31
Leseprobe aus: ISBN: 978-3-7371-0034-2 Mehr Informationen zum Buch finden Sie auf www.rowohlt.de.

Leseprobe aus - content.schweitzer-online.de · Das Powerpaar Achleitner als kleinstmögliches Netzwerk Die Bilderberg-Treffen als Mutter aller Ver-schwörungstheorien Die Atlantik-Brücke

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Leseprobe aus - content.schweitzer-online.de · Das Powerpaar Achleitner als kleinstmögliches Netzwerk Die Bilderberg-Treffen als Mutter aller Ver-schwörungstheorien Die Atlantik-Brücke

Leseprobe aus:

ISBN: 978-3-7371-0034-2Mehr Informationen zum Buch finden Sie auf www.rowohlt.de.

Page 2: Leseprobe aus - content.schweitzer-online.de · Das Powerpaar Achleitner als kleinstmögliches Netzwerk Die Bilderberg-Treffen als Mutter aller Ver-schwörungstheorien Die Atlantik-Brücke

Georg Meck

Bettina WeigunyDer Elitenreport

Rowohlt · Berlin

Page 3: Leseprobe aus - content.schweitzer-online.de · Das Powerpaar Achleitner als kleinstmögliches Netzwerk Die Bilderberg-Treffen als Mutter aller Ver-schwörungstheorien Die Atlantik-Brücke

1. Auflage Mai 2018Copyright © 2018 by Rowohlt · Berlin Verlag GmbH, Berlin

Alle Rechte vorbehaltenSatz aus der Droid Serif

Gesamtherstellung CPI books GmbH, Leck, GermanyISBN 978 3 7371 0034 2

Page 4: Leseprobe aus - content.schweitzer-online.de · Das Powerpaar Achleitner als kleinstmögliches Netzwerk Die Bilderberg-Treffen als Mutter aller Ver-schwörungstheorien Die Atlantik-Brücke

Inhalt

InhaltVORWORT Warum wir uns um die Elite kümmernmüssen1 Die Elite und der neue Populismus

Wer traut schon Managern und Politikern?Keine Chance für die Jugend?

2 Wer oder was ist überhaupt Elite?Das Elite-ParadoxonKann man «Elite» definieren?Wie die Nazis das Wort «Elite» in Verruf brach-tenDas Comeback der Elite als Exzellenzuniversität

3 Elite auf dem GipfelDer Homo DavosiensisWer darf mit in die Schweizer Berge?

4 Wie verkommen ist die Elite?Kriminelle und ganz gewöhnliche VersagerMacht, Sex und GeldWenn Banker zu Räubern werdenFür Misserfolge haftet niemand

5 Die erschöpfte EliteDie Furcht vor dem AbsturzDurchgetaktet bis zum KollapsRitalin, Koks und andere DrogenMein Freund, der Yoga-Lehrer

6 Wie tickt die Elite?Das SelbstverständnisDie politische Haltung

7 Die Ängste der EliteDie Sorge um die SicherheitStreit kommt vor allem in den reichsten Famili-en vor

Page 5: Leseprobe aus - content.schweitzer-online.de · Das Powerpaar Achleitner als kleinstmögliches Netzwerk Die Bilderberg-Treffen als Mutter aller Ver-schwörungstheorien Die Atlantik-Brücke

Wer schützt das Geld vor Schmarotzern, Erbenund Geliebten?

8 Die junge Elite der Start-up-WeltBerlin: Schaut auf diese Stadt!Erträgt Deutschland einen Oliver Samwer?Die Zalando-Jungs und ihre Freunde von derWHUVon Dinnerrunden und anderen ZirkelnSilicon Valley: Ein Abstecher zu den Herrschernder Welt

9 Die Elite und ihr NetzDas Powerpaar Achleitner als kleinstmöglichesNetzwerkDie Bilderberg-Treffen als Mutter aller Ver-schwörungstheorienDie Atlantik-Brücke und die deutsch-amerikani-sche FreundschaftDer McKinsey-Club der kleinen und großenHerrscherTraining bei den Baden-Badener Unternehmer-gesprächenDer Evian-Kreis der deutsch-französischenFreundschaftVon der Isny-Runde, dem Andenpakt und denAutokumpels

10 Frauen in der EliteNicola Leibinger-Kammüller und die QuoteGegen Machos und ChauvisDie Weltstars Christine Lagarde und SherylSandbergSimone Bagel-Trah und Nathalie von SiemensDie Frontfrau der Generation YUnd was machen die Hausfrauen der Elite?

11 Neue Sitten in der EliteKulturwandel in den Chefetagen

Page 6: Leseprobe aus - content.schweitzer-online.de · Das Powerpaar Achleitner als kleinstmögliches Netzwerk Die Bilderberg-Treffen als Mutter aller Ver-schwörungstheorien Die Atlantik-Brücke

Das neue Rollenmodell des Adidas-Chefs12 Wo lebt die Elite?

Und Silvester trifft man sich in «Kitz»Ein Ausflug zu den Milliardären am Tegernsee

13 Wer darf rein in die Elite?Was die Herkunft der Wirtschaftsbosse verrätDie Bildungskarrieren der Topmanager

14 Schottet die Elite sich ab?NachwortLiteratur

Page 7: Leseprobe aus - content.schweitzer-online.de · Das Powerpaar Achleitner als kleinstmögliches Netzwerk Die Bilderberg-Treffen als Mutter aller Ver-schwörungstheorien Die Atlantik-Brücke

VORWORTWarum wir uns um dieElite kümmern müssen

«Elite» ist ein ziemlich schmutziger Begriff, obwohl er docheigentlich so positiv gemeint war. Das Adjektiv «elitär» wirdsogar als Schimpfwort gebraucht, und das obendrein ziem-lich beliebig. Der Begriff ist, und das ist sein Vorzug, so un-scharf, dass «die Elite» jederzeit zum Feindbild taugt, oh-ne dass die Zürnenden sich genau festlegen müssen: Wergenau wird da jetzt beschimpft? Die Regierenden oder dieReichen, die Prominenten, die Oligarchen, die besondersSchlauen? Oder jemand ganz anderes?

Als wir angefangen haben, dieses Buch zu schreiben,war zunächst genau diese Frage zu klären: Wer zählt ei-gentlich zur Elite? Ist Elite identisch mit Oberschicht? DieAntwort darauf ist gar nicht so einfach. Über die Elite, soviel wurde bei der Recherche schnell klar, weiß der Sta-tistiker so gut wie nichts. Zumindest nichts Stichhaltiges,was von Zahlen und Fakten gedeckt wäre. Hartz-IV-Bezie-her sind in allen Facetten ihres Lebens und ihrer Bedürf-nisse erfasst, das muss so sein, schließlich erhalten sie dasGeld der Allgemeinheit. Am anderen Ende der Skala, ganzoben in der Gesellschaft, wird es dünn. Die Wissenschaftweiß wenig über Millionäre oder Milliardäre, nicht mal de-ren Zahl ist in den Statistiken vermerkt.

