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FOTO: MARIUS BECKER/PICTURE ALLIANCE /DPA/SBORISOV-FOTOLIA.COM Tumult um Tönnies Im Kampf zweier Männer um die Macht geht es in Deutschlands größtem Schlachtkonzern hart zur Sache. Ein Drama um Moral, Millionen und Missgunst. | Martin Mehringer K önigsblaue Stahlbögen um- rahmen die letzten Meter zum Bielefelder Landgericht. Wäre die Lage nicht so ernst, könnte sich Clemens Tönnies, Auf- sichtsratschef des Fußball-Bundesli- gisten Schalke 04 und Herr über Deutschlands größten Schlachtkon- zern, hier vielleicht willkommen füh- len. Doch während in der nahen Alt- stadt die ersten Weihnachtsmarktbu- den für Besinnlichkeit sorgen, steht für Tönnies die vorerst letzte Entschei- dung des Jahres im Kampf um die Vor- herrschaft mit seinem Neffen Robert Tönnies an. Vor Saal 7 hängt ein grauer Zettel mit der Notiz: 8. Kammer für Handelssachen, Tönnies/Tönnies, Ak- tenzeichen 17 O 61/12, Verkündungs- termin11Uhr. Dann öffnet sich die Tür und es geht alles plötzlich ganz schnell. Wenige Minuten später ist Matthias Blaum umringt von Journalisten. Der Anwalt von Clemens Tönnies trägt ei- nen langen dunklen Mantel und einen großen schwarzen Aktenkoffer, er re- det leise und mit Bedacht. Ihm Gegen- über positioniert sich Thomas Pfaff, der mittlerweile dritte Kommunika- tionsberater von Robert Tönnies. Es geht um Fakten, vor allem aber um die Deutungshoheit in einer vertrackten Situation, in deren Mittelpunkt die Machtfrage steht, die Frage der Hack- ordnung im Hause Tönnies, einem Unternehmen mit fast 5 Milliarden Euro Umsatz und 8 000 Mitarbeitern. Die Lösung des Konflikts, den es nicht geben dürfte, muss in einer Stadt fallen, die es laut Legendenbildung gar nicht geben sollte – und sie fällt nicht. Richter Wolfgang Reinke liegen die umstrittenen Dokumente seit Mona- ten vor, am 10. Januar will er die da- hinter liegende Geschichte erfahren. Beide Seiten werten die eingeleitete Beweisaufnahme als Teilsieg, dabei könnten sie am Ende beide viel verlie- ren. Eine Befriedung in Bielefeld ist kaum denkbar. Die Vorgeschichte: 1994 stirbt Bernd Tönnies mit 42 Jahren nach einer Nierentransplantation an ei- ner Lungeninfektion. Bruder Clemens übernimmt die Leitung des Betriebs, besitzt jedoch nur 40 Prozent der An- teile. Die Mehrheit geht an Bernds Söh- ne Clemens junior und Robert, die bis zu ihrem 30. Lebensjahr vom früheren Schalke-Funktionär Josef Schnusen- berg testamentarisch vertreten werden. Nach Metzgerlehre und Studium tritt Robert Tönnies 2004 ins Unternehmen ein. Ende 2011 eskaliert der Streit, der sich um zwei zentrale Ereignisse dreht. Das doppelte Stimmrecht: Am Weihnachtsabend 2002 segnen Robert und Clemens junior einen Ver- trag ab, der viele Fragen aufwirft. An- geblich wollen die Banken Sicherheit, wer in einer komplizierten Struktur mit zwei unmündigen Mehrheitsge- sellschaftern das Sagen hat. Onkel Cle- mens Tönnies soll ein doppeltes Stimmrecht erhalten. Für welche Ge- sellschaft und wie lange es gelten soll, ist heute umstritten. Notar Horst-Die- ter Swienty trägt eine Tochtergesell- schaft ein. Roberts Mutter Evelin teilt er später angeblich mit, dass die Re- gelung nur temporär gelten soll. Woll- te er damit einen Fehler kaschieren? Wie gut wurden der damalige Student Robert und sein Bruder über die Be- deutung ihrer Zustimmung aufge- klärt? Und wenn das doppelte Stimm- recht bereits damals für die Holding Sortiment WPR 33 Die Kategorie der Wasch-, Putz- und Reinigungsmittel glänzt mit Innovationen, doch die Umsätze entwickeln sich weniger erfreulich. Jetzt werden lukrative Nischen auf Hochglanz gebracht. Alles koscher 28 Milchprodukte: Jüdisch korrekte Herstellung als USP. Alles anders 30 Großfläche: Rewe erfindet seinen Markt in Egelsbach neu. LZ 49 6. Dezember 2013 Lebensmittel Zeitung 25 JOURNAL

