11
14 Vertrieb, Einkauf und Logistik Einkauf und Verkauf vereinbaren die Lieferbedingungen und die Preise. Sie bahnen damit die Beschaffungs- und Versorgungsketten zwischen den Unternehmen, den Logistikdienstleistern und den Endverbrauchern an. Daher umfasst die Logistik im weitesten Sinn auch Einkauf und Vertrieb (s. Kap. 1). Nach herkömmlicher Auffassung der Betriebswirtschaſt gehört die physische Distribution der Produkte eines Unternehmens zu den Aufgaben des Vertriebs [14, 18]. Die Beschaffung von Rohstoffen, Material, Vorprodukten und Handelsware wird als zentrale Aufgabe des Einkaufs angesehen. Das Supply Chain Management , also die Organisation, Disposition und Steuerung durchgängiger Liefer- und Versorgungs- prozesse von den Lieferanten bis zu den Kunden aber eröffnet neue Potentiale zur Kostensenkung und zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit [88, 89, 91, 153, 164, 218]. Das erfordert besondere Fachkompetenz und das Herauslösen der Logistik aus Einkauf und Vertrieb. Befreit von der Verantwortung für die physische Distribution und von der Dispo- sition der Fertigwarenbestände kann sich der Vertrieb auf seine Kernkompetenzen Marketing und Verkauf konzentrieren (s. Abschn. 7.7.7). Ohne die Verantwortung für die physische Beschaffung und die aktuelle Disposition beschränkt sich der Einkauf auf das strategische Beschaffungsmarketing und die Erkundung konkreter Beschaf- fungsquellen, auf das Aushandeln der Einkaufspreise und Lieferbedingungen sowie auf den Abschluss von Lieferverträgen und Rahmenvereinbarungen (s. Abschn. 7.7.6). Aus einer Trennung von Vertrieb, Einkauf und Logistik ohne klare Abgrenzung der Aufgaben und Regelung der Zusammenarbeit können jedoch Konflikte, Unver- ständnis und Widerstände resultieren, die den angestrebten Wettbewerbsvorteil ver- hindern. Voraussetzung für den gemeinsamen Erfolg ist daher, dass sich Vertrieb, Einkauf und Logistik an folgende Grundsätze der Zusammenarbeit halten: Kenntnis der gemeinsamen Ziele und Rahmenbedingungen Beachtung der spezifischen Handlungsmöglichkeiten Respekt vor den Aufgaben und Leistungsbeiträgen der anderen Bereiche ausreichende Freiheit und Entscheidungskompetenzen gleichberechtigte Partnerschaſt ohne Über- oder Unterstellung kritische Offenheit im Innenverhältnis, Einvernehmen nach außen gegenseitige Unterstützung zum Nutzen von Kunden und Unternehmen. Diese Grundsätze gelten über Einkauf, Vertrieb und Logistik hinaus auch für die Zusammenarbeit anderer Unternehmensbereiche. Ausgehend von den Kernkompetenzen von Vertrieb und Einkauf wird in die- sem Kapitel dargestellt, welche Nahtstellen zwischen Vertrieb, Einkauf und Logistik T. Gudehus, Logistik 1, VDI-Buch, 531 DOI 10.1007/978-3-642-29359-7_14, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012

Logistik 1 || Vertrieb, Einkauf und Logistik

  • Upload
    timm

  • View
    219

  • Download
    5

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Logistik 1 || Vertrieb, Einkauf und Logistik

14 Vertrieb, Einkauf und Logistik

Einkauf und Verkauf vereinbaren die Lieferbedingungen und die Preise. Sie bahnendamit die Beschaffungs- und Versorgungsketten zwischen den Unternehmen, denLogistikdienstleistern und den Endverbrauchern an. Daher umfasst die Logistik imweitesten Sinn auch Einkauf und Vertrieb (s. Kap. 1).

Nach herkömmlicher Auffassung der Betriebswirtschaft gehört die physischeDistribution der Produkte eines Unternehmens zu den Aufgaben des Vertriebs [14,18]. Die Beschaffung von Rohstoffen, Material, Vorprodukten und Handelsware wirdals zentrale Aufgabe desEinkaufs angesehen. Das Supply ChainManagement, also dieOrganisation, Disposition und Steuerung durchgängiger Liefer- und Versorgungs-prozesse von den Lieferanten bis zu den Kunden aber eröffnet neue Potentiale zurKostensenkung und zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit [88, 89, 91, 153, 164,218]. Das erfordert besondere Fachkompetenz und das Herauslösen der Logistik ausEinkauf und Vertrieb.

