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4 Potentialanalyse In einer Potentialanalyse – in der Logistik auch Logistikaudit genannt – werden die Leistungen der Unternehmenslogistik mit den Anforderungen verglichen und die Leistungsfähigkeit der Prozesse und Strukturen überprüſt [21, 49]. Ziele der Potentialanalyse sind: Abgrenzung der Potentialfelder, deren Optimierung die größten Effekte erwarten lässt; Aufzeigen der Schwachpunkte und Handlungsspielräume in den Potentialfeldern; Abschätzung der Potentiale zur Leistungsverbesserung und Kostensenkung. Aus den Ergebnissen der Potentialanalyse lassen sich Optimierungsmöglichkeiten und Maßnahmen zur kurzfristigen Verbesserung der Prozesse und zur Beseitigung von Schwachstellen sowie mittel- und langfristig ausgerichtete Vorschläge zur Zielpla- nung , zur Neukonzeption und für konkrete Projekte ableiten. Als Beispiel zeigt die Abb. 4.1 die Potentialfelder im Logistiknetzwerk zwischen Konsumgüterindustrie und Handelsunternehmen. Je nach Ausgangslage liegen die Kostensenkungspotentiale zwischen 10 und 20 % der Gesamtlogistikkosten. Unter besonderen Umständen und in einzelnen Bereichen sind auch deutlich höhere Einsparungen möglich. Bei einer Umsatzrendite zwischen 1 und 3% und einem Logistikkostenanteil in Höhe von 10 % vom Umsatz bedeu- tet eine Reduzierung der Logistikkosten um 10 % eine Gewinnsteigerung um 25 bis 100 %. Der Aufwand für die Durchführung einer Potentialanalyse der Unternehmenslo- gistik durch ein kompetentes Beratungsunternehmen ist vergleichsweise gering. Der Zeitbedarf ist abhängig von der Größe des Unternehmens und liegt in den meisten Fällen zwischen 4 Wochen und 3 Monaten. Die Potentialanalyse macht sich durch die erzielten Kosteneinsparungen und Leistungsverbesserungen meist in weniger als einem Jahr bezahlt. Eine Potentialanalyse soll nicht nur die Kostensenkungspotentiale abschätzen sondern auch die Möglichkeiten zur Verbesserung von Leistung, Qualität und Wett- bewerbsfähigkeit ausweisen. Sie kann jedoch nicht die Planung und Optimierung der Systeme und Prozesse ersetzen. Eine Potentialanalyse bietet der Unternehmens- leitung vielmehr eine Entscheidungsgrundlage dafür, welche Projekte mit den größten Potentialen und den besten Aussichten auf Erfolg vorrangig in Angriff genommen werden sollten. In diesem Kapitel werden die Inhalte der Arbeitschritte einer Potentialanalyse be- schrieben: T. Gudehus, Logistik 1, VDI-Buch, 95 DOI 10.1007/978-3-642-29359-7_4, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012

Logistik 1 || Potentialanalyse

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4 Potentialanalyse

In einer Potentialanalyse – in der Logistik auch Logistikaudit genannt – werden dieLeistungen der Unternehmenslogistik mit den Anforderungen verglichen und dieLeistungsfähigkeit der Prozesse und Strukturen überprüft [21, 49].

Ziele der Potentialanalyse sind:

• Abgrenzung der Potentialfelder, derenOptimierung die größten Effekte erwartenlässt;

• Aufzeigen der Schwachpunkte undHandlungsspielräume in den Potentialfeldern;• Abschätzung der Potentiale zur Leistungsverbesserung und Kostensenkung.

Aus denErgebnissen der Potentialanalyse lassen sichOptimierungsmöglichkeitenundMaßnahmen zur kurzfristigen Verbesserung der Prozesse und zur Beseitigung vonSchwachstellen sowie mittel- und langfristig ausgerichtete Vorschläge zur Zielpla-nung, zur Neukonzeption und für konkrete Projekte ableiten. Als Beispiel zeigt dieAbb. 4.1 die Potentialfelder im Logistiknetzwerk zwischen Konsumgüterindustrieund Handelsunternehmen.

