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Logistik 1 || Bestands- und Nachschubdisposition

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Page 1: Logistik 1 || Bestands- und Nachschubdisposition

11 Bestands- und Nachschubdisposition

Bestände sind notwendig zum Ausgleich von temporären Abweichungen zwischenVerbrauch und Produktion sowie zur Sicherung der Versorgung bei Produktions-und Lieferunterbrechungen. Sie sind erforderlich zur Erfüllung von Leistungs- oderServiceanforderungen und geeignet zur Optimierung der Betriebskosten und Stei-gerung der Produktivität.

Andererseits binden Warenbestände Kapital. Sie kosten Zinsen, benötigen La-gerplatz und sind mit Risiken verbunden. Daher versuchen viele Unternehmen –insbesondere in Zeiten schwacher Konjunktur – durch Vorgabe hoher Drehzahleneinen Bestandsabbau zu erzwingen, ohne die daraus resultierendenKostensteigerun-gen und Leistungsminderungen ausreichend zu berücksichtigen.1 In anderen Unter-nehmen steigen die Bestände – vor allem amEnde einerHochkonjunkturphase – überdas benötigte Maß hinaus an.

Beide Verhaltensweisen sind Folgen einer allgemeinen Unsicherheit und Un-kenntnis der Verfahren, Strategien undAuswirkungen der Bestands- und Nachschub-disposition. Die Unkenntnis besteht trotz einer kaum noch überschaubaren Viel-zahl theoretischer Arbeiten, Fachbücher und Veröffentlichungen auf diesem Ge-biet [14, 81–87]. Viele Arbeiten untersuchen ohne Anwendungsbezug unterschied-liche Nachschubstrategien und enthalten stark vereinfachende, unpraktikable oderfalsche Formeln zur Berechnung von Nachschubmengen und Sicherheitsbeständen.Die Unsicherheit resultiert aus den unplausiblen Bestellvorschlägen von Dispositi-onsprogrammen, diemit ungeeigneten Algorithmen odermit falschenDispositions-parametern rechnen [161–163, 178, 191].

Neben der allgemeinenUnkenntnis sind in vielen Fällen folgende Schwachpunktedie Ursache für zu hohe oder zu geringe Bestände:

• geteilte Verantwortung für Bestände und bestandsabhängige Kosten• fehlende Kriterien zur Auswahl lagerhaltiger Artikel• übertriebene Anforderungen an die Lieferfähigkeit• unzureichende, spekulative oder zu optimistische Bedarfsprognose• unzulängliche Dispositionsverfahren.

Die ersten drei Schwachpunkte lassen sich durch folgende strategische Maßnahmender Bestands- und Nachschubdisposition beheben:

� Verantwortung nur einer Stelle für Bestände und bestandsabhängige Kosten

� Gezielte Auswahl der lagerhaltigen Artikel in allen Stufen der Versorgungsnetze

1 Das kann soweit gehen, dass unbedingt benötigte Produktionslager als „Werksentkopplungsmodule“bezeichnet werden, um das Vorhandensein von Lagern vor dem Vorstand zu verbergen.

T. Gudehus, Logistik 1, VDI-Buch, 319DOI 10.1007/978-3-642-29359-7_11, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012

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320 11 Bestands- und Nachschubdisposition

� Bedarfsgerechte Festlegung der Lieferfähigkeit für lagerhaltige Artikel.

Zur Unterstützung der strategischen Dispositionsentscheidungen werden in diesemKapitel die Aufgaben, Ziele undMerkmale von Puffern, Lagern und Speichern analy-siert, für die unterschiedliche Dispositionsverfahren erforderlich sind. Anschließendwerden Auswahlkriterien für lagerhaltige Artikel entwickelt.

Nachdem festgelegt ist, in welcher Stufe der Logistikkette welche Waren mitwelcher Lieferfähigkeit gelagert werden sollen, beginnt die operative Aufgabe derBestands- und Nachschubdisposition:

• Nachschub und Bestände sind so zu disponieren, dass beiminimalen Kosten einevorgegebene Lieferfähigkeit gewährleistet ist.

Die operative Bestands- und Nachschubdisposition umfasst die Teilaufgaben:

1. Bestimmung der Dispositionsparameter für die lagerhaltigen Artikel2. Rollierende Prognose oder Abschätzung des zukünftigen Bedarfs3. Aktuelle Berechnung der optimalen Nachschubmenge4. Dynamische Berechnung der Sicherheitsbestände.

Nachfolgend werden die hierfür benötigten Dispositionsparameter und Leistungskos-tensätze definiert. Damit wird die Logistikkostenfunktion für den Nachschub- undLagerprozess aufgestellt und aus dieser eine allgemeine Formel zur Berechnung derkostenoptimalen Nachschubmenge hergeleitet. Nach Definition der permanenten unddermittleren Lieferfähigkeit wird der erforderliche Sicherheitsbestand berechnet. Ausder Verbrauchsabhängigkeit der optimalen Bestände ergeben sich Konsequenzen fürdie Zentralisierung von Beständen.

Ein weiteres Ergebnis sind praktikable Nachschubstrategien, die anschließenddargestellt und miteinander verglichen werden. Mit Hilfe eines Tabellenprogrammszur Bestands- und Nachschuboptimierung werden die Einflussfaktoren auf die Be-standshöhe und die Prozesskosten untersucht. Zum Abschluss werdenMaßnahmenzur Bestandsoptimierung, das Vorgehen der dynamischen Lagerdisposition und dieKostenopportunität der Lagerhaltigkeit behandelt.

11.1 Puffern, Lagern, Speichern

Die Gründe für Material- und Warenbestände in den Versorgungsnetzen sind viel-fältig. Für die Planung des Platzbedarfs sowie für die Bestands- und Nachschubdis-position ist es zweckmäßig, nach den in Tab. 11.1 aufgeführten Funktionen, ZielenundMerkmalen die Bestandsarten Puffern, Lagern und Speichern zu unterscheiden.

In der Praxis werden die idealtypischen Bestandsarten nicht immer klar getrenntund die Begriffe Puffern, Lagern und Speichern unterschiedlich oder synonym ver-wendet. In einigen Fällen haben Bestände auchmehrere Funktionen. So ist der Über-gang vom Puffern zum Lagern und vom Lagern zum Speichern fließend und abhän-gig von der Disposition.

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11.1 Puffern, Lagern, Speichern 321

Tab. 11.1 Funktionen, Ziele und Merkmale von Puffern, Lagern und Speichern

11.1.1 Puffern

Puffern ist das Bereithalten eines möglichst geringen Arbeitsvorrats eines oder weni-ger Artikel für die Produktion, für die Verarbeitung oder für die Abfertigung. Auf-gabe ungeregelter oder gezielt disponierter Pufferbestände ist die Sicherung einergleichmäßig hohenAuslastung einer Leistungsstelle mit stochastisch schwankendemZulauf und/oder Verbrauch.

Ein Pufferbestand, der für längere Zeit oder unbefristet vorgehalten wird,schwanktwie inAbb. 11.1 dargestellt zufallsabhängig umeinenMittelwert mB, dessenHöhe so bemessen ist, dass es nicht zu einer Unterbrechung der Versorgung kommt.Die Liegezeit des Materials oder des einzelnen Warenstücks ist relativ kurz.

Zu unterscheiden sind Puffer mit Disposition und Puffer ohne Disposition. Bei-spiele fürPuffer ohneDisposition sindWarteschlangen vor Leistungsstellen undTrans-portknoten mit zufallsabhängigem Zulauf oder stochastisch schwankendem Bedarf.Bei den Puffern ohne Disposition, deren Zulauf unabhängig von der Abfertigung ist,

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322 11 Bestands- und Nachschubdisposition

Abb. 11.1 Bestandsverlauf für Puffer, Lager und Speicher

mB(t) aktueller Bestand in Ladeeinheitenmmax durchschnittlicherMaximalbestandmmin durchschnittlicherMinimal- oder Sicherheitsbestand

bestimmt sich die Höhe der Pufferbestände aus der Stärke und der Variabilität deseinlaufenden Stroms sowie aus der Größe und den Schwankungen des Leistungsver-mögens der Abfertigungsstelle nach den in Kap. 13 behandelten Staugesetzen. Bei-spiele für Puffer mit Disposition sind:

• Material- und Teilepuffer vor Bearbeitungsstationen, Produktionsmaschinen undArbeitsplätzen zur Entkopplung störungs- und ausfallgefährdeter Leistungsstel-len und zur Sicherung eines unterbrechungsfreien Betriebs.

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11.1 Puffern, Lagern, Speichern 323

• Warenpuffer vor Kommissionierplätzen und in den Verkaufstheken oder Rega-len von Läden, Märkten und Handelsfilialen zur Sicherung einer vorgegebenenWarenverfügbarkeit.

Für Puffer mit Disposition ist der Nachschub ebenso wie beim Lagern verbrauchsab-hängig. Die Nachschubdisposition arbeitet nach dem Pull-Prinzip, wobei für einenWarenpuffer anders als beim Lagern ein minimaler Platzbedarf in unmittelbarer Nä-he der Bedarfs- oder Abfertigungsstelle angestrebt wird.

11.1.2 Lagern

Lagern ist das Bevorraten der Bestände einer größeren Anzahl von Artikeln oder einesbreiten Sortiments mit länger anhaltendem Bedarf.

Wie in den Abb. 10.5, 10.6, 11.1, 11.4 und 11.23 dargestellt, sinkt der Lagerbe-stand eines Artikels von einem Maximalbestand sägezahnartig bis ein Mindestbe-stand erreicht ist, der durch eine Nachschubmenge wieder bis zum Maximalbestandaufgefüllt wird. Die Lagerdauer der einzelnen Verbrauchseinheit ist nicht vorausbe-stimmt. Die Summe der Bestände aller Artikel eines Lagers schwankt weniger starkals die Bestände der einzelnen Artikel.

Ziele des Lagerns sind die sofortige Verfügbarkeit der Lagerware, die Sicherungeiner vorgegebenen Lieferfähigkeit, die Glättung saisonaler Bedarfsschwankungen zurbesseren Produktionsauslastung und dieOptimierung der dispositionsabhängigen Lo-gistikkosten. Beispiele für Lagerbestände sind:

• Produktionsversorgungslager mit Rohmaterial, Hilfs- und Betriebsstoffen• Zwischenlager für Teile, Halbfertigprodukte und Module• Fertigwarenlager, Auslieferungslager und Ersatzteillager• Zentrallager, Regionallager und Filiallager von Handelsunternehmen mit regel-

mäßig nachbestellter Stapelware oder Dispositionsware, deren Bedarf prognosti-zierbar ist

• Vorratslager der Konsumenten.

Lagerbestände sind grundsätzlich frei disponierbar. Die optimale Nachschubdispo-sition der Lagerbestände wird vom Bedarf bestimmt und arbeitet nach dem Pull-Prinzip. Die Höhe der Bestände ist abhängig vom Dispositionsverfahren, von Artund Höhe des Verbrauchs, von der Wiederbeschaffungszeit und den Mindestmen-gen der Lieferstelle sowie von den Rüst-, Nachschub- und Lagerkosten.

11.1.3 Speichern

Speichern ist dasAnsammeln undAufbewahren vonMaterial oderWare zur Produk-tion, zumTransport, zumVerkauf oder zumSortieren für einen begrenzten Zeitraum.Ziele des Speicherns sind die optimale Nutzung von Fertigungs- oder Transportkapa-zitäten zu minimalen Kosten, der Ausgleich von Erzeugungszyklen oder das Erzielenmaximaler Erlöse durch günstige Beschaffung in großer Menge.

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324 11 Bestands- und Nachschubdisposition

In einem Speicher wird in der Regel nur der Bestand relativ weniger Artikel ange-sammelt und aufbewahrt. Der Speicherbestand eines Artikels wird – wie inAbb. 11.1dargestellt – entweder aus Teilanlieferungen aufgebaut und zu einem vorgegebenenZeitpunkt komplett ausgeliefert, in gleicher Menge für eine bestimmte Zeit aufbe-wahrt und dann in einem Schub vollständig ausgeliefert oder zu einem festen Zeit-punkt komplett angeliefert und inTeilauslieferungen abgebaut. Beispiele für Speicher-bestände sind:

• Vorräte von Naturrohstoffen, die zur Erntezeit entstehen und im Verlauf einesJahres verbraucht werden

• Aktionsware des Handels, die mit einem bestimmten Vorlauf beschafft und zumAktionszeitpunkt ausgeliefert wird

• Auftrags- oder projektspezifisch beschafftes Material und hergestellte Teile füreine Gesamtanlage oder ein Bauvorhaben, die auf einer Speicherfläche gesammeltund dann verbaut werden

• Frachtgut, das an einem Umschlagpunkt angesammelt wird bis das Fassungsver-mögen eines Transportmittels oder der Abfahrtszeitpunkt erreicht ist

• Temporäre Warteschlangen vor Leistungsstellen oder Transportknoten mit zykli-scher Abfertigung

• Schubweise angelieferte Ware, die auf die Weiterverteilung wartet• Warenstücke, Behälter oder Ladeeinheiten, die in einem Sortierspeicher gesam-

melt werden, um sie nach Zielorten oder anderen Kriterien zu ordnen.

Die Höhe der Speicherbestände wird bestimmt von einem Arbeitsplan, einem Ab-satzplan, einem Produktionsplan, einem Fahrplan, einer Sortierstrategie oder einemAbfertigungszyklus.DieLiegezeit im Speicher istmeist vorbestimmt.DieDispositionvon Speicherbeständen ist planabhängig und arbeitet in der Regel nach dem Push-Prinzip.

So kann ein Teil einer Warenmenge, die für eine Verkaufsaktion beschafft und ineinem Zentrallager angesammelt wurde, nach einem festen Verteilungsschlüssel beiBeginn der Aktion an die Filialen ausgeliefert werden. Der restliche Aktionsbestanddient als Bedarfsreserve und wird an die Filialen mit dem besten Abverkauf nachge-liefert. Anteil undVerteilungsschlüssel der Erstverteilung fürAktionsware sindwich-tige Strategieparameter von Verkaufsaktionen.

Eine besondere Form des Speicherns ist das längere Aufbewahren von Gütern,Waren, Dokumenten, Büchern, Filmen, Datenträgern, Bildern, Möbeln undWertge-genständen bis zu einemZeitpunkt, zu dem sie wieder benötigt oder genutzt werden.Beispiele für Aufbewahrungsspeicher, die besondere Zugriffs- und Sicherheitsanfor-derungen erfüllen müssen, sind Bibliotheken, Archive, Depots, Abstelllager und Tre-sore.

Nicht nur Material und Waren, auch Aufträge und Daten lassen sich speichern,puffern und lagern. Durch gebündelte Ausführung gesammelter Aufträge oder durchdas Arbeiten aus einem permanentenAuftragspuffer können – ebenso wie durch eineLagerfertigung – Auslastung und Herstellkosten optimiert werden.

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11.2 Auswahlkriterien für lagerhaltige Artikel 325

Vor der Bestandsdisposition muss daher die Auftragsdisposition entscheiden,welche Auftragspositionen sofort ab Lager geliefert und welche kundenspezifisch be-schafft oder gefertigt werden sollen (s. Abschn. 11.15).

11.2 Auswahlkriterien für lagerhaltige Artikel

Ein produzierendes Unternehmen muss regelmäßig prüfen, ab welcher Fertigungs-stufe welche Artikel kundenspezifisch hergestellt und welche Materialien, Teile undFertigwaren anonym auf Lager beschafft oder gefertigt werden. Entsprechend mussein Handelsunternehmen entscheiden, welche Artikel in welcher Stufe einer Liefer-kette permanent auf Lager gehalten und welche Artikel auf Kundenauftrag bei denLieferanten bestellt werden sollen. Für jede Stufe der Lieferketten ist also festzulegen,ob und für welche Artikel zwischen Lieferstelle und Verbrauchsstelle eine Lagerstellegeschaltet werden soll.

Die Lieferstelle, die das Produkt selbst herstellt oder ihrerseits die Ware aus ei-nem Lager liefert, kann ein externer Lieferant oder eine interne Produktionsstelle sein.Die von der Lieferstelle kundenspezifisch hergestellte oder beschaffte Ware wird alsKundenware oderAuftragsware bezeichnet, die von der Lieferstelle anonym auf Lagergelieferte Ware als Lagerware.

Maßgebend für die Entscheidung, ob Auftragsware oder Lagerware hergestelltoder beschafft wird, sind der Service, den der Kunde benötigt oder der ihm gebo-ten werden soll, die Kosten für den Direktbeschaffungsprozess im Vergleich zu denKosten für den Nachschub- und Lagerprozess sowie das Absatzrisiko, das mit derLagerhaltung verbunden ist (s. Abb. 11.2).

11.2.1 Serviceauswirkungen

Für Lagerware ist der Servicegrad optimal: Die benötigte Lieferfähigkeit lässt sichdurch einen ausreichend bemessenen Sicherheitsbestand gewährleisten. Die Liefer-zeit wird allein von der Auftragsdurchlaufzeit und der Versandzeit der Lagerstellebestimmt und kann daher extrem kurz sein.

Der Servicegrad fürAuftragsware ist dagegen ungewiss und schwankend. Bei auf-tragsspezifischer Fertigung ist die Lieferzeit abhängig von der Auslastung der produ-zierenden Lieferstelle. Bei kundenspezifischer Beschaffung aus einem Lieferantenla-gerwird der Servicegrad vondessenLieferfähigkeit und der Zustellzeit der gewähltenBeschaffungskette bestimmt.

11.2.2 Kostenauswirkungen

Die Stückkosten der Fertigung sind vom Produkt, vom Fertigungsverfahren und vonden Rüstkosten pro Auftrag abhängig. Die Stückkosten einer produzierenden Liefer-stelle sind daher für Kundenaufträge mit geringen Mengen höher als für Lagernach-schubaufträge mit großen Mengen.

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326 11 Bestands- und Nachschubdisposition

Abb. 11.2 Regelglieder und relevante Kosten der Auftragsbeschaffung undder Lagerbeschaffung

LS: Lieferstelle, Produktionsstelle, LagerstelleVS: Verbrauchs-, Verkaufs- oder Versandstelle

Bei einer Kundenauftragsfertigung besteht die Möglichkeit, zur Senkung der an-teiligenRüstkosten Einzelaufträge zu sammeln bis eineMindestmenge erreicht ist, diein einem Durchgang gefertigt wird. Die Serienbearbeitung der Kundenaufträge aberverlängert bei geringem Auftragseingang und kleinen Kundenaufträgen die Liefer-zeit.

Auch eine Lieferstelle, die nicht selbst produziert, hatAuftragsbearbeitungskosten,die jedoch in der Regel deutlich geringer sind als die Rüstkosten der Fertigung. Beiexternen Lieferstellen schlagen sich die Rüstkosten und die Auftragsbearbeitungs-kosten in der Vorgabe von Mindestlosgrößen und Mindestabnahmemengen oder inPreiszuschlägen für Mindermengen nieder.

Bei einer Auftragsfertigung entstehen Lagerhaltungskosten nur, wenn der Kun-denauftrag vorgefertigt und bis zur Auslieferung zwischengelagert wird. Lagerwareverursacht dagegen stets Lagerhaltungskosten. Deren Höhe ist abhängig von der ge-

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11.2 Auswahlkriterien für lagerhaltige Artikel 327

forderten Lieferfähigkeit, dem Beschaffungspreis, dem Volumen und dem GewichtderWare sowie von derNachschubmenge. DieGesamtkosten für die Belieferung überein Lager lassen sich jedoch durch Nachschub in optimalen Losgrößenminimieren.

11.2.3 Absatzrisiko

Jeder Warenbestand, der nicht durch verbindliche Kundenaufträge abgesichert ist,birgt das Risiko in sich, dass ein Teil der Ware keinen Abnehmer findet.

Bei Kundenware besteht ein Absatzrisiko nur, wenn diese ohne Abnahmever-pflichtung des Kunden im Voraus gefertigt wird. Das ist in einigen Branchen üblich,beispielsweise in der Textilindustrie und bei Zulieferbetrieben der Automobilindus-trie, die nach ungesicherten Blockaufträgen oderRahmenvereinbarungen kundenspe-zifische Ware fertigen.

Für anonyme Lagerware ist das Absatzrisiko unvermeidlich. Es ist daher einwichtiges Entscheidungskriterium für die Lagerhaltigkeit. Das Absatzrisiko für La-gerware hängt ab von:

• der Innovationszeit des betreffendenArtikels, die fürmodischeWaren oderCom-puterprodukte besonders kurz ist,

• der Alterungsgefahr oder Verderblichkeit der Ware, wie sie z. B. für Lebensmittelbesteht,

• der Absetzbarkeit der Ware, die von der Verwendbarkeit, der Abnehmerzahl unddenMärkten bestimmt wird,

• derBestandsreichweite, das heißt, der Relation des Lagerbestands zumVerbrauch.

Dem Absatzrisiko steht in einigen Fällen eine hohe Gewinnchance gegenüber, bei-spielsweise bei Ersatzteilen oder bei spekulativ oder kostengünstig beschaffter Wa-re [151]. In jedem Fall aber muss das Absatzrisiko, das nach zu langer Lagerdaueroder erkennbarer Unverkäuflichkeit zu Abschriften führt, bei der Bestandsdispositi-on durch einen angemessenenRisikozins kalkulatorisch berücksichtigt werden.Hier-für gilt die Regel:

� Der Lagerrisikozins liegt für modische Waren und andere Artikel mit zeitlich be-grenzter Verkäuflichkeit, wie Computer, zwischen 10 und 15% p. a. und für Arti-kel mit mehrjähriger Verkäuflichkeit und Einsetzbarkeit zwischen 3 und 5% p. a.

UmdasAbsatzrisiko des Lagerbestands zu begrenzen, kann auch für jedenArtikel ei-nemaximal zulässige ReichweiteRWzul [PE] festgelegt werden, durch dieNachschub-menge und Sicherheitsbestand begrenzt werden, wenn sich aus der geforderten Lie-ferfähigkeit oder der Bestellmengenrechnung ein Bestand ergibt, dessen Reichweitehöher ist als die maximal zulässige Reichweite.

Die qualitativen Auswirkungen von Kundenlieferung oder Lagerhaltung und diedamit verbundenen Einflussfaktoren auf Service, Kosten und Absatzrisiko sind in Ta-belle 11.2 zusammengestellt. Hieraus ergeben sich die in Tabelle 11.3 aufgeführtenEntscheidungskriterien.

Danach gelten folgende Abgrenzungsregeln zwischen Kundenlieferung und La-gerhaltung:

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328 11 Bestands- und Nachschubdisposition

Tab. 11.2 Auswirkungen und Einflussfaktoren von Auftragsbeschaffung und Lagerbe-schaffung

Kundenfertigung und Lagerfertigung der IndustrieKundenbestellung und Lagersortiment im HandelLagerprozesskosten:

Kosten für Bestellung + Transport + Einlagern + Lagern + BestandFertigungskosten: Kosten für Rüsten + Produzieren +Material

� Die Kundenlieferung ist unvermeidlich, wenn das Produkt sehr speziell, nur fürwenige oder für nur einen Kunden geeignet ist.

� Eine Kundenlieferung ist anzustreben, wenn der Bedarf temporär, der Stückpreishoch, die Auftragsmenge, das Volumen oder das Gewicht groß und das Absatzri-siko hoch ist.

� Die Lagerhaltung ist unvermeidlich, wenn eine kurze Lieferzeit und eine hohe Lie-ferfähigkeit Voraussetzungen sind für die Absetzbarkeit der Ware.

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11.2 Auswahlkriterien für lagerhaltige Artikel 329

Tab. 11.3 Auswahlkriterien und Optimierungsstrategien für Auftragsartikel und Lager-artikel

Industrie: Kundenfertigung und LagerfertigungHandel: Kundenbestellung und Lagerbeschaffung

� EineLagerhaltung ist vorteilhaft, wennderGewinn imVergleich zumAbsatzrisikohoch, der Bedarf vorhersehbar und die Kosten für denNachschub- und Lagerpro-zess geringer sind als die Kosten für den Direktlieferprozess.

Während die ersten drei Abgrenzungsregeln relativ allgemein und qualitativ sind,ist zur Anwendung der letzten Abgrenzungsregel eine vergleichendeKostenrechnungdurchzuführen. Hierzu werden dieDispositionsgrößen des betreffenden Artikels unddie Leistungskosten für die zu vergleichenden Beschaffungsketten benötigt (s. Ab-schn. 11.14).

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330 11 Bestands- und Nachschubdisposition

11.3 Disposition ein- undmehrstufiger Lagerstellen

Einstufige Lagerstellen sind durch vorangehende und nachfolgende Produktions-oder Bearbeitungsstellen von anderen Lagerstellen der Logistikkette getrennt. Bei-spiele für einstufige Lagerstellen sind Produktionslager, die ohne Zwischenpuffer di-rekt die Maschinen versorgen, und Verkaufsbestände in Märkten und Filialen, ausdenen der Kunde bedient wird.

Wenn in einer Logistikkette mehrere Lagerstellen unmittelbar aufeinander fol-gen, handelt es sich um mehrstufige Lagerstellen. Beispiele für zweistufige Lagerstel-len sind Materialpuffer unmittelbar an den Maschinen mit vorgeschalteten Reserve-lagern. Ein Beispiel für interne dreistufige Lagerstellen ist ein Kommissioniersystemmit Zugriffsbeständen auf den Bereitstellplätzen, Nachschubbeständen auf den Nach-schubplätzen, die in unmittelbarer Nähe der Bereitstellplätze angeordnet sind, undVorratsbeständen in einem getrennten Reservelager. Ein Beispiel externer dreistufigerLagerstellen ist das Fertigwarenlager eines Produzenten, das ein Zentrallager einesHandelsunternehmens beliefert, aus dem dieVerkaufsbestände in den Filialen aufge-füllt werden.

Für die Bestandsdisposition müssen alle Größen der betrachteten Lieferkettevollständig und aktuell bekannt sein, die Einfluss haben auf die Nachschub- und La-gerhaltungskosten. Für jede einzelne Lagerstelle sind das die Kostensätze für denNachschub- und Lagerprozess sowie die Artikellogistikdaten, die Verbrauchswerteund die Nachschubgrößen.