LZXX 49 2013 X027 27#04-12-2013 202849 · sichtsratschef des Fußball-Bundesli-gisten Schalke 04 und Herr über ... Umsatz von 850 Millionen Euro MarktführerimWurstregal,einerder

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Tumult um TönniesIm Kampf zweier Männer um die Macht geht es in Deutschlands größtem Schlachtkonzernhart zur Sache. Ein Drama um Moral, Millionen und Missgunst. | Martin Mehringer

Königsblaue Stahlbögen um-

rahmen die letzten Meter

zumBielefelder Landgericht.

Wäre die Lage nicht so ernst,

könnte sich Clemens Tönnies, Auf-

sichtsratschef des Fußball-Bundesli-

gisten Schalke 04 und Herr über

Deutschlands größten Schlachtkon-

zern, hier vielleicht willkommen füh-

len. Doch während in der nahen Alt-

stadt die ersten Weihnachtsmarktbu-

den für Besinnlichkeit sorgen, steht für

Tönnies die vorerst letzte Entschei-

dung des Jahres im Kampf um die Vor-

herrschaft mit seinem Neffen Robert

Tönnies an. Vor Saal 7 hängt ein grauer

Zettel mit der Notiz: 8. Kammer für

Handelssachen, Tönnies/Tönnies, Ak-

tenzeichen 17 O 61/12, Verkündungs-

termin11Uhr. Dann öffnet sich die Tür

und es geht alles plötzlich ganz schnell.

WenigeMinuten später ist Matthias

Blaum umringt von Journalisten. Der

Anwalt von Clemens Tönnies trägt ei-

nen langen dunklen Mantel und einen

großen schwarzen Aktenkoffer, er re-

det leise und mit Bedacht. Ihm Gegen-

über positioniert sich Thomas Pfaff,

der mittlerweile dritte Kommunika-

tionsberater von Robert Tönnies. Es

geht um Fakten, vor allem aber um die

Deutungshoheit in einer vertrackten

Situation, in deren Mittelpunkt die

Machtfrage steht, die Frage der Hack-

ordnung im Hause Tönnies, einem

Unternehmen mit fast 5 Milliarden

Euro Umsatz und 8000 Mitarbeitern.

Die Lösung des Konflikts, den es

nicht geben dürfte, muss in einer Stadt

fallen, die es laut Legendenbildung gar

nicht geben sollte – und sie fällt nicht.

Richter Wolfgang Reinke liegen die

umstrittenen Dokumente seit Mona-

ten vor, am 10. Januar will er die da-

hinter liegende Geschichte erfahren.

Beide Seiten werten die eingeleitete

Beweisaufnahme als Teilsieg, dabei

könnten sie am Ende beide viel verlie-

ren. Eine Befriedung in Bielefeld ist

kaum denkbar.

Die Vorgeschichte:

1994 stirbt Bernd Tönnies mit 42 Jahren

nach einer Nierentransplantation an ei-

ner Lungeninfektion. Bruder Clemens

übernimmt die Leitung des Betriebs,

besitzt jedoch nur 40 Prozent der An-

teile. Die Mehrheit geht an Bernds Söh-

ne Clemens junior und Robert, die bis

zu ihrem 30. Lebensjahr vom früheren

Schalke-Funktionär Josef Schnusen-

berg testamentarisch vertreten werden.

Nach Metzgerlehre und Studium tritt

Robert Tönnies 2004 ins Unternehmen

ein. Ende 2011 eskaliert der Streit, der

sich um zwei zentrale Ereignisse dreht.