In diese Lücke springen die Autoren gerne, denn wir bei-de haben seit zwei Jahrzehnten als Journalisten mit Leutenzu tun, die –  im weiteren Sinn – zur Elite zu zählen sind:Kanzler und Minister, arrivierte Konzernchefs und ambitio-nierte Macher von morgen. Sie haben wir für dieses Buchbeobachtet, haben uns mit vielen unterhalten (für die Ge-sprächsbereitschaft an dieser Stelle herzlichen Dank!). Wir

7

Page 8: Leseprobe aus - content.schweitzer-online.de · Das Powerpaar Achleitner als kleinstmögliches Netzwerk Die Bilderberg-Treffen als Mutter aller Ver-schwörungstheorien Die Atlantik-Brücke

sind den Mächtigen zu ihren Treffen gefolgt, haben ihrenZirkeln und Netzwerken zwischen Silicon Valley und Davosnachgespürt und sie dort getroffen, wo sie sich sonst so her-umtreiben.

Wir haben zugehört, wie Staats- und Konzernführer aufoffener Bühne von der Verbesserung der Welt reden, unduns darüber geärgert, dass sie im Stillen meist anderes imSchilde führen. Im Zweifel suchen sie den eigenen Vorteil,den nächsten Deal. Wir sind eingetaucht in diese verborge-ne Welt der Eliten, haben nachgeforscht, welchen Einflussdiese Leute ausüben, und mit ihnen darüber debattiert, wiesehr sie dem realen Leben entrückt sind, manchmal auch,wie bedrückend sie das trotz des Glamours bisweilen emp-finden. Und hinter allem steht die Frage: Versammelt dieElite wirklich die Auslese, oder schotten sich da ruchloseMachtmenschen ab vom Rest der Gesellschaft?

Frankfurt am Main, März 2018Bettina Weiguny & Georg Meck

8

Page 9: Leseprobe aus - content.schweitzer-online.de · Das Powerpaar Achleitner als kleinstmögliches Netzwerk Die Bilderberg-Treffen als Mutter aller Ver-schwörungstheorien Die Atlantik-Brücke

1Die Elite und derneue Populismus

9

Page 10: Leseprobe aus - content.schweitzer-online.de · Das Powerpaar Achleitner als kleinstmögliches Netzwerk Die Bilderberg-Treffen als Mutter aller Ver-schwörungstheorien Die Atlantik-Brücke

Wer traut schonManagern und Politikern?

Der Widerpart zur Elite ist der Populist, und der hat Ober-wasser, egal wohin man blickt: Trump in Amerika, Orbán inUngarn, Erdogan in der Türkei, Le Pen in Frankreich. Da-zu der Brexit in Großbritannien und die AfD im deutschenBundestag: alles Triumphe von antielitären, antipluralisti-schen Bewegungen. Diese Siege des Populismus sind dieAntwort auf ein Versagen der Eliten, so viel steht fest, ohnedass damit schon geklärt wäre, worin genau dieses Versa-gen besteht.

Populismus, so die These des Princeton-Politologen Jan-Werner Müller, folgt einer ganz bestimmten Politikvorstel-lung: «Einem moralisch reinen, homogenen Volk stehenunmoralische, korrupte und parasitäre Eliten gegenüber.»Dabei nehmen die Populisten für sich in Anspruch, sie undnur sie seien die legitimen Vertreter des Volkswillens: «Wirund nur wir repräsentieren das Volk», wie Müller schreibt.Als der amerikanische Außenminister Rex Tillerson sei-nem Amtskollegen Sigmar Gabriel die Motive der Trump-Wählerschaft erklärte, sprach er von den «Can-you-he-ar-me-now-voters», den Hört-ihr-mir-jetzt-zu-Wählern. Die-se Wähler versammeln sich, überträgt man Tillersons Ana-lyse auf Deutschland, in der AfD und bei Pegida. Doch die-se Bewegungen mit der Wut von Abgehängten zu erklärengreift zu kurz: Wie käme es sonst zu den vielen Stimmen fürdie Rechtspopulisten im prosperierenden Süden Deutsch-lands, in Bayern und Baden-Württemberg? Regionen, in de-nen es praktisch keine Arbeitslosigkeit gibt, voller Profiteu-re der Globalisierung.

Wenn der Aufschwung von Populisten eine Verachtungfür die Eliten voraussetzt, müssen diese eine Angriffsflä-che bieten. Nur welche? Reicht dafür der Neid auf das viele

10

Page 11: Leseprobe aus - content.schweitzer-online.de · Das Powerpaar Achleitner als kleinstmögliches Netzwerk Die Bilderberg-Treffen als Mutter aller Ver-schwörungstheorien Die Atlantik-Brücke

Geld? Auf die Macht? Der Hass auf die Eliten muss tiefereGründe haben. Wir wollen wissen, wie es dazu kam, undwenden uns an die Demoskopen, die von Berufs wegen dasOhr an Bauch und Verstand des Volkes legen.

Elite ist, wie gesagt, kein sympathischer Begriff. Davonzu sprechen war «bis vor kurzem in Deutschland verpönt»,diagnostizierte das Institut für Demoskopie in Allensbachzur Jahrtausendwende und attestierte eine starke Abnei-gung des Volkes gegen die «Elite». 1992 fand eine satteMehrheit von 62 Prozent der Befragten das Wort unsympa-thisch, und die Fan-Basis für die Oberschicht hat sich seit-her nicht vergrößert. Den Herrschenden in Politik und Wirt-schaft sei nicht zu trauen, hören die Demoskopen ein umsandere Mal, wenn sie Volkes Stimme zu dem Thema einfan-gen.

Einzig der «PISA-Schock», der die Unzulänglichkeitendes deutschen Schulsystems offenbarte, hat ein paar fest-gefügte Meinungen vorübergehend verändert. Plötzlichdachte die Bevölkerung positiv über Elite nach, allerdingsbegrenzt auf das Thema Bildung: «Besonders begabteSchüler sollte man in Eliteklassen oder Eliteschulen för-dern.» Das sagten 1999 53 Prozent der Westdeutschen, inOstdeutschland sogar 55 Prozent. Quer durch die Parteienformierten sich Mehrheiten für eine Eliteförderung. Proble-matisch sahen das vor allem SPD-Wähler, da stand es 1999nur knapp 45 zu 41 für die Eliteförderung.

