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Titelblatt: Dan Grzeca | Plakatkunst aus Polen | Emek | Victor Castillo | Urban Knitting | Decoder Ring Design Concern | Merry Karnoswsky Gallery | Canvas Stories: Diederick Kraaijeveld, James Jean, Andrea Offermann, Mateo Heft N°5 (Ausgabe 2/2009) Broschiert: 72 Seiten Magazin Format: 21 cm x 21 cm Veröffentlichungsdatum: 7. August 2009
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LOW K U N S T m a g a z i N · a U S g a b E № 5 0 2 / 2 0 0 9 D € 6 , 3 0
p l a K a T K U N S T a U S p o l E N · E m E K · v i c T o r c a S T i l l o · U r b a N K N i T T i N g · D E c o D E r r i N g D E S i g N c o N c E r N
DAS LOW MAGAZIN GIBT ES AB SOFORT AUCH IM ABONNEMENT. WEITERE INFORMATIONEN AUF WWW.LOW-MAGAZINE.COM/ABO ODER UNTER TELEFON +49 (0) 351 – 2 13 04 57
Low Magazin 3
VICTOR CASTILLO 48
NOTIZEN 5 TERMIN 6 AUSSTELLUNGEN 7 KOMISCH GOTISCH 8 BÜCHER 10 STREET ART: SPY
CANVAS STORIES60 DIEDERICK KRAAIjEVELD62 jAMES jEAN64 ANDREA OFFERMANN66 MATEO
DIE TITELSTORY68 DER TITELBLATTKÜNSTLER
DIESER AUSGABE: DAN GRZECA
HERAUSGEBER & REDAKTIONLow GbRFichtenstraße 1201097 Dresden, Germanyfon: +49 (0)351 2 13 04 57fax: +49 (0)351 2 13 05 65e-mail: [email protected]: http://www.low-magazine.comGeschäftsführung: Mario Marquardt, Danny Winkler
CHEFREDAKTIONMario Marquardt, [email protected] Winkler (dw), [email protected]
ART DIRECTORDanny Winkler
MITARBEITER DIESER AUSGABELilo Krebernik, Andy MacDougall, Christian Woelki,Nadja Poppe, Lurker Grand (lg), Christian Elmer, Louise Bartel, Christin Damian, Iñigo Martínez
TITELBILDDan Grzeca
DRUCKGEMI s.r.o., Prag
VERTRIEBIPS Pressevertrieb GmbH, Meckenheim
ANZEIGENVERANTWORTLICHERMario Marquardt
ANZEIGENVERTRETUNGOFFICE FOR MEDIA Ltd & Co. KGThorsten Petersfon: +49 (0)40 5 55 65 94 31e-mail: [email protected]
Das nächste Heft erscheint am 2. Februar 2010.
Der Herausgeber übernimmt keine Haftung für unangefordert zugesandte Manuskripte, Photos, Illustrationen etc. Diese werden nur nach vorheriger Absprache zurückgesandt. ©2009 Low GbR. Alle Rechte vorbehalten. Insbesondere dürfen Nachdruck, Aufnahme in Online-Dienste und Internet und Vervielfältigung auf sämtlichen Datenträgern nur nach vorheriger schriftlicher Genehmigung des Herausgebers erfolgen.
POSTERLAND POLEN
EMEK
14
26
I N D I E S E R A U S G A B E
I M P R E S S U M
AUF DIE HERKUNFT KOMMT ES (NICHT) AN
Die Merry Karnowsky Gallery in L.A ist eine der wich-tigsten Galerien des amerikanischen Pop Surrealismus. Seit einem Jahr ist sie auch in der Kunsthauptstadt Berlin vertreten. Christian Woelki war vor Ort.
POSTERLANDPolen ist berühmt für seine anspruchsvollen Kunst- und Kulturplakate. Danny Winkler beleuchtet die polnische Schule der Plakatkunst und bat den Plakatkünstler Wieslaw Walkuski zum Kurzinterview.
THE THINKING MAN’S POSTER ARTISTDer amerikanische Künstler Emek macht Plakate für intelligente Menschen und beschreitet dabei neue Dimensionen in der Plakatkunst. Mario Marquardt stellt ihn vor.
GOURMETWüRSTE & KUNSTDRUCKEDie texanische Grafikdesign-Firma Decoder Ring Design Concern ist mehr als eine Werbeagentur. Andy MacDou-gall fand im Interview mehr heraus.
OFF THE WALLDaß Rockposter-Künstler nicht nur Rockposter machen können, zeigt uns Lilo Krebernik in Wort und Bild. Er stellt uns einige Art-Toy-Kreationen von Posterkünstlern vor.
MANN FRISST MANNDer chilenische Maler Victor Castillo spricht im Inter-view über seine Kunst und den Einfluß der ehemaligen Militärdiktatur in seinem Land.
GUERILLA-STRICKENMagda Sayeg strickt für ihr Leben gern. Wir fanden her-aus, warum ihre Leidenschaft zur Graffiti-Kunst gehört.
14
12
26
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42
48
54Diederick Kraaijeveld spricht in seiner Canvas Stroy über diesen Schädel aus uraltem Holz.60
AUSGABE NO.5 · 2/2009 – AUGUST BIS jANUAR
4 Low Magazin
E D I T O R I A L
ls ich vor einigen Jahren selbst noch leidenschaftlich Plakate gestaltete und mit Muskelkraft
druckte, war ich fest davon überzeugt, daß das was ich da tat Kunst sein müsse. Es waren
weniger der handgemachte Charme und die gezeichneten Vorlagen die mich auf den Gedan-
ken brachten, mein Zeug als »Kunst« zu bezeichnen. Es war wohl mein Bauchgefühl, das mir
vorgaukelte, bei meinen Sachen überwiege die Seele im Vergleich zum Nutzen. Das klingt
inzwischen wie eine naive Ausrede. Natürlich – heute bin ich schlauer. Kunst geht oft viel
weiter, als sich von der neuesten Platte einer Rockband inspiriert Bilder einfallen zu lassen.
Aber grundlegend lag ich damals gar nicht so falsch. Das Plakat ist ein Medium, das von
vielen verschiedenen Leuten gebraucht, genutzt und benutzt wird und auch durchaus Kunst
sein kann. Heute überwiegt meist der kommerzielle Nutzen und der informative Charakter
der Plakate, weil sie hauptsächlich von Werbeagenturen gestaltet werden. Es ist ein wenig in
Vergessenheit geraten, daß es auch Künstler gibt, die das Plakat als persönliches Ausdrucks-
mittel verwenden. In unserem Nachbarland Polen zum Beispiel war das Plakat in Künstler-
hand. Dort wurde das kulturelle Kunstplakat über viele Jahrzehnte gepflegt und geachtet. Im
Artikel »Posterland« in diesem Heft stellen wir Euch die polnische Schule der Plakatkunst
vor. Neben dem polnischen Kunstplakat kommt auch das Rockposter in diesem Heft nicht
zu kurz. In unserer Geschichte über Emek zum Beispiel, dem amerikanischen Plakatkünstler,
zeigen wir wie intelligent und innovativ Rock’n’Roll-Plakate sein können.
Seit unserer ersten Ausgabe begleitet uns die Plakatkunst und sie wird uns sicherlich auch in
Zukunft nicht kalt lassen. Dort haben wir, die Low-Redaktion, schließlich unsere Wurzeln
und dort fanden wir praktischen Zugang zur großen Welt der Kunst.
Zum Schluß noch ein paar interne Worte zum Erscheinungsbild dieses Heftes: Low hat
gründlich aufgeräumt. Um Euch mehr Platz beim Lesen zu geben, haben wir die englischen
Übersetzungen gestrichen. Low gibt es ab jetzt also wieder einsprachig. Da wir uns als
Kunstmagazin verstehen und nicht nur über Kunst BERICHtEN wollen, stellen wir ab die-
ser Ausgabe unsere titelblätter exklusiv Künstlern zur Verfügung. Ein Sieg für die Kunst! Das
titelblatt dieser Ausgabe gestaltete Dan Grzeca aus Chicago. Wer er ist, könnt ihr ab Seite 68
lesen. Viel Spaß mit Low Heft Nummer 5!
Danny Winkler
A
Das Titelblatt dieser Ausgabe von
Dan Grzeca.
Exklusiv für Low hat der Chicagoer
Künstler davon eine limitierte Auf-
lage gedruckt. In unserem Online-
Shop auf www.low-magazine.com
gibt es die ca. 48 mal 64 Zentime-
ter große Serigraphie zu kaufen.
Die Grafik ist ein Siebdruck in fünf
Farben auf hochwertigem French
Paper. Nummeriert und vom
Künstler signiert.
FOTO
: NA
DjA
PO
PPE
Low Magazin 5
TERMIN
F L A T S T O C K E U R O P E 4
Hier in Europa bietet sich selten eine
andere Möglichkeit, Hunderte von
Konzertsiebdruckplakaten am Stück
sehen zu können, als beim Besuch der Flat-
stock Postershows in Hamburg.
jedes jahr reisen Posterdesigner aus ganz Eu-
ropa und den Vereinigten Staaten nach Ham-
burg, um den Fans und Sammlern handge-
machte Siebdruckplakate zu zeigen und zum
Kauf anzubieten.
Seit 2006 wird die amerikanische Postershow-
Reihe auch in Europa veranstaltet. Die vom
American Poster Institute ins Leben gerufe-
nen Flatstock-Shows finden in den USA wäh-
rend großer Musikfestivals in San Francisco,
Austin, Chicago und Seattle statt. Nach die-
sem Vorbild banden die Initiatoren auch die
europäische Adaption ins Rahmenprogramm
eines Musikfestivals ein. Das »Reeperbahnfes-
tival«, das ebenfalls 2006 ins Leben gerufen
wurde, bot dafür die besten Möglichkeiten. In
Hamburgs Stadtviertel St. Pauli finden dazu in
vielen Clubs und anderen Veranstaltungsorten
Konzerte verschiedenster Indiebands statt.
Der Festivalbesucher kann mit seinem Ticket
von Club zu Club ziehen und sich das ganze
Wochenende Bands anschauen. Im Zentrum
des Geschehens, auf dem Spielbudenplatz
direkt an der Reeperbahn, stehen dann die
Stände der Flatstockkünstler.
Bei Redaktionsschluß standen 48 Bands für
das diesjährige Festival fest. Darunter unter
anderen Dinosaur jr., Sophia, The Editors,
Orka feat. Yann Tiersen und Tele. Auch die
Flatstockfraktion kündigt Stars ihres Genres
an. Zugesagt haben bisher jay Ryan, Tara Mc-
Pherson, Lil Tuffy, Diana Sudyka und andere.
■ (dw)
Flatstock Europe 4 beim Reeperbahnfestival 2009
vom 24. bis 26.09.2009 · Hamburg, Spielbuden-
platz · Der Besuch des Flatstock-Geländes ist
kostenlos! · www.reeperbahnfestival.com
Low Magazin 5
FOTO Danny Winkler, Archiv
U N D E R G R O U N D - P L A K A T EI N D R E S D E N
AUSSTELLUNGEN
Seit 101 jahren
pflegt die Lon-
doner Nahver-
kehrs-Gesellschaft,
die London Under-
ground oder heute
die Transport for
London, eine schöne
Tradition. Sie gibt
Kunstplakate in Auf-
trag und wirbt damit
für ihre U-Bahn. Eine
Retrospektive dieser
Plakatkunst ist in
diesem Sommer zu
Gast in Dresden. Aus
den 1000 Original-
entwürfen, die das
London Transport
Museum inzwischen gesammelt hat, zeigt das
Dresdner Verkehrsmuseum eine Auswahl von
Arbeiten aus allen jahrzehnten.
Obwohl es in dieser Ausstellung um Plakate
geht, ist es im Prinzip keine Plakatausstel-
lung, denn gezeigt werden hauptsächlich die
Originalentwürfe der Künstler und Grafikde-
signer. Die Tätigkeit des Plakatmalers war da-
mals noch ein richtiger Beruf. Das älteste Bei-
spiel in der Ausstellung, aus dem jahre 1911,
zeigt den Entwurf von Alfred France, der das
gesamte Plakat inklusive seiner Schrift mit
Gouache-Farben malte – eine recht typische
Arbeitsweise in den jahrzehnten vor der Ver-
breitung von Computern. Aber auch Arbeiten
aus den letzten jahren zeigen echte künstleri-
sche Handarbeit für die Plakate, obwohl die
Kunst sich dann auf die Malerei oder die Gra-
fik beschränkte. Der typographische Teil der
Plakate wurde später durch Schriften aus dem
Computer ergänzt, ganz im Sinne der Verein-
heitlichung in der modernen, Werbegrafik.
Die Ausstellung zeigt einen hervorragenden
Querschnitt durch ein ganzes jahrhundert
des britischen Grafikdesigns. Zudem werden
Videos über die Plakatherstellung vorgeführt
und verschiedene Arbeitsmaterialien der da-
maligen Künstler und Designer präsentiert. ■ (dw)
»The Art of the Poster – Plakatkunst aus Lon-
don« läuft noch bis zum 30. August 2009 im Ver-
kehrsmuseum Dresden, Augustusstraße 1, 01067
Dresden · www.verkehrsmuseum-dresden.de
Alfred France’ Originalentwurf für ein Plakat der Londoner U-Bahn weist den Weg in
den Ausstellungsraum mit unter anderem 60 weiteren Originalentwürfen aus einem
Jahrhundert. FOTO Danny Winkler
6 Low Magazin
Noch bis zum 20. August läuft in der
Berliner Galerie Bongout die Ausstellung
»ATAK vs. Blexbolex« und zeigt Arbeiten
von zwei herausragenden Illustratoren
und Comic-Künstlern.
Georg Barber alias ATAK (siehe Abb.)
wuchs in der DDR auf und gründete
bereits 1989 die Comicgruppe »Renate«
und das gleichnamige Magazin. Später
wurde er ein erfolgreicher Professor für
Illustration. Er lehrt an verschiedenen
Gestalterschulen im In- und Ausland. Er
veröffentlicht Bücher und ist Kolumnist
bei der Zeitschrift »Das Magazin«.
Bernard Granger alias Blexbolex ist ein
in Berlin lebender Franzose. Auch er
kommt aus der Comicbranche und ist
ein erfolgreicher Illustrator vieler Bü-
cher.
Beide Künstler beweisen in ihren Arbei-
ten einen subtilen und intelligenten Hu-
mor und pflegen laut Galerieinfo einen
»schnörkellosen Vintage-Stil«. ■ (dw)
»ATAK vs. Blexbolex« noch bis zum 20. Au-
gust 2009 im Bongout Showroom, Torstr.
110, 10119 Berlin · www.bongout.org
A T A K v s . B L E X B O L E X
Die Milch aus Mutters Brust verfehlt knapp den Mund
des überrascht blickenden Jesuskindes in ihrem Arm und
auch der Heilige im Bild rechts scheint sich des Ernstes
seiner Situation nicht bewußt zu sein – Die Ausstellung
»La edad de oro del arte valenciano« in Valencia förderte
nicht nur religiöse Ernsthaftigkeit aus dem Mittelalter zu
tage. FOTOS Nadja Poppe
La edad de oro del arte valenciano – Das
goldene Zeitalter der valencianischen
Kunst. Der Ausstellungstitel spielt auf
die häufige Verwendung von Blattgold in den
Malereien damaliger Zeiten an.
Die mittelalterliche gotische Kunst stand noch
voll und ganz unter dem Pantoffel der Kirche.
Die Handwerksgilden der Maler fertigten Bil-
der für Altäre und andere Ausschmückungen
des Kirchenraums. Freie Kunst, in dem Aus-
maß wie wir sie heute kennen, gab es damals
kaum.