Befreit von der Verantwortung für die physischeDistribution und von derDispo-sition der Fertigwarenbestände kann sich der Vertrieb auf seine KernkompetenzenMarketing undVerkauf konzentrieren (s.Abschn. 7.7.7). Ohne dieVerantwortung fürdie physische Beschaffung und die aktuelle Disposition beschränkt sich der Einkaufauf das strategische Beschaffungsmarketing und die Erkundung konkreter Beschaf-fungsquellen, auf das Aushandeln der Einkaufspreise und Lieferbedingungen sowieauf den Abschluss von Lieferverträgen und Rahmenvereinbarungen (s.Abschn. 7.7.6).

Aus einer Trennung von Vertrieb, Einkauf und Logistik ohne klare Abgrenzungder Aufgaben und Regelung der Zusammenarbeit können jedoch Konflikte, Unver-ständnis undWiderstände resultieren, die den angestrebten Wettbewerbsvorteil ver-hindern. Voraussetzung für den gemeinsamen Erfolg ist daher, dass sich Vertrieb,Einkauf und Logistik an folgende Grundsätze der Zusammenarbeit halten:

• Kenntnis der gemeinsamen Ziele und Rahmenbedingungen• Beachtung der spezifischen Handlungsmöglichkeiten• Respekt vor den Aufgaben und Leistungsbeiträgen der anderen Bereiche• ausreichende Freiheit und Entscheidungskompetenzen• gleichberechtigte Partnerschaft ohne Über- oder Unterstellung• kritische Offenheit im Innenverhältnis, Einvernehmen nach außen• gegenseitige Unterstützung zum Nutzen von Kunden und Unternehmen.

Diese Grundsätze gelten über Einkauf, Vertrieb und Logistik hinaus auch für dieZusammenarbeit anderer Unternehmensbereiche.

Ausgehend von den Kernkompetenzen von Vertrieb und Einkauf wird in die-sem Kapitel dargestellt, welche Nahtstellen zwischen Vertrieb, Einkauf und Logistik

T. Gudehus, Logistik 1, VDI-Buch, 531DOI 10.1007/978-3-642-29359-7_14, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2012

Page 2: Logistik 1 || Vertrieb, Einkauf und Logistik

532 14 Vertrieb, Einkauf und Logistik

bestehen, wie die Logistik den Einkauf und den Vertrieb wirkungsvoll unterstützenkann und wo Einkauf und Vertrieb die Anforderungen und Möglichkeiten der Lo-gistik berücksichtigen und nutzen sollten.

14.1 Kernkompetenzen des Vertriebs

Kernkompetenzen und zentrale Aufgaben des Vertriebs sind [14]:

• Erkundung des Marktbedarfs• Analyse der Wettbewerbssituation• Planung des Liefer- und Leistungsprogramms• Festlegung des Servicegrads• Organisation der Vertriebswege• Führung der Verkaufsorganisation• Absatz- und Verkaufsplanung• Werbung und Verkaufsförderung• Preiskalkulation und Angebotskalkulation• Gewinnung, Betreuung und Beratung von Kunden• Anfragebearbeitung und Angebotsausarbeitung• Auftragsverhandlung und Vertragsabschluss.

Um diese Aufgaben, deren Ziel das Schaffen von Nachfrage und das Verkaufen desLiefer- und Leistungsprogramms ist, zu erfüllen, verfügt der Vertrieb über Außen-dienstmitarbeiter, eine Verkaufsorganisation, einen Vertriebsinnendienst und einenMarketingbereich.

Das Marketing umfasst die Planung, Auslösung und Überwachung aller Maß-nahmen, die auf das Verkaufen der Güter und Leistungen eines Unternehmens ge-richtet sind [157]. Wird auch das Erfüllen der Nachfrage, also die Ausführung derAufträge, dem Marketing zugerechnet, umfasst das Marketing das gesamte Unter-nehmen. Das aber ist ein zu weit gehender Anspruch.1 Auch eine Einbeziehung derDistribution alsMarketing-Logistik in das Marketing ist unzweckmäßig, denn damitwird am Ausgang der Produktion die Durchgängigkeit der Logistikketten von denLieferanten und der Auftragsketten von den Kunden durch das Unternehmen bis zuden Kunden unterbrochen [18].

Die Verkaufsorganisation ist abhängig von der Art des Geschäfts und besteht inder Regel aus einem Netz von Filialen, Verkaufsstellen, Niederlassungen, Geschäfts-stellen, Vertretungen, Händlern oder Franchisepartnern.