Das doppelte Stimmrecht:

Am Weihnachtsabend 2002 segnen

Robert und Clemens junior einen Ver-

trag ab, der viele Fragen aufwirft. An-

geblich wollen die Banken Sicherheit,

wer in einer komplizierten Struktur

mit zwei unmündigen Mehrheitsge-

sellschaftern das Sagen hat. Onkel Cle-

mens Tönnies soll ein doppeltes

Stimmrecht erhalten. Für welche Ge-

sellschaft und wie lange es gelten soll,

ist heute umstritten. Notar Horst-Die-

ter Swienty trägt eine Tochtergesell-

schaft ein. Roberts Mutter Evelin teilt

er später angeblich mit, dass die Re-

gelung nur temporär gelten soll. Woll-

te er damit einen Fehler kaschieren?

Wie gut wurden der damalige Student

Robert und sein Bruder über die Be-

deutung ihrer Zustimmung aufge-

klärt? Und wenn das doppelte Stimm-

recht bereits damals für die Holding

Sortiment WPR 33Die Kategorie der Wasch-, Putz-und Reinigungsmittel glänzt mitInnovationen, doch die Umsätzeentwickeln sich weniger erfreulich.Jetzt werden lukrative Nischen aufHochglanz gebracht.

Alles koscher 28Milchprodukte: Jüdisch korrekteHerstellung als USP.

Alles anders 30Großfläche: Rewe erfindet seinenMarkt in Egelsbach neu.

LZ 49 6. Dezember 2013 Lebensmittel Zeitung 25J O U R N A L

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Hauptwirkungsstätte befindet sich imsachsen-anhaltinischen Weißenfels.

Zwischen 2007 und 2011 sind dieInvestitionen und Mitarbeiterzahlendeutlich gestiegen, die Zahl derSchweineschlachtungen von 2,7 Milli-onen auf 4,2 Millionen geklettert. Kri-tiker halten entgegen, Robert habe mitseinen Wachstumsambitionen die Ka-pazitäten des Betriebs einerseits über-fordert und sei anderseits hinter derGesamtentwicklung des Konzerns zu-rückgeblieben. Die Zahl der insgesamtjährlich geschlachteten Schweine stiegim selben Zeitraum von 10,3 auf 14,7Millionen Tiere im Jahr. Auch um dieFrage, wem die Genehmigung zumweiteren Ausbau in Weißenfels zu ver-danken ist, gibt es Streit.

Für jeden Fürsprecher findet sichein Gegner. Weißenfels Oberbürger-meister Robby Risch ist Robert wederpositiv noch negativ aufgefallen. DieBilanz seines Wirkens kann den Kon-flikt nicht erklären. Laut einer zu Jah-resbeginn veröffentlichten Studie desBeratungsunternehmens Intes gelingtdie Nachfolge in Familienunternehmeninzwischen immer öfter. Bei Tönniesoffenbar nicht. Wer den 57-jährigenClemens Tönnies kennt, kennt auchseineDevise:Wer Erfolg hat, hat Recht.Vielleicht ist es nicht einfach, unter ei-ner so starken Persönlichkeit einenWeg ins Unternehmen zu finden. Wäh-rend der eine Erbe den Einstieg als Vor-standsassistent als Kofferträgerfunkti-on empfindet, ist der andere dankbar,langsam an die Führungsverantwor-tung herangezogen zu werden. RobertTönnies hat die Verantwortung direktgesucht, sein Onkel damit ein Problemgehabt. Ein 2008 gegründeter Beiratsollte schließlich über die Nachfolgeentscheiden, falls dem intern kurz CTgenannten Vorstandschef etwas zusto-ßen sollte. Statt seinen Neffen unum-stößlich als Nummer eins aufzubauen,hätte sich dieser innerhalb des Füh-rungskreises, der Top-40, beweisenmüssen.Womöglichwar das ein zu gro-ßer Affront.

Die Lebensleistung:

Da es nicht nur um Fakten, sondernletztlich um die hinter der Gewährungdes Doppelstimmrechts sowie derSchenkung liegenden Intentionengeht, wird laut Verfahrenbeteiligtenvor Gericht auch die Frage der Lebens-leistung eine wichtige Rolle spielen.Und ja, auch darüber kann man sich

bestimmt war, warum wurde der ver-meintliche Fehler nicht korrigiert?

