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Aktuelles Life & Law kompakt hemmer! Life&Law 11/2012 829 Life &Law kompakt Examensreport Bayern, Termin 2012-II Hinweis : Die nachfolgenden Übersichten sind keine Musterlösungen. Sie sollen nur zur besseren Orientierung in Ihrer Examensvorbereitung dienen. Nur wer die Anforde- rungen des Examens kennt, lernt richtig. A) Zivilrecht Allgemeines/Auffälligkeiten/Trends : 3 x Schuldrecht, 2 x Sachenrecht, kaum ZPO etwas Erbrecht, Arbeitsrecht und HGB Klausur Nr. 1: Problemstellung : Gewerbe- und Wohnraummiete, Befristung und Kündigungsverzicht Sachverhalt : Der alleinstehende O stirbt am 01.02.12 und hinterlässt folgendes handschriftliches Testa- ment: „Mein letzter Wille! Mein vermietetes Gewerbe- und Wohngebäude in München, meine Bankkonten, mein Auto, meine Wohnungseinrichtung vermache ich meinem Neffen V. Meiner Nichte N vererbe ich das Gemälde „Stadt am Fluss“. Das Rote Kreuz erbt 5.000,- , der Schützenverein S.eV 1.000,- . Mehr habe ich nicht. München, den 17.11.2010, O“ V stößt bzgl. des Gewerbe- und Wohngebäudes auf Schwierigkeiten: 1) Zahnarzt B hatte im ersten Stock Praxisräume angemietet. Über das Vertragsverhältnis existiert eine von O am 02.02.05 und von B am 23.05.05 unterschriebene Urkunde, nach der B die Praxisräume ab 01.07.05 befristet auf zehn Jahre für monatlich 2.500,- anmietet. B hatte zunächst gezögert, die Räume anzumieten und die von O am 02.02.05 zugesandte Vertragsurkunde nicht sofort unterschrieben. B fand aber keine anderen Räume, sodass er die Urkunde am 23.05.05 doch unterschrieb und sie am 27.05.05 dem O persönlich übergab. O erklärte , er habe das Geschäft schon als erledigt betrachtet; da die Räume aber noch frei seien, gehe die Sache in Ordnung. Das Mietverhältnis verlief zunächst problemlos, bis B am 02.01.12 dem O telefonisch erklärte, er wolle das Mietverhältnis zum 30.06.12 beenden, die Räume verlassen und danach keine Miete mehr bezahlen, da die Befristung mangels Schriftform unwirksam sei. B zieht am 30.06.12 aus der Praxis aus und über- sendet O die Praxisschlüssel mit einem Anschreiben, in dem er nochmals bekräftigte, dass das Mietver- hältnis beendet ist. O widerspricht und beschließt, gegen B gerichtlich vorgehen. 2) Die übrigen Stockwerke sind ausschließlich an Studenten vermietet. O will die Fluktuation unter den Mietern gering halten und nimmt in die seit Jahren verwendeten Mietverträge folgende Bestimmung auf: „Beide Mietparteien verzichten für die Zeit von zwei Jahren ab Beginn des Mietverhältnisses auf das Recht zur ordentlichen Kündigung. In der Folgezeit kann das Mietverhältnis von beiden Seiten nach den gesetzlichen Bestimmungen gekündigt werden“. S mietete von O zum 01.07.11 ein Appartement für monatlich 300,- (kalt). Da S jedoch lieber Mathe als Medizin studieren wollte, musste er den Studienort wechseln. Er kündigte daher das Mietverhältnis mit einem Schreiben, das O am 03.12.11 in seinem Briefkasten auffand, zum 29.02.12. O weist die Kündi- gung aufgrund der Vereinbarung mit S zurück. Trotzdem räumt S zum 29.02.12 die Wohnung und über- gibt V die Schlüssel. Anfang September 2012 verlangt S die in bar übergebene Mietkaution in Höhe von 900,- samt 50,- Zinsen heraus. V erklärt, er behalte das Geld ein, weil S ab März keine Miete mehr bezahlt hat und eine Neuvermietung erst zum 01.09.12 möglich war.

Life Law kompakt€¦ · aber keine anderen Räume, sodass er die Urkunde am 23.05.05 doch unterschrieb und sie am 27.05.05 ... (§ 146 BGB). Die „Annahme“ des B gilt gem

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Aktuelles Life & Law kompakt

hemmer! Life&Law 11/2012 829

Life & Law kompakt

Examensreport Bayern, Termin 2012-II

Hinweis: Die nachfolgenden Übersichten sind keine Musterlösungen. Sie sollen nur zur besseren Orientierung in Ihrer Examensvorbereitung dienen. Nur wer die Anforde-rungen des Examens kennt, lernt richtig.

A) Zivilrecht Al lgemeines/Auffäl l igkeiten/Trends: 3 x Schuldrecht, 2 x Sachenrecht, kaum ZPO etwas Erbrecht, Arbeitsrecht und HGB

Klausur Nr. 1:

Problemstellung: Gewerbe- und Wohnraummiete, Befristung und Kündigungsverzicht

Sachverhalt: Der alleinstehende O stirbt am 01.02.12 und hinterlässt folgendes handschriftliches Testa-ment: „Mein letzter Wille! Mein vermietetes Gewerbe- und Wohngebäude in München, meine Bankkonten, mein Auto, meine Wohnungseinrichtung vermache ich meinem Neffen V. Meiner Nichte N vererbe ich das Gemälde „Stadt am Fluss“. Das Rote Kreuz erbt 5.000,- €, der Schützenverein S.eV 1.000,- €. Mehr habe ich nicht. München, den 17.11.2010, O“

V stößt bzgl. des Gewerbe- und Wohngebäudes auf Schwierigkeiten:

1) Zahnarzt B hatte im ersten Stock Praxisräume angemietet. Über das Vertragsverhältnis existiert eine von O am 02.02.05 und von B am 23.05.05 unterschriebene Urkunde, nach der B die Praxisräume ab 01.07.05 befristet auf zehn Jahre für monatlich 2.500,- € anmietet. B hatte zunächst gezögert, die Räume anzumieten und die von O am 02.02.05 zugesandte Vertragsurkunde nicht sofort unterschrieben. B fand aber keine anderen Räume, sodass er die Urkunde am 23.05.05 doch unterschrieb und sie am 27.05.05 dem O persönlich übergab. O erklärte , er habe das Geschäft schon als erledigt betrachtet; da die Räume aber noch frei seien, gehe die Sache in Ordnung.

Das Mietverhältnis verlief zunächst problemlos, bis B am 02.01.12 dem O telefonisch erklärte, er wolle das Mietverhältnis zum 30.06.12 beenden, die Räume verlassen und danach keine Miete mehr bezahlen, da die Befristung mangels Schriftform unwirksam sei. B zieht am 30.06.12 aus der Praxis aus und über-sendet O die Praxisschlüssel mit einem Anschreiben, in dem er nochmals bekräftigte, dass das Mietver-hältnis beendet ist. O widerspricht und beschließt, gegen B gerichtlich vorgehen.

2) Die übrigen Stockwerke sind ausschließlich an Studenten vermietet. O will die Fluktuation unter den Mietern gering halten und nimmt in die seit Jahren verwendeten Mietverträge folgende Bestimmung auf: „Beide Mietparteien verzichten für die Zeit von zwei Jahren ab Beginn des Mietverhältnisses auf das Recht zur ordentlichen Kündigung. In der Folgezeit kann das Mietverhältnis von beiden Seiten nach den gesetzlichen Bestimmungen gekündigt werden“.

S mietete von O zum 01.07.11 ein Appartement für monatlich 300,- € (kalt). Da S jedoch lieber Mathe als Medizin studieren wollte, musste er den Studienort wechseln. Er kündigte daher das Mietverhältnis mit einem Schreiben, das O am 03.12.11 in seinem Briefkasten auffand, zum 29.02.12. O weist die Kündi-gung aufgrund der Vereinbarung mit S zurück. Trotzdem räumt S zum 29.02.12 die Wohnung und über-gibt V die Schlüssel. Anfang September 2012 verlangt S die in bar übergebene Mietkaution in Höhe von 900,- € samt 50,- € Zinsen heraus. V erklärt, er behalte das Geld ein, weil S ab März keine Miete mehr bezahlt hat und eine Neuvermietung erst zum 01.09.12 möglich war.

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Life & Law kompakt Aktuelles

hemmer! Life&Law 11/2012 830

1.a) Kann V von B die Zahlung der Miete von Juli 2012 bis Juni 2015 verlangen?

1.b) Welche prozessualen Möglichkeiten kämen zur Durchsetzung dieses Anspruchs in Betracht, wenn man ihn als gegeben unterstellt?

2. Muss V an S den Betrag von 950 € bezahlen?

Skizzierung der inhaltlichen Probleme:

Frage 1a): Anspruch des V gegen B auf Mietzahlung von Juli 2012 bis Juni 2015 in Höhe von monatlich 2.500,- € aus § 535 II BGB

A) Bestehen eines Mietverhältnisses zwischen V und B

B und V selbst haben keinen Mietvertrag geschlossen. V könnte aber als Erbe des O gem. § 1922 BGB in ein zwischen O und B bestehendes Mietverhältnis eingetreten sein.

I. Ein Vertragsschluss zwischen O und B fand jedenfalls in den mündlichen Verhandlungen am 27.05.05 statt, §§ 145, 147 BGB. Ob davor durch schriftlichen Vertrag bereits ein Vertragsschluss stattfand, kann hier noch dahinstehen, da ein länger als ein Jahr befristeter (Gewerberaum)mietvertrag bei fehlender Schriftform nicht unwirksam ist, §§ 578 II, I, 550 S. 1 BGB.

II. V müsste an Stelle des O in das bestehende Mietverhältnis eingetreten sein.

§§ 578 II, I, 566 I BGB ist nicht, auch nicht analog anwendbar, da § 566 BGB allein den Eintritt in den Mietvertrag kraft rechtsgeschäftlichen Erwerbs betrifft. V könnte jedoch als Gesamtrechtsnachfolger des O in den Mietvertrag eingetreten sein, §§ 1922, 1967 BGB. Dafür müsste V Erbe des O sein. Das Testa-ment vom 17.11.10 ist wirksam, §§ 2064, 2229 I, 2231 Nr. 2, 2247 BGB. Der Inhalt des Testaments musste ausgelegt werden. Maßstab ist der wahre Wille des Erblassers (§ 133 BGB), der in der Urkunde zumindest angedeutet sein muss (Andeutungstheorie). Die Auslegung ergibt hier, dass trotz des Wortlauts („vermache“) V Erbe sein sollte. V sollte aufgrund der Zuwendung des fast gesamten Vermögens (Grund-stück!) die starke Stellung eines Erben erhalten und nicht lediglich auf schuldrechtliche Ansprüche verwie-sen sein. Dies wird durch die Auslegungsregeln des § 2087 I, II BGB bestätigt.

Zwischenergebnis: Damit besteht ein Mietverhältnis zwischen V und B.

B) Beendigung des Mietverhältnisses durch ordentliche Kündigung des B vom 02.01.2012?

I. O ist am 02.01.12 telefonisch eine Kündigungserklärung des B zugegangen. Der Widerspruch des O ist unbeachtlich, da die Kündigung ein Gestaltungsrecht und vom Willen des Empfängers unabhängig ist. Die Erklärung wirkt auch für und wider V, §§ 1922, 1967 BGB.

II. Die Kündigung muss gem. § 580a II BGB (nicht § 573c BGB, vgl. § 578 II S. 1 BGB) bei der Geschäfts-raummiete spätestens am dritten Werktag eines Kalendervierteljahres zum Ablauf des nächsten Kalen-dervierteljahres erfolgen. Diese Frist hat O eingehalten, § 580a II BGB.

III. Unschädlich ist, dass die Erklärung mündlich abgegeben wurde, da § 578 II S. 1, I BGB auf die Form-vorschrift des § 568 I BGB (Wohnraummiete!) nicht verweist.

IV. Möglicherweise ist jedoch das Recht zur ordentlichen Kündigung ausgeschlossen, wenn der Mietver-trag wirksam auf zehn Jahre befristet war, Umkehrschluss aus § 542 II BGB.

1. Die Befristung scheitert nicht an § 575 BGB, da § 575 BGB auf die Gewerberaummiete nicht an-wendbar ist.

2. Der Mietvertrag könnte jedoch wegen §§ 578 II, I, 550 S. 1 BGB auf unbestimmte Zeit geschlossen worden sein, wenn der Vertrag nicht in schriftlicher Form geschlossen wurde, § 126 BGB.

a) Die Unterzeichnungen der Parteien sind zwar gem. § 126 II BGB auf derselben Urkunde enthalten, § 126 II BGB. Dies genügt für die Einhaltung der Schriftform aber nur dann, wenn die Unterschriften der Parteien Angebot (§ 145 BGB) und Annahme (§ 147 BGB) darstellen.

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Aktuelles Life & Law kompakt

hemmer! Life&Law 11/2012 831

b) Das Zusenden der unterschriebenen Vertragsurkunde durch O an B am 02.02.05 stellt ein Angebot i.S.d. § 145 BGB dar. Dieses Angebot könnte von B durch seine Unterschrift vom 23.05.05 angenommen worden sein, § 147 BGB. Allerdings kann gemäß § 147 II BGB der einem Abwesenden gemachte Antrag nur bis zu dem Zeitpunkt angenommen werden, in welchem der Antragende den Eingang der Antwort unter regelmäßigen Umständen erwarten darf. Hier war die Annahme mehr als drei Monate zu spät, so-dass das Angebot des O erloschen war (§ 146 BGB). Die „Annahme“ des B gilt gemäß § 150 I BGB als neuer Antrag. Diesen Antrag wiederum hat O am 27.05.05 angenommen, jedoch mündlich ohne Fixie-rung auf der Vertragsurkunde. Fraglich ist, wie sich dies auf § 550 BGB auswirkt. Die Schriftform i.R.d. Mietvertrags dient Beweiszwecken und soll dem Rechtsnachfolger des Vermieters Klarheit bzgl. beste-hender Mietverhältnisse verschaffen. Hier umfasst die Urkunde zwar einerseits alle wesentlichen Inhalte des bezweckten Mietverhältnisses, jedoch ist für einen Rechtsnachfolger wegen der Datumsangaben bzgl. der Unterschriften nicht klar ersichtlich, ob der Mietvertrag entgegen § 147 II BGB zustande kam.