Der Ablauf der bestandsabhängigen Nachschubdisposition einer Lagerstelle füreinen einzelnen Artikel ist in Abb. 11.3 dargestellt. Die maximale Bestandshöhe undder Meldebestand werden von der Nachschubmenge und vom Sicherheitsbestandbestimmt, die voneinander unabhängige Strategievariable der Nachschub- und Be-standsdisposition sind:

� DieNachschubmenge ist die Strategievariable der Nachschubdisposition und geeig-net zur kostenoptimalen Bündelung des Nachschubbedarfs.

� Der Sicherheitsbestand ist die Strategievariable der Bestandsdisposition und erfor-derlich zur Sicherung der benötigten Lieferfähigkeit.

Bei mehrstufigen Lagerstellen sind die Nachschubgrößen der nachfolgenden Lager-stellen gleich den Verbrauchswerten der vorangehenden Lagerstelle. Hieraus folgtdas inAbb. 8.4Mitte gezeigte Prinzip derNachschubdisposition nach demPull-Prinzipfür mehrstufige Lagerstellen:

� Bestände und Nachschubmengen in mehrstufigen Lagerketten werden zuerst fürdie letzten Lagerstellen, dann mit den Nachschubmengen der letzten Stellen alsVerbrauchsmengen für die vorangehenden Lagerstellen und so fort bis zu den ers-ten Lagerstellen disponiert.

Die schrittweise Disposition kann entweder von einer zentralen Auftragsdispositi-on, von einem Rechner oder dezentral von den einzelnen Lagerstellen durchgeführtwerden. Sie führt im gesamten Versorgungsnetz selbstregelnd zu minimalen Kosten

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11.3 Disposition ein- und mehrstufiger Lagerstellen 331

Abb. 11.3 Einzeldisposition von Nachschub und Bestand nach demMeldebestandsverfahren

bei der geforderten Lieferfähigkeit, wenn jede Stelle mit den richtigen Sicherheits-beständen und den kostenoptimalen Nachschubmengen disponiert und an keinerStelle Engpässe auftreten (s. Abschn. 20.18 und [178]).

EinWechsel der Transportmittel oder der Ladeeinheiten wirkt sich über die Kos-tensätze für den Nachschub und für das Lagern auf die Disposition und die Bestän-

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332 11 Bestands- und Nachschubdisposition

de aus. Wird für eine bestandsführende Bedarfsstelle ein anderer Beschaffungsweggewählt, ergeben sich infolge der dadurch veränderten Dispositionsgrößen und Pro-zesskostensätze in allen Lagerstufen einschließlich der Bedarfsstelle selbst andere Be-stände und Nachschubmengen.

So ergeben sich durch eine Transportbündelung im Zulauf und in der Ausliefe-rung erhebliche Kosteneinsparungen und Serviceverbesserung bei der Belieferungvieler Bedarfsstellen mit geringem Einzelverbrauch aus einem Zentrallager im Ver-gleich zur direkten Regionallagerbelieferung.

Die wechselseitige Abhängigkeit der Bestände in den Lieferketten von den Her-stellern bis zum Point of Sales (POS) des Handels hat seit einiger Zeit größere Auf-merksamkeit gefunden. Die sich hieraus ergebenden Optimierungsmöglichkeitenwerden unter dem Schlagwort Efficient Consumer Response (ECR) propagiert. DerAnstoß für ECR resultiert aus der besseren und schnelleren datentechnischen Ver-bindung der Unternehmen durch Electronic Data Interchange (EDI) oder das Inter-net und einer leistungsfähigeren Software zur Prognose und Bestandsdisposition. Invielen ECR-Projekten fehlen jedoch die Anwendung der richtigen Dispositionsstra-tegien, die konsequente Nutzung der Strategievariablen und die Kenntnis der hierfürbenötigten Dispositionsparameter [16, 22, 42, 43, 88–92, 161, 163].

11.4 Dispositionsparameter

Dispositionsparameter der Bestands- und Nachschubdisposition sind die Artikello-gistikdaten, dieVerbrauchswerte und die Nachschubgrößen, die Einfluss auf die Höheder Bestände haben. Nurwenn alle dieseDispositionsparameter vollständig und hin-reichend genau bekannt sind, ist eine optimale Bestands- und Nachschubdispositionmöglich.

11.4.1 Artikellogistikdaten

Zur Disposition von Aufträgen, Beständen und Transporten werden die logistischenArtikelstammdaten benötigt (s. Abschn. 12.7):

• Mengeneinheit [ME =WST, kg, l, m, m2, m3. . . ] des Artikels [Art]• Volumen vVE [l/VE], Gewicht gVE [kg/VE] und Inhalt cVE [ME/VE] der Ver-

brauchseinheit oder Verkaufseinheit [VE]• Beschaffungswert PVE [€/VE] pro Verbrauchseinheit (s. Abschn. 11.6)• Kapazität CLE [VE/LE] der zur Nachschublieferung und Einlagerung verwende-

ten Ladeeinheiten [LE]• Geforderte permanente Lieferfähigkeit ηlief odermittlere Lieferfähigkeit ηMlief

Darüber hinaus ist zur Bestandsdisposition eine gute Warenkenntnis erforderlich,die Beschaffenheit, Herkunft und Verwendungszweck der Artikel umfasst.

In vielen Unternehmen sind dieArtikellogistikdaten nicht vollständig erfasst odernicht in den Artikelstammdaten im Rechner hinterlegt. Das kann ein Grund dafürsein, dass bestimmte Dispositionsstrategien nicht durchführbar sind oder der Rech-ner falsche Bestellvorschläge macht [178, 191].

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11.4 Dispositionsparameter 333

11.4.2 Verbrauchsdaten

Aus dem Verbrauch der zurückliegenden Perioden lassen sich bei hinreichend regel-mäßigem Bedarf nach den in Kap. 9 dargestellten Prognoseverfahren für einen aus-reichenden Prognosezeitraum folgende Verbrauchsdaten ableiten:

• Auftragseingang λA [Auf/PE] und Auftragsstreuung sA [VE]• AuftragsmengemA [VE/VAuf] undMengenstreuung sm pro Auftrag• Mindestmenge mAmin [VE/VAuf] pro Auftrag [Auf] .

Aus dem Auftragseingang λA [Auf/PE] und der mittleren Auftragsmenge mA ergibtsich der Periodenbedarf, Absatz oder Verbrauch:

λVE = mA ⋅ λA [VE/PE] . (11.1)

Wird der zukünftige Bedarf mit Hilfe eines Rechnerprogramms aus dem zurücklie-genden Verbrauch ermittelt, ist es notwendig, dass der Disponent die Prognosewerteregelmäßig beurteilt und nach seiner Erfahrung undAbsatzkenntnis entweder bestä-tigt oder korrigiert.

11.4.3 Nachschubgrößen

Eine in Grenzen frei wählbare Strategievariable der Nachschubbündelung ist die

• NachschubmengemN [VE/NAuf] pro Nachschubauftrag [NAuf].

Für externe Lieferstellen ist die Nachschubmenge gleich der Bestellmenge, für interneProduktionsstellen gleich der Fertigungslosgröße.

Aus der mittleren Nachschubmenge und dem durchschnittlichen Periodenver-brauch ergeben sich über einen längeren Zeitraum die Nachschubfrequenz

fN = λVE/mN [NAuf/PE] (11.2)

und die Nachschubzykluszeit

TN = 1/ fN [PE] . (11.3)

Frequenz und Zykluszeit des Nachschubs sind also keine unabhängigen Dispositi-onsparameter, sondern durch den Periodenverbrauch und die Nachschubmenge be-stimmt.

Die zur Anlieferung der Nachschubmenge mN benötigte Anzahl Ladeeinheitenmit einem Fassungsvermögen CLE [VE/LE] ist:

MN = {mN/CLE} [LE] , (11.4)

wobei die geschweiften Klammern {. . . } das Aufrunden auf die nächst größere ganzeZahl bedeuten. Wie in Abb. 12.10 dargestellt, ist die Abhängigkeit des Ladeeinhei-tenbedarfs von der Nachschubmenge eine unstetige Treppenfunktion.

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334 11 Bestands- und Nachschubdisposition

Für unterschiedliche Nachschubmengen, die nicht gleich einem ganzzahligenVielfachen der Ladeeinheitenkapazität sind, ist der mittlere Ladeeinheitenbedarf füreine Nachschubmenge mN (s. Abschn. 12.5):

MN =

⎪⎪

⎪⎪

mN/CLE + (CLE − 1)/2CLE wenn mN > CLE

1 wenn mN < CLE .(11.5a)

Wenn mN > CLE ist, enthält jede Nachschubanlieferung eine Ladeeinheit, die durch-schnittlich zu einem Anteil (CLE − 1)/2CLE leer ist. Wenn mN ≤ CLE ist, wird stetseine ganze Ladeeinheit benötigt. Für Beziehung (11.5a) lässt sich in geschlossenerForm schreiben:

MN =MAX (1; mN/CLE + (CLE − 1)/2CLE) [LE] . (11.5b)

Der Leeranteil (CLE − 1)/2CLE und die aus diesem resultierenden Zusatzkosten fürTransport und Lagerung teilweise leerer Ladeeinheiten können zum Verschwindengebracht werden durch eine Mengenanpassungsstrategie, nach der die Nachschub-menge auf ein ganzzahliges Vielfaches des Fassungsvermögens einer Ladeeinheit ab-oder aufgerundet wird.

Die zulässige Nachschubmenge kann durch eine vorgegebeneMindestnachschub-mengemNmin [VE/NAuf] nach unten begrenzt sein:

mN ≥ mNmin [VE/NAuf] . (11.6)

Die Mindestmenge für den Nachschub ist entweder eine vom Lieferanten vorgege-beneMindestbestellmenge oder ein von der Produktion vorgegebenes minimales Fer-tigungslos. Jede vorgegebene Mindestmenge muss in Frage gestellt und die mit ihrerAufhebung verbundenenMehrkosten ermittelt werden, wenn dadurch eine Senkungder Gesamtkosten möglich erscheint.

Maßgebend für denMeldebestand und für den Sicherheitsbestand sind der Peri-odenverbrauch sowie

� die Länge TWBZ [PE] und die Streuung sWBZ [PE] derWiederbeschaffungszeit.2

Die Wiederbeschaffungszeit ist die aktuelle Beschaffungszeit (9.71) bei wiederhol-ter Bestellung. In der dynamischen Nachschubmengenrechnung darf nicht mit derErstbeschaffungszeit gerechnet werden.

Bei einem Absatz λVE [VE/PE] ist die Verbrauchsmenge in der Wiederbeschaf-fungszeit:

mWBZ = TWBZ ⋅ λVE [VE] . (11.7)

Länge und Streuung der Wiederbeschaffungszeit lassen sich für etablierte Lieferan-ten durch eine Auswertung der Lieferzeiten für vergangene Nachschubbestellungenermitteln. Neue Lieferanten müssen sich in einer Rahmenvereinbarung für die Ab-rufbelieferung zu verlässlichen Lieferzeiten verpflichten.

2 Wiederbeschaffungszeit, Durchsatzraten und andere zeitabhängige Größen müssen durchgängig aufdie gleiche Zeiteinheit, z. B. auf einen Kalendertag, einen Betriebstag oder die Periodenlänge bezogensein.

Page 17: Logistik 1 || Bestands- und Nachschubdisposition

11.5 Bestandsgrößen 335

11.5 Bestandsgrößen

Wenn die Nachschubmenge bis zum Erreichen eines Mindestbestands gleichmäßigverbraucht und in regelmäßigen Abständen der Nachschub geschlossen angeliefertwird, hat der Bestand den in Abb. 11.4 dargestellten sägezahnartigen Zeitverlauf(s.Abschn. 10.5.3). Aufgrund der Stochastik des Verbrauchs und wegen derGanzzah-ligkeit der Verbrauchseinheiten ist der Zeitverlauf des aktuellen Bestands eine un-regelmäßige Treppenfunktion. Aus dem Zusammenwirken mehrerer stochastischerEinflüsse resultiert die in Abb. 11.1, 11.4 und 11.23 gezeigte Streuung des aktuellenBestandsverlaufs um einen mittleren Verlauf.

Der Minimalbestand mmin [VE] variiert im Verlauf der Zeit um einen Sicher-heitsbestand, der die Strategievariable der Bestandsdisposition ist:� Der Sicherheitsbestandmsich [VE] verhindert, dass infolge stochastischer Bedarfs-

schwankungen oder unsicherer Lieferzeiten der Lagerbestand vor Eintreffen desNachschubs auf Null sinkt und dadurch Lieferunfähigkeit eintritt.

Die Höhe des Sicherheitsbestands (safety stock) wird bestimmt von der gefordertenLieferfähigkeit. Er hängt von der Streuung des Verbrauchs und der Wiederbeschaf-fungszeit ab (s. Abschn. 11.8). Bei einem vorgegebenen Sicherheitsbestand msich undkorrekter Nachschubdisposition ist derMinimalbestand mmin im langzeitigen Mittelgleich dem Sicherheitsbestand msich.

Der aktuelle Bestand mB(t) schwankt also zwischen dem Sicherheitsbestand undeinemMaximalbestandmmax:

Abb. 11.4 Bestandsverlauf bei gleichmäßigem Verbrauch und geschlossener Anliefe-rung [27]

mB(t) aktueller Bestandmsich Sicherheitsbestand =Mindestbestand (safety stock)mmax durchschnittlicherMaximalbestandmN NachschubmengemB = msich +mN/2 mittlerer Bestand (cycle stock)mWBZ Verbrauch in der WiederbeschaffungszeitmMB = msich +mWBZ Meldebestand

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336 11 Bestands- und Nachschubdisposition

msich ≤ mB(t) ≤ mmax [VE] . (11.8)

Für denMaximalbestand gilt bei geschlossen angelieferten Nachschubmengen mN:

mmax = msich +mN [VE] . (11.9)

Aus den Beziehungen (11.8) und (11.9) folgt:

� Dermittlere Lagerbestand eines Artikels ist bei regelmäßiger geschlossener Nach-schubanlieferung gleich der Summevon Sicherheitsbestand (safety stock) und hal-ber Nachschubmenge (cycle stock):

mB =msich +mN/2 [VE] . (11.10)

Die Nachschubmenge und der Sicherheitsbestand sind also zwei Hebel, von denendie Bestandshöhe abhängt. Von diesen beiden Hebeln wird der Sicherheitsbestandin seiner Auswirkung häufig unterschätzt, nicht immer korrekt festgelegt und nurselten aktualisiert.

Zur Unterbringung eines Bestands mB in Ladeeinheiten mit dem Fassungsver-mögen CLE werden MB = {mB/CLE} ganze Ladeeinheiten benötigt. Wenn nicht nurvolle Ladeeinheiten nachgeliefert und verbraucht werden, ist der

• mittlere Bestand in Ladeeinheitenmit Fassungsvermögen CLE

MB =MAX (1; (msich +mN/2)/CLE + (CLE − 1)/2CLE) [LE] , (11.11)

denn im Mittel ist pro Artikelbestand eine Ladeeinheit zu (CLE − 1)/2CLE leer. Nurwenn für Nachschub und Verbrauch die Mengenanpassungsstrategie der Rundungauf ganze Ladeeinheiten befolgt wird, entfällt der Zusatz (CLE − 1)/2CLE. Der La-gerplatzbedarf NLP [LE-Plätze] zur Unterbringung der Ladeeinheiten des Bestandsfür einen Artikel in einem Lager hängt ab von derArt der Lagerung, wie Einzel- oderMehrplatzlagerung, und von der Lagerordnung, wie feste oder freie Lagerordnung(s. Abschn. 16.4).

Der Lagerplatzbedarf bei Einzelplatzlagerung ist:

NLP = {(msich + fLO ⋅mN)/CLE} [LE-Plätze] (11.12)

mit dem Lagerordnungsfaktor

fLO =⎧

⎪⎪

⎪⎪

1/2 für freie Lagerordnung1 für feste Lagerordnung.

(11.13)

Ohne Mengenanpassungsstrategie ergibt sich hieraus der mittlere Lagerplatzbedarfbei Einzelplatzlagerung

NLP =MAX (1; (msich + fLO ⋅mN)/CLE + (CLE − 1)/2CLE) . (11.14)

Der Lagerplatzbedarf bei Mehrplatzlagerung mit einer Platzkapazität CLP > 1, zumBeispiel für Blocklager oder Durchlauflager, errechnet sich nach den in Kap. 16 an-gegebenen Beziehungen.

Page 19: Logistik 1 || Bestands- und Nachschubdisposition

11.5 Bestandsgrößen 337

Aus dem Durchschnittsbestand leiten sich verschiedene Lagerkenngrößen ab:

� Diemittlere Bestandsreichweite RWB [PE] ist gleich der Verbrauchszeit des mittle-ren Bestands bei Fortsetzung des bisherigen Verbrauchs

RWB = mB/λVE [PE] . (11.15)

DieNachschubreichweite RWN, die Sicherheitsbestandsreichweite RWsich und diema-ximale Reichweite RWmax eines Artikels ergeben sich entsprechend, indem in dieBeziehung (11.15) anstelle des Durchschnittsbestands die Nachschubmenge, der Si-cherheitsbestand bzw. der Maximalbestand eingesetzt wird.

Die Reichweite des Bestands unterscheidet sich von der Liegezeit oder Lagerdau-er der einzelnen Artikeleinheit. Diese hängt von der Entnahmestrategie, wie First-In-First-Out (FIFO) oder Last-In-First-Out (LIFO), und vom Verbrauch ab. Die tat-sächliche Lagerdauer lässt sich erst bei Auslagerung der Ware feststellen, wenn derEinlagerzeitpunkt vermerkt wurde.

Aus der Begrenzung des Absatzrisikos für den Lagerbestand durch eine maximalzulässige Reichweite RWzul ergibt sich als obere Grenze für Nachschubmenge undSicherheitsbestand die Risikorestriktion:

msich +mN < RWzul ⋅ λVE . (11.16)

Eine derartige Risikorestriktion, die eineÜberalterung der Bestände verhindert, fehltin vielen Dispositionsprogrammen. Die reziproke mittlere Reichweite ist der

• Lagerumschlag

UB = λVE/mB = 1/RWB [1/PE] . (11.17)

Der auf ein Jahr bezogene Lagerumschlag wird als Lagerdrehzahl [1/Jahr] bezeichnet.Der Lagerumschlag darf nicht mit der Nachschubfrequenz verwechselt werden. Ausden Definitionsgleichungen (11.2) und (11.17) ist ablesbar:

� Der Lagerumschlag unterscheidet sich von der Nachschubfrequenz um den Fak-tor mN/mB = 2mN/(2msich +mN).

Bei geringem Sicherheitsbestand ist der Lagerumschlag nahezu doppelt so groß wiedie Nachschubfrequenz. Bei gleicher Nachschubfrequenz verringert sich der Lager-umschlag mit zunehmendem Sicherheitsbestand. Hieraus folgt die Regel:

� Ein Lagerumschlag, der kleiner ist als die Nachschubfrequenz, ist ein Indiz für zuhohe Sicherheitsbestände.

Für die Bestandsreichweite und den Lagerumschlag eines Artikels sind nur die dy-namischen Mittelwerte interessant (s. Abschn. 9.13.3). Reichweite- und Drehzahlan-gaben beziehen sich oft auf ein ganzes Lager oder ein Sortiment. Bestandsreichweiteund Lagerumschlag aber sind nur für ein homogenes Sortiment, das die Bedingun-gen des Mittelwertsatzes der Logistik erfüllt, sinnvolle Kennzahlen. Je heterogenerdas Sortiment und je unterschiedlicher die Artikel in einem Lager sind, umso unsin-niger wird die Betrachtung der pauschalen Bestandsreichweite oder Lagerdrehzahl.

Spätestens bei Erreichen oder Unterschreiten desMeldebestands muss ein Nach-schubauftrag erteilt werden, damit die Lagerstelle lieferfähig bleibt.

Page 20: Logistik 1 || Bestands- und Nachschubdisposition

338 11 Bestands- und Nachschubdisposition

• Der Meldebestand mMB [VE] ist gleich der Summe von Sicherheitsbestand undVerbrauchsmenge in der Wiederbeschaffungszeit

mMB =msich + TWBZ ⋅ λVE [VE] . (11.18)

• Der Bestellzeitpunkt tBP ist der Zeitpunkt, für den mB(tBP) = mMB ist, zu demalso der Meldebestand erreicht wird.

Bei instationärem Verbrauch λVE = λVE(t) verändern sich Sicherheitsbestand undVerbrauch in der Wiederbeschaffungszeit im Verlauf der Zeit. Daher muss der Mel-debestand mit den aktuellen Werten der Verbrauchsprognose permanent neu be-rechnet werden. Er ist eine dynamische Größe (s. Abb. 11.3).

11.6 Kostensätze für Nachschub und Lagerung

Die von der Bestands- und Nachschubdisposition abhängigen Lagerlogistikkostensetzen sich zusammen aus den Nachschubkosten und den Lagerhaltungskosten.

Die Nachschubkosten umfassen alle Kosten für den Nachschubprozess, der sichvon der Nachschubdisposition bis zur Einlagerung des Nachschubs in den Lager-platz erstreckt. Sie setzen sich aus denNachschubauftragskosten, den Zutransportkos-ten und den Einlagerkosten zusammen. Die Lagerhaltungskosten sind die Summe derZinskosten für den Bestandswert und der Lagerplatzkosten zur Unterbringung der Be-standsmenge (s. Abb. 11.2 unten).

Zur Kalkulation und Optimierung der Lagerlogistikkosten werden die Kosten-sätze der beteiligten Leistungsprozesse benötigt.

11.6.1 Nachschubauftragskosten kNAuf [€/NAuf]

Die Nachschubauftragskosten sind die Summe

kNAuf = kVSAuf + kLSAuf + kSend [€/NAuf] (11.19)

folgender Kostenanteile:

• Auftragskosten der Verbrauchsstelle kVSAuf für die Nachschubdisposition, das Er-stellen des Abrufauftrags, den Informationsaustausch mit der Lieferstelle, dieSendungsannahme und die Eingangserfassung pro Nachschubanlieferung.

• Auftragskosten der Lieferstelle kLSAuf für die Auftragsannahme, das Rüsten inder Fertigung oder Kommissionierung, die Auftragsbearbeitung, die Dispositionvon Fertigung, Lager, Warenausgang und Versand sowie für die Rechnungsstel-lung und Kommunikation mit der Lagerstelle.

• Sendungskosten kSend, die bei Einzeltransport des Nachschubs eines Artikels vonder Lieferstelle zur Lagerstelle in voller Höhe anfallen und bei gebündeltemTransport des Nachschubs für mehrere Artikel anteilig entstehen.

Die Auftragskosten der Lieferstelle fallen explizit nur bei den internen Lieferstellenan. Sie sind ebenso wie die Transportkosten bei Belieferung frei Lagerstelle implizit inden Lieferpreisen der externen Lieferanten enthalten.

Page 21: Logistik 1 || Bestands- und Nachschubdisposition

11.6 Kostensätze für Nachschub und Lagerung 339

Bei entsprechenden Konditionen werden sie in Form von Mindermengenzu-schlägen, Großmengenrabatten oder Logistikrabatten gesondert in Rechnung gestellt(s. Abschn. 7.6). Wenn sich die Auftragskosten der Lieferstelle durch das Disposi-tionsverhalten der Lagerstelle verändern, müssen diese bei der Bestandsdispositiondurch korrigierte Leistungskostensätze berücksichtigt werden.

11.6.2 Spezifische Transportkosten kTrLE [€/LE]

Die Transport- oder Frachtkosten pro Ladeeinheit für den Transport zwischen Lie-ferstelle und Lagerstelle sind abhängig von den gewählten Ladeeinheiten, von derEntfernung zwischen Lieferstelle und Lagerstelle, von der Versandart und von derKapazität der eingesetzten Transportmittel (s. Kap. 18).

Sie werden wie die Sendungskosten maßgebend beeinflusst von der Summe derNachschubmengen aller Artikel, die von derselben Lieferstelle in einer Sendung an-geliefert werden, also vom Ausmaß der Transportbündelung (s. Kap. 19).

11.6.3 Spezifische Einlagerkosten kLein [€/LE]

Die Kosten für das Einlagern der einzelnen Ladeeinheit vomWareneingang auf denLagerplatz sind Bestandteil der Nachschubkosten. Sie können grundsätzlich auchden Transportkosten zugerechnet werden.

11.6.4 BeschaffungspreisPVE [€/VE]

Benötigt wird entweder der Beschaffungspreis pro Mengeneinheit PME [€/ME] oderpro Verbrauchseinheit PVE [€/VE]. Mit dem Inhalt der Verbrauchseinheit cVE[ME/VE] folgt der Preis pro Mengeneinheit aus dem Preis pro Verbrauchseinheitnach der Beziehung:

PME = PVE/cVE [€/ME] . (11.20)

Der Beschaffungspreis ist bei Fremdbezug der aktuelle Netto-Einkaufspreis pro Ver-brauchseinheit abzüglich aller Rabatte und Skonti, der für die aktuelle Nachschub-menge gilt. Bei Eigenfertigung ist der Beschaffungspreis gleich denHerstellkosten oh-ne Rüstkostenanteil und ohne Gemeinkostenzuschläge.

In der Dispositionsrechnung darf für den Beschaffungspreis nicht mit dem Ver-kaufspreis, mit den Vollkosten oder mit überholten Einkaufspreisen gerechnet wer-den, auch wenn die bilanzielle Bestandsbewertung hiervon abweicht.3

11.6.5 Lagerzinssatz zL [% pro PE]

Der Lagerzinssatz ist die Summe

zL = zK + zR [% pro PE] (11.21)

3 Siehe Fußnote 5

Page 22: Logistik 1 || Bestands- und Nachschubdisposition

340 11 Bestands- und Nachschubdisposition

des Kapitalzinssatzes zK, mit dem die Kapitalbindung durch den Bestandswert zuverzinsen ist, und eines Risikozinssatzes zR, durch den das Abwertungsrisiko wegenSchwund, Alterung und Unverkäuflichkeit sowie eine eventuelle Bestandsversiche-rung kalkulatorisch berücksichtigt werden.

Eventuelle Zahlungsfristen der Lieferstelle sind ohne Einfluss auf die Zinskostendes Lagerkapitals, da vor Ablauf der Zahlungsfrist freigesetztes Lagerkapital ander-weitig zinssparend einsetzbar ist.