Diese Fragen wird das LandgerichtBielefeld Anfang Januar stellen – undzwar neben Notar Swienty auch Testa-mentvollstrecker Schnusenberg, so-wie Roberts Bruder Clemens juniorund Mutter Evelin. Wie Robert gibtsich auch sein Anwalt Mark Binz opti-mistisch: „Der Beweisbeschluss zeigt,dass das Gericht unserer Klage stattge-ben will, wenn die zur Vernehmunggeladenen Zeugen unsere Sachver-haltsdarstellung bestätigen werden."Doch werden sie? In der Praxis hatteder über Jahre in den Akten schlum-mernde Paragraf keine Auswirkungen.In der mächtigen Gesellschafterver-sammlung gab es bisher keine Kampf-abstimmungen.

Der Schenkungswiderruf:

Im Januar 2008 schenken Robert undsein Bruder Clemens ihrem Onkel je 5Prozent ihrer Anteile. ImMai wird Ro-bert 30, die Vorherrschaft von Testa-mentvollstrecker Schnusenberg en-det. Es entsteht ein Patt. Doch wassteckt dahinter? Glaubt man RobertTönnies, hat er damit den letzten Wil-len seines Vaters erfüllt und die Vo-raussetzung geschaffen, künftig aufAugenhöhe mit dem amtierenden Un-ternehmenschef zu stehen.

Fatal wird die Konstellation, alssich Clemens junior, infolge einer Nie-rentransplantation gesundheitlich an-geschlagen, aus demUnternehmen zu-rückzieht und den Mitarbeitern am 3.Januar 2012 mitteilt, seine Anteile „inAnerkennung seines konsequentenund engagierten Einsatzes für das Un-ternehmen“ an Bruder Robert übertra-gen zu haben. Der Brief endet mit demWunsch: „Wenn es meinem Onkel ge-lingt, sich mit meinem Bruder auf einegemeinsame Basis für die Zukunft zuverständigen, sehe ich das Familienun-ternehmen wieder auf dem richtigenKurs.“ Es bleibt ein frommer Wunsch.

Zu diesem Zeitpunkt scheint dasTischtuch längst zerschnitten. Nursechs Tage nach dem Brief seines Bru-ders teilt Robert Tönnies der Beleg-schaft ebenfalls per Post mit, sich ausdem Tagesgeschäft zurückzuziehenund als Inhaber von nunmehr 50 Pro-zent des Konzerns in Ruhe an einerneuen Struktur feilen zu wollen. DerBetriebsrat ist in Rage. Der nächsteBrief geht durchs Haus. Die Mitarbei-ter haben Angst, so der Tenor. ImHin-tergrund bereitet Roberts Anwalt Mar-kus Binz einen weiteren Angriff vor:den Widerruf von Roberts Schenkung2008. Der Vorwurf: grober Undank.

Der Hintergrund: 1998 straucheltmit Böklunder, heute unter dem Dachder Zur Mühlen-Gruppe mit einemUmsatz von 850 Millionen EuroMarktführer im Wurstregal, einer derwichtigsten Tönnies-Kunden. Cle-mens Tönnies ist besorgt, dass Wett-bewerber zuschlagen und wird selbstaktiv. Eine Einbringung ins Unterneh-men soll am Veto von Schnusenberggescheitert sein. Angeblich war das Ri-siko zu groß. Tönnies investiert privat.Öffentlich wurde die Verflechtung derbeiden Unternehmen erst im Zugevon Ermittlungen des Kartellamtes vorwenigen Jahren. Fraglich ist, seit wannRobert Tönnies davon weiß. Das glei-che gilt für den Aufbau des Russland-geschäfts, das Clemens Tönnies aufDruck seines Neffen inzwischen insUnternehmen eingebracht hat. Auchdiese Streitfrage muss das LandgerichtBielefeld unter dem Aktenzeichen 17O190/12 klären. Der Verhandlungsbe-ginn ist noch nicht terminiert.

