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Ländler geben DEN TON AN Kein Volksmusikfest ohne Schwyzerörgeli. Bis der urchige Klang des Schweizer Musikinstruments ertönt, braucht es grosses Können. EDGAR OTT und seine Mitarbeiter sind Meister ihres Faches. Text Kathrin Fritz Fotos Maurice K. Grünig Edgar Ott mit einem Schwyzerörgeli vor seiner Werkstatt in Unteriberg SZ. Das Holz muss manchmal über Jahre gelagert werden, bis es verarbeitet werden kann. Die weissen Knöpfe gehören zur Mechanik eines Örgelis. Eine Mitarbeite- rin schneidet die vorstehenden Lederkanten am Blasbalg zurecht. 49 Schweizer Familie 30/2016 48 Schweizer Familie 30/2016 SCHÖNER LEBEN SCHÖNER LEBEN

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Ländler geben DEN TON AN

Kein Volksmusikfest ohne Schwyzerörgeli. Bis der urchige Klang des Schweizer Musikinstruments ertönt, braucht es grosses Können.

EDGAR OTT und seine Mitarbeiter sind Meister ihres Faches.

Text Kathrin Fritz Fotos Maurice K. Grünig

Edgar Ott mit einem Schwyzerörgeli vor seiner Werkstatt in Unteriberg SZ.

Das Holz muss manchmal über Jahre gelagert werden, bis es verarbeitet werden kann.

Die weissen Knöpfe gehören zur Mechanik eines Örgelis.

Eine Mitarbeite­rin schneidet die vorstehenden Lederkanten am Blasbalg zurecht .

49Schweizer Familie 30/201648 Schweizer Familie 30/2016

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HÖREN SIE MITwww.schweizerfamilie.

ch/schwyzerörgeli

Der stille See, der sich bis an die grünen Matten schmiegt, sanft geschwungene Hügel, die weit in

den königsblauen Himmel hineinwach-sen, dazu eine beschauliche Ruhe und der Geruch von Kuhfladen und Heu. Hier im schwyzerischen Unteriberg, inmitten die-ser fast unberührten Landschaft, werden selbst Traditionsverächter sentimental und bekommen heftige Heimatgefühle.

Vor Edgar Otts Schwyzerörgeli-Werk-statt sitzt – passend zum Postkartenidyll – ein älterer Herr im Hirtenhemd, die krumme Brissago in den Mundwinkel geklemmt. Der Mann heisst Rees Gwerder und ist aus Beton. Rees – er war mit allen per Du – hiess eigentlich Jakob Andreas Gwerder (1911–1998). Rees war ein Star oder, wie es in der Vols-musikszene heisst, ein Meister des Stegreifspiels, der Kunst des Improvisie-rens auf dem Schwyzerörge-li. Er, der stets ernst und andächtig spielte und fest wie ein Berg auf dem Hocker sass, ist einer von Edgar Otts Vorbildern. Durch nichts liess sich der Alte aus der Ruhe brin-gen. Sogar die Juchzer des Bassgeigers bestätigte er nur mit einem kaum wahrnehmbaren Ziehen an der Brissago im Mund.

Rees Gwerder sei, sagt der 54-jährige Örgelibauer bewundernd, zu seiner Zeit einer der Besten seines Fachs gewesen. Und wie sein Idol, das nie Örgelistunden gehabt hat und das Spiel durch Abschauen lernte, hat sich auch Edgar Ott die Kunst des Schwyzerörgeli-Baus durch genaues Hinschauen selber beigebracht. Otts ur-sprünglicher Beruf war Elektroplaner. «Später als Musiklehrer musste ich immer ➳

wieder die Örgeli der Schüler reparieren.» So lernte er das Instrument und sein kompliziertes Innenleben immer besser kennen. Bis er 1994 ein eigenes Schwyzer-örgeli baute.

111 Jahre zuvor hatte Robert Iten das erste Schwyzerörgeli konstru-iert. Weil sich Itens Werk-statt in Schindellegi und später in Pfäffikon SZ be-fand, gab ihm sein Erbauer, in Abgrenzung zum bereits bestehenden Langnauerli, den Namen Schwyzerörgeli.

Heute gibt es noch ein paar wenige Be-triebe, vor allem in der Innerschweiz, im Kanton Bern und in Graubünden, die Schwyzerörgeli herstellen.

Das Holz muss reifenIn der Werkstatt in Unteriberg SZ sind die Holzbretter so akkurat aufeinander-geschichtet, dass die Beigen aussehen wie gestapelte Papierblöcke in einer Papeterie.

Stegreifspiel: Improvisieren. Ein Stegreif ist eine Seilschlinge, um vom oder aufs Pferd zu steigen (Steig­bügel). Aus dem Stegreif: ohne vom Pferd zu steigen, im übertragenen Sinn, ohne lang nachzudenken, unvorbereitet.

Zwei- bzw. dreichörig: Pro ge­drückten Knopf erklingen zwei oder drei Töne.

Griffbrett: Hier sind die Knöpfe eingelassen.

Balg: Erzeugt den Luftstrom im Instrument. Er ist aus gefaltetem Karton gefertigt, lässt sich aus­einanderziehen und wieder schlies­sen. Der Balgrahmen umspannt den Balg. Er ist aus Holz und mit Intar­sien, Buntpapier, Schnitzereien oder anderen Verzierungen geschmückt.

Stimmplatte oder Stimmen: Pro Instrument gibt es 105 bis 130 meist aus Zink oder Aluminium gefertigte

Platten. Sie haben zwei Schlitze. Über einem Schlitz ist oben und über dem anderen unten eine Zunge montiert, die durch Schwingen den Ton erzeugt.