Je nachAusgangslage liegen die Kostensenkungspotentiale zwischen 10 und 20%derGesamtlogistikkosten.Unter besonderenUmständenund in einzelnenBereichensind auch deutlich höhere Einsparungen möglich. Bei einer Umsatzrendite zwischen1 und 3% und einem Logistikkostenanteil in Höhe von 10% vom Umsatz bedeu-tet eine Reduzierung der Logistikkosten um 10% eine Gewinnsteigerung um 25 bis100%.

DerAufwand für dieDurchführung einer Potentialanalyse derUnternehmenslo-gistik durch ein kompetentes Beratungsunternehmen ist vergleichsweise gering. DerZeitbedarf ist abhängig von der Größe des Unternehmens und liegt in den meistenFällen zwischen 4 Wochen und 3 Monaten. Die Potentialanalyse macht sich durchdie erzielten Kosteneinsparungen und Leistungsverbesserungen meist in weniger alseinem Jahr bezahlt.

Eine Potentialanalyse soll nicht nur die Kostensenkungspotentiale abschätzensondern auch die Möglichkeiten zur Verbesserung von Leistung, Qualität undWett-bewerbsfähigkeit ausweisen. Sie kann jedoch nicht die Planung und Optimierungder Systeme und Prozesse ersetzen. Eine Potentialanalyse bietet der Unternehmens-leitung vielmehr eine Entscheidungsgrundlage dafür, welche Projektemit den größtenPotentialen und den besten Aussichten auf Erfolg vorrangig in Angriff genommenwerden sollten.

In diesem Kapitel werden die Inhalte derArbeitschritte einer Potentialanalyse be-schrieben:

T. Gudehus, Logistik 1, VDI-Buch, 95DOI 10.1007/978-3-642-29359-7_4, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012

96 4 Potentialanalyse

Abb. 4.1 Potentialfelder im Logistiknetzwerk zwischen Konsumgüterindustrie und Han-delsunternehmen

AnforderungsanalyseLeistungsanalyseProzessanalyseStrukturanalyseBenchmarking.

(4.1)

Jeder dieser Arbeitsschritte umfasst eine Checkliste zur Überprüfung der verschiede-nen Potentialfelder und Hinweise auf mögliche Schwachstellen.

4.1 Anforderungsanalyse

Maßgebend für die Unternehmenslogistik sind die Anforderungen und Ziele. AlsGrundlage für die Potentialanalyse müssen daher zunächst die Leistungs- und Ser-viceanforderungen der Kunden, des Marktes, des Vertriebs und der übrigen Ge-schäftsbereiche an die Unternehmenslogistik erfasst und kritisch analysiert werden.

In der Anforderungsanalyse werden folgende Fragen untersucht und bewertet:

• Ob und wie weit entsprechen die Anforderungen an die Logistik den Unterneh-menszielen?

• Ist das Kosten-Nutzen-Verhältnis zur Erfüllung der Anforderungen angemessen?• Sind die Prioritäten richtig gesetzt? Werden die wichtigsten Marktsegmente an-

gemessen und ertragbringende Kundengruppen vorrangig bedient?• Ist das Liefer- und Leistungsprogramm nicht zu breit gefächert? Umfasst das Pro-

grammerlösschwacheArtikel oder Leistungen, die ohne Schaden für dieWettbe-werbsfähigkeit aus dem Programm genommen werden können (s. Abschn. 5.8)?

4.2 Leistungsanalyse 97

• Wieweit undmit welchen Auswirkungen lassen sich Leistungs- und Serviceanfor-derungen reduzieren?

DerVertrieb neigt dazu, überzogeneAnforderungen an die Logistik zu stellen, solan-ge er die Kosten zu deren Erfüllung nicht kennt. So wird vielfach eine hohe perma-nente Lieferfähigkeit gefordert, wo einemittlere Lieferfähigkeit durchaus ausreichendwäre (s. Abschn. 11.8). Auch wenn nur wenige Kunden extrem kurze Lieferzeitenoder einen 24-Stunden-Service erwarten, werden diese Lieferzeitanforderungen ge-nerell gestellt. Statt auf eine hohe Termintreue zu achten, die oft ohne Zusatzkostendurch gute Organisation erreichbar ist, wird auf kurze Durchlaufzeiten und Express-zustellung gesetzt.

Für alle Anforderungen an die Unternehmenslogistik gilt der Angemessenheits-grundsatz:

� Die Kosten einer Serviceverbesserung müssen stets an der damit erreichbarenUmsatzsteigerung oder Erlösverbesserung gemessen werden.