Die Ausstellung im Museo de Bellas Artes im
spanischen Valencia zeigte eindrucksvoll wie
grotesk, phantasievoll und humorvoll die da-
maligen Maler zu Werke gingen. Sie ermög-
lichte neue Sichtweisen auf eine angestaubte
Kunstepoche. Hier hatte man die Gelegenheit,
nicht nur Altarbilder einmal aus aller Nähe
zu betrachten. In den großzügig angelegten
Altar-Installationen in den Kirchen gingen
vermutlich viele Details unter. Von einem
der Bilder lächelt einem herzlich ein Mönch
entgegen, obwohl ein riesiges Messer seine
Schädeldecke spaltet und ein zweites in sei-
ner Herzgegend steckt. Die freiwillige oder
auch unfreiwillige Komik dieser uralten Bilder
und Ikonen ließ den Ausstellungsbesucher
staunen und schmunzeln: Da gab es hübsche
gelockte Pferde die aus einem Disney-Mär-
chen entsprungen schienen oder ein recht
niedliches Minischaf mit seinem eigenen Hei-
ligenschein aus Blattgold, das ganz treuherzig
die Gestalt seines Hirten anschaut. Die Frage,
die sich beim Betrachten dieser Werke auftat,
war nicht nur die nach den dargestellten Hei-
ligen, ihren Martyrien und ihrer Bedeutung.
Man war sich auch nicht ganz im Klaren da-
rüber, wo die naive Darstellungsweise endete
und die Parodie begann. In jedem Fall fiel ein
wenig Licht in das sonst recht finster darge-
stellte Mittelalter.
Viele dieser bemalten Holztafeln erinnern
stark an moderne pop-surrealistische Werke,
die oberflächlich betrachtet ähnlich mit Ko-
mik, Groteske und einer überzogenen Dar-
stellung spielen. So wirkt vieles erstaunlich
modern und steht zeitgenössischen Comic-
Malern und Künstlern des Pop Surrealismuses
in Bezug auf Ideenreichtum und phantasievol-
ler Gestaltung in nichts nach. ■ (dw)
AUSSTELLUNGSRüCKBLICK
K O M I S C H G O T I S C H
Low Magazin 7
BüCHER
Nach Derek Yaningers Buch »Wilds-
ville« ist nun mit jay Strongmans
»Tiki Mug« (Krug) das zweite Buch
zum Thema Tiki bei Korero Books erschienen.
Doch wer glaubt hier nur ein Buch über Mugs
vorzufinden, wie es ja der Titel vermuten läßt,
täuscht sich gewaltig. Auf den ersten 60 Sei-
ten wird in verschiedenen Kapiteln das Phä-
nomen Tiki allgemein aufgezeigt. Für alle die
das längst vergriffene Buch von Sven Kirsten
»The Book of Tiki« nicht ergattern konnten,
ist mit diesem Buch Ersatz gefunden. Auf über
100 Seiten in diesem Buch kommt aber auch
der Liebhaber und Sammler von Tiki Mugs
ganz auf seine Kosten. Alles was Rang und
Namen hat: Tiki Farm, Munktiki, Porcelanas
Pavón, Gecko’z South Sea Arts und weitere –
und die Top-Künstler wie Shag, Bosko, Crazy
Al, Ocea Otica und Tiki Diablo sind vertreten.
Dies mit über 250 wunderschön inszenierten
Abbildungen von Mugs. ■ (lg)
T I K I M U G S
Die beiden Herausgeber von Korero Books
selbst, haben sich dem Thema der Visuali-
sierung von Burlesque Anlässen in diesem
wunderschönen Buch angenommen. Dies
geschieht durch die Plakate oder Flyers die
auf die Anlässe hinweisen. Und sie sind alle
hier zu finden; die schönsten, wildesten,
meist hänselnden Burlesque Poster. Einige
präsentieren sich subtil wie ein Fantanz, an-
dere frech wie sich drehende Quasten. Dies
aus der Zeit der Folies Bergère von 1880 bis
in die London Neo-Burlesque Epoche von
2008. Mehr als 150 Plakatmotive auf 170 Sei-
ten illustrieren die Geschichte des bumping
und grinding, des Flirten und der Subver-
sion. Alle die auf
der Suche nach
der Entwicklung
dieser besonde-
ren Kunstform
sind, finden in
diesem Buch al-
les Wesentliche.
Größen wie Glen
Barr, Alan Forbes,
Mitch O’Connell, Shag, Derek Yaniger, Mi-
chel Casarramona, Rockin’ jelly Bean, The
Pizz und viele weitere tragen dazu bei. ■ (lg)
Yak El-Droubie & Ian C. Parliament »Burles-
que Poster Design – The Art of Tease«
in englischer Sprache · 170 Seiten
Koreo Books · 25,00 Euro · klangundkleid.de
B U R L E S Q U EP L A K A T E
Jay Strongman »Tiki Mugs – Cult Artifacts of
Polynesian Pop« · in englischer Sprache · 170
Seiten · Koreo Books · 30,00 Euro
www.klangundkleid.de
Burlesque-Poster von Gollin Gordon
Das Buch zeigt auf 170 farbigen Seiten mehr als 150
Burlesque Plakatmotive
8 Low Magazin
Seit er fünfzehn ist, hört David Biene
Rockabilly und Rhythm’n’Blues, und be-
sucht seit Anfang 2000 regelmäßig Hot-
Rod-Festivals. Dort fotografiert der 30-jährige
die europäische Interpretation der »Roaring
50s«.
David Biene lebt und arbeitet als freischaf-
fender Fotograf in Berlin, wo er hauptsächlich
die Großen und Noch-Nicht-Ganz-Großen der
internationalen Musik-, Literatur- und Schau-
spielwelt für nationale und internationale
Magazine und Managements vor die Kamera
bittet.
Nach einigen Ausstellungen und Ausstel-
lungsbeteiligungen zwischen japan, dem Li-
banon und Deutschland konzentrierte er sich
seit mehreren jahren neben der täglichen
Arbeit auf seinen ersten Foto-Bildband »Hop-
ped-Up«, der im juni 2009 im Verlag Onkel &
Onkel erschien.
In einer beeindruckenden Kombination aus
anspruchsvoller Fotografie und Interviews do-
kumentiert David Biene authentische Charak-
tere – ohne Inszenierung, Wiederholung oder
Retusche. Er begleitete die Szene über fünf
jahre von Spanien bis Norwegen, auf Treffen,
Rennen sogar bis hinein in die Garagen und
Wohnzimmer der Protagonisten. Das sind für
ihn nicht in erster Linie die »Hot Rods«, die
aufgemotzten alten Fahrzeuge. Ihn interessie-
ren die Menschen: Topchops und Flatheads,
ölverschmierte Schrauber, mit Pomade fri-
sierte Rockabillies, flankiert von tätowierten
Wasserstoffblondinen an wilden Renn- und
Tanzwochenenden. Um dem Leser und Be-
trachter ein einzigartiges Gefühl für diese
Atmosphäre zu geben, liegen dem Buch zwei
CDs bei, die die Musik der Szene, als auch das
Renngefühl weitergeben. ■ (onkel&onkel)
David Biene
»Hopped-Up – European Hot Rod Culture«
in englischer Sprache · 240 Seiten + 2 CDs
Onkel & Onkel · 29,00 Euro
BüCHER
D A V I D B I E N E : H O P P E D - U P
Low Magazin 9
10 Low Magazin
Der spanische Künstler SpY begann
bereits in den Achtzigern mit seiner
künstlerischen Karriere. Seine ers-
ten Arbeiten in den Straßen Madrids waren
Graffitis. Experimenteller arbeitete er ab den
frühen Neunzigern. Er modifizierte Reklame-
tafeln, klebte riesige Plakate und griff in das
Stadtleben ein.
SpY nutzt das, was ihm im Stadtgebiet zur
Verfügung steht, um damit spielerisch zu ar-
beiten. Er reproduziert urbane Elemente um
sie verändert in das Stadtbild zu integrieren.
Seine Arbeiten sind voller Ironie und Witz. Ein
Lichtblitz und ein Lächeln für jeden, der im
trägen Trott der Stadt gefangen ist.
SpY ist kein Zerstörer, kein untalentierter
Schmierer. Er geht sehr subtil mit seiner Um-
gebung um. Er beobachtet sein Umfeld und
reflektiert es mit Humor. Er ist ein Spion der
Straße. ■ (dw)
STREET ART
S P I O N D E R S T R A S S E
Low Magazin 11
12 Low Magazin
Dunkel wird es wird langsam in
der torstraße. Wie die meisten
Galerien in Berlin-Mitte hat auch
die Merry Karnowsky Gallery ei-
gentlich schon geschlossen. Doch Gregory
teodori hat gerade das Licht angemacht,
setzt sich noch einmal hinter seinen Schreib-
tisch und schiebt erneut die CD in seinen
Computer, die ihm der nette aber doch ir-
gendwie seltsame typ in die Hand gedrückt
hatte, der vor ein paar Monaten plötzlich in
der Galerie stand. Fast hätte er sie zwischen
den Stapeln von Postkarten, CDs, Flyern
und Bildern, die jede Woche bei teodori
landen, nicht mehr gefunden. Nun schaut er
sich Ernesto Canovas’ Menschen mit Hasen-
köpfen schon zum achten oder neunten Mal
an und überlegt. Gleich wird er zum Hörer
greifen und in L.A. anrufen. Gregory muß
Merry endlich von dem Spanier erzählen. Er
soll teil von MKG werden.
Seit einem Jahr gibt es in Berlin eine
Zweigstelle der Merry Karnowsky Gallery
(MKG) aus L.A. Gezeigt werden hier wie
dort Künstler der so genannten Lowbrow-
Szene. Beging die MKG in Kalifornien ihr
10-jähriges Bestehen im Jahr 2007, so feierte
die Galerie in der torstraße gerade ihr ers-
tes Jubiläum mit der Ausstellung »Hard Left
2«, der achten nach der Eröffnungsausstel-
lung »Hard Left«. Neben bekannten Namen
wie Mark Ryden, travis Louie, Miss Van
oder Camille Rose Garcia, die auch bereits
in L.A. zu sehen waren, wurden dort MKG-
Neuzugänge wie der anfangs erwähnte Er-
nesto Canovas, Blue & Joy oder der Berliner
Graffiti-Künstler Superblast gezeigt. Letz-
terer drückte Galerieleiter Gregory teodori
sein Buch im März 2008 bei der Galerieer-
öffnung in die Hand, wodurch der Jahrestag
nicht nur einen Kreis schließt.
Gregory teodori, ein 52-jähriger Glatz-
kopf mit imposantem Schnauzbart, arbei-
tete mit Merry Karnowsky schon in L.A.
zusammen, als sie noch die tamara Baine
Gallery leitete. Dort ging es darum, mög-
lichst viel möglichst teuer zu verkaufen und
viele der Künstler, die Merry mochte und
gerne unterstützt hätte, hatten in der Gale-
rie keine Chance. 1997 gründete sie MKG
und Gregory wurde bald Assistant Director.
Ihre erste Ausstellung zeigte todd und Ka-
Auf Die Herkunftkommt es (nicHt) Anzum 1. geburtstag der Merry Karnowsky Gallery Berlin
TEXT Christian Woelki
thy Schorr, es folgten Kent Williams, Dälek,
FriendsWithYou und viele andere, die heute
weit über die USA hinaus bekannt sind. Als
es darum ging, einen weiteren Ausstellungs-
raum zu eröffnen und New York schnell als
zu offensichtlich abgetan wurde, kam ein
Zufall zu Hilfe. Gregory flüchtete Anfang
2007 vor dem Wahnsinn seines 50. Geburts-
tages nach Berlin und verliebte sich sofort
in die Stadt. »this is the place« übermittelte
er nach L.A. und bewies Weitsicht gegen-
über der zweiten Wahl England. »London
hätte 10-mal mehr gekostet und jetzt ist ihre
Wirtschaft völlig den Bach runter…« fühlt
sich teodori heute bestätigt.
Wenn er heute aus dem Fenster seiner
Wohnung im obersten Stock eines Platten-
baus in Mitte auf den Fernsehturm schaut,
muß er lächeln, wenn er an den Rest des
Jahres 2007 denkt. »Wir haben den Rest des
Jahres die ganze Stadt abgesucht, Charlot-
tenburg, Friedrichshain, Mitte. Man erzählte
uns, daß hier zwischen August- und Lini-
enstraße die alte Garde zu finden wäre. [...]
Mir gefällt, daß hier in der Nähe der tor-
straße die ehemalige Grenze verlief. Diese
Low Magazin 13
Straße ist wie die Grenze, sie ändert sich an-
dauernd.« teodori und Karnowsky konnten
natürlich nicht ständig in Berlin sein für ihre
Suche nach den richtigen Räumlichkeiten.
Es war schließlich die in Berlin lebende Ma-
lerin, Filmemacherin und Musikerin Dani-
elle de Picciotto, die ihnen zu ihrem jetzigen
Standort in dem angesagten Galerienviertel
verhalf.
Mittlerweile haben sich teodori und die
MKG eingelebt in Berlin. Mit einigen be-
nachbarten Galerien ist man befreundet,
besucht sich nach Ladenschluß oder geht
gemeinsam die Nächte durchfeiern. Einige
Künstler, die bei Merry Karnowsky ausstel-
len wollen, offenkundig aber nicht wissen,
wie deren Programm normalerweise aus-
sieht, empfiehlt Gregory auch schon mal
an andere Galeristen, wenn ihm der künst-
lerische Ansatz zusagt. Allerdings komme es
in Berlin sehr auf die Herkunft, sowohl der
Kuratoren als auch der Künstler an, so teo-
dori. Viele der alt eingesessenen Galerien
beäugten es eher skeptisch, wenn Gregory
so offen auf sie zuging und auch noch Leute
empfahl, die er selbst gar nicht kannte oder
bei sich ausstellen wollte. »Unser Fokus liegt
hauptsächlich auf Gemälden, Zeichnungen
oder Drucken aus den Bereichen Pop Sur-
realismus, Cartoon Surrealismus und Stra-
ßenkunst«, erklärt der Gallerist den Ansatz
von MKG. Dabei ist Gregory immer offen
für Neues. Er gab in seinem ersten Jahr ne-
ben Ernesto Canovas, Superblast und Blue
& Joy auch Maryrose Crook aus Neuseeland
eine Chance, so wie er Anfang 2009 anläß-
lich des Mauerfall-Jubiläums entgegen dem
Grundansatz von MKG mit dem Berliner
Szene-Urgestein und Berghain-türsteher
Sven Marquardt auch eine reine Fotoausstel-
lung eines gebürtigen Berliners kuratierte.
Derzeit überlegt er zusammen mit Merry,
welche dieser Künstler sie in das L.A.-Pro-
gramm integrieren können.
In der torstraße steht währenddessen ein
Künstler auf dem Programm, der eine lange
und enge Beziehung zur MKG vorzuweisen
hat und seit dem Wahlkampf von Barack
Obama wohl einer der bekanntesten Pos-
terkünstler der USA geworden ist: Shepard
Fairey a.k.a. Obey Giant. Ihm wird im Juni
eine Print Retrospektive gewidmet, wo ne-
ben äußerst raren Posterdrucken auch eine
neue Kollage zu sehen sein wird: Ein Portrait
Mustafa Kemal Atatürks, des Begründers
der modernen türkei. Diese Persönlichkeit
wollte Fairey natürlich nicht zufällig zuerst
in Berlin präsentieren, sind es in Deutsch-
land doch gerade die türken, die in ähnli-
cher Form wie die Afro-Amerikaner in den
USA eine herausragende Stellung unter den
Minderheiten des Landes mit immer noch
nicht gelösten Integrationsproblemen ein-
nehmen.