Zunge: Erzeugt den Ton durch Schwingen. Je kürzer die Zunge, desto schneller schwingt sie, umso höher klingt der Ton.

Gleichtönig: Beim Ziehen des Balgs erklingt derselbe Ton wie beim Schliessen. Das ist bei den Bass tönen auf der linken Seite des Örgelis der Fall.

Wechseltönig: Die Töne sind nicht gleich. Beim Ziehen klingt ein anderer Ton wie beim Schliessen des Balgs, das ist bei den Melodietönen auf der rechten Seite der Orgel der Fall.

Hertz: Das Mass, mit dem die Ton­höhe angegeben wird. Es bezeichnet die Anzahl Schwingungen pro Sekunde.

GLOSSAR

Es sind Harthölzer wie Kirsche, Nuss-baum oder Ahorn, die sich für den Instru-mentenbau eignen. «Wir verwenden nur die Filetstücke aus dem Stamm», sagt Ed-gar Ott, «die makellosen zwanzig Prozent eines Stammes ohne Astlöcher und Fehler. Der Rest muss ausgeschieden werden.» Diese Filetstücke lagern in der Werkstatt bei normaler Zimmertemperatur, bis sie reif sind. Manchmal dauert dieser Prozess Jahre. Reif bedeutet in diesem Fall, dass das Holz nicht mehr arbeitet und sich be-wegt. Statt sich bananenförmig zu biegen, bleibt es flach und platt auf der Beige lie-gen. Erst jetzt darf es zum Instrumenten-bau, etwa für das Gehäuse, verwendet werden. Würde sich das Holz noch verbie-gen, könnte das Örgeligehäuse reissen.

Zwei- bis dreitausend Teile verbauen Edgar Ott und seine Mitarbeitenden pro

«Wir verwenden nur die Filetstücke, die makellosen 20 Prozent eines Stammes ohne Astlöcher und Fehler.» Edgar Ott, Schwyzerörgeli-Bauer

Der Schweizer Volksmusiker Rees Gwerder (3. von links) 1996, einen

Tag vor seinem 85. Geburtstag.

Die Mechanikhebel verbinden Knopf und Klappe (u.).

Die Stimmen sind das Herz des Örgelis (g. u.).

Lederecken werden zur

Verstärkung des Blasbalgs

aufgeleimt.

Priska Horath kontrolliert einen Blasbalg.

Zierleisten mit Intarsien schmücken die Instrumente.

Mitarbeiter Bruno Horath arbeitet an der Mechanik.

Edgar Ott mit einem Resonanz kasten.

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Instrument, das meiste davon in Hand-arbeit. Sie nageln, schrauben und kleben Holz, Karton, Papier, Leder, Metall und Kunststoff zusammen.

Das Herz des ÖrgelisEinige dieser Arbeiten müssen so exakt ausgeführt werden, dass nur wenige hundertstel Millimeter Abweichung tole-riert werden können. Stärkere Ungenauig-keiten hätten enorme Auswirkungen aufs Spiel, auf die Instrumentenführung und natürlich auf den Klang eines Instru-ments. Bei den sogenannten Stimmen zum Beispiel liegt die Fehlertoleranz quasi bei null: «Die Stimmen sind das Herz eines Örgelis», sagt Edgar Ott, 105 bis 130 solcher Metallplatten sind in den beiden Gehäuseseiten eingebaut, die den Blasbalg links und rechts umschliessen.

Links die Bassstimmen, rechts die Melodiestimmen.

Auf hundertstel Millimeter genauAuf jeder Platte sitzen zwei Zungen. Eine oberhalb der Platte und eine auf der Unterseite. Durch Ziehen und Schliessen des Blasbalgs strömt Luft an die Stimm-platten, lässt die Zungen vibrieren und erklingen. Ist die Zunge lang, vibriert sie langsam, der Ton ist tief. Kurze Zungen vibrieren schnell und erzeugen einen ho-hen Ton. Bevor die Stimmen jedoch ins Instrument eingebaut werden können, müssen sie vorgestimmt werden. Viele Stunden verbringen die Stimmerinnen und Stimmer im speziell für diese Arbei-ten abgedichteten Kämmerlein und feilen an den Zungen hundertstel Millimeter weg, bis ein Ton genau so klingt, wie er

muss. «Dies ist eine langwierige Arbeit, denn bei einer zweichörigen Orgel sind für jeden Ton zwei Stimmplatten vorhan-den, bei einer dreichörigen sogar drei.» Sagt Edgar Ott. Dann greift er nach einem Örgeli mit blauem Balg und roten Leder-ecken. Der Balgrahmen ist mit Intarsien belegt, das Gehäuse ist reich geschmückt. Edgar Ott setzt sich neben Rees Gwerder in den Schatten und zieht den Blasbalg auseinander: Buntes Pergamentpapier scheint zwischen den Falten auf. Vor ihm auf der Wiese schwingt der Bauer das Heu auf den Wagen. Der Musiker drückt die Tasten. Das «Echo vom Geisshimmel» tönt ins Tal hinein. Die Kühe fressen un-beirrt. Alles ist ruhig. Nur die Brissago in Gwerders Mundwinkel, so scheint es, hat ganz leicht gezuckt.www.ott-oergeli.ch

«Die Stimmen sind das Herz

eines Örgelis.»Edgar Ott,

Schwyzerörgeli-Bauer

Fertige Örgeli warten auf Käufer.

Edgar Ott an der Arbeit im Stimmzimmer.

Ein zweichöriges Schwyzerörgeli

im traditio nellen Design von Josef Nussbaumer (l.)

und ein drei­chöriges aus

hellem Ahorn (r.).

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