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MERGERS & ACQUISITIONS Beteiligungen • Allianzen • Restrukturierungen • Divestments • Private Equity www.ma-review.de Standpunkt M&A-Transaktionen am Beispiel deutscher Versandapotheken Recht und Steuern Haftungsübergang beim Share Deal und beim Asset Deal nach österreichischem Recht Recht und Steuern Äpfel und Birnen – Der Einfluss der Rechtsform auf die Steuerlast bei Unternehmenstransaktionen Country Special M&A in den Niederlanden – ein rechtskultureller Überblick Switzerland Column Schweizer M&A-Markt im 1. Quartal 2012 – Rekordvolu- men dank Megadeal Deal des Monats Nestlé übernimmt für 12 Mrd. US-$ Kindernahrungs- sparte von Pfizer 23. Jahrgang 6/2012 Media AKTIENGESELLSCHAFT Strategien und Visionen Carve-outs: Trennung ohne Schmerzen? SONDERDRUCK Mit freundlicher Empfehlung von

M&A in den Niederlanden - ein rechtskultureller Überblick

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MERGERS & ACQUISITIONS • Beteiligungen • Allianzen • Restrukturierungen • Divestments • Private Equity

www.ma-review.de

StandpunktM&A-Transaktionen am Beispieldeutscher Versandapotheken

Recht und SteuernHaftungsübergang beim ShareDeal und beim Asset Deal nachösterreichischem Recht

Recht und SteuernÄpfel und Birnen – Der Einflussder Rechtsform auf die Steuerlastbei Unternehmenstransaktionen

Country Special M&A in den Niederlanden – ein rechtskultureller Überblick

Switzerland Column Schweizer M&A-Markt im 1. Quartal 2012 – Rekordvolu-men dank Megadeal

Deal des MonatsNestlé übernimmt für 12 Mrd. US-$ Kindernahrungs-sparte von Pfizer

23. Jahrgang 6/2012

MediaA K T I E N G E S E L L S C H A F T

Strategien und Visionen Carve-outs: Trennung ohne Schmerzen?

S O N D E R D R U C KMit freundlicher Empfehlung von

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2. Kultureller Hintergrund

Viele Deutsche kennen die Niederlande aus Urlaubser-lebnissen, und die Erfahrung lehrt, dass diese Urlaubs-kenntnisse keineswegs direkt zu übertragen sind auf ge-schäftliche Kontakte. Unternehmen, die zum Beispiel inChina investieren wollen, sind viel eher geneigt, sichüber kulturelle Aspekte zu informieren als beim Nach-barland Niederlande, in dem bekanntermaßen vieleMenschen auch auf verschiedenen Niveaus Deutschsprechen1. Gleichzeitig wird dieser Aspekt leider viel zuhäufig unterschätzt mit enormen kommerziellen und fi-nanziellen Konsequenzen. Einen Einstieg kann das Buchvon Thomas/Schlizio „Leben und Arbeiten in den Nie-derlanden“ bieten, in dem der Autor auch einen Beitragzu den Unterschieden zwischen dem deutschen und nie-derländischen Rechtssystem geleistet hat2. Die kulturel-len Eigenheiten werden bei einigen rechtlichen Aspek-ten noch später erwähnt werden, zeigen sich aber schonauf nicht juristischer Ebene bereits am Anfang einerM&A-Transaktion.

Von zahlreichen Beispielen soll in diesem Zusammen-hang nur der Unterschied in den Verhandlungsstrate-gien erwähnt werden, die sich wesentlich voneinanderunterscheiden. Niederländische Verhandlungspartnerrichten sich in erster Linie immer erst auf die Person. Diesbedeutet, dass sehr viel Zeit und Aufwand in die per-sönliche Beziehung mit dem Verhandlungspartner in-vestiert wird. Die niederländische Handelsmentalität un-terstellt, dass das Verhandlungsergebnis und auch derganze Deal im Wesentlichen von der persönlichen Be-ziehung der Verhandlungspartner abhängt. Gleichzei-tig lässt sich von der deutschen Verhandlungskultur ehersagen, dass diese auf den Inhalt gerichtet ist und diepersönliche Beziehung eine wesentlich untergeordne -

1. Einführung

Das niederländisch-deutsche Handelsvolumen 2010ist mit 132 Mrd. Euro eines der größten der Welt. Die Nie -derlande sind für Deutschland an dritter Stelle der wich-tigsten Handelspartner mit einem Importvolumen von63,2 Mrd. Euro. Gleichzeitig exportieren die Niederlan denach Deutschland für 68,8 Mrd. Euro. Damit ist Deutsch-land für die Niederlande sowohl den Import als auchden Export betreffend der wichtigste Handelspartner.