Der Auslöser:

Das erste Opfer ist die Objektivität. An-fänglich tobte eine Schlammschlacht.Auf der einen Seite stand der Vorwurfdes Jähzorns und der Großspurigkeit,auf der anderen steht auch weiterhinder des patriarchalischen Führungs-stils. Clemens Tönnies will sich zu derMisere nicht mehr äußern. Es ist je-doch leicht, Tönnies-Mitarbeiter zufinden, die kein gutes Haar an Robertlassen. Wettbewerber sind sich uneins,wie sie seine bisherigen Leistungeneinschätzen sollen. Fakt ist, seine

offenbar streiten. Als Roberts VaterBernd 1994 starb, setzte Tönnies lautder LZ vorliegender Gewinn- und Ver-lustrechnung rund 1Milliarde DM um,unterm Strich stand ein Fehlbetrag von1,27 Millionen Euro. Die Bankschul-den sollen sich auf 178 Millionen Eurobelaufen haben, bei einer Eigenkapi-talquote von10 Prozent. Dafür fehlt al-lerdings eine Bestätigung.

Die wichtigsten SchlachtbetriebeRheda, Sögel und Weißenfels gab esdamals schon, heute sind sie jedochnur ein, wenn auch bedeutsamer, Teileines international tätigen Konzernsmit 5 Milliarden Euro Umsatz. Cle-mens Tönnies hat viel erreicht, seit ermit 38 Jahren, begleitet von großerSkepsis, das Ruder übernahm. Er hatteeine gute Grundlage, aber ein Unter-nehmen fliegt nicht per Autopilot zurMarktführerschaft und erreicht, wieBranchenkenner schätzen, einen Wertvon 2Milliarden Euro. Eigentlich solltees angesichts dessen nicht wichtig sein,ob er Mitgründer ist oder nicht. Dochauch das spielt eine wichtige Rolle inder Auseinandersetzung zweier Alpha-tiere. Also stellt sich auch diese Frage:Gab es 1971 einen Handschlag zwi-schen einem 15- und einem 19-Jähri-gen mit dem der gemeinsame Aufbaueines Imperiums besiegelt wurde? Ge-sellschaftsrechtlich kann sich ClemensTönnies nicht als Mitgründer bezeich-nen. Kann er es moralisch?

Der Showdown:

14000 Seiten. So viel Papier umfasstdas juristische Gefecht inzwischen. ImJanuar gehen die Prozesse weiter. Cle-mens Tönnies hat schon vieles wegge-steckt. Mehr als drei Jahre hat er sichgegen die Vorwürfe des Subventions-betrugs und der Schmiergeldzahlun-gen gewehrt, bis amEnde der Verdachtübrigblieb, Hackfleisch falsch etiket-tiert zu haben. Gegen eine Zahlungvon 2,9Millionen Euro wurde der Pro-zess schließlich eingestellt. Fünf Le-bensjahre soll ihn diese Zeit gekostethaben, sagte er kurz danach.

Der Familienstreit dürfte mindes-tens genauso stark an ihm nagen. Auf-geben oder Einlenken ist von ihmtrotzdem nicht zu erwarten. Und vonRobert Tönnies? Der 35-Jährigespricht bedacht, seine rehbraunen Au-gen strahlen Ruhe aus. Dahinter stecktEntschlossenheit. Ein Umdenken istunwahrscheinlich. Es läuft alles nachPlan. Die eigene kleine Familie

wächst. Nächstes Jahr kommt daszweite Kind, die Fehde in der Großfa-milie geht weiter. Wie? Das Drehbuchliegt seit Ende 2011 vor. Es trägt denTitel „Lästige Gesellschafter in Famili-enunternehmen. Opfer und Täter“und ist im Unternehmermagazinnachzulesen. Verfasser ist Roberts An-walt Markus Binz, ein hochdekorierterJurist, der sich ebenso gerne seiner un-ternehmerischen Erfahrung wie seiner„Kriegskunst“ rühmt.