11.6.6 Spezifische Lagerplatzkosten kLP [€/LE ⋅ PE]

Die Lagerplatzkosten pro Ladeeinheit und Periode beziehen sich auf die Lagerzeiteiner Ladeeinheit und unterscheiden sich – allein schon wegen der verschiedenenMaßeinheit – grundlegend von den Ein- und Auslagerkosten, die sich auf die durch-gesetzte Ladeeinheit beziehen (s. Abschn. 16.13).

Die Lagerplatzkosten sind ebensowie die Einlager- undAuslagerkosten abhängigvon der Art der Ladeeinheiten und von der eingesetzten Lagertechnik, jedoch unab-hängig vomWert des Inhalts der Lagereinheit. Hieraus folgt:

� Es ist es falsch, die Lagerplatzkosten, wie allgemein üblich, mit einem Prozent-satz des Bestandswertes oder unter Einbeziehung der Ein- und Auslagerkosten zukalkulieren.

Für ausgewählte Ladeeinheiten, Transportarten undLagertechniken sind einige Leis-tungskostensätze in Tabelle 11.4 zusammengestellt. Hieraus geht hervor, wie unter-schiedlich die Kostensätze sein können. Daher müssen die zur Disposition benötig-ten Kostensätze für den konkreten Einsatzfall neu ermittelt und laufend aktualisiertwerden.

Die zur kostenoptimalen Disposition benötigten internen und externen Leis-tungskostensätze sind nicht einfach zu ermitteln. Sie dürfen nicht aus allgemeinenKennzahlen abgeleitet oder ungeprüft von anderenUnternehmenübernommenwer-den. Deshalb enthalten die Eingabefelder der Dispositionsprogramme für die Pro-zesskostensätze häufig keine oder falscheWerte. Unkorrekte Prozesskostensätze aberverfälschen die Nachschubmengenrechnung [178, 191].

11.7 Lagerlogistikkosten

Ziele der Bestands- und Nachschubdisposition sind die Sicherung einer gefordertenLieferfähigkeit und die Minimierung der dispositionsabhängigen Logistikkosten, diemit dem Nachschub- und Lagerprozess verbunden sind. Diese Lagerlogistikkostensind die Summe der Nachschubkosten KN und der Lagerhaltungskosten KL:

KNL(mN) = KN(mN) + KL(mN) [€/PE] . (11.22)

Mit den zuvor angegebenen Zusammenhängen und Kostensätzen ergibt sich beieinem Verbrauch λVE, einer Nachschubmenge mN und einer NachschubfrequenzfN = λVE/mN für die Nachschubkosten:

Page 23: Logistik 1 || Bestands- und Nachschubdisposition

11.7 Lagerlogistikkosten 341

LEISTUNGSKOSTEN

LEISTUNGSART Leistungs- kleinere Lager größere Lager Preis-Einheit von bis von bis Einheit

Auftragskosten Lagerstelle

Disposition + Abruf N-Auftrag 3,00 4,00 2,50 3,50 €/N-Auftrag

Eingangserfassung N-Auftrag 7,00 13,00 4,00 6,00 €/N-Auftrag

Einlagern einschließlich interner Transport vom WE zum Lager

Behälter Behälter 0,30 0,40 0,20 0,30 €/Beh

Palette Palette 2,50 3,50 1,50 2,00 €/Pal

Lagern Einzelplatzlagerung

Behälter Beh-KTag 0,04 0,06 0,02 0,03 €/Beh-KTag

Palette Pal-KTag 0,25 0,40 0,15 0,20 €/Pal-KTag

Auslagern ohne Kommissionieren und ohne Transport zum WA

Behälter Behälter 0,20 0,30 0,15 0,20 €/Beh

Palette Palette 1,50 2,50 0,80 1,40 €/Pal

Lagerzinssatz ZL=ZK+ZR

ZK

ZR

9,0% 20,0% 7,0% 17,0% pro Jahr

Kapitalbindung 4,0% 12,0% 4,0% 12,0% pro Jahr

Lagerrisiko 5,0% 8,0% 3,0% 5,0% pro Jahr

Tab. 11.4 Ausgewählte Leistungskostensätze für Nachschub und Lagern

Kosten der Leistungsarten ohne Gemeinkostenzuschläge, Preisbasis 20091 Jahr = 365 Kalendertage (KTage) = 250 Betriebstage (BTage)

außen innen Länge Breite HöheBehälter 74 63 l/Beh 600 400 310mmPalette 1.008 860 l/Pal 1.200 800 1.050mm

KN(mN) = (λVE/mN) ⋅ (kNAuf + (kTrLE + kLein) ⋅ {mN/CLE}) . (11.23)

Für eine Nachschubmenge mN, einen Sicherheitsbestand msich und mengenunab-hängige Wiederbeschaffungszeit sind die Lagerhaltungskosten:

KL(mN) = PVE ⋅ zL ⋅ (msich +mN/2) + kLP ⋅ { (msich + fLO ⋅mN) /CLE} . (11.24)

Page 24: Logistik 1 || Bestands- und Nachschubdisposition

342 11 Bestands- und Nachschubdisposition

Abb. 11.5 Lagerlogistikkosten als Funktion der Nachschubmenge

Beispiel: Fertigwarenlager für ZigarettenParameter: s. Tabellen 11.4 und 11.7Quadrate: NachschubkostenKreise: LagerhaltungskostenPunkte: Nachschubkosten+ Lagerhaltungskosten

Hierin bedeuten die geschweiften Klammern das Aufrunden auf die nächst größereganze Zahl.

Die hieraus ohne den Ganzzahligkeitseffekt resultierende Abhängigkeit der La-gerlogistikkosten (11.22) von der Nachschubmenge ist für ein Beispiel aus der Zi-garettenindustrie in Abb. 11.5 dargestellt. Aus dieser Darstellung wie auch aus denBeziehungen (11.22) bis (11.24) ist ablesbar:

� Die Nachschubkosten sinken umgekehrt proportional mit der NachschubmengemN.

� DieLagerhaltungskosten steigen proportionalmit demSicherheitsbestand undderNachschubmenge.

� DieLagerlogistikkosten sinken zunächstmit zunehmenderNachschubmenge, stei-gen dann aber mit weiter zunehmender Nachschubmenge an und haben bei eineroptimalen NachschubmengemNopt einen Minimalwert, der gleich den optimiertenLagerlogistikkosten ist.

Page 25: Logistik 1 || Bestands- und Nachschubdisposition

11.7 Lagerlogistikkosten 343

� Der Verlauf der Lagerlogistikkosten ist in einem größeren Bereich um die opti-male Nachschubmenge relativ flach.

Wegen des flachen Kurvenverlaufs im Bereich des Minimums hängt die Höhe derminimalen Lagerlogistikkosten nicht sehr empfindlich vom genauen Wert der opti-malen Nachschubmenge ab. Das hat für die Berechnung der optimalen Nachschub-menge und für die Nachschubdisposition folgende Konsequenzen:� Die Berechnung der optimalen Nachschubmenge braucht nicht besonders genau

zu sein.

� Ein berechneter Optimalwert für die Nachschubmenge muss nicht akribisch ein-gehalten werden, vor allem dann nicht, wenn durch ein Auf- oder Abrunden volleLade- oder Transporteinheiten erreichbar sind.

� Die Ungenauigkeit einzelner Dispositionsparameter und Prozesskostensätzewirkt sich relativ wenig auf die optimale Nachschubmenge und die optimiertenLagerlogistikkosten aus.

� Die Ungenauigkeit mehrerer Dispositionsparameter und Prozesskostensätze mit-telt sich nach dem Fehlerausgleichsatz teilweise heraus.

Die Unempfindlichkeit der optimalen Nachschubmenge und der optimierten Lager-logistikkosten gegenüber Veränderungen und Ungenauigkeiten der Parameter undKostensätze erleichtert zwar die theoretische Lösung des Optimierungsproblems,rechtfertigt aber nicht das Fortlassen oder die falsche Berücksichtigung wichtigerEinflussgrößen, wie der Lagerplatzkosten.

Die optimale Nachschubmenge lässt sich analytisch nur berechnen, wenn dieKostenfunktion KNL(mN) stetig differenzierbar ist. Für Ladeeinheiten mit CLE > 1sind die Lagerlogistikkosten (11.22) jedoch eine Treppenfunktion der Nachschub-menge, die keine stetige Ableitung hat (s. Abb. 12.10). Wenn mN > CLE ist, erge-ben sich mit Beziehung (11.5) für die mittlere Nachschubmenge und mit Beziehung(11.14) für denmittleren Lagerplatzbedarf diemittleren Nachschubkosten

KNm = (kTrLE + kLein) ⋅ λVE/CLE + (11.25)((kNAuf + (kTrLE + kLein)(CLE − 1)/2CLE)) ⋅ λVE/mN .

Für diemittleren Lagerhaltungskosten resultiert:

KLm = PVE ⋅ zL ⋅ (msich +mN/2) + kLP ⋅ ((msich + fLO ⋅mN)/CLE (11.26)+(CLE − 1)/2CLE) .

Die Summe KNLm(mN) = KNm(mN) + KLm(mN) ist stetig nach der Nachschub-menge mN differenzierbar. Durch Nullsetzen der Ableitung der KostenfunktionKNLm(mN) und Auflösung nach mN ergibt sich die

• Masterformel der optimalen Nachschubmenge bei mengenunabhängiger Wieder-beschaffungszeit

mNopt =√

2 ⋅ λVE ⋅ (kNAuF + (kTrLE + kLein)(CLE − 1)/2CLE) /(PVE ⋅ zL + 2 fLO ⋅ kLP/CLE) .(11.27)

Page 26: Logistik 1 || Bestands- und Nachschubdisposition

344 11 Bestands- und Nachschubdisposition

Bei begrenzter Produktionsleistung μ der Lieferstelle ist die Gesamtfertigungszeitmengenabhängig. Für diesen Fall ergibt sich bei kontinuierlicher Auslieferung, dassdie optimale Nachschubmenge (11.27) mit dem Faktor

1/(1 − λ/μ) zu multipli-zieren ist [228] (s. Abschn.. 11.16).

Darüber hinaus ist die Nachschubmenge aufgrund derMindestbestellmengenfor-derung (11.6) und der Risikorestriktion (11.16) eingeschränkt auf den Bereich:

mNmin <mNopt < mNmax = RWzul ⋅ λVE −msich . (11.28)

Mit Beziehung (11.10) und der optimalen Nachschubmenge (11.27) folgt der

• optimale mittlere Lagerbestand

mBopt = msich +mNopt/2 . (11.29)

Durch Einsetzen der optimalen Nachschubmenge (11.27) in die Kostenfunktion(11.22) ergeben sich dieminimalen Lagerlogistikkosten

KNLmin = KNL(mNopt) . (11.30)

Die Masterformel (11.27) für die optimale Nachschubmenge geht für CLE = 1 undkLP = 0, also bei Vernachlässigung der Ladeeinheitenkapazität und der Lagerplatz-kosten, in die sogenannte Andler-Formel über [11, 14, 16, 75, 81–83, 87, 93–95].4 FürLadeeinheiten mit einer Kapazität CLE > 1 und Lagerplatzkosten, die imVergleich zuden Zinskosten nicht vernachlässigbar sind, unterscheidet sich die allgemeine Nach-schubformel (11.27) von der Andler-Formel in mehrfacher Hinsicht.

Eine wichtige Konsequenz aus der Nachschub-Masterformel (11.27) ebenso wieaus der einfachen Andler-Harris-Formel, die international Economic Order Quantity(EOQ) genannt wird, ist:

� Die optimale Nachschubmenge steigt proportional mit der Wurzel aus dem Ver-brauch.

Weitere Konsequenzen aus der allgemeinen Nachschubformel (11.27), die in den üb-lichen Bestellmengenrechnungen mit der Andler–Harris-Formel nicht beachtet wer-den, sind:

� Die Lagerlogistikkosten, die optimale Nachschubmenge und der optimale Lager-bestand hängen von der Art und Kapazität der verwendeten Ladeeinheiten ab(s. Abb. 11.6). Die Verwendung zu großer Ladeeinheiten führt z. B. zu einem ho-hen Anteil von Anbrucheinheiten und dadurch zu Mehrkosten.

� Lagerplatzkosten, optimale Nachschubmenge und optimaler Lagerbestand hän-gen von der Lagerordnung ab. Bei fester Lagerordnung und relativ geringen Si-cherheitsbeständen sind die Lagerplatzkosten deutlich höher als bei freier Lager-ordnung.

4 Die in Deutschland übliche Bezeichnung Andler-Formel ist ungerechtfertigt: Andler selbst verweist inseiner diesbezüglichen Arbeit aus dem Jahr 1929 auf andere, frühere Veröffentlichungen zur Losgrö-ßenoptimierung und hat die betreffende Formel übernommen [94]. In Amerika und England wirddie klassische Losgrößenformel alsHarris- oderWilson-Formel bezeichnet [16]. Die erste Losgrößen-formel wurde nach Kenntnis des Verfassers von dem Amerikaner F. Harris im Jahr 1913 veröffent-licht [86].

Page 27: Logistik 1 || Bestands- und Nachschubdisposition

11.7 Lagerlogistikkosten 345

Abb. 11.6 Verbrauchsabhängigkeit der optimierten Lagerlogistikkosten

Beispiel: HandelswarenlagerParameter: Ladungsträger (s. Tabelle 11.4)

� Nicht nur der Wert, sondern auch das Volumen und Gewicht der Lagerware be-stimmen die Lagerhaltungskosten, die optimale Nachschubmenge und den opti-malen Bestand (s. Abb. 11.7).

� Ohne Auffüllstrategie erhöhen sich die Lagerlogistikkosten. Bei geringen Nach-schubmengen und Beständen tragen die Mehrkosten für Anbrucheinheiten nichtunwesentlich zu den Lagerlogistikkosten bei.

� Die betriebswirtschaftlich übliche, jedoch grundsätzlich falsche Kalkulation derLagerplatzkosten mit einem Lagerkostensatz in Prozent vom Bestandswert führtzu überhöhten Beständen von billigen und großvolumigen Artikeln.

� Die optimale Nachschubmenge und der optimale Bestand hängen von der Hö-he der Leistungskostensätze ab. Mit Ansteigen der spezifischen Auftragskosten,Transportkosten und Einlagerkosten nehmen Nachschubmenge und Bestand zu.Bei hohemWarenwert, ansteigenden Zinsen und größeren Lagerplatzkosten wer-den Nachschubmenge und Bestand geringer.

Wenn die Leistungskosten auslastungsabhängig sind, ist zu entscheiden, mit welchenKostensätzen zu rechnen ist (s. Abschn. 6.9). Für die Nachschubmengenrechnunggilt:

� Wenn es sich um externe Leistungen handelt, muss mit den aktuellen Leistungs-preisen gerechnet werden, die auf Vollkostenbasis kalkuliert sind und sich imVer-lauf der Zeit aufgrund von Angebot und Nachfrage ändern können.

Page 28: Logistik 1 || Bestands- und Nachschubdisposition

346 11 Bestands- und Nachschubdisposition

Abb. 11.7 Optimierte Lagerlogistikkosten als Funktion des Stückvolumens

Parameter: Ladungsträger

� Für interne Leistungen müssen die Leistungskostensätze auf Vollkostenbasis fürdie maximal mögliche Leistung und Kapazitätsnutzung der Produktion, des La-gers und des Transportsystems kalkuliert werden.

Wird statt mit den Vollauslastungskostensätzen mit auslastungsabhängigen Kosten-sätzen kalkuliert, ergeben sich bei geringer Auslastung höhere Kostensätze und da-durch nach der allgemeinen Nachschubformel eine Senkung der Inanspruchnah-me. Bei einer hohen Auslastung resultieren geringere Leistungskostensätze mit demEffekt zunehmender Inanspruchnahme. Dieser Effekt ließe sich sinnvoll umkehrendurch die Strategie auslastungsabhängiger Leistungskostensätze:

� In Zeiten geringer Auslastung werden die Leistungskostensätze gesenkt und beiAnnäherung an die Grenzleistung erhöht.

So werden durch eine Anhebung der Rüstkosten bei Annäherung an dieGrenzen derProduktionskapazität eine Abnahme der Nachschubfrequenz, größere Losgrößen,geringere Rüstzeitverluste und eine Steigerung der Produktionskapazität erreicht.5

5 Produktionsgetriebene Unternehmen tendieren dazu, in auslastungsschwachen Zeiten verstärkt aufLager zu produzieren, um dadurch die Fertigung weiter auszulasten und vermeintlich den Deckungs-

Page 29: Logistik 1 || Bestands- und Nachschubdisposition

11.8 Lieferfähigkeit und Sicherheitsbestand 347

Ebenso verhindert ein Heraufsetzen der spezifischen Lagerplatzkosten mit zuneh-mendem Füllungsgrad ein Überlaufen des Lagers. Eine Senkung der spezifischenLagerplatzkosten bei geringem Füllungsgrad bewirkt eine bessere Lagernutzung undgünstigere Nachschubkosten.

11.8 Lieferfähigkeit und Sicherheitsbestand

Die Festlegung der Lieferfähigkeit ist eine unternehmerische Entscheidung vongroßer Tragweite [183, 226]. Sie hängt vom Sicherheitsbedarf und von der Marktsi-tuation ab und ist mit Risiken verbunden, die sich oft nur schwer abschätzen lassen.Bei der Planung der Lieferfähigkeit ist zu unterscheiden zwischen einer Unterbre-chungsreserve und dem Sicherheitsbestand:

• DieUnterbrechungsreserve ist ein eiserner Bestand zur Sicherung der Versorgungder Verbrauchsstelle für die Dauer einer unregelmäßig auftretenden Unterbre-chung des Nachschubs, z. B. durch Anlagenausfall, Reparatur, Betriebsunterbre-chung, Transportschaden, Streik oder einen Engpass der Lieferstelle.

• Der Sicherheitsbestand ist eine Schwankungsreserve zur Sicherung der Lieferfä-higkeit während der Wiederbeschaffungszeit gegen die regelmäßigen stochasti-schen Schwankungen des Periodenbedarfs und der Wiederbeschaffungszeit.

Die Unterbrechungsreserve ist ein Sperrbestand, der nur bei Auftreten der Ereignisse,für die sie bestimmt ist, angegriffen werden darf [178]. Ihre Höhe ergibt sich aus demProdukt des Periodenverbrauchs mit der maximal zu erwartenden Unterbrechungs-zeit.

Der Sicherheitsbestand (safety stock) ist dagegen jederzeit frei verfügbar und zen-traler Handlungsparameter der Bestandsdisposition. Wenn der Nachschub zu späteintrifft, kann der Sicherheitsbestand in den letzten Tagen der Wiederbeschaffungs-zeit vollständig aufgebraucht werden.

Für einen stationären Verbrauch mit stochastischer Streuung lässt sich der Si-cherheitsbestand, der zur Erfüllung einer benötigten Lieferfähigkeit erforderlich ist,mit Hilfe der Wahrscheinlichkeitstheorie berechnen. Die exakte Lösung ist jedochkompliziert und nicht in einer geschlossenen Formel darstellbar. Für die Lagerdis-position genügt zur Berechnung des Sicherheitsbestands eine Näherungsformel, dienachfolgend hergeleitet wird. Sie sichert die Einhaltung der Lieferfähigkeit auch beiinstationärem Bedarf besser als die exakte Lösung und bewirkt zugleich eine Sen-kung der Sicherheitsbestände gegenüber der herkömmlichen Standardformel [178].

11.8.1 Lieferbereitschaft und Tageslieferfähigkeit

Die Lieferbereitschaft oder Lieferfähigkeit ηlief eines Lagerartikels ist dieWahrschein-lichkeit, dass der frei verfügbare Lagerbestand ausreicht, einen Lieferauftrag für die-

beitrag zu verbessern. Dabei wird jedoch übersehen, dass Lagerware maximal zu Herstellkosten ohneDeckungsbeitrag zu bewerten ist. Ein Deckungsbeitrag wird erst durch den Verkauf der Ware erwirt-schaftet. Wenn also absehbar ist, dass der Markt die Ware nicht abnimmt, muss die Produktion sofortgedrosselt werden.

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348 11 Bestands- und Nachschubdisposition

sen Artikel mit der zugesicherten Termintreue auszuführen. Sie ist gleich der Auf-tragslieferfähigkeit für Einpositionsaufträge.

Für Mehrpositionsaufträge gilt nach den Regeln der Wahrscheinlichkeitsrech-nung:� Die Auftragslieferfähigkeit für Mehrpositionsaufträge ist gleich dem Produkt der

Lieferbereitschaft für die einzelnen Artikel.Beträgt beispielsweise die Lieferfähigkeit der einzelnen Artikel eines Sortiments98%, dann ist die Auftragslieferfähigkeit für Aufträge mit durchschnittlich 5 Posi-tionen nur (98%)5 = 0,985 = 0,90 = 90%.

Bei einer Mehrstückanforderung ist die volle Lieferfähigkeit nur gegeben, wenndie geforderte Menge für den Artikel vollständig vorrätig ist. Eine abgeschwächteForm der Lieferfähigkeit ist die Teillieferfähigkeit, die erfüllt ist, wenn von dem Arti-kel mindestens eine Verbrauchseinheit lieferbar ist.

Die Lieferfähigkeit ist ein Wahrscheinlichkeitswert, der stochastisch um einenMittelwert streut. Die mittlere Lieferfähigkeit ist nur über einen längeren Zeitraumhinreichend genau messbar. Die Messung setzt voraus, dass sich der Mittelwert indiesem Zeitraum nicht ändert. Das ist nur bei stationärem Verbrauch und konstantermittlerer Wiederbeschaffungszeit der Fall (s. Abschn. 9.15).

Bei instationärem Verbrauch oder sich ändernder Wiederbeschaffungszeit lässtsich jedoch nach jeder Nachschubanlieferung mit Hilfe der Standardformel für dendynamischenMittelwert (9.71) aus der Lieferfähigkeit für den Zeitraum seit der letz-tenAnlieferung und der zuletzt errechneten dynamischenLieferfähigkeit die aktuellemittlere Lieferfähigkeit berechnen.

Für die Messung der auftragsbezogenen Lieferfähigkeit gilt die Definition:

• Die Lieferfähigkeit eines Artikels ist das über einen bestimmten Zeitraum ge-messene Verhältnis der Aufträge, die aus demArtikelbestand vollständig bedientwurden, zur Gesamtzahl der Aufträge für den Artikel.

Wenn eine tagesgenaue Termineinhaltung gefordert ist, zählen alle Aufträge als er-füllt, die am Tag des Auftragseingangs ausgeführt werden. Statt der auftragsbezoge-nen Lieferfähigkeit kann daher auch die Tageslieferfähigkeit gemessen werden. Sieist wie folgt definiert:

• Die Tageslieferfähigkeit eines Artikels ist das über einen längeren Zeitraum ge-messene Verhältnis der Tage, an denen alle Lieferaufträge aus dem Bestand voll-ständig bedient wurden, zur Gesamtzahl der Tage.

Tage, an denen der Bestand nicht zur Erfüllung aller eingehenden Lieferaufträge aus-reichend war, zählen dabei als Tage derNichtlieferfähigkeit, auch wenn an einem sol-chen Tag ein Teil der Aufträge ausgeführt werden konnte. Daraus folgt der Satz:� Bei gleichem Sicherheitsbestand ist die auftragsbezogene Lieferfähigkeit ist grö-

ßer als die Tageslieferfähigkeit.Dieser Satz ist grundlegend zur Berechnung des Sicherheitsbestands für eine benö-tigte Lieferfähigkeit, da sich die mittlere Tageslieferfähigkeit mit Hilfe der Wahr-scheinlichkeitstheorie einfacher berechnen lässt als die auftragsbezogene Lieferfä-higkeit.

Page 31: Logistik 1 || Bestands- und Nachschubdisposition

11.8 Lieferfähigkeit und Sicherheitsbestand 349

11.8.2 Lieferfähigkeit in derWiederbeschaffungszeit (α-Servicegrad)

Wenn λm [VE/AT] der mittlere Tagesverbrauch und TWBZ [AT] die Wiederbeschaf-fungszeit in Anzahl Absatztagen sind, ist der mittlere Verbrauch in der Wiederbe-schaffungszeit:

mWBZ = TWBZ ⋅ λm (11.31)

Wegen der stochastischen Streuung des Tagesverbrauchs und der veränderlichen Be-schaffungszeiten schwankt der Verbrauch in der Wiederbeschaffungszeit um denMittelwert (11.31). Dauert die Wiederbeschaffung mehrere Tage, ist der Verbrauchin der Wiederbeschaffungszeit nach dem Gesetz der großen Zahl annähernd nor-malverteilt.

Wenn sλ die Streuung des Verbrauchs und sWBZ die Streuung der Wiederbe-schaffungszeit ist, folgt aus dem Gesetz der großen Zahl (9.23) und dem Fehlerfort-pflanzungsgesetz (9.24) für die Streuung des Verbrauchs in derWiederbeschaffungs-zeit [178, 209, 247]:

s2mWBZ = TWBZ ⋅ s2λ + λ2m ⋅ s

2WBZ . (11.32)

Damit in der Wiederbeschaffungszeit von der Bestellung bis zum Eintreffen des La-gernachschubs mit der Wahrscheinlichkeit ηWBZ keine Lieferunfähigkeit auftritt –imOperations Researchwird dieseWahrscheinlichkeit α-Servicegrad genannt –,mussder Sicherheitsbestand gleich dem Produkt des Sicherheitsfaktors fS(η) der Normal-

Tab. 11.5 Sicherheitsfaktoren fS(η) für unterschiedliche Sicherheitsgrade

Sicherheitsgrad = Lieferfähigkeit, Servicegrad, Überlaufsicherheit u. a.

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350 11 Bestands- und Nachschubdisposition

verteilung mit der Streuung des Verbrauchs in der Wiederbeschaffungszeit smWBZsein:

msich = fS(ηWBZ) ⋅ smWBZ für ηWBZ ≥ 50% (11.33)

Der Sicherheitsfaktor fS(x) ist gegeben durch die inverse Standardnormalverteilung(9.20), die in EXCEL als Funktion STANDNORMINV(η) aufrufbar ist. Seine Ab-hängigkeit von der geforderten Sicherheit zeigt die Abb. 11.8. Für einige übliche Si-cherheitsgrade ist der Sicherheitsfaktor in Tabelle 11.5 aufgelistet.

