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SCHWERPUNKTTHEMA | GENETIK 20 | Leben mit Zukunft | Nr. 139 – 4/2016 SCHWER- PUNKT- THEMA GENETIK Der genetische Durchbruch führte zu einer Revolution der genetischen Ursachenforschung für die Parkinson-Krankheit. Genetische Erkenntnisse haben die Therapieforschung in den Laboratorien verändert. die Parkinson-Krankheit wurde 1817 von James Parkinson beschrieben. An weite- ren Meilensteinen in der Erforschung, Diagnose und Therapie der Parkinson- Krankheit sind zwischen 1910 und 1920 der Nachweis der sogenannten Lewy- körper im Gehirn (einer nur mikrosko- pisch sichtbaren Ansammlung von Eiweißen innerhalb der Zelle) durch Hein- rich Lewy in München und der Befund, dass die sogenannte schwarze Substanz im Mittelhirn abgeblasst ist, zu nennen. 1960 wiesen dann österreichische Wissenschaftler und Ärzte um Ehringer den Mangel des Botenstoffes Dopamin im Gehirn von Parkinson-Patienten nach. Diese Entdeckung führte letztlich zur ersten wirksamen Behandlung der motorischen Beschwerden Akinese, Rigor und Ruhetremor in Form von L-Dopa – dem Vorläufer von Dopamin (Birkmayer und Hornykiewicz). Keiner dieser bahnbrechenden Entde- ckungen hat jedoch unsere Sichtweise auf die Parkinson-Krankheit so beein- flusst, wie der Nachweis des ersten Gens für eine seltene erbliche Form der Par- kinson-Krankheit. Dieses Gen, genannt PARK1, definiert eine gestörte Produk- tion des Eiweißes Alpha-Synuklein. Kurz nach dieser Entdeckung konnte bewiesen werden, dass diese Lewy-Kör- per zu einem guten Teil aus verklump- tem Alpha-Synuklein bestehen. Hierauf beruht letztlich auch die Stadien-Eintei- lung von Braak und Mitarbeitern im Jahre 2003, wonach die Parkinson- Krankheit, wie wir sie als Neurologen sehen und diagnostizieren, letztlich ein Spätstadium einer sogenannten Alpha- Synukleinopathie ist. Der genetische Durchbruch führte zu einer Revolution der Ursachenforschung für die Parkinson-Krankheit. Wie die Übersichtsarbeit von Brügge- mann und Gasser in diesem Heft zeigt, sind mittlerweile mindestens sechs ur- sächliche Gene für sogenannte mono- gene Formen der Parkinson-Krankheit (die in diesen Fällen durch eine Mutation in einem einzigen Gen verursacht wird) sicher bekannt. Zusätzlich wurden bis zum Jahre 2016 mehr als 25 soge- nannte Risiko-Gene veröffentlicht. Das Vorliegen einer dieser genetischen Risi- kovarianten erhöht das Risiko, an Par- kinson zu erkranken. Ähnlich revolutionär ist die Entdeckung einer Untergruppe von Parkinson-Patien- ten, die eine erbliche Störung des mito- chondrialen Energiestoffwechsels der Zelle besitzen und die Erkenntnis, dass eine Erkrankung der Kinderheilkunde, eine Störung des Eiweißes Glucocerebro- sidase A, wenn sie gering ausgeprägt ist, ein hohes Risiko mit sich führt, die Par- kinson-Krankheit auftreten zu lassen. Diese genetischen Erkenntnisse haben die Therapieforschung in den La- boratorien verändert. Man sucht nicht mehr nach Substanzen, die an Rezepto- ren oder abbauenden Eiweißen von L- Dopa wirken, sondern danach, warum das Eiweiß Alpha-Synuklein in falscher Konformation oder in zu hoher Konzen- tration gebildet wird, sich verklumpt und dann innerhalb der Nervenzelle wandert und möglicherweise sogar von einer Nervenzelle in die nächste übertritt. Letzteres Modell wurde aus den soge- nannten Prionenerkrankungen über- nommen und wird derzeit intensiv diskutiert. Denn aus diesem letzteren Modell würde sich eine neue Therapie, wie z. B. die Immuntherapie, als sinnvoll ableiten. Liebe Leserin, lieber Leser, Foto: Giovanni Cancemi – fotolia.com s 1997 war der entscheidende Zeitpunkt, der dazu führen dürfte, dass wir eine krankheitsmodifizierende, krankheits- verzögernde wenn nicht sogar krankheits- verhindernde Therapie entwickeln werden. Nach 20-Jähriger Forschung zeigen sich nun also die ersten Früchte des Umschwenkens der Therapieforschung.

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Der genetische Durchbruch führte

zu einer Revolution der genetischen

Ursachenforschung für die

Parkinson-Krankheit.’

Genetische Erkenntniss

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haben die Therapiefor

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in den Laboratorien ver

ändert.’ ‘die Parkinson-Krankheit wurde 1817 vonJames Parkinson beschrieben. An weite-ren Meilensteinen in der Erforschung,Diagnose und Therapie der Parkinson-Krankheit sind zwischen 1910 und 1920der Nachweis der sogenannten Lewy-körper im Gehirn (einer nur mikrosko-pisch sichtbaren Ansammlung vonEiweißen innerhalb der Zelle) durch Hein-rich Lewy in München und der Befund,dass die sogenannte schwarze Substanzim Mittelhirn abgeblasst ist, zu nennen.

1960 wiesen dann österreichischeWissenschaftler und Ärzte um Ehringerden Mangel des Botenstoffes Dopaminim Gehirn von Parkinson-Patientennach. Diese Entdeckung führte letztlichzur ersten wirksamen Behandlung dermotorischen Beschwerden Akinese,Rigor und Ruhetremor in Form von L-Dopa – dem Vorläufer von Dopamin(Birkmayer und Hornykiewicz).

Keiner dieser bahnbrechenden Entde-ckungen hat jedoch unsere Sichtweiseauf die Parkinson-Krankheit so beein-flusst, wie der Nachweis des ersten Gensfür eine seltene erbliche Form der Par-kinson-Krankheit. Dieses Gen, genanntPARK1, definiert eine gestörte Produk-tion des Eiweißes Alpha-Synuklein.

Kurz nach dieser Entdeckung konntebewiesen werden, dass diese Lewy-Kör-per zu einem guten Teil aus verklump-tem Alpha-Synuklein bestehen. Hieraufberuht letztlich auch die Stadien-Eintei-lung von Braak und Mitarbeitern imJahre 2003, wonach die Parkinson-Krankheit, wie wir sie als Neurologensehen und diagnostizieren, letztlich einSpätstadium einer sogenannten Alpha-Synukleinopathie ist.

Der genetische Durchbruch führtezu einer Revolution der

Ursachenforschung für die Parkinson-Krankheit.

Wie die Übersichtsarbeit von Brügge-mann und Gasser in diesem Heft zeigt,sind mittlerweile mindestens sechs ur-sächliche Gene für sogenannte mono-gene Formen der Parkinson-Krankheit(die in diesen Fällen durch eine Mutationin einem einzigen Gen verursacht wird)sicher bekannt. Zusätzlich wurden biszum Jahre 2016 mehr als 25 soge-nannte Risiko-Gene veröffentlicht. DasVorliegen einer dieser genetischen Risi-kovarianten erhöht das Risiko, an Par-kinson zu erkranken.

Ähnlich revolutionär ist die Entdeckungeiner Untergruppe von Parkinson-Patien-ten, die eine erbliche Störung des mito-chondrialen Energiestoffwechsels derZelle besitzen und die Erkenntnis, dasseine Erkrankung der Kinderheilkunde,eine Störung des Eiweißes Glucocerebro-sidase A, wenn sie gering ausgeprägt ist,ein hohes Risiko mit sich führt, die Par-kinson-Krankheit auftreten zu lassen.

Diese genetischen Erkenntnissehaben die Therapieforschung in den La-boratorien verändert. Man sucht nichtmehr nach Substanzen, die an Rezepto-ren oder abbauenden Eiweißen von L-Dopa wirken, sondern danach, warumdas Eiweiß Alpha-Synuklein in falscherKonformation oder in zu hoher Konzen-tration gebildet wird, sich verklumpt unddann innerhalb der Nervenzelle wandertund möglicherweise sogar von einerNervenzelle in die nächste übertritt.

Letzteres Modell wurde aus den soge-nannten Prionenerkrankungen über-nommen und wird derzeit intensivdiskutiert. Denn aus diesem letzterenModell würde sich eine neue Therapie,wie z. B. die Immuntherapie, als sinnvollableiten.

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s1997 war der entscheidende Zeitpunkt,

der dazu führen dürfte, dass wir eine krankheitsmodifizierende, krankheits-ver zögernde wenn nicht sogar krankheits -verhindernde Therapieentwickeln werden.

‘Nach 20-Jähriger Forschung zeigen sich nun also die erstenFrüchte des Umschwenkens der Therapieforschung.

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.com Nach 20-jähriger Forschung zeigen sich

nun also die ersten Früchte des Um-schwenkens der Therapieforschung inden Bereich der Proteinsynthese unddes Proteinabbaus.

Alle diese Störungen lassen sich in Verbindung mit Alpha-Synuklein bzw.pathologischen Formen von Alpha-Synuklein in Verbindung bringen.

