25
MÜNCHNER EXAMENSTRAINING Lösungsvorschlag Klausur Nr. 3136 Teil I (materielles Strafrecht) .............................................................................. 2 1. Tatkomplex – Im Supermarkt .......................................................................... 2 Strafbarkeit des Irmo I. (I) ................................................................................... 2 A. Hausfriedensbruch gem. § 123 Abs. 1 StGB ............................................... 2 B. Urkundenfälschung gem. § 267 Abs. 1 StGB .............................................. 3 C. Urkundenunterdrückung gem. § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB ............................. 5 D. Sachbeschädigung gem. § 303 Abs. 1 StGB ............................................... 6 E. Betrug gem. § 263 Abs. 1 StGB ................................................................... 6 F. Computerbetrug gem. § 263a Abs. 1 StGB .................................................. 7 G. Erschleichen von Leistungen gem. § 265a Abs. 1 Var. 1 StGB.................... 9 H. Urkundenfälschung gem. § 267 Abs. 1 Var. 3 StGB.................................... 9 I. Schwerer Diebstahl gem. §§ 242, 244 Abs. 1 StGB ...................................... 9 J. Räuberischer Diebstahl in Mittäterschaft gem. §§ 252, 25 Abs. 2 StGB..... 12 K. Körperverletzung in Mittäterschaft gem. §§ 223 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB .. 13 Strafbarkeit des C.............................................................................................. 13 A. Diebstahl in Mittäterschaft gem. §§ 242 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB ............... 13 B. Beihilfe zum Diebstahl gem. §§ 242 Abs. 1, 27 StGB ................................ 14 C. Beihilfe zur Urkundenunterdrückung gem. §§ 274 Abs. 1, 27 StGB ......... 15 D. Räuberischer Diebstahl gem. § 252 StGB ................................................. 15 E. Körperverletzung gem. § 223 Abs. 1 StGB ................................................ 17 F. Nötigung gem. § 240 Abs. 1 StGB ............................................................. 17 2. Tatkomplex – Das Motorrad .......................................................................... 17 Strafbarkeit des I ............................................................................................... 17 Unterschlagung gem. § 246 Abs. 1 StGB ...................................................... 17 Strafbarkeit des Marcus M. (M) ........................................................................ 18 A. Erpressung gem. § 253 Abs. 1 StGB ......................................................... 18 B. Nötigung gem. § 240 Abs. 1 StGB............................................................. 20

Lösungsvorschlag Klausur Nr. 3136€¦ · UNI-KLAUSURENKURS SEITE 5 VON 25 II. Ergebnis I hat sich nicht gem. § 276 Abs. 1 Var. 2 StGB schuldig gemacht. C. Urkundenunterdrückung

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Lösungsvorschlag Klausur Nr. 3136€¦ · UNI-KLAUSURENKURS SEITE 5 VON 25 II. Ergebnis I hat sich nicht gem. § 276 Abs. 1 Var. 2 StGB schuldig gemacht. C. Urkundenunterdrückung

MÜNCHNER EXAMENSTRAINING

Lösungsvorschlag Klausur Nr. 3136

Teil I (materielles Strafrecht) .............................................................................. 2

1. Tatkomplex – Im Supermarkt .......................................................................... 2

Strafbarkeit des Irmo I. (I) ................................................................................... 2

A. Hausfriedensbruch gem. § 123 Abs. 1 StGB ............................................... 2

B. Urkundenfälschung gem. § 267 Abs. 1 StGB .............................................. 3

C. Urkundenunterdrückung gem. § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB ............................. 5

D. Sachbeschädigung gem. § 303 Abs. 1 StGB ............................................... 6

E. Betrug gem. § 263 Abs. 1 StGB ................................................................... 6

F. Computerbetrug gem. § 263a Abs. 1 StGB .................................................. 7

G. Erschleichen von Leistungen gem. § 265a Abs. 1 Var. 1 StGB.................... 9

H. Urkundenfälschung gem. § 267 Abs. 1 Var. 3 StGB .................................... 9

I. Schwerer Diebstahl gem. §§ 242, 244 Abs. 1 StGB ...................................... 9

J. Räuberischer Diebstahl in Mittäterschaft gem. §§ 252, 25 Abs. 2 StGB ..... 12

K. Körperverletzung in Mittäterschaft gem. §§ 223 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB .. 13

Strafbarkeit des C .............................................................................................. 13

A. Diebstahl in Mittäterschaft gem. §§ 242 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB ............... 13

B. Beihilfe zum Diebstahl gem. §§ 242 Abs. 1, 27 StGB ................................ 14

C. Beihilfe zur Urkundenunterdrückung gem. §§ 274 Abs. 1, 27 StGB ......... 15

D. Räuberischer Diebstahl gem. § 252 StGB ................................................. 15

E. Körperverletzung gem. § 223 Abs. 1 StGB ................................................ 17

F. Nötigung gem. § 240 Abs. 1 StGB ............................................................. 17

2. Tatkomplex – Das Motorrad .......................................................................... 17

Strafbarkeit des I ............................................................................................... 17

Unterschlagung gem. § 246 Abs. 1 StGB ...................................................... 17

Strafbarkeit des Marcus M. (M) ........................................................................ 18

A. Erpressung gem. § 253 Abs. 1 StGB ......................................................... 18

B. Nötigung gem. § 240 Abs. 1 StGB ............................................................. 20

Page 2: Lösungsvorschlag Klausur Nr. 3136€¦ · UNI-KLAUSURENKURS SEITE 5 VON 25 II. Ergebnis I hat sich nicht gem. § 276 Abs. 1 Var. 2 StGB schuldig gemacht. C. Urkundenunterdrückung

UNI-KLAUSURENKURS SEITE 2 VON 25

Gesamtergebnis und Konkurrenzen .................................................................. 21

Strafbarkeit des I ............................................................................................... 21

Strafbarkeit des C .............................................................................................. 22

Strafbarkeit des M ............................................................................................. 22

Teil II (prozessuale Zusatzfrage) ....................................................................... 23

A. Statthaftigkeit ............................................................................................ 23

B. Rechtsmittelberechtigung ......................................................................... 23

C. Beschwer ................................................................................................... 23

D. Form- und fristgerechte Einlegung der Revision ...................................... 23

E. Form- und fristgerechte Begründung der Revision ................................... 23

F. Keine entgegenstehende Rechtskraft ........................................................ 23

G. Ergebnis .................................................................................................... 25

Teil I (materielles Strafrecht)

1. Tatkomplex – Im Supermarkt

Strafbarkeit des Irmo I. (I)

A. Hausfriedensbruch gem. § 123 Abs. 1 StGB

Indem I den Supermarkt betrat, könnte er sich gem. § 123 Abs. 1 StGB schuldig gemacht haben. Bei dem Supermarkt handelt es sich um einen Geschäftsraum iSd § 123 Abs. 1 StGB. Ein Eindringen in diesen erfordert ein Betreten gegen den Willen des Hausrechtsinhabers.1 Bei Räumlichkeiten, die – wie Supermärkte – dem Publikumsverkehr allgemein geöffnet sind, liegt regelmäßig ein generelles Einverständnis des Filialleiters als Hausrechtsinhaber mit dem Betreten vor.2 Versteckte deliktische Absichten stehen dem nicht entgegen, da der Filialleiter, würde er persönlich am Eingang stehen und jeweils sein individuelles Einver-ständnis erteilen, diese nicht erkennen würde. Anders verhält es sich nur, wenn der Eintre-tende nach seinem äußeren Erscheinungsbild von einem normalen Kunden abweicht.3 Denn sind die deliktischen Absichten erkennbar, würde auch ein individuelles Einverständ-nis nicht erteilt werden. Vorliegend waren die Intentionen des I äußerlich nicht sichtbar. Folglich liegt ein generelles Einverständnis vor. I hat sich nicht gem. § 123 Abs. 1 StGB schuldig gemacht.

1 Fischer StGB § 123, Rn. 15; Rengier StrafR BT II § 30 Rn. 8.

2 MüKoStGB/Schäfer StGB § 123 Rn. 33; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Schlittenhelm StGB § 123

Rn. 24 f. 3 OLG Düsseldorf NJW 1982, 2678 (2679); BeckOK StGB/Rackow StGB § 123 Rn. 15.

Page 3: Lösungsvorschlag Klausur Nr. 3136€¦ · UNI-KLAUSURENKURS SEITE 5 VON 25 II. Ergebnis I hat sich nicht gem. § 276 Abs. 1 Var. 2 StGB schuldig gemacht. C. Urkundenunterdrückung

UNI-KLAUSURENKURS SEITE 3 VON 25

B. Urkundenfälschung gem. § 267 Abs. 1 StGB

Indem I die Preisetiketten von den drei Hugo-Flaschen entfernt und über die Preisetiketten der drei Weinflaschen geklebt hat, könnte er sich einer Urkundenfälschung gem. § 267 Abs. 1 Var. 2 StGB schuldig gemacht haben.

Klausurhinweis: Grundsätzlich ist es auch möglich, zwischen zwei Handlungsabschnitten zu unterscheiden und inso-fern gesondert zu prüfen: (1) Entfernung der Etiketten von den Hugo-Flaschen (§ 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB) und (2) Verbindung dieser Etiketten mit den Weinflaschen (§ 267 Abs. 1 Var. 1 StGB). Gegen ein solches Vorgehen spricht aber, dass diese Einzelakte bei natürlicher Betrachtung eine einzige, einheitliche Tathandlung bilden. Die Entfernung der Etiketten ist nur das Mittel, um deren Verbindung mit den Weinflaschen zu erreichen4

I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand

a. Tatobjekt

Es müssten zunächst echte Urkunden vorliegen. Urkunde ist jede verkörperte menschliche Gedankenerklärung (Perpetuierungsfunktion), die zum Beweis im Rechtsverkehr geeignet und bestimmt ist (Beweisfunktion) und ihren Aussteller erkennen lässt (Garantiefunktion).5 Fraglich ist, ob die Etiketten bereits für sich diese Voraussetzungen erfüllen. Isoliert be-trachtet handelt es sich bei einem Preisetikett um ein wertloses, mit nichtssagenden Zahlen und Buchstaben beschriebenes Stück Papier, so dass es bereits an einer menschlichen Ge-dankenerklärung, zumindest aber an der Eignung zum Beweis fehlt. Die Etiketten selbst sind deshalb keine Urkunden.6 Allerdings könnten die Etiketten in Verbindung mit den Flaschen zusammengesetzte Ur-kunden darstellen. Dies setzt voraus, dass die Etiketten mit den Flaschen (sog. Bezugsob-jekte) räumlich fest zu Beweiseinheiten verbunden sind, so dass diese zusammen einen einheitlichen Beweis- und Erklärungswert in sich vereinigen.7 Die Preisetiketten sind mit der Ware zwar nicht untrennbar, aber jedenfalls durch den Kleber ausreichend fest verbun-den, denn es kostete I einige Mühe, sie zu entfernen. Die Etiketten und die Flaschen enthal-ten gemeinsam zudem die menschliche Gedankenerklärung, dass die Flaschen zu einem bestimmten Kaufpreis verkauft werden sollen. Sie sind zum Beweis dieser Tatsache geeig-net und bestimmt und lassen auch ihren Aussteller, den Supermarkt als Verkäufer, erken-nen. Es handelt sich somit um (zusammengesetzte) Urkunden.8 Die Etiketten, die einen Preis von 1,29 EUR ausweisen sind zusammen mit den Hugo-Flaschen echte Urkunden, da die aus dieser Verbindung folgende Erklärung – „Eine Flasche Hugo kostet 1,29 EUR“ - von demjenigen herrührt, der als ihr Aussteller erscheint, nämlich dem Supermarkt.9

4 Vgl. Wessels/Hettinger/Engländer StrafR BT I Rn. 929; Rengier StrafR BT I § 33 Rn. 27.

5 BGHSt 3, 85 = NJW 1952, 1104 (1105); Fischer StGB § 267 Rn. 2; Rengier StrafR BT II § 21 Rn. 1.

6 Peters NJW 1986, 1894 (1896); vgl. auch BGHSt 16, 94 = NJW 1961, 1542 (1543) zur Motornummer an

einem Motor; offen gelassen von OLG Köln NJW 1979, 729 (729). 7 OLG Köln NJW 1979, 729 (729); Rengier StrafR BT II § 32 Rn. 17; Wessels/Hettinger/Engländer StrafR BT I

Rn. 896. 8 Vgl. OLG Köln NJW 1973, 1807 (1807);1979, 729 (729).

9 Zum Begriff der unechten Urkunde s. BGHSt 33, 159 (160) = NJW 1958, 2487; Rengier StrafR BT II § 33

Rn. 5.