„Zunächst“, so schreibt er, „sindNadelstiche denkbar.“ Im Falle Tön-nies Klagen zur Abberufung der Wirt-schaftsprüfer oder des Steuerberaters.„Zu einer härteren Gangart kommt esin der Regel dann, wenn lästigen Ge-sellschaftern Unregelmäßigkeiten mitstrafrechtlichem Einschlag im Unter-nehmen bekannt werden. SchwarzeKassen, geheime liechtensteinischeStiftungen, nicht bilanzierte Waren-vorräte, Schein- oder Schwarzarbei-terverhältnisse sowie andere illegaleoder zumindest grenzwertige Gestal-tungen können notfalls anonym ange-zeigt werden und für große Unruhe imUnternehmen sorgen.“ Dann folgt daslaut Binz „probateste Mittel“: Nebender Aussprache das „faire Angebot zureinvernehmlichen Trennung.“

Dieser Weg scheint zumindest der-zeit nicht gangbar. Nach Binz würdedas bedeuten: „Wenn alle Stricke rei-ßen, ist ein Gesamtverkauf oder eingemeinsamer Börsengang immer nochbesser als jahrelanger Stellungskrieg.“Seit 2002 soll die Umwandlung in eineAktiengesellschaft tatsächlich internmehrfach besprochen worden sein, ei-nen ernsthaften Vorstoß gab es jedochnicht. Vielleicht wird er kommen.Denn, schließt Binz: „Streit im Gesell-schafterkreis ist ja bekanntlich dergrößte Wertevernichter.“ Wenigstensdas ist unbestritten. lz 49-13

Herr im Haus: Clemens

Tönnies leitet die Geschi-

cke des gleichnamigen

Schlachtkonzerns.

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„Streit im Gesell-schafterkreis istder größteWertevernichter“Markus Binz, Anwalt von Robert Tönnies

26 Lebensmittel Zeitung LZ 49 6. Dezember 2013J O U R N A L

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Herr Tönnies, statt Ihrem Onkel dasvon ihm reklamierte, doppelte Stimm-recht abzuerkennen, hat das Landge-richt Bielefeld am Freitag vergangenerWoche entschieden, in die Beweisauf-nahme zu gehen. Sind Sie enttäuscht?Im Gegenteil. Wir werten das als gro-

ßen Erfolg: Damit gibt das Gerichtnämlich zu erkennen, dass es unsererKlage stattgeben wird, wenn die zurVernehmung geladenen Zeugen unse-re Sicht der Dinge bestätigen. Der Be-weisbeschluss ist also eine wichtige ju-ristische Vorentscheidung zu unserenGunsten.

Es geht um die Macht in Deutschlandsgrößtem Schlachtkonzern. Dabei rät-selt die ganze Branche: Wer ist eigent-lich dieser Robert Tönnies?Ich bin mit der Firma groß geworden.Mein Vater hat mich schon sehr frühmit in den Betrieb genommen; dortmusste ich mein Taschengeld aufbes-sern und habe das Handwerk von derPike auf gelernt. Später habe ich eineMetzgerlehre gemacht und Betriebs-wirtschaft studiert. Anschließend ha-be ich sieben Jahre in Führungsposi-tionen an verschiedenen Standortenfür die Tönnies-Gruppe gearbeitet…

…sich dabei offenbar aber nicht gera-de beliebt gemacht. Zumindest hat Ih-nen der Betriebsrat im Vorjahr in ei-nem offenen Brief vorgeworfen, densozialen Frieden im Unternehmen zustören.Die Standorte Rheda und Weißenfelshaben jeweils getrennte Betriebsräte.Das von Ihnen zitierte Schreiben hatder Betriebsrat in Rheda verfasst. Ichhabe ihm sofort eine Aussprache an-geboten, die er aber abgelehnt hat.Schade, denn sonst hätten wir die ent-standenen Missverständnisse sofortbereinigen können. Der Betriebsratvon Weißenfels, wo ich überwiegendtätig war, hat sich nie kritisch übermich geäußert, imGegenteil. Auch ha-be ich zu vielen Mitarbeitern immernoch einen sehr guten Draht.

Handlungsbedarf?Tönnies ist heute sehr erfolgreich.Aber auch ein erfolgreiches Unterneh-men muss sich weiterentwickeln, weilsich die Wünsche der Kunden und diewirtschaftlichen Rahmenbedingungenlaufend verändern. Nur zwei Beispie-le: Die Verbraucher werden bei denThemen Fleischkonsum und Tierhal-tung immer kritischer; dieser Ent-wicklung muss sich Tönnies stellen.Werkverträge stehen im Brennpunktder öffentlichen Kritik; auch hier mussman prüfen, ob man diese Praxis lang-fristig beibehalten möchte. Tönniessollte sich mit diesen Fragen intensivbeschäftigen.