Schaut man auf die letzten 200 Jahre zu-rück, so ist zweifelsfrei der Durchbruchin der genetischen Forschung im Jahre1997 der entscheidende Zeitpunkt, derletztlich dazu führen dürfte, dass wireine krankheitsmodifizierende, krank-heitsverzögernde, wenn nicht sogarkrankheitsverhindernde Therapie ent-wickeln werden. Es war noch nie sospannend, sich in der Forschung für die

Parkinson-Krankheit zu engagieren,denn noch nie waren Forscher so weitvorgedrungen wie heute, dass sie demPatienten andeuten können: „Wir wer-den irgendwann die Krankheit in denGriff bekommen!“

Herzlichst, IhrProf. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Oertel

Institut für Neurogenetikund Klinik für NeurologieStephanie ReichenauUniversität zu LübeckRatzeburger Allee 16023538 Lübeck

Hertie Institut für klinische HirnforschungZentrum für Neurologie | Abteilung für Neurodegenerative ErkrankungenElla HiltHoppe-Seyler-Straße 372076 Tübingen

Unterstützen Sie die Forschung nach den genetischen Ursachen von

Morbus Parkinson. Mit einer Registrierung ermöglichen Sie den Forschern,

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Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang OertelHertie Senior-Forschungsprofessor | Klinik für Neurologie Fachbereich Medizin | Philipps Universität Marburg

Prof. Dr. Thomas GasserÄrztlicher Direktor | Universitätsklinik Tübingen | Abt. Neurologie mit Schwerpunkt Neurodegenerative Erkrankungen und DZNE Tübingen

PD Dr. Norbert BrüggemannOberarzt | Klinik für Neurologie | Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Campus Lübeck

Dr. Kathrin BrockmannLeiterin der Parkinson-Ambulanz | Universitätsklinik Tübingen | Abt. Neuro -logie mit Schwerpunkt Neurodegenerative Erkrankungen und DZNE Tübingen

Prof. Dr. Ullrich WüllnerNeurologische Universitätsklinik und DZNE Bonn | Universitätsklinikum Bonn

Prof. Dr. Meike KastenNeuropsychiatrische Epidemiologie | Klinik für Psychiatrie und PsychotherapieUniversität zu Lübeck

Prof. Dr. Christine KleinDirektorin des Instituts für Neurogenetik | Universität zu Lübeck

Autoren

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24 | Leben mit Zukunft | Nr. 139 – 4/2016

Von PD Dr. Ina Schmitt, Dr. Laura de Boni, Dr. Oliver Kaut und Prof. Dr. Ullrich Wüllner

Die Empfänglichkeit eines Men-schen, krank zu werden, wirdvon der ererbten Veranlagung,

also der genetischen Information dermenschlichen Zellen, mitbestimmt, diez. B. die Leistungsfähigkeit des Immun-systems, die Widerstandsfähigkeit un-serer Organe gegen Umweltgifte wieSchwermetalle und Pflanzenschutzmit-tel sowie Einflüsse durch Rauchen oderÜber- und Unterernährung festlegen.

Die Genom-Forschung versucht,diese genetischen Veränderungen zuidentifizieren und ihre Wirkungen zuanalysieren. Einzelne Erkrankungenwerden eindeutig vererbt und folgenden sogenannten „Mendel’schen Re-geln“. Andere Erkrankungen, wie z. B.die Parkinson’sche Erkrankung, werdennur in seltenen Fällen so vererbt, wäh-rend die große Mehrzahl, sicher mehrals 90 Prozent aller Parkinson-Erkran-kungen, nicht familiär gehäuft, sondernsporadisch auftreten. Die Ursachen die-ser sogenannten „idiopathischen“ Par-kinson-Erkrankung werden derzeit ineinem Zusammenwirken verschiedenergenetischer Varianten und komplexer

Gen-Umwelt-Interaktionen auf einemHintergrund altersbedingter Verände-rungen vermutet. Die unterschiedli-chen prädisponierenden Faktoren unddie Vielzahl zusätzlicher Umweltein-flüsse sind sicher mitursächlich für dieunterschiedlichen Symptome von Men-schen mit einer Parkinson-Erkrankung.

Veränderungen an der Erbsubstanzsind nicht auf den „genetischen Code“,also die Abfolge der vier organischenNukleotide, den Grundbausteinen derDesoxyribonukleinsäure (DNS) be-schränkt. Während auf einigen Ab-schnitten der DNS die verschiedenen„Baupläne“ und Informationen für alleZellen und Zellbestandteile unseresKörpers gespeichert sind (dann sprichtman von einem Gen), speichern andereAbschnitte die Informationen für dieAktivität des Erbguts: Sie regeln, ob dieBaupläne gelesen und umgesetzt wer-den. Wiederum andere Abschnitte sindvermutlich im Laufe der Millionen Jahredauernden Evolution überwiegend vonViren, die frühe Vorfahren der Säuge-tiere aufgenommen hatten, in das Erb-gut integriert worden (dieser Teil unseresGenom macht sogar den größten Anteilaus). Weitere Veränderungen betreffen

die „Verpackung“, in der die DNS in einerZelle vorliegt: Die lange Kette des DNS-Moleküls ist ähnlich wie ein Wollknäuelum eine besondere Klasse von Eiweiß-molekülen, die Histone, aufgewickelt.Diese Verpackungsform regelt die Akti-vität der Erbsubstanz und nimmt ent-scheidenden Einfluss darauf, welcheErbinformationen überhaupt zugäng-lich sind und welche Baupläne tatsäch-lich abgerufen werden können. Ausdiesen „Plänen“ können dann die je-weils benötigten Bausteine, z. B. beson-dere Eiweiße („Enzyme“), oder andereBausteine der Zelle hergestellt werden.Dabei spielt eine chemische Verände-rung der DNS selbst („Methylierung“)eine große Rolle; DNS-Methylierung regelt, welche Baupläne in welcherZelle „freigegeben“ und gelesen wer-den. Aber auch die Histone können inunterschiedlichen chemischen Verän-derungen vorliegen, die wiederum dieArt und Weise, wie Informationen ausder Erbsubstanz umgesetzt werden,beeinflussen. (Abb. 1)

Die Regulationsprozesse, die zusätzlichzu den eigentlichen, in den Genen ab-gelegten Bauplänen über die Eigen-schaften von Zellen und Organismen

GENETIKEpigenom-Forschung

Genetische Veränderungen identifizieren

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entscheiden, werden als „epigenetisch“bezeichnet. Die Vorsilbe „epi“ bedeutet„um-herum“ oder „zusätzlich“ – und imheutigen Sprachgebrauch versteht manunter Epigenetik diejenigen Eigenschaf-ten unseres Erbguts, die nicht in der Abfolge der DNS selbst festgelegt sind.

Die Methylierung der DNS spielt einegroße Rolle vor allem auch bei vielzelli-gen Organismen, also besonders denMenschen. Jede Körperzelle enthält zwardie gesamte DNS eines Individuums,aber diese wird ganz unterschiedlich ge-nutzt, je nachdem, ob es sich z.B. umeine Hautzelle („Fibroblast“) oder eineNervenzelle handelt. Die einzelnen Zel-len eines Organismus müssen schließlichunterschiedliche Aufgaben erfüllen. DieMethylierung der DNS regelt sehr grund-legend, welche Erbinformationen in einerZelle freigegeben und verarbeitet werden.

DNS-Strang

Histon

Me

Me

Me

Histon – modifizierende Enzyme

Gen-Transkription

Chromosom

Non-coding RNAs

Methyliertes Nukleotid (Me)

Zwei Hauptbestandteile der Epigenetik sind die Methylierung der DNS (Me) und dieModifikation der Histone (Ac, Me); ist das Nukleotid Cytosin mit einer Methyl-(CH3)-Gruppe versehen und das Histon nicht acetyliert, kann die DNS abgelesen werden.(Aus: Nature 454, 711-715; 7. August 2008)

Abb. 1 bewegt

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So wird z.B. bei Frauen, die ja zwei X-Chro-mosome besitzen (im Gegensatz zu Män-nern mit X und Y) in allen Körperzellenjeweils ein ganzes X-Chromosom durchDNS-Methylierung abgeschaltet, um zuverhindern, dass diese DoppelinformationSchaden anrichtet. Vermutlich stellt dieMethylierung von DNS einen evolutionärkonservierten Mechanismus dar, um dieExpression von Fremdgenen zu unterdrü-cken, vor allem eben jener Regionen desSäugetiergenoms, die aus viralen Elemen-ten hervorgegangen sind.

Die DNS-Methylierung, die für die Steue-rung der Gen-Aktivität eine große Rollespielt, wird durch Umwelteinflüsse be-einflusst und könnte bei den Krankhei-ten, die eben nicht einer Mendel’schenVererbung folgen, von großer Bedeu-tung sein. Dies hat man z. B. aus Verän-derungen geschlossen, die man an

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Generationen von Kriegskindern, z.B.nach Hungersnot oder anderen tief grei-fenden Veränderungen der Lebensum-stände bedingt waren, gefunden hat.Besonders in sehr frühen, für die weitereEntwicklung des Embryos kritischen Lebensphasen können auch Hungerpe-rioden der Mutter oder besondererStress die Methylierung des Erbguts desEmbryos beeinflussen. Erstaunlicher-weise können diese Veränderungenauch bei Zellteilungen erhalten bleibenund werden womöglich sogar von einerGeneration an die nächste vererbt. Inden letzten Jahren haben wir gelernt,dass die Methylierung der DNS Umwelt-Gen-Interaktionen vermittelt, die Aus-prägung von verschiedenen Merkmalenund Erkrankungen bestimmt und ver-mutlich auch zu Wirkung und Nebenwir-kung von Medikamenten beiträgt.