Es folgen eine weitere Gruppenausstel-
lung von Juli bis Oktober, Kill Pixie im No-
vember und zum Jahresausklang eine Solo-
Show von Blue & Joy, welche hoffentlich
ähnlich über die Galerie herfallen wird, wie
ihre beiden phantastischen »Hard Left 2«
Beiträge. Doch bevor nun die Obey-Drucke
an die Wände kommen, ist Gregory mit
dem Kopf schon einige Monate weiter: »Wir
schließen gerade die Planung des nächsten
Jahres ab und hoffen, daß wir einige neue
Crossover zwischen L.A. und Berlin hinbe-
kommen.« Lange Nächte sind da wohl vor-
programmiert. ■
Merry Karnowsky Gallery · Torstraße 175 · 10115 Berlinwww.mkgallery.com
Was ist schon ein
gutes Plakat? Da
scheiden sich
die Geister. Die
einen mögen es
schön dekorativ,
manche mit Witz oder intelligenten Hinter-
gedanken und dann gibt’s noch so manchen
Firmenchef, der kann die Qualität seiner
Plakate nur an seinen Umsatzzahlen erken-
nen. Eigentlich läßt sich aber feststellen, daß
ein Plakat dann gut ist, wenn es seine Wirk-
dauer überleben kann, wenn das Datum der
beworbenen Veranstaltung längst vorüber
ist oder es durch eine neue Werbekampa-
gne ersetzt wurde. Erst wenn es nicht mehr
in den Straßen hängt, sondern seinen Platz
an Küchen- und Wohnzimmertapeten be-
kommt, in Sammlerschubladen verschwin-
det oder sogar den Weg ins Museum findet,
dann kann man wohl ganz diplomatisch von
Die polnische
Schule der
Plakatkunst
TEXT Danny Winkler
einem guten Plakat sprechen. In Polen gibt es
besonders viele dieser guten, museumswür-
digen Plakate.
Von DER KUnST zUM DESign UnD zURÜCK zUR KUnSTNicht jeder weiß es, aber unser Nachbarland
im Osten ist ein Land, das für seine Plakate
weltberühmt und hoch angesehen ist. Man
spricht hochachtungsvoll von der polnischen
Schule der Plakatkunst. Diese Schule prokla-
miert keinen festen Stil oder orientiert sich
an einem Manifest. Diese Schule nutzt das
Plakat als künstlerische Ausdrucksform. In
Polen ist das Plakat Kunst! Warum aber ist
gerade in Polen das Plakat so sehr angesehen
und warum entwickelte es sich gerade dort
zu einer Kunstform? Allgemein wird das Pla-
kat als Vermittler und Werbeträger nicht der
Kunst zugeschrieben. In den Designschulen
vieler Länder wird es als Designprodukt be-
posterland
Abb. linke Seite:
Stasys Eidrigevicius
Plakat zum Theaterstück
»Onkel Wania«
1989
Low Magazin 15
16 Low Magazin
links:
Franciszek Starowieyski
»Marriage«
1961
rechts:
Jan Sawka
Plakat zum jazzfestival »jazz nad Odra«
1978
16 Low Magazin
Grund emotional wie auch rational ausdrü-
cken kann. Das intensive Naturempfinden,
das ein guter Künstler hat, ließ sich nun auch
auf eine lebendige Stadtkultur anwenden.
Das waren genau die Voraussetzungen, um
für Kulturveranstal-
tungen wie theater,
Operette, Konzerte und
Kabarett zu werben.
Erst mit dem steigen-
den Einsatz in der Industrie und auf kom-
merziellem Gebiet verlor das Plakat seine
künstlerische Note und verkam langsam
zum Packesel kapitalistischer Interessen. Das
Plakat sollte hauptsächlich Produkte verkau-
fen. Anstatt künstlerische Vorbildung waren
dabei nun andere Voraussetzungen gefragt
– marktorientierte Psychologie zum Beispiel.
Diese Entwicklung fand nach dem zweiten
Weltkrieg vorwiegend in den kapitalistischen
Ländern statt. In Polen dagegen, wo man
einen kommunistischen Weg eingeschlagen
hatte, war das Interesse an verkaufsfördern-
den Maßnahmen nicht sonderlich hoch. Die
polnische Obrigkeit erkannte schnell die
Macht der Plakate auf das Volk und begann
dieses Genre zu fördern. Natürlich nicht
ohne eigenen Nutzen aus der Sache zu schla-
gen, denn in den Jahren nach dem Krieg ge-
brauchten die Polen das Plakat zum Großteil
noch für ihre politische Propaganda. Später,
in den fünfziger Jahren, knüpften polnische
Maler und Grafiker wieder dort an, wo die
frühen Franzosen aufhörten. Sie begannen
wieder verstärkt Kunstplakate für kulturelle
Veranstaltungen zu gestalten. »Kunst wirbt
für Kunst«, war die Devise.
handelt, das seine festgelegten Funktionen
hat und sie auch erfüllen soll. Da Kunst in der
Regel den Anspruch hat, keinen bestimmten
praktischen Nutzen zu erfüllen und Design
nun mal funktionell sein sollte, wird der Aus-
druck »Plakatkunst« eigentlich zu einem in
sich widersprüchlichen Begriff.
Dabei begann alles so schön künstlerisch.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte
sich mit der Erfindung der Farblithographie
das Bildplakat zu einer Spielwiese künstle-
rischen Ausdrucks. Es waren vornehmlich
die Künstler der Avantgarde, die dem Plakat
Kunst injizierten – allen voran die Pioniere
der französischen Plakatkunst Jules Chéret,
Henri de toulouse-Lautrec, Pierre Bonnard
und der tscheche Alfons Mucha. Geübt
durch ihr Leben als Künstler, Maler und Gra-
fiker wußten diese Leute von verschiedenen
Farb- und Formenwirkungen. Sie wußten
wie man sich auf einem zweidimensionalen
»Das Plakat soll singen …« Jan Leneca
Low Magazin 17
Wieslaw Walkuski
Ausstellungsplakat
2002
Low Magazin 17
18 Low Magazin
Franciszek Starowieyski
Plakat zu Dürrenmatts »Frank der Fünfte«
1962
18 Low Magazin
Low Magazin 19Low Magazin 19
UnTER DEM SCHUTz DER KoMMUniSTEnAuch in anderen Ländern gab und gibt es
Künstler, die ähnliche Ansprüche an die
Plakatgestaltung stellten wie die Polen; al-
lerdings blieben es dort weitestgehend Ein-
zelfälle. In Polen wurde das Plakat auf na-
tionaler Ebene gefördert und hatte somit
die Chance, sich über viele Jahre ungestört
entwickeln zu können. Diese künstlerische
Freiheit unter dem Schutz der Kommunisten
ließ die Plakatkunst in Polen aufblühen. Seit
Jahrzehnten wird daher in Polen das Gestal-
ten von Plakaten in den Kunsthochschulen
gelehrt. Ein feiner, aber gravierender Unter-
schied zu anderen Ländern, wo die Plakatge-
staltung meist im Zuständigkeitsbereich der
Designschulen liegt.
Das polnische Plakat entwickelte sich in
seiner Blütezeit – in den fünfziger und sech-
ziger Jahren – zu einer eigenständigen Kunst-
form und avancierte zu einer Art National-
kunst. Jeder in Polen hat durch die Plakate
auf den Straßen Zugang zur Bildenden Kunst
bekommen können, was der Popularität des
Plakates nur dienlich sein konnte. Der reiche
Schatz in Polens Kunstlandschaft hielt sich
aber keineswegs in den nationalen Gren-
zen. Der internationale Ruf des polnischen
Plakates war und ist beispielhaft. Polnische
Plakate gewannen Preise bei Ausstellungen
und auf den einschlägigen Poster-Biennalen
in aller Welt. Polnische Künstler arbeiteten
in Paris oder unterrichteten in Mexiko. 1966
fand zum ersten Mal die Warschauer Poster-
Biennale statt und zwei Jahre später eröffnete
ebenda das erste Plakatmuseum der Welt.
Polen wurden zum Posterland.
DER PLaKaTPioniER PoLEnSEiner der Künstler, der den Weg der polni-
schen Schule der Plakatkunst geebnet hat,
war Henryk tomaszewski. Der Illustrator
und studierte Maler bekam Ende der vier-
ziger Jahre den Auftrag, Plakate für die
Filmvertriebsgesellschaft »Film Polski« zu
gestalten. Seine Werke waren keine gewöhn-
lichen Filmplakate. Er verzichtete darauf,
lediglich Filmausschnitte und die Haupt-
darsteller in heldenhaften Posen abzubilden.
tomaszewski ging sehr unkonventionell und
künstlerisch an die Sache. Er transformierte
die Geschichten und Assoziationen, die der
Film mitbrachte, in seine eigene, teils ver-
schlüsselte Bildsprache. Er konzentrierte die
Essenz der Film- und theatergeschichten in
klare Formen und in flächige Farben. Einen
sehr wichtigen teil nimmt in tomaszewskis
Plakaten die typographie ein – die Schrift-
gestaltung. Er sah davon ab, den Filmtitel in
möglichst plakativen Buchstaben in Szene
zu setzten. Vielmehr benutzte er die Schrift
als eigenständiges Grafikelement, das sich
dem Ganzen unterzuordnen hat. Schon al-
lein diese subtile Herangehensweise, die to-
maszewski pflegte, beschreibt prinzipiell die
Grundpfeiler der polnischen Plakatkunst.
Intelligente Gedanken und Hintergedan-
ken, unkonventionelle Sichtweisen und das
Erkennen einer der Sache innewohnenden
Substanz sind neben der Persönlichkeit des
Künstlers die Dinge, die das polnische Plakat
zu dem gemacht haben, was es ist.
tomaszewskis Einfluß auf die polnische
Plakatkunst war enorm. Als Professor für
Plakatgestaltung an der Warschauer Kunst-
akademie von 1952 bis 1985 förderte er die
künstlerische Eigenständigkeit der Gra-
fikstudenten. Die Plakatlandschaft Polens
wurde mit diesen neuen Geistern reicher. Die
Ernsthaftigkeit und die lakonische Bildspra-
che in der Plakatgestaltung, die sich in den
fünfziger Jahren weiter herausbilden konnte,
waren ein großer Gewinn für die Kunst des
Landes.
EinFLÜSSE & STiLAuch hinter dem eisernen Vorhang blieben
der kulturoffenen Nation Polens die Ent-
wicklungen in der Kunst nicht verwehrt. Der
Kubismus und der Expressionismus hinter-
ließen dabei genauso ihre Spuren wie auch
der Surrealismus und die damals in den
Fünfzigern moderne Abstrakte Kunst. All
diese Stilrichtungen verankerten sich in der
polnischen Kunstszene und vor allem waren
sie der Plakatkunst dienlich. Die Abstraktion
eignete sich hervorragend für den formalen
Gehalt eines Plakates. Um Empfindungen
und persönliche Auffassungen eines theater-
stücks oder einer Oper geschmackvoll wie-
derzugeben, griffen einige Künstler surreale
Elemente auf. Das Kunstplakat Polens sprach
vornehmlich mit seinem Bild und der darin
verstrickten Symbolik durch die individuelle
20 Low Magazin20 Low Magazin
Stasys Eidrigevicius
Plakat zum 100. Todestag von Vincent van Gogh
1990
Low Magazin 21Low Magazin 21
Persönlichkeit des Künstlers. Die Schrift, die
im kommerziellen Werbeplakat so wichtig
geworden war, nahm teilweise eine unterge-
ordnete Stellung ein. Oft diente sie nur der
ornamentalen Vervollständigung der eigent-
lichen Bildwelt, um sie gestalterisch zu unter-
streichen. Viele polnische Plakatkünstler ver-
wendeten dazu ihre eigene Handschrift und
Kalligraphie oder malten das gesamte Plakat
am Stück mitsamt seiner Schrift. Das gab der
Gestaltung buchstäblich die handschriftliche
Note des Künstlers.
Jan LEniCaNeben Henryk tomaszewski gab es weitere
Künstler, denen man großen Pioniergeist in
den glorreichen Zeiten des polnischen Pla-
kates zuschreibt. Einer von ihnen ist Jan Le-
nica, einer der berühmtesten Plakatkünstler
Polens. Der studierte Architekt war nicht nur
ein hervorragender Grafiker, er betätigte sich
auch erfolgreich auf dem Gebiet des Anima-
tionsfilms, zeichnete satirische Illustrationen
für Zeitschriften und war Kunstkritiker. Er
sagte einmal: »Das Wesen des Plakates ist Ab-
wehr und Angriff zugleich: Abwehr vor der
Umgebung, gegen andere Plakate, gegen die
Straßenarchitektur, und gleichzeitig der An-
griff auf den Passanten. Die Methoden des
Angriffs können verschieden sein: Eine der
wirksamsten ist, wie ich es auffasse, der An-
griff durch Überraschung.«
Lenica schlug in seinen Plakaten oft po-
etische und lyrische töne an. Seine Gestal-
tungen sind wie Bildgedichte und melodiöse
Lieder. »Das Plakat soll singen …«, sagte er
einmal. Lenica verwendete wie tomaszewski
sehr einfache Formen, die in ihrer Schlicht-
heit alles vereinten was wichtig war für die
Wirkung des Plakates, für den Angriff und
die Abwehr und die Überraschung.
DiE anDEREnIn den sechziger Jahren gab es in Polen viele
ausgereifte und gute Plakatkünstler. Einer
von ihnen dominierte das Straßenbild Polens
mit seinen Werken in dieser Zeit wie kaum
ein anderer: Roman Cieslewicz. Er war ein
Meister des Experiments in der Formenge-
staltung. Gerade in den Sechzigern stürzte er
sich auf ein Feld, das nicht mehr die tradi-
tionellen Werkzeuge wie Pinsel und Farbpa-
lette benötigte. Cieslewicz beschäftigte sich
hauptsächlich mit Collagetechniken und ar-
beitete mit der Fotografie. Seine durchaus re-
volutionären Ansätze brachten weitere neue
Impulse in die Plakatkunst Polens und präg-
ten sie über Jahre. Weitere neue Injektionen
brachte Franciszek Starowieyski. Bereits in
den sechziger Jahren malte er märchenhaft-
surrealistische Plakate – ein Stil der heute
typisch ist für das polnische Plakat. Staro-
wieyskis Plakate sind anders als die Arbeiten
von Lenica, tomaszewski oder Cieslewicz,
wurden aber doch mit dem selben Feinge-
fühl und dem polnischen Gespür für die
Substanz des beworbenen Werks gemacht.
Die düsteren Farben, die rätselhaften Welten
und die Mehrdeutigkeiten der altmeister-
lich gemalten Plakate eröffneten den Pla-
katkünstlern großartige Möglichkeiten für
schwere Dramen und tragödien in theater,
»Der Salon der Plakate ist die Straße« Henryk Tomaszewski
Henryk Tomaszewski
»Ladies & Hussars«
1977
22 Low Magazin
obere Reihe v.l.n.r.:
Franciszek Starowieyski
»A Year of the Quiet Sun« (1984)
Mieczyslaw Górowski
»Policja« (1982)
Wieslaw Walkuski
»Idioci« (1999)
mittlere Reihe v.l.n.r.:
Sebastian Kubica
»jazz Posters« (2006)
Franciszek Starowieyski
»Twarza w twarz« (1973)
Stasys Eidrigevicius
(2002)
untere Reihe v.l.n.r.:
Stasys Eidrigevicius
»Zamek« (1987)
Joanna Górska & Jerzy Skakun
»Kret« (2008)
Stanislaw Miedza-Tomaszewski
»Cyrk« (1974)
22 Low Magazin
Low Magazin 23
Film und Oper. In den Siebzigern und Acht-
zigern reifte diese Stilrichtung und brachte
viele interessante Blüten hervor. Stasys Eidri-
gevicius, Mieczysław Górowski oder Wiesław
Wałkuski sind auch heute noch beliebte und
gefragte Leute der alten polnischen Schule
der Plakatkunst.