Page 4: Lösungsvorschlag Klausur Nr. 3136€¦ · UNI-KLAUSURENKURS SEITE 5 VON 25 II. Ergebnis I hat sich nicht gem. § 276 Abs. 1 Var. 2 StGB schuldig gemacht. C. Urkundenunterdrückung

UNI-KLAUSURENKURS SEITE 4 VON 25

b. Tathandlung

I müsste diese Urkunden iSv § 267 Abs. 1 Var. 2 StGB verfälscht haben. Darunter versteht man die nachträgliche Veränderung des Gedankeninhalts einer Urkunde, durch die der An-schein erweckt wird, der Aussteller habe die Erklärung in der Form abgegeben, die sie durch die Veränderung erlangt hat.10 Bei einer zusammengesetzten Urkunde liegt eine Ver-fälschung insbes. dann vor, wenn der aus der Erklärung und dem Bezugsobjekt bestehen-den Beweiseinheit durch den Austausch des Bezugsobjekts eine andere Beweisrichtung gegeben wird.11 I hat hier das Bezugsobjekt ausgetauscht, indem er die Preisetiketten von den Hugo-Flaschen entfernte und über die Preisetiketten der Weinflaschen klebte. Dadurch wurde die bisherige Beweisrichtung verändert und der Anschein erweckt, der Verkäufer habe den Urkunden von Anfang an den jetzt aus ihr ersichtlichen Aussagegehalt – „Eine Flasche Wein kostet 1,29 EUR“ - beigelegt.12 I hat die Urkunden folglich verfälscht.

Vertiefungshinweis: Das Ergebnis dieser Verfälschung ist eine unechte (zusammengesetzte) Urkunde, so dass an sich auch die Tathandlung des § 267 Abs. 1 Var. 1 StGB verwirklicht wurde. Die Herstellung einer unech-ten Urkunde ist aber typische Folge der Verfälschungshandlung. § 267 Abs. 1 Var. 1 StGB tritt des-halb hinter § 276 Abs. 1 Var. 2 StGB im Wege der Konsumtion zurück.13

2. Subjektiver Tatbestand

I handelte vorsätzlich. Er müsste auch zur Täuschung im Rechtsverkehr gehandelt haben. Dies ist der Fall, wenn jemand durch die unechte Urkunde zu einem rechtserheblichen Verhalten bestimmt wer-den soll.14 Absicht im technischen Sinn (dolus directus 1. Grades) ist nicht zwingend erfor-derlich; es genügt nach hM auch sichere Kenntnis (dolus directus 2. Grades).15 Vorliegend sollte allerdings keine Person zu einem bestimmten Verhalten veranlasst wer-den, vielmehr wollte I die Urkunden nur an der Selbstbedienungskasse, also an einer Ma-schine einsetzen. Jedoch steht gem. § 270 StGB die fälschliche Beeinflussung einer Daten-verarbeitung im Rechtsverkehr der Täuschung im Rechtsverkehr gleich. Fraglich ist aber, ob hier die Datenverarbeitung der Selbstbedienungskasse fälsch beeinflusst werden sollte. Ob eine Datenverarbeitung fälschlich beeinflusst wird, richtet sich wegen der Gleichstel-lungsfunktion des § 270 StGB nach den Anforderungen des jeweiligen Delikts.16 Im Rah-men von § 267 Abs. 1 Var. 2 StGB muss die Fehlsteuerung der Datenverarbeitung somit gerade auf der Verfälschung der Urkunde beruhen.17 Die Verfälschung ergibt sich hier aus der unrichtigen Verbindung von Preisetikett und Weinflasche. Die Selbstbedienungskassen zeigen allerdings nur die für den eingescannten Strichcode hinterlegte Ware und deren Kaufpreis an, ohne dessen tatsächliche Verbindung zu dieser Ware zu überprüfen. Die feh-lerhafte Verbindung und somit die Verfälschung beeinflussen den Datenverarbeitungsvor-gang der Selbstbedienungskasse folglich nicht. § 270 StGB ist damit nicht erfüllt (aA ver-tretbar).

10

OLG Köln NStZ 2010, 520 (521); BeckOK StGB/Weidemann StGB § 267 Rn. 26. 11

Rengier StrafR BT II § 33 Rn. 26; vgl. OLG Düsseldorf NJW 1982, 2268. 12

Vgl. Wessels/Hettinger/Engländer StrafR BT I Rn. 929. 13

Rengier StrafR BT II § 33 Rn. 23; s. auch Wessels/Hettinger/Engländer StrafR BT I Rn. 929. 14

BGHSt 5, 151 = NJW 1954, 320; Fischer StGB § 267 Rn. 42; Eisele StrafR BT I Rn. 841. 15

Fischer StGB § 267 Rn. 42; Schönke/Schröder/Cramer/Heine StGB § 267 Rn. 91. 16

MüKoStGB/Erb StGB § 270 Rn. 3; Schönke/Schröder/Heine/Schuster StGB § 270 Rn. 2. 17

Vgl. MüKoStGB/Erb StGB § 270 Rn. 3.

Page 5: Lösungsvorschlag Klausur Nr. 3136€¦ · UNI-KLAUSURENKURS SEITE 5 VON 25 II. Ergebnis I hat sich nicht gem. § 276 Abs. 1 Var. 2 StGB schuldig gemacht. C. Urkundenunterdrückung

UNI-KLAUSURENKURS SEITE 5 VON 25

II. Ergebnis

I hat sich nicht gem. § 276 Abs. 1 Var. 2 StGB schuldig gemacht.

C. Urkundenunterdrückung gem. § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB

Durch dieselbe Handlung könnte sich I jedoch einer Urkundenunterdrückung gem. § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB schuldig gemacht haben.

I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand

Bei den Preisetiketten in Verbindung mit den Hugo-Flaschen sowie den Weinflaschen han-delt es sich jeweils um (zusammengesetzte) Urkunden. Diese gehörten I nicht ausschließlich, da ihm das Beweisführungsrecht an den Urkunden jedenfalls nicht allein zustand18; dieses hatte zumindest auch der Verkäufer inne. I könnte diese vernichtet oder beschädigt haben. Eine Urkunde wird vernichtet, wenn ihr gedanklicher Inhalt völlig beseitigt ist, so dass das ursprüngliche Beweismittel nicht mehr vorhanden ist.19 Eine Beschädigung ist gegeben, wenn die Urkunde derart verändert wird, dass sie in ihrem Wert als Beweismittel beeinträchtigt ist.20 Indem I die Etiketten von den Hugo-Flaschen entfernt hat, trennte er diese von ihrem Be-zugsobjekt, so dass die Gedanken- und Beweiseinheit vollständig beseitigt war. Dadurch hat er diese zusammen gesetzten Urkunden vernichtet.21 Indem er die entfernten Etiketten über die Etiketten der Wein-Flaschen klebte, sorgte er dafür, dass der Beweiswert dieser Verbindung zwar nicht komplett aufgehoben, aber zu-mindest beeinträchtigt wurde, da die Verbindung nicht mehr wahrgenommen werden konnte. Somit hat er diese Urkunden beschädigt.

2. Subjektiver Tatbestand

I handelte dabei auch vorsätzlich. Daneben müsste er mit Nachteilszufügungsabsicht gehandelt haben. Für den Nachteil ge-nügt jede Beeinträchtigung eines fremden Beweisführungsrechts.22 Die erforderliche Ab-sicht erfasst nach hM –wie bei § 267 StGB – nicht nur dolus directus 1. Grades, sondern auch dolus directus 2. Grades, dh sicheres Wissen.23 Ausreichend ist das Bewusstsein, dass der Nachteil notwendige Folge der Tat ist.24 I wusste, dass die Möglichkeit des Verkäufers, den Kaufpreis der Flaschen mittels der zusammen gesetzten Urkunden zu beweisen durch das Entfernen und Überkleben der Etiketten beeinträchtigt werden würde. Er handelte so-mit mit Nachteilszufügungsabsicht.

II. Rechtswidrigkeit und Schuld

I handelte rechtswidrig und schuldhaft.

III. Ergebnis

18

Vgl. BGHSt 29, 192 (194) = NJW 1980, 1174; BeckOK StGB/Weidemann StGB § 274 Rn. 4. 19

Fischer StGB § 274 Rn. 4; Rengier StrafR BT II § 36 Rn. 5. 20

Schönke/Schröder/Heine/Schuster StGB § 274 Rn. 8. 21

Vgl. MüKoStGB/Freund StGB § 274 Rn. 45; aA Schönke/Schröder/Heine/Schuster StGB § 274 Rn. 8b: Be-schädigen. 22

BGHSt 29, 192 (196) = NJW 1980, 1174; Rengier StrafR BT II § 36 Rn. 8. 23

Schönke/Schröder/Heine/Schuster StGB § 274 Rn. 15; Rengier StrafR BT II § 36 Rn. 8. 24

OLG Düsseldorf NJW 1989, 116; Fischer StGB § 274 Rn. 9a.

Page 6: Lösungsvorschlag Klausur Nr. 3136€¦ · UNI-KLAUSURENKURS SEITE 5 VON 25 II. Ergebnis I hat sich nicht gem. § 276 Abs. 1 Var. 2 StGB schuldig gemacht. C. Urkundenunterdrückung

UNI-KLAUSURENKURS SEITE 6 VON 25

I hat sich gem. § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB schuldig gemacht. Aufgrund des einheitlichen Ta-tentschlusses und des engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs zwischen der Un-terdrückung der sechs Urkunden, die alle derselben Person gehören ist hier nur eine Ur-kundenunterdrückung anzunehmen.25

D. Sachbeschädigung gem. § 303 Abs. 1 StGB

Durch dieselbe Handlung könnte sich I einer Sachbeschädigung gem. § 303 Abs. 1 StGB schuldig gemacht haben. Tatobjekt von § 303 StGB sind auch zusammengesetzte Sachen, dh aus einzelnen Teilen bestehende Funktionseinheiten.26 Um solche handelt es sich bei den miteinander verbun-denen Preisetiketten und Flaschen. Diese standen im Eigentum der Supermarktkette R, wa-ren also für I auch fremd. Eine Beschädigung iSv § 303 Abs. 1 StGB liegt in jeder körperlichen Einwirkung auf eine Sache, durch die ihre Substanz nicht unerheblich verletzt oder ihre bestimmungsgemäße Brauchbarkeit nicht nur unerheblich beeinträchtigt wird.27 Eine Substanzverletzung liegt bei zusammengesetzten Sachen bereits dann vor, wenn der Zusammenhang zwischen den einzelnen Teilen beseitigt wird und die Wiederzusammen-setzung eine gewisse Mühe erfordert.28 Dies lässt sich hier im Hinblick auf die Hugo-Flaschen und ihre Etiketten bejahen. Dagegen wurde die Verbindung zwischen den Etiketten und den Weinflaschen nicht aufge-hoben. I überklebte lediglich die Etiketten. Dadurch wurde allerdings die bestimmungsge-mäße Brauchbarkeit der zusammengesetzten Sache als Ware zum Verkauf zu einem be-stimmten Preis mehr als nur unerheblich beeinträchtigt. Es liegt somit eine Beschädigung in Form einer Brauchbarkeitsminderung vor. I handelte vorsätzlich. Er handelte auch rechtswidrig und schuldhaft. I hat sich somit auch einer Sachbeschädi-gung gem. § 303 Abs. 1 StGB schuldig gemacht. Sofern die Staatsanwaltschaft das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung nicht bejaht, ist nach § 303c StGB ein Strafantrag erforderlich, der laut Bearbeitervermerk gestellt ist.

E. Betrug gem. § 263 Abs. 1 StGB

Indem I die auf die Weinflaschen geklebten Strichcodes der Hugo-Flaschen eingescannt hat, könnte er sich eines Betruges gem. § 263 Abs. 1 StGB schuldig gemacht haben. Jedoch fehlt es bereits an einer Täuschung. Täuschung ist jede bewusst irreführende Ein-wirkung auf das Vorstellungsbild eines anderen.29 Vorliegend gab I jedoch keine Erklärung gegenüber einer anderen Person ab, sondern betätigte lediglich die Selbstbedienungskasse, also eine Maschine. Ein Betrug gem. § 263 Abs. 1 StGB scheidet folglich aus.

25

S. hierzu Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Bosch StGB § 52 Rn. 23 ff. 26

Fischer StGB § 303 Rn. 2. 27

Rengier StrafR BT I § 24 Rn. 8; s. auch BGHSt 44, 34 (38) = NJW 1998, 2149 (2150).. 28

Fischer StGB § 303 Rn. 11; MüKoStGB/Wieck-Noodt StGB § 303 Rn. 20. 29

BGHSt 460, 1, 6 = NStZ 2015, 89 (90); Rengier StrafR BT I § 13 Rn. 9.