Möglicherweise finden sich auch beimanchen Krankheiten Veränderungendieser für das Erbgut so wichtigen Regulationsmechanismen. Erste Hin-weise hierfür gibt es aus Untersuchun-gen von Menschen mit schwer-wiegenden Erkrankungen der Psyche,es gibt aber auch Anhaltspunkte, dassepigenetische Veränderungen bislangoffene Fragen in der Parkinson-Forschung erklären könnten, etwa denoft vermuteten, aber letztlich nicht be-wiesenen Zusammenhang zwischen

Umwelt einflüssen und der Ausprägungder Erkrankung.

Epigenetik ist von großem Interessefür die Neurowissenschaften als wich-tige Komponente altersbedingterKrankheiten; das Verständnis verschie-dener neuropsychiatrischer Erkrankun-gen wurde durch epigenetischerForschung in den letzten Jahren verbes-sert (Wüllner et al., 2016). Unter den epi-genetischen Mechanismen ist dieDNS-Methylierung besonders wichtig,da Änderungen der Methylierungs-stärke durch Umweltbedingungen wieErnährung oder Stress hervorgerufenwerden können. In diesem Zusammen-hang ist auch eine ausgewogene Ernäh-rung von großer Bedeutung, die dieausreichende Verfügbarkeit von Methyl-gruppen in der Nahrung sichert und diedafür wichtigen Vitamine B6, B12 und

Folsäure enthält. Tatsächlich findet maneine Reihe von Veränderungen derDNS-Methylierung im Blut und in Ner-venzellen von Menschen mit Parkinson-Erkrankung. Dabei sind Gene betroffen,die bei der Entgiftung eine wichtigeRolle spielen und z.B. für die Auslösungvon Parkinson durch bestimmte Lösungsmittel verantwortlich seinkönnten (Cytochrom P450 2E1, Kaut O etal., 2012). Weitere Gene sind in Gruppenvon Geschwistern und Zwillingen mitbzw. ohne Parkinson-Krankheit gefun-

Literatur

Kaut O, Schmitt I, Wüllner U. Genome-scalemethylation analysis of Parkinson’s diseasepatients’ brains reveals DNA hypomethyla-tion and increased mRNA expression of cytochrome P450 2E1. Neurogenetics. 2012Feb;13(1):87-91. Jan 12.

Kaut O, Schmitt I, Tost J, Busato F, Liu Y, Hof-mann P, Witt SH, Rietschel M, Fröhlich H,Wüllner U. Epigenome-wide DNA methyla-tion analysis in siblings and monozygotictwins discordant for sporadic Parkinson’sdisease revealed different epigenetic pat-terns in peripheral blood mononuclear cells.Neurogenetics. 2016 Oct 6. PubMed PMID:27709425.

Schmitt I, Kaut O, Khazneh H, deBoni L,Ahmad A, Berg D, Klein C, Fröhlich H, Wüll-ner U. L-dopa increases α-synuclein DNAmethylation in Parkinson’s disease patientsin vivo and in vitro. Mov Disord. 2015Nov;30(13):1794-801.

Wüllner U, Kaut O, deBoni L, Piston D, SchmittI. DNA methylation in Parkinson’s disease. JNeurochem. 2016 Oct;139 Suppl 1:108-120.

den worden, die vielleicht helfen könn-ten, Parkinson in einem frühen Stadiumnachzuweisen (Kaut O et al., 2016).Hierzu zählt auch die Methylierung desAlpha-Synuklein-(SNCA-)Gens (SchmittI et al., 2015). Diese und ähnliche Ergeb-nisse anderer Forschergruppen lassenuns hoffen, dass man in Zukunft denNachweis der DNS-Methylierung viel-leicht für einen Bluttest verwerten undso die Diagnose der Parkinson-Erkran-kung vereinfachen könnte.

Ein weiterer wichtiger Aspekt betrifftauch die Forschung an Stammzellen,die ein Hoffnungsträger für viele Men-schen mit neurologischen Erkrankun-gen sind. Aus Stammzellen kann manim Labor verschiedene Zelltypen gewinnen. Natürlich liegt der Gedankenahe, diese Zellen in benötigter Mengeherzustellen und in das geschädigteOrgan zu transplantieren.

Dabei muss aber sichergestellt werden,dass die hergestellten Zellen nur die ge-wünschte Funktion übernehmen, undim Zielgewebe auch langfristig für eineVerbesserung sorgen. Dazu muss si-chergestellt sein, dass das Methylie-rungsmuster der DNS erhalten bleibt.Leider sind bei vielen Angeboten zurBehandlung mit Stammzellen im Inter-net präklinische und klinische Versuchenicht durchgeführt worden. Sie sind oftnicht wirksam oder können sogar dieGesundheit gefährden. n

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Von Dr. Kathrin Brockmann/Prof. Dr. Daniela Berg

Seit Jahrzehnten ist es das Bestre-ben von Wissenschaftlern, Ärztenund Betroffenen, die Ursachen der

Parkinson-Erkrankung zu verstehen, umnicht nur die Symptome, sondern auchdirekt die Ursachen und damit den Ver-lauf der Erkrankung besser behandeln zukönnen. Dabei hat sich gezeigt, dass sichhinter dem allgemeinen Begriff „Parkin-son-Erkrankung“ eine Vielzahl verschie-dener Ausprägungen und Krankheits-verläufe verbergen. Die Ursachen sindvielfältig. Dafür sind u.a. genetische Ver-änderungen in unterschiedlichen Ab-schnitten der Erbinformation (DNA) unddie dadurch beeinflussten Stoffwechsel-wege verantwortlich. In den letzten Jah-ren konnten bereits eine ganze Reihevon Mutationen in unterschiedlichenGenen identifiziert werden, die Parkin-son bedingen oder das Risiko, an Parkin-son zu erkranken, erhöhen.

GBA-Parkinson – Auftreten und VerlaufSchon länger ist bekannt, dass Mutatio-nen des Glucocerebrosidase Gens (GBAGen), wenn sie beide Kopien des Gensbetreffen, die Erbkrankheit Morbus Gau-cher verursachen. Der Morbus Gaucherist die häufigste Stoffwechsel-Erkran-kung in der Gruppe der „lysosomalenSpeichererkrankungen“. Durch den Gen-defekt kommt es zu einer verringerten

Aktivität des in Lysosomen (kleiner Be-standteil der Zelle, der Verdauungsenzymefür die Zelle enthält) lokalisierten EnzymsGlucocerebrosidase (GCase), sodass Glu-cocerebroside (zuckerhaltige Fettstoffe)mangelhaft abgebaut werden, sich inverschiedenen Geweben des Körpers an-reichern und oft schon bei Kindern zu Organschäden führen.

Durch langjährige Beobachtungenvon Familien, in denen die Gaucher-Er-krankung auftrat, wurde deutlich, dassFamilienangehörige (Großeltern, Elternoder Geschwister von Gaucher Patienten)mit einer Mutation in nur einer Kopiedes GBA-Gens überzufällig häufig an derParkinson-Erkrankung leiden. Schließ-lich konnte im Jahre 2009 erstmals ge-zeigt werden, dass unterschiedlicheMutationen im GBA-Gen den bisher bedeutendsten genetischen Risikofaktorfür die Parkinson-Krankheit darstellen.1

Es handelt sich bei Mutationen aufeinem Erbstrang des GBA-Gens nichtum direkt krankheitsverursachende Mu-tationen, sondern um genetische Risiko-faktoren, die das Erkrankungsrisiko jenach vorliegender Mutation um denFaktor 2-10 erhöhen. In Deutschland fin-det man bei ca. drei Prozent der Parkin-son-Patienten eine Mutation im GBAGen. Bei einer geschätzten Gesamtzahlvon etwa 300.000 Patienten sind diesimmerhin fast 10.000 Erkrankte.

Parkinson-Patienten mit GBA Mutatio-nen zeigen im Vergleich zu Patienten

ohne Mutation ein jüngeres Alter bei Er-krankungsbeginn (im Schnitt Mitte 50)und leiden häufiger und schwerwiegen-der unter den sogenannten nicht-moto-rischen Symptomen. Zu diesen zähleninsbesondere: Einschränkungen des Ge-dächtnisses wie planerisches Handelnund „Multi-Tasking“, Depression, Angst-störung, Schlafstörungen sowie auto-nome Dysfunktionen, wie z.B. Blutdruck-abfall mit Schwindelgefühl bei einge-schränkter Kreislaufregulation, Verstop-fung oder Störung beim Wasserlassen.2

Zudem konnte in einer über mehrereJahre andauernden Verlaufsstudie ge-zeigt werden, dass bei Parkinson-Patien-ten mit GBA Mutation die Erkrankunghäufig schneller voranschreitet.3

Analysen des Gehirns haben gezeigt,dass Parkinson-Patienten mit GBA Mu-tation weit verbreitete Ablagerungendes Eiweißes Alpha-Synuklein aufwei-sen, was die häufig raschere Symptom-verschlechterung und die teilweisefrühen Einschränkungen des Gedächt-nisses in dieser Subgruppe von Parkin-son-Patienten erklärt.4

Krankheitsmechanismus und therapeutische PerspektivenBezüglich der zugrunde liegenden Ursa-chen geht man aktuell von einem sichgegenseitig verstärkenden Mechanis-mus von Alpha-Synuklein Eiweißablage-rungen auf der einen Seite undverminderter GCase Enzymaktivität

Wichtiger und potenziell behandelbarer Risikofaktor der Parkinson-Krankheit

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Mutationen

im Glucocere-

brosidase-

Gen (GBA)

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auf der anderen Seite aus.5 Passendzu dieser Hypothese zeigen Nervenzel-len, welche aus Hautzellen von Parkin-son-Patienten mit GBA Mutationprogrammiert wurden, eine ca. 30-pro-zentige Reduktion der GCase Enzymak-tivität bei gleichzeitig erhöhten Mengenvon Alpha-Synuklein Eiweiß.6 Durch diereduzierte GCase Enzymaktivität kanndas Alpha-Synuklein Eiweiß nicht richtigabgebaut werden und lagert sich in denNervenzellen zu Klumpen zusammen,was zu einer Fehlfunktion und späterzum Absterben der Nervenzelle führt.Auf der anderen Seite verhindert das inKlumpen zusammen gelagerte Alpha-Synuklein Eiweiß, dass das GCase Enzymin ausreichender und voll funktionsfähi-ger Menge in die Lysosomen transpor-tiert wird, was wiederum zur Folge hat,dass das Alpha-Synuklein Eiweiß nichtausreichend abgebaut wird und sichstattdessen in Klumpen zusammen -lagert. Die Identifizierung dieser krank-heitsverursachenden Mechanismen und beteiligten Stoffwechselwege eröffneterstmals ein ganz neues Fenster für ur-sachenbezogene Therapiekonzepte.Drei Ansatzpunkte für neue Medika-mente werden derzeit verfolgt unddemnächst in klinischen Studien für Parkinson-Patienten, die eine GBA Mu-tation tragen, zugänglich (siehe Abb. 1).