Das schlechte Ansehen verbindet Manager und Politiker,es ist beiden Gruppen zur Gewohnheit geworden: «Elite imDauerfeuer der Kritik», überschrieb Renate Köcher, Chefindes Allensbach-Instituts, schon vor zehn Jahren eine Stu-die; also vor der Finanzkrise, die das Vertrauen in die Elitenoch weiter erschüttert hat. Köcher verwies damals auf denlangfristigen Trend: Anfang der neunziger Jahre hatten le-diglich 23 Prozent der Bevölkerung den Eindruck, dass dasAnsehen von Unternehmern gelitten habe, 2008 dachte so

11

Page 12: Leseprobe aus - content.schweitzer-online.de · Das Powerpaar Achleitner als kleinstmögliches Netzwerk Die Bilderberg-Treffen als Mutter aller Ver-schwörungstheorien Die Atlantik-Brücke

die Mehrheit, und «viele nehmen in der Gesellschaft sogarSymptome von Feindseligkeit wahr».

Die große Distanz der Bevölkerung zu den Führungseli-ten aus Wirtschaft wie Politik ist beunruhigend. So lesenwir seither regelmäßig. Im Zweifel soll der Staat eingrei-fen und die Dinge regeln. Mit Gesetzen reglementieren, dieManagergehälter begrenzen.

Den Akteuren an der Spitze wird in hohem Maße unter-stellt, dass ihnen das Verständnis für die Sorgen des ge-wöhnlichen Volkes abgeht. Harte Arbeit, Mut, Kompetenzund Selbstlosigkeit verbinden die Leute mit der politischenKlasse noch weniger als mit den wirtschaftlichen Führungs-spitzen. Und wenn Politiker öffentlich Manager angreifen,dann verbucht das Volk dies als Versuch der eigenen Pro-filierung, oder noch schlimmer: Vertuschung der eigenenFehler.

Im Zweifel kommen Manager noch besser weg als Poli-tiker. Einem Vorstandsvorsitzenden trauen laut «EdelmanTrust Barometer», einer jährlich veröffentlichten Umfrageunter 38 000 Personen in achtundzwanzig Ländern, wenigs-tens 37 Prozent der Menschen, Aussagen von Regierungs-vertretern halten nur 29 Prozent für glaubwürdig. Integersind beide Gruppen nicht, glaubt man Volkes Stimme. Wo-bei seit jeher gilt: Manager im Allgemeinen sind Schweine,aber nicht mein Chef, der ist in Ordnung – dies ist der tröst-liche Punkt in den Umfragen, die das erodierende Vertrau-en in die gesellschaftlichen Institutionen messen. Im Jahr2017, Donald Trump war schon im Amt, haben 57 Prozentder Amerikaner ihre tiefe Skepsis gegenüber der Elite zuProtokoll gegeben, in Deutschland waren es 62 Prozent, inItalien und Frankreich sogar jeweils 72 Prozent.

Allen Ländern gemein ist: Das Misstrauen gegenüberder Elite hat sich spürbar verschärft. «Die Eliten interessie-ren sich nicht mehr für uns», «Die Eliten haben keine Be-rührung mit uns normalen Menschen», «Die Eliten sind rei-

12

Page 13: Leseprobe aus - content.schweitzer-online.de · Das Powerpaar Achleitner als kleinstmögliches Netzwerk Die Bilderberg-Treffen als Mutter aller Ver-schwörungstheorien Die Atlantik-Brücke

cher, als sie es verdient hätten», solche Sätze treffen auf ei-ne breite Zustimmung. «Wir haben – auch in Deutschland –eine tiefgehende, langlebige, breit verankerte Vertrauens-krise», sagt Susanne Marell, Deutschland-Chefin der Agen-tur Edelmann. Kritikpunkte waren und sind die hohen Ge-hälter (diese fanden schon vor zehn Jahren 85 Prozent derLeute zu hoch), außerdem wird generell ein Verfall von An-stand und Moral diagnostiziert. Gier, Rücksichtslosigkeit,Egoismus wird der Elite in diesem Zusammenhang nachge-sagt.

13

Page 14: Leseprobe aus - content.schweitzer-online.de · Das Powerpaar Achleitner als kleinstmögliches Netzwerk Die Bilderberg-Treffen als Mutter aller Ver-schwörungstheorien Die Atlantik-Brücke

Keine Chance für die Jugend?Der Volkssport Eliten-Bashing erfreut sich wachsender Be-liebtheit, und das bis weit in die obere Mittelschicht hinein.Bis hin zu Typen wie Klaus, selbst ein Kandidat für die Eli-te, ein «High Potential», wie Talente seines Kalibers in derSprache der Personalberater heißen: Klaus, der im wirkli-chen Leben anders heißt, ist Anfang dreißig, hat Prädikats-examen, Doktortitel – und einen gewaltigen Brass auf dieEliten, weil er glaubt, dass es ungerecht zugeht in der Welt,weil er fürchtet, dass ihm, aller Begabung und allem Ehr-geiz zum Trotz, die Felle davonschwimmen. Deswegen gehter neuerdings auch so ungern zu Familienfesten, wo derVater spätestens beim Rotwein losledert: «Wann kauft ihrendlich ein Haus? Kinder brauchen einen Garten – und Ju-lia längst ein Geschwisterchen.» Je später der Abend, des-to schärfer die Geschosse: Eigenheim, Hochzeit, ein festerJob, nichts davon kann Klaus vorweisen. «Ich stehe da wieein Versager», sagt der Jurist. Dabei hat er alles Verlangtemit Bravour erledigt: toller Abschluss, feste Freundin, ei-ne süße Tochter. Im Moment lernt er fürs zweite Staatsex-amen. Im Prinzip stimmt alles. Nur im Vergleich zum Vaterwirkt es glanzlos. Der war mit Anfang dreißig sein eigenerHerr, hatte das eigene Unternehmen in der Elektrobranchehochgezogen. Tag und Nacht habe er gerackert damals, er-zählt er nur zu gerne, «auch am Wochenende». Als Lohnstanden eine Frau, drei Kinder und ein Haus samt Pool zuBuche, vom Geld auf der hohen Kante ganz zu schweigen.Sohn Klaus dagegen, der «Herr Doktor», wie ihn sein Va-ter nennt, könnte sich nicht mal die Vierzimmerwohnung inWiesbaden leisten, in der die Kleinfamilie lebt. Die Mietezahlt Papa. Hier läuft etwas schief, findet Klaus. Und so den-ken viele seiner Altersgenossen. Sie rackern sich ab, kom-men leidlich voran. Und trotzdem: Etwas fehlt. Status, Si-

14

Page 15: Leseprobe aus - content.schweitzer-online.de · Das Powerpaar Achleitner als kleinstmögliches Netzwerk Die Bilderberg-Treffen als Mutter aller Ver-schwörungstheorien Die Atlantik-Brücke

cherheit, was die Eltern eben vorgelebt haben und nun vonden Kindern einfordern.