Wenn die Mehrkosten für einen zusätzlichen Service, etwa in Form eines Expresszu-schlags oder einer Verpackungsgebühr, explizit in Rechnung gestellt werden, verzich-ten viele Kunden auf den Extraservice.

Das Ergebnis derAnforderungsanalyse sind Empfehlungen für ein ausgewogenesLiefer- und Leistungsprogramm, einen angemessenen Lieferservice und differenzier-te Qualitätsstandards.

4.2 Leistungsanalyse

In der Leistungsanalyse wird untersucht, zu welchen Kosten und mit welcher Quali-tät die operativen und administrativen Leistungsstellen der Beschaffungslogistik, derProduktionslogistik, der Distributionslogistik und der Filiallogistik die an sie gestell-ten Anforderungen erfüllen und welchen Wertschöpfungsbeitrag sie leisten.

Hierzu werden die Kenndaten (1.3) der einzelnen Leistungsstellen und der Auf-trags-, Material- und Informationsfluss zwischen den Stellen erfasst. Aus der Input-Output-Analyse geht hervor, mit welchem Ressourceneinsatz und zu welchen Kostender Leistungsdurchsatz erbracht wird.

Die Leistungsanalyse zeigt die Schwachstellen der Unternehmenslogistik auf.Hieraus resultieren erste Vorschläge zur Behebung der Ursachen. Zahlreiche Poten-tialanalysen haben gezeigt, dass vor allem folgende Schwachstellen den reibungslosenProzessablauf behindern und die Leistungskosten nach oben treiben:

4.2.1 Engpassstellen

Engpassstellen sind Leistungsstellen, die in Spitzenzeiten zu über 95% ausgelastetsind, vor denen es häufig zu Warteschlangen und Wartezeiten kommt und die alsLeistungsdrossel der gesamten Logistikkette in Zeiten hoher Auslastung ansteigendeDurchlaufzeiten verursachen.

98 4 Potentialanalyse

Auslastungsbedingt lange Lieferzeiten lassen sich in vielen Fällen nachhaltigdurch eine Kapazitätserhöhung einer oder weniger Engpassstellen verkürzen (s. Ab-schn. 13.7).

4.2.2 Weitpassstellen

Weitpassstellen sind Leistungsstellen, die auch zu Spitzenzeiten nicht voll und imJahresdurchschnitt zu weniger als 70% ausgelastet sind. Weitpassstellen sind häu-fig personell überbesetzt, arbeiten zu überhöhten Kosten, leisten keinen ausreichen-den Beitrag zurWertschöpfung und sind typischeVerschwendungsstellen. Abgesehenvon der Kostenersparnis hat die Beseitigung einer Verschwendungsstelle durch An-passung der Personalbesetzung und Kapazität, durch eine Reorganisation oder auchdurch Auflösung und Integration in andere Stellenmotivierende Auswirkung auf an-dere Leistungsstellen.

4.2.3 Ausfallstellen

Ausfallstellen sind Leistungsstellen mit einer Verfügbarkeit unter 90%. Sie blockie-ren vorangehende Leistungsstellen durch häufige oder länger anhaltende Unterbre-chungen, führen zur Unterauslastung nachfolgender Leistungsstellen und verursa-chen Lieferzeitverzögerungen oder Terminüberschreitungen (s. Abschn. 13.6).

Die Verfügbarkeit einer Ausfallstelle lässt sich in vielen Fällen mit vergleichs-weise geringem Aufwand durch Schulung und Qualifizierung der Mitarbeiter, Ver-besserung der Betriebsmittelausstattung, Beseitigung der häufigstenAusfallursachenund Organisation eines guten Reparaturservice deutlich verbessern. Die positivenAuswirkungen der Beseitigung einer Ausfallstelle auf den gesamten Leistungspro-zess sind oft beträchtlich.

4.2.4 Redundanzstellen

Redundanzstellen sind Leistungsstellen, die nacheinander oder parallel zu anderenLeistungsstellen am selben Gegenstand oder Auftrag die gleichen Leistungen erbrin-gen oder die gleichen Funktionen haben wie eine andere Leistungsstelle.