Interessanterweise zeigen neueste For-schungsarbeiten, dass dieser GBA-Stoff-wechselweg mit verringerter GCaseEnzymaktivität und Alpha-Synuklein Ei-weißablagerungen möglicherweisenicht nur bei der Subgruppe von Parkin-son-Patienten, die eine GBA Mutationtragen, sondern auch bei einem Teil dergroßen Gruppe von Parkinson-Patien-ten ohne Veränderungen im GBA Geneine begleitende Rolle in der Krank-heitsentstehung spielen könnte. Wenndem so wäre, könnte man sich vorstel-len, dass die neuen Therapieoptionen,welche derzeit für GBA-Parkinson in derEntwicklung sind, zumindest eine ge-wisse Wirkung auch für diese Gruppeder Parkinson-Patienten haben. Es ist je-doch noch viel Forschungsarbeit zu leis-ten, um diesen Hinweisen nachzugehenund sie zu bestätigen.

Präsymptomatische genetischeAnalysen zur RisikobestimmungDa eine Ursachen-spezifische Therapieden bestmöglichen Wirkungseffekt hat,

wenn sie schon im Prodromalstadiumangewendet wird (Phase, in der die Er-krankung im Gehirn beginnt, die Personenklinisch jedoch noch keine eindeutigen mo-torischen Parkinson-Symptome zeigen),kommt der präsymptomatischen Diag-nostik zukünftig eine große Bedeutungzu. Mithilfe genetischer Analysen undweiteren klinischen Zusatzuntersuchun-gen könnten Personen identifiziert wer-den, die aufgrund ihres Risikoprofils einbesonders hohes Risiko haben, in naherZukunft an Parkinson zu erkranken, undbei denen vielleicht sogar vorbeugendeMaßnahmen denkbar wären. Eine GBAMutation stellt dabei einen der wichtigs-ten Risikofaktoren dar, analog etwa zu Ri-sikofaktoren für andere Erkrankungen,wie etwa den Bluthochdruck oder denDiabetes für den Schlaganfall.

In dem Maße, in dem jetzt und in naherZukunft mutationsspezifische Optionender Therapie entstehen, wird die geneti-sche Diagnostik bei der Parkinson-Krank-heit immer wichtiger werden. n

Referenzen

1. Sidransky E, Nalls MA, Aasly JO, et al.Multicenter analysis of glucocerebrosi-dase mutations in Parkinson’s disease. NEngl J Med 2009;361(17):1651-1661.

2. Brockmann K, Srulijes K, Hauser AK, et al.GBA-associated PD presents with non-motor characteristics. Neurology2011;77(3):276-280.

3. Brockmann K, Srulijes K, Pflederer S, et al.GBA-associated Parkinson’s disease: Re-duced survival and more rapid progres-sion in a prospective longitudinal study.Mov Disord 2014.

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A) Durch die reduzierte GCase Enzymaktivität kann das Alpha-Synuklein Eiweiß nichtrichtig abgebaut werden und lagert sich in den Nervenzellen zu Klumpen zusam-men, was zu einer Fehlfunktion und später zum Absterben der Nervenzelle führt.

B) Aus dem Verständnis der unter A genannten krankheitsverursachenden Mecha-nismen ergeben sich Ansatzpunkte für neue Therapien:e Medikamente, welche die GCase Enzymaktivität in den Nervenzellen erhöhen

und somit die Alpha-Synuklein Eiweißablagerungen verringern. e Impfung gegen das Alpha-Synuklein Eiweiß, sodass es zu weniger Alpha-Synu-

klein Eiweißablagerung kommt und die GCase Enzymaktivität normal funktioniert

1.Medikamente, welche die GCase Enzymaktivität in den Nervenzellen erhöhenund somit die Alpha-Synuklein Eiweißablagerungen verringern.

2. Eine Impfung gegen das Alpha-Synuklein Eiweiß, sodass es (a) zu weniger Alpha-Synuklein Eiweißablagerung kommt und das

(b) GCase Enzym in aus reichender Menge in die Lysosomen transportiert wird3.Medikamente, welche die Anreicherung von Glucocerebrosiden (zuckerhaltigeFettstoffe) in den Nervenzellen verringern.

A) Krankheitsverursachende Mechanismen bei GBA-Parkinson

B) Therapieoptionen bei GBA-Parkinson

Zellkern

Golgi-Apparat Mitochondrium Golgi-Apparat Mitochondrium

Glucocerebrosidase mit verminderter Enzymaktivität Glucocerebrosidase mit normaler EnzymaktivitätMedikamente zur Erhöhung der Enzymaktivität

Schädliche Alpha-Synuklein-Ablagerungen Unschädliches Alpha-Synuklein ohne AblagerungImpfungen gegen Alpha-Synuklein-Ablagerung

Zellkern

LysosomenEndoplas-matisches Retikulum Lysosomen

Endoplas-matisches Retikulum

Abb. 1

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Von Kathrin Brockmann u. Prof. Dr. Thomas Gasser

Das LRRK2-Gen ist ein Beispieldafür, dass genetische Varian-ten in ein und demselben Gen

sowohl die Ursache für seltene familiärerbliche Formen der Parkinson-Erkran-kung als auch einen Risikofaktor für diehäufige sporadische Form darstellenkönnen.

LRRK2 als Krankheitsgen für familiäre Formen der Parkinson-KrankheitObwohl in Europa selten, stellen Muta-tionen im LRRK2-Gen die häufigste Ursache für ein familiäres autosomal dominant vererbtes Parkinson-Syndromdar. Die häufigste Mutation wird„G2019S“ genannt. Sie führt zum Austausch eines einzigen Aminosäure-bausteins an Position 2019 des LRRK2-Proteins. Sie ist in bestimmten eth-nischen Populationen wie den aschkena-sischen Juden oder nordafrikanischenArabern sogar in bis zu 30 Prozent der

Parkinson-Patienten zu finden.1 Bemer-kenswert ist hierbei eine altersabhängigeund unvollständige Penetranz. Das be-deutet, dass nicht automatisch jederMensch, der diese Mutation in sich trägt,in jedem Fall an Parkinson erkrankt. Viel-mehr steigt das Risiko mit zunehmendenAlter an und wird durch weitere Faktorenwie z.B. zusätzliche genetische Variantenin anderen Abschnitten der Erbinforma-tion oder Umweltfaktoren beeinflusst.2Insgesamt erkrankt wahrscheinlich nuretwa ein Drittel der Träger der G2019SMutation wirklich an Parkinson.

Patienten mit einer Mutation im LRRK2Gen berichten oft über weitere Familien-angehörige (Eltern, Geschwister), dieebenfalls an Parkinson erkrankt sind. DiePatienten weisen im Schnitt mit Mitte 50 ein jüngeres Erkrankungsalter auf, je-doch kann sich dieses selbst innerhalbeinzelner Familien über eine große Band-breite vom 20. bis zum 80. Lebensjahrverteilen. Abgesehen davon ist dieseForm aber bezüglich ihrer klinischenCharakteristika der idiopathischen Par-

kinson-Erkrankung, also den Fällen ohneerkennbare Genmutation, sehr ähnlich.Die Patienten mit LRRK2 Mutation spre-chen gut auf die Levodopa-Therapie an,einige zeigen bezüglich nicht-motori-scher Symptome wie etwa Riechverlustund demenzieller Entwicklung sogareinen etwas günstigeren Verlauf.3

Klinische Untersuchungen an Famili-enangehörigen, die auch eine LRRK2Mutation in sich tragen, aber zum Zeit-punkt der Untersuchung noch nicht anParkinson erkrankt waren, haben bisherkeine aussagekräftigen Resultate hin-sichtlich möglicher Vorzeichen/Früh -symptome als Indikator einesbeginnenden Parkinson-Syndroms erbracht.3-5 Es gibt Hinweise aus funktio-nellen und strukturellen Bildgebungsstu-dien, die mögliche kompensatorischeMechanismen im Rahmen der Neuro-plastizität als Erklärungsmodell dafür an-führen.3, 4, 6 Jedoch muss berücksichtigtwerden, dass all diese Untersuchungenan Mutationsträgern mit unterschiedli-chem Alter (Ende 20 bis über

GENETIK

LRRK2

und Parkinson

Krankheitsgen und Risikofaktor

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80 Jahre alt) erfolgt sind, sodass sowohl Alterseffekte als auch die redu-zierte Penetranz in die Interpretationeinfließen sollten.