Dabei hätte gerade diese Generation keinen Grund zurKlage oder gar zum Hass auf Eltern und Elite. Keine Ge-neration vor ihr startete besser ins Leben: Ein Studiumist für die Kinder der Mittelschicht, des Bildungsbürger-tums, selbstverständlich. Und wer studiert, hat nur ein ge-ringes Risiko, arbeitslos zu werden, das zeigen alle Studi-en, darf vielmehr ein ordentliches Einkommen erwarten.«Die Gehälter sind über die letzten drei Jahrzehnte deut-lich gestiegen. Gerade die Aussichten für qualifizierte Be-rufsanfänger sind hervorragend und sie bleiben es auch»,sagen die Vergütungsexperten der UnternehmensberatungKienbaum. Wirtschaftswissenschaftler mit Universitätsstu-dium erwartet heute beim Berufseinstieg ein Gehalt, dasum die Hälfte höher ist als vor zwanzig Jahren; bei Fach-hochschülern ist der Anstieg noch größer. Juristen, Inge-nieure, Informatiker und Naturwissenschaftler waren nieso gefragt wie heute. Der Taxi fahrende Dr. phil. sei alsMassenphänomen «empirischer Unsinn», hat schon im Jahr2007 Harald Schomburg festgestellt, der Projektleiter amKasseler Internationalen Zentrum für Hochschulforschung(Incher), das 35 000 Hochschulabsolventen aus achtund-vierzig Hochschulen zu ihren Erfahrungen befragt hatte.Auch die «Generation Praktikum» war mehr Medienphäno-men denn Realität. Uni-Absolventen brauchen in der Re-gel nur drei Monate, um eine Stelle zu finden; in den Geis-tes- und Sozialwissenschaften dauert es auch mal länger,aber das war früher nicht anders. Wenn jemand Angst ha-ben muss vor der Arbeitslosigkeit, dann sind es Ungelern-te und Hauptschüler. Deren Erwerbslosigkeit ist gestiegenin den vergangenen Jahrzehnten, während die der Akade-miker auf geringem Niveau verharrt. Da beginnt die Wutder bildungsfernen Schichten auf die «Eliten», zu denen sieauch Klaus und all jene zählen, die studiert haben, denen

15

Page 16: Leseprobe aus - content.schweitzer-online.de · Das Powerpaar Achleitner als kleinstmögliches Netzwerk Die Bilderberg-Treffen als Mutter aller Ver-schwörungstheorien Die Atlantik-Brücke

es bessergeht. Nur woher kommt die Wut von Klaus undseinesgleichen?

Der Großteil der Dreißig- bis Vierzigjährigen kennt ma-terielle Not kaum, schließlich sind sie die Kinder der reichs-ten Generation, die es in Deutschland je gegeben hat; Mil-liarden an Vermögen wollen vererbt werden. Das Bruttoin-landsprodukt, immer noch bestes Maß für den Wohlstand,hat sich seit 1980 fast vervierfacht und liegt heute bei 3,1 Billionen Euro. Bereinigt um die Inflation, bleibt eine Ver-dreifachung.

Trotzdem ist Klaus wütend. Der Soziologe Heinz Bu-de verweist auf eine scheinbar paradoxe Gesetzmäßigkeitin Bildungskarrieren: Die Dreißig- bis Vierzigjährigen sindKinder einer Aufsteigergeneration. Und Kinder von Aufstei-gern schaffen es oft nur schwer, die eigenen Eltern noch-mals zu übertreffen. Das tut weh, Eltern wie Kinder emp-finden dies als Versagen. Eine Schmach, die es um jedenPreis zu vermeiden gilt.

«Die Akademiker starten reich in das Berufsleben. Dasist ein vergiftetes Geschenk», sagt der an der HochschuleSt. Gallen lehrende Philosoph Dieter Thomä. Wer finanziellabgesichert durchs Studium gleitet, wem die Eltern das Au-to, die Wohnung, die Praktika in aller Welt bezuschussen,der wird enttäuscht, wenn er nach dem Examen merkt, wiewenig vom eigenen Lohn übrig bleibt. Die Kinder dieser Ge-neration sind – anders als die eigenen Eltern – im Wohlstandaufgewachsen, behütet, ohne Zwänge und Tabus. Sie su-chen nicht die Revolution, wollen nichts zerstören, nicht dieGesellschaft, erst recht nicht die Umwelt oder das Klima.Die Schlachten ihrer Eltern sind Geschichte, sie sind Meis-ter der persönlichen Nabelschau: «Wo stehe ich, wo will ichhin, passt der Job, der Partner wirklich zu mir?» Diese pri-vaten Fragen trieben sie weit mehr um als die Sorge um dasgroße Ganze, behauptet der Soziologe Martin Doehlemann,der den «Dreißigjährigen» ein ganzes Buch gewidmet hat.

16

Page 17: Leseprobe aus - content.schweitzer-online.de · Das Powerpaar Achleitner als kleinstmögliches Netzwerk Die Bilderberg-Treffen als Mutter aller Ver-schwörungstheorien Die Atlantik-Brücke

Kann es sein, dass die High Potentials heute zu viel auf ein-mal wollen? Ihre Eltern haben sich keine Weltreise gegönntnach dem Abitur. Sie haben nicht über Sabbaticals nachge-dacht und hatten in ihrer Kindheit keinen Apple-Laptop imZimmer, als Student kein iPhone in der Tasche. Berufsan-fänger gönnen sich heute eine Putzfrau und Urlaub mehr-mals im Jahr. Sie leisten sich teure Hobbys, diversen High-tech-Schnickschnack und gehen jede Woche im Restaurantessen.

Die Eltern haben damals lieber fürs Eigenheim gespart.Das schmucke Häuschen im Grünen oder den Stilaltbauhätten die Jungen trotzdem gern – nur keinesfalls dort, woihre Eltern einst gebaut haben: in der Provinz. Dort könn-ten sie sich die Immobilie leisten, die Preise sinken seitJahren. Die Jungakademiker aber zieht es zu ihresgleichen,in die Ballungsgebiete mit Erholungswert; das erklärt dieSpitzenmieten in Städten wie München. Dort sind die Prei-se exorbitant gestiegen, ebenso wie in Universitätsstädten.Ein Haus kann sich dort nur leisten, wer reich erbt oder einSpitzengehalt bezieht.

Die Dreißigjährigen wissen vor allem eines, hat DieterThomä festgestellt: «Mehr wäre besser.» Um keinen Preisdürfen sie zurückfallen. Sonst ist Schluss, dann kommtHartz IV  – auch wenn diese Furcht ziemlich unbegründetist. Entgegen allen Unkenrufen rutscht die Mittelschichtnicht ab. Allein die vage Gefahr des Abstiegs jedoch nährtdie Angst, jene Lebensqualität einzubüßen, an die ihre Kin-der von klein auf gewöhnt waren: Haus hier, Ferienwoh-nung dort.