Im operativen Bereich wird meist zur Sicherung der Leistungserbringung eineRedundanz in Form von Parallelstellen gefordert, auf die bei Ausfall einer Stelle aus-gewichen werden kann. Hier ist zu prüfen, ob die Sicherheitsforderung begründetund die gebotene Redundanz angemessen ist. In vielen Fällen genügt statt einer Voll-redundanz eine Teilredundanz (s. Abschn. 13.6.3).

Vor allem in den administrativen Leistungsstellen, aber auch bei der Datenbear-beitung und bei Kontrolltätigkeiten in den operativen Stellen, gibt es häufig unnötigeDoppelarbeiten, die sich durch bessere Abstimmung beseitigen oder erheblich redu-zieren lassen (s. Abschnitte 2.6 und 2.7).

4.2 Leistungsanalyse 99

4.2.5 Verzögerungsstellen

Verzögerungsstellen sind Leistungsstellen, die vorgegebeneDurchlaufzeiten und Fer-tigstellungstermine häufig oder erheblich überschreiten, die Lieferzeit gefährdenoder in nachfolgenden Stellen Mehrkosten zum Aufholen des Zeitverlustes verur-sachen.

Verzögerungsstellen sind in vielen Fällen zugleich Engpassstellen oder Ausfall-stellen. Oft aber ist die Verzögerung auch die Folge unplanmäßiger Arbeit, falscherDisposition, fehlender Teile, mangelnder Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe oderschlechter Führung.Verzögerungsstellen können daher durch eine effektivereDispo-sition und Leistungsplanung, rechtzeitige Materialbereitstellung, angemessene Ma-terialpuffer und bessere Führung beseitigt werden.

4.2.6 Fehlerstellen

Fehlerstellen sind Leistungsstellen, die besonders häufig, in störender Anzahl oderin gravierendem Ausmaß Fehler machen. Fehler und Qualitätsmängel wirken sichnicht nur auf das Leistungsvermögen und die Leistungskosten der Fehlerstelle selbstnachteilig aus, sondern verursachen in der weiteren Leistungskette Störungen, Ineffi-zienz, Nacharbeit, Aufwand, Kosten und Terminverzug bis hin zur Verärgerung undzum Verlust eines Kunden.

Mögliche Maßnahmen zur Behebung von Fehlerstellen sind die Beseitigung derunmittelbaren Fehlerquellen, die Schulung und Qualifizierung des Personals, dieVerbesserung der Führung, die Vorgabe von Qualitätsstandards und die Einführungeines Prämiensystems zur Belohnung der Unterschreitung vorgegebener Fehlergren-zen. Darüber hinaus kann ein umfassendes Qualitätsmanagement zur Einhaltungmarktgerechter Qualitätsstandards beitragen [48].

4.2.7 Hauptkostenstellen

Hauptkostenstellen sind die Leistungsstellen mit den höchsten Betriebskosten. Siesind in den Bereichen der Unternehmenslogistik zu finden, die den höchsten Anteilan den Logistikkosten haben.

Im stationären Handel ist beispielsweise der Hauptkostenbereich der Logistik dieFiliallogistikmit einemKostenanteil zwischen 45 bis 60%, vor den Fracht- undTrans-portkosten, deren Anteil abhängig von den Lieferkonditionen zwischen 25 und 35%liegt, und der Lagerlogistik mit einem Anteil zwischen 10 und 25% der gesamtenLogistikkosten.

Die Hauptkostenstellen bieten naturgemäß die größten Kostensenkungspoten-tiale. Durch eine verbesserte Organisation sowie durch Rationalisierung, Mechani-sierung, Automatisierung und IT-Einsatz lassen sich hier die höchsten Einsparungenerreichen.

100 4 Potentialanalyse

4.3 Prozessanalyse

Die Prozessanalyse hat zum Ziel, die Auftragsprozesse vom Kunden bis zum Kundenund die Logistikprozesse von den Lieferanten bis zu den Empfängern der Waren zubewerten [49]. Hierzu werden die maßgebenden Auftragsketten und Logistikkettender Unternehmenslogistik erfasst und dokumentiert (s. Abschn. 3.8).

Die Logistik beginnt stets beim Kunden. Die Auftragsketten müssen daher ent-lang dem Datenfluss, beginnend bei der Auftragsannahme über die Auftragsabwick-lung, die Beschaffung, die Produktion und die Distribution bis hin zur Übergabe anden Kunden analysiert werden. Die Logistikketten werden entgegen dem Warenflussvom Empfänger bis zu den Lieferanten untersucht. Auf diese Weise wird die Kun-denferne mancher Leistungsstellen besonders deutlich.