Stellt man dagegen auf das Informationsbedürfnis eines etwaigen Grundstückserwerbers ab, so dürfte die Schriftlichkeit der Erklärungen der Vertragsbeteiligten ausreichen (so OLG Hamm, ZMR 2006, 205, 206; in diese Richtung auch BGH, Life & Law 2004, 796 ff. = NJW 2004, 2962 ff.; nach Ansicht des BGH ist die Schriftform eines langfristigen Mietvertrags gewahrt, wenn die Vertragsbestimmungen in einem unter-zeichneten Schreiben der einen Partei niedergelegt sind, das die andere ihrerseits unterzeichnet hat. Der nochmaligen Unterzeichnung durch die eine Partei unterhalb der Gegenzeichnung der anderen bedarf es nicht; vgl. auch Hemmer/Wüst, Schuldrecht III, Rn. 6a).

3. Wer die Einhaltung der Schriftform abgelehnt hat, konnte diskutieren, ob die Berufung auf die fehlende Schriftform durch B rechtsmissbräuchlich und damit treuwidrig war, § 242 BGB. Beide Parteien gingen übereinstimmend davon aus, am 27.05.05 den Inhalt der schriftlichen Vertragsurkunde zu bestätigen. Sie wollten die schriftliche Vertragsurkunde gegen sich gelten lassen. Die Warnfunktion des Schriftformerfor-dernisses war damit in Bezug auf die Vertragsparteien erfüllt. Schutzzweck des § 550 BGB ist aber, po-tenziellen Erwerbern Rechtsklarheit zu verschaffen. Aus diesem Grund wäre die Berufung auf den Form-mangel jedenfalls durch einen rechtsgeschäftlichen Erwerb nicht treuwidrig (Palandt, § 550 BGB, Rn. 12). Da sich hier nicht ein Grundstückserwerber, sondern der Mieter selbst auf die Nichteinhaltung der Form beruft, wäre eine Berufung auf die Nichteinhaltung der Form treuwidrig (a.A. sehr gut vertretbar).

Ergebnis: Der Anspruch des V auf Zahlung der Miete besteht (a.A. vertretbar).

Frage 1b): Prozessuale Möglichkeiten zur Durchsetzung dieses Anspruchs

A) Da nach der Durchsetzung dieses Anspruchs gefragt war und die Feststellungsklage dem B keinen vollstreckungsfähigen Titel für die Miete gibt, muss B Leistungsklage erheben. Das LG München ist sachlich zuständig gemäß §§ 1, 8 ZPO, §§ 23 Nr. 1, 71 I GVG, da die streitwertunabhängige sachliche Zuständigkeit des AG gem. § 23 Nr. 2a GVG nur für die Wohnraummiete gilt. Die örtliche Zuständigkeit folgt aus § 29a I Alt. 2 ZPO, der bei jeder Raummiete gilt.

Hinsichtlich der für den Zeitraum von Oktober 2012 bis 2015 noch nicht fälligen Miete (vgl. §§ 579 II, 556b I BGB) gibt § 258 ZPO die Möglichkeit, auf wiederkehrende Leistung zu klagen. Nach h.M. fallen aber im Gegenseitigkeitsverhältnis stehende Rechtsverhältnisse (wie z.B. die Miete), deren Vorausset-zungen nicht nur vom Zeitablauf abhängig sind, sondern Tag für Tag neu festzustellen sind, nicht unter § 258 ZPO. Da B aber bereits ausgezogen ist, besteht die Besorgnis, dass sich B der rechtzeitigen Leis-tung entzieht. Daher ist die Klage auf künftige Leistung jedenfalls nach § 259 ZPO zulässig.

B) Bezüglich der ausstehenden Mietzahlungen erscheint auch ein Vorgehen im Wege des Mahnverfah-rens, §§ 688 ff. ZPO, möglich, jedoch angesichts des zu erwartenden Widerspruchs des B (§ 694 ZPO) wenig zielführend. Für die künftige Miete kommt das Mahnverfahren nicht in Betracht, § 688 II Nr. 2 ZPO.

Ergebnis: V wird also vor dem LG München Leistungsklage und Klage auf künftige Leistung gem. § 259 ZPO erheben. Die gleichzeitige Erhebung einer Feststellungsklage im Wege der objektiven Klagehäu-fung (§ 260 ZPO) ist vertretbar.

Frage 2: Anspruch des V gegen S auf Zahlung von 950,- €

A) Anspruchsgrundlage: Die Kaution ist eine Sicherheitsleistung des Mieters an den Vermieter. Sie hat ihren Rechtsgrund in der diesbezüglichen Sicherungsabrede im Mietvertrag zwischen den Parteien. § 551 BGB setzt die Möglichkeit einer Sicherungsabrede voraus und begrenzt diese im Umfang. Ein Anspruch auf Rückgewähr ergibt sich somit aus der Sicherungsabrede des Mietvertrags selbst, jedenfalls im Wege ergänzender Vertragsauslegung, §§ 133, 157 BGB.

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Life & Law kompakt Aktuelles

hemmer! Life&Law 11/2012 832

B) Höhe des Anspruchs: Der Anspruch des S besteht jedenfalls in Höhe der geleisteten 900,- €. S kann auch die Herausgabe der Zinsen in Höhe von 50,- € verlangen, da diese gem. § 551 III S. 3 BGB die Si-cherheit erhöhen. Zwar besteht bei Wohnraum in einem Studentenwohnheim keine Verzinsungspflicht, § 551 III S. 5 BGB. Ein Studentenwohnheim liegt hier aber nicht vor, weil O das Gebäude als Geschäfts- und Wohngebäude nutzt. Der mögliche Anspruch besteht also in Höhe von 950,- €.

C) Fälligkeit des Anspruchs: Die Kaution dient der Sicherheit des Vermieters. Sie ist herauszugeben, wenn ein Sicherungsbedürfnis des Vermieters nicht mehr besteht. Der Umstand, dass seit Anfang September 2012 Ansprüche wegen etwaiger Beschädigungen der Mietsache gemäß § 548 I S. 1 u. 2 BGB verjährt sind, schließt im Hinblick auf § 215 BGB ein etwaiges Zurückbehaltungsrecht des V nicht aus. Derartige Ansprüche sind aber laut Sachverhalt nicht gegeben.

D) Erlöschen des Anspruchs durch Aufrechnung, § 389 BGB: S hat ab dem 01.03.2012 keine Miete mehr bezahlt. Hätte V gegen S noch einen Anspruch auf Mietzahlung, so könnte er gegen den Anspruch auf Rückzahlung der Kaution aufrechnen. Ein möglicher Anspruch auf Mietzahlung könnte sich aus § 535 II BGB ergeben, wenn das Mietverhältnis durch das Schreiben von S, welches O am 03.12.11 in seinem Briefkasten auffand, nicht wirksam ordentlich gekündigt worden wäre.

I. O ist am 03.12.11 eine schriftliche (§ 568 I BGB) Kündigung zugegangen, § 130 I S. 1 BGB. Die Kündi-gungsfrist des § 573c I S. 1 BGB hat S eingehalten. Der Monat Dezember wird mitgerechnet, da die Kün-digung am dritten Werktag dieses Monats dem O zuging.

II. Das Recht zur ordentlichen Kündigung könnte jedoch durch die wirksam in den Vertrag einbezogene (§ 305 II BGB) formularvertragliche Vertragsbestimmung (§ 305 I BGB) ausgeschlossen sein.

1. Die Klausel verstößt nicht gegen § 573c IV BGB. Durch einen Kündigungsverzicht werden die Kündi-gungsfristen nicht verändert, da sich die Frage, mit welcher Frist das Mietverhältnis gekündigt werden kann, erst dann stellt, wenn dem Kündigenden überhaupt ein Kündigungsrecht zusteht.

3. Die Klausel verstößt auch nicht gegen § 575 IV BGB. Es handelt sich vorliegend gerade nicht um einen Zeitmietvertrag, denn das Mietverhältnis soll nach Ablauf der zwei Jahre nicht enden, sondern fort-gesetzt werden. Lediglich ist das Kündigungsrecht insoweit ausgeschlossen.

4. Möglicherweise ist die Klausel jedoch gemäß § 307 BGB unwirksam, weil sie S unangemessen be-nachteiligt. Dies ergibt sich nicht bereits aus einer Gefährdung der Erreichung des Vertragszwecks, § 307 II Nr. 2 BGB. Der Vertragszweck (Überlassung der Mietsache) wird nicht etwa in Frage gestellt, sondern durch die beidseitige Vereinbarung eines Kündigungsverzichts sogar gesichert. Eine unange-messene Benachteiligung lässt sich auch nicht aus dem Prinzip der Waffengleichheit zwischen Vermie-ter und Mieter bejahen. Das Recht zur ordentlichen Kündigung wurde für beide Parteien ausgeschlossen. Der Verwender O könnte jedoch seine eigenen Interessen ohne Rücksicht auf die schutzwürdigen Belan-ge des Vertragspartners mittels AGB durchgesetzt haben. Das Interesse des O, starke Fluktuation unter den Mietern zu vermeiden, ist schützenswert. Dies zeigt die Wertung des § 557a III S. 1 BGB, nach dem bei einer Staffelmiete das Kündigungsrecht des Mieters für höchstens vier Jahre ausgeschlossen werden kann. Diese vier Jahre sind hier nicht erreicht. Jedoch ist zu beachten, dass es sich bei S um einen Stu-denten handelt, was O, der nur an Studenten vermietet, auch wusste. Studenten haben jedoch gerade angesichts eines möglichen kurzfristigen Studienplatz- sowie Studienortwechsels ein besonderes Mobilitätsinteresse. Ein Kündigungsausschluss auch für zwei Jahre würde vielfach einen Studienplatz-wechsel und damit eine für die Zukunft des Studenten wesentliche Entscheidung unmöglich machen, da der gewöhnliche Student sich die Anmietung einer weiteren Wohnung nicht wird leisten können. Auch die Stellung eines Ersatzmieters ist ungewiss. Im Übrigen muss festgestellt werden, dass bei der bei der Ü-berprüfung der Wirksamkeit einer AGB gebotenen mieterfeindlichsten Auslegung das Kündigungsrecht nicht lediglich für zwei Jahre, sondern für zwei Jahre zuzüglich der gesetzlichen Kündigungsfrist ausge-schlossen ist. Die Klausel verstößt gegen § 307 I BGB und ist unwirksam. Damit gilt gemäß § 306 I BGB die gesetzliche Regelung. Damit ist das Mietverhältnis zum 29.02.12 beendet worden, ein An-spruch auf Mietzahlung des V gegen S besteht nicht mehr, sodass auch ein Sicherungsinteresse des V nicht mehr besteht.

Ergebnis Frage 2: Der Anspruch des S auf Herausgabe der 950,- € besteht.

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hemmer! Life&Law 11/2012 833

hemmer-Trainingsplan-Info: Der Laie, der „vererben“ und „vermachen“ verwechselt, ist ein absoluter Klassiker (zur Testamentsauslegung vgl. ausführlich Fall 1, ErbR). Wer bei den mietrechtlichen Fragen Verständnis der Gesetzessystematik zeigt und an den problematischen Stellen juristisch sauber argumen-tiert, wird gut punkten. Essentiell ist es, sauber zwischen Gewerberaummiete in Teil 1 und Wohn-raummiete in Teil 2 zu trennen. Die Vorschriften der Wohnraummiete, §§ 549 - 577a BGB, sind bei der Gewerberaummiete gerade nicht anwendbar, es sei denn es wird in § 578 II, I BGB ausdrücklich auf sie verwiesen. In unserem Hauptkurs wurde auf diese Schwierigkeit mehrfach und eindringlich hingewiesen. Wer diesen Hafen des Mietrechts nicht kennt, für den war leider in dieser Klausur kein Wind günstig. Teil 2 enthält eine für den Studenten ungewohnte Fragestellung. Jedoch waren auch hier mit sauberer juristischer Methodik die Probleme zu erkennen und zu lösen. Der aufmerksame Life & Law-Leser wird sich an die Problematik erinnert haben, vgl. BGH, Life & Law 2009, 856 f. in Abgrenzung zu BGH, Li-fe & Law 2005, 651 ff. bzw. BGH, Life & Law 2011, 158 ff. Hierauf wurde im Hauptkursprogramm auch in Arbeitshinweis 10 zu Fall 8, SchuldR-BT verwiesen. Die Länge der Klausur konnte jedoch den Bearbeiter vor einige Probleme stellen, sodass insgesamt der Termin 2012-II mit einer anspruchsvollen, aber lösbaren Klausur begonnen hat. Wer nur auswendig lernt, hatte hier verloren.

Klausur Nr. 2:

Problemstellung: Umfangreiche Klausur, die viele Grundfragen des Zivilrechts berührt: Stellvertre-tungsrecht, c.i.c., Sachenrecht; dazu etwas Arbeits-, Handels- und Gesellschaftsrecht Ausgangsfall: P absolviert ein unbezahltes Praktikum bei E, der als eingetragener Kaufmann eine Su-permarktkette betreibt. Dabei soll P lediglich die Geschäftsabläufe kennen lernen, besondere Aufgaben hat er nicht. Am 19.04.12 nimmt P ein Fax aus dem Faxgerät des E, in dem der Autoimporteur A diesem einen Kooperationsvertrag anbietet: E soll Autos von A abnehmen und in seinen Supermärkten verkaufen. Beigefügt ist auch ein Vertragsangebot über ein bestimmtes Auto zum Preis von 7.000,- €. P hält dies für eine gute und für E lukrative Idee und glaubt, seinem Chef einen Gefallen zu tun, indem er den Kaufver-trag und den Vertriebsvertrag mit „i.A. P“ unterzeichnet, den Firmenstempel, den er aus dem Sekretariat nimmt, beifügt und die Verträge an A zurücksendet. Als A das Auto anliefert, nimmt P dieses ab und weist den Fuhrparkleiter des E „im Auftrag des E“ an, in das Auto eine Einparkhilfe einbauen und das Auto zur Zulassung anzumelden, damit die potenziellen Kunden des E auf dem Supermarktparkplatz Probefahrten machen können. Das Parksystem, das wesentlicher Bestandteil des Wagens wird, erhöht dessen Wert um 400,- €. Die Zulassung kostet 80,- €, wobei der Wagen aufgrund der Erstzulassung 1.000,- € an Wert einbüßt. Als er – fest mit der Genehmigung durch E rechnend – diesen informiert, ist E empört. E erklärt gegenüber A, dass er kein Interesse an einer Kooperation habe und P nicht berechtigt war, irgendwelche Verträge zu schließen.

1. Kann A von E Kaufpreiszahlung verlangen?

2. Unterstellt, ein Anspruch auf Kaufpreiszahlung besteht nicht: Kann A das Auto zurückverlan-gen, ohne Ersatz für das Parksystem und die Zulassung (480,- €) bezahlen zu müssen?