DaS PoLniSCHE PLaKaT HEUTEViele Künstler und Freunde der traditions-
reichen Plakatkultur Polens sehen die Ent-
wicklung dieser Kunstrichtung ab den neun-
ziger Jahren mit eher gemischten Gefühlen.
Seitdem sich Polen ab 1989 einem anderen
politischen System zuwandte, hielt auch der
Kapitalismus wieder Einzug im Land. Der
marktwirtschaftliche Wettbewerb brachte
unzählige konsumorientierte Plakate und
Plakatwände ins Stadtbild. Das anspruchs-
volle Kunstplakat wurde zunehmend von
den Straßen verdrängt und fand seinen Platz
in Nischen intellektueller Kreise, in theatern
und Ausstellungsräumen. Dazu kam die Ver-
breitung des Personalcomputers. Der altein-
gesessene Plakatkünstler Waldemar Swierzy
sagte dazu vor ein paar Jahren in einem Inter-
view: »Heute ist jeder PC-Besitzer überzeugt,
daß er damit alles machen kann, zum Bei-
spiel grafische Zeichen, Logos, Reklame und
Plakate. Aber das sind wertlose Produkte, die
nichts in einem bewegen, wenn man sie an-
schaut. Es gibt alte Plakate, an die man sich
heute noch erinnert, so suggestiv waren sie.
Aus der heutigen visuellen Werbung merken
wir uns fast nichts.«
Die Seele des polnischen Plakates wird
heutzutage von weitaus weniger Künstlern
und Galerien gepflegt. Auch in Polen über-
wiegt inzwischen das reine Konzeptplakat
und unterscheidet sich nur noch selten vom
Kommunikationsdesign anderer Länder.
Wurden früher für importierte Filme noch
extra für den polnischen Markt wunder-
schöne und kreative Kunstplakate angefer-
tigt, so finden heute wie überall die gleichen
Filmplakate Verwendung, die nach ein und
demselben Schema aufgebaut sind.
Die technischen Möglichkeiten, Photo-
graphie und Schrift kinderleicht zu einem
Plakat zusammenzustellen, sind heute weit
verbreitet. Selbst wenn Amateure, Werbegra-
fiker oder Hobbydesigner die gestaltungs-
technischen Grundlagen beherrschen, wird
ihnen immer das fehlen, was die Besonder-
heit des polnischen Kunstplakates ausmacht
– der künstlerische Blick und die Gabe, Seele
in ein Plakat zu bringen. ■
Hubert Hilscher
Zirkusplakat
1964
ABBILDUNGEN MIT FREUNDLICHER GENEHMIGUNG VON CONTEMPORARYPOSTERS.COM, DES WILANóW POSTERMUSEUMS IN WARSCHAU UND DER KÜNSTLER Low Magazin 23
24 Low Magazin
Wiesław Wałkuski ist einer der
populärsten Plakatkünstler Po-
lens. Mit seinen dramatischen
und surrealistischen Plakat-
entwürfen inszeniert er wie
ein Regisseur Theaterstücke,
Filme und Konzerte für den
Papierbogen. Wałkuski wurde
1956 in Bialystok in Polen ge-
boren. Er studierte von 1976
bis 1981 an der Kunstakademie
in Warschau. Seit 1987 ist er
freiberuflicher Künstler. Er lebt
und arbeitet in Warschau.
24 Low Magazin ABB. LINKS: WIESLAW WALKUSKI · PLAKAT ZU »DER TRUBADOUR« VON VERDI · 2002 · ABB. OBEN RECHTS: WIESLAW WALKUSKI · PLAKAT ZUR jULES MASSENETS OPER »WERTHER« · 1994
Low Magazin 25
Herr Wałkuski, ihre Bilder sprechen
eine deutliche surrealistische Spra-
che. Woher kommt das?
Surrealistisch? Ich habe nie über die Sprache
meiner Bilder nachgedacht. Ich habe nie ver-
sucht meinen eigenen Stil und meine eigene
Sprache zu erfinden. Das ist alles natürlich.
All das kommt aus meiner inneren Natur, mei-
nem Geist, meiner Lebenserfahrung und mei-
nem Blick auf die Dinge denen ich begegne.
Die meisten ihrer Plakate sind gemalt. Haben
Sie jemals andere Techniken ausprobiert?
Ich bin kein Grafikdesigner. Ich bin ein Maler.
Für mich gibt es keine Notwendigkeit andere
»Offen gestanden:Ich mag keine Plakate!«
Techniken zu benutzen. Offen gestanden: Ich
mag keine Plakate! Ich mag nur die Malerei,
wo auch immer sie zur Anwendung kommt.
Wenn Sie ein Plakat für einen Film oder ein
Theaterstück machen, wie bereiten Sie sich
darauf vor, eine Idee für das Plakat zu fin-
den?
Ich öffne einfach meinen Geist dem Thema
des Films oder des Theaterstücks und versu-
che das Thema zu SEHEN. Nicht irgendetwas
zu erfinden, sondern nur den Inhalt zu SEHEN.
Ich weiß wirklich nicht wie das passiert. Das
ist eine Frage für einen Psychologen.
Was sind ihre Haupteinflüsse?
Mein Leben.
Wieviele Plakate haben Sie bisher entwor-
fen?
Etwa 250.
Was ist die Essenz der polnischen Schule der
Plakatkunst?
Malerischer Gehalt, Intelligenz, Humor, Über-
raschung, Ausdruck, Individualität, nicht
Kommerz – die nobelsten Eigenschaften.
Ist das polnische Plakat von heute noch in
dieser besonderen Position wie in früheren
Jahren?
Absolut nicht. Die guten Zeiten sind vorbei.
Der Kommerz hat die Oberhand.
Was machen Sie neben dem Gestalten von
Plakaten?
Malen natürlich.
Was würden Sie all den jungen Plakat-Künst-
lern da draußen sagen, was das allerwich-
tigste an einem Plakat ist?
Ich würde sagen: Das wichtigste an einem
Plakat bist DU! ■
wieslaw walkuski
Low Magazin 25
26 Low Magazin
Low Magazin 27
THETHINKING MAN’S POSTERARTIST
Low Magazin 27
amerikanische
Posterkunst von
EmekTEXT Mario Marquardt
Low Magazin 29Low Magazin 29
PLAKAT »MARS VOLTA«
58,4 CM x 81,3 CM
SIEBDRUCK IN 3 FARBSCHICHTEN
2008
ABBILDUNG LINKE SEITE:
PLAKAT »THE DECEMBERISTS«
SIEBDRUCK IN 11 FARBSCHICHTEN
2007
30 Low Magazin30 Low Magazin
»UNCLE SAM«
ACRYL AUF KARTON
CD & DVD-COVER FÜR
BAD RELIGION
Low Magazin 31
Kinder viel Zeit im Studio der Eltern, lernten dabei wie
man schweißt, modelliert, druckt und zeichnet und ganz
nebenbei erhielten sie auch ein Gespür für gute Musik,
da im Haus immer irgendwo eine Schallplatte lief. Emek:
»Als wir noch Kinder waren, legten meine Eltern immer
Beatles-Scheiben auf und mein Bruder und ich tanzten
dazu. Als ich zehn Jahre alt war, nahmen sie mich eines
tages aus der Schule, um mich zu einem Konzert von
Pink Floyd mitzunehmen, zu ›the Wall‹ – das hat mich
echt umgehauen, in eine neue Welt abtauchen lassen«
So ließ es sich eben nicht vermeiden, daß auch die
Kinder eine künstlerische Veranlagung entwickelten.
Emeks Schwester fing an Mini-Comics zu malen und
sein Bruder schrieb und illustrierte gemeinsam mit Erich
Origen eine Parodie auf das amerikanische Kinderbuch
»Goodnight Moon« von Margaret Wise Brown. Ihre Pa-
rodie nannten sie »Goodnight Bush«. Worum es in die-
sem Buch geht, braucht man hier wohl nicht weiter zu
erklären. Es wurde jedenfalls ein Bestseller.
Was aus Emek selbst wurde, können wir heutzutage
sowohl auf Konzertpostern als auch auf vielen politi-
schen Plakaten sehen. In einer »ganz normalen« Familie
würde man für solche Werke viel Lob und Anerkennung
ernten, nicht so bei Emeks Familie, den Golans: »Ich
hab zeitig lernen müssen, daß sie nicht leicht zu beein-
drucken sind – wenn deine Eltern, dein Bruder und deine
Schwester alle Künstler sind, erzählen sie die ganze Zeit
wie sie dieses oder jenes besser machen würden, anstatt
dir einfach ein Kompliment zu machen.«
Als Emek anfing Poster zu machen, war es ihm sehr
wichtig nur für Bands zu arbeiten, deren Musik er mag.
Er fand aber schnell heraus, daß es nicht immer darum
geht, die Musik zu mögen, sondern um den Prozess, den
man mit den Künstlern durchzustehen hat. So kann es
schon einmal vorkommen, meint er, daß er mit einer
Band, die er mag, absolut nicht zusammenkommt, da sie
ihn nicht in Ruhe arbeiten läßt und ihre eigenen Ideen
Fast schon bei der Ge-
burt abgeschrieben,
hatte Emek ein sehr
schwieriges, oft tragi-
sches Leben. Nachdem
er als Kind jahrelang
dazu gezwungen wurde, in einem Plutoniumbergwerk zu
arbeiten, gewann er eines von wenigen Bergbaustipendi-
en für die Kunsthochschule. Was er nicht wußte – damit
begannen seine Probleme erst. Auf der Kunsthochschule
schloß er sich den schlimmsten Leuten an, welche, nachdem
sie ihren Abschluß hatten, in die Welt der Kriminalität als
freischaffende Künstler abrutschten. Von ihnen hat man
nie wieder etwas gehört. Die einzige Möglichkeit für Emek,
diesem hoffnungslosem Schicksal WERBUNG, welches
seinen Kollegen widerfahren ist, zu entgehen, war es, ein
Rock’n’Roll-Künstler zu werden.«
Ob es wirklich seine einzige Chance war, mit seinem
talent etwas zu erreichen, wissen wir nicht. Was wir aber
wissen, ist, daß man diesen text mit einem Augenzwin-
kern lesen sollte. Dieser kleine Ausschnitt aus Emeks
selbstverfaßter und auf seiner Webseite nachzulesenden
Biographie liest sich um einiges interessanter als seine
wirkliche. Schon an dieser ironischen Herangehenswei-
se an das eigene Leben kann man erkennen, daß Emek
sich selbst und sein Gesamtkunstwerk nicht allzu ernst
nimmt. Was er aber sehr wohl ernst nimmt, ist die Arbeit
an jedem einzelnen seiner Werke, seien es politische Pla-
kate, Rockposter oder Zeichnungen.
Obwohl sein Leben nicht dieses von vielen Leuten
an Künstlerleben erwartete Leid und Elend beinhaltet,
kann man es dennoch oder vielleicht auch gerade des-
halb nicht übergehen. Emeks Eltern waren selbst Künst-
ler. Seine Mutter malte zenbuddhistische Kalligraphien
und sein Vater zeichnete und druckte riesige politische
Poster. Emek und seine zwei Geschwister verbrachten als
32 Low Magazin
»IMMER wENN IcH GEfRAGT wERdE, wElcHES MEIN lIEblINGS-POSTER IST, ANTwORTE IcH: MEIN NäcHSTES.«
32 Low Magazin
verwirklicht sehen will. Wobei hingegen »andere Bands,
die zwar nicht dem eigenen Musikgeschmack entspre-
chen, dem künstlerischen Schaffensprozess sehr respekt-
voll und enthusiastisch gegenüber stehen.«
Emek genießt es, in seiner Kreativität nicht einge-
schränkt zu werden. Am meisten motiviert es ihn, wenn
die Bands ihm nur eine Auflage mit auf den Weg geben:
»etwas Cooles zu liefern«. Bands, die ihre kompletten ei-
genen Ideen in einem Kunstwerk verewigt sehen wollen
und es sich herausnehmen Emek zu diktieren, sollten
genügend Geld mitbringen, so
Emek, als Wiedergutmachung
sozusagen. »Heutzutage wissen
aber die meisten Bands, wie ich
arbeite, das macht es einfacher.«
Und was dabei herauskommt,
wenn man Emek in Ruhe ar-
beiten läßt, kann man in seinen
Postermotiven sehen und füh-
len: Poster, auf denen im Detail
noch ein Detail im Detail zu se-
hen ist. Emek ist nur ganz selten
der Meinung, mit einer Arbeit
fertig zu sein. »Bei den meisten
Arbeiten denke ich: Wenn ich
doch nur noch einen tag mehr
Zeit hätte. Ich arbeite fast immer
bis zur allerletzten Sekunde und
wenn ein Poster dann endlich
fertig ist, sehe ich für gewöhn-
lich immer noch Dinge, die ich
hätte machen können, die anders hätten sein können. Ich
bin nie zufrieden, das spornt mich an. Immer wenn ich
gefragt werde, welches mein Lieblingsposter ist, antworte
ich ›mein nächstes‹.«
Dieser Einstellung verdankt er es, daß bei jedem sei-
ner Plakate die komplette Posterwelt in helle Aufregung
versetzt wird. Es sind seine ungewöhnlichen Poster, sei-
ne ungewöhnlichen Herangehensweisen. Er ist ein Star
in der weltweiten Posterszene. Obwohl seine Werke fast
immer sehr filigran und detailreich gezeichnet sind,
kann man ihn dann im Druckprozess häufig als Mann
des Groben bezeichnen. Dann kann es schon einmal
vorkommen, daß er eine Gasmaske trägt, um nicht die
giftigen Dämpfe einer flüssigen, heißen Kunststoffmasse
einzuatmen oder daß er in einer alten Fabrik an einer rie-
sigen antiken Druckerpresse steht. Je abwegiger eine Idee,
je unlösbarer sie erscheint, desto mehr spornt es ihn an,
diese in die tat umzusetzen.
Emek beschreitet Wege in der Plakatkunst, an die an-
dere Posterkünstler nicht einmal im traum denken wür-
den und so platt es auch klingen mag, Emek bekommt
seine meisten Ideen im traum, wacht dann auf und denkt
sich: »Wow, das wäre cool,
das hat noch niemand vor
mir gemacht, aber wie um
Gottes Willen stelle ich
das an!?«
Zum Glück kommt es
ihm dabei zugute, in solch
einem kreativen Haushalt
aufgewachsen zu sein.
»Ich will, daß meine Pos-
ter eine Herausforderung
werden, sie sollen anders
sein, genau das ist es, was
es für mich immer wieder
spannend macht. Ich kann
mich auf all die Erfahrun-
gen in den verschiedenen
Kunstrichtungen aus mei-
nem Elternhaus stützen.
Kann mit diesen unter-
schiedlichen Ansätzen ex-
perimentieren. Also suche ich mir ein Medium und eine
Methode um meine Idee umsetzen zu können. Meist
durch probieren und wieder probieren, bis ich endlich
Erfolg habe und das Endprodukt vor mir liegt.«
Dieses Endprodukt kann auch schon einmal ein Pos-
ter sein, welches eigentlich keines mehr ist. Für ein Kon-
zert der Queens of the Stoneage zum Beispiel bastelte er
einfach ein paar Drehscheiben für ein twisterspiel und
für die thievery Corporation mußte es unbedingt ein
Druck in der dritten Dimension sein. Auf seiner Webseite
emek.net findet man einige bebilderte Kurzanleitungen
über seine ungewöhnlichen Arbeiten.