Page 7: Lösungsvorschlag Klausur Nr. 3136€¦ · UNI-KLAUSURENKURS SEITE 5 VON 25 II. Ergebnis I hat sich nicht gem. § 276 Abs. 1 Var. 2 StGB schuldig gemacht. C. Urkundenunterdrückung

UNI-KLAUSURENKURS SEITE 7 VON 25

F. Computerbetrug gem. § 263a Abs. 1 StGB

Durch dieselbe Handlung könnte sich I jedoch eines Computerbetruges gem. § 263a Abs. 1 StGB schuldig gemacht haben.

I. Objektiver Tatbestand

Fraglich ist bereits, ob I eine der in § 263a Abs. 1 StGB genannten Tathandlungen verwirk-licht hat. Die unrichtige Gestaltung eines Programms iSv § 263a Abs. 1 Var. 1 StGB setzt das Neu-schreiben, Verändern oder Löschen ganzer Programme oder jedenfalls von Programmteilen voraus.30 Dies geht mit dem Einscannen eines Strichcodes jedoch nicht einher. Möglicherweise hat I aber gem. § 263a Abs. 1 Var. 2 StGB unrichtige oder unvollständige Daten verwendet. Daten sind alle kodierten und kodierbaren Informationen unabhängig vom Verarbeitungsgrad.31 Relevantes Datum ist hier der eingescannte Strichcode der güns-tigeren Flaschen. Unrichtig sind Daten, wenn der durch sie bezeichnete Sachverhalt in Wahrheit nicht gegeben ist; unvollständig, wenn sie ihn nicht ausreichend erkennen las-sen.32 Es ließe sich anführen, dass I, indem er die richtigen Strichcodes der mitgenomme-nen Flaschen nicht eingescannt hat, der Selbstbedienungskasse nicht alle Daten zur Verfü-gung gestellt hat, die zur Erstellung einer Rechnung über den Wein nötig gewesen wären und deshalb unvollständige Daten verwendet hat.33 Dagegen spricht jedoch, dass durch das Einlesen der von den Hugo-Flaschen entfernten und auf die Weinflaschen geklebten Strich-codes der Kaufpreis für die drei Flaschen Hugo richtig und vollständig angezeigt und von I auch bezahlt wurde.34 Dass gerade diese Waren auch mitgenommen werden, gehört nicht mehr zu dem durch die Strichcodes bezeichneten Sachverhalt und kann deshalb nicht zu der Unvollständigkeit dieser Daten führen. In Betracht kommt noch eine unbefugte Verwendung von Daten iSv § 263a Abs. 1 Var. 3 StGB. Eine Verwendung von Daten erfordert nach der engsten Auffassung eine Eingabe gerade in den Datenverarbeitungsprozess.35 Indem I die Strichcodes eingescannt hat, hat er sie in den Datenverarbeitungsvorgang der Selbstbedienungskasse eingegeben und somit verwendet. Fraglich ist jedoch, ob die Verwendung auch unbefugt erfolgte. Die Bestimmung des Be-griffs unbefugt ist umstritten: Nach einer subjektivierenden Auffassung ist eine Datenverwendung unbefugt, wenn sie dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des über die Daten Verfügungsberechtigten wi-derspricht.36 Dies lässt sich hier bejahen, da nach den Vorstellungen des Inhabers eines Supermarkts mit Selbstbedienungskassen der Strichcode eingescannt werden soll, welcher der letztlich mitgenommenen Ware tatsächlich entspricht.

30

Fischer StGB § 263a Rn. 6; OLG Hamm BeckRS 2013, 16642. 31

Lackner/Kühl/Kühl StGB § 263a Rn. 3; Kraatz Jura 2010, 36 (37); Rengier StrafR BT I § 14 Rn. 4; aA LK-StGB/Tiedemann/Valerius § 263a Rn. 21: nur kodierte Informationen. 32

Fischer StGB § 263a Rn. 7, OLG Hamm BeckRS 2013, 16642. 33

Vgl. Fahl NStZ 2014, 244 (244). 34

OLG Hamm BeckRS 2013, 16642. 35

Eisele StrafR BT II Rn. 673; Wittig Wirtschaftsstrafrecht § 15 Rn. 12; Rengier StrafR BT I § 14 Rn. 14, 59. 36

SSW/Hilgendorf StGB§ 263a Rn. 10, 14, 16; Kinderhäuser StrafR BT II § 28 Rn. 23; Mitsch StrafR BT II S. 395 ff.

Page 8: Lösungsvorschlag Klausur Nr. 3136€¦ · UNI-KLAUSURENKURS SEITE 5 VON 25 II. Ergebnis I hat sich nicht gem. § 276 Abs. 1 Var. 2 StGB schuldig gemacht. C. Urkundenunterdrückung

UNI-KLAUSURENKURS SEITE 8 VON 25

Nach einer computerspezifischen Auslegung ist festzustellen, ob sich der einer Datenver-wendung entgegenstehende Wille des Betreibers in der Programmgestaltung niederge-schlagen hat.37 Eine Selbstbedienungskasse überprüft nur, welcher Kaufpreis dem einge-scannten Strichcode entspricht und ob dieser gezahlt wurde, nicht aber, ob tatsächlich auch die entsprechende Ware mitgenommen wird, so dass sich dieser Wille im Programm nicht niederschlägt. Danach wäre die Unbefugtheit zu verneinen. Nach der herrschenden betrugsspezifischen Auslegung werden Daten nur dann unbefugt verwendet, wenn die Verwendung der Daten gegenüber einer natürlichen Person täu-schungs- und irrtumsbedingt zu einer Vermögensverfügung führen würden; zu prüfen ist also eine Täuschungs- und Irrtumsäquivalenz.38 Es muss dabei auf das Vorstellungsbild einer natürlichen Person abgestellt werden, die sich ausschließlich mit den Fragen befasst, die auch der Computer prüft.39 Da das Lesegerät einer Selbstbedienungskasse lediglich den in dem Strichcode festgelegten Kaufpreis anzeigt, ohne zu prüfen, ob auch tatsächlich die dem Strichcode zugewiesene Ware bezahlt und mitgenommen wird, würde auch ein fiktiver Kassierer nur eine derart eingeschränkte Prüfung vornehmen und deshalb über den einge-lesenen Preis nicht getäuscht.40 Auch nach der betrugsspezifischen Auslegung ist damit ein unbefugtes Verwenden von Daten abzulehnen (aA vertretbar). Gegen die subjektivierende Auslegung spricht, dass sie sehr weit und unbestimmt bleibt. Zur Bestimmung des subjektiven Willens könnte auf eine Vielzahl von Personen abgestellt werden. Auch kommt bei einer solchen Auslegung die Nähe des Computerbetrugs zum Be-trug nicht zum Ausdruck, der gerade geschaffen wurde, um Strafbarkeitslücken des § 263 StGB in den Fällen zu schließen, in denen gerade keine natürliche Person getäuscht wird. Das Erfordernis der Täuschungs- und Irrtumsäquivalenz verleiht dem Merkmal unbefugt auch schärfere Konturen. Die subjektivierende Auslegung ist damit abzulehnen. Ein unbefugtes Verwenden von Daten liegt nicht vor. Das Einscannen der Strichcodes stellt auch keine sonstige unbefugte Einwirkung auf den Ablauf gem. § 263a Abs. 1 Var. 4 StGB dar. Durch das Einscannen wird nicht in unbefugter Weise auf das Programm oder den Datenfluss Einfluss genommen41, sondern der Verarbei-tungsvorgang ordnungsgemäß in Gang gesetzt. Unbefugt könnte lediglich die Mitnahme der teureren Flaschen sein, durch die aber selbst nicht auf die Selbstbedienungskasse ein-gewirkt wird.

Klausurhinweis: Bejaht man eine Tathandlung iSv § 263a StGB, würde sich anschließend die Frage stellen, ob durch das Einscannen der Strichcodes das Ergebnis eines Datenverarbeitungsvorgangs beeinflusst wurde. Dieser „Zwischenerfolg“ tritt an die Stelle der für § 263 StGB erforderlichen Vermögensverfügung und setzt daher voraus, dass durch die Tathandlung unmittelbar eine vermögensrelevante Dispositi-on des Computers verursacht wird.42 Das Einscannen des Strichcodes führt lediglich zu der Anzeige eines im Verhältnis zu den tatsächlich mitgenommenen Flaschen geringeren Kaufpreises, wodurch

37

Achenbach JR 1994, 293 (295); Neumann JuS 1990, 537. 38

BGHSt 47, 160 (162 f.) = NJW 2002, 905 (905 f.); BGH NStZ 2005, 213 (213); BeckOK StGB/Schmidt StGB § 263a Rn. 23; Rengier StrafR BT I § 14 Rn. 19. 39

BGHSt 47, 162 (163) = NJW 2002, 905 (906); aA Rengier StrafR BT I § 14 Rn. 22, wonach es darauf an-komme, welche Prüfungspflichten die Vergleichsperson hätte, wenn sie an die Stelle des Computers träte und die Daten verarbeiten würde. 40

OLG Hamm BeckRS 2013, 16642. 41

Vgl. Fischer StGB § 263a Rn. 18. 42

OLG Hamm NJW 2006, 2341; Fischer StGB § 263a Rn. 20.

Page 9: Lösungsvorschlag Klausur Nr. 3136€¦ · UNI-KLAUSURENKURS SEITE 5 VON 25 II. Ergebnis I hat sich nicht gem. § 276 Abs. 1 Var. 2 StGB schuldig gemacht. C. Urkundenunterdrückung

UNI-KLAUSURENKURS SEITE 9 VON 25

aber noch kein verfügungsähnlicher Vorgang im Sinne einer Minderung des Vermögens eintritt. Dadurch wird lediglich die Mitnahme der teureren Flaschen erleichtert, die jedoch auf einer selb-ständigen Handlung des I beruht und somit nicht unmittelbar auf das Einscannen zurückzuführen ist. Es fehlt daher auch an der Beeinflussung des Ergebnisses eines Datenverarbeitungsvorganges.

II. Ergebnis

I hat sich nicht gem. § 263a Abs. 1 StGB schuldig gemacht.

G. Erschleichen von Leistungen gem. § 265a Abs. 1 Var. 1 StGB

Durch dieselbe Handlung könnte sich I gem. § 265a Abs. 1 Var. 1 StGB schuldig gemacht haben. Automat im Sinne dieser Vorschrift ist ein technisches Gerät, dessen mechanische oder elektronische Steuerung durch Barentrichtung des Entgelts oder durch die gleichwertige Eingabe einer Codierung in Gang gesetzt wird und das sodann selbstständig die Leistung erbringt oder den Zugang zu ihrer unmittelbaren Inanspruchnahme eröffnet.43 Nach hM liegt in der Abgabe von Waren bereits keine Leistung.44 Jedenfalls erbringt die Selbstbedie-nungskasse nicht selbst eine Leistung, sondern vermittelt die Abgabe der Waren nur, indem sie zu deren Inanspruchnahme berechtigt.45 Folglich handelt es sich dabei nicht um einen Automaten iSv § 265a Abs. 1 Var. 1 StGB und scheidet eine Strafbarkeit wegen eines Er-schleichens von Leistungen aus.

H. Urkundenfälschung gem. § 267 Abs. 1 Var. 3 StGB

Durch dieselbe Handlung hat sich I auch keiner Urkundenfälschung gem. § 267 Abs. 1 Var. 3 StGB durch die Verwendung von unechten Urkunden schuldig gemacht. Es fehlt auch hier am subjektiven Tatbestand.

I. Schwerer Diebstahl gem. §§ 242, 244 Abs. 1 StGB

Indem I die Weinflaschen in seinen Turnbeutel gesteckt und den Kassenbereich passiert hat, könnte er sich aber eines schweren Diebstahls gem. §§ 242, 244 Abs. 1 StGB schuldig gemacht haben.