Zu den Aufgaben des Vertriebsinnendienstes gehören die kommerzielle Anfrage-bearbeitung und die Auftragsannahme mit Auftragsprüfung, Auftragserfassung undEingabe der Auftragsdaten in das DV-System. Nach Abstimmung und Bestätigung

1 Nach einer ausklingenden Zeit, in der Marketingfachleute alle Unternehmensaktivitäten dem Marke-ting unterordnen wollten, versuchen heute manche Logistiker, die Logistik über alles zu stellen [218].Beides ist ein Zeichen von mangelndem Verständnis und fehlender Kenntnis der Leistungsbeiträgeanderer Unternehmensbereiche.

Page 3: Logistik 1 || Vertrieb, Einkauf und Logistik

14.3 Auftragsdisposition und Supply Chain Management 533

von Leistungsumfang, Preis und Lieferbedingungen wird ein Kundenauftrag zu ei-nem verbindlichen externen Auftrag, der an die Auftragsdisposition weitergeleitetwird.

14.2 Kernkompetenzen des Einkaufs

Die Kernkompetenzen und zentralen Aufgaben des Einkaufs sind:

• Erkundung der Beschaffungsmärkte (Mengenverfügbarkeit und Marktpreise)• Ermittlung der Lieferanten für die benötigten Güter und Leistungen• Festlegung allgemeiner Einkaufsbedingungen• Prüfung der Referenzen, Bonität und Liefer- und Leistungsqualität der Lieferan-

ten• Anfrage der geplanten Bedarfsmengen für einen bestimmten Zeitraum• Anfrage des Bedarfs für einzelne Projekte• Verhandlung von Einkaufspreisen und speziellen Lieferbedingungen• Abschluss von Lieferverträgen und Rahmenvereinbarungen• Kontrolle der Leistungserfüllung durch die beauftragten Lieferanten• Verfolgung der allgemeinen Preisentwicklung.

Das Ziel dieser strategischen und operativen Aufgaben des Einkaufs ist die kos-tenoptimale und anforderungsgerechte Erfüllung des Unternehmensbedarfs (s. Ab-schn. 7.7).

Nicht notwendig zu denAufgaben des Einkaufs gehören die Bestands- und Nach-schubdisposition der Lager und der Abruf des Direktbedarfs von Produktion oderKunden bei den Lieferstellen. Diese Aufgaben der Materialwirtschaft werden kom-petenter und rationeller von einer eigenständigen Auftragsdisposition ausgeführt.

14.3 Auftragsdisposition und Supply ChainManagement

DieAuftragsdisposition zur Ausführung der Kundenaufträge und die Disposition derBeschaffung gehören nicht zu den Kernkompetenzen von Einkauf und Vertrieb. DieAuftragsabwicklung sollte daher auch nicht, wie in vielen Unternehmen üblich, zu-sammen mit dem Angebotswesen und der Auftragsannahme dem Vertriebsinnen-dienst oder dem Einkauf unterstellt sein.

Die Auftragsdisposition, deren Aufgaben in den Kap.n 2, 8 und 10 beschriebensind, ist der Dreh- und Angelpunkt zwischen Einkauf, Produktion und Vertrieb. Sieerzeugt aus den externen Aufträgen nach geeigneten Dispositionsstrategien interneAufträge für alle Leistungsbereiche der Beschaffung, der Lieferanten, der Produktion,der Lager und des Versands, die am Auftragsprozess beteiligt sind.

Nach Regeln und Prioritäten, die von der Unternehmensleitung in Abstimmungmit Vertrieb, Einkauf und Fertigung vorgegeben werden, entscheidet die Auftrags-disposition über:

Page 4: Logistik 1 || Vertrieb, Einkauf und Logistik

534 14 Vertrieb, Einkauf und Logistik

Eigenfertigung oder FremdbeschaffungLagerfertigung oder AuftragsfertigungLagerbeschaffung oder DirektbeschaffungEinsatz begrenzter RessourcenNachschubmengen und BestandshöhenBeschaffungs- und Belieferungswege.

Diese Entscheidungen können zu Konflikten zwischen Vertrieb, Einkauf und Ferti-gung führen, die sich am besten lösen lassen, wenn die Auftragsdisposition der Un-ternehmenslogistik zugeordnet wird und keinem Bereich direkt unterstellt ist, derunmittelbar an der Auftragsdurchführung beteiligt ist (s. Abschn. 2.8).