3D-PLAKAT
»THIEVERY CORPORATION«
45,7 CM x 70 CM x 1,3 CM
3D-GUSS BEMALT
2002
(MAKING-OF AUF SEITE 34)
Low Magazin 33
34 Low Magazin34 Low Magazin
DAS MAKinG-OF: Emeks 3D-Poster für
»Thievery Corporation«
1
2
3
4
6
5 7
GESTALTEN UND ZEICHNEN DER SCHRIFTELEMENTE
ZEICHNEN DES PLASMANS
ANMISCHEN DER GIFTIGEN FORMMASSE
UNORDNUNG
DIE GEGOSSENE MASTER-FORM BILDET EIN NEGATIV DES MOTIVS. DARIN WERDEN DIE EINZELNEN ABGÜSSE GEGOSSEN.
DIE ABGÜSSE WURDEN AUS DER MASTER-FORM GE-NOMMEN UND TROCKNEN IM GARTEN BIS SIE ANGE-MALT WERDEN KöNNEN
DAS FERTIGE 3D-POSTER
1
23
45
6
7
Low Magazin 35
Bis zur Ideenfindung unterscheidet sich seine Arbeits-
weise aber kaum von anderen Posterkünstlern. Er stellt
Recherchen an über die Bands, ihre Musik, den Veran-
staltungsort. Wenn die Band dann mit dem Entwurf zu-
frieden ist, dauert es etwa ein bis zwei Wochen um zu
drucken und einige tage um zu nummerieren und zu
signieren. »Verpacken und Verschicken nimmt auch sehr
viel Zeit in Anspruch, schließlich möchtest du dir vorher
nicht all die Arbeit gemacht haben und diese am Ende
wegen transportschäden ruiniert sehen.«
Beschäftigt man sich mit Emek und seinen Plakaten,
stößt man immer wieder auf zweierlei Dinge. Zum einen
den Slogan »the thinking Man’s Poster Artist« und zum
anderen auf viele, viele Skelette.
Zu seinem Slogan meint Emek: »Vor 15 Jahren, zu der
Zeit, als ich anfing Poster zu machen, gab es haufenweise
Darstellungen von solchen Mädels in teufelsgestalt und
andere Bezüge zu popkulturellen Dingen. Meine Arbeit
sollte konzeptioneller sein. Es hatten natürlich auch an-
dere Künstler solche Slogans, naja, jedenfalls sagte eines
tages ein befreundeter Musiker, mit dem ich gerade ar-
beitete, zu mir: ›Now you’re thinking‹ und ich erwiderte
›Yeah, I’m the thinking man’s poster artist.‹ Dabei blieb es
einfach. Eine Art Witz eigentlich, es machte aber auch ir-
gendwie Sinn. Heute arbeiten ja viel mehr Posterkünstler
konzeptionell.«
Konzeptionell hin oder her, Skelette müssen aber eben
auch bei Emek herhalten. Nur liefert er dafür auch gleich
eine tiefgründige Erklärung. »Allein der Gedanke, daß
unter jedem lebenden, atmenden, schönen Ding Blut,
Innereien und Knochen stecken, das ist faszinierend.
›Blood and Gore‹ (intensive Gewalttätigkeit, Metzelei;
Anm. der Redaktion) hab ich nie gemocht, aber eben die
mechanische Funktionsweise von Muskeln und Skelet-
ten… Knochen sind immer in uns und sie sind das, was
von uns übrig bleibt, wenn wir nicht mehr sind. Deshalb
muß es auch unbedingt solche ›anstößigen‹ Arbeiten
»blOOd ANd GORE HAb IcH NIE GEMOcHT«
geben, um uns einerseits an unsere Ängste zu erinnern,
aber uns anderseits auch die Realität unter der Oberflä-
che zu zeigen.«
Wie sein Vater und sein Bruder, ja eigentlich wie die
komplette Familie, ist auch Emek ein sehr politischer
Mensch. Er läßt es sich nicht nehmen auch hin und wieder
provokante politische Poster mit in sein Repertoire auf-
zunehmen. Meist
richten sich diese
gegen die Republi-
kaner, in den letz-
ten Jahren natürlich
überwiegend gegen
Bush, der für die
meisten amerika-
nischen Künstler
der Inbegriff des
Bösen und gleichzeitzig eine Witzfigur ist. Dies spiegelt
sich auch auf Emeks Postern wieder.
Zum Abschluß interessiert uns daher natürlich noch,
wie er jetzt über Obama denkt, über den Machtwechsel,
ob es sich jetzt überhaupt noch lohnt, politische Poster
zu machen, und ob er sich mit seiner öffentlichen Mei-
nung auch Feinde gemacht hat. »In unserem Familien-
leben hat Politik schon immer eine große Rolle gespielt,
schon immer haben wir uns gemeinnützig engagiert. Na-
türlich macht man sich unweigerlich Feinde, wenn man
seine Meinung laut verkündet, aber im Großen und Gan-
zen sind Menschen, die Kunst und Musik schätzen dabei
toleranter. Daher sind es nur die engstirnigen Leute, die
mit meiner Meinung nicht einverstanden sind, aber ich
fände es sowieso besser, wenn die meine Arbeiten nicht
sammeln. Obama ist viel besser als Bush, aber die kor-
rupten Unternehmen, welche Bush kontrolliert haben,
sind immer noch stark und besitzen immer noch Macht.
Politische Poster werden immer wichtig sein. SIE kont-
rollieren die Medien, aber die Straßen gehören UNS. ■
36 Low Magazin
GourmetWürste
& KunstdrucKeDer Decoder Ring Design Concern ist mehr als eine werbeagentur
DIE DREI VON DER WÜRSTCHENBUDE. DIE DECODER RING BOSSE GEOFF PEVETO, PAUL FUCIK UND CHRISTIAN HELMS (V.L.N.R.)
Low Magazin 37
GourmetWürste
& KunstdrucKe
In der üblichen Grafikdesign- und Wer-
bewelt ist Wahrgenommenwerden und
Image alles. Wie gewinnt also ein klei-
nes Unternehmen mit Sitz in Austin,
texas, das sich nach einem Spielzeug
aus einer Kindermüslipackung be-
nannt hat, landesweit Aufmerksamkeit – und
Kunden? Obwohl sie stetig Aufmerksamkeit
gewinnen konnten und großartige Werbung
in einer Vielzahl von Medien herausbrachten,
finden die einzelnen Mitarbeiter Zeit, um sich
für Nebenprojekte zu engagieren. Darunter
ist ein Spezialitäten-Restaurant mit außer-
gewöhnlich leckeren Hot Dogs und ein am-
bitioniertes Kunstsiebdruck-Projekt mit den
derzeit angesagtesten alternativen Künstlern.
Der Decoder Ring Design Concern (DRDC)
ist mehr als eine Werbeagentur.
In einer Welt von seltsamen korporati-
ven Firmenphilosophien ist die Philosophie
von DRDC einfach: »Arbeit, die wir lieben
für Kunden, die wir bewundern«. Einige der
besten früheren Sachen sind Plakate, Plat-
tencover und anderes Material für Bands wie
Modest Mouse und the Hold Steady, die Pla-
kate der Obama-Präsidentschaftskampagne
für die Initiative für jugendliche Wähler, Far-
mers Fare in Maine und Pauls zweimonatige
Surfboard-Designstudie in Neuseeland.
Gegenwärtig arbeiten sie zusammen mit
John Bielenberg an einer erstaunlichen Mar-
kenentwicklung für Farmers Fare. Das Res-
taurant »Frank« entsteht. Sie arbeiten mit
David Bazan an einer Verpackung für sein
neues herausragendes Album auf Barsuk Re-
cords. Weiterhin entstehen einigen Sachen
für die Black Sheep Bar, ein neuer Pub in
Austin, und für thunderbird Hotel & Ball-
room in Marfa.
Obwohl das Unternehmen außerhalb der
großen Werbezentren Nordamerikas ope-
riert, blieb all diese Arbeit nicht unbemerkt.
In der Design- und Werbewelt erhielt DRDC
Aufmerksamkeit mit Beiträgen beim »Step
100« (ein Designwettbewerb, Anm. der Redak-
tion), einem Beitrag im Communication Arts
Magazin und Siege bei den Design Annuals,
sowie Christians tätigkeit als Jurymitglied
des CA Design Annuals. Ihre Arbeit war im
Print Magazine und auf der Biennale in Chi-
cago vertreten. »Man könnte noch viel mehr
aufzählen, aber das wäre langweilig«, sagt
Peveto.
CHRISTIAN HELMS
Er hat ein Diplom
in journalismus/
Massenkommu-
nikation von der
Universität North
Carolina/Chapel
Hill mit Hauptstu-
dium am Portfolio
Center. Danach
arbeitete er unter
Michael Beirut für
Pentagram, für
verschiedene ande-
re Agenturen und
freiberuflich.
GEOFF PEVETO
Er ist eine Hauptfigur des
Studios mit Photographiever-
gangenheit. Er gründete Factor
27, ein Unternehmen in Austin,
das auf Entertainmentdesign
spezialisiert war. Er brachte
auch das Peterbelly Magazine
heraus. Siebdruck ist eins sei-
ner Fachgebiete, Bier trinken
ein anderes. In seiner Freizeit
hat er es geschafft das Ame-
rican Poster Institute, das die
Flatstock-Shows auf die Beine
stellt, mitzugründen und ihm
als Präsident zu dienen.
PAUL FUCIK
Das dritte Mitglied des
Teams gestaltet und
druckt seit seiner Kindheit.
Unterstützt wurde das
durch seine Skateboard-
und Surfstudien während
der Pausen auf der Design-
schule. Auch er hat Factor
27 mitgegründet und
setzt seine umfangreichen
Siebdruckerfahrungen in
die Tat um. Gelegentlich
arbeitet er auch für die
Coronado Studios als
Meisterdrucker.
TEXT & INTERVIEW
Andy MacDougall
38 Low Magazin
Ihr seid gerade umgezogen. Eure neu-en Räumlichkeiten sind großartig. Gebt uns bitte einen kurzen Überblick über die Raumaufteilung und wie sie eure Firma verbessert hat!Geoff: Wir sind glücklich, den Raum mit
einem talentierten und exzentrischen Land-
schaftsarchitekten zu teilen, so sind wir
jetzt von Bambus und einer landschaftlich
tadellos gestalteten Anlage umgeben. Es ist
unglaublich entspannend im Vergleich zu
unserem letzten Büro. Das Gebäude, ein altes
renoviertes Haus, ist groß genug für einzelne
Arbeitsbereiche, einem Konferenzraum und
unseren Siebdruckbetrieb.
Arbeitet ihr meistens mit lokalen, nationa-len oder internationalen Klienten? Aus wel-chen Geschäftsbereichen kommen sie?Christian: Seltsamerweise haben wir lan-
desweit eine Menge Arbeit, oft für größere
Agenturen und Mu-
siklabels und hier
und da auch ein paar
internationale Sa-
chen. In den vergan-
genen Jahren haben
wir auch für regionale
Restaurants, Firmen
und Einzelhandelsunternehmen gearbeitet
und ihnen geholfen eine eigene Sprache und
eine eigene Identität zu finden. Musik ist ein
kleinerer teil des Pensums als am Anfang,
aber immer noch ein sehr wichtiges Element.
Wir sind alle immer noch Musikfreaks.
Geoff: Nach wie vor lieben wir es, Poster zu
machen und zwei oder drei im Monat her-
auszubringen. Wir werden auch weiterhin
bei Flatstock (Rockposter-Shows, Anm. der
Redaktion) dabei sein, weil es einfach Spaß
macht. Auch die Kunstdruckserie die wir
kuratieren und drucken geht weiter. Es gibt
einfach zu viele Künst-
ler mit denen wir diese
Arbeit fortsetzen wol-
len.
Wohin geht die Mu-sikindustrie aus Sicht des Grafikdesigns, des
Marketings und der Werbung und welche Rolle spielt DRDC dabei?Geoff: Es wird interessant. In mancher Hin-
sicht haben sich die Anforderungen für Grafik
im digitalen Zeitalter geändert. Manche La-
bels legen weniger Wert auf die Verpackung.
Allerdings scheint das Wiederaufleben von
Vinyl und Plakaten eine direkte Gegenreakti-
on zu den digitalen Bestandteilen zu sein, die
den Fans nichts Visuelles bieten können.
Christian: Ja, die Leute wollen noch immer
etwas Handfestes, etwas Fühlbares, das die
Musik repräsentiert die sie damit verbinden.
DECODER RING IST ALLES ANDERE ALS EINE SCHICKIMICKI-WERBEAGENTUR. LINKS: CHRISTIAN UND PAUL BEIM HANDSIEBDRUCK, RECHTS: VERPFLEGUNGSTÜTEN DER MITARBEITER
»Fans wollen immer eine
Art Fahne, durch die sie
sich selbst mit der musik,
die sie lieben,
identifizieren können.«
Low Magazin 39
Es sind vor allem Merchandisesachen, Poster
und andere Artikel. Fans wollen immer eine
Art Fahne, durch die sie sich selbst mit der
Musik, die sie lieben, identifizieren können.
Schon seit den Anfängen seid ihr stark am American Poster Institute beteiligt. Wächst die Rockposterbewegung weiter oder hat sie sich eingepegelt?Geoff: Sie scheint immer noch zu wachsen.
Jedes Flatstock bringt einen neuen Schub
Postermacher und meist auch wirklich groß-
artige. Mindestens einen vielversprechenden
Neuen gibt es in der Regel auch jedesmal
wenn Clay die Neuzugänge auf www.gigpos-
ters.com aktualisiert. Wir werden von Bands
kontaktiert, die nicht immer eine Vorge-
schichte mit Plakaten haben. Sie sind daran
interessiert sich ganze tourserien machen zu
lassen. So werden die Leute aufmerksam.
Hat die Wirtschaftskrise eher DRDC oder das American Poster Institute getroffen?Christian: Wir sind bei Decoder tatsächlich
beschäftigter als jemals zuvor. Eine Rolle
dabei spielt timing, die Aufrechterhaltung
langandauernder Beziehungen und daß die
Leute, angesichts der Wirtschaftlichkeit, eher
zu uns kommen als zu größeren Agenturen
zu gehen. Wir sind glücklich darüber, mo-
mentan an ein paar wirklich großen Projek-
ten zu arbeiten.
Geoff: Das letzte Flatstock in Austin blieb
etwa zehn Künstler unter seiner normalen
Kapazität. Wenn wir mit den »Stammgästen«
die nicht da waren sprechen, kommt heraus,
daß sie eher nicht verreisen konnten, weil sie
so beschäftigt waren. Geld spielte da keine
Rolle. Wir hatten viele Besucher und es war
bisher das größte SXSW (Musikfestival in
Austin, Anm. der Redaktion). Die Leute soll-
ten die Nachrichten ausschalten und einfach
weiter arbeiten.
CD-GESTALTUNG DES MODEST MOUSE ALBUMS »WE WERE DEAD BEFORE THE SHIP EVEN SANK«
UNTEN: SIEBDRUCKPLAKAT FÜR EIN MANU CHAO KONZERT
40 Low Magazin
denen wir Spaß haben können und heraus-
zufinden, wie wir etwas zusammen aufbauen
können.