«Da ist einiges durcheinandergeraten», folgert Thomä.«Die Jungen kennen ihre Werte nicht mehr. Sie rennen undrennen, haben aber kein Ziel vor Augen.» Die Pfeiler vongestern – Familie, Religion, all das – sind brüchig gewor-den, die Jungen sind frei, sie haben die Wahl unter vielenunterschiedlichen, gleichberechtigten Lebensmodellen. Sie

17

Page 18: Leseprobe aus - content.schweitzer-online.de · Das Powerpaar Achleitner als kleinstmögliches Netzwerk Die Bilderberg-Treffen als Mutter aller Ver-schwörungstheorien Die Atlantik-Brücke

müssen nur wählen. Ihre Eltern können ihnen dabei wenighelfen. Bildung hieß deren Zauberwort, der gesellschaftli-che Aufbruch füllte Schulen und Hörsäle. Heute warnt derSoziologieprofessor Bude jedoch: «Blindes Sammeln vonZeugnissen und Qualifikationen hilft gar nichts.»

Was fehlt, so Bude, ist Orientierung. Deshalb deuten dieJungen alles, was sie lesen, gegen sich, und dies schürt ih-ren Hass auf «die da oben»: auf die Superreichen und Top-manager, die angeblich alles zusammenraffen, was sie indie Hände kriegen, und auf die Politiker, die in ganz Euro-pa die Banken retten, die dafür Staatsschulden anhäufenund zudem Hunderttausende Flüchtlinge aufnehmen – ausdiesen Zutaten entsteht das Gemisch, das Dr. jur. Klaus inseiner Wut auf die Elite treibt. Wer genau damit gemeintist, das ist im Folgenden zu klären.

18

Page 19: Leseprobe aus - content.schweitzer-online.de · Das Powerpaar Achleitner als kleinstmögliches Netzwerk Die Bilderberg-Treffen als Mutter aller Ver-schwörungstheorien Die Atlantik-Brücke

2Wer oder was istüberhaupt Elite?

19

Page 20: Leseprobe aus - content.schweitzer-online.de · Das Powerpaar Achleitner als kleinstmögliches Netzwerk Die Bilderberg-Treffen als Mutter aller Ver-schwörungstheorien Die Atlantik-Brücke

Das Elite-ParadoxonDie Kanzlerin ist Elite, klar. Der Bischof auch (sofern nichtsStrafrechtliches gegen ihn vorliegt, man weiß ja nie). DerPräsident der Europäischen Zentralbank gehört ebenso da-zu wie der Theaterintendant oder der Siemens-Vorstand.Und damit auch Janina Kugel? Als Siemens-Personalvor-stand ist sie, Jahrgang 1970 und diplomierte Volkswirtin,zuständig für 372 000 Mitarbeiter in aller Welt, und sie istder Star des Konzerns: schlau, charmant, mehrsprachig. IhrGehalt ist siebenstellig. Kugel hat Macht und Einfluss, Geldund Reputation. Natürlich ist so jemand Elite. «Selbstver-ständlich», müsste sie also auf unsere Frage antworten, obsie sich als Mitglied der Elite fühlt. Sie aber zögert, in ihremKopf arbeitet es. Auf keinen Fall will sie arrogant erschei-nen, aber auch nicht zu schüchtern, folglich drückt sie sichum ein klares Ja oder Nein, liefert dafür eine erste allge-meine Definition von Elite: «Menschen, die Dinge wirklichbewegen können  – und die daraus eine gesellschaftlicheVerantwortung ableiten», antwortet sie in ihrem Büro undmuss dann auch schon weg. Schnell noch mal das Gesichtpudern, dann raus auf die Bühne in der schnieken neuenSiemens-Zentrale: Der Konzern ehrt Erfinder und Tüftler.Wie immer erledigt Kugel das mit der ihr eigenen mehrspra-chigen Lässigkeit. Und wir lernen in diesem ersten Treffen,dass es gefährlich ist, über Elite zu reden.

Der Begriff ist toxisch, bestätigt ein Marketing-Mann inFrankfurt am Main, der nächsten Station auf unserer Rei-se. «Jeder will dazugehören», sagt der Werbeexperte, «kei-ner aber als Elite angesprochen werden.» Das muss Grün-de haben. Und die sind, wie so oft, in der Vergangenheit zufinden. Seit den Nazis ist das Wort «Elite» verbrannt. Die-sen Satz werden wir im Laufe der Recherche noch häufig zuhören bekommen. Bitten wir Angehörige der Elite um einGespräch über die «Macher in Politik und Wirtschaft», sind

20

Page 21: Leseprobe aus - content.schweitzer-online.de · Das Powerpaar Achleitner als kleinstmögliches Netzwerk Die Bilderberg-Treffen als Mutter aller Ver-schwörungstheorien Die Atlantik-Brücke

sie gerne dabei. Soll es aber um die Elite gehen, reagierensie mit Skepsis.

«Sind Sie Elite, Frau Achleitner?», wollen wir auch vonAnn-Kristin Achleitner wissen. Die BWL-Professorin ist eineder mächtigsten Frauen in der deutschen Wirtschaft, Auf-sichtsrätin in diversen Konzernen, noch dazu verheiratetmit Paul Achleitner, dem Oberkontrolleur der DeutschenBank. Ex-Außenminister Joschka Fischer ist der Patenon-kel ihres Sohnes, die Villa in München-Bogenhausen kündetvon geschmackvollem Wohlstand: Wer, wenn nicht die Ach-leitners sind Elite in Deutschland? Trotzdem zögert auchsie. Sie würde den Begriff nicht verwenden, sagt sie schließ-lich, weil er so konnotiert sei, weil er schon rein sprachlichAssoziationen wecke.

Es führt also kein Weg daran vorbei: Wir müssen andie Quelle, müssen nachschauen, woher das Wort kommt –von dem französischen Verb «élire» nämlich, was «auswäh-len» bedeutet. Eliten sind also eine Auswahl, eine Auslese:die Besten der Besten. In Frankreich fand der Begriff seitdem 17. Jahrhundert Verwendung, das aufstrebende Bür-gertum Frankreichs war es, das sich im 18. Jahrhundert mitder Bezeichnung «Elite» abzugrenzen suchte gegen Adelund Klerus. Nicht die Geburt sollte länger den Ausschlagüber den Stand geben, vielmehr individuelle Leistung denWeg an die gesellschaftliche Spitze ebnen. Im 18. Jahrhun-dert schwappte der Begriff dann nach Deutschland her-über. Laut Brockhaus bezeichnet «Elite» eine Gruppe vonMenschen, die sich durch eine «besondere Leistungsfähig-keit und Leistungsbereitschaft» auszeichnet. Ähnlich for-muliert es Meyers Lexikon: Die Elite sticht demnach durcheinen «besonderen Wert der Leistung» hervor. Das lässtRaum für Deutungen, etwa auf welchem Feld die Leistungzu erbringen und wie genau sie zu messen ist. «ManuelNeuer ist Elite, ich nicht», antwortet Adidas-Chef Kasper

21

Page 22: Leseprobe aus - content.schweitzer-online.de · Das Powerpaar Achleitner als kleinstmögliches Netzwerk Die Bilderberg-Treffen als Mutter aller Ver-schwörungstheorien Die Atlantik-Brücke

Rorsted. «Ich bin nur ein Manager und Familienvater, derversucht, sein Bestes zu geben.»