LRRK2 ist ein großes Gen, welchesden Bauplan für ein Eiweiß mit fünffunktionellen Untereinheiten (Domä-nen) darstellt.7 Eine Hauptaufgabe vonLRRK2 ist die Phosphorylierung (Über-tragung von Phosphatgruppen) auf an-dere Eiweiße. Die Phosphorylierungdient der Aktivierung bestimmter Zell-funktionen. Es wird diskutiert, dass Mutationen des LRRK2-Gens die Fähig-keit der Phosphorylierung anderer Ei-weiße und wahrscheinlich auch desLRRK2-Proteins selbst erhöhen, sodasses zu einer Überaktivität bestimmterZellkomponenten und damit zu Fehlfunktionen und zum Absterben derNervenzelle kommt.8 Dieser möglicher-weise krankheitsverursachende Mecha-nismus könnte neue Therapieoptionenin Form von Medikamenten, die diesePhosphorylierungsfunktion blockieren(sog. „Kinase-Inhibitoren“) für diese Variante der Parkinson-Erkrankung aufzeigen.

Neuere Arbeiten weisen zudem aufeinen anderen Mechanismus hin, näm-lich dass LRRK2 in die Regulation desImmunsystems eingebunden ist. Somitkönnten möglicherweise auch ent-zündliche (inflammatorische) Stoff-wechselprozesse über eine Aktivierungder hirneigenen Entzündungszellen(Microglia) in der Entstehung desLRRK2-assoziierten Parkinson-Syn-droms eine wichtige Rolle spielen.9 Es

gibt sogar erste Hinweise, dass Ausprä-gung und Fortschreiten verschiedenerSymptome wie z. B. Gedächtnisein-schränkungen, Schlafstörungen, Kreis-lauffehlregulation und Einschränkungender Beweglichkeit mit einer höherenAktivität entzündlicher Stoffwechsel-prozesse in einer Subgruppe von Par-kinson-Patienten mit LRRK2 Mutationassoziiert ist. Sollten sich diese Hin-weise bestätigen, würden entzün-dungshemmende Therapien für dieSubgruppe der Patienten mit hoherentzündlicher Aktivität eine weiteremögliche neue Option darstellen.

LRRK2 als Risikofaktor für die sporadische Parkinson-KrankheitMithilfe methodischer Weiterentwick-lungen konnten in den vergangenensieben Jahren durch Untersuchungenvon Tausenden Parkinson-Patienten imVergleich zu gesunden Kontrollperso-nen häufig auftretende genetische Varianten in verschiedenen Genenidentifiziert werden, die mit der spora-dischen Parkinson-Erkrankung assozi-iert sind. Es handelt sich dabei nicht umdirekt krankheitsverursachende Muta-tionen, sondern um genetische Risiko-faktoren, welche das Erkrankungsrisikoum den Faktor von 1,5 bis 2 erhöhen.Sie sagen damit zwar wenig über dasindividuelle Erkrankungsrisiko des Ein-zelnen aus, sind aber sehr häufig undermöglichen es somit, große Gruppenvon Parkinson-Patienten nach genaudiesen zugrunde liegenden Risikofakto-ren zu stratifizieren, um schließlich die

beteiligten Stoffwechselwege an einerausreichend großen homogenenGruppe von Patienten zu erforschen.

Interessanterweise finden sich solchehäufigen Risikovarianten auch imLRRK2 Gen von vielen sporadischenParkinson-Patienten, bei denen es sichnicht um die seltene erbliche Form handelt. Somit könnten die Therapie-optionen (Kinase-Inhibitoren, Entzün-dungshemmer), die derzeit für diefamiliäre LRRK2 Parkinson-Erkrankungdiskutiert werden, möglicherweiseauch für eine größere Gruppe von spo-radischen Parkinson-Patienten, die einesolche LRRK2 Risikovariante tragen, hilf-reich sein (Abb. 1). Die Tatsache, dasssolche Risikovarianten im LRRK2 Genauch bei Patienten mit Morbus Crohn,einer chronisch-entzündlichen Darmer-krankung, zu finden sind, stärkt die Hypothese, dass LRRK2 entzündlicheProzesse im Körper reguliert und daherentzündungshemmende Substanzeneinen möglichen Therapie ansatz darstellen. n

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Schädigung der Nerven-zellen durch Entzündung

Entzündungs-zellen

Phosphorylierung

LRRK2-Kinase

Entzündungshemmer

Kinase-Blocker

NervenzelleAktivierung

Entzündungszellen

Abb. 1

Mutationen im LRRK2 Gen bedingen eine Überfunktion der LRRK2 Kinase mit folglich erhöhter Phosphorylierung. Dadurch kommt es zu Fehlfunktionen in der Nervenzelle sowie auch zu einer Aktivierung von Entzündungszellen im Gehirn, waswiederum die Schädigung der Nervenzellen fördert.

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Leben mit Zukunft | Nr. 139 – 4/2016 | 31

Von PD Dr. Norbert Brüggemann und Prof. Dr. Thomas Gasser

Die Parkinson-Krankheit galt lange Zeit als der Prototypeiner nicht-erblichen neurodegenerativen Erkran-kung. Man ging viele Jahrzehnte davon aus, dass die

Erkrankung vor allem durch Umwelteinflüsse wie zum Bei-spiel Pestizide hervorgerufen wird. In den 90er-Jahren habenWissenschaftler dann die Entdeckung gemacht, dass eineiigeZwillinge immer gemeinsam an Parkinson erkranken, wenndie Erkrankung vor dem 50. Lebensjahr auftrat.1 Da eineiigeZwillinge dieselbe genetische Ausstattung besitzen, lag hierdie Vermutung nahe, dass zumindest in der Gruppe der Pa-tienten mit frühem Krankheitsbeginn ein einzelnes veränder-tes Gen die Parkinson-Krankheit hervorruft. Als Genbezeichnet man einen Abschnitt auf der DNA (= Erbsub-stanz), der ein bestimmtes Protein verschlüsselt. Gene liegenin doppelter Ausführung vor mit je einer mütterlichen undeiner väterlichen Genkopie.

Im Jahr 1997 gelang die Identifizierung des ersten Parkin-son-Gens bei einer italienischen Familie mit 18 betroffenenParkinson-Patienten.2 Die Forscher konnten nachweisen, dassin dieser Familie eine einzelne genetische Veränderung(= Mutation) in dem sogenannten Alpha-Synuklein-Gen zueiner vererbbaren Form der Parkinson-Krankheit führt. Seit-dem sind weitere Gene identifiziert worden, die mit der klas-sischen Parkinson-Krankheit in Verbindung stehen. Dabeikann zwischen autosomal-dominant und autosomal-rezessivvererbten Parkinson-Formen unterschieden werden. Bei

einem autosomal-dominanten Erbgang führt eine einzelneMutation in einer der beiden Genkopien zur Erkrankung, beiautosomal-rezessivem Erbgang müssen Mutationen in bei-den Genkopien vorliegen. Eindeutig belegt werden konnteeine Erblichkeit für die Gene Alpha-Synuklein, LRRK2, VPS35(autosomal-dominant) sowie Parkin, PINK1 und DJ-1 (auto-somal-rezessiv). Es sind eine Reihe von weiteren Genen iden-tifiziert worden, die jedoch entweder noch nicht eindeutigbestätigt werden konnten oder in Zusammenhang mit einersehr ungewöhnlichen Parkinson-Form mit zusätzlichen neu-rologischen Zeichen stehen.

Insgesamt sind genetisch bedingte Parkinson-Formen selten.Sie betreffen maximal 3 bis 5 Prozent aller Parkinson-Patien-ten. Der Anteil erblicher Fälle ist jedoch umso höher, je früherdie Erkrankung auftritt. Erkrankt ein Patient beispielsweisevor dem 20. Lebensjahr an Parkinson, beträgt die Wahr-scheinlichkeit für eine genetische Ursache 70 bis 80 Prozent.In der Regel werden bei einem solch frühen ErkrankungsalterMutationen im Parkin-Gen nachgewiesen.

Neben den oben genannten seltenen, erblich bedingten Par-kinson-Formen gibt es weitere genetische Risikofaktoren fürParkinson. Der mit Abstand wichtigste genetische Risikofaktorsind Mutationen im GBA (Glucocerebrosidase)-Gen. GBA-Muta-tionen finden sich bei 2,3 bis 9,4 Prozent aller Parkinson-Patienten und bei ungefähr 1 bis 2 Prozent der All-gemeinbevölkerung.3 Das Parkinson-Risiko ist für GBA-Mutati-onsträger je nach Mutation um den Faktor 2 bis 10 erhöht.

Genetik der Parkinson-Krankheit: Was ist therapeutisch relevant?

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GENETIK

Vom Labor

zum Patienten.

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weise, weil das Produkt des GBA-Gens für den Abbau vonfehlgefalteten Proteinen mitverantwortlich ist.

Ein anderer wichtiger Stoffwechselweg bei genetischemParkinson betrifft die „Kraftwerke der Zellen“, die sogenann-ten Mitochondrien. Die Mitochondrien sind die wichtigstenEnergielieferanten der Zelle. Die Gene Parkin und PINK1spielen eine wichtige Rolle in der Qualitätskontrolle der Mitochondrien. Bei einer Mutation in einem der beiden Generesultiert eine Störung der Mitochondrienfunktion, die letzt-lich über eine Störung des Energiehaushalts zu vermehrtemzellulären Stress und zu einem Nervenzelluntergang führt(Abbildung). Auch bei einem Teil der Patienten mit der idio-pathischen Parkinson-Krankheit lassen sich Veränderungender Mitochondrienfunktion nachweisen.