Wie auch die anderen Unternehmensbereiche, die Lieferanten- oder Kunden-kontakt haben, muss sich die Auftragsdisposition an folgende Abstimmungsgrund-sätze halten:

� Der Einkauf ist umgehend über alle wichtigen Lieferantenkontakte zu informie-ren, die über die reine Disposition von Lagernachschub undDirektbeschaffungenhinausgehen, und vor einer Änderung der Liefervereinbarungen einzuschalten.

� Der Vertrieb ist umgehend über alle wichtigen Kundenkontakte zu informierenund vor einer Änderung der kommerziellen Verkaufsvereinbarungen einzuschal-ten.

Wird von dem letztenGrundsatz abgewichen, nimmt der Kunde denRepräsentantendes Vertriebs nicht mehr ernst. Dadurch verringern sich die Chancen für Anschluss-aufträge, die der Vertrieb mit jedem Kundenkontakt verfolgt.

Wenn sich alle Akteure an diese Abstimmungsgrundsätze halten, können dieAuftragszentren aller Unternehmen, die an einer bestimmten Lieferkette beteiligtsind, unmittelbar kooperieren, ohne für jeden einzelnenAuftrag oder Abruf den Ein-kauf und Vertrieb einzuschalten. Nach demAufbau einer direkten datentechnischenVerbindung über EDI oder Internet ist auf dieseWeise ein Supply ChainManagement(SCM) im weitesten Sinne möglich (s. Abschn. 20.17 und 20.18). Gegenstand einesumfassenden SCM sind außer der eigenen Unternehmenslogistik die unternehmens-übergreifenden Beschaffungs- und Versorgungsketten [153,190,218]. Die durchgängi-gen Lieferketten werden einerseits bestimmt von den

• Beschaffungsstrategien (s.Abschn. 7.7.7) für Rohstoffe,Material, Vorprodukte undHandelsware sowie für Logistikleistungen (s. Kap. 20) und andere Dienstleistun-gen.

Sie hängen andererseits ab von den

• Vermarktungsstrategien (s.Abschn. 7.7.6) für das Liefer- und Leistungsprogrammder Produktions- oder Handelsunternehmen wie auch für die Leistungen der Lo-gistikdienstleister.

Die Entwicklung von Vermarktungsstrategien für Logistikleistungen ist Aufgabe desLogistikmarketing.

Page 5: Logistik 1 || Vertrieb, Einkauf und Logistik

14.4 Liefer- und Leistungsprogramm 535

14.4 Liefer- und Leistungsprogramm

Der Vertrieb hat in der Regel die Sortimentsverantwortung. Dazu gehören nicht nurder Sortimentsaufbau und die Aufnahme neuer Artikel, sondern auch die Prüfung,welche Artikel aus dem Sortiment genommen werden können und wo Sonderaktio-nen zumAbverkauf von Überbeständen notwendig sind. Ohne regelmäßige Bereini-gung ufert das Sortiment aus. Der Anteil unverkäuflicher Ladenhüter und langsamdrehender C-Artikel nimmt zu. Die Bestände wachsen an.

DemVertrieb fällt es schwer, von sich aus Artikel auslaufen zu lassen und Bestän-de vonunverkäuflicherWare abzuwerten.Dahermuss dieUnternehmenslogistik denVertrieb bei der Sortimentsanalyse und Sortimentsbereinigung unterstützen. Hierfürmuss sie dem Vertrieb ABC-Analysen von Aufträgen und Beständen liefern, die aus-weisen, wo das Sortiment ausufert, mit welchen Artikeln die wesentlichen Umsätzeerzielt werden, welche Bestände in Relation zum Absatz zu hoch sind und welcheArtikel kaum noch verkauft werden (s. Abschn. 5.7 und 5.8).

Die ABC-Analyse der verkauften Varianten eines Produkts aus vielen Kompo-nenten gibt Hinweise, ob die Produktvarianten vom Markt angenommen werdenund welche Einschränkungen der Variantenvielfaltmöglich sind. Das Variantenma-nagement, das mit diesen Informationen arbeitet, kann erhebliche Kosteneinsparun-gen bewirken [153].

Die Logistik berät Vertrieb, Einkauf und Produktion bei der Entscheidung, wel-che Artikel günstiger auf Lager gefertigt und welche besser nach Kundenaufträgenausgeführt werden. Auch zur Planung und Markteinführung neuer Produkte kanndie Logistik wirkungsvoll beitragen.