In der politischen Sprache Deutschlands taucht der Be-griff relativ spät auf, obwohl ihn die einschlägigen Lexi-ka bereits geführt haben, erklärt der Historiker MortenReitmayer. Nur stand Elite dort – abgesehen von gelegent-lich notierten Praktiken der Pflanzenzucht – bis zum Zwei-ten Weltkrieg lediglich für besondere militärische Einhei-ten, die sogenannten «Elitetruppen». Sprach man über po-litisch, wirtschaftlich oder kulturell privilegierte Gruppen,so dominierten Bezeichnungen wie «Adel», «Bürgertum»oder «die Gebildeten».

Gerade die konservative Elite wollte sich lange aus-drücklich nicht so nennen. Noch in der Weimarer Repu-blik haben diese Kreise den Elite-Begriff entschieden ab-gelehnt, so Reitmayer, «weil damit meritokratische und in-dividuell-kompetitive Sozialmodelle verbunden» waren: dieGrundpfeiler einer bürgerlich-liberalen Gesellschaft. Ed-gar Julius Jung, einer der damaligen Vordenker der NeuenRechten, begründete diese Ablehnung in einem Aufsatz mitdem Titel «Adel oder Elite» beispielsweise so: Elite sei einbürgerlicher Begriff. «Die Elite muss leisten, um anerkanntzu sein» – aus heutiger Sicht eine durchaus sympathischeDefinition.

Doch könnte man im Gegenzug fragen: Reicht es, etwaszu leisten und seine Aufgabe vorbildlich zu erfüllen, um zurElite zu gehören?

Um es klar zu sagen: Janina Kugel ist Elite. Daniela Kat-zenberger ist es nicht, auch wenn sie in den Fußgängerzo-nen der Republik die bekanntere der beiden Frauen seindürfte. Prominenz und Elite dürfen nicht gleichgesetzt wer-den, auch wenn der Personenkreis, auf den beides zutrifft,sich überschneidet. Damit ist nichts gesagt über die Qua-lität der Leistung von Frau Katzenberger oder ähnlicherPhänomene im Unterhaltungsgeschäft: Die Fähigkeit, sich

22

Page 23: Leseprobe aus - content.schweitzer-online.de · Das Powerpaar Achleitner als kleinstmögliches Netzwerk Die Bilderberg-Treffen als Mutter aller Ver-schwörungstheorien Die Atlantik-Brücke

selbst zu inszenieren, kann durchaus als Leistung gelten(die auch Angehörigen der Elite hilft). Sie genügt nur nichtals Eintrittsticket: Eliten können, müssen aber nicht promi-nent sein. Sie brauchen Macht und Entscheidungsbefugnis,und damit scheidet manches Boulevard-Sternchen aus, wo-bei zuzugeben ist: Ganz trennscharf ist diese Unterschei-dung nicht. Wie viele Millionen Follower muss ein x-belie-biges Twittersternchen haben, damit es als Influencer quades damit verbundenen, stilbildenden Einflusses zur Elitegezählt werden darf?

23

Page 24: Leseprobe aus - content.schweitzer-online.de · Das Powerpaar Achleitner als kleinstmögliches Netzwerk Die Bilderberg-Treffen als Mutter aller Ver-schwörungstheorien Die Atlantik-Brücke

Kann man «Elite» definieren?Eliten gibt es viele, in vielerlei Verbindung. Hinter «Elite-Partner» verbirgt sich eine Online-Partnerbörse mit demimpliziten Versprechen, dass dort besser geküsst und ge-liebt wird: «Elite» als Marketingtrick, um das paarungswil-lige Publikum zu verführen. Nicht viel anders verhält essich mit Eliteschulen, Eliteakademien, Eliteinternaten. Wersich hier einschreibt, wähnt sich als Teil einer Auslese. Nurwovon genau? Was genau verstehen wir unter Elite? Ist esdie begabte, aber arme Schülerin mit Einser-Zeugnis aufdem öffentlichen Gymnasium, oder ist es der reichere, da-für geistig weniger rege Nachbarjunge, dem sie Nachhilfegibt, der aber eine private Schule besucht, die sich als Elit-einstitution gebärdet und jeden zum Abitur schleppt? Wür-de der Intelligenzquotient entscheiden, wäre das Urteil ein-deutig. Aber gibt der wirklich den Ausschlag? Eher nicht,würde man meinen. Zumindest nicht allein.

Machen wir uns auf die Suche nach einer aktuellen, um-fassenden Definition, so merken wir schnell: Diese eine, vonallen anerkannte Umschreibung, die gibt es nicht. Was esgibt, sind unterschiedliche Konzepte, Annäherungen – undeine Gewissheit: Wer ungefragt von sich behauptet, er ge-höre zur Elite, gehört mit hoher Wahrscheinlichkeit nichtdazu.

Wenn wir, wie es naheliegt, mit der begrifflichen Suchebei den Soziologen beginnen, dann landen wir als Erstes inDarmstadt, bei Michael Hartmann, einem emeritierten So-ziologieprofessor und ungebrochen gläubigen Marxisten,der den Beruf des «Eliteforschers» erst erfunden hat. Mit-glieder der Elite sind laut seiner Definition «Personen, diequa Amt oder Eigentum in der Lage sind, gesellschaftli-che Entwicklungen maßgeblich zu beeinflussen». Ähnlichformuliert es die Professorin Jutta Allmendinger, Präsiden-tin des Wissenschaftszentrums Berlin: Als Elite versteht

24

Page 25: Leseprobe aus - content.schweitzer-online.de · Das Powerpaar Achleitner als kleinstmögliches Netzwerk Die Bilderberg-Treffen als Mutter aller Ver-schwörungstheorien Die Atlantik-Brücke

sie «Inhaber von Führungsfunktionen in zentralen gesell-schaftlichen Bereichen. Diese Personen haben einen forma-len Einfluss auf gesamtgesellschaftliche Entscheidungenund Entwicklungen.» Ihre Forscher haben in der Republikdurchgezählt und kommen auf exakt 956 Menschen, die ab-solute Spitzenpositionen in Politik, Wirtschaft, Gesellschaftbekleiden.