Parkinson-Gene und Therapie Bei der Therapie der Parkinson-Krankheit muss grundsätzlichzwischen kausaler und symptomatischer Therapie unter-schieden werden. Als kausale Therapie bezeichnet man dieBehandlung der Krankheitsursachen, mit deren Hilfe der fort-schreitende Krankheitsprozess abgebremst oder sogar ge-stoppt werden kann. Eine solche Therapie steht bislangjedoch weder für die idiopathische Parkinson-Krankheit nochfür die seltenen genetischen Parkinson-Formen zur Verfü-gung. Es werden jedoch, basierend auf Erkenntnissen aus derGenetik, neue therapeutische Ansätze verfolgt.

Beteiligte Stoffwechselwege Die Identifikation von Parkinson-Genen ermöglicht die Unter-suchung von Stoffwechselwegen, die in Zusammenhang mitder Entstehung von genetisch bedingten Parkinson-Formenstehen (Abbildung). An deren Erforschung ist die Hoffnung geknüpft, dass auch Rückschlüsse auf Stoffwechselprozessegezogen werden können, die eine Rolle bei der sehr viel häu-figeren idiopathischen Parkinson-Krankheit spielen.

Eine besonders eindrückliche Verbindung zwischen gene-tischem und idiopathischem Parkinson zeigt das BeispielAlpha-Synuklein: Der Eiweißstoff Alpha-Synuklein ist Haupt-bestandteil der sogenannten Lewykörperchen und liegt dortin einer „verklumpten“, unlöslichen Form vor. Die Lewykör-perchen können bei der Parkinson-Krankheit in untergehen-den Nervenzellen und Nervenfasern nachgewiesen werden.Verklumpte Alpha-Synuklein-Aggregate werden wahrschein-lich von Nervenzelle zu Nervenzelle weitergegeben und füh-ren somit zu einem fortschreitenden Nervenzellverlust.Mutationen im Alpha-Synuklein-Gen führen zu einer ver-stärkten Verklumpungsneigung und damit zur Entstehungder Erkrankung (Abbildung). Bei der idiopathischen Parkin-son-Krankheit ohne Alpha-Synuklein-Mutation findet mangenau die gleichen Proteinverklumpungen, es ist jedochnoch nicht genau bekannt, warum es dazu kommt.

Auch Mutationen in dem oben erwähnten Risikogen GBAführen zu einer Alpha-Synuklein-Verklumpung, möglicher-

Genort Vererbung Erkrankungs-beginn Chromosom Genprodukt Besonderheiten

PARK1 AD 40 – 60 Jahre 4q21 α-Synuklein Punktmutationen: gleicht idiopathischemParkinson-Syndrom, häufig Demenz

PARK2 AR 20 – 40 Jahre 6q25 Parkinfrüher Beginn, L-Dopa-induzierte Dyskinesien, Besserung durch Schlaf, Fuß-Dystonie

PARK4 AD 30 – 50 Jahre 4q21 α-SynukleinVerdopplungen oder Verdreifachungendes gesamten α-Synukleingens, variablerErkrankungsbeginn, häufig Demenz

PARK6 AR 20 – 40 Jahre 1p35-36 PINK1 früher Beginn, ähnlich PARK2

PARK7 AR 30 – 40 Jahre 1p36 DJ-1 früher Beginn, Dystonie, psychische Auffälligkeiten

PARK8 AD Variabel, im Mittel um 60 Jahre 12cen LRRK2 gleicht idiopathischem

Parkinson-Syndrom

– AD Um 60 Jahre 1p31 GBAEtwas rascheres Fortschreiten und stärkere nicht-motorische Symptome alsbeim idiopathischen Parkinson-Syndrom

Auflistung der wichtigsten und häufigsten Parkinson-Gene. Bis vor einigen Jahren wurden die „Genorte“, also die Lokalisation auf denChromosomen, mit Nummern versehen (hier: PARK1 bis PARK8). Dies wurde jedoch nicht konsequent weiter geführt, sodass manchewichtigen Gene, wie das GBA-Gen, welches der häufigste genetische Risikofaktor für die Parkinsonkrankheit ist, keine solche Nummerträgt. PARK1 und PARK4 wurden als „Genorte“ unabhängig voneinander entdeckt, später stellte sich jedoch heraus, dass das ursächli-che Gen in beiden Fällen identisch war: α-Synuklein.

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Alpha-Synuklein-Ablagerungen(Lewykörperchen)

Beeinträchtigung derMitochondrien

Genetisch(Alpha-Synuklein)

Idiopathisch

Nervenzellenuntergang

Parkinson-Krankheit

Idiopathisch Genetisch(Parkin, PINK1)

Fallbericht 1Ein 58-jähriger Parkinson-Patient berichtete, dass bei ihmim Alter von 13 Jahren erste Symptome der Parkinson-Krankheit aufgetreten seien. Die Diagnose Parkinson seierst etwa 15 Jahre später, d. h. mit Ende 20, gestellt wor-den. Der Patient sprach aktuell nach einer Erkrankungs-dauer von etwa 45 Jahren weiterhin exzellent aufniedrige Dosen L-Dopa an (Tagesäquivalenzdosis 550 mgLevodopa /Tag). In der weiteren Untersuchung ergabensich keinerlei Hinweise für eine Demenz. Aufgrund dessehr jungen Erkrankungsalters wurde eine genetische Diagnostik veranlasst. Hierbei zeigten sich Mutationenim Parkin-Gen, so dass die Diagnose einer genetisch bedingten Parkinson-Krankheit aufgrund von Parkin-Mutationen gestellt werden konnte.

Das sehr frühe Erkrankungsalter, das sehr langsame Voranschreiten der Erkrankung, die fehlende Demenztrotz jahrzehntelangem Verlauf und insbesondere dashervorragende Ansprechen auf dopaminerge Medika-mente (und Tiefe Hirnstimulation), sind sehr typisch fürdiese Form des genetischen Parkinsons. n

Fallbericht 2Im Alter von 43 Jahren bemerkte der mittlerweile 52-jäh-rige Patient erste Anzeichen der Parkinson-Krankheit. DieDiagnose wurde kurz darauf gestellt und eine Behand-lung mit Dopamin-Agonisten und Levodopa eingeleitet.Die Symptome sprachen nur mäßig auf die Medikationan, zuletzt nahm der Patient nach neun Jahren Erkran-kungsdauer eine Levodopa-Äquivalenzdosis von 1865mg /Tag ein. Trotz des jungen Erkrankungsalters und deseher mittellangen Verlaufes zeigten sich bereits deutlichekognitive Einschränkungen. Aufgrund dieser Konstella-tion wurde ein Gentest durchgeführt, der eine Mutationim GBA-Gen zeigte. Diese Form des genetischen Parkin-son beginnt in der Regel früher als die klassische idiopa-thische Parkinson-Krankheit und geht bereits in früherenKrankheitsstadien mit kognitiven Auffälligkeiten einher.Die Dosis der Parkinson-Medikamente muss häufig frühim Krankheitsverlauf aufgrund eines unzureichendenAnsprechens gesteigert werden. n

Fallbericht 3Der 63-jährige Patient mit Parkinson-Krankheit entwi-ckelte mit 55 Jahren erste Symptome. In seiner Familiesind weitere Angehörige von der Parkinson-Krankheitbetroffen. Der Patient hat eine deutliche Besserungdurch die Parkinson-Medikation erfahren und sprichtauch weiterhin gut auf die Therapie an (Tagesäquivalenz-dosis 810 mg Levodopa / Tag), wenngleich Wirkungs-schwankungen auftreten. Aufgrund der familiärenBelastung erfolgte eine genetische Testung, in der eineMutation im LRRK2-Gen identifiziert werden konnte. Beidieser genetischen Form ähneln sowohl Erkrankungs -alter als auch Verlauf sehr der klassischen idiopathischenParkinson-Krankheit. n

Kausaler Therapieansatz –Verhinderung der Alpha-Synuklein-AggregationEin wichtiger Angriffspunkt in der kausalen Therapie der Par-kinson-Krankheit ist die Verhinderung der fortschreitendenNeurodegeneration. Da die Ablagerungen von Alpha-Synu-klein mit einem unwiderruflichen Nervenzelluntergang in Zu-sammenhang stehen, gibt es eine Reihe von Bestrebungen,unlösliche Alpha-Synuklein-Verklumpungen durch Medika-mente aufzulösen.4 Momentan werden mehrere Studiendurchgeführt, in denen Parkinson-Patienten einen Impfstoffgegen Alpha-Synuklein erhalten.5 Die Parkinson-Patienten ent-wickeln dabei Antikörper, die sich gegen Alpha-Synuklein-Ver-klumpungen richten. Des Weiteren werden Medikamenteentwickelt, die Alpha-Synuklein binden und die Verklumpungverhindern sollen. Andere Angriffspunkte, die zum Teil bereitserfolgreich in Tiermodellen getestet wurden, sind (i) medika-mentöse Veränderungen der Alpha-Synuklein-Struktur, die zueiner geringeren Verklumpungsneigung führen, und (ii) dieStärkung von zellulären Reinigungsprozessen. Ohne die Entde-ckung des Alpha-Synuklein-Gens wären diese Fortschrittekaum denkbar gewesen, da unter anderem viele Tiermodelleauf genetischer Basis entwickelt wurden.

Krankheitsentstehung bei genetischen Parkinson-Formen und der idiopathischen Parkinson-Krankheit.