In der Prozessanalyse werden folgende Potentialfelder und Fragen untersucht:

4.3.1 Logistikeinheiten (s. Kap. 12)

• Welche Ladungsträger und Logistikeinheiten werden in den Logistikketten einge-setzt?

• SindMaße und Kapazitäten der Ladeeinheiten richtig aufeinander abgestimmt?• Wird die Kapazität der Ladeeinheiten optimal genutzt?• Ist das Spektrum der Ladungsträger und Ladeeinheiten angemessen?• Wer ist für die Verpackungshierarchie verantwortlich und entscheidet über Ein-

führung und Ausmusterung von Ladungsträgern?• Wer entscheidet nach welchen Kriterien über den Einsatz der Ladungsträger und

Ladeeinheiten?• Gibt es eine geregelte Leergutlogistik?

4.3.2 Logistikstammdaten (s. Abschn. 12.7)

• Gibt es eine sinnvoll aufgebaute Logistikdatenbank?• Sind die Logistikstammdaten vollständig, aktuell und korrekt?• Wer ist für die Erfassung, Aktualisierung, Korrektheit und Vollständigkeit der Lo-

gistikstammdaten verantwortlich?• Wer definiert und normiert die Logistikstammdaten des Unternehmens und si-

chert die Kompatibilität mit den Daten der Lieferanten und Kunden?• Werden dieMöglichkeiten der Logistikstammdaten vollständig genutzt?• Ist der Austausch der Logistikdaten zwischen den internen Leistungsstellen, mit

den Lieferanten und mit den Kunden richtig geregelt und technisch optimal ge-löst?

4.3.3 Zeiten (s. Kap. 8)

• Sind Lieferzeiten und Termintreue marktgerecht?• Wie gut werden die zulässigen Durchlaufzeiten in den Hauptleistungsketten ein-

gehalten?

4.3 Prozessanalyse 101

• Werden die zeitlichen Handlungsspielräume genutzt?• Sind die Betriebszeiten der Leistungsstellen richtig aufeinander abgestimmt?• Ist die Länge der Planungs- und der Dispositionsperioden richtig?• Sind Auftragsdurchlaufzeiten undMaterialdurchlaufzeiten zu lang?• Werden die Möglichkeiten zur Just-In-Time-Anlieferung richtig genutzt?• Gibt es ein wirksames Zeitmanagement?• Wo liegen zeitraubende Engpassstellen, Ausfallstellen und Verzögerungsstellen?

4.3.4 Kosten (s. Kap. 6 und 7)

• Sind die Leistungskosten in den einzelnen Abschnitten der Leistungskette ange-messen?

• Existiert ein wirksames Logistikcontrolling?• Wer prüft die Angemessenheit der Leistungskosten und Leistungspreise?• Wie hoch sind die spezifischen Logistikkosten pro Artikel oder Warengruppe?• Wo und wie lassen sich die Kosten senken, ohne Leistung und Service zu redu-

zieren?• Wo befinden sich Verschwendungsstellen, Redundanzstellen undHauptkostenver-

ursacher?

4.3.5 Bestände (s. Kap. 11)

• Wer entscheidet nach welchen Kriterien über die Lagerhaltigkeit und die Liefer-fähigkeit des Sortiments?

• Sind die Puffer- und Lagerbestände vor und hinter den Leistungsstellen in denverschiedenen Stufen des Leistungsprozesses notwendig und in ihrer Höhe an-gemessen?

• Genügen die Sicherheitsbestände zur produktiven Auslastung, unterbrechungs-freien Leistungserstellung und marktgerechten Kundenbelieferung oder sind sieinfolge überzogener Anforderungen an die Lieferfähigkeit überhöht?

• Werden die Bestände auf der richtigen Wertschöpfungsstufe vorgehalten?

4.3.6 Qualität (s. Abschn. 3.4)

• Werden die benötigten Leistungen mit angemessener Qualität erbracht?• Gibt es ein Qualitätsmanagement, eine Qualitätssicherung und eine Erfassung

und Pönalisierung der internen und externen Qualitätsmängel?• Sind die Prozesse und Leistungsstellen so flexibel, dass sie Anforderungsände-

rungen verkraften und besondere Kundenwünsche erfüllen können?• Wo befinden sich Fehlerstellen, Verzögerungsstellen und Ausfallstellen?