Daneben verstärkt sich diese gegenseitige Abhängigkeitdurch den Hafen von Rotterdam, über den viele Güterüber die Niederlande ein- beziehungsweise ausgeführtwerden. Schließlich gilt der Flughafen Schiphol weltweitals einer der Flughäfen mit den besten internationalenVerbindungen. Ein wichtiger weiterer wirtschaftlicherAspekt ist die Steuergesetzgebung der Niederlande mitzahlreichen Vorteilen, die vor allem auch darauf beru-hen, dass die Niederlande mit sehr vielen Ländern in derWelt bilaterale Steuerabkommen getroffen haben, wo-durch Unternehmen in den Niederlanden sehr viel mehrSteuersicherheit haben als in anderen Ländern.

Diese wirtschaftlichen Faktoren vorausgeschickt wirddeutlich, warum im deutsch-niederländischen Marktsehr viele Transaktionen in allen Größenbereichen statt-finden. Mergers & Aquisitions (M&A) umfassen einebreite Palette möglicher Transaktionen. Im Vordergrunddieses Beitrages steht der sogenannte Share Deal, beidem Geschäftsanteile einer Firma gekauft oder verkauftwerden. Der sogenannte Asset Deal, bei dem Vermö-gensbestandteile durch den Käufer übernommen wer-den, wird in diesem Zusammenhang nicht behandelt,weil es sich um kaufrechtliche Bestimmungen handelt,die möglicherweise noch durch Spezialgesetzgebungwie zum Beispiel im Immobilienbereich ergänzt werden.Auch die Problematik von Verschmelzungen bezie-hungsweise Fusionen und Joint Ventures soll hier nichterörtert werden. Der Fokus liegt vor allem auf dem ShareDeal von nicht börsennotierten Unternehmen.

REPORT • COUNTRY SPECIAL

M&A REVIEW 6/2012 • 23. Jahrgang

M&A in den Niederlanden – ein rechtskultureller Überblick

Dr. Axel Hagedorn, Van Diepen Van der Kroef Advocaten, Amsterdam

1 Siehe zum Beispiel A. Hagedorn, Western and Chinese Contract Law. A Comparative Cul-tural Perspective. In: Dahles/Wels, Culture, Organization and Management in East Asia,New York 2002.

2 A. Hagedorn, Unterschiede zwischen dem deutschen und dem niederländischen Rechts-system. In: A.Thomas/B.U. Schlizio, Leben und Arbeiten in den Niederlanden, 2.A., Göttingen 2009.

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te Rolle spielt. Einem deutschen Verhandlungs partnerkommt es viel mehr darauf an, Fakten über das Unter-nehmen zu erfahren. Häufig führt dies dazu, dassnieder ländische Verhandlungspartner in den ersten Ge-sprächen sehr viel besser auf die Person des Verhand-lungspartners vorbereitet und gerichtet sind als auf in-haltliche Fragen, da diese nach dem niederländischenVerständnis auch später noch geklärt werden können.Nicht selten führt dies zu Irritationen. Gleichzeitig kanndie allgemeine kommunikative Stärke der Niederländerdies häufig wieder ausgleichen.

Auch die Frage des Unternehmenspreises wird unter-schiedlich behandelt. Während deutsche Unternehmerihren Kaufpreis in aller Regel mit Parametern und Zah-len unterbauen können, spielt dies für Niederländer einegeringere Rolle. Häufig wird in den Verhandlungen sehrhoch eingesetzt, weil man kulturell davon ausgeht, dasssowieso etwas nachgegeben werden muss. Deshalbkann der letztendliche Kaufpreis wesentlich geringer lie-gen. Hier gilt es aus deutscher Sicht große Vorsicht wal-ten zu lassen und sich auch nicht zu früh von eventuel-len Kaufpreisvorstellungen abschrecken zu lassen.