Kausaler Therapieansatz –Verbesserung der MitochondrienfunktionIn der Vergangenheit wurden bei der Parkinson-Krankheitbereits mehrere Substanzen, die die Funktion der Mitochon-drien verbessern sollen, getestet. Zu diesen Substanzen gehört unter anderem das Coenzym Q10. Leider zeigten sichfür das Coenzym Q10 bislang keine durchschlagenden The-rapieerfolge.6 Dies kann unterschiedliche Gründe haben: Einerseits könnte es sein, dass das Coenzym Q10 sehr früh imKrankheitsprozess gegeben werden muss, um Neurodege-neration zu verhindern. Andererseits ist es denkbar, dassnicht zwangsläufig jeder Parkinson-Patient eine Störung derMitochondrienfunktion aufweist. Solche Patienten würdenselbstverständlich nicht auf eine Mitochondrien-unterstüt-zende Therapie ansprechen. Im Gegensatz dazu weisen Par-kinson-Patienten mit Parkin- oder PINK1-Mutationen

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Abb. 1

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eine eindeutig gestörte Mitochondrienfunktion auf. Inaktuellen Forschungsprojekten wird untersucht, ob sichaußer den genannten seltenen genetischen Formen weitereParkinson-Patienten identifizieren lassen, die eine besondersstarke Beeinträchtigung der Mitochondrienfunktion aufwei-sen. Solche Patienten könnten in der Tat von einer Mitochon-drien-unterstützenden Therapie profitieren.

Symptomatische TherapieHäufig ist nicht genau vorherzusehen, ob und wie gut ein Par-kinson-Patient auf Parkinson-Medikamente und die Hirn-schrittmachertherapie anspricht. Generell kann man sagen,dass Patienten mit einem jungen Erkrankungsalter in derRegel sehr gut auf Parkinson-Therapien ansprechen und dassdie Erkrankung oft nur langsam voranschreitet. Unterschiedein dem Ansprechen auf Medikamente zeigen sich aber auchzwischen verschiedenen genetischen Formen (siehe Fallbe-richte). Die Behandlung von Patienten mit unterschiedlichengenetischen Formen unterscheidet sich zwar gegenwärtigbezüglich des Repertoires an Medikamenten nicht. Der Neu-rologe kann aber genauer abschätzen, ob zum Beispiel einehöhere oder niedrigere Dosis notwendig sein wird.

Fazit: Bislang unterscheidet sich die Standard-Therapie vonPatienten mit genetisch bedingter und idiopathischer Par-kinson-Krankheit nicht voneinander. Eine kausale Behand-lung der Erkrankung ist auch weiterhin nicht möglich.Patienten mit verschiedenen genetischen Formen sprechenjedoch unterschiedlich auf die Therapie an, was relevant seinkann für die genetische Beratung und gegebenenfalls für dieAuswahl von Medikamenten sowie anderen Therapieverfah-ren wie der Tiefen Hirnstimulation.

Da die genauen Stoffwechselwege bei den genetischen For-men bekannt sind, werden diese Patienten jedoch zukünftigwahrscheinlich von einer spezifischeren und individualisier-ten Therapie profitieren können. Erste klinische Studienhaben bereits begonnen, viele weitere werden vorbereitet.Die Teilnahme von vielen gut informierten Patienten ist erfor-derlich, um diese jetzt noch experimentellen Therapie ansätzein die klinische Regelversorgung zu bringen und damit einerVielzahl von Patienten zugutekommen zu lassen. n

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Von Prof. Dr. Meike Kasten und Prof. Dr. Christine Klein

Welche erblichen Faktoren spielen eine Rolle bei der Parkinson-Erkrankung?Neben der häufigeren „idiopathischen Parkinson-Erkran-kung“, also einer Parkinson-Erkrankung ohne bekannte Ursa-che, gibt es eine Reihe meist sehr seltener monogenerParkinson-Erkrankungen (Abb. 1. A). Diese Formen der Erkran-kung werden durch Veränderungen in einem einzelnen Genverursacht. Ein Gen ist eine Einheit des Erbmaterials (DNA:Desoxyribonukleinsäure), welche die Information für den Auf-bau der Eiweiße enthält. Eine erbliche Erkrankung kann ent-weder dominant oder rezessiv vererbt werden, wobei beirezessiven Erkrankungen beide Kopien des Gens von einerVeränderung (Mutation)betroffen sein müssen, damit es zumAusbruch der Erkrankung kommt

Wodurch sind rezessive Parkinson-Erkrankungen gekennzeichnet?Der vorliegende Artikel konzentriert sich vor allem auf die rezessiv vererbten monogenen Parkinson-Formen. Die be-kanntesten rezessiven Parkinson-Erkrankungen werdendurch Veränderungen im Parkin-, PINK1- oder DJ-1 Gen ver-ursacht. Patienten mit Mutationen in einem dieser Gene er-kranken in der Regel ca. 20 Jahre früher als Patienten mitidiopathischer Parkinson-Erkrankung, d. h. im Mittel bereits

GENETIK

Rezessive

Parkinson-

Erkrankungen

Mitochondrien im Fokus

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in der vierten Lebensdekade, oft sogar schon früher. DieSpanne ist jedoch breit und reicht in sehr seltenen Fällen vomBeginn im Jugendalter bis ins spätere Erwachsenenalter.1

Klinisch zeigen die Patienten die typischen Zeichen eines Ru-hetremors, einer Bewegungsverlangsamung (Bradykinese),einer Muskelsteifigkeit (Rigor)und eine Störung der Haltungs-kontrolle. Sie unterscheiden sich darin klinisch praktisch nichtvon Patienten mit idiopathischer Parkinson-Erkrankung. Aller-dings ist der Krankheitsverlauf häufig langsamer und das An-sprechen auf Medikamente insgesamt besser und langfristiger.

Ein weiterer Unterschied zur idiopathischen Parkinson-Erkrankung besteht darin, dass die Patienten nicht seltenauch zu Beginn der Erkrankung unwillkürliche Muskelver-krampfungen, sogenannte Dystonien, entwickeln. Weiterhinwurde gezeigt, dass das Auftreten von Demenz bei Patientenmit Parkin-Mutationen nicht häufiger zu sein scheint als beider Allgemeinbevölkerung.2

Eine wichtige weitere Gemeinsamkeit der drei genannten rezessiven Parkinson-Formen liegt darin, dass ihnen gemein-same Prozesse zur Krankheitsentstehung zugrunde liegen,die die Mitochondrien und den Energiestoffwechsel der Nervenzellen betreffen.

Ein Gen5 %

A B

Viele Gene + Umwelt95 %

Bei monogenen Parkinson-Erkrankungen verursacht eine ein-zelne Mutation in einem einzigen Gen die Erkrankung. Weiteregenetische und Umweltfaktoren haben einen geringen modifi-zierenden Einfluss. Diese Formen sind mit ca. 5 Prozent aller Parkinson-Fälle selten; die rezessiven Parkinson-Formen fallen indiese Gruppe (A). Bei den meisten Patienten wird eine gemischteKrankheitsursache aus vielen verschiedenen genetischen Risiko-und Umweltfaktoren diskutiert (B). Dabei liegt das Augenmerkder unten beschriebenen klinischen Studie auf solchen Risiko -faktoren, die speziell die Funktion von Mitochondrien, den „Energiekraftwerken“ der Zelle, beeinträchtigen können.

Abb. 1

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Schon seit den 1980er-Jahren gab es Hinweise dafür, dass Mitochondrien eine wichtige Rolle für die Entstehung derParkinson-Erkrankung spielen. Inzwischen ist erwiesen, dassMutationen im Parkin- und PINK1-Gen mit ganz spezifischenVeränderungen an den Mitochondrien einhergehen. BeideGene kodieren für Eiweißstoffe, die den „Lebensweg“ der Mitochondrien mitbestimmen, also sowohl an der Bildungneuer Mitochondrien als auch an der Aussortierung nichtmehr funktionsfähiger Mitochondrien3 beteiligt sind.

Ohne funktionierende Energieversorgung gehen die betrof-fenen Zellen zugrunde. Besonders schwer trifft dieses Pro-blem Zellen mit hohem Energiebedarf – und besondersbedeutsam für die Funktionsfähigkeit von Organen desmenschlichen Körpers ist dieser Untergang von Zellen beiGeweben, die sich nicht oder kaum erneuern, also von denenkeine neuen Zellen gebildet werden können. Beides trifft aufdie Nervenzellen im Gehirn zu, woraus sich ein Erklärungs-ansatz ableitet, warum die Störung der mitochondrialenFunktion, die ja eigentlich den ganzen Körper betrifft, geradebeim Gehirn zur Erkrankung führt. Auf diesen Beobachtun-gen beruht nun auch die Idee, über eine Verbesserung dermitochondrialen Funktion den Verlauf von Parkin- undPINK1-assoziierten Parkinson-Erkrankungen günstig beein-flussen zu können. Dies betrifft jedoch nur relativ wenige Pa-tienten mit diesen seltenen Mutationen, weswegenzusätzlich genetische Risikofaktoren mit Einfluss auf die

Funktion von Mitochondrien von Inte-resse sind.

Was sind „Mitochondriale Enhancer“?„Mitochondriale Enhancer“ sind Stoffe,die die Leistungsfähigkeit von Mitochon-drien steigern. Dies tun sie in der Regel,indem sie an einem der sechs Enzymeder sogenannten „Atmungskette“ anset-zen und die Bedingungen für deren Ar-beit verbessern, z.B. helfen, benötigteTeilchen (Elektronen) zu transportieren.Zwei sehr interessante Stoffe aus dieserGruppe sind das Coenzym Q104 und dasVitamin K25. Beide sind als Nahrungser-gänzungsmittel bekannt; für eine nach-weisbare Wirkung auf die Mitochondrienwerden jedoch sehr viel höhere Dosenbenötigt als in gängigen Nahrungser-gänzungsmitteln vorhanden.