I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand

a. Tatobjekt

Die Weinflaschen müssten bewegliche und fremde, dh zumindest auch im Eigentum eines anderen stehende Sachen sein. Die Flaschen standen zunächst im Eigentum der Supermarktkette R. Sie wären jedoch nicht mehr fremd, wenn sie I gem. § 929 S. 1 BGB übereignet wurden. In einem Selbstbedie-nungsladen erfolgt die Übereignung regelmäßig bei der Bezahlung an der Kasse.46 Dies muss auch bei der Verwendung von Selbstbedienungskassen gelten. Die Übereignung be-zieht sich dann aber nur auf die dem eingescannten Strichcode entsprechende und ange-

43

OLG Karlsruhe NJW 2009, 1287 (1288); Fischer StGB § 265a Rn. 10. 44

OLG Düsseldorf NJW 1999, 3208 (3209) Schönke/Schröder/Perron StGB § 265a Rn. 4. 45

Vgl. MüKoStGB/Hefendehl StGB § 265a Rn. 24, 26. 46

Palandt/Herrler BGB § 929 Rn. 3.

Page 10: Lösungsvorschlag Klausur Nr. 3136€¦ · UNI-KLAUSURENKURS SEITE 5 VON 25 II. Ergebnis I hat sich nicht gem. § 276 Abs. 1 Var. 2 StGB schuldig gemacht. C. Urkundenunterdrückung

UNI-KLAUSURENKURS SEITE 10 VON 25

zeigte, nicht auf die davon abweichende tatsächlich mitgenommene Ware.47 Folglich waren die Flaschen noch fremd und stellten geeignete Tatobjekte dar.

b. Wegnahme

Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendigerweise tä-tereigenen Gewahrsams.48 Gewahrsam ist die von einem natürlichen Herrschaftswillen ge-tragene Sachherrschaft, deren Reichweite von der Verkehrsauffassung bestimmt wird.49 Ursprünglich hatte der Filialleiter des Supermarkts Gewahrsam an den sich in seiner Herr-schaftssphäre befindlichen Weinflaschen. Jedenfalls als I die Flaschen in seinen Turnbeutel steckte und damit den Kassenbereich ver-ließ, hatte er nach der Verkehrsanschauung die vom einem Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft darüber inne und begründete somit neuen Gewahrsam. Dem steht nicht entgegen, dass I von der Ladendetektivin Sophia S. (S) beobachtet wurde. Der Diebstahl gem. § 242 StGB ist nämlich kein heimliches Delikt; dass Dritte von dem Gewahr-samswechsel Kenntnis nehmen hindert nicht die Vollendung des Diebstahls, sondern er-leichtert allenfalls dessen Aufdeckung und die Wiedererlangung der gestohlenen Gegen-stände.50 Fraglich ist aber, ob der Gewahrsamswechsel durch Bruch, dh ohne oder gegen den Willen des Filialleiters erfolgte. Denn es könnte seitens des Filialleiters durch das Aufstellen von Selbstbedienungskassen ein generelles Einverständnis mit dem Übergang des Gewahrsams an den dort registrierten Waren erklärt worden sein. Der Filialleiter möchte diese Ware den zahlenden Kunden überlassen; anders als bei der Verwendung herkömmlicher Kassen steht jedoch kein Kassenpersonal zur Verfügung, das für diesen ein individuelles Einverständnis erklären könnte.51 An sich liegt also ein generelles Einverständnis vor. Dieses könnte jedoch unter einer Bedingung erklärt worden sein. Grundsätzlich kann ein Gewahrsamsübergang an Bedingungen geknüpft werden, wenn es sich dabei um automa-tentypische und äußerliche erkennbare Bedingungen handelt.52 Bei der Verwendung von Selbstbedienungskassen ist unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung und der be-rechtigten Geschäftsinteressen des Filialleiters anzunehmen, dass dieser sein Einverständ-nis nur unter der Bedingung erteilt, dass die Selbstbedienungskasse äußerlich ordnungs-gemäß bedient wird. Hierzu gehört das korrekte Einscannen und Bezahlen der tatsächlich zur Selbstbedienungskasse mitgebrachten und anschließend mitgenommenen Ware.53 Vor-liegend hat I die Weinflaschen gerade nicht ordnungsgemäß eingescannt, so dass die Be-dingung nicht erfüllt ist. Es liegt also kein generelles Einverständnis vor. Der Gewahrsamswechsel erfolgte durch Bruch. I hat die Weinflaschen folglich weggenom-men.

c. Qualifikation gem. § 244 Abs. 1 StGB

I könnte zudem die Qualifikation gem. § 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB verwirklicht haben, da er im Handschuhfach seines Pkw eine geladene Schusswaffe deponiert hatte. Bei dieser han-

47

Vgl. OLG Hamm BeckRS 2013, 16642. 48

BGH NJW 2018, 245 (245); MüKoStGB/Schmitz StGB § 242 Rn. 49; Schönke/Schröder/Eser/Bosch StGB § 242 Rn. 22 49

BGHSt 16, 271 (273) = NJW 1961, 2266 (2266); Rengier StrafR BT I § 2 Rn. 23. 50

BGHSt 16, 271 (273 f.) = NJW 1961, 2266 (2267 f.); OLG Hamm BeckRS 2013, 16642; Fischer StGB § 242 Rn. 141. 51

OLG Hamm BeckRS 2013, 16642. 52

Ausführlich zur Lehre vom bedingten Einverständnis s. Rengier StrafR BT I § 2 Rn. 70 ff. 53

OLG Hamm BeckRS 2013, 16642; Rengier StrafR BT I § 2 Rn. 78.

Page 11: Lösungsvorschlag Klausur Nr. 3136€¦ · UNI-KLAUSURENKURS SEITE 5 VON 25 II. Ergebnis I hat sich nicht gem. § 276 Abs. 1 Var. 2 StGB schuldig gemacht. C. Urkundenunterdrückung

UNI-KLAUSURENKURS SEITE 11 VON 25

delt es sich um eine Waffe „im technischen Sinn“, die auch betriebsbereit war und somit dem Waffenbegriff des § 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB unproblematisch unterfällt.54 Zudem müsste I die Waffe beim Diebstahl bei sich geführt haben. Der Täter führt eine Waf-fe bei sich, wenn sie ihm während des Tathergangs zur Verfügung steht, dh wenn er sich ihr jederzeit ohne nennenswerten Zeitaufwand bedienen kann.55 Hier ist zeitlich zu differenzieren: Während I sich im Supermarkt befand, konnte er sich der Waffe nicht bedienen, ein Beisichführen lag nicht vor; anders aber in dem Zeitpunkt, als I in das Fahrzeug einstieg: durch einen kurzen Griff in das Handschuhfach hätte er sich der Waffe bedienen können, er führte sie bei sich. Fraglich ist damit, ob I die Waffe damit auch bei dem Diebstahl bei sich geführt hat: Grund-sätzlich ist es nicht erforderlich, dass die Waffe dem Täter während des gesamten Tather-gangs zur Verfügung steht, es genügt, dass dies zu irgendeinem Zeitpunkt der Fall ist.56 Problematisch ist hier, dass der Diebstahl im Zeitpunkt, als I in das Auto stieg bereits voll-endet war. Zum Tathergang könnte jedoch auch noch die Phase bis zur Beendigung gehö-ren. Ein Diebstahl ist beendet, wenn der Gewahrsam gesichert ist.57 Dies war hier während der Fahrt zumindest solange nicht der Fall, wie I von S verfolgt wurde. Damit war der Dieb-stahl noch nicht beendet.

Vertiefungshinweis: Der Diebstahl ist in der Regel spätestens dann beendet, wenn die Beute in die Räume des Täters oder in ein Versteck verbracht wurde.58

Ob das Qualifikationsmerkmal gem. § 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB auch noch in der Beendi-gungsphase erfüllt werden kann, ist allerdings umstritten. Nach der Rspr. und einem Teil der Lit. ist dies zu bejahen. Dafür wird angeführt, der Voll-endungszeitpunkt sei oft ungenau und zufällig. Außerdem sei ein Täter, der erst in der Be-endigungsphase Waffen bei sich führt, genauso gefährlich.59 Die hLit. lehnt dies dagegen ab. Hierfür spricht maßgeblich, dass der Wortlaut von § 244 Abs. 1 Nr. 1a StGB verlangt, dass die Waffe bei dem „Diebstahl“ bei sich geführt wird. Der Diebstahl ist aber mit seiner Vollendung abgeschlossen. Die Gegenansicht nimmt also eine im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG bedenkliche Ausweitung des Wortlauts vor.60 Überzeugend ist daher die letztgenannte Ansicht. Dafür spricht auch die Existenz von § 252 StGB, der an eine Strafschärfung des einfachen Diebstahls nach Vollendung besondere Vo-raussetzungen knüpft, die nicht durch eine Ausweitung von § 244 StGB unterlaufen werden dürfen.61 Folglich ist § 244 Abs. 1 StGB nicht verwirklicht (aA vertretbar).

Vertiefungshinweis: Dasselbe Problem stellt sich auch im Zusammenhang mit anderen Qualifikationstatbeständen. Zu § 250 Abs. 2 StGB hat der BGH seine Rspr. dahingehend eingeschränkt, dass er nun verlangt, dass die Qualifikation nur bejaht werden kann, wenn die Täterhandlung auch im Beendigungsstadium

54

Ausführlich zum Begriff der Waffe s. Fischer StGB § 244 Rn. 3 ff. 55

BGHSt 31, 105 (106) = NJW 1982, 2784; BGH NStZ-RR 2014, 110 (111); Rengier StrafR BT I § 4 Rn. 43. 56

BGHSt 31, 105 (106) = NJW 1982, 2784; BGH NStZ-RR 2014, 110 (111). 57

Fischer StGB § 242 Rn. 54; vgl. BGHSt 4, 132 (133) = NJW 1953, 992 (993). 58

Fischer StGB § 242 Rn. 54; vgl. BGHSt 8, 390 (391) = NJW 1956, 477. 59

BGHSt 20, 194 (197) = NJW 1965, 1235; BGH NStZ-RR 2013, 244 (244); Haft JuS 1988, 364 (367 f.) 60

Rengier StrafR BT I § 4 Rn. 49; Wessels/Hillenkamp/Schuhr StrafR BT II Rn. 268; Kudlich NStZ 2011, 518 (519). 61

Rengier StrafR BT I § 4 Rn. 49.

Page 12: Lösungsvorschlag Klausur Nr. 3136€¦ · UNI-KLAUSURENKURS SEITE 5 VON 25 II. Ergebnis I hat sich nicht gem. § 276 Abs. 1 Var. 2 StGB schuldig gemacht. C. Urkundenunterdrückung

UNI-KLAUSURENKURS SEITE 12 VON 25

weiterhin von Zueignungs-, Beutesicherungs- bzw. Bereicherungsabsicht getragen wird.62 Diese Rspr. lässt sich möglicherweise auf andere Qualifikationstatbestände übertragen.63 Hier hatte I in der Beendigungsphase keine Zueignungs- bzw. Beutesicherungsabsicht; es kam ihm ausschließlich da-rauf an, zu flüchten.

2. Subjektiver Tatbestand

I handelte vorsätzlich. Er handelte hinsichtlich der Weinflaschen auch mit Zueignungsab-sicht, dh mit der Absicht zumindest vorübergehender Aneignung und jedenfalls mit Even-tualvorsatz hinsichtlich der dauernden Enteignung des Berechtigten. Mangels fälligem und durchsetzbarem Anspruch auf Übereignung war die Zueignung zudem rechtswidrig, was I auch wusste.

II. Rechtswidrigkeit und Schuld

I handelte rechtswidrig und schuldhaft.

III. Strafantrag

Ein Strafantrag gem. § 248a StGB ist nicht erforderlich, da die gestohlenen Sachen nicht geringwertig sind. Geringwertigkeit wird teilweise bei einem Betrag bis zu 20 EUR64 oder 30 EUR65, teilweise bis zu 50 EUR66 angenommen. Bezieht sich eine Tathandlung wie hier auf mehrere Sachen, kommt es auf deren Gesamtwert an.67 Die drei Weinflaschen im Wert von insgesamt 89,97 EUR sind daher nicht mehr geringwertig.

IV. Ergebnis

I hat sich gem. § 242 Abs. 1 StGB schuldig gemacht. Auch wenn ein Täter bei der Tataus-führung mehrere Sachen mitnimmt, liegt jedenfalls dann nur ein Diebstahl vor, wenn er von vornherein zur Mitnahme mehrerer Sachen entschlossen war.68 So liegt der Fall hier bezüg-lich der drei Weinfalschen; folglich hat sich I nur eines Diebstahls schuldig gemacht. Die gleichzeitig verwirklichte Unterschlagung tritt aufgrund formeller Subsidiarität gem. § 246 Abs. 1 aE StGB dahinter zurück.