Anstelle der inversen Standardnormalverteilung, die keine explizite Funktion desArguments ist, kann auch mit folgender Näherungsfunktion gerechnet werden:

fS(η) = (2η − 1)/(1 − η)0,2 wenn η ≥ 50% (11.34)

Die Abbildung 11.8 zeigt, dass die Näherungsfunktion (11.34) über den gesamtenpraktisch interessierenden Bereich von 50% bis über 99,5% kaum von der inversenStandardnormalverteilung abweicht. Aus demKurvenverlauf Abb. 11.8 ist außerdem

Abb. 11.8 Exakter und approximativer Sicherheitsfaktor

Page 33: Logistik 1 || Bestands- und Nachschubdisposition

11.8 Lieferfähigkeit und Sicherheitsbestand 351

ablesbar, dass der Sicherheitsfaktor und damit der benötigte Sicherheitsbestand beiAnnäherung des geforderten Sicherheitsgrads an die 100% über alle Grenzen an-steigt. Hundertprozentige Lieferfähigkeit ist daher bei einem stochastisch schwan-kenden Bedarf grundsätzlich nicht erreichbar.

Für einen α-Servicegrad von 50% ist der Sicherheitsfaktor 0 und daher der be-nötigte Sicherheitsbestand 0. Ohne Sicherheitsbestand ist die Lieferfähigkeit in derWiederbeschaffungszeit bereits 50%.

11.8.3 Mittlere Lieferfähigkeit und dynamischer Sicherheitsbestand

Die Beziehung (11.33) ist eine häufig in der Fachliteratur zu findende und in derPraxis gebräuchliche Formel für den Sicherheitsbestand. Die herkömmliche Sicher-heitsbestandsformel führt meist zu überhöhten Sicherheitsbeständen, da bei derenHerleitung nicht die Zeiten vom Eingang des Nachschubs bis zum Erreichen desBestellpunkts berücksichtigt wurden. In diesen Zeiten ist der Bestand höher als derMeldebestand und die Lieferfähigkeit 100%.

Die mittlere Länge des Zeitraums, in dem die Lieferfähigkeit 100%, also 1 ist, istgleich der Nachschubreichweite TNRW = mN/λm, die sich aus der NachschubmengemN bei einem mittleren Tagesverbrauch λm errechnet, minus der Wiederbeschaf-fungszeit ηWBZ [PE] (s. Abb. 3.2 und 6.1). Wenn die Nachschubreichweite größer istals die Wiederbeschaffungszeit und die Lieferfähigkeit in der Wiederbeschaffungs-zeit gleich ηWBZ ist, gilt daher für die mittlere Lieferfähigkeit über einen längerenZeitraum:

ηlief = 1 ⋅ (TNRW − TWBZ)/TNRW + ηWBZ ⋅ TWBZ/TNRW

= 1 − (1 − ηWBZ) ⋅ TWBZ ⋅ λm/mN . (11.35)Die Auflösung von Beziehung (11.35) nach der Lieferfähigkeit nWBZ ergibt:

ηWBZ = 1 − (1 − ηlief) ⋅mN/(TWBZ ⋅ λm) wenn mN > TWBZ ⋅ λm (11.36)Das heißt: Wenn eine mittlere Lieferfähigkeit ηlief erreicht werden soll, die im ORauch als β-Servicegrad bezeichnet wird, genügt für die Lieferfähigkeit in der Wie-derbeschaffungszeit ηWBZ der Wert (11.36). Dieser ist kleiner als die geforderte Lie-ferfähigkeit, solange die Nachschubreichweite länger ist als dieWiederbeschaffungs-zeit. Wenn die Nachschubreichweite kürzer ist als die Wiederbeschaffungszeit, istηWBZ = ηlief.

Bei einem instationären Absatz und veränderlichen Wiederbeschaffungszeitenmüssen der prognostizierte Tagesabsatz und dessen Streuung sowie die Wiederbe-schaffungszeit und deren Streuung stetsmit den aktuellenWerten jeden Tag t neu be-rechnet werden.Mit diesen dynamisch berechnetenWerten folgt nach Einsetzen vonBeziehung (11.36) in die Sicherheitsbestandsformel (11.33) aus Beziehung (11.32)die� Masterformel des dynamischen Sicherheitsbestands:

msich(t)=⎧

f S(1 − (1 − ηlief) ⋅mN/(TWBZ ⋅ λm)) ⋅ smWBZ(t) wenn mN>TWBZ ⋅ λmf S(ηlief) ⋅ smWBZ(t) wenn mN<TWBZ ⋅ λm

(11.37)

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352 11 Bestands- und Nachschubdisposition

mit der dynamischen Absatzstreuung in der Wiederbeschaffungszeit

smWBZ(t) =√

TWBZ(t) ⋅ sλ(t)2 + λm(t)2 ⋅ sWBZ(t)2 [VE] . (11.38)

Hierin ist mN(t) [VE/NAuf] die aktuelle Nachschubmenge. λm(t) [VE/AT] undsλ(t) [VE/AT] sind die dynamischen Prognosewerte (9.66) und (9.77) von Mittel-wert und Streuung des Tagesbedarfs. TWBZ(t) und sWBZ(t) sind die aktuelle Wie-derbeschaffungszeit und ihre Streuung, die mit Beziehung (9.71) bzw. (9.72) errech-net werden. Der prognostizierte Bedarf und dessen Streuung müssen dynamisch ausdem zurückliegenden Auftragseingang berechnet werden und nicht aus demVerlaufdes Lagerabgangs, der durch Fehlmengen gegenüber dem Bedarf verzerrt sein kann.

Die Formel (11.37) gilt für einen mittleren Tagesabsatz λm > 0. Solange ein Arti-kel keinen Absatz hat, also für λm = 0, ist der Sicherheitsbestand msich(t) = 0.

In der Wiederbeschaffungszeit tritt die Lieferunfähigkeit mit der größten Wahr-scheinlichkeit erst in den letzten Tagen vor dem Eintreffen des Nachschubs ein.

Abb. 11.9 Geforderte Lieferfähigkeit und simulierte Lieferfähigkeit als Funktiondes Sicherheitsbestands

Übrige Parameter: s. Abb. 11.10

Page 35: Logistik 1 || Bestands- und Nachschubdisposition

11.8 Lieferfähigkeit und Sicherheitsbestand 353

Der effektive Zeitraum der Lieferunfähigkeit ist daher kürzer als dieWiederbeschaf-fungszeit. Das heißt:

� Wenn der Sicherheitsbestand mit den Beziehungen (11.37) und (11.38) berech-net wird, resultiert eine mittlere Lieferfähigkeit, die größer ist als die geforderteLieferfähigkeit.

Diese Aussage wird bestätigt durch einen Vergleich mit der mathematisch exaktenLösung. Zur Kontrolle durchgeführte Simulationsrechnungen ergeben, dass der aus(11.37) und (11.38) resultierende Sicherheitsbestand im Rahmen der statistisch zuerwartenden Genauigkeit auch für den Fall eines instationären Absatzverlaufs zu ei-ner deutlich höheren Lieferfähigkeit führt als gefordert [178]. Wie Abb. 11.9 zeigt,liegt die mittlere Lieferfähigkeit ηIST eines Jahres mit einer Wahrscheinlichkeit vonmehr als 85% über der geforderten Lieferfähigkeit ηlief . Voraussetzung ist, dass stets

Abb. 11.10 Vergleich des Sicherheitsbestands mit dynamischer Berechnung des β-Ser-vicegrads und herkömmlicher Berechnung des α-Servicegrads

Obere Kurve: konventionelle Berechnung (α-Servicegrad)Untere Kurve: Masterformel (11.37)+(11.38) (β-Servicegrad)WBZ: 5 AT, WBZ-Streuung: 2 ATAbsatz: 700 VE/AT,Absatzstreuung: 400 VENachschubmenge: 12.500 VE/NAuf

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354 11 Bestands- und Nachschubdisposition

mit den dynamischenWerten für den Absatz, die Nachschubmenge und dieWieder-beschaffungszeit gerechnet wird.

DieAbbildung 11.10 zeigt einen Vergleich dermit Hilfe derMasterformel (11.37)und der nach der herkömmlichen Formel (11.33) berechneten Abhängigkeit des Si-cherheitsbestands von der geforderten Lieferfähigkeit. Daraus ist ablesbar:

� Der herkömmlich berechnete Sicherheitsbestand liegt in diesem wie auch in vie-len anderen Fällen weit über dem tatsächlich erforderlichen Sicherheitsbestand.

Die vom Verfasser entwickelte Masterformel für den Sicherheitsbestand (11.37) mitder dynamischen Streuung (11.38) hat sich in der Praxis bereits vielfach bewährt.Sie lässt sich in die Dispositionsprogramme bekannter Standardsoftware, wie SAP,J.D.EDWARDS und Navision, relativ einfach implementieren [178].

11.8.4 Einflussfaktoren auf den Sicherheitsbestand

Der Periodenabsatz ist das Produkt λ = m ⋅ λA [VE/PE] der mittleren Bestellmen-ge m [VE/Auf] mit dem Auftragseingang λA [Auf/PE]. Wenn sA die Streuung desAuftragseingangs und sm die Streuung der Bestellmengen ist, folgt nach dem Fehler-fortpflanzungsgesetz (9.24) für die Absatzstreuung:

sλ = (m2⋅ s2A + λ

2A ⋅ s

2m)

1/2= λ ⋅ (VA +Vm)

1/2 , (11.39)

wobei VA = s2A/λ2A die Variabilität des Auftragseingangs und Vm = s2m/m2 die Varia-bilität der Bestellmengen ist. Hieraus wird ersichtlich:

� Die Absatzstreuung ist proportional zum Periodenabsatz.

� Die stochastische Schwankung des Periodenabsatzes wird verursacht durch dieStreuung des Auftragseingangs und die Schwankung der Bestellmengen.

Wenn es gelingt, die Schwankungen der Bestellmengen zu reduzieren, etwa durchdasAussondern vonGroßmengenaufträgen, sinkt die Streuung des Periodenabsatzesund damit auch der erforderliche Sicherheitsbestand.

Aus denBeziehungen (11.37), (11.38) und (11.39) lassen sich diewichtigstenEin-flussfaktoren auf die Höhe des Sicherheitsbestands ablesen:

� Der Sicherheitsbestand steigt mit der geforderten Lieferfähigkeit zunächst nurschwach und dann immer stärker an. Bei Annäherung an die 100% übersteigter jeden Wert (s. Abb. 11.8, 11.10 und 11.11).

� Bei geringer Streuung derWiederbeschaffungszeiten steigt der Sicherheitsbestandmit derWurzel aus dem Absatz.

� Der Sicherheitsbestand wächst zunächst unterproportional und bei großer Streu-ung linear mit der Absatzstreuung (s. Abb. 11.12).

� Der erforderliche Sicherheitsbestand steigt ab einer unteren Schwelle mit derWurzel aus der Wiederbeschaffungszeit (s. Abb. 11.13).

� Mit größer werdender Streuung der Wiederbeschaffungszeit nimmt der Sicher-heitsbestand immer weiter zu (s. Abb. 11.14).

Page 37: Logistik 1 || Bestands- und Nachschubdisposition

11.8 Lieferfähigkeit und Sicherheitsbestand 355

Abb. 11.11 Abhängigkeit des Sicherheitsbestands von der Lieferfähigkeit fürunterschiedliche Wiederbeschaffungszeiten und WBZ-Streuung

Übrige Parameter: s. Abb. 11.10

� Bei sehr großer Streuung der Wiederbeschaffungszeit verändert sich der Sicher-heitsbestand linear mit dem Absatz statt mit der Wurzel aus dem Absatz.

Die Schwelle der Wiederbeschaffungszeit in der Abb. 11.13, unterhalb der kein Si-cherheitsbestand benötigt wird, erklärt sich daraus, dass bei kurzer Lieferzeit diemögliche Nichtlieferfähigkeit während der Wiederbeschaffungszeit kaum ins Ge-wicht fällt gegenüber der gesicherten Lieferfähigkeit bis zum Bestellpunkt. DieseSchwelle ist abhängig von der Größe der Nachschubmengen. Sie steigt mit der Rela-tion der Nachschubreichweite zur Wiederbeschaffungszeit.

Die Abhängigkeiten des Sicherheitsbestands von den unterschiedlichen Einfluss-faktoren sollte jeder Planer und jederDisponent kennenund bei seinen Entscheidun-gen berücksichtigen. Die wichtigsten Konsequenzen sind:

� Vertrieb undKunden sollte vermittelt werden, dass eine Lieferfähigkeit von 100%unbezahlbar und nicht möglich ist.

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356 11 Bestands- und Nachschubdisposition

Abb. 11.12 Abhängigkeit des Sicherheitsbestands von der Absatzstreuung fürunterschiedliche Lieferfähigkeiten

Übrige Parameter: s. Abb. 11.10

� Fertigung und Lieferanten müssen wissen, in welchem Ausmaß lange Lieferzei-ten und wie stark unzuverlässige Lieferzeiten die Sicherheitsbestände nach obentreiben und die Logistikkosten erhöhen.

� Durch eine Auftragsfertigung oder Auftragsbeschaffung von Großmengenbestel-lungen lässt sich die Verbrauchsstreuung des Lagerbedarfs reduzieren und damitder Sicherheitsbestand senken.

Wenn die Bestellmenge größer ist als die halbe optimale Nachschubmenge, ist die di-rekte Auftragsbeschaffung oder Auftragsfertigung der Großmengenbestellungen zu-gleich eine Möglichkeit zur Kosteneinsparung (s. Abschn. 11.14).

11.8.5 Sicherheitskosten und Lieferfähigkeit

Sicherheit kostet Geld. Das gilt auch für die Sicherung der Lieferfähigkeit. Die Kos-ten zur Sicherung der Lieferfähigkeit sind gleich den Lagerungskosten für den Si-

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11.8 Lieferfähigkeit und Sicherheitsbestand 357

Abb. 11.13 Abhängigkeit des Sicherheitsbestands von derWiederbeschaffungszeit fürunterschiedliche Lieferfähigkeiten

Übrige Parameter: s. Abb. 11.10

cherheitsbestand. Bezogen auf die durchgesetzte Verbrauchseinheit sind die Sicher-heitsstückkosten:

ksich(η) = (kLP/CLE + PVEzL) ⋅msich(η)/λ [€/VE] . (11.40)

Wie Abb. 11.15 für ein Beispiel zeigt, steigen die Sicherheitskosten mit Annäherungan die 100% mit der geforderten Lieferfähigkeit η immer stärker an. Sie sinken um-gekehrt proportional mit der Wurzel des Verbrauchs λ, denn der Sicherheitsbestandwächst proportional zur Wurzel aus λ. Mit der Länge und Unsicherheit der Wie-derbeschaffungszeit nehmen die Sicherheitskosten zu. Sie sind für hochwertige undgroßvolumige Artikel höher als für geringwertige und kleine Artikel.

Denmit der Lieferfähigkeit η ansteigenden Sicherheitskosten stehen in der RegelFehlmengenkosten gegenüber, die proportional zur Lieferunfähigkeit 1−η ansteigen,also mit zunehmender Lieferfähigkeit kleiner werden. Fehlmengenkosten infolge vonLieferunfähigkeit können sein:

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358 11 Bestands- und Nachschubdisposition

Abb. 11.14 Abhängigkeit des Sicherheitsbestands von derWBZ-Streuung fürunterschiedliche Lieferfähigkeiten

TWBZ = 20 ATÜbrige Parameter: s. Abb. 11.10

• entgangener Gewinn oder fehlender Deckungsbeitrag für denUmsatzausfall vonFertigartikeln oder Handelsware

• Kosten der Produktionsunterbrechung und Wartezeiten wegen fehlenden Mate-rials oder ausbleibender Zulieferteile

• Stillstandskosten infolge fehlender Ersatzteile• Lieferverzugsstrafen oder Pönalen bei Terminüberschreitungen.

In manchen Fällen lassen sich die Fehlmengenstückkosten kfehl [€/VE] kalkulieren, inanderen zumindest abschätzen.

Bei einer Lieferfähigkeit η treten die Fehlmengenkosten mit derWahrscheinlich-keit 1 − η auf. Die effektiven Fehlmengenkosten sind daher (1 − η) ⋅ kfehl . Die Kos-tensumme der Sicherheitskosten und der Fehlmengenkosten sind die Risikokosten:

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11.8 Lieferfähigkeit und Sicherheitsbestand 359

Abb. 11.15 Abhängigkeit der Risikokosten von der Lieferfähigkeit

Beschaffungspreis: 2,50 €/VEFehlmengenstückkosten: 0,15 €/VEAbsatz: 100 VE/ATÜbrige Parameter: s. Abb. 11.10

krisk(η) = ksich(η) + (1 − η) ⋅ kfehl [€/VE] . (11.41)

Die Risikokosten haben bei einer bestimmten Lieferfähigkeit ηopt einMinimum, dasim Beispiel der Abbildung 11.15 bei 99,3% liegt.

Grundsätzlich lässt sich also bei bekannten Fehlmengenkosten durch Bestim-mung desMinimums der Risikokosten (11.41) die kostenoptimale Lieferfähigkeit ηoptermitteln. Auchwenn das im Einzelfall umständlich ist, wird dadurch die meist rechtwillkürliche Festlegung der Lieferfähigkeit durch den Vertrieb oder die Unterneh-mensleitung objektiviert.

Zur Festlegung der Standardlieferfähigkeit eines Sortiments oder einer Artikel-gruppe sollten daher mit Hilfe von Beziehung (11.40) Modellrechnungen durchge-führt werden, um abzuschätzen, ob eine Standardlieferfähigkeit von 95%, 98%, 99%oder sogar 99,5% angemessen und notwendig ist.

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360 11 Bestands- und Nachschubdisposition

Wegen der vielen zufallsabhängigen Einflussfaktoren geht es dabei stets um ei-ne Risikoabwägung, die sich durch mathematische Verfahren unterstützen lässt. DieFestlegung der Lieferfähigkeit bleibt jedoch auch dann noch eine unternehmerischeEntscheidung mit einem unvermeidlichen Restrisiko.

11.9 Verbrauchsabhängigkeit von Beständen und Logistikkosten

Der mittlere Lagerbestand ist nach Beziehung (11.10) gleich der Summe von Sicher-heitsbestand und halber Nachschubmenge. Nach Beziehung (11.27) ist die optimaleNachschubmenge proportional zurWurzel aus demPeriodenverbrauch. Für nicht zustark schwankende Wiederbeschaffungszeiten ist auch der Sicherheitsbestand pro-portional zur Wurzel aus dem Verbrauch. Daher gilt:

� Bei optimaler Nachschubdisposition von Artikeln mit regelmäßigem Verbrauchist der optimale Lagerbestand proportional zurWurzel aus dem Periodenverbrauch

mBopt = FL ⋅√

λVE . (11.42)

Der Proportionalitätsfaktor FL ist ein Lagerstrukturfaktor, der abhängig ist von denDispositionsparametern, den Kostensätzen und der geforderten Lieferfähigkeit desbetreffenden Lagers.

Aus der Proportionalität (11.42) folgen die Planungsregeln:

� Wenn der Absatz eines Artikels mit regelmäßigem Bedarf um einem bestimmtenFaktor steigt, dann erhöht sich der Lagerbestand bei optimaler Disposition undgleichbleibender Lieferfähigkeit nur um die Wurzel aus diesem Faktor.

� Der Bestandsspitzenfaktor fBsais , um den sich der mittlere Bestand eines Artikelsgegenüber dem Jahresdurchschnittsbestand erhöht, ist bei optimaler Dispositiongleich der Wurzel aus dem Verbrauchsspitzenfaktor fVsais , um den der Verbrauchin der Saisonspitze höher ist als im Jahresmittel:

fBsais =√

fVsais . (11.43)

Diese Planungsregeln sind nutzbar zur Berechnung der Bestände für steigenden oderabnehmenden Absatz und für die korrekte Berücksichtigung von Saisonschwankun-gen bei der Lagerplanung. So ist bei einer Verdopplung des Verbrauchs mit einemAnstieg des mittleren Lagerbestandes um einen Faktor

2 ≈ 1,41, also nur um 41%zu rechnen, wenn die Bestände optimal disponiert werden.

Abgesehen von den Effekten der Anbrucheinheiten folgt aus den Beziehungen(11.22), (11.27) und (11.30) für die Verbrauchsabhängigkeit der spezifischen Lager-logistikkosten bei optimaler Bestandsdisposition:

kLopt = KLopt/λVE = k0 + k1/√

λVE [€/VE] . (11.44)

Der konstante Kostenanteil k0 umfasst die vom Periodenbedarf unabhängigen spe-zifischen Transport- und Einlagerkosten. Der variable Kostenanteil mit dem Fak-tor k1 wird von den Auftrags- und Lagerhaltungskosten bestimmt, deren Anteil an

Page 43: Logistik 1 || Bestands- und Nachschubdisposition

11.9 Verbrauchsabhängigkeit von Beständen und Logistikkosten 361

Abb. 11.16 Verbrauchsabhängigkeit des optimalen Lagerbestands bei zentralerund dezentraler Lagerung

dezentral: Summenbestand in 5 Lagern gleicher Größezentral o. KV: Zentrallager ohne Kostenverbesserungzentral m. KV: Zentrallager mit Kostenverbesserung

den spezifischenLogistikkosten bei optimalerNachschubdispositionmit zunehmen-dem Durchsatz geringer wird. Aus diesem Zusammenhang, der in den Abb. 11.16und 11.17 dargestellt ist, ergibt sich:

� Die spezifischen Lagerlogistikkosten sinken bei optimaler Bestands- und Nach-schubdisposition umgekehrt proportional mit der Wurzel aus dem Verbrauchasymptotisch bis auf einen kleinstenWert, der gleich der Summe der spezifischenTransport- und Einlagerkosten ist.

Wegen des unterproportionalen Anstiegs der Bestände und der Degression der spe-zifischen Nachschub- und Lagerhaltungskosten mit dem Verbrauch sind die Nach-schub- und Lagerhaltungskosten sehr viel geringer, wenn der Gesamtverbrauch einesArtikels mit regelmäßigem Bedarf aus einem Zentrallager statt aus mehreren dezen-tralen Lagern beliefert wird.

Page 44: Logistik 1 || Bestands- und Nachschubdisposition

362 11 Bestands- und Nachschubdisposition

Abb. 11.17 Verbrauchsabhängigkeit der spezifischen Lagerlogistikkosten bei zentralerund dezentraler Lagerung

Voraussetzung: Optimale Nachschub- und Bestandsdisposition

Eine weitere Kostenverbesserung ergibt sich bei einer Zentralisierung von La-gern, Kommissionieren und Umschlag aus den möglichen Einsparungen bei denLieferstellen. Auch die Einsparungen durch Bündelung der Transporte, die allerdingsdurch die Mehrkosten für das zusätzliche Be- und Entladen im zentralen Umschlag-punkt und für längere Transportwege teilweise wieder kompensiert werden, begüns-tigen in vielen Fällen das zentrale Lagern und Umschlagen derWare. Hierauf beruhtein wesentlicher Effekt der Logistikzentren (s. Abb. 1.14).

11.10 Zentralisierung von Beständen

Zur Optimierung von Versorgungsnetzen, zur Auswahl optimaler Lieferketten undzur Kalkulation der Einsparungen, die durch eine Bestandsbündelung erreichbarsind, ist es erforderlich, die durch eine Zentralisierung mögliche Bestandsreduzie-rung zu quantifizieren.

Page 45: Logistik 1 || Bestands- und Nachschubdisposition

11.10 Zentralisierung von Beständen 363

Wenn λAi die Verbrauche des Artikels A in den Lagern Li der dezentralen Ver-brauchsstellen VSi , i = 1,. . . , N , sind, ist der Gesamtverbrauch des Artikels

λA =N∑

i=1λAi [VE/PE] . (11.45)

Mit den dezentralen Verbrauchen ergeben sich bei optimaler Disposition gemäß Be-ziehung (11.42) die Einzelbestände in den dezentralen Lagern:

mBAi = FDL ⋅√

λAi , (11.46)

wobei der Lagerstrukturfaktor FDL von den Dispositionsparametern, den Kostensät-zen und der geforderten Lieferfähigkeit der dezentralen Lager abhängt. Für einenzentralisierten Verbrauch (11.45) resultiert bei optimaler Disposition der Zentralbe-stand:

mZBA = FZL ⋅√

λA (11.47)

mit dem Lagerstrukturfaktor FZL des Zentrallagers. Durch Auflösung von (11.46)nach λAi und von (11.47) nach λA und Einsetzen der Ergebnisse in (11.45) folgt derZentralisierungssatz für den Artikelbestand:

� Durch das Zusammenfassen in einem Zentrallager mit optimaler Nachschubdis-position reduziert sich die Summe der dezentralen Artikelbestände

mDBA = ∑imBAi (11.48)

bei optimaler Disposition auf einen Zentrallagerbestand

mZBA = (FZL/FDL) ⋅

im2

BAi . (11.49)

Der Zentrallagerbestand mZB eines Artikelsortimentsmit den Einzelbeständen mBAiin den dezentralen Lagern Li ergibt sich durch Summation von (11.48) über alle Ar-tikel:

mZB = ∑AmZBA = (FZL/FDL) ⋅∑

A

im2

BAi . (11.50)

Wenn die dezentralen Artikelverbrauche nur wenig voneinander abweichen, ist nachdem Approximationssatz (9.29) die Summe über das Artikelsortiment A mit derWurzel und der Summe über die Verbrauchsstellen i vertauschbar. Unter dieser Vor-aussetzung gilt der Zentralisierungssatz für den Sortimentsbestand:

� Sind die Summen der Einzellagerbestände der Artikel A eines Sortiments mit glei-cher relativer Gängigkeit in den dezentralen Lagern Li , i = 1, 2,. . . , N ,

mDBi = ∑AmBAi , (11.51)

dann ist die Gesamtsumme der dezentralen Bestände des Sortiments

mDB = ∑imDBi (11.52)

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364 11 Bestands- und Nachschubdisposition

und der Zentrallagerbestand des gleichen Sortiments bei optimaler Disposition

mZB = (FZL/FDL) ⋅

im2

BAi . (11.53)

Bei extremen Unterschieden der relativen Gängigkeit der einzelnen Artikel in dendezentralen Lagern ist der mit Beziehung (11.53) errechnete Zentrallagerbestand biszu 30% geringer als der mit der korrekten Beziehung (11.50) errechnete Sortiments-bestand im Zentrallager. Die Voraussetzung gleicher relativer Gängigkeit der Artikelin den dezentralen Lagern ist in vielen Fällen zumindest für Teilsortimente recht guterfüllt. Daher gilt in guter Näherung der Wurzelsatz für die Zentralisierung von La-gerbeständen (Square-Root-Law of Inventory [96]):

� Bei optimaler Bestands- und Nachschubdisposition und gleicher relativer Gän-gigkeit der Artikel in den dezentralen Lagern ist der Zentrallagerbestand gleichderWurzel aus der Quadratsumme der Bestände in den dezentralen Lagern mul-tipliziert mit FZL/FDL.