Mit Coenzym Q10 wurden bereitsmehrfach klinische Studien bei Parkin-son-Patienten durchgeführt, die abernur teilweise erfolgreich waren. In derZusammenschau dieser bisherigen Studien lässt sich eine positive Wirkungvon Coenzym Q10 nicht sicher nach-weisen.

Für Vitamin K2 liegen noch keine Datenzur Wirksamkeit bei der Parkinson-Erkrankung vor. Die Verträglichkeit aber

konnte bereits in einer Studie mit an Parkinson erkranktenFrauen und in mehreren Studien bei anderen Erkrankungengezeigt werden.

MitoPD: Eine klinische Studie zum gezielten Einsatz von Coenzym Q10 und Vitamin K2MitoPD ist eine gemeinsame Studie der Universitäten Tübin-gen, Luxemburg, München und Lübeck. Diese Studie wirdvom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)

Was sind Mitochondrien – und welche Bedeutung haben sie bei Parkinson?Jede Körperzelle enthält sogenannte „Organellen“, die Or-gane der Zellen. Eine Gruppe dieser Organellen sind die Mi-tochondrien. Sie werden oft als „Kraftwerke“ der Zellebezeichnet, da sie für ihre Energieversorgung wichtig sind.Unser Körper kann Energie in Form des „Adenosintriphos-phat“ (ATP) speichern, ein Molekül, das drei („tri“) Phosphat-gruppen beinhaltet. Wenn eine Phosphatgruppe des ATPabgespaltet wird, entsteht das „Adenosindiphosphat“ (ADP)und Energie wird frei.

Aufgabe der Mitochondrien ist es, aus ADP wieder ATP zu erstellen. Dies geschieht mithilfe von sechs verschiedenenEnzymen (Eiweißstoffen), die in der sogenannten „Atmungs-kette“ miteinander verknüpft sind. So sorgen die Mitochon-drien für eine stabile Energieversorgung.

Effektstärke auf Beeinträchtigung der Mitochondrienfunktion

Häufigkeit von Mutationen/Risikovarianten in Genen mit Einfluss auf Mitochondrienfunktion

2 Mutationen in Parkin

oder PINK1

1 Mutation in Parkin

oder PINK1Genetische

mitochondriale Risikofaktoren

Keine genetischen mitochondrialen

Risikofaktoren

Stark

Mäßig

Leicht

Niedrig

Sehr selten Selten Häufig Abwesend

Einteilung der Parkinson-Patienten in vier Gruppen in Abhängigkeit von der Stärkedes genetischen Risikos für eine Beeinträchtigung der Mitochondrienfunktion („Energiekraftwerke“ der Zelle). Patienten mit zwei Mutationen in Parkin oder PINK1sind sehr selten, weisen aber eine starke Störung der Mitochondrienfunktion auf. Bei Patienten mit einer Mutation in einem dieser Gene liegt ebenfalls eine mitochon-driale Beeinträchtigung vor und – in geringem Maße – vermutlich auch bei Trägernder häufigeren genetischen Risikofaktoren für gestörte Mitochondrienfunktion. Die vierte Patientengruppe trägt keinerlei genetisches Risiko für eine mitochondrialeBeeinträchtigung.

Abb. 2

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Referenzen1. Kasten M, Kertelge L, Brüggemann N, van der Vegt J, Schmidt A,

Tadic V, Buhmann C, Steinlechner S, Behrens MI, Ramirez A, BinkofskiF, Siebner H, Raspe H, Hagenah J, Lencer R, Klein C (2010) Nonmotorsymptoms in genetic Parkinson disease. Arch Neurol 67(6):670-6.

2. Grünewald A*, Kasten M*, Ziegler A, Klein C. Next-Generation Phe-notyping Using the Parkin Example: Time to Catch Up With Genet-ics. JAMA Neurol. 2013 Sep 1;70(9):1186-91

3. Bose A, Beal MF. Mitochondrial dysfunction in Parkinson’s disease. JNeurochem. 2016 Oct;139 Suppl 1:216-231. Epub 2016 Aug 21.

4. Negida A1, Menshawy A, El Ashal G, Elfouly Y, Hani Y, Hegazy Y, ElGhonimy S, Fouda S, Rashad Y. Coenzyme Q10 for Patients withParkinson’s Disease: A Systematic Review and Meta-Analysis. CNSNeurol Disord Drug Targets. 2016;15(1):45-53.

5. Vos M1, Esposito G, Edirisinghe JN, Vilain S, Haddad DM, SlabbaertJR, Van Meensel S, Schaap O, De Strooper B, Meganathan R, MoraisVA, Verstreken P. Vitamin K2 is a mitochondrial electron carrier thatrescues pink1 deficiency. Science. 2012 Jun 8;336(6086):1306-10.doi: 10.1126/science.1218632. Epub 2012 May 10.

6. Nalls MA, Pankratz N, Lill CM, Do CB, Hernandez DG, Saad M, DeSte-fano AL, et al. Large-scale meta-analysis of genome-wide associa-tion data identifies six new risk loci for Parkinson’s disease. NatGenet. 2014 Sep;46(9):989-93.

Randomisierte klinische Studie Optionale offene Studie

Klinische- undBlutunter -suchung,

Bildgebung

Klinische- undBlutunter -suchung,

Bildgebung

Klinische- undBlutunter -suchung,

Bildgebung

Placebo

CoQ10 Vit K2

1 3 4 5 6 7 8 9 10 11 122

gefördert und befasst sich mit der Rolle von Mitochondrienbei monogenen und idiopathischen Parkinson-Erkrankun-gen in verschiedenen Projekten aus der klinischen wie derGrundlagenforschung.

Ein besonderer Teil dieses Projektes ist eine klinische Studiemit Coenzym Q10 und Vitamin K2, die in Lübeck und Tübin-gen durchgeführt wird. Die Grundannahme dieser Studie ist,dass Coenzym Q10 und Vitamin K2 die Symptome und Zei-chen der Parkinson-Erkrankung günstig beeinflussen kön-nen, wenn Fehlfunktionen der Mitochondrien einer derAuslöser der Erkrankung sind. Dies ist nicht bei allen Parkin-son-Erkrankungen der Fall, daher müssen die Teilnehmersorgfältig charakterisiert und ausgewählt werden. Unserneuer Ansatz beinhaltet, die Teilnehmer nach genetischenGesichtspunkten den Studiengruppen zuzuordnen. In derGruppe der Personen mit sicherer mitochondrialer Beteili-gung sind Träger von Parkin- oder PINK1-Mutationen. Aus derGruppe von Patienten mit idiopathischer Parkinson-Erkran-kung werden Teilnehmer anhand eines komplexeren gene-tischen Profils ausgewählt. Hierfür werden bekannte

Veränderungen im Genom genutzt,6 die mit dem Parkinson-Risiko in Zusammenhang stehen (Abb. 1. B). Für diese Verän-derungen wurde anhand der Literatur und Datenbankeneruiert, ob sie einen Einfluss auf die Mitochondrien habenund mit diesen Informationen dann das genetische Profil erstellt. Diese Studie nutzt also den Ansatz der personalisier-ten Medizin, indem individuelle genetische Daten für die Ent-scheidung, ein spezifisches Medikament einzusetzen,genutzt werden.

Die klinische Studie ist eine sogenannte „Proof-of-Concept“-Studie. Hierunter versteht man eine kleine Studie, die zu-nächst prüft, ob das Konzept tragfähig ist. Im Erfolgsfallefolgen dann größere Studien, um den Effekt der Studien -medikation nachzuweisen. Untersucht werden vier Studien-gruppen: Patienten mit zwei Mutationen im Parkin- oderPINK1-Gen, Patienten mit einer Mutation in einem dieser bei-den Gene, Patienten mit einem genetischen „mitochondria-len“ Profil (s. o.) und solche ohne genetisch bedingtemitochondriale Beeinträchtigung (Abb. 2).

Wie die meisten klinischen Studien arbeitet auch unsere Studiemit dem eigentlichen Studienmedikament („Verum“) undeinem Placebo, um die Wirkungen von Verum und Placebo di-rekt vergleichen zu können (Abb. 3).

Möglicherweise sind Coenzym Q10 und / oder Vitamin K2 auchgeeignet, den Krankheitsverlauf bei der idiopathischen Parkin-son-Erkrankung zu verlangsamen. Aus Laborexperimentengibt es dafür erste Hinweise. Zusätzlich sind beide Substanzen,Coenzym Q10 und Vitamin K2, risiko- und nebenwirkungsarmund könnten daher auch breiteren Einsatz finden.

Wenn unsere Einteilung der Patienten nach mitochondrialemProfil erfolgreich ist, könnten wir mit dieser Untergruppe grö-ßere und vor allem längere Studien durchführen, um gezieltden Erkrankungsverlauf zu untersuchen.

Als Fernziel wäre es sogar vorstellbar, gesunden Personen miterhöhtem Risiko für die Erkrankung diese Medikamente anzu-bieten, in der Hoffnung, den Erkrankungsausbruch hinauszu-zögern oder gar zu verhindern. n

Diese Abbildung zeigt beideTeile der klinischen Studie fürPatienten mit mitochondrialerBeteiligung: im ersten Teil diePlacebo-kontrollierte Studiemit Coenzym Q10 – und imzweiten Teil die freiwilligeFortsetzungsstudie mit Vitamin K2. Die Studie mit Vitamin K2 ist eine offene Beobachtungsstudie, es wirdalso keine Placebokontrolledurchgeführt.

Abb. 3