So eng wollen wir unsere Definition im Weiteren nichtfassen, die grobe Linie aber steht: Elite bedeutet Führung,Macht, meistens auch Geld. Sportler, Musiker und Show-stars fallen somit heraus, selbst wenn sie ungeheuer vermö-gend sind und/oder über Millionen von Fans Einfluss aus-üben  – im strengen Sinn gehören sie nicht zur Elite, da-zu fehlt es ihnen am «Amt», an der «formalen Macht». ImFolgenden orientieren wir uns an dem «deskriptiven, em-pirischen Elitebegriff» der Soziologen, wie ihn insbesonde-re Julian Nida-Rümelin geprägt hat. Danach lässt sich Eli-te folgendermaßen umschreiben: In fast allen Kulturen undGesellschaften gibt es kleine Gruppen, denen es gelingt,sich in zentralen Macht- und Einflusspositionen zu etablie-ren, was oft mit Besitz verbunden ist. Diesen Menschen ge-lingt es, ihr Vermögen zu stabilisieren und möglicherweisean weitere Generationen zu vererben. «Das ist für eine de-mokratische Gesellschaft kein sehr sympathischer Elitebe-griff», urteilt Nida-Rümelin, «aber es ist ein völlig legitimer,ein empirischer Elitebegriff, mit dem man forschen und zudem man sehr viel untersuchen kann.» So also wollen wires im Folgenden halten.

25

Page 26: Leseprobe aus - content.schweitzer-online.de · Das Powerpaar Achleitner als kleinstmögliches Netzwerk Die Bilderberg-Treffen als Mutter aller Ver-schwörungstheorien Die Atlantik-Brücke

Wie die Nazis das Wort«Elite» in Verruf brachten

Wir haben bereits gesehen, wie unterschiedlich die Deut-schen mit ihrer «Elite» umgehen, verglichen mit Franzo-sen und Briten. In Frankreich ist die Tradition der institu-tionalisierten Elitenausbildung ungebrochen. Die «GrandesÉcoles» geben den Ausschlag, wer Zugang erhält zur Machtin Verwaltung, Wirtschaft und Politik: So wächst ein nor-miertes Führungspersonal heran, das zwischen den Berei-chen hin und her wechselt.

Auch in Großbritannien sind die Klassen viel schärfergetrennt: Wichtig ist, auf welcher Schule oder Universitätdie Ausbildung absolviert wurde. Eton, Oxford, Cambridge,die London School of Economics – das sind die klingendenNamen, die führenden Elite-Zulieferer im britischen König-reich.

In Deutschland haben die Nationalsozialisten den Be-griff verseucht, indem sie ihn für sich vereinnahmt ha-ben: Die Vorstellung, dass eine kleine Elite über die Masseherrschen müsse, untermauerte ihre Führerideologie. DasWort «Elite» wurde rassistisch besetzt: Im Dritten Reichentschied die arische Abstammung über den Werdegang.Seither gilt «Elite» als antidemokratisch und «elitär» alsSchimpfwort.

Wer dazugehörte und der Auslese für würdig befundenwurde, wurde in Eliteschulen getrimmt. Gleichzeitig ver-nichteten die Nationalsozialisten Teile der Elite systema-tisch, im Film- und Showbetrieb etwa, und nicht nur dortmuss man diesen Verlust bis heute betrauern. «Die urbaneIntelligenz wurde bereits im Herbst 1933 zu einem großenTeil aus Deutschland vertrieben», schreibt der HistorikerHeinrich A. Winkler.

26

Page 27: Leseprobe aus - content.schweitzer-online.de · Das Powerpaar Achleitner als kleinstmögliches Netzwerk Die Bilderberg-Treffen als Mutter aller Ver-schwörungstheorien Die Atlantik-Brücke

Schauen wir uns also die Eliteeinrichtungen des Drit-ten Reichs näher an, die «Napolas», kurz für«Nationalpoli-tische Lehranstalten». Dort haben die Nazis die Jugend fürihren nationalen Sozialismus gedrillt, haben sie vorberei-tet für den Eroberungs- und Vernichtungskrieg. «In meinenOrdensburgen wird eine Jugend heranwachsen, vor der dieWelt erschrecken wird. Eine gewalttätige, unerschrockene,grausame Jugend will ich. So kann ich das Neue schaffen»,ordnete Adolf Hitler an, im Wahn, eine «Herrscherelite»zu schaffen für sein Drittes Reich, für SS und Wehrmacht,«Herrenmenschen» im Nazi-Jargon, Unterdrücker und po-tenzielle Massenmörder.

Die Kaderschmieden der Nazis, zwischenzeitlich mehrals vierzig Internatseliteschulen, standen in der Traditionder preußischen Kadettenanstalt. Kadavergehorsam undPflichterfüllung bis zum Letzten propagierten sie als Ideale.Wer dorthin wollte, wurde in einem strengen, mehrstufigenVerfahren ausgewählt. Gute Noten waren Pflicht, dazu kör-perliche Leistung, selbstverständlich auch ein «Arier-Zeug-nis» sowie ein bestimmter Charakter: Stolz und selbst-bewusst sollte der Nazi-Führungsnachwuchs heranwach-sen. Die Jugendlichen wurden an der Schule hartem Drillunterzogen: Frühsport, paramilitärische Übungen (Schie-ßen, Handgranatenwerfen) und Mutproben, Schindereienbis zur physischen Erschöpfung, dem «Totpunkt», an demjener neue Mensch zum Vorschein kommen sollte, der denNazis vorschwebte: «Zäh wie Leder, hart wie Kruppstahlund schnell wie Windhunde.» Gegen Ende des Krieges ge-hörten viele der Napola-Zöglinge zum letzten Aufgebot Hit-lers, von ihm verheizt im «Endkampf» um Berlin. Nach 1945gelangten von den Überlebenden tatsächlich einige in ein-flussreiche Positionen, allen voran der spätere Chef derDeutschen Bank Alfred Herrhausen, Jahrgang 1930, ausge-bildet an der Napola Feldafing am Starnberger See. «Ichhabe aus diesen Jahren keinen Schaden, sondern eine Men-

27

Page 28: Leseprobe aus - content.schweitzer-online.de · Das Powerpaar Achleitner als kleinstmögliches Netzwerk Die Bilderberg-Treffen als Mutter aller Ver-schwörungstheorien Die Atlantik-Brücke

ge an preußischen Tugenden mitgenommen, die mir im Le-ben weitergeholfen haben», wird der Bankier zitiert, dernach seinem gewaltsamen Tod zum moralischen Unterneh-mensführer aus einer besseren Zeit verklärt wurde.

Weitere Napola-Schüler waren der Fabrikant HeinzDürr, später AEG- und Bahn-Chef, der Maler Horst Janssen,der spätere Chefredakteur der «Frankfurter Rundschau»,Werner Holzer, und der Herausgeber der Wochenzeitung«Die Zeit», Theo Sommer: «Wir wurden zur Wehrhaftigkeiterzogen, wir wurden zur Lauterkeit erzogen, zu Rechtschaf-fenheit – und wir hatten ein Ideal», wird Sommer zitiert.