14.4.1 Verpackungslogistik

Die Verpackungslogistik [101] hat dafür zu sorgen, dass:

• dasMaterial, das für Produkte undVerpackungen eingesetzt wird, kostengünstigzu entsorgen, wiederverwendbar oder recycelbar ist [112],

• die Form des Produkts und die Abmessungen der Verpackung aufeinander undauf die eingesetzten Lade- und Transporthilfsmittel abgestimmt sind, so dass Vo-lumenverluste minimiert werden, Lagerung und Transport gesichert sind undder Verpackungsrücklauf gering ist,

• dieHandlingkosten beim Kommissionieren, beim Verladen und bei der Regalbe-füllung in den Verkaufsstellen möglichst gering sind.

Durch die Vorgabe logistisch optimaler Verkaufs- und Nachschubmengen, die einganzzahliges Vielfaches des Inhalts einer Umverpackung, einer Ladeeinheit, einer Pa-lette oder einer Transporteinheit sind, lassen sich Mischpaletten, Anbrucheinheitenund die Feinkommissionierung vermeiden und damit die Distributionskosten redu-zieren (s. Kap. 12).

Page 6: Logistik 1 || Vertrieb, Einkauf und Logistik

536 14 Vertrieb, Einkauf und Logistik

14.4.2 Trays und Displays

Trays und Displays sind spezielle Logistikeinheiten zur rationellen Verkaufsbereit-stellung von abgepackter Ware in den Filialen, Märkten und Verkaufsgeschäften desLebensmittel- und Konsumgütereinzelhandels [232]. Mit artikelreinen oder artikel-gemischten Logistikeinheiten zur direkten Verkaufsbereitstellung entfällt das zeit-raubende und aufwendige Handling einzelner Verkaufseinheiten. Warenvereinnah-mung undWarenbereitstellung in denVerkaufsfilialen findenmit größeren Ladeein-heiten statt. Die Vereinzelung wird dem Kunden überlassen.

Ein Tray ist eine artikelreine Umverpackung mehrerer Verkaufseinheiten zur Be-reitstellung im Regal. Es besteht aus einem flachen Untersatz, wie einem Kartonbo-den, auf dem die Pakete, Tüten oder Blisterpackungen nebeneinander stehen. DasTray kann für den Transport mit einer Schutzhaube gesichert sein, die vor dem Ein-räumen in das Regal abgenommen wird. Die Grundmaße der Trays sind auf dieStandardmaße der Fachböden in den Verkaufsregalen und auf die Maße der EURO-Palette abgestimmt. Längemal Breite sind zumBeispiel 200×200, 200×400, 400×400oder 400 × 600mm.

Ein Display ist eine Ladeeinheit, in der Verkaufseinheiten unterschiedlicher Ar-tikel auf einem Ladungsträger zur Verkaufspräsentation zusammengepackt sind. AlsLadungsträger werden meist halbe EURO-Paletten, sogenannte Chep- oder Düssel-dorfer-Paletten, mit den Grundmaßen 600× 800mm eingesetzt. Der Aufbau bestehtaus Kartonteilen, die die Artikeleinheiten zusammenhalten und werbewirksam be-druckt sind.

EinVorteil desDisplays besteht darin, dass der Lieferant die werbewirksameAuf-machung seinerWaren für alle Verkaufsstellen einheitlich vorgeben kann. Ein Nach-teil sind die Kosten, die mit der Disposition undHerstellung der Displays verbundensind. Displays werden vorwiegend für Aktionsware eingesetzt.

14.4.3 Artikelreine Ganzpaletten

Die größten Logistikeinheiten zur Bereitstellung sind artikelreine Ganzpaletten, dieim Verkaufsraum auf dem Boden stehen und von denen der Kunde die Verkaufsver-packungen direkt entnimmt. Artikelreine Ganzpaletten werden für schnelldrehendeArtikel und für Aktionsware wie auch in der Produktionsversorgung eingesetzt (s.Kap. 12).

14.5 Lieferservice und Logistikqualität

Der Lieferservice ist ein wichtiger, auf manchen Märkten sogar der entscheidendeWettbewerbsfaktor [18]. Es gehört zu den größten Fehlern in einem Unternehmen,wenn eine Ware, für die aufwendig geworben wurde, nicht lieferbar ist. Der Liefer-service umfasst:

• angemessene Lieferfähigkeit lagerhaltiger Ware• rechtzeitige Verfügbarkeit kundenspezifisch gefertigter Ware

Page 7: Logistik 1 || Vertrieb, Einkauf und Logistik

14.6 Vertriebswege und Distributionsstruktur 537

• wettbewerbsfähige Lieferzeiten• Erfüllung spezieller Kundentermine.