3. Unterstellt, A kann den Wagen zurückverlangen: Kann er Schadensersatz wegen der durch die Zulassung verursachten Wertminderung (1.000,- €) von E verlangen?

4. Kann E wegen der ihm entstandenen Vermögensschäden, einschließlich der Anwaltskosten, Regress bei P nehmen? Auf das BBiG ist nicht einzugehen.

Abwandlung: Der Supermarkt wird als KG betrieben, Komplementäre sind E und D, K ist Kommanditist mit einer im Handelsregister eingetragenen Einlage von 50.000,- €. K hatte jedoch nur 20.000,- € er-bracht, den Rest haben ihm die Gesellschafter wegen eines finanziellen Engpasses erlassen. Am 31.03.12 scheidet D aus Altersgründen aus der KG aus, was erst am 02.05.12 zur Eintragung ins Han-delsregister angemeldet wird. Am 19.04.12 schließen A und die KG einen wirksamen Kaufvertrag über ein Auto zum Preis von 7.000,- €. A hatte dabei keine Kenntnis vom Ausscheiden des D.

Frage: Kann A Kaufpreiszahlung von D und K verlangen?

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hemmer! Life&Law 11/2012 834

Skizzierung der inhaltlichen Probleme:

Ausgangsfall

Frage 1: Anspruch des A gegen E auf Kaufpreiszahlung, § 433 II BGB Das Fax des A war ein Angebot (§ 145 BGB) zum Abschluss eines Kaufvertrags. Fraglich ist, ob E bei der Annahme wirksam von P vertreten wurde, § 164 I S. 1 BGB. P gab eine eigene Willenserklärung offen-kundig im Namen des K („i.A.“ und Verwendung des Firmenstempels) ab. Da ihm jedoch keine Vollmacht erteilt wurde, kommt allenfalls eine Rechtsscheinvollmacht in Betracht. 1. Zunächst war § 56 HGB zu diskutieren, da P Angestellter im Laden des Kaufmanns K war. Da es sich bei § 56 HGB um einen Fall der Rechtsscheinvollmacht handelt und mit „angestellt“ daher keine rechtsge-schäftliche Anstellung gemeint ist, kann die Rechtsnatur des Praktikantenverhältnisses an dieser Stelle (noch) dahinstehen. § 56 HGB entfällt aber, da nach dem Wortlaut der Norm lediglich Verkäufe und Emp-fangnahmen und gerade keine Ankäufe erfasst werden. Eine Analogie scheitert mangels planwidriger Regelungslücke, da der Rechtsverkehr nicht darauf vertrauen kann, einem Kaufmann in dessen Laden etwas zu verkaufen. Ferner handelt es sich beim Ankauf eines Pkw auch nicht um ein Geschäft, das in einem Supermarkt „gewöhnlich“ geschieht. 2. Eine Duldungsvollmacht scheitert, da E keine Kenntnis vom Auftreten des P als Vertreter hatte. 3. Der Streit, ob eine Anscheinsvollmacht überhaupt zur vertraglichen Verpflichtung führen kann, kann im Ergebnis dahinstehen, da P hier zum ersten Mal als Vertreter des E auftrat und die sonstigen Indizien des Sachverhalts (Herumliegenlassen des Stempels, Zugang zum Faxgerät) keine ausreichende Rechts-scheinbasis für eine Anscheinsvollmacht begründen. Ergebnis: Da P als falsus procurator handelte und E die Genehmigung verweigert hat, war der zunächst schwebend unwirksame Vertrag (§ 177 I BGB) endgültig unwirksam. Ein Anspruch besteht nicht.

Frage 2: Herausgabeanspruch A gegen E bezüglich des Autos

I. Anspruch auf Herausgabe des Besitzes gem. § 985 BGB

1. Da auch die dingliche Einigung an der fehlenden Vertretungsmacht scheitert, ist A Eigentümer geblie-ben. § 56 HGB hilft nicht weiter, weil es sich bei der Übereignung eines Pkw nicht mehr um eine gewöhn-liche Empfangnahme für einen Supermarkt handelt. E hat durch P als Besitzdiener (§ 855 BGB) Besitz erlangt. Ein Recht zum Besitz (§ 986 I S. 1 BGB) ergibt sich weder aus dem Kaufvertrag, da dieser un-wirksam ist, noch aus § 1000 BGB, weil dieser lediglich ein Zurückbehaltungsrecht verschafft (a.A. BGH). 2. Fraglich ist, ob E ein Zurückbehaltungsrecht nach § 1000 BGB geltend machen kann. Hierzu müsste er Verwendungen i.S.d. §§ 994 ff. BGB getätigt haben. Verwendungen sind freiwillige Vermögensopfer (Auf-wendungen), die der Sache zugutekommen. a) Die Zulassungskosten (80,- €) mögen fehlgeschlagene Aufwendungen i.S.d. § 284 BGB darstellen (BGH, Life & Law 2005, 719 ff., Heft 11 = NJW 2005, 2848 ff.). Sie kommen aber nicht dem Auto zugute, da der Wert des Autos dadurch im Gegenteil wird sogar verringert wird. b) Der Einbau des Parkgeräts kommt dem Auto dagegen unmittelbar zugute, sodass eine Verwendung vorliegt. Auf den Streit, ob eine Verwendung einen Eigentumsverlust voraussetzt (so Palandt, § 994 BGB, Rn. 3), kam es nicht entscheidend an, da die Einparkhilfe laut Sachverhalt wesentlicher Bestandteil des Autos wurde und damit gem. § 947 II BGB nach dem Einbau dem A gehörte. Da das Parkgerät weder für den Erhalt noch die ordnungsgemäße Bewirtschaftung des Autos erforderlich war, handelt es sich nicht um eine notwendige Verwendung nach § 994 BGB, sondern allenfalls um eine nützliche Verwendung, weil der Wert des Autos dadurch objektiv erhöht wird. Dass die Einparkhilfe für A subjektiv wertlos ist, lässt sich dem Sachverhalt nicht entnehmen, sodass keine Luxusverwendung vor-liegt. Nach § 996 BGB kann E diese aber nur ersetzt verlangen, wenn er gutgläubig bezüglich eines Be-sitzrechts gegenüber A war. E selbst war nicht bösgläubig. Möglicherweise muss er sich die Bösgläubig-keit des P zurechnen lassen. P vertraute zwar darauf, dass der Vertrag genehmigt wird, wusste jedoch aber auch, dass kein Besitzrecht besteht, solange die Genehmigung ausbleibt. Insofern ist P in Bezug auf das Recht zum Besitz bösgläubig i.S.d. §§ 990 I S. 1, 932 II BGB analog. Problematisch ist die Zurech-nung. Nach Ansicht des BGH kann der böse Glaube von Besitzdienern nur zugerechnet werden, wenn diese Vertretungsbefugnisse haben (sog. Repräsentanten), § 166 I BGB analog. Nach h.M. erfolgt daher keine Zurechnung, da P keine Vertretungsbefugnis hatte. Damit steht E ein Verwendungsersatzanspruch nach § 996 BGB und damit ein ZBR gem. § 1000 BGB zu.

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c) Ein Verwendungsersatzanspruch nach §§ 670, 683, 677 BGB bzw. §§ 951 I S. 1, 812 I S. 1 Alt. 1 BGB kommt darüber hinaus nicht in Betracht, da durch einen Rückgriff auf diese Vorschriften die differenzierte Re-gelung der §§ 994 ff. BGB umgangen werden würde. (Eine a.A. war vertretbar, wenn man mit einer teilweise vertretenen Literaturansicht § 831 BGB analog anwendet; auch ein Praktikant ist grundsätzlich weisungsge-bunden, selbst wenn er keine konkreten Aufgaben hat. Nach dieser Ansicht kann E den Einbau nicht nach § 996 BGB ersetzt verlangen. Ein Rückgriff auf §§ 951 I, 947 II, 93, 812 I S. 1 Alt. 2 BGB kommt nicht in Be-tracht, da die §§ 994 ff. BGB jedenfalls dann abschließend sind, wenn es sich um Verwendungen i.S.d. §§ 994 ff. BGB handelt. Dem E stünde danach also lediglich ein Wegnahmerecht nach § 997 I S. 1 BGB zu). II. Der Anspruch ergibt sich auch aus § 812 I S. 1 Alt. 1 BGB, da der Kaufvertrag unwirksam ist, § 177 BGB (s.o.). Dem E steht aber wiederum ein ZBR analog § 1000 BGB zu (§ 273 II BGB entfällt nach h.M., da der Verwendungsersatzanspruch nicht fällig ist, vgl. § 1001 BGB). III. Bejaht man die Gutgläubigkeit des E, entfällt ein Anspruch aus § 1007 I BGB. Auch §§ 861, 1007 II BGB kommen nicht in Betracht, da weder verbotene Eigenmacht noch Abhandenkommen vorliegen.

Frage 3: Ersatz für die Wertminderung

I. Anspruch auf Schadensersatz gem. §§ 280 I, 311 II Nr. 2, 241 II BGB aus c.i.c.

1. Fraglich ist bereits, ob sich ein vorvertragliches Schuldverhältnis aus Vertragsanbahnung allein dadurch ergibt, dass A dem E ein Fax schickt. Allerdings entspricht es wohl den Gepflogenheiten des Handelsverkehrs, durch einseitige Kontaktaufnahmen in Verhandlungen einzutreten, um auf diese Weise schnelle Transaktionen zu ermöglichen (a.A. vertretbar).

2. Problematisch ist ferner, ob eine von E zu vertretende Pflichtverletzung vorliegt. a) Eine eigene Verletzung von Organisationspflichten des E ist nicht anzunehmen, da P als Praktikant zufällig neben dem Faxgerät stand. Die Möglichkeit, auf den Firmenstempel zuzugreifen, begründet für sich allein noch kein Organisationsverschulden (a.A. vertretbar). b) In Betracht kommt aber eine Zurechnung der Pflichtverletzung des P gem. § 278 BGB. Ob das Handeln eines falsus procurator über § 278 BGB dem Vertretenen zugerechnet werden kann, ist umstritten, weil durch diese Haftung u.U. der Schutz des Vertretenen (§ 177 BGB) unterlaufen wird. Die wohl überwie-gende Meinung akzeptiert die Haftung aus §§ 280 I, 311 II, 241 II BGB i.V.m. § 278 BGB, da § 177 BGB lediglich die Inanspruchnahme auf Erfüllung ausschließen soll (Palandt, § 179 BGB, Rn. 9; § 311 BGB, Rn. 28). Nach a.A. wird die Haftung eingeschränkt und eine Zurechnung nur dann bejaht, wenn die Pflichtverletzung des falsus procurator über das Vortäuschen von Vertretungsmacht hinausgeht (Canaris, JuS 1980, 332 ff.). Hier handelt es sich um eine Wertungsfrage, wem man die Risiken aus dem voll-machtlosen Handeln zuweisen will. Bei entsprechender Begründung waren beide Ansichten vertretbar. Im vorliegenden Fall kam aber erschwerend hinzu, dass P auch noch den Fuhrparkleiter ohne vorherige Nachfrage bei E angewiesen hat, den Pkw zuzulassen und eine Einparkhilfe einzubauen. Daher sprechen die besseren Argumente dafür, dem E das schuldhafte Verhalten nach § 278 BGB zuzurechnen. 3. Der von E zu ersetzende Schaden liegt in der Wertminderung des Fahrzeugs. Eine Vorteilsanrechnung bezüglich der Zulassungskosten wäre unbillig, da die Zulassung des Wagens dem A als Importeur keine spürbaren Vorteile bringt. II. Anspruch auf Schadensersatz gem. §§ 989, 990 BGB

Wer die Zurechnung der Bösgläubigkeit verneint, musste einen Anspruch aus §§ 989, 990 BGB ablehnen.

III. Ein Anspruch auf Schadensersatz aus § 823 I BGB (Eigentumsverletzung) bzw. § 831 I BGB schei-tert an der Sperrwirkung des EBV, § 993 I BGB a.E.

Frage 4: Regress des E bei P I. Anspruch gem. § 280 I BGB i.V.m. § 611 BGB bzw. Praktikantenvertrag bzw. § 311 II Nr. 3 BGB 1. Zunächst war zu erörtern, ob der „Praktikantenvertrag“ ein Schuldverhältnis i.S.d. § 280 BGB begrün-det. Unter einem Praktikanten versteht das BAG jemanden, der eine Zeitlang im Betrieb praktisch arbeitet, um sich die zur Vorbereitung auf einen Beruf notwendigen praktischen Kenntnisse und Erfahrungen an-zueignen. Dabei handelt es sich grds. nicht um ein Arbeitsverhältnis und – da das BBiG außer Betracht bleiben sollte – auch nicht um ein Ausbildungsverhältnis. Mangels Vergütungsanspruch lag auch kein Dienstvertrag vor. Da P auch keinerlei Aufgaben hatte, war auch ein Auftragsverhältnis i.S.d. § 662 BGB zu verneinen. Aufgrund der Verbindlichkeit eines Praktikums für das BWL-Studium war auch ein reines Gefälligkeitsverhältnis abzulehnen. Da jedoch gegenseitige Rücksichtnahmepflichten bestehen, lag ein Vertrag sui generis (§ 311 I BGB) bzw. zumindest ein rechtsgeschäftsähnliches Sonderverhältnis i.S.d. § 311 II Nr. 3 BGB vor.

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2. Die Verletzung zumindest einer Rücksichtnahmepflicht nach § 241 II BGB besteht darin, dass P ohne Erlaubnis einen Vertrag im Namen des E geschlossen und über den in dieser Weise „erworbenen“ Ge-genstand verfügt hat. Eine Rechtfertigung durch berechtigte GoA, § 677 BGB, kommt nicht in Betracht, da die Handlungen des P dem wirklichen Willen des E widersprachen.

3. Das Vertretenmüssen des P wird vermutet. Außerdem ist dem P ein Verschulden nachzuweisen, so-dass die Frage, ob § 619a BGB zur Anwendung kommt, nicht entscheidungserheblich ist.

Da P ein unentgeltliches Praktikum absolvierte, konnte ein stillschweigender Haftungsausschluss disku-tiert werden, den die Rechtsprechung aber grds. nur für leichte Fahrlässigkeit und dies nur in Ausnahme-fällen bejaht. Hier hat P seine Schutzpflichten aber vorsätzlich verletzt, sodass ein stillschweigender Haf-tungsausschluss nicht in Betracht kommt, § 276 III BGB. Auch eine Haftungsprivilegierung im Wege einer Gesamtanalogie zu den §§ 599, 521, 690 BGB bei nicht auftragsähnlichen unentgeltlichen Verträgen hilft unabhängig von der Frage, ob dies möglich ist, aus diesem Grund nicht weiter.