J. Räuberischer Diebstahl in Mittäterschaft gem. §§ 252, 25 Abs. 2 StGB

Indem Cornelius C. (C) die S zur Seite stieß, könnte sich I eines räuberischen Diebstahls in Mittäterschaft gem. §§ 252 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB schuldig gemacht haben. I selbst hat gegenüber S weder Gewalt verübt noch dieser gedroht. –Ihm könnte jedoch das Verhalten von C gem. § 25 Abs. 2 StGB zuzurechnen sein. Voraussetzung hierfür ist, dass I und C die Tat gemeinschaftlich begangen haben; sie müss-ten dafür auf Grund eines gemeinsamen Tatplans gehandelt und die Tat gemeinsam ausge-führt haben. Fraglich ist hier bereits, ob ein gemeinsamer Tatplan vorliegt. Dass C gegen S körperlich vorgehen sollte, war zwischen den beiden nicht ausdrücklich abgesprochen worden. Ein gemeinsamer Tatplan kann zwar auch konkludent und erst während der Tatausführung ge-

62

BGHSt 53, 234 (234 ff.) = NJW 2009, 3041(3042) zu § 250 Abs. 2 Nr. 3a StGB; BGHSt 55, 79 (79 ff.) = NJW 2010, 1892 (1893) zu § 250 Abs. 2 Nr. 3b StGB; BGHSt 52, 376 (376) = NJW 2008, 3651 (3652); BGH NJW 2010, 1385 (1386) zu § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB. 63

Rengier StrafR BT I § 9 Rn. 34 f. 64

BGH BeckRS 2004, 07428; Fischer StGB § 248a Rn. 3a. 65

OLG Koblenz BeckRS 2014, 8894. 66

OLG Frankfurt NJW 2008, 3233; MüKoStGB/Hohmann StGB § 248a Rn 6. 67

MüKoStGB/Hohmann StGB § 248a Rn. 5. 68

BGH NStZ-RR 2009, 278 (279); MüKoStGB/Schmitz StGB § 242 Rn. 192.

Page 13: Lösungsvorschlag Klausur Nr. 3136€¦ · UNI-KLAUSURENKURS SEITE 5 VON 25 II. Ergebnis I hat sich nicht gem. § 276 Abs. 1 Var. 2 StGB schuldig gemacht. C. Urkundenunterdrückung

UNI-KLAUSURENKURS SEITE 13 VON 25

fasst werden69, die bloße Kenntnis und nachträgliche Billigung genügen jedoch nicht.70 Hier hatte I in dem Zeitpunkt, als C die S zur Seite stieß bereits die Flucht ergriffen, so dass es an jeglicher, auch konkludenter Übereinkunft fehlt. Ein gemeinsamer Tatplan liegt somit nicht vor; eine Zurechnung gem. § 25 Abs. 2 StGB scheidet aus. I hat sich somit nicht gem. §§ 252, 25 Abs. 2 StGB schuldig gemacht.

Klausurhinweis: Eine Strafbarkeit des I gem. § 252 StGB scheidet auch deshalb aus, weil es in der Person des I an der erforderlichen Besitzerhaltungsabsicht fehlt: I trat sofort nach seiner Entdeckung die Flucht an, wo-bei ihm die Beute egal war. Es kam ihm nur darauf an, nicht gefasst zu werden. Eine Zurechnung der Besitzerhaltungsabsicht in der Person des C gem. § 25 Abs. 2 StGB ist nicht möglich, da subjektive Tatbestandsmerkmale in der Person des jeweiligen Täters vorliegen müssen und gerade nicht zugerechnet werden können.

K. Körperverletzung in Mittäterschaft gem. §§ 223 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB

Auch eine Körperverletzung in Mittäterschaft gem. §§ 223 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB scheidet mangels gemeinsamen Tatplans aus.

Strafbarkeit des C

A. Diebstahl in Mittäterschaft gem. §§ 242 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB

Indem C während des Bezahlvorganges des I Schmiere stand und die Weinflaschen in dem Turnbeutel zum Pkw des I transportierte, könnte er sich eines Diebstahls in Mittäterschaft gem. §§ 242 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB schuldig gemacht haben.

I. Objektiver Tatbestand

C selbst hat die Weinflaschen nicht weggenommen. Ihm könnte jedoch die Wegnahme durch I gem. § 25 Abs. 2 StGB zuzurechnen sein. Voraussetzung hierfür ist, dass I und C die Tat gemeinschaftlich begangen haben; sie müss-ten dafür auf Grund eines gemeinsamen Tatplans gehandelt und die Tat gemeinsam ausge-führt haben. C war in alles eingeweiht und sein Verhalten beruhte auf einer Absprache zwischen I und C. Ein gemeinsamer Tatplan lag somit vor. Fraglich ist jedoch die gemeinsame Tatausführung, welche voraussetzt, dass auch C einen täterschaftlichen Tatbeitrag leistete. Nach der Tatherrschaftslehre ist dafür erforderlich, dass der Beteiligte jeweils funktionelle Tatherrschaft in dem Sinne besitzt, dass er in arbeitsteiligem Zusammenwirken mit dem anderen die Durchführung der Tat wesentlich mit beherrscht.71 Vorliegend beschränkte sich der Tatbeitrag des C zunächst darauf, während des Bezahlvor-gangs Schmiere zu stehen, dh aufzupassen und I zu warnen, sobald für ihn Gefahr drohte, entdeckt zu werden. Durch dieses Verhalten beherrschte er die Durchführung des Dieb-stahls nicht im Sinne einer funktionellen Tatherrschaft wesentlich mit.

69

BGH NStZ 1985, 70 (71); Fischer StGB § 25 Rn. 34. 70

BGH NStZ 2003, 85 (85); Fischer StGB § 25 Rn. 34. 71

Roxin StrafR AT II § 25 Rn. 188; Rengier StrafR AT § 41 Rn. 13.

Page 14: Lösungsvorschlag Klausur Nr. 3136€¦ · UNI-KLAUSURENKURS SEITE 5 VON 25 II. Ergebnis I hat sich nicht gem. § 276 Abs. 1 Var. 2 StGB schuldig gemacht. C. Urkundenunterdrückung

UNI-KLAUSURENKURS SEITE 14 VON 25

Möglicherweise kann auf den anschließenden Transport der Beute in dem Turnbeutel ab-gestellt werden. Es ist bereits fraglich, ob dieser erst nach Vollendung des Diebstahls erfol-gende Beitrag überhaupt eine (sukzessive) Mittäterschaft begründen kann. Jedenfalls ist auch der Transport ein Beitrag von nur untergeordneter Bedeutung - C hätte den Beutel problemlos selbst zum Pkw tragen können – und genügt daher nicht zur Begründung von Tatherrschaft. Nach dieser Ansicht fehlt es an einem täterschaftlichen Beitrag. Nach der gemäßigt subjektiven Theorie der Rspr. kann grundsätzlich jeder fördernde Bei-trag genügen.72 Entscheidend ist danach, ob der Täter die Tat als eigene will, was sich an-hand einer wertenden Betrachtung unter Berücksichtigung des Grades des eigenen Interes-ses am Taterfolg, des Umfangs der Tatbeteiligung und der Tatherrschaft sowie des Willens zur Tatherrschaft bestimmt.73Hier lässt sich weder aus einer Tatherrschaft, noch aus den sonstigen Umständen auf einen Täterwillen des C schließen. Insbes. ist nicht ersichtlich, dass I an der Beute beteiligt werden sollte; er wollte lediglich seinem Freund einen Gefallen tun. Auch nach der Rspr. stellen das Schmiere-stehen sowie der Transport der Beute somit keine täterschaftliche Beiträge dar. Eine Zurechnung nach § 25 Abs. 2 StGB scheidet daher aus.

II. Ergebnis

C hat sich nicht gem. §§ 242 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB schuldig gemacht.

B. Beihilfe zum Diebstahl gem. §§ 242 Abs. 1, 27 StGB

Durch dieselben Handlungen könnte sich C jedoch einer Beihilfe zum Diebstahl des I gem. §§ 242 Abs. 1, 27 StGB schuldig gemacht haben.

I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand

a. Vorsätzliche und rechtswidrige Haupttat

Eine vorsätzliche und rechtswidrige Haupttat des I gem. § 242 Abs. 1 StGB liegt vor.

b. Hilfeleisten

C müsste hierzu Hilfe geleistet haben, dh durch sein Verhalten die Begehung der Haupttat zumindest erleichtert oder gefördert haben.74 Dadurch dass C Schmiere stand, hat er die Wegnahme der Weinflaschen durch I unterstützt, indem er diesem zumindest das Gefühl der Sicherheit gab, vor einer Entdeckung gewarnt zu werden. Er entlastete C jedenfalls teilweise davon, selbst aufpassen zu müssen. Folglich hat C die Haupttat erleichtert, also dazu Hilfe geleistet. Eine weitere Beihilfehandlung könnte in dem Transport der Weinflaschen gesehen werde. Dieser erfolgte jedoch erst nach Vollendung der Haupttat. Ob eine sukzessive Beihilfe im Beendigungsstadium möglich ist, ist umstritten. Letztlich kann dies hier offenbleiben, da

72

BGH NStZ-RR 2004, 40 (41); NStZ 2008, 273 (275). 73

BGHSt 37, 289 (291) = NJW 1991, 1068; BGH NJW 2017, 5. 74

BGHSt 46, 107 (109) = NJW 2000, 3010; Rengier StrafR AT § 45 Rn. 82.

Page 15: Lösungsvorschlag Klausur Nr. 3136€¦ · UNI-KLAUSURENKURS SEITE 5 VON 25 II. Ergebnis I hat sich nicht gem. § 276 Abs. 1 Var. 2 StGB schuldig gemacht. C. Urkundenunterdrückung

UNI-KLAUSURENKURS SEITE 15 VON 25

mehrere Beihilfehandlungen zu einer Haupttat nur ein Beihilfedelikt darstellen, weil sich das vom Gehilfen begangene Unrecht nur aus dem Unrecht der Haupttat ableiten lässt.75

2. Subjektiver Tatbestand

C war in alles eingeweiht. Er handelte sowohl vorsätzlich hinsichtlich der Haupttat als auch seiner eigenen Beihilfehandlung (sog. doppelter Gehilfenvorsatz).

II. Rechtswidrigkeit und Schuld

C handelte rechtswidrig und schuldhaft.

III. Ergebnis

C hat sich gem. §§ 242 Abs. 1, 27 StGB schuldig gemacht.

C. Beihilfe zur Urkundenunterdrückung gem. §§ 274 Abs. 1, 27 StGB

Durch dieselbe Handlung könnte sich C einer Beihilfe zur Urkundenunterdrückung gem. §§ 274 Abs. 1, 27 StGB schuldig gemacht haben. Eine vorsätzliche und rechtswidrige Haupttat gem. § 274 Abs. 1 StGB liegt vor. Fraglich ist aber, ob C auch hierzu Hilfe geleistet hat. C wartete hinter dem Kassenbereich auf I und stand lediglich während des Bezahlvorganges Schmiere. Durch dieses Verhalten hat er das Überkleben der Preisetiketten der Weinflaschen weder ermöglicht, noch erleichtert. Die Vortat war zum Zeitpunkt seiner Beteiligung bereits beendet, so dass auch eine sukzessive Beihilfe nach allen Ansichten ausscheidet. Mangels Hilfeleistung hat sich C daher nicht gem. §§ 274 Abs. 1, 27 StGB schuldig gemacht.

D. Räuberischer Diebstahl gem. § 252 StGB

Indem er die S zur Seite stieß, könnte sich C eines räuberischen Diebstahls gem. § 252 StGB schuldig gemacht haben.

I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand

a. Vortat

Ein Diebstahl gem. § 242 StGB liegt vor. Allerdings war C diesbezüglich nicht Täter, son-dern lediglich Gehilfe. Fraglich ist also, ob auch eine Beihilfe zum Diebstahl Vortat des § 252 StGB sein kann. Nach der Rspr. und einem Teil der Lit. ist dies grundsätzlich möglich.76 Ein anderer Teil der Lit. verneint dies dagegen. 77 Für letztere Ansicht wird angeführt, dass § 252 StGB die Bestrafung „gleich einem Räuber“ vorsieht. Deshalb müsse ein Gleichgewicht mit dem Tatbestand des § 249 StGB hergestellt

75

BGH NStZ-RR 2008, 386; Fischer StGB § 27 Rn. 31a. 76

BGHSt 6, 248 (250) = NJW 1954, 1495; MüKoStGB/Sander StGB § 252 Rn. 17; BeckOK StGB/Wittig StGB § 252 Rn. 13. 77

Rengier StrafR BT I § 10 Rn. 25; Schönke/Schröder/Bosch StGB § 252 Rn. 10.

