

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Lean-Management als Methode, um Unternehmen agil und anpassungsfähig zu halten. Worauf es ankommt, und warum auch flexible IT-Systeme dabei besonders wichtig sind. Von Dr. Daniela Kudernatsch

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Nah am Kunden

Rank und schlank sowie möglichst „fett-frei“ – so wollen nicht nur viele Män-ner und Frauen, sondern auch Unter-

nehmen sein; unter anderem, damit sie „agiler“ sind. Diesen Eindruck gewinnt man oft beim Lesen ihrer Verlautbarungen. So häufig taucht darin der Begriff „lean“ – und seit zwei, drei Jahren das Wort „agil“ – auf.

Doch was bedeutet „Lean“ eigentlich? Ist Lean ein „Instrument zum Fördern der bereichs- und funktionsübergreifenden Zusammenarbeit? Oder primär ein Mittel zur Kostensenkung? Oder lässt sich hiermit das durchrationalisier-te Unternehmen verwirklichen, das eine immer höhere Qualität produziert? Oder zielt Lean da-rauf ab, den Kunden mehr Nutzen zu bieten, um im Wettbewerb die Nase vorne zu haben?

Werte schaffen und Verschwendung vermeiden

Analysiert man die verschiedenen Lean Ma-nagement-Methoden und -ansätze, dann stellt man fest, dass diese stets zwei Ziele anstreben:» Werte für die Kunden schaffen und» Verschwendung vermeiden.

Die betriebliche Praxis ist eine andere. Dort konzentrieren sich die Lean-Initiativen oft auf das zweite Ziel: Verschwendung vermei-den. Als Verschwendung wird hierbei alles be-trachtet, was Ressourcen kostet oder bindet und keinen Beitrag zum Erreichen der (finan-ziellen) Ziele des Unternehmens leistet – wie zum Beispiel lange Durchlaufzeiten, ein ho-her Ausschuss, überflüssige Kontrollstrukturen

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und Dokumentationen. Unternehmen, die ihre Lean-Projekte nur auf das Ziel „Verschwendung vermeiden“ konzentrieren, gewinnen nur kurz-fristig. Langfristig sind Lean-Initiativen nur er-folgreich, wenn sie zugleich das Ziel verfolgen: Werte schaffen für die Kunden.

Aus Lean-Sicht ist alles Verschwendung, was dem Kunden keinen Nutzen bietet und wofür er folglich nicht bereit ist zu bezahlen – all dies muss auf den Prüfstand. Lean bedeutet also in erster Linie, den Blick in die Organisation so zu verändern, dass der Kundennutzen – also das, was dem Kunden wirklich wichtig ist – im Zen-trum aller (gemeinsamen) Initiativen und Akti-vitäten steht.

Mehr Selbstverantwortung auf der Shopfloor-Ebene

Unternehmen streben oft danach, alles top-down zu steuern und zu kontrollieren. Dies führt dazu, dass die Mitarbeiter auf der wert-schöpfenden Ebene beziehungsweise Shop-floor-Ebene die Verantwortung für das Produ-zieren von Qualität und Kundennutzen an das Management beziehungsweise ihre Führungs-kräfte delegieren.

Ein zentrales Anliegen von Lean Management hingegen ist, die Verantwortung hierfür Schritt für Schritt auf die Shopfloor-Ebene zu verla-gern – unter anderem, um schneller, agiler, fle-xibler zum Beispiel auf veränderte Kundenwün-sche reagieren zu können: Nicht das Manage-ment entscheidet, was im Betriebsalltag richtig

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und wichtig ist, sondern diejenigen, die in di-rektem Kontakt mit den Kunden stehen. Stets, wenn ein Problem oder eine Verbesserungs-chance sichtbar wird, entscheiden die Mitar-beiter auf der wertschöpfenden Ebene selbst, was es zu tun gilt. Das Management wird ledig-lich informiert. Die Qualitätssicherung und das Qualitätsmanagement sind sozusagen in den Arbeitsprozess integriert.