4. Die an A zu leistende Wertminderung sowie die Kosten für die Zulassung stellen einen kausalen, durch das Fehlverhalten des P entstandenen Schaden dar. Hinsichtlich des Schadensersatzverlangens des A kann E von P gem. § 249 I BGB Freistellung verlangen.

Da E die Kosten für die Einparkhilfe ersetzt bekommt, liegt diesbezüglich kein ersatzfähiger Schaden vor. Bei den vorprozessualen Anwaltskosten handelt es sich zwar grds. um freiwillige Vermögensopfer und damit um Aufwendungen. Allerdings durfte sich E zur Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts herausge-fordert fühlen, sodass ein kausaler Rechtsverfolgungsschaden vorliegt.

5. Eine Anspruchskürzung nach den Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs analog § 254 BGB kommt nicht in Betracht. Diese Grundsätze sind zwar auf Berufsausbildungsverträge anwend-bar, § 10 II BBiG. Auf das BBiG war aber laut Bearbeitervermerk nicht einzugehen. Da P nicht in den Be-trieb eingliedert war, keinerlei Aufgaben hatte und damit nicht fremdbestimmte Arbeit geleistet hat, sind Sinn und Zweck dieser Arbeitnehmerprivilegierung im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Eine andere Ansicht war bei entsprechender Begründung vertretbar. Dann müsste man das Verschulden bezüglich der Schadensentstehung untersuchen. Vieles spricht dafür, dass P den Schaden des E grob fahrlässig her-beigeführt hat, sodass auch bei Anwendung der Grundsätze zum innerbetrieblichen Schadensausgleich P die volle Haftung trifft.

II. Ein Anspruch aus § 823 I BGB scheitert, da das Vermögen kein geschütztes Rechtsgut ist. Eine (we-nigstens bedingt) vorsätzliche Schädigung i.S.d. § 826 BGB liegt nicht vor, da P in sicherer Erwartung der späteren Billigung durch E gehandelt hat.

Abwandlung: In Betracht kommt eine Haftung aus § 433 II BGB i.V.m. §§ 161 II, 128 S. 1, 160 I S. 1 HGB.

I. Allerdings wurde die Verbindlichkeit nach dem Ausscheiden des D begründet, sodass D hierfür grds. nicht mehr haftet (Umkehrschluss aus § 160 HGB). Die Registereintragung ist insoweit lediglich deklarato-risch, §§ 161 II, 143 II, I S. 1 HGB. Da das Ausscheiden jedoch nicht eingetragen wurde und A keine Kenntnis hiervon hatte, ergibt sich eine Haftung des D aus § 15 I HGB i.V.m. 161 II, 143 II, I S. 1 HGB.

II. Die persönliche Haftung des K als Kommanditist könnte jedoch ausgeschlossen sein, wenn er seine Einlage voll geleistet hätte (§ 171 I HS 2 HGB). Geleistet hat K aber nur 20.000,- €. Der Erlass der restli-chen Einlageschuld i.H.v. 30.000,- € im Innenverhältnis ist vor Eintragung im Handelsregister den Gläubi-gern gegenüber nicht wirksam, §§ 172 III, 174 HGB. Auch K kann daher unmittelbar mit seinem Privat-vermögen von A in Anspruch genommen werden.

hemmer-Trainingsplan-Info: Eine umfangreiche und durchaus anspruchsvolle Klausur. Wer nur Wissen ohne Methodik gelernt hat, hat hier die vermeintliche „leichte“ Klausur geschrieben. Die Hauptprobleme waren alle Gegenstand unseres Kursprogramms: Rechtsscheinvollmachten werden in Fall 18, BGB-AT behandelt, § 56 HGB in Fall 2, Handels- und Gesellschaftsrecht. Die Zurechnung der Bösgläubigkeit von Besitzdienern i.R.d. § 990 BGB wird in den Fällen 1 und 4, Sachenrecht erörtert. Das EBV ist Ge-genstand von Fall 10, Sachenrecht. Die Problematik der Haftung des Vertretenen aus c.i.c. für die Hand-lungen des falsus procurator wird im Hauptkurs 3 x (!!!) besprochen. Sie ist Gegenstand von Fall 5, BGB-AT (Vertiefungsfrage) und wird ausführlich in Fall 5, ZPO I und Fall 4, HGB behandelt. Die Haftung des ausgeschiedenen Gesellschafters über §§ 143 II, 15 I HGB ist Gegenstand von Fall 2, HGB. Die Unwirk-samkeit der Herabsetzung der Einlage eines Kommanditisten gegenüber den Gläubigern wird in Fall 4, HGB behandelt. Diese Frage war auch Gegenstand der Klausur Nr. 1478.

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Klausur Nr. 3:

Problemstellung: Überwiegend Schuldrecht-AT, Sachenrecht und Verbraucherschutzrecht

Sachverhalt: M mietet bei der Autovermietung des V am 11.07.12 für drei Tage à 50 € einen Pkw, wobei er die gesamte Miete sofort bezahlt. Die Rückgabe wird für den 13.07.12 während der Geschäftszeiten zwischen 14:00 und 18:00 Uhr vereinbart. Die Frage des M, ob er das Auto auch auf dem Gelände abstel-len und den Schlüssel in den Briefkasten einwerfen könne, verneint V unter Hinweis auf die Diebstahlge-fahr und seine Absicht, dieses gleich auf dessen ordnungsgemäßen Zustand hin ansehen zu wollen. Am 12.07.12 entdeckt M in einem Inserat des Rentners R sein Wunschauto, einen gebrauchten Pkw „blue star“ für 20.000,- €. Bei einem persönlichen Gespräch erklärt R, der Wagen sei zu dem Preis noch zu haben. M bittet darum, eine Anzahlung von 9.000,- € leisten zu dürfen und den Rest in monatlichen Raten à 1.000,- € ab 01.08.12 zu zahlen. Zudem würde er gerne trotzdem sogleich das Eigentum am Pkw übertragen bekom-men. R willigt ein, verlangt aber einen um 5 % höheren Kaufpreis, insgesamt also 21.000,- € (9.000,- € Anzahlung plus zwölf Monatsraten à 1.000,- €). M ist einverstanden, leistet die Anzahlung und nimmt den Pkw mit. Am 13.07.12 kündigt M dem V um 16:00 Uhr telefonisch an, den gemieteten Pkw um 17:00 Uhr zurückzu-bringen. Trotz der Zusage des V ist dieser um 17:00 Uhr dort nicht anzutreffen. M wartet bis 18:00 Uhr und fährt dann wieder heim. V erscheint erst um 19:00 Uhr wieder in seinem Geschäft, da er seinen Sohn kurzfristig um 16:30 Uhr zum Fußballspielen fahren musste. Auf der Heimfahrt stößt M leicht fahrlässig (Verursachungsbeitrag 60 %) mit dem Pkw des ebenso leicht fahrlässig handelnden D (Verursachungsbeitrag 40 %) zusammen. Der Pkw erleidet einen Totalschaden. Nun stellt sich heraus, dass der angemietete Pkw, bevor er in den Besitz des V gelangt war, dem E gehört hatte und diesem vor vier Jahren gestohlen worden war. Dies war wegen gut gefälschter Papiere weder für V, der den Pkw ein Jahr später vom Dieb gekauft hatte, noch für M erkennbar. E erkundigt sich bei Rechtsanwalt A, von wem er Schadensersatz verlangen könne. Nach seinem Rechtsgefühl müsse M einen Vorteil davon haben, dass er von der Eigentümerstellung des E nichts wuss-te und den Pkw vor dem Unfall eigentlich an V zurückgegeben haben wollte. Dies hätte sich für M positiv ausgewirkt, wenn V Eigentümer gewesen wäre, sodass gegenüber E eigentlich nichts anderes gelten könne. Nachdem M an R pünktlich in Raten 7.000,- € des Restkaufpreises überwiesen hatte, nimmt R bei der B-Bank ein Darlehen i.H.v. 10.000,- € auf, zu dessen Tilgung er die restliche Kaufpreisforderung i.H.v. 5.000,- € gegen M abtritt. R vergisst jedoch, den M entsprechend zu unterrichten. M zahlt die folgende Kaufpreisrate nicht, sondern rechnet gegenüber R mit einer fälligen Gegenforderung i.H.v. 1.000,- € auf. Erst dann verweist R den M an die B. M zahlt in den folgenden sechs Monaten Raten weder an R noch B, woraufhin B von M Zahlung von 5.000,- € verlangt. 1. Kann E von M und D Ersatz des vollen Wertes des angemieteten Pkw verlangen? 2. Kann B von M Zahlung verlangen und falls ja, in welcher Höhe?

Hinweis: Normen des StVG und der Einfluss der Betriebsgefahr auf Ansprüche außerhalb des StVG bleiben außer Betracht. Gleiches gilt für versicherungsrechtliche Fragen.

Skizzierung der inhaltlichen Probleme:

Frage 1: Ansprüche des E auf Ersatz des Wertes des angemieteten Pkw

I. Ansprüche des E gegen M

1. Vertragliche Ansprüche entfallen. Insbesondere hat der Mietvertrag zwischen V und M keine Schutzwirkung für E.

2. Anspruch auf Schadensersatz gem. §§ 989, 990 BGB a) Eine Vindikationslage im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses ist gegeben, da E wegen § 935 I S. 1 BGB sein Eigentum nicht verloren hat. Auch eine Ersitzung scheidet nach lediglich vierjähriger Inbe-sitznahme des Pkw aus (§ 937 I BGB). M hatte weder ein eigenes Besitzrecht nach § 986 I S. 1 Alt. 1 BGB, da der mit V geschlossene Mietvertrag lediglich relativ wirkt, noch ergibt sich ein abgeleitetes aus §§ 986 I S. 1 Alt. 2, 868 BGB, da V gegenüber E nicht zum Besitz berechtigt war. b) Eine Verschlechterung des Pkw ist durch die Beschädigung gegeben. Bei wirtschaftlicher Betrachtung kann ein Totalschaden auch als Untergang der Sache verstanden werden.

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c) Verschulden seitens des M ist gegeben, da dieser fahrlässig handelte, § 276 II BGB. Etwaige Privile-gien gegenüber V wirken grds. nur inter partes. d) Zur Bejahung von Bösgläubigkeit i.S.v. § 990 S. 1 BGB müsste dem M analog § 932 II BGB sein feh-lendes Besitzrecht positiv bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt gewesen sein. Da die Fälschung der Papiere für M nicht erkennbar war, durfte M aber an ein Besitzrecht gegenüber V glauben. Ergebnis: Ein Anspruch aus §§ 989, 990 BGB scheidet mangels Bösgläubigkeit aus.

3. Anspruch auf Schadensersatz gem. § 991 II BGB (eigene Anspruchsgrundlage!) a) Der in § 989 BGB bezeichnete Schaden ist eingetreten (s.o.). b) M könnte trotz seiner Gutgläubigkeit hinsichtlich des Besitzrechts dem Eigentümer E zum Schadenser-satz verpflichtet sein, wenn er dem mittelbaren Besitzer V gegenüber verantwortlich wäre. aa) V ist als Vermieter mittelbarer Besitzer i.S.d. § 868 BGB. bb) M könnte dem V aus §§ 280 I, III, 283, 546 BGB verantwortlich sein. Unmöglichkeit der Rückgabe i.S.v. § 275 I BGB ist bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise (Totalschaden) zu bejahen. Problematisch ist, ob M die Pflichtverletzung zu vertreten hat. Er handelte vorliegend einfach fahrlässig, § 276 II BGB. Jedoch könnte ihm das Haftungsprivileg des § 300 I BGB zugutekommen, wonach eine Haftung allein für grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz in Betracht kommt. V müsste sich demnach im Zeitpunkt des Unter-gangs im Annahmeverzug bzgl. der Rücknahme befunden haben, §§ 293 ff. BGB. Grds. ist ein tatsächliches Angebot (§ 294 BGB) notwendig, was ein Anbieten der vertraglich geschuldeten Leistung am richtigen Leistungsort (§ 269 I BGB), zur richtigen Leistungszeit an den richtigen Gläubiger vor-aussetzt. Fraglich ist vorliegend alleine die Leistungszeit, welche ursprünglich auf einen Zeitraum zwischen 14:00 und 18:00 Uhr festgelegt war. Durch den Anruf des M wurde diese durch gemeinsame Vereinbarung auf 17:00 Uhr verändert. Als M um 17:00 Uhr mit dem Pkw an der Geschäftsstelle des V war, hat er dem V die Rückgabe tatsächlich angeboten. Vorliegend war aber sogar ein wörtliches Angebot nach § 295 S. 1 Alt. 2 BGB ausreichend, da die Bewirkung der Leistung ohne eine Mitwirkungshandlung des V nicht möglich war, da dieser ein Abstellen des Pkw mit Schlüsseleinwurf ablehnte. Ein Angebot war schließlich nach § 296 S. 1 BGB sogar entbehrlich, da für die Mitwirkungshandlung des V in Form der Entgegennahme des Pkw eine Zeit nach dem Kalender bestimmt war (13.07.12, 17:00 Uhr). Ein Ausschluss des Annahmeverzuges wegen vorüberge-hender Annahmeverhinderung des V nach § 299 BGB kommt nicht in Betracht. Selbst wenn man in der Ver-einbarung bzgl. der Ablieferung um 17:00 Uhr lediglich eine „Berechtigung“ zu einer früheren Leistung sieht, so wurde diese dem V eine angemessene Zeit vorher um 16:00 Uhr angekündigt, da sich V wegen der ursprüng-lichen Leistungszeit (14:00 bis 18:00 Uhr) sowieso annahmebereit halten musste. V befand sich daher im Gläubigerverzug. M hat die Pflichtverletzung wegen § 300 I BGB somit nicht zu vertreten, sodass eine Verant-wortlichkeit nach §§ 280 I, III, 283, 546 BGB ausscheidet. cc) Da V weder Eigentümer noch berechtigter Besitzer war, scheiden auch Ansprüche des V aus §§ 989 ff., 823 ff. BGB aus. Ergebnis: Da M gegenüber V für den Totalschaden nicht verantwortlich war, entfällt auch ein Anspruch des E gegen M auf Schadensersatz aus § 991 II BGB.

4. Ein Anspruch §§ 687 II, 678 BGB scheitert an der Gutgläubigkeit des M. Ansprüche aus §§ 823 I, II BGB i.V.m. § 1 StVO sowie § 812 I S. 1 Alt. 2 BGB scheitern an der Sperrwirkung des § 993 I BGB a.E.