Page 16: Lösungsvorschlag Klausur Nr. 3136€¦ · UNI-KLAUSURENKURS SEITE 5 VON 25 II. Ergebnis I hat sich nicht gem. § 276 Abs. 1 Var. 2 StGB schuldig gemacht. C. Urkundenunterdrückung

UNI-KLAUSURENKURS SEITE 16 VON 25

werden und zwar dadurch, dass jeweils eine täterschaftliche Verwirklichung des Diebstahls- und des Nötigungselement zu fordern sei.78 Dagegen spricht jedoch, dass der Wortlaut von § 252 StGB eine solche Einschränkung nicht vorsieht. „Bei einem Diebstahl“ kann auch der Diebstahlsgehilfe betroffen sein.79 Die not-wendige Raubähnlichkeit wird dadurch erreicht, dass auch der Gehilfe in „verlängerter Zu-eignungsabsicht“ handeln muss, welche gem. §§ 242, 249 StGB gerade auch die Drittzu-eignungsabsicht erfasst.80 Überzeugend ist folglich die erstgenannte Ansicht. Auch C als Diebstahlsgehilfe kann Täter des § 252 StGB sein (aA vertretbar).

b. Auf frischer Tat betroffen

Auf frischer Tat betroffen ist der Täter, wenn er in Tatortnähe und spätestens alsbald nach Tatausführung wahrgenommen wird.81 Die Tat darf noch nicht beendet sein; zudem ist ein raumzeitliches Zusammentreffen erforderlich.82 Vorliegend beobachtete S das gesamte Geschehen und stellte I und C sofort nach Vollen-dung der Wegnahme und noch im Supermarkt zur Rede. Sie hat C damit vor Beendigung des Diebstahls und in unmittelbar räumlichem und zeitlichem Zusammenhang wahrge-nommen und somit auf frischer Tat betroffen.

c. Nötigungsmittel

Indem C die S zur Seite stieß und S daraufhin zu Boden ging nahm er eine körperliche Kraftentfaltung vor, durch die auf S körperlich wirkender Zwang ausgeübt wurde, um einen von C erwarteten Widerstand der S gegen sein Handeln zu brechen. Dadurch hat er Gewalt gegen eine Person verübt.83

2. Subjektiver Tatbestand

C handelte vorsätzlich hinsichtlich des objektiven Tatbestands. Zudem müsste er die Gewalt verübt haben, um sich im Besitz des gestohlenen Gutes zu erhalten. Dies setzt zunächst voraus, dass er im Besitz der Weinflaschen war, was hier nach der Übergabe von I an C der Fall war. Dem Täter muss es – in Entsprechung zum Diebstahl und zur Gewährleistung der Raubähnlichkeit – darauf ankommen, den noch gefährdeten Gewahrsam an dem entwendeten Gegenstand zu sichern, und zwar mit dem Ziel der ur-sprünglich angestrebten Zueignung (sog. „verlängerte Zueignungsabsicht“).84 Vorliegend wollte C den Wein für seinen Freund nicht aufgeben. Ihm kam es also gerade darauf an, eine unmittelbar bevorstehende Gewahrsamsentziehung durch S zu verhindern. Er handelte durchgehend mit dem Ziel, die Weinflaschen dem I zuzueignen iSv §§ 242, 249 StGB. Dass daneben noch ein anderes Motiv für die Gewaltanwendung vorlag, nämlich das Interesse daran, sich der Strafverfolgung zu entziehen, ist unschädlich.85 C handelte somit mit Be-sitzerhaltungsabsicht.

II. Rechtswidrigkeit und Schuld

C handelte rechtswidrig und schuldhaft.

78

Rengier StrafR BT I § 10 Rn. 25. 79

BGHSt 6, 248 (250) = NJW 1954, 1495. 80

Vgl. MüKoStGB/Sander StGB § 252 Rn. 17. 81

BGHSt 9, 255 (257) = NJW 1956, 1487 (1488); Fischer StGB § 252 Rn. 5. 82

Fischer StGB § 252 Rn. 4 f.; BGHSt 28, 224 (230) = NJW 1979, 726 (727). 83

Zur Definition der Gewalt s.: Rengier StrafR BT II § 23, Rn. 23; Eisele StrafR BT I Rn. 453 ff. 84

BGHSt BeckRS 1986, 31109492; MüKoStGB/Sander StGB § 252 Rn. 15; Rengier StrafR BT I § 10 Rn. 16. 85

BGH NStZ-RR 2005, 340 (341); Fischer StGB § 252 Rn. 9.

Page 17: Lösungsvorschlag Klausur Nr. 3136€¦ · UNI-KLAUSURENKURS SEITE 5 VON 25 II. Ergebnis I hat sich nicht gem. § 276 Abs. 1 Var. 2 StGB schuldig gemacht. C. Urkundenunterdrückung

UNI-KLAUSURENKURS SEITE 17 VON 25

III. Ergebnis

C hat sich gem. § 252 StGB schuldig gemacht.

E. Körperverletzung gem. § 223 Abs. 1 StGB

Das Zur-Seite-Stoßen der S durch C stellt eine üble und unangemessene Behandlung dar, die das körperliche Wohlbefinden der S, die dadurch einige Prellungen erlitt, nicht nur un-erheblich beeinträchtigte. C hat S folglich körperlich misshandelt.86 Die Prellungen führen zudem zu einem negativ vom körperlichen Normalzustand abweichenden Zustand, so dass er sie auch an der Gesundheit geschädigt hat.87 C nahm dies in Kauf, handelte also mit Eventualvorsatz. Er handelte auch rechtswidrig und schuldhaft. C hat sich daher auch einer Körperverletzung gem. § 223 Abs. 1 StGB schuldig gemacht. Sofern die Staatsanwaltschaft nicht das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfol-gung bejaht, ist nach § 230 Abs. 1 StGB ein Strafantrag erforderlich. Dieser ist laut Bearbei-tervermerk gestellt. Die Qualifikation § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB ist dagegen nicht erfüllt, da C und I bei der Vor-nahme der Verletzungshandlung nicht mehr bewusst zusammen gewirkt haben.88

F. Nötigung gem. § 240 Abs. 1 StGB

C hat S durch dieselbe Handlung mit Gewalt (Nötigungsmittel) dazu genötigt, ihm den Turnbeutel mit den Weinflaschen nicht abzunehmen (Nötigungserfolg). Dabei handelte er vorsätzlich. Die Tat war auch rechtswidrig, die Verwerflichkeit iSv § 240 Abs. 2 StGB ergibt sich nach der Wertung des § 252 StGB bereits aus der Verwerflichkeit des Nötigungsziels des C, der sich durch die Gewaltanwendung den Besitz an einer gestohlenen Sache erhal-ten wollte. C handelte auch schuldhaft. Er hat sich somit einer Nötigung gem. § 240 Abs. 1 StGB schuldig gemacht.

2. Tatkomplex – Das Motorrad

Strafbarkeit des I

Unterschlagung gem. § 246 Abs. 1 StGB

Indem I den Wein an seine Gäste ausschenkte, könnte er sich einer Unterschlagung gem. § 246 Abs. 1 StGB schuldig gemacht haben.

I. Objektiver Tatbestand

Bei den Weinflaschen handelt es sich um fremde bewegliche Sachen; eine Übereignung fand gerade nicht statt (s.o.). Diese müsste I sich zugeeignet haben. Dies setzt nach der herrschenden engen Manifesta-tionstheorie voraus, dass der Täter aus der Sicht eines objektiven und alle äußeren Um-

86

Zur Definition s. BGHSt 53, 145 (158) = NJW 2009, 1360; Eisele StrafR BT I § 11 Rn. 291. 87

Zur Definition s. Eisele StrafR BT I § 11 Rn. 291. 88

Zur Definition s. Kindhäuser StrafR BT I § 9 Rn. 18 f.

Page 18: Lösungsvorschlag Klausur Nr. 3136€¦ · UNI-KLAUSURENKURS SEITE 5 VON 25 II. Ergebnis I hat sich nicht gem. § 276 Abs. 1 Var. 2 StGB schuldig gemacht. C. Urkundenunterdrückung

UNI-KLAUSURENKURS SEITE 18 VON 25

stände kennenden Betrachters eine Handlung vorgenommen hat, die einen eindeutigen Rückschluss auf den Zueignungswillen des Täters zulässt.89 Das Ausschenken des Weins an seine Freunde lässt von außen betrachtet den Rückschluss zu, dass I mit den Weinflaschen wie ein Eigentümer verfahren wollte. Fraglich ist aber, ob sich I als Täter eines vorangegangenen Diebstahls die Flaschen erneut zueignen kann. Nach der hLit. ist eine erneute Zueignung möglich. Begründet wird dies mit dem Erforder-nis eines lückenlosen Eigentumsschutzes, da so der Eigentümer der entzogenen Sache vor weiteren Eigentumsverletzungen geschützt werden kann.90 Der Tatbestand des § 246 ist erfüllt und fällt erst auf Konkurrenzebene als mitbestrafte Nachtat weg (sog. Konkurrenzlö-sung). Nach der Rspr. ist eine erneute Zueignung bereits tatbestandlich ausgeschlossen, da eine bereits erfolgte Zueignung nicht wiederholbar sei (sog. Tatbestandslösung). Dafür spreche bereits der Wortlaut, da eine Zueignung als Herstellen einer Verfügungsmacht nicht zwei-mal erfolgen könne. Eine Zueignung könne nicht mit einer Vertiefung des Zueignungswil-lens gleichgesetzt werden.91 Zudem führe eine Bejahung der Zueignung dazu, dass die Ver-jährung unbillig hinausgeschoben werde.92 Letztere Ansicht überzeugt. Mangels Zueignung entfällt bereits der objektive Tatbestand.93

(aA vertretbar).

II. Ergebnis

I hat sich nicht gem. § 246 Abs. 1 StGB schuldig gemacht.

Strafbarkeit des Marcus M. (M)

A. Erpressung gem. § 253 Abs. 1 StGB

Indem M dem I in Aussicht stellte, ihn anzuzeigen, wenn er nicht den Kaufvertrag unter-schreibe, könnte er sich der Erpressung gem. § 253 Abs. 1 StGB schuldig gemacht haben.

I. Objektiver Tatbestand

1. Nötigungsmittel

M müsste zunächst ein Nötigungsmittel eingesetzt haben. Eine Gewaltanwendung ist nicht gegeben, möglicherweise hat M dem I jedoch mit einem empfindlichen Übel gedroht. Drohung iSv §§ 253, 240 StGB ist das In-Aussicht-Stellen eines empfindlichen Übels, auf das der Drohende Einfluss hat oder zu haben vorgibt.94 Übel ist jeder Nachteil für das Nöti-gungsopfer.95 Empfindlich ist das Übel, wenn es bei objektiver Betrachtung unter Berück-sichtigung der persönlichen Verhältnisse des Opfers von solcher Erheblichkeit ist, dass nicht erwartet werden kann, dass das Opfer der Drohung in besonnener Selbstbehauptung stand hält.96

89

Vgl. nur BGH NJW 1987, 2242 (2243); BayObLG NJW 1992, 1777 (1778). 90

Schönke/Schröder/Bosch StGB § 246 Rn. 19. 91

MüKoStGB/Hohmann StGB § 246 Rn. 40; 92

Rengier StrafR BT I § 5 Rn. 54 93

Zum Ganzen s. NK-StGB/Kindhäuser StGB § 246 Rn. 37 ff. 94

BGHSt 16, 386 = NJW 1962, 596; Fischer StGB § 240 Rn. 32, § 253 Rn. 5 95

Eisele StrafR BT I Rn. 473. 96

BGHSt 31, 195 (201) = NJW 1983, 765 (767); Eisele StrafR BT I Rn. 473.

Page 19: Lösungsvorschlag Klausur Nr. 3136€¦ · UNI-KLAUSURENKURS SEITE 5 VON 25 II. Ergebnis I hat sich nicht gem. § 276 Abs. 1 Var. 2 StGB schuldig gemacht. C. Urkundenunterdrückung

UNI-KLAUSURENKURS SEITE 19 VON 25

M stellte I in Aussicht, ihn wegen seines Verhaltens im Supermarkt anzuzeigen. Hierauf hatte er auch Einfluss. Eine Strafanzeige zieht in der Regel jedenfalls strafrechtliche Ermitt-lungen gegen den Betroffenen nach sich, daneben ggf. eine Hauptverhandlung sowie straf-rechtliche Sanktionen. Dieser Nachteil stellte somit ein Übel dar. Dass es sich bei einer Strafanzeige grundsätzlich um ein legales Verhalten handelt, führt nicht automatisch dazu, dass die Empfindlichkeit des Übels zu verneinen ist. Auch ein Straftäter ist vor Angriffen auf seine Willensfreiheit zu schützen.97 Entscheidend ist vielmehr, ob die Ankündigung des Nachteils geeignet erscheint, den Bedrohten im Sinne des Täterverlangens zu motivieren.98 Dies war hier der Fall; die genannten Folgen einer Strafanzeige stellen für I so erhebliche Nachteile dar, dass nicht erwartet werden konnte, dass er der Drohung stand hält. M hat I damit mit einem empfindlichen Übel gedroht.