Der Vertrieb legt unter Berücksichtigung der Kundenwünsche, der Marktgegeben-heiten und derWettbewerbssituation Standards für Lieferservice und Logistikqualitätfest. Maßstab für die Logistikqualität eines Unternehmens sind die zwischen Logis-tik, Einkauf und Vertrieb vereinbarten Qualitätsstandards. Abweichungen von denStandards sind Qualitätsmängel. Diese werden inMängelstatistiken erfasst und vomLogistikcontrolling dem Einkauf bzw. dem Vertrieb gemeldet (s. Abschn. 5.2).

Darüber hinaus kann die Logistik dem Vertrieb kostenneutrale Serviceverbesse-rungen vorschlagen und die Mehrkosten für zusätzlich geforderte Serviceleistungenangeben. Die Logistik muss jedoch darauf achten, dass vom Vertrieb kein logisti-scher Overkill betrieben wird, wie die flächendeckende oder pauschale Zusage eines24-Stunden-Auslieferservice, der nur von wenigen Kunden benötigt und auch hono-riert wird.

14.6 Vertriebswege und Distributionsstruktur

Der Vertriebsweg bestimmt, über welche Verkaufsmittler das Liefer- und Leistungs-programm des Unternehmens an welche Kundengruppen verkauft wird. MöglicheVertriebswege sind der Verkauf über:

• eigene Filialen und Verkaufsstellen an den Endverbraucher• den Großhandel an den Einzelhandel• Großkundenbetreuer an Handelsketten und Versandhandel• Direktverkauf an Maschinenfabriken und Erstausstatter (OEM-Kunden)• Regionalvertretungen an örtliche Wiederverkäufer und Verbraucher• eine Organisation selbstständiger Händler oder Franchisepartner• Katalogverkauf und Internethandel [218].

Die physische Distribution umfasst die Lagerung, die Kommissionierung und denTransport der Fertigwaren aus der Eigenproduktion und des fremdbeschafftenHan-delssortiments bis zum Ort der Übernahme durch den Kunden. Dafür gibt es unter-schiedliche Lieferketten, deren Gestaltung in Kap. 20 behandelt wird. Die Distributi-onsstruktur mit derGebietseinteilung und den Standorten von Fertigwarenlagern, Lo-gistikzentren und Umschlagstationen und die Lieferketten werden bestimmt von denLieferbedingungen, wieFreiHaus oderAbWerk, von der Beschaffenheit derWare, denLiefermengen, den Entfernungen und von den Lieferzeiten. In vielen Unternehmenorientieren sich die Distributionsstruktur und die Belieferungswege traditionell anden Vertriebswegen. Die Distributionsgebiete und Zustellregionen sind deckungs-gleich mit den historisch gewachsenen Vertretungsgebieten und Verkaufsregionen.Die Auslieferlager befinden sich häufig an den Standorten der Vertriebsniederlas-sungen.

Die Aufgaben und Ziele von Vertrieb und Logistik sind jedoch unterschiedlich.Hieraus folgt:

Page 8: Logistik 1 || Vertrieb, Einkauf und Logistik

538 14 Vertrieb, Einkauf und Logistik

• Vertriebswege undBelieferungswegemüssennicht übereinstimmenoder parallelverlaufen.

• Optimale Distributionsgebiete sind nicht deckungsgleich mit optimalen Ver-triebsregionen.

• Die optimalen Standorte von Fertigwarenlagern, Logistikzentren und regionalenAuslieferlagern sind nicht gleich den optimalen Standorten der Vertriebsstütz-punkte.

Ebenso wenig, wie sich der Einkauf oder die Dispositionsstelle des Kunden am Be-darfsort der Ware befinden müssen, ist es erforderlich, dass sich Vertriebsniederlas-sungen, Vertreterstandorte und Verkaufsstellen am gleichen Ort befinden wie dieLager- und Versandstellen. So ist eine optimale europaweite Vertriebsorganisationnach Ländern und Sprachregionen organisiert, während ein optimiertes europawei-tes Distributionssystem aus grenzüberschreitenden EURO-Regionen besteht, die anden Ballungsgebieten von Bevölkerung und Industrie sowie an den Hauptverkehrs-wegen ausgerichtet sind (s. Abb. 20.20).

14.7 Preiskalkulation und Logistikkosten

Zur Kalkulation der Listenpreise von Standardartikeln und der Verkaufspreise fürEinzelangebote müssen neben den Herstell- und Beschaffungskosten die Auftrags-und Artikellogistikkosten bekannt sein. Außerdem sollten Einkauf und Vertrieb fürVerhandlungen mit Lieferanten und Kunden über die Lieferbedingungen die Kosten-differenz zwischen Lieferung Frei Haus und Lieferung ab Werk kennen.