5. E könnte jedoch ein Anspruch gegen M zustehen, wenn V nach den Grundsätzen der Drittschadens-liquidation (DSL) gem. § 285 BGB analog verpflichtet wäre, seine Ansprüche gegen M an E abzutreten. Da V gegen M aber keine abtretbaren Ansprüche hat (s.o.), helfen auch die Grundsätze der Drittscha-densliquidation nicht weiter.

Ergebnis: E hat keinen Anspruch gegenüber M.

II. Ansprüche des E gegen D aus § 823 I BGB

1. Der deliktische Anspruch ist dem Grunde nach unproblematisch zu bejahen, da D rechtswidrig und schuldhaft das Eigentum des E verletzt hat. Fraglich war, ob eine Kürzung des Anspruchs wegen Mitver-schuldens des M gem. §§ 254 II S. 2, 278 BGB in Betracht kommt. Dass M bei der Schadensentstehung ein Mitverschulden traf, steht der Anwendung des § 254 II S. 2 BGB nicht entgegen, da diese Vorschrift auch auf § 254 I BGB anzuwenden und damit wie ein eigenständiger Absatz 3 zu lesen ist. Allerdings handelt es sich bei § 254 II S. 2 BGB nach ganz h.M. um eine Rechtsgrundverweisung auf § 278 BGB. Da zwischen dem Geschädigten E und dem Schädiger D aber keine rechtliche Sonderverbindung bestand, kommt auch § 278 BGB nicht zur Anwendung.

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2. Fraglich ist jedoch, ob die 100 %ige Inanspruchnahme des D gerecht ist. Dies wäre jedenfalls dann zu bejahen, wenn D bei M Regress nehmen könnte. Ein Rückgriff auf § 426 BGB entfällt aber, da die Entste-hung einer den Regress ermöglichenden Gesamtschuld zwischen D und M aufgrund des Haftungsprivi-legs des § 300 I BGB, das über § 991 II BGB auch gegen E wirkt, gestört ist. Auch ein Regressanspruch des D gemäß § 426 I BGB gegen V kommt nicht in Betracht, da auch zwischen V und D keine Gesamt-schuld besteht.

Ansprüche des E gegen V bestehen nämlich weder aus §§ 989, 990 BGB mangels Bösgläubigkeit des V noch aus §§ 823 ff., 812 I S. 1 Alt. 2 BGB wegen der Sperrwirkung des EBV (§ 993 I BGB a.E.), bzw. aus § 687 II BGB mangels positiver Kenntnis der Fremdheit der Autovermietung.

3. Da ein Regress des D ausscheidet, musste die Frage diskutiert werden, ob die volle Inanspruchnahme des D durch E nach den Grundsätzen zur gestörten Gesamtschuld einer „Korrektur“ bedarf. Für die Lösung dieses Problems der Regressbehinderung kommen verschiedene Möglichkeiten in Betracht:

a) Das Privileg könnte zu Lasten des M wirken, wenn dieser aufgrund einer zumindest im Innenverhältnis fingierten Gesamtschuld Regress schulden würde. Dieser Ansatz ist abzulehnen, da M bei alleiniger Verantwortlichkeit besser stünde (keine Ersatzpflicht) als bei anteiliger Verantwortlichkeit (Regresspflicht aufgrund fingierter Gesamtschuld).

b) Ferner könnte die Regressbehinderung zu Lasten des D wirken. Folge wäre eine volle Inanspruch-nahme durch E ohne Regressmöglichkeit im Innenverhältnis gegenüber M. Hiergegen spricht grds., dass das Privileg im Verhältnis zwischen M und V auf einer vertraglichen Vereinbarung der Leistungszeit beruht und diese Vereinbarung damit zu Lasten des unbeteiligten D wirken würde.

c) Schließlich kommt eine Wirkung zu Lasten des E mit der Folge in Betracht, dass diesem lediglich ein um das Mitverschulden des M gekürzter Anspruch gegen D zusteht. Hierfür spricht grds. dass das Privileg der §§ 991 II, 300 I BGB sowieso zulasten des E wirkt. Für diese Lösung spricht Sinn und Zweck des Pri-vilegs der §§ 991 II, 300 I BGB. Die §§ 989 ff. BGB bezwecken eine Privilegierung des (redlichen) Besit-zers, wovon § 991 II BGB eine Ausnahme unter der Maßgabe macht, dass der unmittelbare Besitzer im Innenverhältnis zum mittelbaren Besitzer verantwortlich ist. In diesem Fall ist der redliche Besitzmittler wegen der Verantwortlichkeit im Innenverhältnis nicht schutzwürdig. Er darf nicht darauf vertrauen, den Pkw zerstören zu dürfen, ohne überhaupt haften zu müssen. Insoweit steht der Eigentümer nicht schlech-ter, aber auch nicht besser als der mittelbare Besitzer. V steht vorliegend aber gegen M wegen § 300 I BGB keinerlei Anspruch zu. Eine Wirkung zulasten des M würde daher gegen die bezweckte Privilegie-rung des redlichen Besitzers durch das EBV verstoßen.

Ergebnis: Demnach ist aufgrund einer Wirkung des Privilegs zulasten des E eine Kürzung des Anspruchs des E gegen D i.H.v. 60 % angezeigt (a.A. natürlich vertretbar).

Frage 2: Ansprüche der B gegen M auf Zahlung aus §§ 433 II, 398 S. 2 BGB

1. B wäre Inhaberin der Forderung, wenn ihr diese wirksam von R abgetreten wurde, § 398 S. 1 BGB. Ein wirksamer Abtretungsvertrag zwischen R und B besteht. Fraglich ist jedoch, ob die abgetretene Forde-rung aus § 433 II BGB i.H.v. 5.000,- € besteht. Ein wirksamer Kaufvertragsschluss am 12.07.12 liegt vor. Da das Inserat mangels Rechtsbindungswillens lediglich eine invitatio ad offerendum darstellt, gab R ein Angebot durch die Bestätigung des immer noch identischen Kaufpreises ab. Die Bitte um eine Stun-dung und die Übertragung des Volleigentums seitens M stellen hierbei gleichermaßen ein neues Angebot i.S.v. § 150 II BGB dar wie die darauf folgende Kaufpreiserhöhung seitens R. Dieses nahm M an, sodass ein Kaufvertrag über den Pkw zum Kaufpreis von 21.000,- € zustande kam.

Dessen Wirksamkeit steht auch nicht § 138 I BGB entgegen, da ein Zinssatz von 5 % beim Fehlen an-derweitiger Sicherheiten (es wurde kein Eigentumsvorbehalt vereinbart) nicht unangemessen erscheint.

Die Kaufpreisforderung ist jedoch durch die Anzahlung i.H.v. 9.000,- € sowie die Ratenzahlungen i.H.v. 7.000,- € gem. § 362 I BGB i.H.v. 16.000,- € erloschen, sodass lediglich ein Restkaufpreisanspruch i.H.v. 5.000,- € besteht. B ist somit Inhaberin einer Forderung aus § 433 II BGB i.H.v. 5.000,- €.

2. Die Forderung könnte jedoch nachträglich erloschen sein.

a) In Betracht kommt ein Erlöschen durch Aufrechnung gegenüber R, § 407 I BGB i.V.m. §§ 387, 389 BGB.

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M stand gegenüber R eine fällige, einredefreie und gleichartige Forderung i.H.v. 1.000,- € zu. M hatte die Aufrechnung gegenüber R zudem erklärt, § 388 BGB. Aufgrund der Abtretung an B fehlt es aber zur Zeit der Aufrechnungserklärung an der Gegenseitigkeit der Forderungen. Hierüber hilft allerdings § 407 I Alt. 2 BGB hinweg. Danach wirkt die Aufrechnung schuldbefreiend zugunsten des M, da dieser zur Zeit der Aufrechnungserklärung keine Kenntnis von der vorherigen Abtretung an B hatte. Die Forderung aus § 433 II BGB besteht daher nur noch i.H.v. 4.000,- €.

b) Schließlich käme ein Erlöschen der Forderung gem. (§ 404 BGB i.V.m.) §§ 506 I, 495, 355 BGB in Betracht, wenn ein wirksamer Widerruf seitens M vorliegt.

aa) Die vereinbarte Ratenzahlung stellt eine entgeltliche Finanzierungshilfe i.S.v. § 506 I Alt. 1 BGB dar, da sich hierdurch der Kaufpreis um 5 % erhöhte. Dass die Erhöhung unter gleichzeitigem Verzicht auf die Vereinbarung eines Eigentumsvorbehalts und der dadurch bedingten Übernahme des vollen Insolvenzri-sikos des M erfolgte, spricht nicht gegen die Entgeltlichkeit des Zahlungsaufschubes, da dieser jedenfalls auch wegen der vereinbarten Ratenzahlung erfolgte.

bb) In persönlicher Hinsicht ist M Verbraucher (§ 13 BGB). Fraglich ist jedoch, ob ein Vertrag mit einem Unternehmer i.S.v. § 14 BGB vorliegt. Der Kaufvertrag mit Ratenzahlungsvereinbarung wurde nämlich mit dem Verbraucher R geschlossen.

Fraglich ist jedoch, ob durch die Abtretung der Forderung an B auf diese abzustellen ist. Da das Erteilen von Verbraucherkrediten und Finanzierungshilfen zum Betrieb der B zählt, ist diese Unternehmerin.

Eine Auslegung unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des Verbraucherschutzes könnte dafür spre-chen, auf B abzustellen, da anderenfalls eine Umgehung des Verbraucherschutzes durch den Einsatz Privater, welche die Forderungen im Anschluss an den Unternehmer abtreten, möglich wäre. Gegen ein Abstellen auf B spricht aber der Wortlaut des § 506 I BGB, welcher eine Gewährung eines Zahlungsauf-schubs durch einen Unternehmer an einen Verbraucher fordert. Im Falle einer unzulässigen Umgehung würde M außerdem über § 511 S. 2 BGB ausreichend geschützt.

Außerdem soll sich die Stellung des Schuldners durch die Abtretung, auf die er keinen Einfluss hat, nicht verändern. Er soll dadurch nicht schlechter, aber auch nicht besser stehen. Die Abtretung hat daher auf die Rechtsnatur des Teilzahlungsgeschäfts keinen Einfluss.

cc) Letztlich kann diese Frage im vorliegenden Fall dahinstehen. Zwar lief mangels Belehrung keine Wi-derrufsfrist, § 495 II BGB. Jedoch fehlt es an einer Widerrufserklärung des M in Textform, § 355 I S. 2 BGB i.V.m. § 126b BGB. Mangels Widerrufserklärung ist die Forderung der B aus abgetretenem Recht nicht erloschen.

Ergebnis: B hat gegen M einen Anspruch auf Zahlung von 4.000,- € gem. §§ 433 II, 398 S. 2 BGB.

hemmer-Trainingsplan-Info: Eine anspruchsvolle Klausur. Hier wurde derjenige belohnt, der richtig ge-lernt hatte. Die nicht jedem bekannte Anspruchsgrundlage des § 991 II BGB wurde unmittelbar vor dem Examen in der Klausur Nr. 1516 sowie in Vertiefungsfrage 9 zu Fall 9, SchuldR-BT behandelt. Der Klassiker der gestörten Gesamtschuld ist einer der Schwerpunkte von Fall 18, SchuldR-AT und Fall 7, SchuldR-BT. Das Haftungsprivileg des § 300 I BGB sowie die damit verbundenen Fragen zum Annah-meverzug wurden nahezu identisch in Fall 2 und 3, SchuldR-AT behandelt. Der entgeltliche Zahlungs-aufschub ist Gegenstand von Fall 10 SchuldR-BT. Die Probleme der Aufrechnung bzw. Leistung nach Abtretung werden mehrmals im Hauptkurs behandelt, z.B. in Fall 13, SchuldR-AT, Fall 8, SachenR und Fall 6, ZPO II.

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hemmer! Life&Law 11/2012 841

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Examensreport Bayern, Termin 2012-II

B) Strafrecht: Allgemeines / Auffälligkeiten / Trends:

Atypisch geringer Umfang Schwerpunkte diesmal sowohl im Strafrecht AT als auch BT Wie üblich klassische Fragestellung im strafprozessualen Teil

Klausur Nr. 4: Problemstellungen: Schwerer Raub/Schwere räuberische Erpressung, §§ 249 ff. StGB; „psychi-sche Beihilfe“, § 27 StGB; Unterlassungsdelikte (insbesondere § 138 StGB); Betrug, § 263 StGB; Erpressung, § 253 StGB; Irrtum bezüglich Rechtswidrigkeit der erstrebten Bereicherung; Be-schlagnahmeverbote

Teil I: Juwelier J befindet sich in chronischer Finanznot. Er beschließt deshalb, Gastwirt G in dessen einsam gelegener Gaststätte zu überfallen. J hat es dabei auf die wertvolle Goldkette abgesehen, die er an G schon mehrfach bemerkt hat. Da J ein ängstlicher Mensch ist, beschließt er, auf der Fahrt zur etwa 20 Kilometer ent-fernten Gaststätte des G seinen Freund F als Begleiter mitzunehmen. J bittet eines Abends F, mit ihm dorthin zu fahren. Erst kurz vor der Ankunft informiert J seinen Beifahrer F, dass er G um dessen Schmuck „erleich-tern“ wolle, wobei er vorhabe, G notfalls unter Vorhaltung des von ihm (J) mitgeführten Taschenmessers gefü-gig zu machen. Er sei froh, dass F mitfahre, weil er sich nur so sicher fühle. In die Gaststätte werde er aber allein gehen. F ist bestürzt und äußert sich nicht. Er überlegt zunächst, ob er nicht die Polizei oder zumindest den ihm bekannten G informieren müsse, um die Tat zu verhindern. Sogleich bemerkt F aber, dass er sein Mobiltelefon vergessen hat, sodass er keine Möglichkeit sieht, dies zu realisieren.

Als J und F an der Gaststätte ankommen, steigt J aus und eilt hinein. Auch jetzt sieht F davon ab, G zu warnen, zumal er der Meinung ist, dass er durch eine solche Warnung ohnehin die Tatausführung durch J nicht mehr verhindern könne. Da F jedoch unbedingt wissen will, was in der Gaststätte vor sich geht, schleicht er sich zu dem Gebäude und beobachtet das Geschehen unbemerkt durch ein Fenster.

