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Silke Ruwisch
Lösungsstrategien und Handlungsmuster von Grundschulkindern beim Bearbeiten multiplikativer Sachsituationen
Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Naturwissenschaften(Dr. rer. nat.), vorgelegt am Fachbereich 12 Mathematik der Justus-Liebig-UniversitätGießen
Erstgutachterin: Prof. Dr. Mariarme FrankeZweitgutachter: Prof Dr. Bernd WollringTag der Disputation: 1I. Mai 1998
Das Sachrechnen stellt nach wie vor eines der schwierigsten Gebiete des Mathematikunterrichts in der Grundschule dar, über das sich Lehrerinnen und Lehrer, Eltern und Kinder gleichermaßen die Köpfe zerbrechen. Gleichzeitig kommt aber dem Sachrechneneine besondere Bedeutung zu, denn es oll die Schülerinnen und Schüler befähigen, ihrealltägliche Umwelt mit Hilfe von Zahlen, Formen und Maßen zu erschließen. Daher wirdder gegenwärtige Sachrechenunterricht durchgängig für verbesserungsbedürftig gehalten.
Im theoretischen Teil der vorliegenden Arbeit werden zunächst bestehende Konzeptionenzum Sachrechnen vorgestellt und vor dem Hintergrund von Fach-, Sach- und Kindorientierung beleuchtet. Es zeigt sich, daß diese überwiegend an der Mathematik, also derfachlichen Struktur ausgerichtet sind. Kognitionswissenschaftliche Überlegungen undErkenntnisse lassen jedoch vermuten, daß für eine bessere Umwelterschließung derSachkontext, das Individuum und die Interaktion stärker als bisher Berücksichtigung imUnterricht erfahren müssen. Komplexe, realitätsnahe Sachsituationen, die den Kinderndurch reale Materialien und Aufgabensteilungen präsentiert werden, genügen diesen Erkenntnissen, denn sie erlauben die Simulation alltäglichen HandeIns. Derartige Sachsituationen weisen ein hohes Maß an Handlungsmöglichkeiten und an Offenheit für verschiedene Lösungen und Lösungswege auf und bieten sich damit als alternatives Aufgabenformat für einen umwelterschließenden Sachrechenunterricht an.
Inzwischen liegen zwar viele Vorschläge zum Einbeziehen komplexer Sachsituationen inden Unterricht vor, die z. T. Eingang in die Praxis gefunden haben, doch didaktischmethodische Gesamtkonzeptionen zu einem derartigen Sachrechenunterricht fehlenebenso wie empirische Untersuchungen, die diesen Unterricht wissenschaftlich begleitenund damit letztlich auch rechtfertigen könnten.
Die vorliegende Studie hatte daher zum Ziel, Lösungsstrategien und Handlungsmustervon Grundschulkindern beim Bearbeiten multiplikativer Sachsituationen zu erfassen undzu beschreiben, die Anknüpfungspunkte für didaktische Überlegungen und methodischeVorschläge bieten können.
Die Autorin konzipierte in Zusammenarbeit mit Studierenden drei Sachsituationen mitmultiplikativern Inhalt: .Klassenfest", "Puppenhaus" und .Kinderbowle:'. Diese dientenals Versuchsumgebung für eine qualitative empirische Studie mit 122 Zweit- und Drittkläßler. Die videodokumentierten paarweisen Auseinandersetzungen mit diesen Sachsituationen wurden transkribiert und nach arithmetischen Strategien, heuristischenStrategien und Interaktionsmustern differenziert ausgewertet und beschrieben. Die wich-
(JMD 20 (1999) H. 1, S. 75-76)
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tigsten situationsunabhängigen Ergebnisse wurden vergleichend interpretiert. Darüberhinaus standen als vergleichende Fragestellung situationsspezifische Betrachtungen imMittelpunktdes Ergebnisteils.
Die vorgestellte Untersuchung zum Umgang von Kindern mit den drei konstruiertenmultiplikativen Sachsituationen konnte insbesonderefolgendes zeigen:
• Die Kinder interpretierten die Problemstellungen sachangemessen. SchematischesVorgehen ohne Sachbezug trat nur in Einzelfällen auf.
• Die Schülerinnen und Schüler nutzten arithmetische Strategien, die sie begleitenddurch Handlungen enaktiv unterstützen konnten.
• Bereits Zweitkläßler ohne Unterrichtserfahrung zu multiplikativen Operationen warenin der Lage, mit informellen Strategien multiplikative Situationen zu bearbeiten. Auffallend war insgesamt eine enorme Vielfalt an Lösungswegen, Strategien und Handlungsmustern.
• Zur Bearbeitung multiplikativer Sachsituationen wurde weder von Zweit- noch vonDrittkläßlern auf die Addition zurückgegriffen. Vielmehr kann festgehalten werden,daß spontane Lösungsstrategien multiplikativer AufgabensteIlungen im Sachkontextspezifische Erweiterungen des Zählverständnisses darstellen und nicht auf einem sicheren Additionsverständnis beruhen.
Die vorgelegten empirischen Ergebnisse lassen sich zwar nicht unmittelbar in einedidaktisch-methodische Konzeption zum Sachrechnen umsetzen, zeigen u. E. jedoch bereits, daß multiplikative Sachsituationen eine Bereicherung für den umwelterschließenden Sachrechenunterrichtdarstellen.
Inwieweit Grundschulkinder ihre Umweltdurch die Arbeit mit Sachsituationen besser erschließen können, muß sich noch erweisen. Studierende jedenfalls sahen sich durch dasArbeiten mit Sachsituationen und entsprechende forschungspraktische Studien in dieLage versetzt, ihre Umwelt- und das meint die angestrebte Profession - besser erschließen zu können.
Die Arbeit ist bei Peter Lang unter dem Titel.Angewandte Multiplikation:Klassenfest, Puppenhaus und Kinderbowle -"Frankfurt am Main 1999ISBN: 3-631-34148-2erschienen
Anschriftder Verfasserin:Silke RuwischInstitut für Didaktikder MathematikKarl-Glöckner-Str. 21 C35394 Gießenemail: [email protected]