102 4 Potentialanalyse

4.3.7 Schnittstellen und Anschlussstellen

• Ist die Zusammenarbeit zwischen den internen und externen Leistungsstellenrichtig geregelt?

• Werden standardisierte und maßlich aufeinander abgestimmte Ladeeinheiteneingesetzt?

• Fließen Material- und Datenströme reibungslos und verzögerungsfrei von einerLeistungsstelle zur nächsten?

• Wie gut und rationell sind Information und Kommunikation entlang der Leis-tungskette?

4.3.8 Disposition und Prozesssteuerung (s. Kap. 2, 10 und 11)

• Werden die verfügbaren Kapazitäten und Ressourcen richtig genutzt?• Sind die Strategien der Auftragsdisposition, der Bestands- und Nachschubdispo-

sition und der Fertigungsdisposition optimal?• Werden zur Prozesssteuerung, zur Informationsübermittlung und im Control-

ling die richtigen Mittel, Verfahren und Programme eingesetzt?

4.3.9 Lieferketten (s. Kap. 20)

• Welche Lieferketten gibt es in der heutigen Beschaffungs- und Distributionslo-gistik?

• Werden die vorhandenen Lieferketten, Handlungsspielräume und Bündelungs-möglichkeiten optimal genutzt?

• Gibt es bisher ungenutzte Lieferketten?• Nach welchen Verfahren und Kriterien werden die Lieferketten ausgewählt?

4.3.10 Eigen- oder Fremdleistung (s. Kap. 21)

• Welche Teile der Logistikketten gehören zu denKernkompetenzen des Unterneh-mens?

• Welche Leistungsbereiche und Leistungsstellen können kostengünstiger undkompetenter an Lieferanten, Systemdienstleister oder Logistikdienstleister ver-geben werden?

• Wer entscheidet nach welchen Kriterien über Eigen- oder Fremdleistung?

Ergebnisse der Prozessanalyse sind Empfehlungen zur Optimierung der Prozessab-läufe, zum effizienten Einsatz der eigenen Ressourcen und zum Outsourcing sowieeineAbschätzung der hieraus zu erwartendenKosteneinsparungen [210]. Außerdemergeben sich aus der Prozessanalyse Erkenntnisse für die Stellenbesetzung und zuVerbesserungen in den Leistungsstellen.

4.4 Strukturanalyse 103

4.4 Strukturanalyse

Nach der Analyse der Anforderungen, Leistungsstellen und Prozesse wird in derStrukturanalyse geprüft, ob die vorhandenen Systemstrukturen den gegenwärtigenund zukünftigen Anforderungen genügen und welche Verbesserungen von Leistun-gen, Service, Qualität und Kosten durch eine Veränderung der Strukturen oder denAufbau neuer Systeme erreichbar sind.

Hierzuwerden Strukturdiagramme der gesamten Unternehmenslogistik und vonbesonders interessierenden Teilbereichen erstellt. Bereits aus demGrad derVerflech-tung und der Stufigkeit lassen sich Erkenntnisse über mögliche Schwachstellen ge-winnen. So sind Leistungsstellen, die von mehreren Stellen zur gleichen Aufgabeunterschiedliche Anweisungen erhalten, ein Indiz für ungeregelte Abläufe und Kon-flikte. Ähnliche Materialströme, die auf unterschiedlichen Wegen von der gleichenQuelle zum gleichen Ziel laufen, weisen auf Handlungsmöglichkeiten hin (s. Ab-schn. 3.8).

Durch die Strukturanalyse lassen sich folgende Potentialfelder erschließen undFragen beantworten:

4.4.1 Standorte

• Befinden sich Werke, Lager, Logistikzentren, Umschlagpunkte, Auslieferstellenund Filialen an den richtigen Standorten?

4.4.2 Funktionszuordnung

• Sind die Aufgaben, Funktionen und Bestände richtig auf die Werke, Lager, Lo-gistikzentren und Umschlagpunkte verteilt?