Dabei sieht er, wie J auf G zutritt, sodann sein Taschenmesser zieht und aufklappt und die etwa 8 cm lange Klinge in einer Entfernung von circa 10 cm vor G´s Brust hält. Sonstige Personen sind nicht anwesend. Dabei fordert er ihn auf, ihm seine Goldkette auszuhändigen. G gibt völlig eingeschüchtert zu verstehen, dass er heu-te ausnahmsweise den Schmuck nicht trage, sondern in seinem Tresor aufbewahre. Der mittlerweile leicht in Panik geratene J schreit G daraufhin an, er solle augenblicklich den Tresor öffnen und ihm die Goldkette (Wert: 5.000,- €) schleunigst aushändigen; er zögere auch nicht, ihn „abzustechen“. Während der von der Skrupello-sigkeit des J entsetzte F die Sache nicht mehr mit ansehen will und in den Pkw zurückeilt, öffnet G aus Angst um sein Leben das Zahlenschloss seines Tresors, nimmt die Goldkette heraus und überreicht sie J. Dieser rennt daraufhin mit der Kette nach draußen, springt in seinen Pkw und fährt nach Hause. Sowohl J als auch F sind aufgrund der Geschehnisse derart verstört, dass sie während der Fahrt kein Wort miteinander wechseln.

Am nächsten Tag veräußert J in seinem Juweliergeschäft an den Kunden K, der nichts von der Herkunft der Kette ahnt, diese für 5.000,- €. Am Abend zeigt J den vereinnahmten Geldbetrag – zehn 500-Euro-Scheine –, bei dem es sich um die einzigen Tageseinnahmen handelt, dem F, als dieser zu Besuch kommt. Voller Stolz erklärt J, dass es sich hierbei um den Erlös aus der Veräußerung der von G erlangten Goldkette handele. F, der J vor zwei Jahren ein zinsloses Darlehen in Höhe von 5.000,- € für die Dauer von einem Jahr gewährt und seitdem mehrfach vergebens von J die Rückzahlung verlangt hat, ist aufgrund der Dreistigkeit des J erbost. In der Überzeugung, ein Recht auf die 5.000,- € in der Kasse zu haben und deshalb nicht Rechtswidriges zu verlangen, fordert der J auf, ihm sofort das Geld zu geben, um seine Darlehensschuld endlich zu tilgen. J wei-gert sich zunächst, der Forderung nachzukommen. Deshalb erklärt F, dass er J bei der Polizei wegen der gest-rigen Geschehnisse zuim Zusammenhang mit der Erlangung der Goldkette anzeigen werde, falls er ihm nicht sofort das Geld aushändige. J ist aufgrund dessen sehr aufgebracht, sieht aber im Hinblick auf die in Aussicht gestellte Strafanzeige keinen anderen Ausweg, als F das Geld zu überlassen.

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hemmer! Life&Law · 11/2012 842

Teil II: Im gerichtlichen Verfahren gegen J, zu welchem es aufgrund der Anzeige des G kam, bestreitet J die Vorwürfe. In der Hauptverhandlung wird trotz des Widerspruchs des J ein von diesem stammender Brief an seinen Psychotherapeuten verlesen. Dieser Brief war noch nicht abgeschickt worden und wurde bei einer rechtmäßig angeordneten und ordnungsgemäß durchgeführten Durchsuchung der Wohnung des J aufgefunden und beschlagnahmt. J schildert in dem Brief detailliert, wie sehr seine finanziellen Proble-me ihm psychisch zu schaffen machen und dass er immer häufiger über illegale Wege nachdenke, die Geldsorgen loszuwerden.

Ferner stießen die Polizeibeamten bei der Wohnungsdurchsuchung auf ein Tagebuch des J, in welchem er ebenfalls seine Sorgen bezüglich seiner finanziellen Probleme niedergeschrieben hatte. Des Weiteren finden sich in dem Tagebuch eine Wegbeschreibung zur Gaststätte des G sowie Überlegungen zur Ge-eignetheit diverser Waffen und Werkzeuge im Rahmen eines „Überfalls“. Gegen den Widerspruch des J verliest das Gericht sämtliche dieser Aufzeichnungen in der Hauptverhandlung. Sowohl der Inhalt des Briefes, als auch der des Tagebuches werden im Urteil zu Lasten des J verwertet.

Vermerk für die Bearbeiter:

Zu Teil I: Wie haben sich die Beteiligten nach dem StGB strafbar gemacht? Eine eventuelle Strafbarkeit des K ist nicht zu prüfen. § 123 StGB bleibt bei der Bearbeitung außer Betracht.

Zu Teil II: Durften der Inhalt des Briefes und des Tagebuches im Urteil Berücksichtigung finden?

Skizzierung der wesentlichen inhaltlichen Probleme:

Zu Teil I: Aus Gründen der Übersichtlichkeit erscheint es sinnvoll, nach verschiedenen Handlungsab-schnitten zu unterteilen.

1. Handlungsabschnitt (Geschehnisse bezüglich der Erlangung der Goldkette durch J): Zu begin-nen ist mit der Prüfung einer Strafbarkeit des J. Abzugrenzen ist hierbei insbesondere, ob §§ 253, 255, 250 II Nr. 1 StGB verwirklicht sind oder §§ 249 I, 250 II Nr. 1 StGB. Folgt man der h.L., ist vorliegend eine schwere räuberische Erpressung verwirklicht, da die nötige Mitwirkungshandlung der Tresoröffnung auf eine Verfügung durch J schließen lässt. Folgt man dem BGH, liegt ebenso eine räuberische Erpressung vor, da sich das Geschehen rein äußerlich als Hingabe der Kette darstellt. Zu prüfen sind überdies §§ 239a/b StGB. Aufgrund der insoweit erforderlichen teleologisch restriktiven Auslegung der Tathandlung „Sich-Bemächtigen“ im Zwei-Personen-Verhältnis scheiden diese allerdings aus. Sonstige typische Be-gleitdelikte (z.B. §§ 240, 241 StGB) treten in Gesetzeskonkurrenz zurück.

Seitens F ist zunächst ausführlich zu prüfen, ob er sich wegen einer psychischen Beihilfe gemäß § 27 StGB zur Tat des J strafbar gemacht hat. Entscheidend ist insoweit, dass F durch ein strafrechtlich rele-vantes Verhalten die Tat hätte fördern müssen. Die einseitige Kenntnisnahme während der Fahrt genügt hierfür nicht. Vielmehr setzt Beihilfe insoweit ein positives Tun voraus (vgl. BGH, Beschluss vom 17.11.2009 – 3 StR 455/09). Damit kommen hinsichtlich der Strafbarkeit von F allein echte Unterlas-sungsdelikte in Frage. In Betracht kommt insbesondere § 138 I Nr. 7 StGB. Solange F sich noch im Pkw befindet, scheitert eine Strafbarkeit an der Möglichkeit, rechtzeitig Anzeige zu machen („Mobiltelefon ver-gessen“). Zum späteren Zeitpunkt, als F das Geschehen in der Gaststätte beobachtet, ist zu problemati-sieren, ob insoweit nicht in teleologischer Auslegung des § 138 I StGB eine Pflicht zur Warnung besteht (vgl. Fischer, § 138 StGB, Rn. 22). Insoweit fehlt jedoch das entsprechende Vorstellungsbild des F, die Tatausführung noch verhindern zu können, sodass jedenfalls der Vorsatz hinsichtlich der Tathandlung gemäß § 16 I S. 1 StGB zu verneinen sein dürfte. Eine Strafbarkeit gemäß § 323c StGB dürfte hingegen bereits an der Möglichkeit bzw. Zumutbarkeit der Hilfeleistung scheitern. F bleibt damit im ersten Hand-lungsabschnitt straflos.

2. Handlungsabschnitt (Veräußerung der Goldkette an K): Insoweit ist eine Strafbarkeit des J gemäß § 263 I StGB gegenüber und zu Lasten des K zu prüfen. J erregt konkludent einen Irrtum bei K bezüglich seiner nicht bestehenden Eigentümerstellung. Vermögensverfügung ist der Kaufvertragsschluss bzw. die Übergabe und Übereignung der Geldscheine. Eine Schadenskompensation durch den Besitzübergang an der Goldkette scheidet aus, da K jedenfalls kein Eigentum hieran erlangen kann (vgl. § 935 I BGB). Auch die übrigen Voraussetzungen von § 263 I StGB liegen vor. § 246 I StGB („wiederholende Zueignung“) scheidet entweder schon tatbestandlich aus (BGH) oder tritt in Gesetzeskonkurrenz zurück (h.L.).

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hemmer! Life&Law 11/2012 843

3. Handlungsabschnitt (Erzwungene Übergabe der 5.000,- € von J an F): Der Schwerpunkt liegt hier in der Prüfung einer Strafbarkeit des F, insbesondere gemäß § 253 StGB. Die objektiven Tatbestandsvor-aussetzungen sind erfüllt. Problematisch ist, ob die von F erstrebte Bereicherung rechtswidrig ist. Da Schutzgut des § 253 StGB das Vermögen ist, besteht grundsätzlich kein beachtenswertes Auswahlrecht des Schuldners. Vor diesem Hintergrund wäre die Rechtswidrigkeit zu verneinen. Aufgrund der Tatsache, dass F von den Umständen weiß und dass das Geld (nach Anfechtungserklärung rückwirkend, vgl. § 142 I BGB) eigentlich dem K zuzuordnen wäre, kann die Rechtswidrigkeit aber auch bejaht werden. Fraglich ist daran anknüpfend, ob F insoweit überhaupt vorsätzlich handelte. Insoweit stellt sich das Prob-lem, § 16 I S. 1 StGB und § 17 StGB sachgerecht voneinander abzugrenzen („Rechtswidrigkeit“ als nor-matives Tatbestandsmerkmal; allg. Schönke/Schröder, § 253 StGB, Rn. 22). Vorzugswürdig dürfte es sein, hier einen Vorsatzausschluss gemäß § 16 I S. 1 StGB eher zu verneinen. Denn erstens ist die feh-lerhafte rechtliche Bewertung des F nicht primär die Folge einer Unkenntnis des vorliegenden Sachver-halts. Und zweitens hätte sich ihm auch als Laie aufdrängen müssen, dass ihm ein Anspruch auf das kon-krete Geld, welches dem G zuzuordnen ist, nicht zusteht („Parallelwertung“). Auf dieser Basis wäre weiter auszuführen, dass die Tat auch rechtswidrig ist i.S.v. § 253 II StGB ist. Im Rahmen der Schuld wäre ein fehlendes Unrechtsbewusstsein des F i.S.v. § 17 StGB festzustellen. Dieser Irrtum war jedoch bei gehöri-ger Gewissensanstrengung vermeidbar. Eine Strafbarkeit gemäß § 259 StGB scheidet daneben aus. Bei erzwungener Übergabe liegt kein „Sich-Verschaffen“ i.S.d. Vorschrift vor (vgl. BGHSt 42, 196, 198). Auch § 261 StGB ist nicht einschlägig. Insoweit fehlt es bereits an einer tauglichen Vortat i.S.v. § 261 I S. 2 StGB. Insbesondere greift hier nicht Nr. 4a, da der von J verwirklichte Betrug gegenüber K weder ge-werbsmäßig noch bandenmäßig erfolgte.

Zu Teil II: Zu differenzieren ist zwischen der Verwertbarkeit des Inhalts des Briefes und des Tagebuches. Zunächst zu klären ist, ob bereits die Beweiserhebung als solche (Beschlagnahme der beiden Dokumen-te) unzulässig war und sich daran anknüpfend ein (unselbstständiges) Beweisverwertungsverbot ergibt. Ein Verstoß kommt dabei allein gegen § 97 I Nr. 1 StPO hinsichtlich des Briefes an den Psychotherapeu-ten in Betracht. Dabei handelt es sich um eine zeugnisverweigerungsberechtigte Person i.S.v. § 53 I S. 1 Nr. 3 StPO. Jedoch gilt diese Beschränkung nur vor der Maßgabe, dass der Gegenstand sich im Gewahr-sam des Zeugnisverweigerungsberechtigten befindet, vgl. § 97 II S. 1 StPO. Ein unmittelbarer Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften scheidet somit aus. Die Beweiserhebung war rechtmäßig.

Allerdings könnten vorliegend selbstständige Beweisverwertungsverbote einschlägig sein. Bezüglich des Briefes liegt insoweit ein Verstoß gegen die verfassungsrechtlich garantierte Vertrauensbeziehung zwischen Patient und Therapeut vor. Die Korrespondenz mit Therapeuten gehört zum Kernbereich privater Lebens-gestaltung, der durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Art. 2 I, 1 I GG als Teil der Intimsphäre gegen Eingriffe absolut geschützt ist (vgl. BayObLG, NStZ 1992, 556, 557; andere Ansicht vertretbar). Daher über-wiegen bei der Gesamtabwägung zwischen den grundrechtlich geschützten Interessen des Beschuldigten und denen der Allgemeinheit an einer effektiven Strafrechtspflege die Interessen des Beschuldigten. Hin-sichtlich der Tagebuchaufzeichnungen ist wohl ebenso die Intimsphäre des Beschuldigten i.S.v. Art. 2 I, 1 I GG betroffen, sodass gleichsam per se eine Verwertung ausgeschlossen ist (str.; vgl. Meyer-Goßner, Einl., Rn. 56a). Da J der Verlesung der Dokumente in der Hauptverhandlung widersprochen hat, hat er sein Recht zur Rüge der Verstöße nicht verwirkt (sog. Widerspruchslösung des BGH).

hemmer-Trainingsplan-Info: Raub und räuberische Erpressung sind Schwerpunkt von Fall 10 unseres Hauptkurses, materielles Recht. Betrugsprobleme werden bei den Fällen 11 bis 13 vertieft. Die Teil II zugrunde liegende Thematik der Frage nach der Verwertbarkeit von Beweismitteln ist Standard und vielfa-cher Problemschwerpunkt unseres Hauptkurses StPO. Speziell die Frage nach einem Beschlagnahmever-bot war Gegenstand der Klausur Nr. 1497, wenige Monate vor dem Termin. Hinsichtlich der „Tagebuch-problematik“ passte unsere in der Life & Law besprochenen Entscheidung zur Verwertbarkeit von abgehör-ten Selbstgesprächen nahezu perfekt (vgl. BGH, NJW 2012, 945 ff. = Life & Law 2012, 429 ff., Heft 6).

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hemmer! Life&Law · 11/2012 844

C) Öffentliches Recht:

Allgemeines/Auffälligkeiten/Trends:

Schwerpunkt im Verwaltungsrecht und Verfassungsrecht wieder kein Europarecht

Klausur Nr. 5:

Problemstellung: Die erste öffentlich-rechtliche Klausur hatte ihre Schwerpunkte im Verfassungsrecht, Verfassungsprozessrecht und materiellen Polizeirecht.

