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XX Landwirtschaftliche MITTEILUNGEN 1. November 2011 M ARKT & W IRTSCHAFT „Markt hat sein Maß verloren“ Interview mit dem Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann Sein Credo: Wir müssen weg von der Gewinnmaximierung hin zur guten Firmenführung. LM: Sie kritisieren die vorherrschende Wirtschafts- ordnung. Was ist besonders schlecht an ihr? Ulrich Thielemann: Der Markt hat vielfach sein Maß verloren. In einer gut funktio- nierenden Marktwirtschaft ist das Wirtschaften in Grundsät- ze der Verantwortbarkeit, Fair- ness und Sinnhaftigkeit einge- bettet. Heute allerdings sollen der Gewinn und der eigene Vor- teil alles sein. Dies jedenfalls wird dem Ma- nagementnach- wuchs im Wirt- schaftsstudium mit auf den Weg gegeben. Ein- fach indem ihm nur gezeigt wird, wie die Gewinne zu maximieren sind. Wenn ihm dann noch ge- sagt wird, dass der Mensch, je- denfalls wenn er „rational“ sein will, ein Homo oeconomicus, ein Nutzenmaximierer, ist, so denkt er: alles ist erlaubt, was dem eigenen Kontostand dient. Sie prangern die Radikali- sierung des Managements an: Manager seien rücksichtslos, Mitarbeiter, Kunden und Bür- ger bleiben auf der Strecke... Thielemann: ...jedenfalls ist dies der Geist, der vielfach in die Führungsetagen eingezo- gen ist: Die Angestellten wer- den zum „Humankapital“, das so rentabel wie möglich zu nut- zen ist. Wenn die Arbeit nicht weiter verdichtet werden kann, droht die Entlassung. Kunden werden zu wandelnden Geld- börsen. Und wenn die Bürger aufmucken, dann wird mit der Standortverlagerung gedroht. Sie verlangen, dass das Mo- ZUR PERSON ral- und nicht das Gewinnprin- zip maßgeblich sein soll. Ist es unmoralisch Gewinne zu ma- chen, wenn sie nicht ausge- schüttet werden, sondern dem Unternehmenserhalt dienen? Thielemann: Überschüsse zu erzielen ist für jedes Unterneh- men existenziell notwendig. Davon ist Gewinnmaximie- rung streng zu unterscheiden. Das Unternehmen, seine Mit- arbeiter, seine Kunden und Zu- lieferer werden hier zu einem austauschbaren Instrument un- stillbarer Renditewünsche de- gradiert. Und dies ist mit dem Moralprinzip nicht vereinbar. Nach diesem müssen die An- sprüche aller Be- teiligten und Be- troffenen – auch die eigenen zählen. Gute Un- ternehmensfüh- rung bedeutet, ei- nen fairen Aus- gleich zwischen all diesen Inte- ressen zu finden, die durchaus, di- es muss man ganz nüchtern sehen, in Widerspruch stehen. Dazu gehört auch, das Unter- nehmen für schlechtere Zeiten vorzubereiten, also Überschüs- se einzubehalten. Sie treten für die Ideen der so- zialen Marktwirtschaft ein und bekennen gleichzeitig ein, dass diese durch die freie Markt- wirtschaft in den Hintergrund gedrängt wurde. Wie soll eine Revitalisierung der sozialen Marktwirtschaft gehen? Thielemann: Sie muss von oben und von unten kom- men. Von unten kommt sie schon ein gutes Stück weit. Wir sehen die Mo- ralisierung der Märkte bei wachsenden Seg- menten wie „fair tra- de“ oder „bio“ sowie in zahlreichen Unterneh- men, die Ethik meinen, wenn sie von Ethik sprechen. Wie sie se- hen auch in einer aktiven Zi- vilgesellschaft, die nicht mehr auf Beschönigungen herein- fällt. Von oben heißt: Durch ei- ne geeignete Rahmenordnung, muss dies aber unterstützt wer- den. Diese soll verhindern, dass verantwortungsvoll ge- führte Unternehmen von radi- kalen Gewinnmaximierern ver- drängt werden. Wie beurteilen Sie das Ge- nossenschaftswesen in diesem Zusammenhang? Thielemann: Das Genossen- schaftswesen repräsentiert die gelebte soziale Marktwirtschaft wie kaum eine andere Unter- nehmensform. Dieses Modell verdient eine deutliche Verbrei- tung. Dies dürfte vor allem ei- ne ordnungspolitische Frage sein. Nehmen wir die Genos- senschaftsbanken. Die- se werden durch die Bestimmungen von Basel III al- ler Voraussicht nach wie vor eine schlech- tere Eigen- kapitalba- sis aufwei- sen als die Großbanken, was an sich grotesk ist, da ihre Eigenka- pitalausstattung tatsächlich natürlich viel besser ist. Da- raus erwachsenen den Genos- senschaftsbanken echte Wett- bewerbsnachteile. Es müsste darum gehen, die Genossen- schaftsbanken nicht etwa zu benachteiligen, sondern zu be- vorzugen, weil es nämlich das verantwortungsvollere Ge- schäftsmodell ist. Das liegt be- reits in der Struktur, aber auch in der Kultur des Genossen- schaftswesens begründet. Glauben Sie, dass sich eine soziale oder gar sozial-ökolo- gische Marktwirtschaft welt- weit in absehbarer Zeit durch- setzen kann? Thielemann: Dies liegt an uns. Dafür müssen wir eine Politik unterstützen, die nicht mehr bloß den Vorgaben ge- horcht, die das global zirku- lierende Kapital uns gibt, sondern diesem selbst die Vorga- ben macht. Na- tionalstaatliche Politik muss sich heute glo- balisieren. Die Herausforde- rungen hier- für liegen erst noch vor uns. Interview: Dietmar Moser Ulrich Thielemann (40) ist Gründer der Berliner Denkfabrik für Wirt- schaftsethik. Der renommierte Wissenschaftler vertritt einen integrativen wirtschaftsethischen Ansatz, wonach ein zum Prinzip erhobener Markt auf den Stärkeren zugeschnitten ist. Das Buch „System Error – warum der freie Markt zur Unfreiheit führt“ zählt zu seinen Hauptwerken. Heutzutage sind Angestellte nur mehr ein Humankapital. Ulrich Thielemann Wirtschaftsethiker