Bei gleichen Lagerstrukturfaktoren FZL und FDL ergibt sich nach dieser Regel bei-spielsweise für das Zusammenfassen von 3 dezentralen Lagernmit den Einzelbestän-den mDB1 = 300 VE, mDB2 = 400 VE und mDB3 = 500 VE und dem SummenbestandmDB = 1.200 VE ein Zentrallagerbestand mZB =

3002 + 4002 + 5002 = 707 VE.Durch eine Lagerzentralisierung ist also in diesem Fall eine Bestandsreduktion um41% möglich.

Für dezentrale Lager mit gleichem Bedarf und gleichen LagerstrukturfaktorenFZL = FDL vereinfacht sich die Zentralisierungsregel für Bestände zu der Faustregel:

� Durch Zentralisierung der Bestände aus NL dezentralen Lagern mit den gleichenSortimenten und den gleichen Verbrauchen lässt sich der Gesamtbestand in ei-nem Zentrallager bei optimaler Bestands- und Nachschubdisposition um einenFaktor 1/

NL gegenüber dem Summenbestand der dezentralen Lager senken.

Diese einfache Zentralisierungsregel wird in der Praxis meist angewendet, ohne dieeinschränkenden Voraussetzungen zu beachten, wie Gleichheit der dezentralen La-ger und Sortimente, optimale Bestandsdisposition und gleiche Strukturfaktoren. Daskann zu überhöhten Einsparungserwartungen, falscher Bestandsplanung und Fehl-entscheidungen führen, die sich nach dem Bau eines Zentrallagers nicht mehr kor-rigieren lassen. So resultiert aus einer Zusammenlegung von nicht überlappendenSortimenten auch bei optimaler Disposition keine Bestandsreduzierung.

Die Strukturfaktoren für kleine dezentrale Lager und große Zentrallager unter-scheiden sich in der Regel aus folgenden Gründen:

� Infolge des höheren Durchsatzes reduzieren sich bei gleicher Technik die spezi-fischen Einlager- und Lagerplatzkosten eines Zentrallagers im Vergleich zu denentsprechenden Kosten dezentraler Lager.

� In einem größeren Zentrallager sind die Leistungskosten durch den Einsatz ra-tioneller Lager- und Fördertechnik deutlich geringer als in kleinen dezentralenLagern. So kann das Zentrallager ab einer bestimmten Mindestkapazität weitaus

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11.10 Zentralisierung von Beständen 365

kostengünstiger als automatischesHochregallager statt alsmanuell bedientes Stap-lerlager ausgeführt werden.

� Im Zentrallager lassen sich wegen der höheren Bestände Lagereinheiten mit grö-ßerer Kapazität einsetzen. Das führt zu einer weiteren Senkung der Leistungskos-ten.

Die Auswirkung dieser Effekte auf die Leistungskostensätze für zentrale und dezen-trale Lager ist z. B. aus Tabelle 11.4 ablesbar.

Infolge der Rationalisierungseffekte der Zentrallagerung kann der StrukturfaktorFZL für ein Zentrallager um 10% bis 20% kleiner sein als der Strukturfaktor FDLdezentraler Lager. Damit wird der Faktor FZL/FDL ≈ 0,8 bis 0,9 und es folgt:

� Der Zentrallagerbestand eines Sortiments ist um einen Faktor 0,8 bis 0,9 niedrigerals der Bestand, der sich aus den Beziehungen (11.50) und (11.53) ohne diesenFaktor ergibt, wenn das Zentrallager höher rationalisiert ist als die dezentralenLager.

Abb. 11.16 zeigt die Bestandssenkung in Abhängigkeit vom Verbrauch für das Bei-spiel einer Zusammenlegung von 5 dezentralen Lagern gleicher Größe in einemZen-trallager ohne und mit einer Kostenverbesserung im Zentrallager.

Auch wenn sich durch die Belieferung aus einem Zentrallager die Lieferzeitenfür die Verbrauchsstellen im Vergleich zur Direktbelieferung durch die Lieferantenerheblich verkürzen lassen, werden die dezentralen Verbrauchsstellen VSi in vielenFällen zurÜberbrückung derNachlieferzeit weiterhinminimale PufferbeständemDPibevorraten. Diese Pufferbestände werden nach dem in Abschn. 11.11 dargestelltenBereitstellverfahren in der Regel nicht mit einzelnen Warenstücken sondern mit ei-ner optimalen Auffüll- oder Nachschubmenge schubweise nachgefüllt.

Die SummemDP = ∑mDPi der in den dezentralen Verbrauchsstellen vorgehalte-nen Pufferbestände, wie beispielsweise derVerkaufsbestände in den Filialen des Han-dels,muss bei der Ermittlung der Bestandsreduzierung durchEinrichtung einesZen-trallagers berücksichtigt werden. Eine Bestandsreduzierung ergibt sich daher nur,wenn die Summe des Zentrallagerbestands mZB und der dezentralen PufferbeständemDP kleiner ist als die Summe der dezentralen Lagerbestände mDB ohne Zentralla-gerung, wenn also

mZB +mDP < mDB . (11.54)

Entscheidend für die Lagerzentralisierung ist jedoch nicht allein die Bestandsredu-zierung oder dieVerbesserung der Lieferfähigkeit, sondern die Senkung derGesamt-kosten. Die Abb. 11.17 zeigt für ein Beispiel, wie hoch die Senkung allein der inter-nen Nachschub- und Lagerhaltungskosten durch die Zentralisierung und zusätzlichdurch die Kostendegression und effizientere Technik des Zentrallagers sein kann. Ei-ne Zentralisierung der Bestände von Artikeln mit regelmäßigem Bedarf bringt daherfür geeignete Sortimente erheblich höhere Einsparungseffekte der Logistikkosten alsallgemein erwartet.

Andererseits vermindern sich die Einsparungen in der gesamten Lieferkette, diesich von den Lieferanten bis zu den Bedarfsstellen erstreckt, bei Einrichtung eines

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366 11 Bestands- und Nachschubdisposition

Zentrallagers um die Mehrkosten für den Transport, die aus einer größeren Ent-fernung des Zentrallagers von den Bedarfsorten resultieren. Um den Gesamteffektvon Logistikzentren richtig zu bewerten, ist es daher notwendig, die gesamte be-troffene Lieferkette einschließlich der außerbetrieblichen Transporte zu betrachten(s. Kap. 19).

11.11 Nachschubstrategien

Abhängig vom Kriterium der Nachschubauslösung lassen sich drei grundlegend ver-schiedene Verfahren der Nachschubdisposition unterscheiden:

Bereitstellverfahren (b)Meldebestandsverfahren (s)Zykluszeitverfahren (t).

(11.55)

DasAuslösekriterium für denNachschub ist beimBereitstellverfahren derVerbrauchder Bereitstellmenge b, beim Meldebestandsverfahren das Erreichen des Meldebe-stands s und beim Zykluszeitverfahren ein Dispositionszeitpunkt t.

Bei jedem dieser drei Dispositionsverfahren gibt es für die Nachschubmenge dieOptionen:

Mindestnachschubmenge (m)optimale Nachschubmenge (q)Auffüllmenge auf einen Sollbestand (S).

(11.56)

DurchKombination der dreiDispositionsverfahren b, s und tmit den dreiNachschub-optionenm, q und S ergeben sich 9 unterschiedlicheNachschubstrategien: (b,m), (b,q)und (b,S); (s,m), (s,q) und (s,S); (t,m), (t,q) und (t,S).6 Die wichtigstenMerkmale undEignungskriterien dieser Nachschubstrategien sind in Tabelle 11.6 zusammengestellt.

11.11.1 Bereitstellverfahren

Bereitstellverfahren sind speziell geeignet zum selbstregelnden Nachfüllen des Bereit-stellpuffers einer Verbrauchsstelle. Die Verbrauchsstelle kann eine Maschine, ein Ar-beitsplatz, ein Montageband, ein Kommissionierplatz, eine Versandrampe, das Ver-kaufsregal einer Handelsfiliale oder eine andere Stelle mit kontinuierlichem Bedarfsein.

Die Gestaltung eines Bereitstellpuffers und der Ablauf des Nachschubs sind inAbb. 11.18 dargestellt. Grundprinzip ist, dass in einem Vorpuffer in unmittelbarerNähe der Verbrauchsstelle eine Nachschubeinheit wartet, die nach Verbrauch des In-halts der Zugriffseinheit auf den Bereitstellplatz nachrückt.

Das Bereitstellverfahren erfordert weder eine aktuelle Bedarfsprognose noch ei-ne dynamische Berechnung der Nachschubmenge. Die Frequenz des Nachschubs er-gibt sich selbstregelnd aus demVerbrauch [178]. Bei einer verbrauchsabhängigen Be-reitstellung bestehen die beiden Nachschuboptionen:6 Üblicherweise werden nur die zwei Auslösekriterien s und tmit den beidenNachschuboptionen q undS zu den 4 Standardstrategien (s,q), (s,S), (t,q) und (t,S) kombiniert [76,97].

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11.11 Nachschubstrategien 367

Tab. 11.6 Merkmale und Eignungskriterien von Nachschubstrategien

b: freier Pufferplatz s: Meldebestand t: Bestellzeitpunktm: Mindestmenge q: Nachschubmenge S: Sollbestand

1. Bei jeder Entnahme wird geprüft, ob der Bereitstellplatz noch Verbrauchsein-heiten enthält. Wenn der Bereitstellplatz geleert ist, wird eine volle Nachschu-beinheit angefordert.

2. Bei jederAnlieferung einer Nachschubeinheit wird kontrolliert, ob imVorpufferPlatz ist. Die freien Pufferplätze werden mit Nachschubeinheiten aufgefüllt.

Bei der erstenNachschuboption arbeitet dasBereitstellverfahrennachdem sogenann-ten Flip-Flop-Prinzip.Der Vorratsbestand wird dabei aufminimalemNiveau gehaltenund zugleich ein unterbrechungsfreies Arbeiten gesichert. Geschieht der Abruf einerNachschubeinheit mit Hilfe einer Behälterbegleitkarte, wird das Flip-Flop-Prinzipauch als Kanban-Verfahren bezeichnet (s. Abschn. 8.9).

Dieminimale Nachschubmenge für das Flip-Flop-Prinzip ist gleich dem Bedarf inder Wiederbeschaffungszeit, der sich nach Beziehung (11.7) aus dem Verbrauch undderWiederbeschaffungszeit errechnen lässt. Die erste Nachschubeinheitmuss zusätz-lich einen Sicherheitsbestand enthalten, der nachBeziehung (11.36) die benötigteVer-sorgungssicherheit gewährleistet. Da der Platz am Verbrauchsort meist knapp ist unddie Platzkosten hoch sind, ist die aus Beziehung (11.27) resultierende kostenoptimaleNachschubmenge in vielen Fällen nicht größer als die minimale Nachschubmenge.

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368 11 Bestands- und Nachschubdisposition

Abb. 11.18 Bereitstellpuffer und Nachschubversorgung

Vollpufferkapazität: 3 Ladeeinheiten LELeerpufferkapazität: 3 Ladungsträger LTLadeeinheitenkapazität: 12 VerbrauchseinheitenVE

Um die Anzahl der Nachschubtransporte zu minimieren, muss das Fassungs-vermögen der eingesetzten Ladungsträger mindestens so groß sein, dass sie die mi-nimale Nachschubmenge plus Sicherheitsbestand aufnehmen können. Damit nichtzuviel Luft transportiert und gepuffert wird, darf das Fassungsvermögen auch nichtwesentlich größer sein. Hieraus resultiert die Dimensionierungsregel:

� Dasminimale Fassungsvermögen der Ladungsträger für das Kanban- und das Flip-Flop-Verfahren ist gleich dem Sicherheitsbestand plus dem Verbrauch in der ma-ximalen Wiederbeschaffungszeit

CLE = msich + TWBZmax ⋅ λVE [VE/LE] . (11.57)

Bei dieser Bemessung der Ladungsträger kann der Nachschub stets in vollen Lade-einheiten ausgeführt werden.

Bei der zweiten Nachschuboptionmuss derVollpuffermindestens eine volle Lade-einheit und der Leerpuffer mindestens einen leeren Ladungsträger aufnehmen kön-nen (s. Abb. 11.18). Wenn keine Ladungsträger eingesetzt werden, beispielsweisebei Bereitstellung der einzelnen Verbrauchseinheiten in einem Durchlaufkanal, istkein Leerpuffer erforderlich. Die Vollpufferkapazität CP [LE] muss dann mindestensgleich demWert (11.57) sein, um den Verbrauch in derWiederbeschaffungszeit plusdem Sicherheitsbestand aufnehmen zu können.

Wenn die optimale Nachschubmenge deutlich größer ist als die minimale Nach-schubmenge (11.57), muss die Kapazität CP so groß bemessen sein, dass der Pufferdie optimale Nachschubmenge aufnehmen kann. Die optimale Nachschubmenge istdann gleich der Auffüllmenge

mNauf = Cp −mB(t) . (11.58)

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11.11 Nachschubstrategien 369

Abgesehen von der Selbstregelung der Nachschubfrequenz ist das Bereitstellverfah-ren eine statische Nachschubstrategie. Bei zu gering festgelegter Nachschubmengeoder bei rasch ansteigendem Verbrauch besteht die Gefahr temporärer Nichtliefer-fähigkeit und hoher Nachschubkosten. Eine zu große Nachschubmenge bewirkt zuhohe Bestände und überhöhte Lagerkosten.

Durch ein elektronisches Kanban ohne Karten lassen sich die Vorteile des Be-reitstellverfahrens mit den Vorteilen desMeldestandsverfahrens kombinieren (s.Ab-schn. 12.8)

11.11.2 Meldebestandsverfahren

Das Meldebestandsverfahren ist besonders geeignet für Nachschub- und Reservela-ger. Immerwenn eineBedarfsmeldung eingeht, wird geprüft, ob durch diese derMel-debestand (11.18) unterschritten wird. Wenn das der Fall ist, gibt es die zwei Nach-schuboptionen:

• Bestellpunktabhängige Einzeldisposition: Gemäß dem in Abb. 11.3 dargestelltenAblauf wird nach Erreichen desMeldebestands für jeden einzelnenArtikel unab-hängig vomNachschubbedarf andererArtikel eineNachschubbestellung inHöheder optimalen Nachschubmenge (11.27) ausgelöst.

• Bestellpunktabhängige Sammeldisposition: Wenn ein Artikel den Meldebestanderreicht hat, wird gemäß dem in Abb. 11.19 dargestellten Ablauf für alle Artikelder gleichen Lieferstelle geprüft, ob die Sollbestandsdifferenz

ΔB(t) = mBsoll −mB(t) (11.59)

zwischen dem aktuellen IST-Bestand mB(t) und einem Sollbestand mBsoll grö-ßer ist als die Mindestnachschubmenge mNmin. Für einen optimalen Teil dieserArtikel wird bei der gleichen Lieferstelle eine Sammelbestellung in Höhe der Soll-bestandsdifferenzen (11.59) ausgelöst.

Das Auffüllen des Bestands weiterer Artikel des gleichen Lieferanten auf den Soll-bestand bietet gegenüber der unabhängigen Einzelbestellung die Möglichkeit eineroptimalen Bündelung von Nachschubtransporten wie auch von Produktionsaufträ-gen:

� Wenn mit der Lieferstelle oder dem Lieferanten eine Rabattstaffel für größere Be-stellauftragswerte vereinbart wurde, kann durch eine Sammelbestellung derMa-ximalrabatt ausgeschöpft werden.

� Bei ausreichendemGesamtbedarf aus einer Lieferstelle könnenAnzahl undNach-schubmengen der gleichzeitig in einer Nachschubbestellung berücksichtigten Ar-tikel so gewählt werden, dass sich in Summe volle Ladeeinheiten oder besser nochganze Ladungen, beispielsweise volle Wechselbrücken oder volle Sattelauflieger,ergeben.

� Bei Artikeln, die aus den gleichen Einsatzstoffen von derselben Fertigungsstel-le ohne große Umrüstzeit nachproduziert werden, beispielsweise Spirituosen, die

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370 11 Bestands- und Nachschubdisposition

Abb. 11.19 Bestellpunktabhängige Sammeldisposition von Nachschub und Bestand fürmehrere Artikel einer Lieferstelle

BZP: Bestellzeitpunkt in Arbeitstagen (AT) ab IST-Zeitpunktx: maximale Vorgriffszeit in Anzahl AT

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11.11 Nachschubstrategien 371

aus einem Produkt in der gleichen Abfüllanlage in unterschiedliche Flaschenty-pen abgefüllt werden, besteht die Möglichkeit zur gebündelten Produktion unddamit zu einer Verminderung der anteiligen Rüstzeit (s. Abschn. 13.9und 20.18).

Die gebündelte Nachschublieferung ist mit geringeren anteiligen Auftrags- undTransportkosten für den einzelnen Artikel verbunden. Das führt nach der allgemei-nen Nachschubformel (11.27) zu einer geringeren optimalen Nachschubmenge undeiner höheren optimalen Nachschubfrequenz. Der optimale Sollbestand ist daher nä-herungsweise gleich der Summe von Sicherheitsbestand und optimaler Nachschub-menge für den Einzelnachschub:

mBsoll =msich +mNopt , (11.60)

auch wenn eine vorgezogene Bestellung effektiv eine höhere Nachschubfrequenz be-wirkt als die optimaleNachschubfrequenz fNopt = λVE/mNopt der unabhängigen Ein-zelbestellung.

Ist die verfügbare Lagerkapazität für den einzelnen Artikel durch eine Platzkapa-zität CP begrenzt, die kleiner ist als der optimale Sollbestand (11.60), beispielsweise,weil im Lager eine Festplatzordnung besteht, dann ist die Nachschubmenge für dieSammeldisposition gleich der Auffüllmenge (11.58).

DasMeldebestandsverfahren erfordert bei jedemVerbrauch eine Bestandskontrol-le und ist daher beimanueller Durchführungmit relativ hohemAufwand verbunden.In dem Maße aber, wie Bestandsabbuchung und Bestandskontrolle zusammen mitder Bestelleingabe automatisch von einemMaterialwirtschaftssystem oder einemDis-positionsprogramm durchgeführt werden, das ausreichend verlässliche Bedarfswerteprognostiziert, gilt:

� Das Meldebestandsverfahren ist die optimale Nachschubstrategie, wenn die Nach-schubmenge nach Beziehung (11.27) und der Sicherheitsbestand nach (11.37)und (11.38)mit den aktuellenAbsatzdaten,DispositionsparameternundLeistungs-kostensätzen errechnet werden.

Aus der Optimierung von Nachschubmenge und Sicherheitsbestand, die zu den an-gegebenen Berechnungsformeln geführt hat, ergibt sich, dass durch das Meldebe-standsverfahren eine geforderte Lieferfähigkeit bei kostenoptimaler Bestandshöheerfüllt wird.

11.11.3 Zykluszeitverfahren

Die Nachschubdisposition nach dem Zykluszeitverfahren ist besonders geeignet,wenn die Disposition ohne Rechnerunterstützung manuell durchgeführt wird oderwenn die Lieferstelle nur zu bestimmten Zeiten Nachschub liefert.

Damit der Lieferant in regelmäßigen Touren liefern kann und der Disponentnicht bei jeder Einzelbestellung tätig werden muss, werden Disposition und Nach-schublieferungen nach dem Zykluszeitverfahren zu bestimmten Zeitpunkten nacheinem vorgegebenen Dispositionszyklus durchgeführt. Ein Dispositionszyklus ist de-finiert durch

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372 11 Bestands- und Nachschubdisposition

• die Dispositionszykluszeit TD [PE], die Dispositionszeitpunkte tDj = tDo + j ⋅ TD,j = 0, 1, 2, . . . , und die Dispositionsfrequenz fD = 1/TD.

Gebräuchlich sind die monatliche Nachschubdisposition an einem bestimmten Tagdes Monats, die wöchentliche Disposition an einem festen Wochentag oder die täg-liche Disposition zu einer bestimmten Tageszeit. Beim Zykluszeitverfahren bestehenfolgende Nachschuboptionen:

• Zyklische Einzeldisposition: Zum Dispositionszeitpunkt wird für alle Artikel un-abhängig voneinander geprüft, ob ihr Bestand bis zumnächstenDispositionszeit-punkt den Meldebestand (11.18) unterschreiten wird, und für diese Artikel eineNachschubbestellung inHöhe der optimalenNachschubmenge (11.27) ausgelöst.

• Zyklische Sammeldisposition:Gemäß dem inAbb. 11.20 dargestellten Ablauf wirdzumDispositionszeitpunkt für alle Artikel der gleichen Lieferstelle gemeinsam ge-prüft, ob die Sollbestandsdifferenz (11.59) größer ist als die Mindestnachschub-menge mNmin. Für einen geeigneten Teil dieser Artikel wird bei der betreffen-den Lieferstelle eine gebündelte Gesamtbestellung der Sollbestandsdifferenzen(11.59) ausgelöst.

Bei der zyklischen Einzeldisposition erhöht sich der mittlere Bestand pro Artikel ge-genüber der Disposition zum optimalen Bestellzeitpunkt auf

mBzykl = mBopt + λVE ⋅ TD/2 , (11.61)

da die optimale Nachschubmenge im Mittel um eine halbe Periodenlänge zu frühbestellt und geliefert wird. Hieraus folgt:� Bei einer Nachschubdisposition optimaler Nachschubmengen nach dem Zyklus-

zeitverfahren ist die mittlere Bestandsreichweite um eine halbe Periodenlängegrößer als bei der Nachschubdisposition optimaler Nachschubmengen nach demMeldebestandsverfahren.Bei monatlicher zyklischer Disposition erhöht sich also die Lagerreichweite im

Mittel um 10Arbeitstage und bei wöchentlicher Disposition um 3Tage. ImGrenzfallkurzer Dispositionszeiten TD → 1 AT geht das Zykluszeitverfahren effektiv in dasMeldebestandsverfahren über. Zwei wichtige Konsequenzen hieraus sind:� Wenn der Nachschub nach dem Zykluszeitverfahren disponiert wird, muss der

Dispositionszyklus so kurz wie möglich sein, um Überbestände zu vermeiden.

� Durch Übergang von der monatlichen auf die wöchentliche Disposition lässt sichdie mittlere Reichweite um 8 Arbeitstage und durch Übergang von der wöchent-lichen auf die tägliche Disposition um 3 Arbeitstage verkürzen.

Aufgrund dieser Erkenntnis, allein durch Umstellung von monatlicher auf wöchent-liche Disposition, konnten die Lagerbestände in einem Großunternehmen der che-mischen Industrie ummehr als ein Drittel gesenkt und jährliche Kosten in zweistel-liger Millionenhöhe eingespart werden.

Durch das zyklische Auffüllen auf den Sollbestand ist – ebenso wie beim Melde-bestandsverfahren – eine optimale Nachschubbündelung möglich. Mit einer zykli-schen Sammeldisposition werden die Bestände unvermeidlich noch etwas höher alsbei der zyklischen Einzeldisposition.

Page 55: Logistik 1 || Bestands- und Nachschubdisposition

11.11 Nachschubstrategien 373

Abb. 11.20 Zyklische Sammeldisposition von Nachschub und Bestand für mehrere Arti-kel einer Lieferstelle

BT: Bestelltag der betreffenden LieferstelleBZ: BestellzykluszeitBZP: Bestellzeitpunkt in Arbeitstagen (AT) ab IST-Zeitpunktx: maximale Vorgriffszeit in Anzahl AT

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374 11 Bestands- und Nachschubdisposition

Wenn die verfügbare Lagerkapazität für den einzelnen Artikel durch eine vor-gegebene Platzkapazität CP begrenzt ist, z. B., weil im Verkaufsregal eine Festplatz-ordnung besteht, ist die Nachschubmenge gleich der Auffüllmenge (11.58). Um eineunwirtschaftliche Nachschubdisposition oder zu hohe Bestände zu vermeiden, ist al-so bei der Auffüllstrategie darauf zu achten, dass die Platzkapazität annähernd gleichder optimalen Nachschubmenge plus dem Sicherheitsbestand ist.

11.12 Disposition bei instationärem Bedarf

Bei instationärem Verbrauchmüssen Sicherheitsbestand, optimale Nachschubmengeund Meldebestand unter Verwendung der aktuellen Prognosewerte für den zukünf-tigen Bedarf laufend neu errechnet werden. Entsprechend sind vorgegebene Platz-kapazitäten und verwendete Ladungsträger regelmäßig zu überprüfen und bei deut-lichen Abweichungen von der optimalen Größe zu korrigieren. Andernfalls kommtes zu Fehldispositionen, einem Absinken der Lieferfähigkeit und überhöhten Logis-tikkosten.

Eine optimale Nachschub- und Bestandsdisposition ist bei instationärem Bedarfalso nur möglich, wenn dieser mit ausreichender Genauigkeit prognostizierbar ist(s. Abschn. 9.8, 9.9 und 9.13). Hieraus folgt für die maximale Bestandsreichweite beiinstationärem Bedarf die Dispositionsregel:

� Der Bestand darf nicht größer sein als der Bedarf für einen verlässlichen Progno-sezeitraum.