Erzählt uns etwas über die Art-Print-Serie!Geoff: Paul und ich, wir beide drucken und
wir betreiben das Siebdruckstudio, wo wir in
erster Linie nur Decoder Ring Sachen dru-
cken. Eines tages saßen wir beide da und
überlegten wofür wir unseren Raum noch
nutzen könnten und wir beschlossen, Kunst-
drucke zu machen. Unsere Gigposter blieben
in der Regel im Drei- bis Vierfarbbereich,
doch wir wollten unsere Druckfähigkeiten
vorantreiben, deshalb fertigen wir in unse-
rer Serie Drucke mit 15 bis 25 Farben. Wir
arbeiteten mit großartigen Künstlern wie Jay
CHRISTIAN HELMS BEIM DRUCKEN DES JAMES VICTORE
KUNSTDRUCKS »ART IS A TOOL«
DECODER RING HABEN EINEN GUTEN RUF IN DER ROCKPOSTER-SZENE: SIEBDRUCKPLAKATE FÜR DIE KINGS OF LEON VON 2008 (LINKS) UND SPOON AUS DEM JAHRE 2005 (RECHTS)
Was ist »Frank«?Geoff: »Frank« ist ein Projekt an dem ich ge-
rade mit meinem Kumpel Daniel Northcutt
der im Restaurantgeschäft ist, arbeite. Selt-
samerweise gibt es keine guten Hot Dogs in
Austin. Gelangweilt von miesen Chili-Dogs
machten Daniel und ich unseren eigenen La-
den auf. Es wird klassische Chili-Dogs und
Chicago-Dogs geben, wie auch Gourmet-
würste gepaart mit handgemachtem Käse
und selbstgemachten Saucen. Und für unsere
deutschen Freunde wird auch Currywurst
auf der Karte stehen.
Christian: Ich kümmere mich um das Bran-
ding und mein jüngerer Bruder zog von Ca-
rolina runter um als Chefkoch zu fungieren.
Wir freuen uns, Menschen zu finden mit
Low Magazin 41
Ryan, tara McPherson, Dalek, Gary Base-
man und anderen. Du kannst die ganze Serie
unter www.thedecoderring.com/shop/prints
sehen.
Habt ihr eine gute stupid client story?Christian: Wir haben keine dummen Kli-
enten. Das Leben ist zu kurz um mit diesen
Leuten zu arbeiten. Allen Ernstes, wir haben
Glück gehabt mit einer Menge Leute zu ar-
beiten, die wir bewundern und mit denen
wir Spaß haben. Abgesehen von Dan von
Aesthetic Apparatus. Er war sternhagelvoll
als er mit uns an seinem Druck arbeitete.
Bleibt ihr in der Zukunft in dieser Beset-zung oder wollt ihr expandieren?Christian: Wir haben ein Netzwerk von ta-
lentierten Mitarbeitern, auf die wir nach Be-
darf zurückgreifen können, ansonsten halten
wir uns klein und fein.
Geoff: Wir mögen die Größe unseres Unter-
nehmens. Sie erlaubt uns eine engere Zusam-
menarbeit mit dem Kunden.
Habt ihr einen Traumklienten?Geoff & Christian: Wir würden gern für eine
Bierfirma arbeiten.
Vervollständigt diesen Satz: Wenn wir es uns leisten könnten würden wir ... kaufen.Geoff: Ein Riesenstudio mit jeder erdenkli-
chen Art von Druckmaschinen.
Christian: ... und eine Brauerei
Abschließende Worte. Eure Kommentare zu irgendeinem Thema.Geoff: Christian Helms ist ein Riesen-
schlappschwanz!
Christian: Sterilisiert und kastriert eure
Haustiere. Bleibt auf dem teppich und greift
weiter nach den Sternen. ■
KUNSTENGAGEMENT IM HAUSE DECODER
RING: ZWEI SIEBDRUCKE AUS IHRER AUF-
WENDIGEN KUNSTDRUCKSERIE. RECHTS
»THE FIDELITY AND CASUALTY« VON AES-
THETIC APPARATUS IN 19 FARBSCHICHTEN
UND UNTEN DER KUNSTDRUCK VON AARON
HORKEY VON BURLESQUE OF NORTH AME-
RICA MIT 21 FARBEN GEDRUCKT.
42 Low Magazin
Im Bild: ANARCHY TROOPER (10 Inch, 2008)1984 LABBIT (10 Inch, 2009)SMOKIN JOE (Obey Edition, 4 Inch, 2006)DUNNY Endangered Series (3 Inch, 2009)DUNNY Series 4(3 Inch, 2007)HUMBUG DUNNY (3 Inch, 2005)
42 Low Magazin
Low Magazin 43
Gigposter und andere limited edition prints haben etwas
ganz Besonderes an sich, denn sie promoten meist neben
Acts und Events auch den Designer des Posters. So haben
sich eine Reihe von Künstlern inzwischen einen Namen gemacht,
und ihre Drucke sprechen eine eindeutige Bildsprache, genauso
wie ihre Art toys.
Die Faszination Urban Art toys funktioniert nach ähnlichem
Prinzip, denn neben dem Hersteller stehen die Künstler im Ram-
penlicht. So gesehen ist es also nicht verwunderlich, daß einige der
bekannten Posterkünstler inzwischen erfolgreich toys gestalten.
Und im Gegensatz zu der Vielzahl an Illustratoren, die hin und
wieder die Ehre haben eine Figur zu gestalten, gibt es Gesichter
innerhalb der Gigposter-Szene, die inzwischen eine Vielzahl an
collectibles geschaffen haben.
Die gezeigten Beispiele veranschaulichen vor allem eines: Egal
wann oder wie viele Poster und toys diese Künstler bereits gestal-
tet haben, ihr persönlicher Stil unterscheidet sie stark voneinander
und das macht sie interessant. Einerseits gibt es einen Wiederer-
kennungswert, andererseits legen sie viel von ihrer Persönlichkeit
in die Arbeiten – und die Arbeiten selber werden auch irgendwie
teil ihrer Persönlichkeit.
Die große Gemeinsamkeit zwischen Gigposter und toys ist vor
allem für Sammler ein wichtiger Punkt: Sie sind leistbar! Und da-
her wunderbare Plattformen. ■
FRANK KOZIKDer gebürtige Spanier lebt seit 1976 in den
USA und versteht es wie kaum ein ander-
er, seine Toys zu vermarkten. Angefangen
hat es aber bei ihm mit Grafikdesign, mit
der Gestaltung einer Vielzahl an Tourpos-
tern. Kozik hat in seiner Laufbahn unter
anderem für die Red Hot Chili Peppers,
Nirvana, Pearl jam, Sonic Youth, Pixies,
Beck, Soundgarden und die Beastie Boys
gearbeitet. Sein Stil hat ihm Aufträge von
Oakley, Nike, BASF und MTV verschafft.
Inzwischen kümmert er sich aber haupt-
sächlich um seine Art Toys, und davon gibt
es eine ganze Menge. Die Bekanntesten
haben eines gemeinsam: Eine Zigarette.
So gibt es neben den Smoking Mongers
u.a. die Smorkin’ Labbits, rauchende Dun-
nys und smoking Qees. Ein anderes Thema
das sich durch seine Arbeit zieht, sind Re-
ferenzen an »The Shining«, viele seiner
Toys gibt es als redrum-Versionen.
Unabhängig von Hersteller und Plattform
hat Frank Kozik den Designer Toys seinen
Stempel aufgedrückt, wie eine Vielzahl an
Produkten beweist. Da er unter anderem
für Kidrobot, Toy2R, Adfunture, jamungo
und andere gearbeitet hat, ist es unmög-
lich alle seiner Figuren aufzulisten.
OFF THE WAll
Persönlicher Stil ist meist
medienübergreifend. Das gilt
auch für Posterkünstler.
TEXT & FOTOS Lilo Krebernik
44 Low Magazin
Im Bild: BUBBLE YUCKY DUNNY (8 Inch, 2007)DUNNY Series 4 (3 Inch, 2007)DUNNY LA Series (3 Inch, 2006)GAMMA MUTANT SPACE FRIENDS (3 Inch, 2009)
TARA McPHERSON
Die New Yorker Künstlerin Tara
McPherson ist bekannt für ihre un-
glaublichen Gigposter für Alternati-
ve Bands wie Death Cab For Cutie,
Queens Of The Stone Age, Modest
Mouse, Melvins und Beck, aber
auch für Duran Duran und Depe-
che Mode! Ihr Stil ist sehr stark von
Comics geprägt, und es verwun-
dert nicht, daß sie unter anderem
während ihres Praktikums bei den
Rough Draft Studios an »Futura-
ma« mitgearbeitet hat. Bekannt
wurde Tara unter anderem mit Il-
lustrationen eines Mädchens mit
gebrochenem Herzen, das sie sym-
bolisch aus ihrem Körper nimmt.
Dieses Motiv hat sie 2006 bei der
Dunny LA Series auf einem Dunny
umgesetzt und somit die Basis für
weitere Toys geschaffen. Inzwi-
schen sind einige weitere Vinyltoys
gefolgt, unter anderem Dunnys,
Ace und Ion sowie zuletzt ihre ei-
gene Mini-Serie »Gamma Mutant
Space Friends«.
Low Magazin 45Low Magazin 45
46 Low Magazin
JIM PHIllIPSEin Grafiker der alten Schule, der
bereits vor mehr als 25 jahren ein
richtiges icon geschaffen hat, ist jim
Phillips. Seine Arbeit als Designer bei
Santa Cruz Skateboards hat ihn weit
über die Szene bekannt gemacht,
und seine Poster, Sticker und Decks
mit der Screaming Hand sind legen-
där. Seine Rockposter für Motorhead,
Canned Heat und The Doors gelten als
Meilensteine für viele Illustratoren,
und die Bücher über seine Arbeiten
fehlen in keinem guten Designstu-
dio. Vor allem in den letzten jahren
wurden seine Arbeiten neu aufgelegt
und remixed, zuletzt für Produkte von
Skullcandy, Grenade Gloves und seine
Screaming Hand als Art Toy von Gara-
ge Works/Made by Monsters.
Im Bild: SCREAMING HAND (10 Inch, 2007)
46 Low Magazin
Low Magazin 47
SHEPARD FAIRY
Auch durch seine Poster bekannt
wurde Shepard Fairey, zuletzt
natürlich in der öffentlichkeit
durch sein »Hope« Wahlposter
für Barack Obama. 1989 startete
er mit seiner »André the Giant
has a Posse« Stickerkampagne,
aus der sich in weiterer Folge
»Obey Giant« entwickelte.
Faireys Stil ist geprägt von kom-
munistischen Propaganda-Pla-
katen und Schablonen, und er
erarbeitete sich damit schnell
einen Ruf als gefragter Künst-
ler für Plattencover und Poster.
Neben den Black Eyed Peas,
Smashing Pumpkins, Flogging
Molly, Led Zeppelin und Anthrax
gestaltete er das Filmposter für
»Walk The Line« und eine Serie
limitierter Prints seiner Ikonen
wie Run DMC, Sid Vicious, joe
Strummer, joan jett und Henry
Rollins.
Als bekanntester Streetartist
war es nur eine Frage der Zeit,
daß er für verschiedene Herstel-
ler Toys gestalten konnte, und
es gibt neben Qees und Dunnys
zum Beispiel einen VW Bus von
Mattel sowie zuletzt Meldun-
gen über die ersten Prototypen
des Mr. Spray Characters als Art
Toy.
Im Bild: STEALTH BOMBER DOG QEE (8 Inch, 2005)
Low Magazin 49
Ein interview mit
Victor Castillo
über Chile,
Cartoons und
seine Malerei
artoon-Figuren mit Wurstnasen sind sein
Markenzeichen – eine Bildsprache, die den
Einstieg in seine Kunstwelt für jeden erleich-
tert. Seine Charaktere scheinen offensichtlich
heiter und witzig, aber hinter Victor Castillos
Bildern steckt weit mehr als ein reiner visu-
eller Effekt.
Der 36-jährige Künstler wurde im süd-
amerikanischen Santiago de Chile geboren
und wuchs dort während der Militärdiktatur
Augusto Pinochets auf. Seine Werke sind ge-
prägt von den düsteren Zeiten seines Landes,
von der Unterdrückung, der Zensur und der
Verfolgung, aber auch vom starken Einfluß
der USA und deren Kultur auf Chile in die-
ser Epoche. Victor Castillo lebt und arbeitet
heute in Barcelona in Spanien und in Santi-
ago de Chile; seine Bilder hängen in Galerien
in Europa und Amerika.
C Als ich das erste Mal Kontakt zu Victor
aufgenommen hatte, schrieb er mir E-Mails
von einer abgelegenen Insel irgendwo bei
Südamerika, in der Nähe von Chile.
Was treibst Du auf einer chilenischen In-sel?Ich nehme Abstand von allem, speziell von
der Stadt. Die Möglichkeit zu haben, die
Natur und die Stille zu genießen und da-
bei Energie zu tanken, ist perfekt. Danach
kommt man mit einem klareren Kopf zurück
in die Stadt. Es ist immer gut, manchmal die
Perspektive zu wechseln.
Existieren in Chile eine lebendige und un-abhängige Kunst und eine Untergrund-Kunst-Szene?Neben den gängigen klassischen Avantgar-
disten, die sich konzeptionell mit dem poli-
tischen Kontext der Siebziger und Achtziger
MANNFRISSTMANN
TEXT & INTERVIEW Danny Winkler
Abbildung linke Seite: »Un tornado arrazo mi ciudad y mi jardin primtivo« 2008 · Acryl auf Leinwand · 145 cm x 145 cm
50 Low Magazin
beschäftigen, besteht momentan Interesse an
neuen Richtungen, die von gängigen inter-
nationalen trends beeinflußt sind, nicht nur
in der Kunst, auch in der Musik, im Design
und in der Mode. Alles geht durch den Filter
der chilenischen Eigenart mit ihren Beson-
derheiten. Dank des Inter-
nets ist die lokale Kunstszene
nicht mehr so isoliert, wie sie
es früher einmal wegen ihrer
geographischen Lage war.
Wieviel Freiheit hatten Künstler in Chile innerhalb der Diktatur?Während der Diktatur gab
es überall in Chile Angst und
eine rüde Zensur. Diese hallt
noch immer, hauptsächlich
in den konservativen Me-
dien, nach. Während ihrer
dunkelsten Periode war es
wirklich gefährlich ein politisch engagierter
Künstler zu sein. Mehrere Künstler wurden
wegen der politischen Hinterfragung in
ihrer Arbeit festgenommen, gefoltert und
verbannt. Es gibt eine Anekdote die meiner
Meinung nach sehr gut das Konzept der auf-
gezwungenen Kultur schildert: Während mi-
litärischer Razzien wurden Museen geplün-
dert, Kunstwerke zerstört und eine Menge
Bücher verbrannt, einschließlich der Bücher
über Kubismus, weil das Militär dachte, sie
bezögen sich auf Kuba. Es war eine buchstäb-
lich graue Epoche.
Hast du schon in deinem Heimatland Chile ausgestellt?Ja, sehr oft. Ich hab auch schon ein paar
Preise gewonnen. In der Presse wurde auch
des öfteren über mich berichtet. Aber erst
seitdem ich bedeutende Ausstellungen in
großen Museen hier in Chile habe.