Das Tischtuch zwischen Ihnen und Ih-rem Onkel ist offenbar zerschnitten.Jetzt gehen Sie ein hohes Risiko vorGericht ein. Was passiert, wenn Sieverlieren?Meine Anwälte sind extrem zuver-sichtlich, auch wenn unter Umstän-den noch Jahre vergehen könnten, bisalle Verfahren rechtskräftig beendetsind. Ich stehe in jedem Fall fest zumUnternehmen und würde, auch wennich unsere Mehrheitsbeteiligung nichtwieder zurückerhielte, mich niemalsvon meinen Anteilen trennen.

Wirklich?Ich hatte mehrere Angebote auf demTisch. Aber Geld ist für mich keineTriebfeder. Ich verkaufe nicht, verlas-sen Sie sich darauf.

Und wie steht es um die Option einesBörsengangs, die Ihr Onkel als mittel-fristige Option ins Spiel gebracht hat?Mit mir wurde über dieses Themanoch nie ernsthaft diskutiert. Wir ha-ben dazu auch keine Pläne in derSchublade.

Wenn Sie und Ihr Bruder Ihrem Onkelnicht 10 Prozent Ihrer Anteile ge-schenkt hätten, bräuchten Sie sich da-rüber heute ohnehin keine Gedankenzu machen.Mehrheitsgesellschafter zu sein, istdas eine. Solange aber Clemens Tön-nies ein Doppelstimmrecht für sich re-klamiert, würde ihm dieses trotz einerMinderheitsbeteiligung die alleinigeEntscheidungsmacht verschaffen. In-sofern blieb uns gar keine andereWahl, als diese Streitfrage vor Gerichtklären zu lassen.

Das heißt, jede Chance auf eine außer-gerichtliche Einigung ist definitiv ver-spielt?An mir soll es nicht liegen. Solangeaber das Thema Doppelstimmrechtnicht geklärt ist, können wir nicht aufAugenhöhe verhandeln. Sobald dasGericht zu unseren Gunsten entschie-den hat, werden die Anwälte der Ge-genseite vermutlich von selbst auf unszukommen.

Es besteht also noch Hoffnung auf ei-nen Familienfrieden?Den wird es eines Tages immer geben:entweder weil die Gerichte alle Streit-fragen entschieden haben - oder weiles vorher zu einer Einigung gekom-men ist. Die Hoffnung stirbt bekannt-lich zuletzt. lz 49-13

Das Gespräch führte Martin Mehringer.

ber vor Gericht mitverfolgen konnten:Als Prof. Binz auf genau diesen, vonClemens Tönnies geäußerten Vorwurfentgegnete, er selber habe ihm dochbei seiner ersten Begegnung berichtet,dasVerhältnis zu seinem Neffen seischon seit Monaten "abgrundtief imKeller“, da rutschte Clemens Tönniesraus, er habe damals nicht „im Keller“,sondern „im Eimer“ gesagt.

Wie würden Sie Ihr Verhältnis heutebeschreiben?Ich hatte früher vor Clemens Tönniesgroßen Respekt, er war anfangs sogareine Art Vaterersatz für mich. Heutebegegnen wir uns nur noch auf ge-schäftlicher Ebene.

Allerdings ist Rheda-Wiedenbrücknicht gerade eine Weltstadt.Auf dem jährlichen Schützenfest läuftman sich zwangsläufig über den Weg.In Gesellschafterversammlungen, andenen ich teilnehme, lässt sich meinOnkel regelmäßig von seinen Anwäl-ten vertreten.

Verspüren Sie Hass?Nein, Hass ist mir völlig fremd. Ichkämpfe für die Tönnies-Gruppe, für Ge-rechtigkeit und mein väterliches Erbe.