Ein zentrales Ziel aller nachhaltigen Lean-Initia-tiven ist, die Flexibilität der Arbeitsprozesse zu erhöhen. Eine Standardisierung der Prozesse sowie Reduktion der möglichen und erlaubten Prozessvarianten führt schnell zu starren, unfle-xiblen Prozessen. Die Folge: Das Unternehmen reagiert nur noch langsam auf neue Kundenbe-dürfnisse. Deshalb lautet eine zentrale Frage beim Lean Management: „Haben wir genügend Spielräume, um rasch auf neue Anforderungen zu reagieren?“ Und im Zweifelsfall werden die Mitarbeiter beziehungsweise Arbeitsteams er-mutigt, Regeln außer Kraft zu setzen oder von definierten Standards abzuweichen.

Auch die IT dient dem Schaffen von Kundennutzen

Wenn ein Unternehmen lean ist, dann benö-tigt es auch eine entsprechende IT. Lean heißt in diesem Zusammenhang: Die IT wird zu ei-

Die zentrale Frage beim Lean Management lautet: „Haben wir genügend Spielräume, um rasch

auf neue Anforderungen zu reagieren?“

nem Teil des Bestrebens, alles am Kundennut-zen zu orientieren und die Verschwendung zu minimieren – dies sollten sich die Verantwortli-chen gerade im Kontext der sogenannten „Digi-talen Transformation“ der Unternehmen immer wieder vor Augen führen.

Ziel der (internen und externen) IT-Lieferan-ten muss es also sein, nicht nur das abzubilden, was bisher gemacht wird. Sie müssen sich auch fragen, inwieweit die in der Software abgebil-deten Abläufe auch mittel- und langfristig dafür geeignet sind, Nutzen und Mehrwert für den Kunden zu produzieren.

In einer Umgebung, die lean sein will, genügt es nicht, dass die IT-Systeme „laufen“. Die IT muss sich daran messen lassen, ob sie das je-weilige Geschäftsfeld wirklich beim Produzie-ren von Kundennutzen unterstützt. Sowohl die internen als auch die externen IT-Lieferanten müssen sich fragen: Erzeugen wir für unsere Kunden ausreichend Nutzen in Relation zur In-vestition? Überflüssige Lizenzen zum Beispiel, nur teilweise genutzte Anwendungen oder un-zufriedene Anwender sind im Sinne von Lean Verschwendung.

Was folgt daraus (nicht nur) für IT-Projekte? Von welchen Denkansätzen sollten sie sich lei-ten lassen und wie sollten sie gemanagt wer-

den, um den Kundennutzen zu erhöhen? Eini-ge Anregungen – nicht nur für Projektmanager:

» IT-Projekte sollten sich am Bedarf der Ziel-gruppen orientieren. Nicht alle Anwender be-nötigen denselben Funktionsumfang. BildenSie deshalb Kategorien von Anwendern. Grup-pieren Sie zum Beispiel nach der Häufigkeit derNutzung oder nach der IT-Affinität und entwi-ckeln Sie spezifische Zugänge zum IT-System.

» IT-Projekte sollten unnötige Vielfalt vermei-den. Nicht jeder Mitarbeiter benötigt jedeFunktion. Er möchte diese unnötige Vielfalt, dieihn oft überfordert, auch nicht. Sie stresst ihn –und aus Unternehmenssicht ist sie Verschwen-dung. Konzentrieren Sie sich beim Entwickelnvon IT-Lösungen auf die Kernanforderungender verschiedenen Rollenträger in den Arbeits-prozessen. Reduzieren Sie Benutzerschnitt-stellen auf das rollenspezifische Minimum undschaffen Sie unterschiedliche Zugänge.