M Landwirtschaftliche XX „Markt hat sein Maß verloren“ · LM: Sie kritisieren die vorherrschende Wirtschafts-ordnung. Was ist besonders schlecht an ihr? Ulrich Thielemann: Der

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  • XXLandwirtschaftliche MitteiLungen1. November 2011 M a r k t & W i r t s c h a f t

    „Markt hat sein Maß verloren“Interview mit dem Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann

    Sein Credo: Wir müssen weg von der Gewinnmaximierung hin zur guten Firmenführung. LM: Sie kritisieren die vorherrschende Wirtschafts-ordnung. Was ist besonders schlecht an ihr?Ulrich Thielemann: Der Markt hat vielfach sein Maß verloren. In einer gut funktio-nierenden Marktwirtschaft ist das Wirtschaften in Grundsät-ze der Verantwortbarkeit, Fair-ness und Sinnhaftigkeit einge-bettet. Heute allerdings sollen der Gewinn und der eigene Vor-teil alles sein. Dies jedenfalls wird dem Ma-nagementnach-wuchs im Wirt-schaftsstudium mit auf den Weg gegeben. Ein-fach indem ihm nur gezeigt wird, wie die Gewinne zu maximieren sind. Wenn ihm dann noch ge-sagt wird, dass der Mensch, je-denfalls wenn er „rational“ sein will, ein Homo oeconomicus, ein Nutzenmaximierer, ist, so denkt er: alles ist erlaubt, was dem eigenen Kontostand dient. Sie prangern die Radikali-sierung des Managements an: Manager seien rücksichtslos, Mitarbeiter, Kunden und Bür-ger bleiben auf der Strecke...Thielemann: ...jedenfalls ist dies der Geist, der vielfach in die Führungsetagen eingezo-gen ist: Die Angestellten wer-den zum „Humankapital“, das so rentabel wie möglich zu nut-zen ist. Wenn die Arbeit nicht weiter verdichtet werden kann, droht die Entlassung. Kunden werden zu wandelnden Geld-börsen. Und wenn die Bürger aufmucken, dann wird mit der Standortverlagerung gedroht. Sie verlangen, dass das Mo-