2. Nötigungserfolg

Nötigungserfolg ist jede Handlung, Duldung oder Unterlassung. Vorliegend schloss I auf-grund des angedrohten Übels den Kaufvertrag ab. Ein Nötigungserfolg liegt vor.

3. Vermögensverfügung

Umstritten ist, ob der Tatbestand des § 253 Abs. 1 StGB ähnlich wie § 263 Abs. 1 StGB das Vorliegen einer Vermögensverfügung erfordert.99 Vermögensverfügung ist jedes Handeln, Dulden oder Unterlassen, das sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkt.100 Durch die Eingehung des Kaufvertrages wurde I zur Zahlung des Kaufpreises in Höhe von 1.000 EUR verpflichtet, so dass eine unmittelbare Vermögensminderung und damit eine Vermögens-verfügung vorliegen. Der Streit muss daher nicht entschieden werden.

4. Vermögensnachteil

Der Vermögensnachteil iSv § 253 Abs. 1 StGB entspricht dem Vermögensschaden bei § 263 Abs. 1 StGB.101 Darunter versteht man nach dem Prinzip der Gesamtsaldierung eine objek-tive Minderung des Gesamtvermögens auf Grundlage eines objektiven Vergleichs der Ver-mögenslage vor und nach der Vermögensverfügung.102 Zwar wurde durch den Abschluss des Kaufvertrages das Vermögen des I durch die damit verbundenen Zahlungsverpflichtungen (§ 433 Abs. 2 BGB) gemindert, er hat jedoch gleich-zeitig auch Ansprüche aus dem Kaufvertrag, nämlich auf Übergabe und Übereignung des Motorrads erlangt (vgl. § 433 Abs. 1 S. 1 BGB). Der Kaufpreis entspricht dem Wert des Mo-torrads, so dass die Vermögensminderung durch den Abschluss des Kaufvertrages objektiv vollständig durch den damit verbundenen Anspruch kompensiert ist. Auf Grundlage einer rein objektiven Schadensermittlung liegt damit kein Vermögenschaden vor. Diese rein wirtschaftliche Betrachtung wird jedoch normativ eingeschränkt103 durch die Lehre des persönlichen Schadenseinschlags. Zwar schützt § 253 Abs. 1 StGB – anders als § 240 StGB - nicht nur die Willensfreiheit, sondern auch das Vermögen.104 Allerdings ist auch zu berücksichtigen, dass ein und dieselbe Leistung für das Vermögen des einen ganz 97

Vgl. MüKoStGB/Sinn StGB § 240 Rn. 82. 98

BGHSt 31, 195 (201) = NJW 1983, 765 (767); BGH NJW 2014, 401 (403). 99

S. dazu Rengier StrafR BT I § 11 Rn. 13 ff. 100

BGHSt 14, 170 (171) = NJW 1960, 1068 (1069); Eisele StrafR BT II Rn. 554; Rengier StrafR BT I § 13 Rn. 63. 101

Fischer StGB § 253 Rn. 19, 29. 102

BGHSt 16, 221 = NJW 1961, 1876; BGH StV 2011, 726 (727); Fischer StGB § 263 Rn. 110; Wes-sels/Hillenkamp/Schuhr StrafR BT II Rn. 538. 103

Vgl. Fischer StGB § 263 Rn. 146. 104

Fischer StGB § 253 Rn. 2.

Page 20: Lösungsvorschlag Klausur Nr. 3136€¦ · UNI-KLAUSURENKURS SEITE 5 VON 25 II. Ergebnis I hat sich nicht gem. § 276 Abs. 1 Var. 2 StGB schuldig gemacht. C. Urkundenunterdrückung

UNI-KLAUSURENKURS SEITE 20 VON 25

andere günstige oder ungünstige Wirkungen hervorbringen kann, als für das Vermögen eines anderen; die meisten Gegenstände haben nicht für alle Menschen den gleichen Ver-mögenswert, weil sie nicht für alle gleich brauchbar sind.105 Entsprechend kann eine kom-pensationstaugliche Leistung verneint werden wenn nach dem Urteil eines objektiven Drit-ten die Gegenleistung bei normativer Betrachtung unter Berücksichtigung der individuellen und wirtschaftlichen Bedürfnisse und Verhältnisse des Geschädigten sowie der von ihm verfolgten Zwecke subjektiv wertlos ist.106 Folglich führt die Gegenleistung insbes. dann nicht zur Kompensation der Vermögensminderung, wenn sie nicht oder nicht in vollem Um-fang zu dem vertraglich vorausgesetzten Zweck brauchbar ist und der Geschädigte sie auch nicht in anderer zumutbarer Weise verwenden, namentlich ohne besondere Schwierigkei-ten wieder veräußern, kann.107 Vorliegend kann I das Motorrad nicht als Fahrzeug für sich nutzen, da er hierfür keinen Führerschein hat. Allerdings werden auf dem Markt für gebrauchte Motorräder vergleich-bare Maschinen für 1.200 bis 1.500 EUR gehandelt. Es ist ihm folglich zumutbar, die Ge-genleistung anderweitig zu verwenden, nämlich zu veräußern. Sie ist für ihn damit auch subjektiv nicht wertlos, sondern in vollem Umfang kompensationsgeeignet. Ein Schaden liegt auch nach der Lehre des persönlichen Schadenseinschlags nicht vor.

Vertiefungshinweis: Die Lehre vom persönlichen Schadenseinschlag bejaht einen Vermögensschaden trotz wirtschaftli-cher Ausgeglichenheit grundsätzlich in drei Fällen108, nämlich „wenn der Erwerber: a) die angebotene Leistung nicht oder nicht in vollem Umfange zu dem vertraglich vorausgesetzten Zweck oder in anderer zumutbarer Weise verwenden kann oder b) durch die eingegangene Verpflichtung zu vermögensschädigenden Maßnahmen genötigt wird oder c) infolge der Verpflichtung nicht mehr über die Mittel verfügen kann, die zur ordnungsmäßigen Erfüllung seiner Verbindlichkeiten oder sonst für eine seinen persönlichen Verhältnissen angemes-sene Wirtschafts- oder Lebensführung unerlässlich sind.“ 109 Die in praktischer Hinsicht relevanteste Fallgruppe ist die unter a) genannte.

II. Ergebnis

M hat sich nicht gem. § 253 Abs. 1 StGB schuldig gemacht.

B. Nötigung gem. § 240 Abs. 1 StGB

Durch dieselbe Handlung könnte M sich jedoch einer Nötigung gem. § 240 Abs. 1 StGB schuldig gemacht haben.

I. Tatbestand

105

RGSt 16, 1 (6 ff.); BGHSt 16, 321 = NJW 1962, 309 (310). 106

BGH NStZ-RR 2018, 283; st. Rspr. seit BGHSt 16, 321 = NJW 1962, 309; vgl. auch BGH wistra 2011, 335, 338; LK-StGB/Tiedemann StGB § 263 Rn. 178 mwN. 107

BGH NStZ-RR 2018, 283; BGHSt 16, 321 (326) = NJW 1962, 309; BGHSt 51, 10 (15) = NJW 2006, 1679 (1681) mwN. 108

S. dazu Eisele StrafR BT II Rn. 619 ff.; Rengier StrafR BT I § 13 Rn. 176 ff. 109

BGHSt 16, 321 = NJW 1962, 309; Rengier StrafR BT I § 13 Rn. 177.

Page 21: Lösungsvorschlag Klausur Nr. 3136€¦ · UNI-KLAUSURENKURS SEITE 5 VON 25 II. Ergebnis I hat sich nicht gem. § 276 Abs. 1 Var. 2 StGB schuldig gemacht. C. Urkundenunterdrückung

UNI-KLAUSURENKURS SEITE 21 VON 25

1. Objektiver Tatbestand

M hat I mit einem empfindlichen Übel gedroht; der Nötigungserfolg besteht im Abschluss des Kaufvertrages.

2. Subjektiver Tatbestand

M kam es gerade darauf an, durch die Drohung mit der Anzeige I zum Abschluss des Kauf-vertrages zu nötigen. Er handelte vorsätzlich in Form von dolus directus 1. Grades.

1. Rechtswidrigkeit

Rechtfertigungsgründe kommen vorliegend nicht in Betracht. M müsste jedoch zudem verwerflich handeln, § 240 Abs. 2 StGB. Die Verwerflichkeit beurteilt sich anhand einer umfassenden Abwägung unter Berücksich-tigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles und kann sich aus dem angewandten Nöti-gungsmittel, dem Nötigungsziel oder auch aus der Zweck-Mittel-Relation ergeben.110 Das Nötigungsmittel, das In-Aussicht-Stellen einer Strafanzeige nach einer tatsächlich be-gangenen Straftat, ist ein sozial erwünschtes Verhalten, also als solches nicht verwerflich. Ebenso ist das Nötigungsziel, der Abschluss eines Kaufvertrags, ein sozialübliches Verhal-ten und damit kein verwerfliches Ziel. Die Verwerflichkeit kann sich damit nur aus der Zweck-Mittel-Relation, dh dem Verhältnis zwischen Nötigungsmittel und Nötigungserfolg ergeben. Wird mit einer Strafanzeige ge-droht, kommt es darauf an, ob das bezweckte Verhalten mit der Straftat in einem inneren Zusammenhang steht.111 Vorliegend besteht zwischen dem Nötigungsmittel – Drohen mit der Strafanzeige – und dem Nötigungserfolg - Abschluss eines Kaufvertrages – überhaupt keine Beziehung; das Verhalten des M stellt sich also bei der gebotenen Gesamtwertung als sozial unerträglich und damit verwerflich iSv § 240 Abs. 2 StGB dar. M handelte folglich rechtswidrig.

II. Schuld

M handelte auch schuldhaft.

III. Ergebnis

M hat sich gem. § 240 Abs. 1 StGB schuldig gemacht.

Gesamtergebnis und Konkurrenzen

Strafbarkeit des I

Bei dem Entfernen und Aufkleben der Etiketten und dem Einstecken der Weinflaschen han-delt es sich um eine Handlungseinheit. Zwar liegen mehrere Handlungen im natürlichen Sinn vor, allerdings besteht zwischen ihnen ein unmittelbarer räumlicher und zeitlicher Zusammenhang und erscheint das gesamte Tätigwerden bei natürlicher Betrachtungsweise als ein einheitliches Tun, so dass hier eine natürliche Handlungseinheit angenommen wer-

110

Rengier StrafR BT II § 23 Rn. 61 f.; Schönke/Schröder/Eisele StGB § 240 Rn. 17; BVerfG NStZ 1991, 279. 111

BGHSt 5, 524 = NJW 1954, 565 (565 f.); MüKoStGB/Sinn StGB § 240 Rn. 136; Rengier StrafR BT II, § 23 Rn. 62.

Page 22: Lösungsvorschlag Klausur Nr. 3136€¦ · UNI-KLAUSURENKURS SEITE 5 VON 25 II. Ergebnis I hat sich nicht gem. § 276 Abs. 1 Var. 2 StGB schuldig gemacht. C. Urkundenunterdrückung

UNI-KLAUSURENKURS SEITE 22 VON 25

den kann.112 I ist somit wegen Diebstahls gem. § 242 Abs. 1 StGB in Tateinheit (§ 52 StGB)113 mit Urkundenunterdrückung gem. § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu bestrafen. Die Sachbeschädigung gem. § 303 Abs. 1 StGB tritt hinter § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB im We-ge der Konsumtion zurück.114

Vertiefungshinweis: Wäre § 267 StGB verwirklicht, würde dieser § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB konsumieren.115

Strafbarkeit des C

C ist wegen räuberischen Diebstahls gem. § 252 StGB in Tateinheit mit Körperverletzung gem. § 223 StGB116 zu bestrafen. Die Nötigung gem. § 240 Abs. 1 StGB sowie die Beihilfe zum Diebstahl gem. §§ 242 Abs. 1, 27 StGB treten dahinter im Wege der Spezialität zu-rück.117

Strafbarkeit des M

M ist wegen Nötigung gem. § 240 Abs. 1 StGB zu bestrafen.