4.4.3 Zentralisierungsgrad

• Welche Funktionen sollten zentral, welche besser dezentral ausgeführt werden?• Wie viele Werke, Lager, Logistikzentren, Auslieferstellen und Filialen sind opti-

mal?• Wie sollen diese einander zugeordnet werden?• Welche Kosteneinsparungen und Leistungsverbesserungen sind durch Bünde-

lung dezentraler Bestände und Funktionen in einem oder mehreren Logistikzen-tren erreichbar?

4.4.4 Stufigkeit

• Ist die Anzahl der Stufen in der Beschaffungs- undDistributionslogistik optimal?• Gibt es vermeidbare Umschlag- oder Handlingvorgänge?• Wie sind die Laufzeiten in den verschiedenen Lieferketten?

104 4 Potentialanalyse

• Wird nachden richtigenKriterien zwischenDirektbelieferung undLieferung überUmschlagpunkte oder Logistikzentren ausgewählt?

Aus der Strukturanalyse resultieren Empfehlungen zur Strukturverbesserung, zurNeukonzeption von Teilbereichen oder der gesamten Unternehmenslogistik, zurZentralisierung oder Dezentralisierung von Funktionen und Beständen sowie ei-neAbschätzung der hierdurch erreichbaren Verbesserungen von Kosten, Leistungen,Service undWettbewerbsfähigkeit.

4.5 Benchmarking

Benchmarking (benchmark=Vergleichswert) ist einVergleichderKosten-, Leistungs-und Qualitätskennzahlen sowie der Arbeitsweise, Organisation und Strategien meh-rerer Unternehmen, Leistungsbereiche oder Leistungsstellen mit analogen Aufgabenund Funktionen. Dabei ist zu unterscheiden zwischen einem externen, einem inter-nen und einem analytischen Benchmarking [50, 51].

Notwendige Voraussetzung für ein sinnvolles Benchmarking ist, dass die Aufga-ben, Funktionen, Leistungsanforderungen und Rahmenbedingungen der Leistungs-bereiche, deren Kennzahlen miteinander verglichen werden, hinreichend überein-stimmen. Relativ gering erscheinendeUnterschiede derUnternehmen, Betriebe oderLeistungsbereiche können zu anderen Kennzahlen führen, ohne dass diese unbe-dingt besser oder schlechter sind. Daher werden aus dem Benchmarking, insbeson-dere zwischen Unternehmen aus verschiedenen Branchen, häufig falsche Schlüssegezogen.

4.5.1 Externes Benchmarking

Das externe Benchmarking vergleicht die Kennzahlen von Betrieben oder Leistungs-bereichen eines Unternehmens mit den Kennzahlen von Betrieben oder Leistungs-bereichen anderer Unternehmen, die gleiche Aufgaben und Funktionen haben [51].

Beim externen Benchmarking wird häufig der Fehler gemacht, dass nur einzelneKennzahlen, wie die Höhe der Bestände oder die Lieferfähigkeit, isoliert miteinan-der verglichen werden, ohne zugleich die übrigen Kennzahlen zu betrachten. Daskann dazu führen, dass die Unternehmensleitung eine Bestandssenkung auf das Ni-veau des angeblich besten Wettbewerbers vorgibt und dadurch, ohne es zu wollen,die Lieferfähigkeit verschlechtert oder die Gesamtkosten erhöht. Umgekehrt kanndie Forderung, die höhere Lieferfähigkeit eines Wettbewerbers zu erreichen, die Be-stände nach oben treiben.

Ein anderes Beispiel ist der weit verbreitete Vergleich der Logistikkosten in Re-lation zum Umsatz. Die Logistikkosten werden in den Unternehmen sehr unter-schiedlich definiert, abgegrenzt und erfasst (s. Kap. 6). Außerdem kann der Durch-schnittswert einer vollen Ladeeinheit erheblich voneinander abweichen. Daher kön-nen sich die auf den Wert der Ware bezogenen relativen Logistikkosten um mehrals einen Faktor 10 voneinander unterscheiden, auch wenn die Logistikkosten proPalette gleich sind.