Sachverhalt:

Teil I:

In der Oberpfalz kam es in der Vergangenheit regelmäßig zu sog. Pollux-Transporten, bei denen radioak-tiv verseuchtes Material mit Zügen in ein Endlager gebracht wurde. Hiergegen gab es in jedem Jahr De-monstrationen von Atomkraftgegnern, infolge derer es zu Gewaltausschreitungen und zahlreichen Inhaf-tierungen kam. Auch in diesem Jahr war für den 16.07.2012 ein Pollux-Transport angesetzt. Im Vorfeld dieses Transportes hat X, der auch an den Demonstrationen der vergangenen Jahre beteiligt war, in einer regionalen Tageszeitung dafür geworben, den Transport „koste es was es wolle“, notfalls auch „mit Ge-walt gegen Sachen“ aufzuhalten. Die zuständige Behörde verhängt daraufhin ein Versammlungsverbot, das örtlich für die gesamte Bahnstrecke des Transportes und zeitlich vom 14.07.2012 bis zum 17.07.2012 gilt. Dennoch kettet sich X am Abend des 14.07.2012 an eine von ihm umfunktionierte Weiche. Beamten der zuständigen Polizeidienststelle gelingt es erst am nächsten Morgen die Befestigungen zu lösen. So-dann wird X in Gewahrsam genommen. Da am 15.07.2012 (Sonntag) kein Richter verfügbar war, konnte X erst am Morgen des 16.07.2012 einem Amtsrichter vorgeführt werden. Dieser bestätigt die Ingewahr-samnahme. Unmittelbar nach Ankunft des Transportes wird X aus dem Gewahrsam entlassen. Am 18.07.2012 wendet sich X mit einer Beschwerde gemäß § 58 I FamFG i.V.m. Art. 18 III S. 3 HS 1 PAG an das zuständige Landgericht und verlangt die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme. Er begründet dies damit, dass Polizei und Amtsgericht zu Unrecht eine konkrete Gefahr angenommen hätten; so habe er die Weiche nicht dauerhaft beschädigt, sondern nur zeitweise umfunktioniert. Zudem sei er in den letzten Jahren wegen ähnlicher Vorfälle nur zweimal zu geringen Geldstrafen verurteilt wor-den, weshalb eine Ingewahrsamnahme unverhältnismäßig sei. Er rügt außerdem, dass er dem Amtsrich-ter zu spät vorgeführt worden sei. Daneben habe er bereits Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Art. 17 I Nr. 2 PAG hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenz des Freistaats Bayern, des Bestimmtheits-gebots und weil Art. 17 I Nr. 2 PAG keine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorsehe. Er verweise zudem auf Art. 5 I S. 1 EMRK. Die Prozessvertretung des Freistaats Bayern weist die Vorwürfe zurück.

Ist die Beschwerde begründet?

Teil II:

Nachdem das zuständige Amtsgericht in Teil I die Beschwerde als unbegründet zurückwies (dem X zuge-stellt am 08.08.2012), erhebt dieser am 10.09.2012 mittels Fax Verfassungsbeschwerde zum BVerfG. Am 11.09.2012 gehen sodann alle Unterlagen auch auf dem Postwege beim BVerfG ein.

Ist die Verfassungsbeschwerde zulässig?

Skizzierung der inhaltlichen Probleme:

Im ersten Teil der Klausur war nach der Begründetheit der Beschwerde gefragt. Gegenstand der Prüfung war somit einzig die richterliche Entscheidung, die die Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme bestätigte. Da Verfahrensfehler des Gerichts nicht ersichtlich sind, kommt es auf die Rechtmäßigkeit der Ingewahr-samnahme selbst an.

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hemmer! Life&Law 11/2012 845

Zunächst ist dafür wegen des Eingriffscharakters der Ingewahrsamnahme eine Rechtsgrundlage erforder-lich. Insoweit kam Art. 17 I Nr. 2 PAG in Betracht. Da im Sachverhalt zahlreiche Hinweise auf eine etwaige Verfassungswidrigkeit der Norm zu finden waren, musste dies bereits an diesem Punkt geklärt werden. Zunächst könnte Art. 17 I Nr. 2 PAG kompetenzwidrig vom Freistaat Bayern erlassen worden sein. Dann wäre die Norm formell verfassungswidrig und somit nichtig. Die Gesetzgebungskompetenz der Länder ist gem. Art. 70 GG (zumindest theoretisch) der Normalfall. Eine abweichende Regelung müsste sich aus dem Grundgesetz ergeben. Hier käme eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz aus Art. 74 I Nr. 1 GG in Betracht, wenn es sich um eine Norm des Strafrechts handelt. Hiervon hat der Bundesgesetzgeber mit Erlass von StGB und StPO abschließenden Gebrauch gemacht, sodass insoweit kein Raum mehr für eine Ländergesetzgebung bestehen würde. Hier ist zwischen präventiven und repressiven Regelungen zu differenzieren. Dies ist deshalb vorliegend problematisch, weil es sich bei der polizeilichen Ingewahrsam-nahme um eine sog. doppelfunktionale Maßnahme handelt, die sowohl präventiven, als auch repressiven Charakter hat. Da der Schwerpunkt der Regelung jedoch im präventiven Bereich liegt, handelt es sich um eine Vorschrift der Gefahrenabwehr, für die die Gesetzgebungskompetenz bei den Ländern liegt. Soweit die „Strafrechtsvorsorge“, also die Verhütung von künftigen Straftaten, auch unter Art. 74 I Nr. 1 GG fällt, hat der Bundesgesetzgeber hiervon jedenfalls nicht abschließend Gebrauch gemacht. Hinsichtlich des Bestimmtheitsgebotes war darzustellen, dass Art. 17 PAG trotz des Verzichts auf einen klassischen Gefahrenbegriff genaue Voraussetzungen für die Ingewahrsamnahme aufstellt und damit hinreichend bestimmt ist. Sodann war die im Sachverhalt angelegte Problematik bzgl. Art. 5 I EMRK aufzugreifen. Sollte Art. 17 I PAG gegen Art. 5 I EMRK verstoßen, so wäre Art. 17 I PAG insoweit nichtig, weil die EMRK in Deutsch-land den Rang einfachen Bundesrechts besitzt und somit Art. 31 GG einschlägig wäre. Diesbezüglich sind zwei Anknüpfungspunkte denkbar. Zum einen wird vertreten, dass Art. 5 I EMRK ledig-lich eine Ingewahrsamnahme bei Wiederholungs- oder Fortsetzungsstraftaten erlaubt, während Art. 17 I PAG nicht zwischen solchen und erstmaligen Straftaten unterscheidet und somit einen sog. Präventivge-wahrsam zulässt. Diese Ansicht findet jedoch im Wortlaut des Art. 5 I EMRK keinen Halt („oder“) und ist daher abzulehnen. Zweitens spricht Art. 5 I EMRK ausdrücklich nur von Straftaten, während Art. 17 I PAG auch Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung genügen lässt. Hier konnte jedoch eine Verletzung des Art. 5 I EMRK mit dem Argument entkräftet werden, dass eine Unterscheidung zwischen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im europäischen Recht nicht üblich ist und Ordnungswidrigkeiten von erhebli-cher Bedeutung letztlich Straftaten gleichgestellt werden können. Schließlich war noch der Hinweis des X, Art. 17 I PAG sei verfassungswidrig, weil er keine Verhältnismä-ßigkeitsprüfung vorsehe, damit zu entkräften, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ein aus dem Rechtsstaatsprinzip und somit unmittelbar aus der Verfassung abgeleiteter Grundsatz ist, der alle staatli-che Gewalt bindet. Einer expliziten Nennung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in jeder Befugnisnorm bedarf es daher nicht, zumal in Art. 4 PAG grundsätzlich klargestellt ist, dass jede polizeiliche Maßnahme verhältnismäßig sein muss. Art. 17 I PAG ist somit verfassungskonform. Hinsichtlich der formellen Rechtmäßigkeit war lediglich das Verfahren problemträchtig. Hier waren die Informationen bzgl. der richterlichen Entscheidung nach Art. 18 I PAG zu verwerten. Diese könnte verspä-tet vorgenommen worden sein. Jedoch ist in Art. 18 I PAG gerade keine „sofortige“ Vorführung erforder-lich, sondern eine „unverzügliche“; es dürfte also kein schuldhaftes Zögern der Behörde vorliegen. Inso-weit ist es anerkannt, dass ein Zögern jedenfalls dann nicht schuldhaft ist, wenn wegen der üblichen Ar-beitszeiten an Sonn- oder Feiertagen kein Richter zur Verfügung steht. Eines sog. richterlichen Bereit-schaftsdienstes bedarf es gerade nicht. Da die Vorführung am Morgen des Montag vorgenommen wurde, begegnet das Vorgehen der Polizei hier keinen Bedenken. (Eine andere Ansicht wäre mit guter Begrün-dung vertretbar gewesen.) Zu Beginn der materiellen Rechtmäßigkeit konnte kurz dargestellt werden, dass die sog. Polizeifestigkeit des Versammlungsrechts vorliegend nicht greift, weil zum einen ein wirksames Verbot der Versammlung (Art. 15 I BayVersG) vorliegt und ferner aus dem Sachverhalt auch gar nicht ersichtlich ist, dass außer dem X noch andere Personen an der Aktion beteiligt waren, sodass auch insoweit schon keine Versamm-lung vorläge, vgl. Art. 2 I BayVersG. Art. 17 I Nr. 2 PAG setzt die konkrete Gefahr der Begehung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung voraus. Dies ist im Rahmen der Gefahrenabwehr stets aus einer ex-ante-Sicht der handelnden Beamten zu bewerten.

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Hier war zunächst zwischen dem Verstoß gegen das Versammlungsverbot (gem. Art. 21 I Nr. 6 BayVersG eine Ordnungswidrigkeit) und einer etwaigen Sachbeschädigung an dem Eigentum der Deutschen Bahn AG zu unterscheiden. Ein Verstoß gegen das Versammlungsverbot lag bereits vor, sodass diesbezüglich eine Gefahr ohne weiteres zu bejahen war. Auf die Rechtmäßigkeit des Versammlungsverbots kommt es dabei nicht an, entscheidend ist allein die Wirksamkeit, die im vorliegenden Fall schon deshalb zu bejahen ist, weil sämtliche Eilanträge gegen das Verbot, vgl. § 80 II S. 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 25 BayVersG, erfolglos blieben. Ob in dem konkreten Fall eine Sachbeschädigung bereits vorlag, ist nach dem Sachverhalt eher zu ver-neinen, da X die Weiche nur „vorübergehend umfunktionierte“. Allerdings liegt zumindest eine Anscheins-gefahr derart vor, dass die Polizei mit der Begehung von Straftaten rechnen durfte. Hier waren zur Be-gründung insbesondere die Ankündigungen des X in der Lokalzeitung sowie die Vorgänge der letzten Jahre aufzugreifen. Im Ergebnis lag somit eine konkrete Gefahr i.S.d. Art. 17 I Nr. 2 PAG vor. Auf Rechtsfolgenseite ist der Behörde ein Ermessen eingeräumt, vgl. Art. 5 PAG. Im Rahmen der Prüfung auf Ermessensfehler i.S.d. § 114 S. 1 VwGO liegt der Schwerpunkt bei einer umfassenden Verhältnismä-ßigkeitsprüfung, vgl. Art. 5 PAG. Hier kam zunächst als milderes Mittel ein Versammlungsverbot in Verbindung mit einem Platzverweis in Betracht. Laut Sachverhalt hat sich X jedoch bereits in den vergangenen Jahren hieran nicht gehalten, sodass entsprechende Maßnahmen nicht gleich wirksam gewesen wären. Hinsichtlich der Angemessenheit war auf Seiten des X zunächst in die Abwägung einzustellen, dass mit Art. 2 II S. 2 GG ein Grundrecht von erheblicher Bedeutung betroffen ist und dass es sich bei den Ord-nungswidrigkeiten und Straftaten um eher weniger schwerwiegende Delikte handelt. Auf der anderen Sei-te besteht hingegen ein erhebliches öffentliches Interesse an einem reibungslosen Ablauf des Transpor-tes. Insbesondere Umfunktionierungen der Gleise könnten zu einem Entgleisen des Transporters führen, was angesichts des Gefahrgutes zu gravierenden Schäden führen könnte. Zudem wurden in den vergan-genen Jahren bereits mildere Mittel gewählt, die jedoch keinen Erfolg hatten. Somit hat X die Behörde insbesondere durch sein eigenes Verhalten zu einem solchen Eingriff veranlasst. Im zweiten Teil war nach der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde gefragt. Hier war zunächst zu erkennen, dass wegen des Ausschlusses der Rechtsbeschwerde (§ 70 FamFG) gemäß Art. 18 III S. 3 PAG a.E. der Rechtsweg bereits erschöpft ist. Sodann war auf eine frist- und formgerechte Klageerhebung einzugehen. Die Beschwerdefrist beginnt gemäß § 23 I BVerfGG mit Zustellung, die hier am 08.08.2012 erfolgte. Gemäß § 187 BGB war der Fristbeginn somit am 09.08.2012 um 00:00 Uhr. Das Fristende würde somit eigentlich auf den 08.09.2012 um 24:00 Uhr fallen. Da es sich hierbei aber um einen Samstag handelt, verschiebt sich das Fristende gemäß § 193 BGB auf den 10.09.2012, 24:00 Uhr. Somit wäre die Erhebung mittels Fax fristgerecht, das Einreichen der Unterlagen auf dem Postwege je-doch verfristet. Fraglich war daher, ob eine Klageerhebung mittels Fax dem Schriftformerfordernis des § 23 I BVerfGG genügt. Hier war zunächst die Identifikationsfunktion als zentraler Zweck des Schriftformerfordernisses des § 23 I BVerfGG herauszustellen. Da es sich vorliegend um ein herkömmliches Fax und kein sog. Computerfax handelt, ist die Identifikationsfunktion durch die Übermittlung der Absenderdaten gewahrt, sodass eine Einhebung mittels Fax ausreichend ist. Die Frist war somit durch die Übermittlung des Faxes gewahrt. Von einer ausreichenden Begründung, vgl. § 92 BVerfGG, ist nach dem Sachverhalt auszugehen.

hemmer-Trainingsplan-Info: Die Überprüfung einer polizeilichen Ingewahrsamnahme war zuletzt mehr-fach Gegenstand von Entscheidungsbesprechungen in der Life & Law, vgl. VGH Mannheim, DVBl. 2011, 626 ff. = Life & Law 2012, Heft 1 sowie BVerfG, DÖV 2010, 941 ff. = Life & Law 2011, Heft 2 und VGH München, 10 B 07.219, Urteil vom 17.04.2008 = Life & Law 2010, Heft 12. Auch in unserem Polizei-rechtshauptkurs findet sich die Thematik der Freiheitsbeschränkung wieder. Die Prüfung der formellen Verfassungsgemäßheit eines Gesetzes gehört zum Standardrepertoire, das im Hauptkurs Verfassungs-recht in mehreren Fällen vermittelt wird. Die Frage, wie weit der Bundesgesetzgeber die Frage der Straf-rechtsvorsorge abschließend geregelt hat, findet sich in der Urteilsbesprechung BVerwG, Urteil vom 25.01.2012, BVerwG 6 C 9.11 in der Augustausgabe der Life & Law, direkt vor dem Examenstermin! Die Prüfung von Grundrechten mit dem Schwerpunkt der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme ist das zentrale Thema nahezu aller Verfassungsrechtsfälle, sodass Sie als Kursteilnehmer und regelmäßiger Leser der Life & Law mit dieser Klausur nicht allzu große Probleme gehabt haben dürften.