Hierfür wird eine Logistikkostenrechnung benötigt, die die Leistungskosten fürselbst erbrachte Logistikleistungen kalkuliert und die Leistungspreise für fremdbe-schaffte Logistikleistungen kennt. Für eine nutzungsgemäße Verteilung angefalleneroder geplanter Logistikkosten auf die einzelnen Artikel oder Aufträge werden dieLogistikstammdaten der Artikel und der Aufträge benötigt. Nur wenn die Logistik-stammdaten vollständig verfügbar sind, ist eine Kalkulation korrekter Logistikstück-kosten und Auftragslogistikkosten möglich (s. Kap. 7).

Logistikstammdaten und korrekte Logistikkosten sind heute erst in wenigen Un-ternehmen vollständig verfügbar. Vielfach wird für Kommissionierung, Lagerungund Transport noch mit pauschalen Zuschlagsätzen in Prozent vomWarenwert kal-kuliert. Das kann zu Auftragsverlusten infolge überhöhter Logistikkosten, verlust-bringenden Preisen und falschen Vertriebsentscheidungen führen. Korrekte Logis-tikkosten tragen dazu bei, eine Fehlleitung von Ressourcen zu verhindern.

Weitere Beiträge kann die Unternehmenslogistik zur Preiskalkulation leisten,wenn sie über eine Leistungskostenrechnung verfügt, die die Material-, Produktions-und Leistungskosten der gesamten Leistungskette von der Beschaffung bis zur Aus-lieferung erfasst und den Produkten oder verkauften Leistungen nutzungsgemäß zu-ordnet (s. Kap. 6 und 7).

Page 9: Logistik 1 || Vertrieb, Einkauf und Logistik

14.8 Servicebereiche der Logistik 539

14.8 Servicebereiche der Logistik

Zur Unterstützung von Einkauf und Vertrieb sowie zur Förderung des Geschäfts istdie Logistik verantwortlich für alle Servicebereiche, die logistische Dienstleistungenerbringen oder die mit der Warendistribution verbunden sind. Hierzu gehören dieWerbemittel- und Druckschriftenlogistik, die Service- und Ersatzteillogistik, die Lo-gistik in den Verkaufsstellen und die logistische Beratung des Verkaufs, des Einkaufsund der Kunden.

14.8.1 Werbemittel- und Druckschriftenlogistik

UmWaren kaufen und verkaufen zu können, müssen Kunden und Verkaufsvermitt-ler durch Muster undWerbemittel gewonnen sowie durch Druckschriften, Katalogeund Preislisten über das Liefer- und Leistungsprogramm des Unternehmens infor-miert werden. Nach demVerkauf sind Kunden, Aktionäre und Geschäftspartner mitGeschäftsberichten, Unternehmensmitteilungen und Dokumentationen über Anla-gen, Produkte und Ersatzteile zu versorgen.

Die Distribution der Werbemittel und Druckschriften ist keine Kernkompetenzdes Vertriebs und in der Regel auch nicht der Unternehmenslogistik. Sie kann dahervon der Logistik zusammen mit der Fertigwarendistribution organisiert oder unab-hängig davon an einen hierauf spezialisierten Logistikdienstleister vergeben werden.

Die optimale unternehmensspezifische Lösung der Werbemittel- und Druck-schriftenlogistik wird vom Umfang, vom zeitlichen Anfall und von der Art der Wer-bemittel und Druckschriften bestimmt.

14.8.2 Ersatzteil- und Servicelogistik

Ein Industrieunternehmen, das anspruchsvolle technische Produkte, wie Fahrzeuge,elektronische Geräte oder hochwertige Maschinen herstellt, muss eine leistungsfä-hige Serviceorganisation haben. Bei der Kaufentscheidung für die Primärproduktewird die Ersatzteilversorgung immer wichtiger. In einigen Branchen, wie der Aufzug-industrie, werden gewinnbringende Deckungsbeiträge nur noch im Service- und Er-satzteilgeschäft erwirtschaftet.

Wenn derAfter-Sales-Service eng mit der Verkaufstätigkeit verbunden ist und dieChancen für Anschlussaufträge fördert, sind Aufbau und Führung der Serviceorga-nisation Aufgaben des Vertriebs. Die Ersatzteildistribution und dieWerkstattlogistikhaben jedoch meist besondere logistische Anforderungen zu erfüllen, wie hohe Tei-leverfügbarkeit und extrem kurze Wiederbeschaffungszeiten. Sie gehören daher zumAufgabenbereich der Logistik [151, 168].