Ohne EDI-Verbindung mit dem Verbrauchsort, der über einen eigenen Puffer- oderLagerbestand verfügt, erfährt die Lieferstelle von einer Verbrauchsänderung erst,wenn die nächste Nachschubbestellung eintrifft. Die Zeitdifferenz dieser Informa-tionsverzögerung ist im Mittel gleich der halben Reichweite der letzten Nachschub-menge. Infolge der Informationsverzögerung aber hinkt die Anpassung der Beständestets hinter der aktuellen Veränderung des Bedarfs her.

Speziell für lagerhaltige Artikel mit einem hohen saisonalen Spitzenbedarf, dersich mit ausreichender Genauigkeit aus dem Bedarfsverlauf der Vergangenheit pro-gnostizieren lässt, besteht die Möglichkeit einer Antizipationsstrategie:

� Der über den Jahresdurchschnittsverbrauch hinausgehende Bedarf der Saisonzeitwird vorgefertigt, umdie Belastung der Produktion zu vergleichsmäßigen undumdie Kapazitäten während der Saison für die kundenspezifische Fertigung freizu-halten [178].

Neue Möglichkeiten zur rechtzeitigen Anpassung der Bestände an einen sich än-dernden Verbrauch ergeben sich aus dem elektronischen Datenaustausch (EDI) zwi-schen Lieferstelle, Lagerstelle und Verbrauchsstelle. Bei elektronischem Datenaus-tausch entfällt die Informationsverzögerung. Dadurch lassen sich Nachschub undBestand aller Liefer- und Lagerstellen einer Versorgungskette ohne Zeitverzug syn-chron auf den Verbrauch am Ende der Kette einstellen (s. Abb. 9.12).

Page 57: Logistik 1 || Bestands- und Nachschubdisposition

11.13 Strategien zur Bestandsoptimierung 375

11.13 Strategien zur Bestandsoptimierung

Eine wirksame und wirtschaftliche Senkung von Beständen ist nur möglich, wennbekannt ist, welche Einflussfaktoren sich in welcher Art und Stärke auf die Bestands-höhe und die davon abhängigen Logistikkosten auswirken. Ohne diese Kenntnis isteine Diskussion über Bestandshöhen sinnlos [75].

Zur Berechnung der Abhängigkeit der optimalen Nachschubmenge, des Sicher-heitsbestands, des Meldebestands und des Lagerbestands von der Lieferfähigkeit,den Dispositionsparametern und den Kostensätzen ist das am Ende dieses Kapitelsin Tabelle 11.7 wiedergegebene Programm zur Bestands- und Nachschuboptimierunggeeignet. Die Ergebnisfelder dieses in EXCEL ausgeführten Tabellenprogramms ent-halten die zentralen Dispositionsformeln (11.22), (11.27) bis (11.30) und (11.37), dieauf die entsprechenden Eingabefelder zugreifen. Mit Hilfe dieses Programms wurdenunter Verwendung der Kostensätze aus Tabelle 11.4 für mehrere Beispiele die in denAbb. 11.4 bis 11.11 dargestellten funktionalen Abhängigkeiten berechnet.

Aus diesen Kurven, den vorangehend hergeleiteten Formeln und den zuvor er-läuterten Planungsregeln und Gesetzmäßigkeiten ergibt sich eine Reihe von Strate-gien zur Bestandsoptimierung. Diese lassen sich unterscheiden in Bestandssenkungs-strategien mit dem Ziel einer Reduzierung allein der Lagerhaltungskosten und Be-standsoptimierungsstrategien zur Senkung aller bestandsabhängigen Logistikkosten.Eine Bestandsoptimierung kann unter Umständen auch zu einer Erhöhung der Be-stände führen [178].

Die wirksamsten Bestandssenkungsstrategien mit positiven Auswirkungen auf diegesamten Logistikkosten sind:

� Bereinigung des lagerhaltigen Sortiments durch Überprüfung der Notwendigkeitder Lagerhaltigkeit

� Übergang zur Auftragsfertigung für Artikel mit negativem Lageropportunitätsge-winn und zur kundenspezifischen Beschaffung für Großmengenaufträge (s. Ab-schn. 11.14)

� Dynamische Prognose des zukünftigenVerbrauchs und laufendeKontrolle der Pro-gnosewerte unter Verwendung aktueller Informationen vom Point of Sales desEndverbrauchs in allen Stufen der Versorgungskette

� Begrenzung der Nachschubmengen durch Vorgabe maximal zulässiger Reichwei-ten

� Disposition optimaler Nachschubmengen

� Verkürzung der Dispositionsfrequenz bei zyklischer Disposition

� Reduzierung der Wiederbeschaffungszeiten

� Minimierung der Schwankungen der Wiederbeschaffungszeiten durch Auswahlzuverlässiger Lieferanten und verlässlicher Belieferungswege

� Überprüfung der geforderten Lieferfähigkeit auf Angemessenheit und Anpassungan den tatsächlichen Bedarf

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376 11 Bestands- und Nachschubdisposition

Tab. 11.7 Tabellenprogramm zur Bestands- und Nachschuboptimierung

Werte: Beispiel aus der Zigarettenindustrie

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11.13 Strategien zur Bestandsoptimierung 377

� Korrekte Berechnung und permanente Überprüfung der Sicherheitsbestände

Ein Indiz für überhöhte Sicherheitsbestände ist ein Lagerumschlag, der kleiner ist alsdie Nachschubfrequenz. Indizien für nicht optimale Nachschubdisposition sind:

1. Die Spitzenfaktoren des saisonalen Bestandsverlaufs sind größer als die Wurzelaus den Spitzenfaktoren des saisonalen Verbrauchs (s. Beziehung (11.42).

2. Die Lorenzkurve der Bestände für Aktionsware liegt oberhalb der Lorenzkurveder Verbrauche eines nachdisponierbaren Sortiments (vgl. Abb. 5.6 und 5.7 inAbschn. 5.8).

Versuche zur Bestandssenkung durch Vorgabe ungeprüfter oder pauschaler Bench-marks, wie maximale Reichweite und minimaler Lagerumschlag, für das ganze Un-ternehmen, für ein komplettes Sortiment oder ein gesamtes Lager sind keine Be-standsoptimierungsstrategien. Sie führen bestenfalls zu Kostenverschiebungen, invielen Fällen aber zu höheren Gesamtkosten und geringerer Produktivität.

Bestandsoptimierungsstrategien, deren Wirksamkeit für jeden Anwendungsfallsorgfältig zu prüfen ist, sind:

� Verwendung korrekter Dispositionsformeln und Einsatz geeigneter Dispositions-strategien

� Regelmäßige Überprüfung, Dynamisierung und Aktualisierung der Dispositi-onsparameter und Kostensätze, die zur Berechnung der optimalen Nachschub-menge verwendet werden

� Nachschubdisposition der Bestände in mehrstufigen Lagerstellen nach dem Pull-Prinzip. Da Artikelwert und Lagerkosten im Verlauf einer Lieferkette zunehmen,verschieben sich die Bestände durch die Disposition nach dem Pull-Prinzip vomEnde der Lieferkette auf die voranliegenden Lagerstellen

� Runden der Nachschubmengen auf volle Packungs- oder Ladeeinheiten

� Bündelung des Nachschubs für Artikel aus einer Lieferstelle und Abstimmung aufdie Transportmittelkapazität

� Belieferung einer großen Anzahl von Verbrauchsstellen mit geringem Einzelbe-darf über einen oder mehrere Umschlagpunkte in vollen Transportmitteln

� Zentralisierung von Beständen in einem oder mehreren Logistikzentren

Die beiden letzten Strategien erfordern eine differenzierte Kostenrechnung für dieGesamtheit aller Artikel über alle Belieferungswege von den Lieferanten bis zu denVerbrauchsstellen. Dabei sind auch die Kosten der Lieferanten zu berücksichtigen,soweit diese vondenNachschubmengenundderNachschubstrategie derVerbrauchs-und Lagerstellen abhängig sind. Durch eine Bündelung der Belieferung über Um-schlagpunkte oder aus bestandsführenden Logistikzentren lassen sich im Vergleichzur Direktbelieferung nur für ausgewählte Lieferanten und Artikelgruppen Logistik-kosten einsparen.

Eine weitere Voraussetzung für eine kostensenkende Nachschubbündelung undBestandsreduzierung durchZentralisierung ist, dass dieWarenströmeundZentralla-

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378 11 Bestands- und Nachschubdisposition

gerbestände der Artikel, für die eine Kostensenkung durch Zentralbelieferung mög-lich erscheint, zusammen eine kritische Masse erreichen, für die sich der Bau undBetrieb eines rationellen Umschlag- oder Logistikzentrums lohnt (s. Abschn. 6.8).

11.14 Kostenopportunität der Lagerhaltung

Aus dem Vergleich der entscheidungsrelevanten Kosten für die Auftragsbeschaffungmit den Kosten der Lieferung ab Lager ergibt sich die Kostenopportunitätsgrenze, abder für einen bestimmten Artikel die Lagerhaltung kostengünstiger ist als die Auf-tragsbeschaffung. Wenn die Kostenopportunitätsgrenze der Lagerhaltung bekanntist, lässt sich auch unter Kostenaspekten und nicht allein aufgrund der Lieferzeitan-forderungen festlegen, welche Artikel eines Sortiments zu Lagerartikeln gemachtwerden sollten. Außerdem ist für die Lagerartikel entscheidbar, ab welcher Bestell-menge ein Auftrag kostengünstiger direkt beschafft und nicht ab Lager ausgeliefertwird.

In den nachfolgenden Vergleichsrechnungen werden die Transportkosten zwi-schen Lieferstelle und Bedarfsstelle und die Einlagerkosten nicht berücksichtigt, dasie für die Auftragsbeschaffung und die Lagerbeschaffung über einen längeren Zeit-raum in der Regel in gleicher Höhe anfallen und daher nicht entscheidungsrelevantsind. Bei unterschiedlichen Versandarten, Ladeeinheiten und Befüllungsstrategienoder bei einer Transitlieferung der Auftragsware vomWareneingang ohne Zwischen-lagerung direkt zur Verbrauchsstelle oder zum Warenausgang können die unter-schiedlichen Transport- und Einlagerkosten die Lageropportunität beeinflussen. DieHerleitung der für diesen Fall etwas umständlicheren Berechnungsformeln verläuftjedoch ebenso wie die nachfolgende Rechnung [178].

11.14.1 Auftragslogistikstückkosten

Wenn es die Lieferzeitanforderungen zulassen, können die eingehenden Bedarfsan-forderungen für eine direkte Auftragsbeschaffung oder Auftragsfertigung über einenbestimmtenBündelungszeitraumTB [AT] gesammelt und zusammen ausgeführtwer-den. Dadurch reduzieren sich die anteiligen Auftragskosten der Beschaffung oderFertigung. Der Bündelungszeitraum ist nur dann auf einen Tag begrenzt, wenn dieBedarfsanforderungen noch am gleichen Tag als Beschaffungsauftrag an die Liefer-oder Fertigungsstelle geschickt werdenmüssen, umdie kürzeste Lieferzeit zu ermög-lichen.

Abgesehen von den Transportkosten setzen sich die Direktauftragskosten kDAuf[€/DAuf] für eine Sammelbeschaffung oder Losgrößenfertigung ebenso wie dieNachschubauftragskosten kNAuf [€/NAuf] der Lagerbeschaffung zusammen aus denAuftragskosten der Verbrauchsstelle und den Auftragskosten der Lieferstelle (s. Ab-schn. 11.6.1). Für eine Produktionsstelle werden die Auftragskosten vor allem vonden Rüstkosten bestimmt.

Bei gleichem Bestellprozess sind die Direktauftragskosten gleich den Nachschu-bauftragskosten. Wenn eine Direktbestellung von einer Person und der Lagernach-

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11.14 Kostenopportunität der Lagerhaltung 379

schub durch einen Rechner ausgelöst wird, können die Direktkosten deutlich höhersein als die Nachschubauftragskosten.

Bei einem mittleren Periodenabsatz λ [VE/PE] und einem BündelungszeitraumTB [AT] ist die mittlere Bestellmenge pro Beschaffungsauftrag mB = λ ⋅ TB. Damitsind die Auftragslogistikstückkosten:

kAL(λ; TB) = kDAuf/mB = kDAuf/(λ ⋅ TB) [€/VE] . (11.62)

Abb. 11.21 Abhängigkeit der Logistikstückkosten vom Periodenabsatz bei Auftragsliefe-rung und bei Lagerlieferung

Auftragslieferung mit Beschaffungsbündelung: s. Beziehung (11.62)Bündelungszeitraum: 5 und 10 ATLagerlieferung bei optimalem Nachschub: s. Beziehung (11.63)Lieferfähigkeit: 80 und 98%Auftragskosten: 65,00€/AufBeschaffungspreis: 2,50€/VELagerzinssatz: 9 % p. a.Lagerplatzkosten: 0,25€/Pal-TagPalettenkapazität: 3.200 VE/Pal

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380 11 Bestands- und Nachschubdisposition

Die ausBeziehung (11.62) für einBeispiel aus der Praxis errechneteAbhängigkeit derAuftragslogistikstückkosten vom Periodenabsatz ist für zwei unterschiedliche Bün-delungszeiten (5 und 10 AT) in Abb. 11.21 dargestellt. Hieraus wie aus Beziehung(11.62) ist ablesbar:

� Die Auftragslogistikstückkosten sinken umgekehrt proportional mit dem Absatz λund mit der Länge des Bündelungszeitraums TB.

Simulationsrechnungen über 250 Absatztage bestätigen die Berechnungs-formel (11.62) für die Logistikstückkosten der direkten Auftragsbeschaffung auchfür einen instationären und stark schwankenden Auftragseingang mit stochastischstreuenden Liefermengen [178].

11.14.2 Lagerlogistikstückkosten

Mit der optimalen Nachschubmenge (11.27) ergeben sich durch Einsetzen in Be-ziehung (11.30) die minimalen Lagerlogistikkosten KNLmin = KNL(mNopt). Ohne dieTransport- und Einlagerkosten ergibt sich daraus bezogen auf den Durchsatz für dieLagerlogistikstückkosten bei optimaler Nachschubdisposition:

kLNopt(λ) = (PVEzL + kLP/CLE) ⋅msich/λ

+ [2kNAuf ⋅ (PVE ⋅ zL + 2fLO ⋅ kLP/CLE) /λ]1/2 [€/VE] . (11.63)

Die Abhängigkeit der minimalen Lagerlogistikstückkosten (11.63) vom Absatz λ[VE/AT] ist für das gleiche Praxisbeispiel bei zwei unterschiedlichen Lieferfähigkei-ten (80% und 98%) ebenfalls in Abb. 11.21 dargestellt.

Aus dem Diagramm sowie aus der Beziehung (11.63) ist ablesbar:

� Die Lagerlogistikstückkosten bei optimaler Nachschubdisposition fallen umge-kehrt proportional mit derWurzel des Absatzes und steigen überproportional mitder geforderten Lieferfähigkeit.

Die minimalen Lagerlogistikstückkosten (11.63) sinken also weniger rasch mit demAbsatz als die Auftragslogistikstückkosten (11.62). Das hat zur Folge, dass bis zu ei-nem bestimmten Periodenabsatz die anonyme Lagerhaltung kostengünstiger wirdals die auftragsabhängige Direktbeschaffung. Der Schnittpunkt der Kurven für dieAuftragslogistikstückkosten und die Lagerlogistikstückkosten ergibt jeweils den la-geropportunen Absatz.

11.14.3 Lageropportunitätsgewinn

Der lageropportune Absatz λLopp zwischen Auftragslieferung und Lagerlieferung isterreicht, wenn die Differenz zwischen den Auftragslogistikstückkosten (11.62) undden Lagerlogistikstückkosten (11.63) Null wird. Diese Differenz ist der

• Lageropportunitätsgewinn

kLopp(λ) = kAL(λ) − kLNopt(λ) . (11.64)

Page 63: Logistik 1 || Bestands- und Nachschubdisposition

11.14 Kostenopportunität der Lagerhaltung 381

Abb. 11.22 Abhängigkeit der Lageropportunitätsgrenze von der Auftragsbündelung

Parameter: Sicherheitsbestand 0/2.000/5.000 VEBeschaffungspreis: 2,50 €/VE

Nach Einsetzen der Beziehungen (11.62) und (11.63) in Beziehung (11.64) und Auf-lösen der Gleichung kLopp(λLopp) = 0 nach λLopp ergibt sich der

• lageropportune Absatz

λLopp =[kDAuf/TB − (PVE ⋅ zL + kLP/CLE) ⋅msich]

2

2kNAuf ⋅ (PVE ⋅ zL + 2fLO ⋅ kLP/CLE)(11.65)

mit der Zusatzbedingung

λLopp = 0 wenn kDAuf/TB < (PVE ⋅ zL + 2fLO ⋅ kLP/CLE) ⋅msich . (11.66)

Aus der Lageropportunität folgt der Lageropportunitätssatz:

� Ein Artikel ist solange wirtschaftlicher auf Lager zu beschaffen und aus dem Be-stand auszuliefern als ihn nach TB Tagen Auftragsbündelung direkt zu beschaffen,wie der Periodenabsatz kleiner ist als der lageropportune Absatz (11.65).

Die Abb. 11.22 zeigt die Abhängigkeit des lageropportunen Absatzes vom Bünde-lungszeitraum TB [AT] für 3 verschiedene Sicherheitsbestände, die sich aus unter-schiedlichen Anforderungen an die Lieferfähigkeit ergeben.

Aus dem Lageropportunitätssatz und der Opportunitätsgrenze (11.65) ist ables-bar:

Page 64: Logistik 1 || Bestands- und Nachschubdisposition

382 11 Bestands- und Nachschubdisposition

� Mit einer Zunahme von Artikelwert und Zinsen sowie mit einem Anstieg vonPlatzbedarf und Lagerplatzkosten sinkt der lageropportune Absatz.

� Mit einem Anstieg der Direktauftragskosten, einer Senkung der Nachschubauf-tragskosten und geringerer Lieferfähigkeit erhöht sich der lageropportuneAbsatz.

Diese Zusammenhänge bestätigen die Erfahrungsregel:

� Billige und kleine Artikel und Artikel mit geringem Periodenabsatz sind eher La-gerartikel, große und wertvolle Artikel und Artikel mit hohem Absatz eher Auf-tragsartikel.

Anders als bisher lässt sich mit Beziehung (11.65) die Grenze zur Entscheidung zwi-schen Lagerartikeln und Auftragsartikeln für jeden Artikel bestimmen und der La-geropportunitätsgewinn quantifizieren.

Ein Dispositionsprogramm kann mit Hilfe der Formel (11.64) die Kostenoppor-tunität der Lagerhaltigkeit eines Artikels jederzeit aus den hinterlegten statischenund dynamischen Artikel- und Logistikstammdaten berechnen: Wird die Opportu-nitätsgrenze (11.65) nachhaltig unterschritten und dadurch der Lageropportunitäts-gewinn (11.64) positiv, schlägt das Programm die Umstufung eines Auftragsartikelszum Lagerartikel vor. Wenn der Absatz die Opportunitätsgrenze nachhaltig über-schreitet und der Artikel bisher ein Lagerartikel war, weist das Programm die Höhedes Lageropportunitätsgewinns (11.64) aus. Ist der Lageropportunitätsgewinn in Re-lation zu den Auftragslogistikstückkosten (11.62) deutlich kleiner als Null, wird vomProgramm eine Umstufung zum Auftragsartikel vorschlagen. Auf diese Weise mel-den sich die einzelnen Artikel gewissermaßen selbständig, wenn ihr Status als La-gerartikel oder als Auftragsartikel aufgrund eines veränderten Absatzes oder wegenanderer Einflussfaktoren verändert werden sollte.

11.14.4 Lageropportune Liefermenge

Wenndie Sicherheitsbestandskosten (11.40) imVergleich zu denAuftragskosten ver-nachlässigbar sind, ist der Faktor in den eckigen Klammern von Beziehung (11.65)annähernd gleich kDAuf/TB. Der Ausdruck in den runden Klammern im Nenner istbei Vernachlässigung der Anbruchmengenkosten gemäß Beziehung (11.27) gleich2λ ⋅ kNAuf/m2

Nopt . Damit ergibt sich für die Opportunitätsgrenze (11.65) die Nähe-rungsformel:

λLopp ≈ (kDAuf/kNAuf) ⋅mNopt/2TB [VE/AT] . (11.67)

Für einen Bündelungszeitraum TB = 1 Tag und bei gleichen Auftragskosten für Di-rektbeschaffung und Lagernachschub besagt diese Beziehung: Die Lagerbeschaffungist kostengünstiger als die Auftragsbeschaffung, wenn der mittlere Tagesbedarf klei-ner ist als die halbe optimale Lagernachschubmenge.

Dieses einfache Ergebnis ist auch ohne diesen Beweis verständlich, denn bei derAuftragslieferung fallen die Auftragskosten pro gebündelter Beschaffung nur einmal

Page 65: Logistik 1 || Bestands- und Nachschubdisposition

11.15 Dynamische Lagerdisposition 383

an, während bei der Lagerlieferung die Auftragskosten bei optimaler Disposition oh-ne Sicherheitsbestand proNachschub genau zweimal entstehen: einmal für dieNach-schubbeschaffung und einmal als Lagerungskosten, die beimKostenminimumgleichden Auftragskosten sind.

Das Opportunitätskriterium gilt auch für jeden einzelnen Auftrag eines Artikels,der wahlweise aus einem vorhandenen Lagerbestand geliefert oder nach Auftrag be-schafft werden kann. Aus der Näherungsformel (11.67) folgt also für die Auftrags-disposition von Lagerartikeln die

� Regel der lageropportunen Liefermenge: Aufträge, deren Liefermenge größer ist alsdie halbe optimale Lagernachschubmenge, werden kostengünstiger direkt gefer-tigt oder beschafft und nicht ab Lager geliefert.

Ein Dispositionsprogramm kann nach diesem Kriterium jeden eingehenden Auftragprüfen und danachdieGroßmengenaufträge zurDirektbeschaffung aussondern.DasAussondern der Großmengenaufträge hat abgesehen von der Kosteneinsparung denVorteil, dass sich dadurch die Absatzstreuung verringert und der erforderliche Si-cherheitsbestand kleiner wird (s. Abschn. 11.8.4).

11.15 Dynamische Lagerdisposition

Ziel der dynamischen Lagerdisposition ist die Sicherung der Lieferfähigkeit der Lager-artikel zu minimalen Kosten. Für Lagerartikel mit einem prognostizierbaren Bedarfkann die Bestands- und Nachschubdisposition von einem leistungsfähigen Disposi-tionsprogramm weitgehend autark durchgeführt werden. Nur für kritische Lagerar-tikel muss der Disponent tätig werden. Die Bestellpunktstrategie für die Lagerartikelwird von der Beschaffungsstrategie bestimmt, die für die jeweilige Lieferstelle opti-mal ist.

Zur Lagerdisposition gehört auch die Auswahl des Ladungsträgers, der zur Un-terbringung der Nachschub- und Lagermenge eines Artikels technisch geeignet undmit minimalen Kosten verbunden ist. Dieser Handlungsspielraum der Dispositionwird nur selten systematisch genutzt.

11.15.1 Standardablauf der rechnergestützten Lagerdisposition

Zur rechnergestützten Bestands- undNachschubdisposition der Lagerartikel werdennach jeder abgeschlossenen Dispositionsperiode t − 1 bis zum Beginn der aktuellenPeriode t vom Dispositionsprogramm die folgenden Rechenschritte durchgeführt:

1. Prognoserechnung von Mittelwert λm(t) und Streuung sλ(t) des zukünftigenPeriodenbedarfs aus den vorherigen Prognosewerten und dem Absatz der letz-ten Periode t − 1 (s. Abschn. 9.13.1)

2. Aktualisierung von Mittelwert TWBZm(t) und Streuung sWBZ(t) derWiederbe-schaffungszeit für alle Artikel, für die in der letzten Periode t−1 eineNachschub-lieferung eingetroffen ist (s. Abschn. 9.13.3)

Page 66: Logistik 1 || Bestands- und Nachschubdisposition

384 11 Bestands- und Nachschubdisposition

3. Berechnung der aktuellen Nachschubmenge für alle Lagerartikel aus den Arti-kellogistikdaten und dem prognostizierten Bedarf

4. Berechnung der für die jeweils geforderte Lieferfähigkeit benötigten aktuellenSicherheitsbestände aller Lagerartikel

5. Berechnung des aktuellen Meldebestands, bei dessen Erreichen spätestens einNachschub ausgelöst wird

6. Bestimmung derBestellpunkte für Lagernachschubaufträge inAbhängigkeit vonder Bestellpunktstrategie

7. Anzeige oder Ausdruck einer Bestellliste aller Artikel, deren Bestellpunkt er-reicht ist, mit Bestellvorschlägen für die Lagernachschubaufträge

8. Anzeige oder Ausdruck einer Warnliste aller kritischen Lagerartikel mit anor-malem Verhalten.

Wichtig ist, dass dieDispositionsschritte genau in dieser Reihenfolge ausgeführt wer-den. Nur so ist die dynamische Lagerdisposition selbstregelnd. Auf diese Weise lässtsichmit einer rechnergestützten dynamischen Lagerdisposition erreichen, dassmehrals 90% aller Bestellvorschläge des Rechners ohne Änderung freigegeben und aus-geführt werden können.

Die resultierendenNachschubvorschläge fürunkritische Lagerartikelwerden vomDisponenten unverzüglich geprüft und in der Regel sofort freigegeben. Sie werdenzusammenmit denAuftragsbestellungen gleicherArtikel direkt bei der Produktions-oder Lieferstelle ausgelöst. Kritische Lagerartikel sind Artikel

1. deren Absatz die Lageropportunitätsgrenze (11.65) nachhaltig überschreitet,2. deren Bestandsreichweite eine vorgegebene maximale Reichweite überschreitet

oder nach der Nachschubbestellung überschreiten würde,3. deren errechnete Nachschubmenge die Kapazität der kleinsten zulässigen La-

deeinheit unterschreitet,4. deren Prognostizierbarkeit nicht mehr gegeben ist.

Nach Anzeige der kritischen Lagerartikel durch den Rechner entscheidet der Dispo-nent, ob der Artikel vom Lagerartikel zum Auftragsartikel umgestuft werden soll.