Seit Ihr Onkel den Betrieb führt, ist dasUnternehmen stark gewachsen. Wie zu-frieden sind Sie mit seiner Lebensleis-tung?Ich will die Leistung meines Onkelsöffentlich nicht bewerten. Man sollteaber nicht vergessen, dass es mein Va-ter war, der das Unternehmen 1971 al-leine gegründet und auch das bis heutegültige Geschäftsmodell entwickelthat. Damals war Clemens gerade 15.Erst 1982 wurde er Gesellschafter.Mein Vater starb 1994. In diesen 23Jahren hat er das Unternehmen ent-scheidend geprägt. Alle drei Haupt-standorte, die heute für 90 Prozent desUmsatzes stehen – Rheda, Weißenfelsund Sögel– hat mein Vater aufgebaut.Mein Vater war ein Visionär, ein echterPionier, der das Unternehmen trotzschwerer Zeiten in einer gesundenVerfassung hinterlassen hat.

Das sieht Clemens Tönnies anders.Die Fakten sind eindeutig.

Sie werfen Ihrem Onkel einen patriar-chalischen Führungsstil vor.Es geht mir in erster Linie um eine er-folgreiche Zukunft von Tönnies. In ei-nemmodernen Familienunternehmenbraucht man beispielsweise klareStrukturen und Verantwortlichkeiten,insbesondere eine strikte Trennungzwischen Geschäftsführung undÜberwachung. Hier besteht also nocherheblicher Nachholbedarf.

Wollen Sie in Wahrheit nicht schluss-endlich selbst das Ruder übernehmen?Die Frage stellt sich derzeit nicht. Ichbin angetreten, um der Verantwor-tung, die mir mein Vater übertragenhat, gerecht zu werden; immerhin hat-te er mir und meinem Bruder eineMehrheitsbeteiligung vererbt und unseine entsprechende Berufsausbildungvorgeschrieben. Damit ist mein Wegvorgezeichnet.

Wo gibt es aus Ihrer Sicht weiteren

Können Sie denn den Vorwurf widerle-gen?Ich bin es gewohnt, Leistungen nachZahlen, Daten und Fakten zu beurtei-len. Ich war von Anfang 2007 bis Ende2009 und 2011 noch einmal ein halbesJahr lang als Geschäftsführer für den

gesamten Standort Weißenfels verant-wortlich. In dieser Zeit habe ich Inves-titionen in zweistelliger Millionen-höhe betreut, unter anderem eineneue Zerlegung aufgebaut und dieSchlachtkapazitäten von 8700 auf20000 Schweine am Tag mehr als ver-doppelt. Heute gehört Weißenfels zuden fünf größten SchlachtbetriebenEuropas.

Trotzdem scheint der Gesellschafter-konflikt die Belegschaft zu verunsi-chern.Ich habe seit 2012 bewusst das operati-ve Geschäft ruhen lassen, um den Mit-arbeitern Loyalitätskonflikte zu erspa-ren. Trotzdem habe ich mich auf Ge-sellschafterebene weiter engagiert undbeispielsweise bei wichtigen strategi-schen Fragen meinen Einfluss im Inte-resse des Unternehmens geltend ge-macht. Entsprechend entwickelt sichder Betrieb weiterhin sehr erfolgreich –und das soll auch in Zukunft so bleiben.

Wie konnte es in einer Familie, die überJahrzehnte wie Pech und Schwefel zu-sammengehalten haben soll, über-haupt so weit kommen?Ich bedaure diese Entwicklung sehr,denn es bestand lange großes Vertrau-en untereinander. Das wurde leidergestört, als ich eines Tages erfahrenmusste, dass gegen meine Interessengehandelt wurde. Ich bitte jedoch umVerständnis, wenn ich mich über De-tails öffentlich nicht äußern möchte.Diese sind Gegenstand schwebenderGerichtsverfahren.

Erst richtig Öl ins Feuer soll Ihr AnwaltMark Binz gegossen haben.Das entspricht nicht der Realität , wieSie beim Gütetermin Anfang Novem-

„Mein Wegist vorgezeichnet“Es steht nicht gut um eine friedliche Nachfolgelösung im Hause Tönnies. Mit Robert Tönnies rüttelt ein weitgehend unbekannter

Neffe am Stuhl des Vorstandschefs Clemens Tönnies. Es fragt sich nur, warum?

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