4.5 Benchmarking 105

Wegen der Unbekanntheit der näheren Umstände und Ziele der anderen Un-ternehmen sind die Ergebnisse allgemeiner Umfragen und Trendanalysen für dasBenchmarking kaum geeignet sondern eher irreführend. Hinzu kommt, dass Trend-umfragen weniger das tatsächliche Geschehen in den Unternehmen wiedergeben alsvielmehr die Meinungen der Befragten, die zu einer Antwort bereit sind [34, 35].Selbst wenn die Unternehmen alle Fragen kompetent, objektiv und korrekt beant-worten würden, bliebe offen, ob ihre Strategien richtig sind oder ob die Benchmark-werte nur aus dem Nachahmen modischer Trends resultieren.

Diese Einwände gelten auch für Befragungen, die von einer externen Beratungexklusiv für führende Unternehmen einer Branche durchgeführt werden. Die Besteneiner Branche sind selten bereit, ehrlich Auskunft über ihre Betriebskennzahlen undErfolgsstrategien zu geben. Auch sie wissen nicht, ob es nicht einen noch besserenWeg gibt.

Wer nur dem Trend folgt, kann nicht besser sein als der Durchschnitt undmachtdie gleichen Fehler wie die anderen. Aus einem allgemeinen Trend lassen sich kei-ne innovativen Strategien ablesen. Nur wer eigene Strategien entwickelt und danachhandelt, kann einen Vorsprung erringen und zum Besten seiner Branche werden.

4.5.2 Internes Benchmarking

Das interne Benchmarking vergleicht die Kennzahlen von Betrieben, Organisati-onseinheiten und Leistungsbereichen mit einander entsprechenden Aufgaben undFunktionen innerhalb des gleichen Unternehmens [51].

Bei einem internen Benchmarking zwischen mehreren Werken, Lagern, Logis-tikzentren oder Filialen eines Unternehmens lässt sich recht gut überprüfen, wieweitdie Aufgaben und Funktionen tatsächlich vergleichbar sind.

Ist die Vergleichbarkeit gesichert, geben die Kosten- oder Leistungsunterschie-de Hinweise auf die Verbesserungspotentiale. Die Potentiale lassen sich relativ raschdurchÜbertragung der Praxis der jeweils besten Leistungsstelle auf die übrigen Leis-tungsbereiche realisieren.

Das interne Benchmarking ist jedoch nur in größeren Unternehmen mit mehre-ren gleichartigen Leistungsbereichen durchführbar.

4.5.3 Analytisches Benchmarking

Das analytische Benchmarking vergleicht die Kennzahlen eines bestehenden Leis-tungsbereichs mit den Kennzahlen eines optimal geplanten und organisierten Leis-tungsbereichs, der dieselben Funktionen hat und den gleichen Leistungsdurchsatzerbringt.

Das analytische Benchmarking ist meist aufwendiger als das externe oder interneBenchmarking. Es erfordert die Entwicklung eigener Strategien und Lösungen undist mit Kosten für die Planung undNeukonzeption des betreffenden Betriebsbereichsverbunden. Nur durch ein analytisches Benchmarking ist es jedoch möglich, eigene

106 4 Potentialanalyse

Handlungsmöglichkeiten zu erkennen, die Verbesserungspotentiale verlässlich ab-zuschätzen und konkrete Maßnahmen zum Erreichen der erkannten Möglichkeitenzu planen und zu realisieren.

Das analytische Benchmarking ist mittelfristig der einzige zielführende Weg fürUnternehmen, die besser werden wollen als der Wettbewerb und auch besser als dergegenwärtig beste eigene Leistungsbereich. Das reine Nachmachen,Me Too und BestPractice sind für Unternehmen, die auf Dauer am Markt bestehen wollen, keine Er-folgsstrategien.

4.5.4 Handlungsspielräume und Strategien

Wer kein Ziel vor Augen hat, läuft in die Irre. Wer auf Spatzen zielt, wird auch nurSpatzen treffen. Vor dem Start irgendwelcher Einzelvorhaben ist statt blindem Ak-tionismus eine Potentialanalyse ratsam, denn

� Erst eine Potentialanalyse macht die lohnendsten Ziele erkennbar.

Die Potentialanalyse und das Benchmarking weisen Ziele,Handlungsspielräume, Be-reiche undMöglichkeiten zur Verbesserung undOptimierung der Unternehmenslo-gistik aus. Sie bieten jedoch in der Regel noch keine konkreten Lösungen. Lösungenweisen erst die Strategien. Sie sind Vorgehensweisen und Verfahren zum Erreicheneines bestimmten Ziels.