»Mehrere Künstler wurden wegen der
politischen Hinter-fragung in ihrer
Arbeit festgenommen, gefoltert und
verbannt.«
Abbildung oben: »Lie to me« 2008 · Acryl auf Leinwand · 100 cm x 100 cm · Abbildung unten: »Stupid Anyway« 2009 · Acryl auf Leinwand · 100 cm x 100 cm
Low Magazin 51Abbildung: »Chick Habit« 2007 · Acryl auf Leinwand · 50 cm x 50 cm
52 Low Magazin
Welche Ausbildungen hast Du genossen?Ich bekam eine herkömmliche Grundausbil-
dung, so sehr zensiert und manipuliert, wie
ein öffentliches Schulwesen innerhalb einer
Diktatur nur möglich sein kann. Danach war
ich ein enttäuschter Student an der Kunst-
akademie. Ich betrachte mich als einen gut
informierten selbsterlernten Künstler.
Wann warst Du auf der Kunstakademie?Seit 1990 ging ich durch unterschiedliche
Kunstschulen. Ich verließ sie alle enttäuscht,
bis es damit endete, daß ich die schlimmste
von allen besuchte: Die Katholische Schule
der Künste. Die Unverträglichkeit war so
groß, daß ich schließlich von dort verwiesen
wurde. Du kannst dir vorstellen wie das ist,
Kunst an einem Ort zu studieren, an dem du
nicht über Sex, Religion oder Politik sprechen
kannst. Das macht überhaupt keinen Sinn.
Deine Bilder nehmen einen starken Bezug auf das 18. und 19. Jahrhundert, hinsicht-lich alter viktorianischer Photographien und der düsteren Atmosphäre später Ge-mälde von Francisco de Goya. Was verbin-det dich mit diesen alten Zeiten?Viktorianische Ästhetik, die manchmal so
romantisch sein kann und ein anderes Mal
mit ihrer Pracht so arrogant wirkt, mit ihrer
Eleganz und ihrer Würde, erinnert mich an
den imperialen Stolz, der heute in verschie-
denen symbolischen Formen der Machtde-
monstration sehr präsent ist. Auf der ander-
en Seite bin ich von Goya fasziniert, weil
diese düstere Atmosphäre in einer so guten
Art und Weise die Natur der menschlichen
Leidenschaften darstellt. Das Verbinden von
Goya und viktorianischer Ästhetik ist eine
der visuellen Strategien mit denen ich mich,
wie in einer Art Metapher, an themen wie
die Stetigkeit der faktischen Mächte (Die
tatsächlichen Machtinhaber wie Armee, Bank-
Wann und warum kamst Du nach Spanien?Im November 2004 wurde ich zum interna-
tionalen Festival zeitgenössischer Kunst im
»Contemporary Culture Centre« in Barce-
lona eingeladen. Der Zuspruch war überwäl-
tigend.
Gibt es für dich unterschiedliche Einflüsse auf den zwei Kontinenten, auf denen Du ar-beitest und lassen sich dabei visuelle Unter-schiede in deinen Bildern feststellen?Selbst wenn die Hauptbezugsquelle meiner
Einflüsse das Internet und andere Massen-
medien sind, liefert jeder Ort – sei es Chile,
Spanien oder sonst wo – verschiedene visu-
elle, politische und emotionale Inspiratio-
nen, die direkten Einfluß auf meine Arbeit
haben.
Was machst Du neben dem Malen und dem Kunstschaffen?Das künstlerische Schaffen nimmt all meine
Zeit in Anspruch. Eigentlich bräuchte ich
viel mehr Zeit, um all das zu tun, was ich
tun muß und tun will, zum Beispiel um an
Skulpturen, Anima-
tionen, Musik oder
Comicprojekten zu
arbeiten.
Also ist Kunst Dein Hauptberuf.Es ist ein Vollzeit-
Job. Kunst und Le-
ben sind ein und
dasselbe für mich – entdecken, koordinieren,
verbinden, kreieren und produzieren. Es gibt
keinen bestimmten Zeitplan für die Arbeit.
Wenn ich nicht im Atelier bei der Arbeit bin,
arbeitet mein Verstand trotzdem weiter, weil
irgendetwas um mich herum inspirierend
sein könnte.
»Du kannst dir vorstellen wie das ist, Kunst an einem Ort zu studieren, an dem du nicht über Sex,
Religion oder Politik sprechen kannst.«
Abbildung: »Moonshadow« · 2009 · Acryl auf Leinwand · 100 cm x 100 cm
Low Magazin 53
wesen oder Medien. Anm. der Redaktion) an-
nähere.
Warum benutzt du die visuelle Sprache des klassischen amerikanischen Cartoons?Ich wuchs in einem Land und in einer Zeit
auf, wo visuelle und kulturelle Einflüsse sehr
begrenzt waren. Das Fernsehen mit seinem
belehrenden Monopol zeigte meist Serien
und tV-Programme aus den USA. Wie jedes
Kind wuchs ich fasziniert von Walt Disney,
Merry Melodies, Looney tunes und einer
ganzen Reihe klassischer Zeichentrickfilme
auf. Wie könnte ich den politischen Einfluß
dieser Figuren außer Acht lassen, die solch
ein wichtiger teil meines Lebens und mei-
nes Landes waren? Heutzutage haben diese
Charaktere einen gemeinsamen Platz, einen
idealen Raum, um Identifikation mit dem
gewöhnlichen Zuschauer zu schaffen und
ihn zum Nachdenken anregen.
Mit welcher Absicht malst du Cartoon-Fi-guren und Würstchen?Ich bin davon überzeugt, daß es in meinem
Fall effektiver und amüsanter ist, menschli-
che Leidenschaften durch Karikatur und Hu-
mor darzustellen.
Was ist die Aussage Deiner Kunst?In wenigen Worten: »Mann frisst Mann«.
Wir haben uns nicht sehr verändert seit den
Zeiten, als Menschen in Höhlen lebten. Wir
benehmen uns wie Wilde. In meiner Arbeit
versuche ich eine Art tragikomisches Porträt
der heutigen Gesellschaft zu schaffen, mit
dem ich ihr trotz des dunklen Humors, zu-
tiefst mißtraue. Die Welt ist ein Dschungel. ■
Abbildung: »Supplica a Mia Madre« · 2007 · Acryl auf Papier · 44 cm x 33 cm
54 Low Magazin
Urban Knitting ist die sanfte Masche
der graffiti-Kunst
in den Städten tobt der Kampf gegen die Kälte des Be-
tons. illegale, wärmebringende Strickwaren verbrei-
ten sich unaufhaltsam im Stadtgebiet. Die zeiten, in
denen das Stricken als beliebte Freizeitbeschäftigung
den großmüttern und Urgroßmüttern vorbehalten
war, sind ein für alle mal vorbei. Jetzt klappert die
Subkultur mit der Stricknadel aus dem Untergrund.
Stricken avanciert zur revolutionären gegenkultur.
TEXT Danny Winkler
GUERILLASTRICKEN
Low Magazin 55Low Magazin 55
56 Low Magazin
Magda Sayeg, die Begründerin des Urban Knittings und Chefin des
Knitta Please Kollektivs mißt ihre Strickzeiten in Filmlängen: »Ein ge-
mütliches Stoppschild braucht ungefähr einen Film«, sagt sie.
Foto: john Calhoun
In Houston/texas, im Süden der Verei-
nigten Staaten, sitzt die Boutique-Be-
sitzerin Magda Sayeg in ihrem Laden
und strickt. Diesmal strickt sie keinen
Pullover, keine Socken und auch kei-
nen Schal. Masche für Masche entsteht aus
den blauen und rosa Wollknäueln ein klei-
ner dünner Schlauch. Magda möchte den
stahlgrauen Griff ihrer Ladentür zum Leben
erwecken – sie strickt ihm einen wollenen
Wärmer. Das bringt sie auf eine Idee. In ih-
rem Stadtviertel scheint ihr alles ziemlich tot
– Beton, Stahl, Glas. Grau und vor allem kalt
ist es dort. Magda beginnt den Dingen auch
außerhalb ihres Ladengeschäfts kleine woh-
lig-warme Anziehsachen zu stricken: Stop-
Schildern, Straßenlaternen, Steinbrocken.
Das Urban Knitting – urbanes Stricken – ist
geboren. »Ich wollte, daß die Welt lebendiger
aussieht, belebter.« erklärt Magda.
Die heute 35-Jährige führt nicht nur
die Boutique »Raye« im zentralen Stadtteil
Neartown/Montrose in Houston, sondern
im Prinzip auch ein ganz normales Leben.
Sie hat Familie und ein Diplom in Mathe-
matik und sie mag die Musik von Johnny
Cash. trotzdem begibt sie sich auf die schiefe
Bahn, auf ein illegales terrain, denn sie ge-
staltet mit ihrer Strickerei den öffentlichen
Raum ohne jegliche Genehmigung. »Aber du
mußt schon ein ziemlich gelangweilter Cop
sein, um mich festzunehmen«, relativiert sie
ihre kriminelle Energie. Ihr Gestricktes stößt
fast durchweg auf Wohlwollen und lächelnde
Menschen. Lediglich Ratlosigkeit steht so
manchem Passanten ins Gesicht geschrie-
ben. »Sie verstehen meine Überlegung nicht.
Wenn ich meine Idee, Wärme in die Welt zu
bringen, erkläre, scheinen sie aber fasziniert
und angenehm überrascht zu sein.«
Die direkten Reaktionen bekommt die
adrette Revoluzzerin nur selten mit. Wie fast
alle ihrer Streetart- und Graffiti-Kollegen,
Low Magazin 57
Mit einem Türgriff an der La-
dentür ihrer Boutique fing
alles an. Seitdem hinterließ
Magda Strickzeichen nicht nur
in ihrer Heimatstadt Houston,
sondern zum Beispiel auch in
Paris und an der großen Mau-
er in China.
Low Magazin 57
58 Low Magazin
wenn Magda Sayeg die Stricknadeln beiseitelegt und zur Strickmaschine
greift, muß es schon um etwas so großes wie einen Bus gehen.
58 Low Magazin
Low Magazin 59
agiert auch sie verdeckt aus dem Untergrund.
Magda sieht ihr Eingreifen in den Stadtraum
mit der Graffiti-Kunst eng verwandt, denn
auch ihre Strickereien verändern öffentliche
Räume. »Meine Kunst wirkt mit unserer
alltäglichen Umgebung zusammen und ist
denen zugänglich, die von einer Kunstwelt
die sich nur Akademikern und Kuratoren er-
schließt, ausgeschlossen sind«, erklärt sie.
Autoantennen, Verkehrsschilder und Sta-
tuen mit leuchtend-bunten Socken und Pul-
lovern sind neu im Stadtbild. Die Absichten,
die Magda Sayeg dahin treiben, diese Sachen
zu stricken und auszusetzen sind von recht
edler Natur. Der augenscheinlichste Grund
ist sicher der Witz an der Sache. »Definitiv
gibt es eine humorvolle Absicht, Strickereien
in den Straßen anzubringen, wo sie nie hin-
gehörten und wo sie jetzt mit dem maskuli-
nen Ausdruck der Spray-Dosen und Straßen-
kultur konkurrieren«, sagt sie. Aber sie sieht
auch eine starke politische Relevanz in ihrer
Arbeit, indem sie auf all den Zement und
den Stahl in unserem städtischen Lebens-
raum verweist und damit zeigen möchte,
was in unserer Welt fehlt, nämlich Wärme.
Für Magda ist es wichtig, den Menschen
klarzumachen wo sie leben, ihnen die Augen
zu öffnen und zu zeigen, was um sie herum
passiert und »um vom Stoppschild oder dem
Feuerhydranten zu wissen, an denen sie je-
den tag vorüber gehen«, wie sie es trefflich
formuliert.
Magda ist aber keineswegs die Einzel-
kämpferin mit der Stricknadel im Großstadt-
dschungel. Schon zu Beginn gab es Mitstrei-
ter an ihrer Seite. Mit denen gründete sie das
Knitta Please Kollektiv. Anfangs versuchte
sie ihre Idee erst einmal einer Freundin, die
ebenfalls strickte, zu erklären. »Sie verstand es
erst nicht«, sagt Magda, aber diese Freundin
gab ihr eine unfertige Babydecke und schloß
sich ihr an. »Wir nahmen diese halbfertigen,
frustrierenden Strick-Bündel und verwan-
delten sie in öffentliche Installationen.« Ihr
Projekt explodierte dann relativ schnell und
es kamen Leute, die sie fragten ob sie in ihrer
Strickgruppe mitwirken könnten. Seitdem
wuchs das Knitta Please Kollektiv zu einer
stattlichen Armee wärmebringender Strick-
soldaten heran; alles Frauen und Männer im
Alter zwischen 25 und 75 Jahren. Jeder von
ihnen handelt aber meist eigenständig. Das
Kollektiv hat inzwischen auch andere Stricker
dazu inspiriert, ihre eigenen Crews zu grün-
den. »Das ist teil meiner Mission, anderen
zu helfen, ihre eigenen Gruppen aufzubauen
und eventuell für ein gemeinsames Projekt
zusammenzubringen«, erklärt Magda.
Inzwischen sind strickbegeisterte Mit-
menschen weltweit der Idee des Urban Knit-
ting gefolgt und wickeln die Metropolen auf
allen Kontinenten in Stricksachen ein. Da
gibt es zum Beispiel die Gruppe »Knit Sea«
in Finnland oder »Masquerade« in Schwe-
den. Das »International Fiber Collabora-
tive« zum Beispiel strickte einmal eine ganze
tankstelle inklusive der tanksäulen ein und
einen Baum mitsamt seiner Blätter.
Magda selbst hat bereits fast über die
komplette Erdkugel ihre Maschen verteilt. Sie
strickte an der großen chinesischen Mauer,
in vielen Städten der USA, in Frankreich,
Deutschland, Schweden, den Niederlanden,
Australien und Mexiko. Hin und wieder re-
alisiert sie dort selbst offizielle Großprojekte.
Eines ihrer außergewöhnlichsten Projekte
war ein gewöhnlicher Stadtbus, den sie in Me-
xico City von oben bis unten einstrickte. Bei
den großen Flächen eines solchen Gefährts
scheute sie auch den Einsatz von Strickma-
schinen nicht. Im Inneren des auf dem Plaza
Luis Cabrera geparkten Busses wurden dann
Strickworkshops abgehalten.
Wolle unter freiem Himmel bleibt stets
eine temporäre Angelegenheit. Wenn die
gestrickten tags nicht gerade von Passanten
abgenommen werden um sie bei eBay zu
versteigern, verblassen sie mit der Zeit an Ort
und Stelle. »Was ich an meinen teilen mag,
ist, daß sie am Anfang leuchtend, wirken sich
aber mit der Zeit dem anpassen, um das sie
gewickelt wurden. Das Garn absorbiert den
Ruß und die Verschmutzung und nimmt den
Charakter an, den es umgibt«, sagt Magda.
Die Stadt, die sich selbst schluckt. Das
ewige Nebeneinander von Anonymität,
Dreck, Bewegungen und solchen bunten
Gegenbewegungen wie das Urban Knitting
ist vielleicht genau das, was eine Stadt zu
einer pulsierenden Stadt werden läßt. Der
Guerilla-Kampf mit Wollgarn und Strickna-
del ist zwar sanft, wirkt aber umso tiefer im
Gemüt des trottenden Stadtbewohners: »Als
ich den Bus in Mexiko einhüllte lächelten die
meisten Menschen und sie schienen meine
Motivation alltägliche Objekte in der Öffent-
lichkeit zu dekorieren zu verstehen.« ■
60 Low Magazin
I ch arbeite ausschließlich mit Holz,
das ich in Abfallcontainern, in verlas-
senen Gebäuden und an abgelegenen
Küsten überall auf der Welt finde.
Ich verwende das Holz in seinem ur-
sprünglichen Anstrich. Für meine modernen
Ikonen benutze ich keine Farben. Angefan-
gen habe ich mit amerikanischen Musclecars
aus den Siebzigern, jetzt gehe ich aber mehr
und mehr in Richtung Haushaltsartikel und
Porträts.