    zur person

    ral- und nicht das Gewinnprin-zip maßgeblich sein soll. Ist es unmoralisch Gewinne zu ma-chen, wenn sie nicht ausge-schüttet werden, sondern dem Unternehmenserhalt dienen? Thielemann: Überschüsse zu erzielen ist für jedes Unterneh-men existenziell notwendig. Davon ist Gewinnmaximie-rung streng zu unterscheiden. Das Unternehmen, seine Mit-arbeiter, seine Kunden und Zu-lieferer werden hier zu einem austauschbaren Instrument un-stillbarer Renditewünsche de-gradiert. Und dies ist mit dem Moralprinzip nicht vereinbar. Nach diesem müssen die An-

    sprüche aller Be-teiligten und Be-troffenen – auch die eigenen – zählen. Gute Un-ternehmensfüh-rung bedeutet, ei-nen fairen Aus-gleich zwischen all diesen Inte-ressen zu finden, die durchaus, di-es muss man ganz nüchtern

    sehen, in Widerspruch stehen. Dazu gehört auch, das Unter-nehmen für schlechtere Zeiten vorzubereiten, also Überschüs-se einzubehalten. Sie treten für die Ideen der so-zialen Marktwirtschaft ein und bekennen gleichzeitig ein, dass diese durch die freie Markt-wirtschaft in den Hintergrund gedrängt wurde. Wie soll eine Revitalisierung der sozialen Marktwirtschaft gehen? Thielemann: Sie muss von oben und von unten kom-men. Von unten kommt sie schon ein gutes Stück weit. Wir sehen die Mo-ralisierung der Märkte bei wachsenden Seg-menten wie „fair tra-de“ oder „bio“ sowie in zahlreichen Unterneh-men, die Ethik meinen, wenn sie von Ethik sprechen. Wie sie se-

    hen auch in einer aktiven Zi-vilgesellschaft, die nicht mehr auf Beschönigungen herein-fällt. Von oben heißt: Durch ei-ne geeignete Rahmenordnung, muss dies aber unterstützt wer-den. Diese soll verhindern, dass verantwortungsvoll ge-führte Unternehmen von radi-kalen Gewinnmaximierern ver-drängt werden. Wie beurteilen Sie das Ge-nossenschaftswesen in diesem Zusammenhang?Thielemann: Das Genossen-schaftswesen repräsentiert die gelebte soziale Marktwirtschaft wie kaum eine andere Unter-nehmensform. Dieses Modell verdient eine deutliche Verbrei-tung. Dies dürfte vor allem ei-ne ordnungspolitische Frage sein. Nehmen wir die Genos-senschaftsbanken. Die-se werden durch die Bestimmungen von Basel III al-ler Voraussicht nach wie vor eine schlech-tere Eigen-kapitalba-sis aufwei-sen als die Großbanken, was an sich grotesk ist, da ihre Eigenka-

    pitalausstattung tatsächlich natürlich viel besser ist. Da-raus erwachsenen den Genos-senschaftsbanken echte Wett-bewerbsnachteile. Es müsste darum gehen, die Genossen-schaftsbanken nicht etwa zu benachteiligen, sondern zu be-vorzugen, weil es nämlich das verantwortungsvollere Ge-schäftsmodell ist. Das liegt be-reits in der Struktur, aber auch in der Kultur des Genossen-schaftswesens begründet. Glauben Sie, dass sich eine soziale oder gar sozial-ökolo-gische Marktwirtschaft welt-weit in absehbarer Zeit durch-setzen kann?Thielemann: Dies liegt an uns. Dafür müssen wir eine Politik unterstützen, die nicht mehr bloß den Vorgaben ge-horcht, die das global zirku-

    lierende Kapital uns gibt, sondern diesem

    selbst die Vorga-ben macht. Na-tionalstaatliche Politik muss sich heute glo-balisieren. Die Herausforde-rungen hier-für liegen erst

    noch vor uns.Interview:

    Dietmar Moser

    Ulrich Thielemann (40) ist Gründer der Berliner Denkfabrik für Wirt-schaftsethik. Der renommierte Wissenschaftler vertritt einen integrativen wirtschaftsethischen Ansatz, wonach ein zum prinzip erhobener Markt auf den stärkeren zugeschnitten ist. Das Buch „system error – warum der freie Markt zur unfreiheit führt“ zählt zu seinen Hauptwerken.

    „Heutzutage

    sind Angestellte nur mehr ein

    Humankapital.

    Ulrich Thielemann Wirtschaftsethiker„