» IT-Projekte sollten flexible IT-Systeme liefern.Damit Unternehmen rasch auf neue Kundenbe-dürfnisse reagieren können, benötigen sie eineIT, die schnell an neue Arbeitsprozesse ange-passt werden kann. Die Architektur der IT-Sys-teme sollte so konzipiert sein, dass Prozessva-rianten je nach Bedarf ein- und ausgebaut wer-den können.

» IT-Projekte sollten selbst lean sein. IT-Ent-wicklungsprojekte müssen flexibel auf neueAnforderungen reagieren können, damit sieden gewünschten Beitrag zu Lean-Initiativen

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leisten. Denn was nutzt es zum Beispiel, wenn eine Fachabteilung ihre Arbeitsprozesse zwar rasch an neue Bedürfnisse anpasst, das IT-Sys-tem aber noch auf dem alten Stand ist, weil die Anforderungen zu Beginn des Projekts festge-schrieben wurden? Orientieren Sie sich an agi-len Methoden, um die nötige Flexibilität zu be-wahren.

Lean ist eine Denkhaltung – auch in Projekten

Lean, konsequent umgesetzt, ist eine Denk-haltung, die alles am Kundennutzen ausrich-tet. Für das Projektmanagement bedeutet dies: Wo früher ein auf Verträgen beruhendes Ver-halten gang und gäbe war, hält beim Lean Pro-jekt-Management eine auf Vertrauen beruhen-de Beziehung Einzug. Die Beteiligten versu-chen weniger, sich abzusichern. Sie arbeiten vielmehr daran, sich wechselseitig besser ein-schätzen zu lernen.

Lean-Projekt-Management organisiert Teams kundenorientiert statt nach fachlichen Diszipli-nen wie zum Beispiel Entwicklung, Test und Do-kumentation. Diese Teams reden möglichst di-rekt mit den jeweiligen (internen oder externen) Kunden. Sie sind so aufgebaut, dass sie ein Er-gebnis mit direktem Kundennutzen produzieren.

Lean-Projekt-Management setzt auf kur-ze Durchlaufzeiten beziehungsweise dar-auf, schnell in die Umsetzung zu kommen. Das heißt zum Beispiel bei einem IT-Projekt: Es werden regelmäßig lauffähige Programm-

teile produziert und an den Kunden ausgelie-fert. Dies ermöglicht ein zeitnahes Feedback, ein kontinuierliches Lernen und eine ständige Verbesserung der Ergebnisse – insofern stehen Lean Management sowie das Streben nach Fle-xibilität und Agilität nicht in Widerspruch. Im Gegenteil: Sie bedingen sich.

Lean-Projekt-Management stellt den Kunden-nutzen konsequent in den Fokus. Statt Ent-scheidungen zentral zu treffen, setzt die Pro-jektleitung alles daran, dass jedes Teammit-glied weiß, welche Ziele der Kunde mit dem Projekt verfolgt. So befähigt die Projektleitung jeden Einzelnen, eigenständig und eigenverant-wortlich im Sinne dieser Ziele zu entscheiden – und entlastet sich von der Bürde, alles steu-ern und kontrollieren zu müssen. Ein Schwer-punkt des Lean Projekt-Management liegt des-halb darauf, die hierfür erforderlichen Kommu-nikationsmöglichkeiten zu schaffen: Transpa-renz der Information ist das A und O.

Wenn Projektleiter sich diese Prinzipien zu Ei-gen machen, trägt ein Lean-Projekt-Manage-ment auch zum Steigern der Flexibilität und Agilität der Unternehmen und seiner Mitarbei-ter bei. Es setzt sozusagen das gesamte Poten-zial des Projekts im Sinne der Kundenziele frei.

Dr. Daniela Kudernatsch ist Unternehmensbe-raterin und Autorin des Buchs „Hoshin Kanri – Unternehmensweite Strategieumsetzung mitLean-Management-Tools“.

ÒÒKlick! kudernatsch.com

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