Die Idee für dieses Vanitas (oder »Skull
I«) hatte ich in den tagen als Damien Hirsts
Multimillionen-Dollar-Schädel in Amster-
dam gezeigt wurde. Mir gefiel die Spannung
zwischen Hirsts Diamanten und meinem
»wertlosen« Holz um einen anderen Schädel
zu schaffen. Es ist mein Ziel begehrenswerte
Objekte aus Materialien zu machen, die die
Menschen gedankenlos wegwerfen.
Es hat sich erwiesen, daß sich das manch-
mal Jahrhunderte alte Holz, das ich ver-
wende äußerst gut für einen Schädel eignet.
Dieses ist von Insekten befallen, hat Feuch-
tigkeitsflecken und ist heruntergekommen,
wie ein Schädel der seit Jahrhunderten in
der Erde lag. Normalerweise mache ich Bil-
der von meinen Objekten, auch im Fall des
originalen Schädels. Ich habe ihn schon
lange in meinem Besitz; erworben von ei-
nem Amateurarchäologen in der höllandi-
schen Stadt Leiden. Er hatte ihn an einem
Ort ausgegraben, wo Jahrhunderte vorher
ein Nonnenkloster stand. Es wird angenom-
men, daß der Schädel einer Nonne aus dem
17. Jahrhundert gehörte. ■
Diederick Kraaijeveld,
Amsterdam (Niederlande)
D I E D E R I C K K R A A I J E V E L D V A N I T A S / S K U L L I
Keiner weiß über das Kunstwerk besser
bescheid als der Künstler, der es gemacht hat.
Wir zeigen in jeder »Canvas Story« einen
Künstler mit einem seiner Werke. Und nur der
Künstler kommt zu Wort.
»Vanitas / Skull 1« · 2008
gefundenes Holz im ursprünglichen anstrich und nägel
69 cm x 130 cm x 4,5 cm
CANVAS STORY
»Selbstportät« · Holz
62 Low Magazin
E ine Minnesängermaus spielt
einige sehnsuchtsvolle töne.
Das Lied wird zum Kampf, eine
Jagd über eine amphibische
Landschaft, die Luft stickig von
der Hitze der Schlacht. Ein Ritter ist dabei,
sich langsam in sich selbst aufzulösen. Die
Zweige und verdrehten Ranken des Sumpfes
verschlingen die Rüstung, das harte Außen-
skelett gibt nach unter dem hartnäckigen
Vordringen des krebsartigen Zellstoffs. Der
Stahl Albrecht Dürers verschlungen von den
Blütenblättern Martin Johnson Heades. Die
bleiche Erscheinung einer Kröte attackiert
den fliehenden Ritter. Ihr Herz schlägt an
der Luft, doch da ist kein Blut. Ihre Haut
ist dünn wie Papier, trocken vor Neid. Ihre
Zunge schnellt heraus und umklammert das
Bein des Widders. Ihre geschickten Finger
fangen die Pfeile der Nymphe mit dem Bo-
gen.
Die Szene wirkt wie eine japanische Geis-
tergeschichte durchweicht mit der tragik
Grimm’scher Märchen. Die kreuzweise Be-
stäubung der Genres übersät die Lotusblät-
ter. Der glitzernde Rogen ist reif und voller
Blut. In der Ferne steigt ein Mond auf, als
Hommage an Yoshitoshis »100 Ansichten
des Mondes«. Doch warum wirkt die Nym-
phe so gelassen und selbstsicher? Rettet sie
den Ritter oder stürzt sie ihn ins Verhäng-
nis? Jetzt sieht die Kröte klagend und ver-
zweifelt aus, es klammern sich Babykröten
lebenshungrig an sie, die innere Motivation
der Kröte ist sichtbar und schlagend wie ihr
ungeschütztes Herz.
Die Jagd ist eingefroren in dem Moment
vor der Katastrophe, bevor der Widder im
Schlund des Dschungels verschwindet, be-
vor der Ritter zerspringt in einen Nebel aus
knöchernen Porzellanscherben und ver-
drehten Weinreben. Die Nymphe spannt si-
cher einen Pfeil, der bald das papierne Herz
der Kröte durchbohren wird. Während sie
in diesem Durcheinander von Drähten, Re-
ben und Gitarrensaiten hängen, erblühen sie
für immer in Liebe, Hass, Neid, Angst und
Selbstvertrauen. ■
James Jean, Los Angeles (USA)
»Ballad« · 2008
acryl und Öl auf Büttenkarton
152,4 cm x 104,1 cm
J A M E S J E A NB A L L A D
FOTO
: LU
KE
HO
VER
MA
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CANVAS STORY
64 Low Magazin
D as Bild »the Ship Sank« ist
eines von vier Bildern aus
einer Serie, die ich 2006 für
einen Wettbewerb gemalt
habe. Das Buch »Schiffbruch
mit tiger« von Yann Martel hatte gerade
den Booker Prize gewonnen, und der Ver-
lag Canongate Books hatte zusammen mit
der times London beschlossen, einen Wett-
bewerb auszuschreiben, um das Buch zu il-
lustrieren. Ich hatte das Buch gerade gelesen
und war begeistert davon. Als ich von dem
Wettbewerb hörte, war sofort klar, daß ich
mitmachen wollte, und welche Szene ich
malen wollte. In einem der Schlüsselmo-
mente des Buches geht der Überseedamp-
fer, auf dem Pi mit seiner Familie und deren
Zoo nach Kanada fährt, unter, und mit dem
Schiff Pis Familie und fast der ganze Zoo.
Pi rettet einige tiere, darunter einen tiger,
in sein Rettungsboot, mit dem er über 200
tage lang auf dem Meer sein wird.
Diese Szene wird aus Pis Sicht beschrie-
ben und konzentriert sich auf ihn, das Boot
und den tiger. Aber so viel mehr passiert
hier, denn eine Unzahl von tieren und Men-
schen kämpft um sie herum ums Überle-
ben. Ich wollte sie als einen teil der ganzen
Szene darstellen und zeigen, was unter der
Wasseroberfläche passiert, was Pi nicht se-
hen kann, aber fühlt. Anstatt eine grausame
Untergangsszene zu malen, beschloß ich, die
Welt unter Wasser in einer Art trancezu-
stand darzustellen, denn Pi konzentriert sich
hier nur auf Richard Parker, den tiger, und
versucht, alles andere auszublenden. Diese
Szene markiert auch den Beginn eines neuen
teils der Geschichte, der zum Schluß in zwei
Versionen existiert. Ich möchte mit den zwei
Ebenen in diesem Bild auch darauf hindeu-
ten, daß unter der Oberfläche des Erzählten
möglicherweise noch weitere Welten liegen.
Die Arbeit an einem Vorschlag für dieses
Buch war sehr wichtig für mich, denn ich
hatte völlig freie Hand und konnte experi-
mentieren, sowohl was die Umsetzung des
textes betraf, als auch die Art und Weise, die
Bilder zu malen. Zu diesem Zeitpunkt hatte
ich mein Studium gerade 6 Monate abge-
schlossen, und entwickelte noch Arbeitswei-
sen und Stilfeinheiten. Für die Bilder dieser
Serie arbeitete ich zum ersten Mal mit einer
Kombination von tuschezeichnung mit Öl-
lasuren, was einen Effekt von tiefe und Drei-
dimensionalität hervorrief, was sehr gut zu
meinem Konzept passte.
Im Moment ist es selten, daß ein Roman
für Erwachsene illustriert wird. Aber gerade
diese Bücher können dem Illustrator durch
ihre Vielschichtigkeit viel Raum bieten, um
weitere Facetten der Geschichte hervorzu-
heben, und so die Erfahrung des Lesers zu
vertiefen. ■
Andrea Offermann, Lübeck
A N D R E A O F F E R M A N NT H E S H I P S A N K
»The Ship Sank«
Tusche/Finelinerzeichnung
auf Clayboard mit Öllasuren
ca. 20,3 cm x 25,4 cm
CANVAS STORY
66 Low Magazin
D ie Pubertät hinterließ ihre
Spuren auf mir. Als ich sieb-
zehn war, war ich dreimal
größer als irgendjemand
den ich kannte, und mir
wuchs ein unnützes Flügelpaar. Die Beulen
auf meinem Kopf kamen erst später. Das
genügte um zu sagen, ich sei ein Monster.
Ich bin nicht das einzige in der Stadt, aber
Monster wie ich sind selten genug, so daß
die Leute aufhören zu sprechen, wenn ich
einen Raum betrete.
Ich wußte immer, daß ich anders war.
Als ich jung war, nannten mich die anderen
Kinder »Mongo« oder »Die Kreatur aus dem
Weltall«, wenn sie überhaupt mit mir spra-
chen. Ich lernte die Sticheleien zu ignorieren
und wurde schließlich so groß, daß niemand
mehr tapfer genug war, um mich weiterhin
zu beschimpfen, zumindest nicht von Ange-
sicht zu Angesicht.
Ich lernte allein zu spielen und eignete
mir an, wie man Dinge aus Holz schnitzt.
Ich schnitzte oft große Skulpturen, die
meine Mom stolz in den Vorgarten stellte.
Von denen, die ich machte, als ich jung war,
stehen immer noch einige dort. Sie sind
nicht sehr gut, aber sie mag sie und sagt, daß
sie sie nicht entfernt. Sie war immer die, die
mich am meisten ermutigte.
An den tagen an denen ich das Haus ver-
lasse, gebe ich mein Bestes um mich anzu-
passen. Gewöhnlich trage ich meine mensch-
liche Maske und ich versuche freundlich zu
anderen zu sein, auch wenn sie starren. Es
kann manchmal lästig sein, aber ich weiß,
daß ich wahrscheinlich auch gaffen würde,
wenn ich sie wäre. Sie sind schließlich nur
Menschen. ■
Mateo, Berlin
»incognito«
acryl und Collage auf Holz
40 cm x 70 cm
M A T E OI N C O G N I T O
CANVAS STORY
68 Low Magazin ABBILDUNG: PLAKAT MELVINS · 2007 · SIEBDRUCK MIT 4 SIEBEN
Low Magazin 69
Dan Grzeca nimmt eine be-
sondere Stellung in Ame-
rikas blühender Rock-
Poster-Szene ein. Wenige
seiner Kollegen zeigen in
ihren Plakatarbeiten solch eine künstlerische
Eigenständigkeit wie er es tut. Dan Grzeca,
dessen komplizierter Name die Amerikaner
tschetsah aussprechen, lebt und arbeitet in
Chicago. Er ist vierzig Jahre alt und stolzer
Vater zweier töchter. Er besitzt ein Diplom
in Malerei und Grafik von der Northern Illi-
nois University in DeKalb.
Sein Wirken als Plakatkünstler begann
bereits 1992, als er sein erstes Plakat für die
letzte Show der Band tar gestaltete. Bei einer
seiner anschließenden Malerei-Ausstellun-
gen ermutigte ihn Bob Hartzell vom Druck-
und Designstudio Screwball Press dazu,
mehr Plakate zu machen. Das nahm er sich
zu Herzen und er begann nach dieser Begeg-
nung tatsächlich eine Menge Plakate zu ge-
stalten und zu drucken. Viele seiner Arbeiten
waren für Jazzkonzerte und die Chicagoer
Musikszene. Vor allem für Ken Vandermark
gestaltete er einige sehr schöne Siebdruck-
plakate, aber auch für Szenegrößen wie Peter
Brötzmann und Steve Lacy. Später konzent-
rierte Dan Grzeca sich hauptsächlich auf die
Rock-Szene und zeichnete und druckte für
die Konzerte alternativer Rockbands wie den
Melvins, Shipping News oder Explosions In
the Sky.
Allein in diesem Jahr wird er bis zu fünf-
zig Plakate entwerfen und drucken und
ebenso viele Kunstsiebdrucke. Das Konzert-
plakat und der Kunstdruck rangieren bei
Dan Grzeca dicht nebeneinander. Durch das
Weglassen der Schriftelemente wird dabei
eine Plakatgrafik zu einem Kunstdruck. Aber
auch ein Kunstdruck kann bei ihm zum Pla-
kat werden.
Seine Zeichnungen in skizzenhaften
Strichen, die sich filigran aus dem Schwarz
der Formen winden, verschaffen den Pla-
katen und Grafiken eine geheimnisvolle
Aura und Lebendigkeit. Für diesen Effekt
nutzt er meist ein Clayboard – eine mit
ton beschichtete Hartfaserplatte – als eine
Art Kratzplatte, auf die er ganz locker seine
Ideen in flächigen Formen tuscht. Anschlie-
ßend kratzt er die feinen Details aus dem
Material heraus. Diese technik und die lose
Arbeitsweise erzeugt Spannung und Über-
raschung in seinen Zeichnungen. Die restli-
chen Farbschichten zeichnet er einzeln auf
Der Titelblattkünstler dieser ausgabe D A N G R Z E C A
Wir stellen das Titelblatt jeder Ausgabe
exklusiv einem Künstler zur Verfügung.
Hier erzählen wir, wer er ist.
TEXT Danny Winkler
DIE TITELSTORY
ABB. OBEN: PLAKAT THE BLACK KEYS · 2008 · SIEBDRUCK MIT 2 SIEBEN ABB. UNTEN: SERIGRAPHIE »REBIRTH« · 2009 · SIEBDRUCK MIT 8 SIEBEN
Sie sind so unmittelbar und spontan, gut ge-
macht und skurril«, fügt er hinzu.
Dan Grzecas Plakate für Musikgrup-
pen beziehen sich immer auf das Wesen
der Band und ihrer Musik. Er sagt, daß er
die Energie eines Plakates dem Niveau des
Konzertes anzupassen versucht. Weiterhin
erklärt er, er habe eine Art fortlaufende Er-
zählung, die er immer wieder abstimmt, je
nachdem ob er nun ein Plakat für Mogwai
macht oder zum Beispiel eines für Peter
Brötzmann. So entsteht kein einfaches Wer-
beplakat, das für ein Konzert wirbt sondern
ein eigenständiges Kunstwerk, das in enger
Verbindung zum Sound der Musiker und
gleichzeitig auch zur Persönlichkeit des Pla-
katkünstlers steht. Dabei gelingt ihm etwas,
das die Substanz der Musik intensiver nach
außen trägt, als es mit einem gewöhnlichen
Werbeplakat möglich wäre. ■
transparentpapierbögen. Alle Schichten bis
hin zur anfangs entstandenen Zeichnung
druckt er nacheinander im Siebdruckverfah-
ren. Bei seinen Plakaten kommen da meist
vier bis sechs Farbschichten zusammen, bei
den Kunstdrucken schon mal bis zu 15.
Dan Grzecas Bildwelt steckt voller Ku-
riositäten. In ihr finden sich zum Beispiel
Hühner mit Holzdächern oder Häuser mit
langen Beinen. »Ich bin nicht sicher, warum
die Häuser so bedeutsam geworden sind.
Was ich aber sicher sagen kann, ist, daß sie
so bald nicht verschwinden werden«, sagt er.
Sein künstlerischer Einfluß ist eher un-
typisch für moderne Rockposter-Künstler,
denn er bezieht sich stark auf die klassische
Moderne des letzten Jahrhunderts. Er sagt,
er sei ein großer Fan von Max Ernst, Max
Beckmann, George Grosz und Jacob Law-
rence aber auch von Ed Pashke und den
Clayton Brothers. »Picassos Plakate und
Drucke aus den Jahren in Vallauris haben
einen besonderen Platz in meinem Herzen.
A N Z E I G E N
ABBILD
UN
G: SER
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