11.15.2 Auswahl der Bestellpunktstrategie

Solange der Bedarf eines Artikels prognostizierbar ist und die Parameter zur Berech-nung von Sicherheitsbestand und kostenoptimaler Nachschubmenge bekannt sind,ist dasMeldebestandsverfahren oder das Zykluszeitverfahren für die Bestellpunktbe-stimmung geeignet. Nach der Analyse in Abschn. 11.11 gelten für diese beiden Be-stellpunktstrategien die Auswahlregeln:

� Das Meldebestandsverfahren ist optimal, wenn die Produktions- und Lieferstellejederzeit Bestellungen annimmt und diese auch sofort ausführt.

Wenn bei einer Produktions- oder Lieferstelle innerhalb der Standardlieferzeit nurein Artikel beschafft wird, ist die bestellpunktkabhängige Einzeldisposition zu wählen(s. Abb. 11.23). Können bei derselben Lieferstelle innerhalb der Standardlieferzeit

Page 67: Logistik 1 || Bestands- und Nachschubdisposition

11.15 Dynamische Lagerdisposition 385

auch andere Artikel beschafftwerden, deren vorgezogene Bestellung und gebündelteAnlieferung eine größere Einsparung ergibt als die Mehrkosten aus der Bestands-erhöhung, ist die bestellpunktabhängige Sammeldisposition wirtschaftlicher als dieEinzeldisposition.

� Das Zykluszeitverfahren ist anzuwenden, wenn die Produktions- oder Lieferstellenur in bestimmten Zeitabständen liefert.

Die zyklische Einzeldisposition ist zuwählen, wenn in der Zykluszeit bei der Lieferstel-le nur ein Artikel beschafft wird. Die zyklische Sammeldisposition ist kostenoptimal,wenn bei derselben Lieferstelle innerhalb der Zykluszeit regelmäßig mehrere Arti-kel beschafft werden, deren Bündelung eine größere Kostenersparnis bringt als dieMehrkosten der Bestandserhöhung.

Für Artikel mit einem regelmäßigem Bedarf, der nicht vom Rechner erfasst wirdoder deren Parameter zur Berechnung von Sicherheitsbestand und kostenoptimalerNachschubmenge nicht bekannt sind, ist das Bereitstellverfahren geeignet. Der Preisfür das einfache, da selbstregelnde und rechnerunabhängige Bereitstellverfahren istjedoch die Gefahr zu hoher oder für die benötigte Verfügbarkeit unzureichender Be-stände [178]. Daraus folgt die Einsatzregel für das Bereitstellverfahren:

� Das Bereitstellverfahren nach dem Kanban- oder dem Flip-Flop-Prinzip ist geeig-net für Artikel mit einem anhaltend regelmäßigem Bedarf und so geringen Wert,dass der Verbrauch nicht einzeln erfasst zu werden braucht.

Da zur Kontrolle und Vergütung der Lieferstelle die Beschaffungen nach dem Be-reitstellverfahren spätestens bei der Anlieferung erfasst und im Rechner gespeichertwerden, kann der Rechner laufend überprüfen, ob die Voraussetzungen für das Be-reitstellverfahren noch erfüllt sind (Abschn. 11.11.1).

11.15.3 Zuweisung optimaler Ladungsträger

Wenn zur Lagerung der Verbrauchseinheiten eines Artikels technisch mehrere La-dungsträger LE j mit unterschiedlicher Kapazität CLEj [VE/LE] geeignet sind,müssenalle zulässigen Ladungsträger, zum Beispiel alle für den Artikel technisch geeignetenKLT, Paletten, Gitterboxen oder Langgutkassetten, im Artikelstammdatensatz hin-terlegt werden. Außerdem müssen die Ladungsträgerkapazitäten und die zugehöri-gen Lagerkostensätze im Logistikstammdatensatz gespeichert sein (s. Abschn. 12.6).

Aus diesen Kenndaten lässt sich für jeden zulässigen Ladungsträger die benötigteAnzahl Nachschubeinheiten errechnen und der optimale Ladungsträger bestimmen.Dieser ist gegeben durch das Kriterium des optimalen Ladungsträgers:

� Mit dem optimalen Ladungsträger wird für die kostenoptimale Nachschubmen-ge die kleinste Anzahl Ladeeinheiten benötigt und der höchste Füllungsgrad er-reicht.

Wenn der Füllungsgrad der kleinsten zulässigen Ladeeinheit bei Befüllung mit derungerundeten kostenoptimalen Nachschubmenge unter 50% sinkt, muss der Dispo-nent in Abstimmung mit dem Vertrieb überprüfen, ob der Artikel weiterhin Lager-artikel bleiben oder zu einem Auftragsartikel umgestuft werden soll.

Page 68: Logistik 1 || Bestands- und Nachschubdisposition

386 11 Bestands- und Nachschubdisposition

0

5.000

10.000

15.000

20.000

25.000

30.000

1 51 101 151 201

Absatztage [AT]

0

5.000

10.000

15.000

20.000

25.000

30.000

NachbestellungVS-Bestand

Abb. 11.23 Simulierter Nachschub und Bestandsverlauf für einen Lagerartikel mit demAbsatzverlauf Abb. 9.11

Nachschubstrategie (s,Q): Meldebestandsverfahren mit kostenoptimalem Nach-schubVS-Bestand: aktueller Bestand der Verbrauchs- oder Verkaufsstelle VS

11.15.4 Wirkungen der dynamischen Lagerdisposition

Die aus einer dynamischen Lagerdisposition resultierenden Nachschubmengen undder Bestandsverlauf eines Artikels mit dem in Abb. 9.10 dargestellten Absatz, derüber das ganze Jahr anhält und von Tag zu Tag stochastisch um einen systematischveränderlichen Verlauf schwankt, sind in Abbildung 11.23 gezeigt.

Gut zu erkennen ist, wie die Nachschubmengen, der Sicherheitsbestand und dermaximale Bestand dem systematischen Absatzverlauf folgen. Der Einfluss der sto-chastischen Tagesschwankungen spiegelt sich in den ungleichmäßigen Treppenstu-fen des Bestandsabbaus.

Die Abb. 11.24 zeigt die Nachschubmengen und den Bestandsverlauf für densel-ben Artikel mit den gleichenDispositionsparametern, jedochmit demAbsatzverlaufAbb. 9.11, der erst ab dem 61. Tag beginnt. Kurz nach dem Einsetzen des Bedarfssteigt die Bedarfsprognose an und generiert eine erste Nachschubbestellung. Nachderen Eintreffen werden die eingehenden Aufträge ab Lager bedient. Das Programmberechnet die nächsten Nachschubmengen dynamisch, so dass die relevanten Kostenminimal werden.

Wenn inVorbereitung auf den erwarteten Absatz eines neuen Artikels ein ausrei-chender Anfangsbestand im Voraus beschafft wurde, ist das Lager bereits vom erstenTag an lieferfähig. Aber auch ohne Anfangsbestand, wie in dem Beispiel Abb. 11.24,schwingt sich die geforderte Lieferfähigkeit über den dynamischen Sicherheitsbe-stand sehr rasch ein.

Page 69: Logistik 1 || Bestands- und Nachschubdisposition

11.16 Disposition bei begrenzter Produktionsleistung 387

Dieses Beispiel sowie weitere Testrechnungen machen deutlich, wie gut auch Ar-tikel mit einem plötzlich ansteigenden oder aussetzenden Bedarf vom Rechner nachdem Verfahren der dynamischen Lagerdisposition disponiert werden können. DieModellrechnungen zeigen auch, dass bei einer dynamischen Disposition die An-fangseinstellung der Dispositionsparameter weitgehend unkritisch ist. Absolut kor-rekt müssen hingegen die aktuellen Bestände eingegeben und weitergeführt werden.

Bei der Implementierung eines neuen Dispositionssystems oder bei einer Sys-temumstellung können daher ohne große Gefahr von Fehldispositionen bis auf dieBestände die alten Erfahrungswerte als Anfangswerte übernommen oder Planwer-te und Standardwerte für gleichartige Artikelgruppen verwendet werden. Dadurchlässt sich die Implementierung oder Umstellung erheblich erleichtern und verkür-zen [178, 191].

0

5.000

10.

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1 5 1 101 151 201

Absatztage [AT]

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NachbestellungVS-Bestand

Abb. 11.24 DynamischeNachschub- und BestandsdispositioneinesArtikelsmit plötzlicheinsetzendem Bedarf

(Absatzverlauf s. Abb. 9.12)

11.16 Disposition bei begrenzter Produktionsleistung

Die Lieferzeit einer produzierenden Lieferstelle ist die Summe einer Vorlaufzeit T0[AT] bis zum Produktionsbeginn, die für Auftragsübermittlung, Bearbeitung, Dis-position und Rüsten benötigt wird, der reinen Produktionszeit TP [AT] zur ununter-brochenen Erzeugung der Bestellmenge m, die bei einer Produktionsgrenzleistung μ[VE/AT] gleich m/μ [AT] ist, und einer Nachlaufzeit, die – abgesehen von Trocken-,Reife- oder Aushärtezeiten – gleich der Transportzeit TTr [AT] ist. Die Gesamtlie-ferzeit bis zum Eintreffen der letzten Einheit der Bestellmenge m am Bedarfs- oder

Page 70: Logistik 1 || Bestands- und Nachschubdisposition

388 11 Bestands- und Nachschubdisposition

Lagerort ist

TGLZ = T0 + TTr +m/μ . (11.68)

Sie hängt also von der Bestellmenge ab. Die vorangehenden Strategien und Algorith-men der Bestands- und Nachschubdisposition gelten jedoch nur fürWiederbeschaf-fungszeiten, die unabhängig von der Bestellmenge sind, d. h. für μ ≫m.

Die nachfolgenden Strategien und Algorithmen für die dynamische Dispositionbei begrenzter Produktionsleistung sind sowohl in einstufigen wie auch in mehrstu-figen Lieferketten anwendbar. Sie eröffnen weitere Potenziale zur Bestandssenkung,Kosteneinsparung undVerkürzung der Lieferzeiten. Zugleich lässt sichmitHilfe die-ser Strategien eine der gravierendsten Ursachen des sogenannten Peitschenknallef-fekts beheben (s. Abschn. 20.19).

11.16.1 Auslieferstrategien und Bestandsverlauf

Wie bereits in Abschn. 10.5 ausgeführt, sind für die Beförderung der produziertenMenge vomAusgang der Produktionsstelle bis zur Bedarfs- oder Lagerstelle folgendeAuslieferstrategien möglich:

• Geschlossene Auslieferung (GA): Die gesamte Nachschubmenge wird erst ausge-liefert, wenn sie komplett fertiggestellt ist.

• Kontinuierliche Auslieferung (KA): Die Produktionsmenge wird kontinuierlich ineinzelnen Verbrauchseinheiten [VE] oder vollen Ladeeinheiten [LE] ausgeliefert.

DieWiederbeschaffungszeit bei geschlossener Auslieferung ist gleich der Gesamtliefer-zeit (11.68) für die vollständige NachschubmengemN:

TWBZ GA(mN) = TGLZ = T0 + TTr +mN/μ [AT] . (11.69)

Um die Lieferfähigkeit zu bewahren, muss ein Nachschubauftrag ausgelöst werden,wenn der Bestand unter den Verbrauch in der Wiederbeschaffungszeit plus einemSicherheitsbestand msichsinkt, der eventuelle Verbrauchschwankungen in der Wie-derbeschaffungszeit ausgleicht. Der Meldebestand bei geschlossener Auslieferung istdaher:

mMB GA = (T0 + TTr +mN/μ) ⋅ λ +msich [VE] . (11.70)

Wie in Abb. 11.25 oben gezeigt, baut sich in der Produktionsstelle nach Ablauf derVorbereitungszeit T0 ein Bestand auf, der nach Ablauf der gesamten ProduktionszeitmN/μ geschlossen an die Lagerstelle ausgeliefert wird. Dort trifft er nach der Trans-portzeit von TTr ein und führt zu einem sprunghaften Anstieg des Bestands. Bei sta-tionärem Bedarf ergibt sich daraus ein sägezahnartiger Bestandsverlauf mit senkrech-ten Anstiegsflanken und schrägem Abfall bis auf den Sicherheitsbestand (s. Abb. 10.5und 11.23).

Die Wiederbeschaffungszeit bei kontinuierlicher Auslieferung ist unabhängig vonder Nachschubmenge gleich der Startlieferzeit:

TWBZ KA = TSLZ = T0 + TTr [AT] . (11.71)

Page 71: Logistik 1 || Bestands- und Nachschubdisposition

11.16 Disposition bei begrenzter Produktionsleistung 389

mmax = mN

mB

TN = mN / λ

TWBZ

mN - λ · (t - to )

mB(t)

tTo TtrmN/μ

μ· (

t –t o)

LWFLWFLWF

mB = ½ · mN · (1 + λ / μ)

Geschlossene Nachschubanlieferung

mmax = mN · (1 - λ / μ)

TN = mN / λ

TWBZ

mB(t)

tTo Ttr mN/μ

FWLFWL

FWL

mB = ½ · mN · (1 - λ / μ)

Kontinuierliche Nachschubanlieferung

mB

mMB

mMB

(μ -

λ)· (

t –t o

)

mN - λ · (t – to )

SAPSAP

FWLFWL

Abb. 11.25 Bestandsverlauf bei stationärem Bedarf ohne stochastische Streuungfür geschlossene und für kontinuierliche Nachschubauslieferung

FWL: Fertigwarenlager PAS: Produktionsausgangsspeicher

Für große Nachschubmengen, deren komplette Fertigstellung mehrere Tage erfor-dert, ist sie wesentlich kleiner als dieWiederbeschaffungszeit bei geschlossener Aus-lieferung. Das gilt auch für denMeldebestand bei kontinuierlicher Auslieferung:

mMB KA = (T0 + TTr) ⋅ λ +msich [VE] . (11.72)

Page 72: Logistik 1 || Bestands- und Nachschubdisposition

390 11 Bestands- und Nachschubdisposition

Mit dem Eintreffen der ersten Teilmenge ist die Lagerstelle wieder lieferfähig. Wie inAbb. 11.25 unten gezeigt, baut sich der Lagerbestand proportional zur Differenz μ−λzwischen Produktionsleistung μ und Verbrauch λ auf, bis nach der ProduktionszeitmN/μ die gesamte Nachschubmenge angeliefert ist. Dann fällt der Bestand wie beider geschlossenen Auslieferung proportional zum Verbrauch λ bis auf den Sicher-heitsbestand. Daraus ergibt sich ein sägezahnartiger Bestandsverlauf mit schrägenAnstiegsflanken (s. auch Abb. 10.6).

Bei täglicher Auslieferung in vollen Ladeeinheiten und einem Absatz von unter-schiedlichen Mengen diskreter Verbrauchseinheiten ändert sich der Lagerbestand inunterschiedlich großen Sprüngen. Weitere Unstetigkeiten ergeben sich bei stochas-tischem Bedarf und schwankenden Wiederbeschaffungszeiten. Bei stationärem Ver-brauch hat jedoch der über viele Nachschubzyklen gemittelte Bestandsverlauf immernoch die in Abb. 11.25 dargestellte Sägezahnform. Das zeigen die Simulationsergeb-nisse Abb. 11.28 für den Bedarfsverlauf der Abb. 9.10.

11.16.2 Mittlerer Bestand

Bei unbegrenzter Produktionsleistung ist der mittlere Bestand der Lagerstelle überviele Nachschubzyklen (s. Bez. (10.10)):

mB = msich +mN/2 [VE] . (11.73)

Bei begrenzter Produktionsleistung und geschlossener Auslieferung entsteht wäh-rend der Produktionszeit zusätzlich zum Lagerbestand in der Lieferstelle ein Produk-tionsausgangsbestand. Dessen mittlere Höhe während der Produktionszeit ist mN/2Dadieser Produktionsbestand nur für denZeitanteilmN /μ der gesamtenNachschub-zykluszeit TN =mN/λ besteht, ist der langzeitige Mittelwert des Produktionsbestands(mN/2) ⋅ λ/μ. Der mittlere Gesamtbestand von Lagerstelle und Lieferstelle ist daherbei geschlossener Auslieferung:

mB GA =msich +mN ⋅ (1 + λ/μ)/2 [VE] . (11.74)

Der mittlere Gesamtbestand ist für die Lagerlogistikkosten maßgebend, wenn dasgleiche Unternehmen die Lagerlogistikkosten der Lieferstelle und der Lagerstelle zutragen hat. Das gilt direkt für die Eigenproduktion, indirekt über den Preis aber auchfür Fremdprodukte und Handelsware. Aus Beziehung (11.74) folgt:

• Bis auf den Sicherheitsbestand erhöht sich der mittlere Gesamtbestand bei ge-schlossener Auslieferung der Nachschubmenge und begrenzter Produktionsleis-tung mit steigendem Bedarf gegenüber demmittleren Bestand bei unbegrenzterProduktionsleistung um den Faktor (1 + λ/μ).

Solange der Bedarf wesentlich kleiner ist als die Produktionsleistung, gilt für denmittleren Bestand die Beziehung (11.73) der unbegrenzten Produktionsleistung. Nä-hert sich der Bedarf der Produktionsleistung, steigt der mittlere Summenbestand(11.74) um den Faktor 2 gegenüber dem Bestand bei unbegrenzter Produktionsleis-tung.

Page 73: Logistik 1 || Bestands- und Nachschubdisposition

11.16 Disposition bei begrenzter Produktionsleistung 391

Bei kontinuierlicher Nachschubauslieferung entsteht in der produzierenden Lie-ferstelle kein Lagerbestand. Wie in Abb. 11.25 unten dargestellt, reduziert der tägli-che Bedarf λ der Lagerstelle laufend die mit der Produktionsleistung μ angelieferteMenge. Infolgedessen steigt der Lagerbestand bis zum Ende der Anlieferzeit nichtmehr um die gesamte Nachschubmenge mN sondern nur um die reduzierte MengemN ⋅(1−λ/μ). DermittlereGesamtbestand ist daher bei kontinuierlicherAuslieferungder Nachschubmenge:

mB KA = msich +mN ⋅ (1 − λ/μ)/2 [VE] . (11.75)

Hieraus folgt:

• Bis auf den Sicherheitsbestand reduziert sich der Lagerbestand bei kontinuierli-cher Auslieferung derNachschubmenge und begrenzter Produktionsleistung mitansteigendem Bedarf gegenüber demmittleren Bestand (11.73) bei unbegrenzterProduktionsleistung um den Faktor (1 − λ/μ).

Bei Annäherung des Bedarfs an die Produktionsgrenzleistung sinkt der mittlere La-gerbestand auf den Sicherheitsbestand. Nur wenn der Verbrauch wesentlich kleinerist als die Produktionsgrenzleistung, gilt für den mittleren Bestand die Beziehung(11.73).

Der Vergleich des in Abb. 11.25 dargestellten Bestandsverlaufs für die beidenAuslieferstrategien und der inAbb. 11.27 gezeigteUnterschied der Sicherheitsbestän-de ergibt die Dispositionsregel:� Bei begrenzter Produktionsleistung führt die kontinuierliche Nachschubausliefe-

rung zu deutlich niedrigeren Gesamtbeständen als die geschlossene Nachschub-auslieferung.

Der Unterschied nimmt mit Annäherung des Bedarfes an die Produktionsgrenzleis-tung immer weiter zu (s. auch Abb. 10.5 und 10.6).

Auch für Handelsware und Fremdprodukte, die nicht direkt mit den Lagerkos-ten der Lieferstelle belastet sind, führt die tägliche Auslieferung von Teilmengen beigroßen Nachschubmengen, deren Gesamtfertigstellung mehrere Tage erfordert, zuBestandssenkungen und Einsparungen der Lagerlogistikkosten. Dagegen sind dieMehrkosten für den täglichen Transport der Teilauslieferungen zu rechnen. Mehr-kosten für den Teilmengentransport fallen jedoch nur an, wenn der Transport nichtim Verbund mit dem Nachschub für andere Artikel stattfinden kann und daher fürden täglichen Nachschub zusätzliche Fahrten erforderlich sind.

11.16.3 Kostenoptimale Nachschubmenge

Die dispositionsrelevanten Lagerlogistikkosten sind die Summe der Nachschubkos-ten, die mit der Auftragsfrequenz λ/mN bei jeder Nachschubanforderung anfallen,und der Lagerhaltungskosten, die laufend durchWertverzinsung und Lagerplatzmie-te für den mittleren Bestand mB entstehen. Mit freier Lagerordnung und ohne An-brucheinheiten sind die mittleren Lagerlogistikkosten pro Periode [PE] bei Lager-platzkosten kLP [€/LE⋅PE] für Ladeeinheiten LEderKapazität CLE [VE/LE],Auftrags-kosten kAuf, [€/Auf], einen Stückpreis P [€/VE] und einen Lagerzins zL [%/ZE]:

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392 11 Bestands- und Nachschubdisposition

KNL(mN) = kAuf ⋅ λ/mN + (P ⋅ zL + kLP/CLE) ⋅mB [€/PE] . (11.76)

Durch Einsetzen der Beziehungen (11.74) und (11.75) für denmittleren Bestand mBergeben sich hieraus die Lagerlogistikkosten für die beidenAuslieferstrategien inAb-hängigkeit von der Nachschubmenge. Die Abb. 11.26 zeigt für ein typisches Beispieldie mit Beziehung (11.76) resultierende Nachschubabhängigkeit der mittleren La-gerlogistikkosten.

Aus Beziehung (11.76) in Verbindung mit (11.74) und (11.75) ebenso wie ausAbb. 11.26 ist ablesbar:

• Die Lagerlogistikkosten sind bei begrenzter Produktionsleistung für die geschlos-sene Auslieferung höher und für die kontinuierliche Auslieferung geringer als dieLagerlogistikkosten bei unbegrenzter Produktionsleistung.

• Bei begrenzter Produktionsleistung verschiebt sich die kostenoptimale Nach-schubmenge für geschlossene Auslieferung zu kleineren und für kontinuierlicheAuslieferung zu größeren Werten als die optimale Nachschubmenge bei unbe-grenzter Produktionsleistung.

Für das in Abb. 11.26 dargestellte Beispiel, bei dem der Bedarf des betrachteten Ar-tikels die Produktionsgrenzleistung zu 1/3 auslastet, sind die Lagerlogistikkosten beijeweils optimaler Nachschubmenge für die kontinuierlicheAuslieferung um33 % ge-ringer als für die geschlossene Auslieferung und um 24% geringer als bei unbegrenz-ter Produktionsleistung.Die Einsparpotenziale durch richtigeNachschubdispositionkönnen also beträchtlich sein.

Die kostenoptimale Nachschubmenge bei unbegrenzter Produktionsleistung ergibtsich nach Einsetzen von Beziehung (11.73) in (11.76) durchNullsetzen der Ableitungder Kostenfunktion und Auflösung nach mN. Das Ergebnis ist:

mNopt =√

2 ⋅ λ ⋅ kAuf/(P ⋅ zL + kLP/CLE) [VE] . (11.77)

Entsprechend resultiert bei begrenzter Produktionsleistung durch Einsetzen der Be-ziehung (11.74) bzw. (11.75) in (11.76) und Nullsetzen der Ableitung nach mN:

• Für geschlossene Auslieferung ist die kostenoptimale Nachschubmenge bei begrenz-ter Produktionsleistung μ und Bedarf λ

mNopt GA = mNopt/√

1 + λ/μ [VE] . (11.78)

• Für kontinuierliche Auslieferung ist die kostenoptimale Nachschubmenge bei be-grenzter Produktionsleistung μ und Bedarf λ

mNopt KA = mNopt/√

1 − λ/μ [VE] . (11.79)

Für das Beispiel der Abb. 11.26 zeigt Abb. 11.27 die mit den Beziehungen (11.77),(11.78) und (11.79) berechnete Abhängigkeit der kostenoptimalenNachschubmengevom Bedarf bei unbegrenzter und bei begrenzter Produktionsleistung. Hieraus sindfolgende Gesetzmäßigkeiten ablesbar:

� Die kostenoptimaleNachschubmenge bei unbegrenzter Produktionsleistung steigtproportional mit der Wurzel des Bedarfs.

Page 75: Logistik 1 || Bestands- und Nachschubdisposition

11.16 Disposition bei begrenzter Produktionsleistung 393

0

500

1.000

1.500

2.000

2.500

3.000

3.500

4.000

4.500

0 5.000 10.000 15.000 20.000 25.000 30.000 35.000

Nachschubmenge [VE/NAuf]

Lage

rlogi

stik

kost

en [€

/PE]

kontinuerliche Anlieferung

geschlossene Anlieferung ohne PB

geschlossene Anlieferung mit PB

Abb. 11.26 Nachschubabhängigkeit der Lagerlogistikkosten für kontinuierliche und ge-schlossene Auslieferung mit und ohne Produktionsbegrenzung (PB)

Bedarf λ = 700 VE/AT Produktionsleistung μ = 2.100 VE/AT;Artikelpreis P = 0,75 €/VE Lagerzins zL = 9% p. a.Auftragskosten (Rüstkosten) kAuf = 65 €/AufBehälter mit CLE = 400 VE/Beh Lagerplatzkosten kLP = 7,80 €/Beh p. a.mittlere Lieferfähigkeit ηlief = 99%

� Die kostenoptimale Nachschubmenge bei begrenzter Produktionsleistung undgeschlossener Auslieferung ist kleiner als bei unbegrenzter Produktionsleistung.Sie steigt unterproportional zur Wurzel des Bedarfs und ist bei Annäherung andie Produktionsgrenzleistung um den Faktor 1/

2 kleiner als bei unbegrenzterProduktionsleistung.

� Bei begrenzter Kapazität und kontinuierlicher Auslieferung ist die kostenoptima-le Nachschubmenge größer als bei unbegrenzter Produktionsleistung. Nur bei ge-ringem Bedarf steigt sie annähernd proportional zur Wurzel aus dem Bedarf. BeiAnnäherung des Bedarfs an die Produktionsgrenzleistung steigt sie immer ra-scher an.