112

S. hierzu Rengier StrafR AT § 56 Rn. 14 ff., 68; Fischer StGB Vor § 52 Rn. 2 ff. 113

Fischer StGB § 274 Rn. 11; aA BeckOK StGB/Weidemann StGB § 274 Rn. 15: Gesetzeskonkurrenz, da die Nachteilszufügungsabsicht bereits in der Zueignungsabsicht enthalten sei. 114

Lackner/Kühl/Heger StGB § 274 Rn. 8; aA BeckOK StGB/Weidemann StGB § 274 Rn. 17: Spezialität. 115

Lackner/Kühl/Heger StGB § 274 Rn. 8; Rengier StrafR BT II § 33 Rn. 23, 27. 116

Vgl. BGH BeckRS 2015, 19654 (zu § 224 StGB); MüKoStGB/Sander StGB § 252 Rn. 19. 117

MüKoStGB/Sander StGB § 252 Rn. 19.

Page 23: Lösungsvorschlag Klausur Nr. 3136€¦ · UNI-KLAUSURENKURS SEITE 5 VON 25 II. Ergebnis I hat sich nicht gem. § 276 Abs. 1 Var. 2 StGB schuldig gemacht. C. Urkundenunterdrückung

UNI-KLAUSURENKURS SEITE 23 VON 25

Teil II (prozessuale Zusatzfrage)

Fraglich ist, ob die von Johanna J. (J) eingelegte Revision zulässig ist.

A. Statthaftigkeit

Die Revision ist gem. § 333 StPO gegen Urteile der Strafkammern zulässig. Sie ist hier folg-lich statthaft.

B. Rechtsmittelberechtigung

Als dessen neue Verteidigerin kann J gem. § 297 StPO für den Beschuldigten Paul P. (P) Rechtsmittel einlegen.

C. Beschwer

P wurde von der Strafkammer verurteilt. Durch diese für ihn nachteilige Entscheidung ist er beschwert.118

D. Form- und fristgerechte Einlegung der Revision

Laut Sachverhalt wurde die Revision form- und fristgerecht beim Gericht des ersten Rechtszugs eingelegt, § 341 StPO.

E. Form- und fristgerechte Begründung der Revision

Die Revision wurde auch form- und fristgerecht begründet gem. §§ 344 f. StPO.

F. Keine entgegenstehende Rechtskraft

Der Zulässigkeit der Revision könnte jedoch die zuvor erfolgte Rücknahme der Revision durch Aoife A. (A) entgegenstehen. Eine wirksame Rücknahme gem. § 302 StPO führt zum Verlust des Rechtsmittels und damit zur Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils.119 Als Prozesshandlung kann sie ab dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens grundsätzlich weder widerrufen noch angefochten werden.120 An sich ist hier die Rücknahme ordnungsgemäß erfolgt, insbes. lag die nach § 302 Abs. 2 StPO erforderliche ausdrückliche Zustimmung des P vor. Allerdings könnte die Rücknahme gem. § 302 Abs. 1 S. 2 StPO aufgrund einer dem Urteil vorausgegangenen Verständigung unwirksam sein.

I. Anwendbarkeit von § 302 Abs. 1 S. 2 StPO

Gem. § 302 Abs. 1 S. 2 StPO ist ein Verzicht unwirksam, wenn dem Urteil eine Verständi-gung nach § 257c StPO vorausgegangen ist. Vorliegend liegt allerdings eine Rücknahme der Revision vor. Fraglich ist, ob die Vorschrift hier dennoch anwendbar ist. Nach Auffassung des BGH steht der Umstand, dass dem Urteil eine Verständigung voraus-gegangen ist der Rechtsmittelrücknahme grundsätzlich nicht entgegen, auch wenn diese

118

Zum Erfordernis und Begriff der Beschwer s. Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt StPO Vor § 296 Rn. 8 ff. 119

BGH NStZ-RR 2018, 290 (290); BeckRS 2019, 4115; BeckOK StPO/Cirener StPO § 302 Rn. 7. 120

BGH BeckRS 2019, 4115; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt § 302 StPO Rn. 10.

Page 24: Lösungsvorschlag Klausur Nr. 3136€¦ · UNI-KLAUSURENKURS SEITE 5 VON 25 II. Ergebnis I hat sich nicht gem. § 276 Abs. 1 Var. 2 StGB schuldig gemacht. C. Urkundenunterdrückung

UNI-KLAUSURENKURS SEITE 24 VON 25

nur kurz nach dessen Einlegung erfolgt ist.121 Etwas anderes könne nur gelten, wenn be-sondere Umstände vorliegen, die eine Umgehung von § 302 Abs. 1 S. 2 StPO nahe legen, insbes. wenn ein Gericht im Zusammenhang mit Verständigungsgesprächen auf die Revisi-onseinlegung und anschließende Rechtsmittelrücknahme hingewirkt hat oder wenn eine solche Vorgehensweise Inhalt der Verständigung war. Für das Vorliegen solcher Umstände ist hier nichts ersichtlich, so dass die Rücknahme da-nach nicht gem. § 302 Abs. 1 S. 2 StPO unwirksam wäre. Nach einer anderen Ansicht ist § 302 Abs. 1 S. 2 StPO unmittelbar anwendbar. Die Rück-nahme eines Rechtsmittels beinhalte zugleich einen Verzicht auf das eingelegte Rechtsmit-tel, es sei denn der Rechtsmittelführer behalte sich die erneute Einlegung ausdrücklich vor. Dieser Verzicht sei unwirksam, so dass ein Rechtsmittel erneut eingelegt werden könne. 122 Eine weitere Ansicht sieht in der Rechtsmitteleinlegung und -rücknahme eine Umgehung von § 302 Abs. 1 S. 2 StPO bzw. ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen und gelangt so zu deren Unwirksamkeit.123 Für die erste Ansicht wird angeführt, dass sich der Angeklagte bei der Rücknahme in einer anderen Entscheidungssituation befinde. Er könne seine Entscheidung überdenken und über die Durchführung des Rechtsmittels entscheiden.124 Dass eine solche Entscheidungsfreiheit tatsächlich besteht ist jedoch jedenfalls bei dem hier vorliegenden zeitlichen Ablauf höchst zweifelhaft.125 § 302 Abs. 1 S. 2 StPO dient dem Schutz des Angeklagten. Zur Vorbeugung unzulässiger Absprachen darf eine Überprüfung der Verständigung durch das Rechtsmittelgericht nicht von vornherein ausgeschlossen sein.126 Die Ansicht des BGH, der für eine Unwirksamkeit besondere Umstände fordert greift somit zu kurz. Bereits wenn die Rechtsmittelrücknahme alsbald auf die Einlegung folgt – wie es hier bei einem zeitlichen Abstand von nur einer Stunde der Fall ist – und dies wie im vorliegenden Fall von vornherein geplant ist, liegt es nahe, dass die Rechtskraft des Urteils auf rechtsmissbräuchliche Weise herbeigeführt werden soll. Die erste Auffassung ist somit abzulehnen. Ob § 302 Abs. 1 S. 2 StPO unmittelbar anwendbar ist oder Einlegung und Rücknahme auf-grund des Versuchs einer Umgehung dieser Vorschrift unwirksam sind, kann offenbleiben.

II. Vorliegen einer Verständigung

§ 302 Abs. 1 S. 2 StPO verweist auf § 257c StPO, der die Voraussetzungen einer formellen Verständigung regelt. § 302 Abs. 1 S. 2 StPO ist aber erst Recht anwendbar, wenn eine sog. „informelle Absprache“, dh eine solche, die die gesetzlichen Vorgaben außer Acht lässt, vorliegt. Denn in letzterem Fall ist der Angeklagte besonders schutzwürdig.127 Fraglich ist, ob hier eine Verständigung nachgewiesen werden kann. Johanna behauptet, am Sitzungstag hätten während der Mittagspause Gespräche zwischen den Verfahrensbe-

121

BGHSt 55, 82 = NStZ 2010, 409: Auch im entschiedenen Fall lag zwischen Einlegung und Rücknahme nur ca. eine Stunde. 122

Gericke NStZ 2011, 110 (112). 123

Malek StraFo 201, 251 (251); Niemöller StV 2010, 474 (474 f.). 124

BGHSt 55, 82 = NStZ 2010, 409. 125

BeckOK StPO/Cirener StPO § 302 Rn. 26 126

Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt StPO § 302 Rn. 26c. 127

BGH NStZ 2014, 113 (115); BeckOK StPO/Cirener StPO § 302 Rn. 23; Meyer-Goßner/Schmitt/Schmitt StPO § 302 Rn. 26c.

Page 25: Lösungsvorschlag Klausur Nr. 3136€¦ · UNI-KLAUSURENKURS SEITE 5 VON 25 II. Ergebnis I hat sich nicht gem. § 276 Abs. 1 Var. 2 StGB schuldig gemacht. C. Urkundenunterdrückung

UNI-KLAUSURENKURS SEITE 25 VON 25

teiligten stattgefunden, deren Inhalt ein umfassendes Geständnis von Paul im Gegenzug zu der schlussendlich verhängten Freiheitsstrafe gewesen sei. Gem. § 274 S. 1 StPO kann die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebe-nen Förmlichkeiten allerdings nur durch das Hauptverhandlungsprotokoll bewiesen werden können (sog. formelle Beweiskraft). Zu den wesentlichen Förmlichkeiten gehört der zwin-gend vorgeschriebene Vermerk, ob eine Verständigung stattgefunden hat (§ 273 Abs. 1a S. 2 StPO) oder ob das nicht der Fall war (§ 273 Abs. 1a S. 3 StPO, sog. Negativattest). Ent-hält das Protokoll wie hier überhaupt keine Feststellungen ist es daher widersprüchlich bzw. lückenhaft. Das Revisionsgericht hat dann im Wege des Freibeweisverfahrens, etwa durch die Einholung dienstlicher Erklärungen zu klären, ob eine Verständigung stattgefun-den hat.128 Für das Vorliegen einer (informellen) Verständigung spricht hier, dass ausweislich der dienstlichen Stellungnahme der Vorsitzenden auf eine weitere Beweisaufnahme verzichtet wurde, nachdem P die Tat erstmals in der Hauptverhandlung gestanden hat, was typisch für eine Verständigung ist. Dafür spricht auch, dass der Strafausspruch mit den gleichlauten-den Schlussvorträgen der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung übereinstimmt. Letztlich lässt sich die Frage nicht eindeutig klären. Verbleibende Zweifel dürfen aber nicht zulasten des Angeklagten gehen, wenn sie wie hier ihre Ursache in einem Verstoß gegen gesetzlich angeordnete Dokumentationspflichten haben.129 Daher ist hier vom Vorliegen einer Verständigung auszugehen.

Vertiefungshinweis: Beruft sich ein Angeklagter auf die Unwirksamkeit eines von ihm erklärten Rechtsmittelverzichts bzw. einer vorherigen Rechtsmitteleinlegung und -rücknahme wegen einer vorausgegangenen Ver-ständigung und schweigt das Protokoll dazu, muss der Revisionsführer, um dem Revisionsgericht eine Überprüfung im Freibeweisverfahren zu ermöglichen, im Einzelnen darlegen, in welchem Ver-fahrensstadium, in welcher Form und mit welchem Inhalt die von ihm behauptete Verständigung zu Stande gekommen ist.130 Johannas Darstellungen hinsichtlich Ort, Zeit und Inhalt der Verständigung dürften diesen Anforderungen genügen.

Der Zulässigkeit der Revision steht daher wegen § 302 Abs. 1 S. 2 StPO nicht die Rechts-kraft des erstinstanzlichen Urteils aufgrund der vorherigen Rücknahme der Revision entge-gen.

G. Ergebnis

Die von Johanna eingelegte Revision ist zulässig.

128

BGH NJW 2011, 321 (321 f.); BeckOK StPO/Cirener StPO § 302 Rn. 27. Der Widerspruch ergibt sich dar-aus, dass aufgrund der negativen Beweiskraft des Protokolls mangels Positivvermerk iSv § 273 Abs. 1a S. 1 StPO prima facie vom Nichtvorliegen einer Verständigung auszugehen wäre, allerdings gleichzeitig aufgrund des fehlenden Negativvermerks gem. § 273 Abs. 1a S. 3 StPO das Nicht-Vorliegen einer Verständigung als ungeschehen angesehen werden müsste, also vom Vorliegen einer Verständigung auszugehen wäre. 129

BVerfG NJW 2012, 1136 (1137); OLG Karlsruhe NStZ 2014, 117; BeckOK StPO/Cirener StPO § 302 Rn. 27. 130

BGHSt 56, 3 = NJW 2011, 321 (322).