28

Page 29: Leseprobe aus - content.schweitzer-online.de · Das Powerpaar Achleitner als kleinstmögliches Netzwerk Die Bilderberg-Treffen als Mutter aller Ver-schwörungstheorien Die Atlantik-Brücke

Das Comeback der Eliteals Exzellenzuniversität

Seit der Nazizeit also tun die Deutschen sich schwer mitdem Elitebegriff, auch wenn es um die «Elitehochschulen»geht, mit denen andere Länder wie Amerika, Großbritanni-en, Frankreich sich brüsten – und um deren Ruhm und Ehreviele Deutsche sie beneiden.

Auch dem Land der Dichter und Denker stände eine Aus-hängeuniversität gut zu Gesicht. Eine, die auf der ganzenWelt berühmt ist, die man nur erwähnen muss, um Eindruckzu schinden. «Wow, Sie waren in Stanford!» – «Oh, Sie ha-ben in Harvard studiert.» Oder in Paris, an der berühm-ten École Nationale d’Administration, kurz ENA. Ja, so eine«Grande École», das wäre was. Ein deutsches Oxford, eindeutsches MIT. Oder wenigstens ein deutsches Fontaine-bleau, aber nicht einmal das kann Deutschland bislang vor-weisen, auch wenn die eine oder andere Business-Schoolsich auf dem Weg dorthin wähnt.

Nun nennen die Begehrenswerten sich nicht nur «Elite-hochschulen», es sind meist – zumindest in Amerika – auchnoch private Einrichtungen, die ihren Studenten und derenzahlungskräftigen Eltern offen das Gefühl vermitteln: Weres hierher geschafft hat, ist etwas Besonderes. Der gehörtzu den Besten der Besten. Der zählt zur Elite, der erhält diebeste Förderung, und das kostet eben.

In Deutschland aber sind die meisten Hochschulen instaatlicher Hand und kosten so gut wie nichts. Was also istzu tun, wenn trotzdem ein Harvard entstehen soll? WelcherPolitiker will einen Teil der Wähler mit einer Bildungsoffen-sive für die verhasste Elite verprellen? Wer will eine Elite-schule schaffen?

Erstaunlicherweise war es gerade die SPD, die es ge-wagt hat, den Deutschen mit Elitenförderung zu kommen.

29

Page 30: Leseprobe aus - content.schweitzer-online.de · Das Powerpaar Achleitner als kleinstmögliches Netzwerk Die Bilderberg-Treffen als Mutter aller Ver-schwörungstheorien Die Atlantik-Brücke

Im Januar 2004 trat der damalige Generalsekretär OlafScholz, später dann Bürgermeister in Hamburg, vor diePresse und verkündete, die Sozialdemokraten würden inDeutschland gerne «Eliteuniversitäten wie Harvard» er-richten.

Seine Parteikollegin Edelgard Bulmahn, damals Bil-dungsministerin, machte sich fortan daran, den Wettbe-werb unter den Universitäten anzuheizen. Zwei MilliardenEuro Fördermittel lobte sie dafür aus. Alle Hochschulenkonnten sich um die öffentlichen Gelder bewerben. Im ers-ten Durchgang qualifizierten sich drei Hochschulen – dieLudwig-Maximilians-Universität München und die Techni-sche Universität München sowie in Karlsruhe das Institutfür Technologie (KIT).

Nur hießen die Gewinner nicht «Eliteuniversität», son-dern «Exzellenzuniversität». Die Sozialdemokraten hattendas böse E-Wort damit klammheimlich aus dem Verkehrgezogen. Vorausgegangen waren heftige innerparteilicheKämpfe um den umstrittenen Begriff. Elite sei von Grundauf «unsozialdemokratisch», hatte etwa der Landesver-band Nordrhein-Westfalen geschimpft. Die SPD stehe ganzim Gegenteil für «Chancengleichheit», für «die soziale Öff-nung aller Hochschulen». Elitenförderung sei das Gegen-teil.

Also musste das Vorhaben umgetauft werden. Aus «Eli-tenförderung» wurde die «Exzellenzinitiative» mit all sei-nen ungelenken Wortschöpfungen bis hin zum «Exzellenz-cluster». Nur geholfen hat die neue Verpackung wenig.Ein Wolf im Schafsfell bleibt ein Wolf. Exzellenz drauf-schreiben, aber Elite meinen, den Trick haben die Eliten-gegner natürlich sofort durchschaut. Die kämpfen seithergegen die Reform an. Der Vorwurf: Die Hochschulen sei-en nun geteilt in «Elite» und «Nicht-Elite». Und natür-lich bevorzugen Studenten und Professoren sowie Förde-rer und Drittmittelgeber die Eliteeinrichtungen. Deshalb

30

Page 31: Leseprobe aus - content.schweitzer-online.de · Das Powerpaar Achleitner als kleinstmögliches Netzwerk Die Bilderberg-Treffen als Mutter aller Ver-schwörungstheorien Die Atlantik-Brücke

benachteilige die Förderung einzelner Universitäten all je-ne Schulen, die das Siegel nicht erhalten. Die «FrankfurterRundschau» schrieb dazu: «Im Schatten der Sieger stehtnun eine Gruppe von Verlierern, denen nach und nach dieArgumente für ihre Existenz ausgehen könnten.» Das al-les führe zu einem «Zweiklassensystem» in der Bildung.Und dieser Vorwurf ist ein sicheres Totschlagargument inDeutschland! Auf der einen Seite steht die elitäre Spitzen-forschung, auf der anderen eine mittelmäßige Massenaus-bildung. Oder um den Wiener Philosophen Konrad PaulLiessmann zu zitieren: «Während die traditionellen Univer-sitäten zu mehr oder weniger berufsqualifizierenden Aus-bildungsgängen mit knappen Ressourcen heruntergewirt-schaftet worden sind, rettet sich die halbierte humanisti-sche Universitätsidee in die aus dem neoliberalen Geist desWettbewerbs geborene Elitekonzeption.»

So weit wird es allerdings, wie wir heute wissen, nichtkommen. Schon in der zweiten Runde der Exzellenzinitia-tive ist die Große Koalition dazu übergegangen, das Geldeher gießkannenartig über Dutzende von Projekten undClustern zu verteilen. Ab 2018 sollen pro Jahr 500 MillionenEuro bereitstehen, für etwa fünfzig verschiedene Universi-täten, Forschungsverbünde oder Einzelprojekte. Da kanndie Elitekonkurrenz aus Amerika nur milde lächeln.

«500 Millionen Euro  – das entspricht dem jährlichenBudget einer unserer sieben Fakultäten», mokierte sich2016 der damalige Stanford-Rektor John Hennessy. «WennSie in Deutschland wirklich Exzellenz fördern wollen, müs-sen Sie sich verabschieden von der Vorstellung, dass alleUniversitäten in etwa gleich gut sind und ähnlich viel Geldbekommen sollten. Sie müssen akzeptieren, dass die Grup-pe der wirklich großartigen Weltuniversitäten begrenzt istund auch bleiben wird.» Adieu, Stanford. Adieu, Harvard.

[...]

31