14.8.3 Verkaufsstellenlogistik

Die werbliche Gestaltung, das Angebot, die Warenpräsentation und die eigentlicheVerkaufstätigkeit in den Verkaufsstellen und Filialen liegen in der Verantwortung

Page 10: Logistik 1 || Vertrieb, Einkauf und Logistik

540 14 Vertrieb, Einkauf und Logistik

des Vertriebs. Aber auch die Logistik fängt beim Kunden an. Voraussetzung für denerfolgreichen Verkauf ist daher eine leistungsfähige Logistik in den Verkaufsstellen.Aufgaben der Verkaufsstellenlogistik sind:

• Disposition von Reservebeständen und Nachschub für die Verkaufsbestände• Organisation und Technik der Warenanlieferung• Warenannahme und Eingangskontrolle• wegoptimale und griffgünstige Aufstellung der Verkaufsregale• platzsparende Unterbringung der Zugriffsreserven• Nachfüllen der Verkaufsregale durch eigene Mitarbeiter oder externe Regalpfle-

ger (Rack Jobber)• Organisation von Waren- und Datenfluss im Kassenbereich• Erfassung der Verkäufe und Aufträge am Point of Sales (POS)• Entsorgung von Leergut, Ladungsträgern, Verpackungsmaterial und zurückge-

gebenen Waren• Organisation eines Zustelldienstes für die Kunden.

Zeitaufnahmen und Analysen des Mitarbeitereinsatzes in Kaufhäusern und Han-delsmärkten zeigen, dass hier oft 30 bis 40% der Zeit auf logistische Tätigkeiten ent-fällt. Zusätzliche Zeit wird für administrative Tätigkeiten und das Kassieren benö-tigt. Der eigentliche Verkauf und die Kundenberatung erscheinen dagegenmit einemZeitanteil von weniger als 35% nachrangig. Diese typischen Kennzahlen zeigen diePotentiale, die in der Logistik der Verkaufsstellen bestehen. Darüber hinaus steht dieVerkaufsstellenlogistik in enger Wechselwirkung mit der gesamten Unternehmens-logistik (s. Abschn. 20.12).

14.8.4 Logistikberatung

Als typische Querschnittsfunktion muss die Unternehmenslogistik die Durchgän-gigkeit der Logistikprozesse von den Vorlieferanten bis zu den Endkunden organi-sieren, kontrollieren und sichern. Sie kann und soll jedoch nicht in allen Abschnittender Liefer- und Produktionsketten operativ tätig und auch nicht in allen Bereichen,in denen logistische Aufgaben anfallen und Fragen zu lösen sind, verantwortlich sein(s. Abschn. 2.9).

In den Bereichen, die außerhalb der Verantwortung der Unternehmenslogistikliegen, muss die Unternehmenslogistik jedoch logistische Fachberatung und Unter-stützung anbieten. Diese umfassen:

• Beratung des Verkaufs und der Kunden in allen Fragen der Belieferung, wieLieferzeiten, Lieferfrequenzen, Anliefertermine und Disposition von Nachschubund Beständen (ECR und CRP)

• Unterstützung des Vertriebs bei Verhandlungen mit Kunden über Logistikkondi-tionen und Logistikrabatte

• Logistische Beratung des Vertriebs bei der Festlegung von Verkaufsstandortenund Vertretungsgebieten und bei der Organisation der Vertretertouren

• Beratung des Einkaufs bei Verhandlung und Festlegung der Beschaffungsketten

Page 11: Logistik 1 || Vertrieb, Einkauf und Logistik

14.8 Servicebereiche der Logistik 541

• Beratung der Lieferanten bei Aufbau und Optimierung der Belieferungsketten,insbesondere bei Aufbau einer neuen Lieferbeziehung und bei Einführung neuerProdukte

• Entwicklung von logistischen Standardbedingungen für Einkauf und Verkauf• Kalkulation von Logistikkosten und Unterstützung der Preiskalkulation• LogistischeBeratung derUnternehmensleitung bei derVorbereitung undDurch-

führung von Kooperationen und Akquisitionen.

Der eigene Logistikbereich eines Unternehmens kann nicht für alle diese Aufgabenund Fragen permanent besetzt sein undmuss daher bei Bedarf logistisch kompetenteUnternehmensberatungen hinzuziehen.