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hemmer! Life&Law 11/2012 847

Klausur Nr. 6:

Problemstellung: In Aufgabe Nr. 6 lagen die Schwerpunkte im Verwaltungsprozessrecht und Verwal-tungsrecht mit Bezügen zum Baurecht.

Sachverhalt: Die Stadt A (Regierungsbezirk Schwaben) schließt mit der M-GmbH (tätig als Bauträgerge-sellschaft) einen Vertrag mit folgendem Inhalt:

„1. Die Stadt A stellt den Erlass eines Bebauungsplans nach § 30 Abs. 2 BauGB auf der Grundlage des Planentwurfs der M-GmbH in Aussicht. Die Stadt A wird hierzu alles unternehmen, was tatsächlich und rechtlich möglich ist. Die M-GmbH verpflichtet sich, das Bauvorhaben gemäß dem Planentwurf binnen eines Jahres ab Erlass des Bebauungsplans durchzuführen und ebenso die notwendige Erschließung zu sichern. Die der M-GmbH entstandenen Planungskosten trägt diese selbst, ebenso wie die Erschlie-ßungskosten.

2. Die M-GmbH erstattet der Stadt A die Kosten, die der Stadt A nachweislich wegen der aufgrund der Planung notwendigen baulichen Erweiterung des Kindergartens St. Martin entstehen, i.H.v. max. 20.000,- €, wenn der Bebauungsplan nach Ziffer 1 aufgestellt und das Bauvorhaben der M-GmbH und die Kinder-gartenerweiterung vollständig verwirklicht sind.

3. Die M-GmbH bezahlt an die Stadt A außerdem 30.000,- € zum Zweck der baulichen Renovierung des städtischen Jugendzentrums, wenn der Bebauungsplan nach Ziffer 1 aufgestellt ist.“

Eine grundsätzliche Einigkeit hatte zwischen der M-GmbH und den Stadträten der Stadt A bereits hin-sichtlich der Ziffern 1 und 2 des Vertrags bestanden. Später wurde jedoch von einer Stadträtin die Auf-nahme der Ziffer 3 in den Vertrag angeregt, weil das Jugendzentrum ohnehin schon lange renovierungs-bedürftig sei. Dem stimmten die übrigen Stadträte zu, sodass Ziffer 3 in den Vertrag aufgenommen wurde. Der Stadtrat hat die Zustimmung zu dem Vertrag einstimmig und formell ordnungsgemäß beschlossen. Der Erste Bürgermeister delegierte die Unterschrift aus Zeitgründen an den Zweiten Bürgermeister. Auf Seiten der M-GmbH unterschrieb der alleinige Geschäftsführer.

Im Folgenden wird der Bebauungsplan nach ordnungsgemäß durchgeführtem Verfahren erlassen und die M-GmbH zahlt die 30.000,- € gemäß Ziffer 3. Die M-GmbH weigert sich aber, die 20.000,- € gemäß Zif-fer 2 zu zahlen, obwohl die Kindergartenerweiterung mittlerweile verwirklicht ist. Zudem fordert sie nach Einholung von Rechtsrat die 30.000,- € zurück. Sie sei der Meinung, ein Bebauungsplan könne schon gar kein Gegenstand einer vertraglichen Vereinbarung sein. Die Stadt A führt hingegen an, für eine Rückfor-derung bestehe schon keine Anspruchsgrundlage. Sie habe außerdem das Geld für die Renovierung des Jugendzentrums bereits ausgegeben. Zudem sei zu beachten, dass der Erlass des Bebauungsplans nicht mehr rückgängig gemacht werden könne.

Die M-GmbH erhebt Klage vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg. Die Stadt A beantragt Abweisung der Klage und rechnet „hilfsweise“ mit ihrer Forderung aus Ziffer 2 i.H.v. 20.000,- € auf.

Hat die Klage Aussicht auf Erfolg?

Skizzierung der inhaltlichen Probleme:

Zunächst war zu problematisieren, ob der Verwaltungsrechtsweg vorliegend eröffnet ist. Eine aufdrängen-de Sonderzuweisung besteht nicht. Der Verwaltungsrechtsweg könnte aber gem. § 40 I S. 1 VwGO eröff-net sein. Dazu müsste der Streit öffentlich-rechtlich sein. Dies richtet sich bei Verträgen nach dem Ver-tragsgegenstand. Die Ziffern 2 und 3 sind diesbezüglich nicht eindeutig. Allerdings erfolgen diese dort vereinbarten Zahlungen als Gegenleistung für die Ziffer 1, die eindeutig öffentlich-rechtlicher Natur ist. Somit ist der Verwaltungsrechtsweg gemäß § 40 I S. 1 VwGO eröffnet. Hinsichtlich der statthaften Klageart war zunächst herauszustellen, dass das klägerische Begehren (§ 88 VwGO) auf Zahlung der 30.000,- € gerichtet war. Hierbei handelt es sich um einen Realakt, sodass als statthafte Klage nur eine allgemeine Leistungsklage in Betracht kommt. Diese ist zwar in der VwGO nicht ausdrücklich geregelt. Sie wird aber mehrfach als bestehend vorausgesetzt (§§ 43 II, 111, 113 IV VwGO).

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hemmer! Life&Law · 11/2012 848

Bei der Klagebefugnis konnte bereits problematisiert werden, ob es für den geltend gemachten Anspruch überhaupt eine Anspruchsgrundlage gibt. Diesbezüglich kommt nur ein sog. öffentlich-rechtlicher Erstat-tungsanspruch in Betracht. Dieser wird teilweise aus § 812 BGB, teilweise direkt aus den Grundrechten abgeleitet und ist jedenfalls gewohnheitsrechtlich anerkannt. Somit ist ein Anspruch der M-GmbH zumin-dest nicht ausgeschlossen. Weitere Zulässigkeitsprobleme bestehen nicht. Die Klage wäre begründet, wenn sie gegen den richtigen Beklagten gerichtet ist und der geltend gemach-te Anspruch besteht. Richtiger Beklagter war gem. § 78 I Nr. 1 VwGO analog die Stadt A. Ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch besteht, wenn es innerhalb eines öffentlich-rechtlichen Ver-hältnisses eine Vermögensverschiebung ohne Rechtsgrund gegeben hätte. Das Verhältnis ist vorliegend öffentlich-rechtlicher Natur. In der Zahlung der 30.000,- € ist eine Vermö-gensverschiebung zu sehen. Fraglich ist jedoch, ob diese auch rechtsgrundlos erfolgte. Als Rechtsgrund kommt der öffentlich-rechtliche Vertrag zwischen der M-GmbH und der Stadt A in Betracht. Dieser ist wirksam zustande gekommen. Eine Unterschrift des Zweiten Bürgermeisters war gem. Art. 39 I S. 1 GO möglich. Der zugrundeliegende Gemeinderatsbeschluss ist formell rechtmäßig, die GmbH wurde wirksam vertreten, § 35 GmbHG. Fraglich ist aber, ob ein Bebauungsplan überhaupt Gegenstand eines öffentlich-rechtlichen Vertrags sein kann. Dem könnte § 1 III S. 2 BauGB entgegenstehen. Bei dieser Norm handelt es sich um ein Verbots-gesetz i.S.d. § 134 BGB. Gem. § 1 III S. 2 BauGB kann ein Anspruch auf Erlass eines Bebauungsplans (auch) durch Vertrag nicht begründet werden. Die Norm soll insbesondere die gemeindliche Planungsho-heit und eine objektive Planabwägung sicherstellen. Die konkrete Vereinbarung zwischen der Stadt A und der M-GmbH räumt der M-GmbH aber gerade keinen solchen Anspruch ein, sondern verpflichtet die Stadt lediglich dazu, auf den Erlass des Bebauungsplans hinzuwirken. Außerdem ist für einen vorhabenbezo-genen Bebauungsplan nach §§ 12, 30 II BauGB der Abschluss eines städtebaulichen Vertrages nach § 11 BauGB gerade vorgesehen, der dem Vertragspartner nach § 12 II BauGB zumindest einen Anspruch auf Einleitung eines Planaufstellungsverfahrens gibt. Auch die Gegenleistungen der M-GmbH entstehen je-weils erst „wenn“ der Bebauungsplan bereits erlassen ist. § 1 III S. 2 BauGB steht der Wirksamkeit des Vertrags vorliegend somit nicht entgegen. Problematisch ist aber, ob die Vereinbarung gem. Ziffer 3 wirksam ist. Hiergegen könnte sprechen, dass zwischen dieser Vereinbarung und der Leistung der Stadt A kein sachlicher Zusammenhang besteht. Sol-che Abreden sind gemäß Art. 56 I S. 2 BayVwVfG i.V.m. Art. 59 II Nr. 4 BayVwVfG nichtig. Dazu müsste Art. 56 I S. 2 BayVwVfG aber überhaupt einschlägig sein. Dies ist nur in Fällen des Art. 54 S. 2 BayVwVfG der Fall, also wenn die Behörde an Stelle eines VA einen Vertrag schließt. Bei einem Bebauungsplan handelt es sich aber gem. § 10 I BauGB um eine Satzung und somit keinen VA. Art. 54 S. 2 BayVwVfG wird jedoch analog auf alle sog. subordinationsrechtlichen Verträge angewandt. Sinn und Zweck der Norm ist gerade, dass behördliches Handeln zu keinem „käuflichen Gut“ gemacht werden soll. Diese Interessenlage ist aber bei sämtlichen subordinationsrechtlichen Verträgen gegeben. Vorliegend handelt es sich auch um einen solchen subordinationsrechtlichen Vertrag, sodass Art. 54 S. 2 BayVwVfG analoge Anwendung findet und die konkrete Vereinbarung des Vertrags gem. Art. 56 I S. 2 BayVwVfG i.V.m. Art. 59 II Nr. 4 BayVwVfG nichtig ist. Etwas anderes ergibt sich hier auch nicht aus § 11 I Nr. 3 BauGB, nachdem der Vertragspartner der Gemeinde in einem städtebaulichen Vertrag nur die Kosten übernehmen darf, die durch die städtebauliche Maßnahme der Gemeinde, hier den vorhabenbe-zogenen Bebauungsplan, entstehen. Dies ist bei den Kosten der Renovierung des Jugendzentrums gera-de nicht der Fall. Insoweit erfolgte die Zahlung der 30.000,- € also rechtsgrundlos. Somit besteht der Anspruch dem Grunde nach. Hinsichtlich des Entreicherungseinwands ist bereits fraglich, ob die Stadt A überhaupt entreichert ist, da der Vermögensvorteil durch die Vornahme der Renovierungen noch bei der Stadt vorhanden ist. Jeden-falls ist aber ein Entreicherungseinwand beim öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch von Seiten des Staates grundsätzlich wegen Art. 20 III GG ausgeschlossen. Auch der Einwand, der Erlass des Bebau-ungsplans könne nicht zurückgewährt werden, greift nicht, da hierin gerade der Sanktionscharakter der Nichtigkeitsfolge liegt. Die Stadt A kann aber mit ihrer Forderung aus Ziffer 2 des Vertrages aufrechnen, vgl. Art. 62 BayVwVfG i.V.m. §§ 387 ff. BGB. Die Unwirksamkeit der Ziffer 3 führt nicht zur Gesamtnichtigkeit des Vertrages, da dieser auch ohne Ziffer 3 gewollt war, vgl. Art. 59 III BayVwVfG. Die Verpflichtung in Ziffer 2 des Vertrags, die Kosten der Kindergartenerweiterung zu tragen, lässt sich aber gerade unter § 11 I Nr. 3 BauGB, Art. 56 I S. 2 BayVwVfG subsumieren. Insoweit besteht der sachliche Zusammenhang, da der Ausbau des Kindergartens gerade durch die Ausweisung eines neuen Wohngebiets notwendig wird, sodass diese Zahlungsverpflichtung wirksam ist.

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hemmer! Life&Law 11/2012 849

Eine Aufrechnung ist auch trotz der grundsätzlichen Bedingungsfeindlichkeit von Prozesshandlungen hier zulässig, da es sich um eine sog. innerprozessuale Rechtsbedingung handelt, durch die keine Rechtsun-sicherheit entsteht. Infolge der Aufrechnung ist die Forderung der M-GmbH in Höhe von 20.000,- € erloschen, vgl. § 389 BGB. Die Klage der M-GmbH ist somit nur hinsichtlich der Zahlung von 10.000,- € begründet. Im Übrigen ist sie unbegründet.

hemmer-Trainingsplan-Info: Eine machbare Klausur. Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch und der öffentlich-rechtliche Vertrag gehören zum Grundhandwerkszeug eines Verwaltungsrechtlers. Aber auch derjenige, der hier auf „Lücke“ gesetzt hatte, konnte den Fall lösen, indem er sein zivilrechtliches Wissen parallel heranzog. Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch kann dann als Bereicherungsan-spruch geprüft werden. Der einzige Unterschied ist insoweit die Frage, wieweit die öffentliche Hand sich überhaupt auf Entreicherung berufen kann. Die Frage nach der Wirksamkeit des öffentlich-rechtlichen Vertrags – hier ist es wichtig, auf keinen Fall die Rechtmäßigkeit des Vertrags um ihrer selbst willen zu prüfen – konnte mit dem reinen Gesetzeswortlaut der Art. 59 II, 56 I BayVwVfG beantwortet werden. De-tailwissen oder die Kenntnis einer speziellen Entscheidung war – wie meistens in öffentlich-rechtlichen Klausuren – nicht gefordert. Aus diesem Grund liegt der Schwerpunkt unseres Hauptkurses auch nicht darin, Ihnen Wissen einzutrichtern. Unser Ziel ist es vielmehr, Ihr Verständnis zu fördern, sodass Sie in der Lage sind, mit Ihrem Grundwissen auch unbekannte Klausuren argumentativ zu lösen. Natürlich ge-hört zu diesem Grundwissen auch der öffentlich-rechtliche Vertrag, der sich bspw. in Fall 10 des Allge-meinen Verwaltungsrechts wiederfindet.