Wenn sich der Bedarf der Produktionsgrenzleistung nähert, also für λ → μ, steigtdie optimale Nachschubmenge der kontinuierlichen Auslieferung gemäß Beziehung

Page 76: Logistik 1 || Bestands- und Nachschubdisposition

394 11 Bestands- und Nachschubdisposition

0

10.000

20.000

30.000

40.000

50.000

60.000

0 200 400 600 800 1.000 1.200 1.400 1.600 1.800 2.000 2.200

Absatz [VE/PE]

Opt

imal

e N

achs

chub

men

ge [V

E/N

Auf

)

kontinuerliche Anlieferung

geschlossene Anlieferung ohne PB

geschlossene Anlieferung mit PB

Abb. 11.27 Bedarfsabhängigkeit der kostenoptimalen Nachschubmenge für kontinuierli-che und geschlosseneAuslieferung mit und ohne Produktionsbegrenzung (PB)

Produktionsgrenzleistung: 2.100 VE/ATübrige Parameter: s. Abb. 11.26

(11.79) über alle Grenzen. Die kontinuierlich ausgelieferte Produktionsmenge wirdtäglich vollständig verbraucht. Das heißt:

� Die Losgrößenfertigung geht bei Annäherung des Bedarfs an die Produktions-grenzleistung in eine kontinuierliche Fertigung über.

In der Praxis ist die Produktionslosgröße in der Regel nach oben begrenzt, weil nacheiner maximalen Laufzeit TPmax, in der die maximale Produktionsmenge mPmax =

TPmax ⋅ μ gefertigt werden kann, die Anlage zur Durchführung planmäßiger War-tungs- und Reinigungsarbeiten abgeschaltet werden muss. Wenn aus technologi-schen Gründen auch noch eine minimale Produktionsmenge mPmin vorgegeben ist,gilt für die Nachschubmengenrechnung die Nebenbedingung mPmin ≤ mN ≤mPmax.

Wenn bei der Auslieferung und Lagerung teilgefüllte Ladeeinheiten entstehenoder wegen fester Lagerordnung die Lagerplatzkosten für den maximalen Lagerbe-stand anfallen, erhöhen sich die Lagerlogistikkosten (11.76). Dadurch verändert sichauch die kostenoptimale Nachschubmenge (11.77) für die unbegrenzte Produktions-

Page 77: Logistik 1 || Bestands- und Nachschubdisposition

11.16 Disposition bei begrenzter Produktionsleistung 395

0

100

200

300

400

500

600

1 51 101 151 201

Absatztage [AT]

Nac

hsch

ubzu

lauf

[VE/

AT

0

1.000

2.000

3.000

4.000

5.000

6.000

7.000

8.000

Bes

tand

[VE]

Nachlieferung Lagerbestand

Abb. 11.28 Nachschubzulauf und Lagerbestand bei begrenzter Produktionsleistung undkontinuierlicher Auslieferung

Simulierter Bedarfsverlauf: stochastisch ansteigend wie in Abb. 9.1Mittlerer Tagesbedarf: Start 133 VE/AT Ende 267 VE/ATMaschinengrenzleistung: 500 VE/AT

leistung (s. Beziehung (11.27)). Die Beziehungen (11.78) und (11.79) gelten auch fürdiese Fälle, wobei jedoch die korrekte Nachschubmenge (11.27) einzusetzen ist.

Für ein Beispiel zeigt Abb. 11.28 das Ergebnis einer Simulation des Nachschub-zulaufs und des Lagerbestands, die sich für einen stetig ansteigenden stochastischenBedarf aus der Strategie der kontinuierlichenAuslieferung bei optimalerNachschub-losgröße ergeben (s. Abb. 11.23).

11.16.4 Sicherheitsbestand

Der zur Sicherung einer Lieferfähigkeit ηlief erforderliche Sicherheitsbestand lässtsich mit der Masterformel des dynamischen Sicherheitsbestands (11.37) berechnen.Nach Einsetzen von Beziehung (11.69) für die Wiederbeschaffungszeit und von Be-ziehung (11.74) für die Nachschubmenge resultiert aus (11.37) für den Fall der ge-schlossenen Auslieferung:� Bei geschlossener Nachschubauslieferung steigt der Sicherheitsbestand mit größerer

Nachschubmenge wegen der zunehmenden Streuung in der immer länger wer-denden Wiederbeschaffungszeit und wegen des zunehmenden Anteils der länge-ren Wiederbeschaffungszeit an der Nachschubzykluszeit.

Für den Fall der kontinuierlichen Auslieferung ergibt sich nach Einsetzen von Bezie-hung (11.70) für die Wiederbeschaffungszeit und Beziehung (11.79) für die Nach-schubmenge in die Sicherheitsbestandsformel (11.37):

Page 78: Logistik 1 || Bestands- und Nachschubdisposition

396 11 Bestands- und Nachschubdisposition

� Bei kontinuierlicher Nachschubauslieferung sinkt der Sicherheitsbestand mit zu-nehmender Nachschubmenge bei geringer Streuung in der gleichbleibend kurzenWiederbeschaffungszeit wegen des abnehmenden Anteils der kurzen Wiederbe-schaffungszeit an der Nachschubzykluszeit.

Die gegenläufigeAbhängigkeit des Sicherheitsbestands vonderNachschubmenge beigeschlossener und bei kontinuierlicher Auslieferung zeigt Abb. 11.29 für ein Beispielmit den Parametern der Abb. 11.26.

Bei kleinen Nachschubmengen ist der Sicherheitsbestand für die geschlosseneAuslieferung gleich dem Sicherheitsbestand bei kontinuierlicher Auslieferung. Beisehr großen Nachschubmengen und kontinuierlicher Auslieferung wird der Anteilder Nachschubzeit an der Zykluszeit immer kleiner. Im Grenzfall λ → μ ist bei kon-tinuierlicher Auslieferung gar kein Sicherheitsbestand mehr erforderlich, da täglicheine neue Nachlieferung ankommt.

Wenn der Bedarf λ größer ist als die Produktionsgrenzleistung μ einer Maschi-ne, d. h. für λ > μ, kann er nicht mehr von einer Maschine gedeckt werden. Werdenkeine weiteren Maschinen hinzugenommen, wird der Absatz auf die Grenzleistungder einen Maschine gedrosselt und von dieser ununterbrochen produziert. Zugleich

0

500

1.000

1.500

2.000

2.500

3.000

3.500

4.000

0 5.000 10.000 15.000 20.000 25.000 30.000 35.000

Nachschubmenge [VE/NAuf]

Sich

erhe

itsbe

stan

d [V

E]

kontinuerliche Anlieferunggeschlossene Anlieferung

Abb. 11.29 Abhängigkeit des Sicherheitsbestands von der Nachschubmengefür kontinuierliche und geschlossene Auslieferung

Lieferfähigkeit: ηlief = 99% Übrige Parameter: s. Abb. 11.26

Page 79: Logistik 1 || Bestands- und Nachschubdisposition

11.16 Disposition bei begrenzter Produktionsleistung 397

wächst der Auftragsbestand immer weiter an. Für den Fall λ > μ gelten die voran-gehenden Dispositionsstrategien und Formeln zur Berechnung der Losgröße unddes Bestellpunktes bei kontinuierlicher Auslieferung nicht mehr, denn der Faktor(1 − λ/μ) ist in diesem Fall negativ und die Wurzel daraus unbestimmt.

11.16.5 Parallelproduktion bei großemBedarf

Übersteigt der Bedarf λ die Produktionsgrenzleistung μ einer Anlage oder Maschine,kann er nur gedeckt werden, wenn mehrere Anlagen zur Verfügung stehen, auf de-nen der Artikel parallel gefertigt wird. Die zur Deckung eines anhaltenden Bedarfsλ > μ erforderliche Anzahl Produktionsmaschinen ist:

NPM = {λ/μ} = AUFRUNDEN (λ/μ) . (11.80)

Von diesenMaschinen sind NPM−1 stets zu 100% ausgelastet. EineMaschine ist nurteilweise ausgelastet. Sie arbeitet mit einem Auslastungsgrad (λ − (NPM − 1) ⋅ μ) /μ,der i. d. R. unter 100% liegt.Wenn für die Produktion einesArtikelsmehrereMaschi-nen zur Verfügung stehen, sind für den Lagernachschub folgende Fertigungsstrategi-enmöglich:

• Diskontinuierliche Losgrößenfertigung auf allen verfügbaren Produktionsmaschi-nen

• Kontinuierliche Nachschubfertigung auf der minimalen Anzahl Produktionsma-schinen

Sobald λ > μ wird, ist für beide Strategien eine kontinuierliche Auslieferung an dasFertigwarenlager unerlässlich, da andernfalls in der Produktionsstelle unwirtschaft-lich hohe Bestände auflaufen würden.

Bei diskontinuierlicher Losgrößenfertigung werden alle NPM verfügbaren Maschi-nen wie eine Gesamtanlage mit der NPM-fachen Grenzleistung NPM ⋅ μ und denNPM-fachen Rüstkosten disponiert. Dann kann die Nachschubdisposition nach denvorangehenden Algorithmen und Berechnungsformeln durchgeführt werden, wobeijedoch die NPM-fach höhere Grenzleistung NPM ⋅ μ einzusetzen und mit den NPM-fachen Auftragskosten NPM ⋅ kAuf zu rechnen ist.

Bei kontinuierlicher Nachschubfertigung produziert die minimal erforderlicheAnzahl Maschinen, die durch Beziehung (11.80) gegeben ist, den gleichen Artikel.Außer im Grenzfall λ = NPM ⋅ μ ist der Produktionsausstoß dieser Maschinen größerals der Bedarf. Eine permanente Produktion auf allen NPM Maschinen würde zu ei-nemkontinuierlichenAnstieg des Lagerbestands führen.Dahermuss die Produktionauf einer der Maschinen immer wieder unterbrochen werden.

Die kostenoptimale Menge, nach deren Produktion eine Maschine abgeschaltetwird während die übrigen Maschinen weiter laufen, lässt sich ebenfalls mit Hilfe derBeziehungen (11.77) und (11.79) berechnen. Dazu ist jedoch anstelle des Bedarfs λder ungedeckte Restbedarf

λrest = λ − (NPM − 1) ⋅ μ (11.81)

Page 80: Logistik 1 || Bestands- und Nachschubdisposition

398 11 Bestands- und Nachschubdisposition

einzusetzen, der nachAbzug der Produktionsleistung der (NPM−1) voll ausgelastetenMaschinen übrig bleibt. Der Sicherheitsbestand und der Meldebestand, bei dessenErreichen eineMaschine hinzu geschaltetwird, sindweiterhinmit demvollenAbsatzλ und dessen Streuung zu berechnen.

Anders als bei der diskontinuierlichen Losgrößenfertigung, bei der gleichzeitigNPM Maschinen zu und abgeschaltet werden und daher die NPM-fachen Auftrags-kosten anfallen, wird bei der kontinuierlichen Nachschubfertigung nur eine Maschi-ne zu- und abgeschaltet. Daher ist bei der kontinuierlichen Losgrößenfertigung inder Nachschubmengenformel (11.77)mit der einfachen Auftragsrüstzeit zu rechnen.Aus den geringeren Auftragskosten folgt die allgemeine Fertigungsregel:

� Für Artikel mit einem anhaltend hohen Bedarf ist eine kontinuierliche Nach-schubfertigung auf der minimal erforderlichen Anzahl Produktionsmaschinenkostengünstiger als eine diskontinuierliche Losgrößenfertigung auf allen verfüg-baren Maschinen.

Bei einer dynamischen Disposition werden Nachschubmenge, Sicherheitsbestand,Meldebestand und die erforderliche Anzahl Produktionsmaschinen unter Verwen-dung der aktuellen Prognosewerte täglich neu berechnet. Daraus ergibt sich selbstre-gelnd eine Anpassung der Anzahl Produktionsmaschinen an einen sich änderndenBedarf, wenn das Zu- und Abschalten nach folgenden Dispositionsregeln für die kon-tinuierliche Parallelproduktion erfolgt:

• Sinkt der Bestand unter den aktuellen Meldebestand (11.70), wird spätestensnach der Startlieferzeit (11.71) eineMaschine hinzu geschaltet. Wenn die von derzusätzlichen Maschine gefertigte Menge die aktuelle optimale Nachschubmengeerreicht hat, wird diese oder eine andere Maschine abgeschaltet.

Jeweils bis zur Umschaltentscheidung ist die Nachschubmenge mit der altenMaschi-nenanzahl (11.80) für den aktuellen Restbedarf (11.81) zu berechnen.

Die Abb. 11.30 zeigt den simulierten Nachschubzulauf und den Lagerbestands-verlauf für einen Artikel, der sich nach den Dispositionsregeln für die kontinuier-liche Parallelproduktion ergibt. Eine Produktionsmaschine läuft permanent durch.Bei Unterschreiten des Meldebestands wird nach einer Vorlaufzeit von 5 Tagen ei-ne Maschine hinzugeschaltet. Nach Fertigstellung der optimalen Nachschubmengewird die zusätzliche Maschine wieder freigegeben. In diesem Fallbeispiel sind die re-levanten Kosten bei einer kontinuierlichen Parallelproduktion um 50% geringer alsbei einer Losgrößenfertigung mit geschlossener Auslieferung.

11.16.6 Strategieanpassung

Solange nur eine Produktionsmaschine benötigt wird, also für den Fall NPM = 1,bewirken die Dispositionsregeln für die kontinuierliche Parallelproduktion den glei-chen Nachschub- und Bestandsverlauf wie die Disposition nach demMeldebestands-verfahrenmit kontinuierlicher Auslieferung (s. Abb. 11.28). Sie sind also eine Verall-gemeinerung des in Abschn. 11.11.2 dargestellten Meldebestandsverfahrens.

Page 81: Logistik 1 || Bestands- und Nachschubdisposition

11.16 Disposition bei begrenzter Produktionsleistung 399

0

200

400

600

800

1.000

1.200

1 51 101 151 201

Absatztage [AT]

Nac

hsch

ubzu

lauf

[VE/

AT

0

2.000

4.000

6.000

8.000

10.000

12.000

Bes

tand

[VE]

Nachlieferung Lagerbestand

Abb. 11.30 Nachschubzulauf und Lagerbestandbei kontinuierlicher Nachschubfertigungauf Parallelanlagen

Bedarfsverlauf: stochastisch ansteigend wie in Abb. 9.10Mittlerer Tagesbedarf: Start 467 VE/AT Ende 933 VE/ATMaschinengrenzleistung: 500 VE/ATStartlieferzeit: 5 ATAnzahl Produktionsmaschinen: minimal 1, maximal 2

Bei einer dynamischen Disposition wird die Nachschubmenge täglich aus demaktuellen Prognosewert des Bedarfs neu berechnet. Wenn der Bedarf während derProduktionszeit ansteigt, erhöht sich die aktuelle Nachschubmenge, was zu einer län-geren Laufzeit der zusätzlichen Produktionsmaschine führt. Fällt der Bedarf wäh-rend der Produktionszeit, so sinkt die aktuelle Nachschubmenge, wodurch sich dieLaufzeit der zusätzlichen Maschine verkürzt.

Auf diese Weise passen sich die Strategieparameter permanent dem veränderli-chen Bedarf an und werden Abweichungen des Bedarfs von der kurzfristigen Pro-gnose laufend korrigiert. Daher ist die kurzfristige Bedarfsprognose für die dynami-sche Disposition auch bei längerer Produktionszeit ausreichend.

Die dynamische Disposition bei begrenzter Produktionsleistung zeigt die engeWechselwirkung zwischen Lagerdisposition und Fertigungsdisposition. Allgemeingilt der Grundsatz:

� Nur bei enger Abstimmung von Lagerdisposition und Fertigungsdisposition istdas Ziel minimaler Gesamtkosten bei kurzen Lieferzeiten und geringen Bestän-den erreichbar.

Das gilt auch für Fremdprodukte und Handelsware, bei denen die produzierendeLieferstelle zu einem anderen Unternehmen gehört als die Verbrauchs- oder Ver-kaufsstelle.

Page 82: Logistik 1 || Bestands- und Nachschubdisposition

400 11 Bestands- und Nachschubdisposition

11.16.7 Opportunität der Auftragsfertigung

Wie in Abschn. 11.14 gezeigt, ist für Artikel, deren Bedarf anhaltend größer ist alsdie Lageropportunitätsgrenze (11.67) die Auftragsfertigung mit TD Tagen Bündelungkostengünstiger als eine Lieferung ab Lager. Bei täglicher Auftragsbündelung, alsofür TD = 1 AT, ist die Auftragsfertigung kostengünstiger, wenn der Tagesbedarf grö-ßer ist als die halbe optimale Nachschubmenge mNopt. Nach derRegel der lageroppor-tunen Liefermenge sind auch Großaufträge mit Bestellmengen größer als die halbeoptimale Nachschubmenge kostengünstiger direkt zu fertigen und nicht ab Lagerauszuliefern.

Wenn bei begrenzter Produktionsleistung die gesamte Nachschubmenge von derLieferstelle erst komplett fertiggestellt und dann geschlossen andas Lager ausgeliefertwird, ist die optimale Nachschubmenge gemäß Beziehung (11.78) um den Faktor1/√

1 + λ/μ kleiner als bei unbegrenzter Produktionsleistung. Daraus folgt:

� Bei geschlossener Auslieferung und begrenzter Produktionsleistung verschiebt sichdie Opportunitätsgrenze der Auftragsfertigung mit zunehmendemBedarf zu klei-neren Werten.

Bei einem Bedarf nahe der Produktionsgrenzleistung reduziert sich die Opportuni-tätsgrenze um den Faktor 1/

2,Wenn der Nachschub bei begrenzter Produktionsleistung kontinuierlich an das

Lager geliefert wird, ist die optimale Nachschubmenge gemäß Beziehung (11.79) umden Faktor 1/

1 − λ/μ größer als bei unbegrenzter Produktionsleistung. Das heißt:

� Bei kontinuierlicher Auslieferung und begrenzter Produktionsleistung verschiebtsich die Opportunitätsgrenze der Auftragsfertigung mit zunehmendem Bedarf zuhöheren Werten.

Wenn derGesamtbedarf die Grenzleistung einer Produktionsmaschine erreicht oderüberschreitet und der Lagernachschub kontinuierlich auf einer minimalen Anzahlvon Maschinen gefertigt wird, ist die Lagerfertigung für alle Aufträge kostenoptimal.

Großaufträge mit Bestellmengen, die größer sind als eine Tagesproduktion, kön-nen nicht geschlossen aus dem täglichen Nachschubzulauf erfüllt werden. Die Aus-führung solcher Großaufträge erfordert daher eine längere Lieferzeit als die Lage-rauslieferung kleinerer Aufträge. Das führt zu der Dispositionsregel für Großaufträ-ge:

• Großaufträge, deren Bestellmenge größer ist als eine Tagesproduktion oder grö-ßer als die halbe optimale Lagernachschubmenge, werden aus der laufenden Pro-duktion erfüllt.

Wenn zusätzlich zu den kontinuierlich produzierenden Maschinen keine weitereMaschine läuft, ist zur Produktion der Bestellmenge eines Großauftrags soweit ver-fügbar eine Zusatzmaschine hinzu zu schalten. Wenn bereits eine Zusatzmaschineläuft, ist die Bestellmenge eines Großauftrags zu der optimalen Nachschublosgrößefür den Lagerbedarf zu addieren. Dadurch verlängert sich die Einsatzzeit der Zusatz-maschine.

Page 83: Logistik 1 || Bestands- und Nachschubdisposition

11.16 Disposition bei begrenzter Produktionsleistung 401

11.16.8 Direktversorgung über Pufferplätze (Crossdocking)

Bei einer Lagerfertigung ebenso wie bei einer Auftragsfertigung sind folgende Ver-sorgungsstrategien möglich (s. Abb. 11.31):

• Indirekte Versorgung über Lager: Alle erzeugten oder angelieferten Ladeeinhei-ten werden zunächst auf einen Lagerplatz eingelagert und bei aktuellem Bedarfausgelagert und zur Verbrauchs- oder Versandstelle befördert.

• Direktversorgung über Pufferplätze: Wenn nach Fertigstellung oder Auslieferungeiner vollen Ladeeinheit eine Verbrauchs- oder Versandstelle den Artikel sofortbenötigt und in deren Eingangspuffer Platz ist, wird diese am Lager vorbei direktzur Verbrauchs- oder Versandstelle befördert.

In den Logistikbetrieben des Handels und der Konsumgüterindustrie wird die Di-rektversorgung über Pufferplätze als Crossdocking bezeichnet. Dort werden die an-gelieferten Ladeeinheiten bei aktuellem Bedarf direkt aus demWareneingangspufferzu den Versandbereitstellplätzen imWarenausgang befördert (s. Abschn. 20.1.3).

Mit der Strategie der Direktversorgung über Pufferplätze werden das Einlagern,die Belegung von Lagerplatz und das Auslagern eingespart. Die Einspareffekte sindumso größer je höher der Anteil der am Lager vorbeilaufenden Ladeeinheiten ist.

Bei einer Direktversorgung über dezentrale Pufferplätze ist eine analoge Dispo-sition möglich wie bei der indirekten Versorgung über Lager. Daraus resultiert die inAbschn. 20.18 dargestellte Strategie des virtuellen Zentrallagers.

Für die Strategie der indirekten Versorgung über Lager sind nach Fertigstellungeiner Ladeeinheit keine weiteren Entscheidungen erforderlich, da alle Ladeeinhei-ten ins Lager gehen. Für die Strategie der Direktversorgung müssen Dispositionspro-gramm oder Disponent – wie in Abb. 11.31 dargestellt – laufend folgende Entschei-dungen treffen:

• Wenn der Bestand des Ausgangspuffers der Produktionsstelle größer als dessenKapazität wird und im Eingangspuffer mindestens einer Verbrauchs- oder Ver-sandstelle mit aktuellem Bedarf Platz frei ist, wird die Ladeeinheit direkt zu derVerbrauchs- oder Versandstelle mit dem kleinsten Pufferbestand befördert.

• WennderAusgangspuffer der Produktionsstelle überläuftund imEingangspufferkeinerVerbrauchs- oderVersandstellemit aktuellemBedarf Platz frei ist, wird dieLadeeinheit zum Lager befördert und dort eingelagert.

• Wenn der Bestand im Eingangspuffer einer Verbrauchs- oder Versandstelle mitaktuellem Bedarf unter eine Ladeeinheit sinkt und sich keine volle Ladeeinheitim Ausgangspuffer der Produktionsstelle oder auf dem Weg befindet, wird einevolle Ladeeinheit aus dem Lager abgerufen und zu der betreffenden Verbrauchs-oder Versandstelle befördert.

Auf diese Weise wechseln selbstregelnd drei Betriebszustände einander ab:

Betriebszustand 1: Der Produktionsausstoß ist gleich dem Verbrauch; λP = λV.Der gesamte Produktionsausstoß läuft direkt zu den Verbrauchs- oder Versandstel-len. Das Lager wird nicht in Anspruch genommen.

Page 84: Logistik 1 || Bestands- und Nachschubdisposition

402 11 Bestands- und Nachschubdisposition

indirekte Versorgung über Lager

Direktversorgung über Pufferplätze

CEVCAP

LBPS VSLE LE LE

λVλP

LB

PS wenn λP = λV

LE LE LELELELE

LE

wenn ME ≤1 und MA = 0d.h. für λP < λV

wenn ME = CEV

d.h. für λP > λV

VS

Abb. 11.31 Indirekte Versorgung über Lager und Direktversorgung über Pufferplätze

PS: Produktionsstelle LB: Lagerbereich VS: VerbrauchsstelleCAP: Kapazität Ausgangspuffer PS CEP: Kapazität Eingangspuffer VSλP : aktueller Produktionsausstoß λV : aktueller Verbrauch

Betriebszustand 2: Der Produktionsausstoß ist größer als der Verbrauch; λP >λV. Der sofort benötigte Anteil λV des Produktionsausstoßes läuft direkt zu denVerbrauchs- oder Versandstellen. Der nicht benötigte Anteil λP − λV geht ins Lager.

Betriebszustand 3: Der Produktionsausstoß ist kleiner als der Verbrauch; λP < λV.Der gesamte Produktionsausstoß λP läuft direkt zu den Verbrauchs- oder Versand-stellen. Der von der Produktion nicht gedeckte Bedarf λV−λP kommt aus demLager.

Wenn der Nachschubbedarf der Verbrauchsstelle jeweils nach Leerung eines Be-hälters über Karten oder elektronisch ausgelöst wird, erscheint die Direktausliefe-rung über Pufferplätze aus Sicht der Verbrauchsstelle wie einKanban-Nachschub. ImUnterschied zum Kanban-Verfahren ist die Nachschubmenge der Fertigung jedochnicht durch die Kapazität des einzelnen Behälters festgelegt. Sie wird vielmehr täglichfür den aktuellen Gesamtbedarf aller Verbrauchsstellen neu berechnet.

Page 85: Logistik 1 || Bestands- und Nachschubdisposition

11.16 Disposition bei begrenzter Produktionsleistung 403

11.16.9 Effiziente Versorgung (ECR) und kontinuierlicher Nachschub (CRP)

Die zuvor entwickelten Dispositionsstrategien sind grundlegend für das sogenannteECR (efficient consumer response), d. h. für die effiziente Versorgung von Verbrauchs-stellen. Für Produktemit anhaltend hohemVerbrauch, wie täglich benötigteKonsum-güter (fast running consumer goods), führen diese Strategien selbstregelnd zu einemkontinuierlicher Nachschub bei minimalen Kosten. Sie sind daher für das sogenannteCRP (continuous replenishment) von zentraler Bedeutung (s. Abschn. 20.17).

Wenn alle Stationen einer mehrstufigen Lieferkette nach diesen Strategien arbei-ten, entfallen auch die gravierendsten Ursachen des sogenannten Peitschenknallef-fekts (s. Abschn. 20.19), denn:

1. Die kontinuierliche Auslieferung vermindert die großen Bestandssprünge, diebei geschlossener Auslieferung großer Nachschubmengen auftreten.

2. Die kontinuierliche Parallelproduktion führt auch bei großemBedarf zuminima-len Ausliefermengen und reduziert damit die Schwankungen des Nachschubzu-laufs.

3. Die Direktversorgung über Pufferplätze verhindert ebenso wie das Crossdockingden Aufbau großer Lagerbestände und reduziert die Ein- und Auslagerkosten.

Diese Dispositionsstrategien eröffnen daher erhebliche Potenziale für die Versor-gungsketten innerhalb eines Unternehmens wie auch für das unternehmensübergrei-fende Supply Chain Management (s. Abschn. 20.17).