Ein wesentlicher Unterschied zum deutschen Rechtssys-tem besteht in der Anwendung des Grundsatzes vonRedlichkeit und Billigkeit im niederländischen Rechtssys-tem. Ein juristischer Laie könnte leicht der Idee verfal-len, der Grundsatz von Redlichkeit und Billigkeit sei ver-gleichbar mit Treu und Glauben gemäß § 242 BGB. Dieswäre ein schwerer Trugschluss. Tatsächlich zieht sich derGrundsatz von Redlichkeit und Billigkeit durch das ge-samte niederländische Rechtssystem. Dies betrifft vor al-lem das materielle Recht, aber kann auch im prozessua-len Bereich im Einzelfall eine Rolle spielen3. Anders alsim deutschen Recht ist der Grundsatz von Redlichkeitund Billigkeit auch nicht ein allerletzter Notanker zurVermeidung völlig unakzeptabler Ergebnisse, sondernkann in jedem Einzelfall zur Anwendung kommen. DieVerhaltensmaßstäbe beider Parteien während der Ver-tragsverhandlungen, aber auch bei der Interpretation

von Klauseln, werden von diesem Grundsatz erfasst. Be-sonders deutlich wird dies zum Beispiel beim Abbrechenvon Vertragsverhandlungen. Die niederländische Dog-matik unterscheidet sich hier gravierend vom deutschenRecht.

3. Gesellschaftsformen

Vergleichbar mit dem deutschen Recht kennt das nie-derländische Recht die Aktiengesellschaft (naamlozevennootschap) und die GmbH (besloten vennootschap).Die Personengesellschaft wie zum Beispiel die Komman-ditgesellschaft (commanditaire vennootschap) existiertin den Niederlanden, wird aber wesentlich weniger imGeschäftsleben verwendet als in Deutschland. Die com-manditaire vennootschap findet man vor allem im An-lagegeschäft, also zum Beispiel bei Anlagefonds im Immo -bilien-, Film- und Schiffsbereich. Die deutsche Gesell-schaftsform der GmbH & Co. KG ist in den Niederlandennicht zu finden. Daneben gibt es persönliche Gesell-schaften wie Einzelhandelsfirmen, Gesellschaften bürger -lichen Rechts, offene Handelsgesellschaften (vennoot-schap onder firma), Genossenschaften usw. In diesemBeitrag liegt der Fokus auf der Übernahme der Kapital-gesellschaften, also der niederländischen Aktiengesell-schaft und GmbH.

4. Due Diligence

In den Niederlanden wird in aller Regel eine ausführli-che Due Diligence vor dem Kauf von Unternehmendurchgeführt. Diese betreffen häufig nicht nur den ju-ristischen und finanziellen Teil, sondern können sichauch auf andere Faktoren wie Marktposition, Konkurrenz -fähigkeit usw. richten. Der Zeitpunkt der Due Diligencekann variieren. Eine Due Diligence kann Ausgangspunktder Vertragsverhandlungen sein und deshalb sehr frühim Übernahmeprozess stattfinden. Häufig einigen sichdie Parteien aufgrund finanzieller Eckdaten bereits in

COUNTRY SPECIAL • REPORT

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83 Siehe zum Beispiel Art. 150 niederländische ZPO (Wetboek van burgerlijke rechtsvordering).

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einem Vorvertrag auf den zu zahlenden Preis für die Ge-schäftsanteile und bestimmen weiter, dass dieser Kauf-preis abhängig vom Ausgang der Due Diligence ist. DieFaktoren der Due Diligence, die den Kaufpreis beeinflus-sen können, werden dann wiederum konkret umschrie-ben. Der Kaufpreis wird zum Beispiel abhängig vomEBITDA bestimmt, das wiederum durch eventuelle Kos-tenrisiken beherrscht wird, die im Jahresabschluss even-tuell nicht angegeben sind. Häufig wird der zu zahlendeKaufpreis unter Bedingungen festgelegt, die nach derPrüfung in der Due Diligence bestätigt werden. SolcheFaktoren können zum Beispiel die Höhe bestimmterSchuldenpositionen gegenüber Gruppengesellschaftenoder externen Parteien sein, also Investoren oder Ban-ken. Auch die Bestätigung eines oder mehrerer Groß-kunden, dass diese nach der Übernahme weiterhin Ge-schäfte mit dem Target machen, kommt hier in Betracht.Die Fallbeispiele sind zahlreich und sehr abhängig vonden vom potenziellen Käufer analysierten Risikofakto-ren.

In diesen Fällen wird also in der Due Diligence mitge-prüft, ob die durch die Verkäuferseite mitgeteilten fi-nanziellen Parameter und übrigen Schlüsselpositionen(key performance indicators) des Unternehmens korrektdargestellt wurden. Inwieweit Abweichungen von die-sen Bedingungen zum Abbruch der Verhandlungenoder zur Anpassung des Vertrages führen, sollte des-halb gerade Gegenstand vorvertraglicher Absprachensein.

5. Vorvertrag

Die Bezeichnung der Vorverträge (Letter of Intent, Me-morandum of Understanding, Termsheet usw.) ist we-niger relevant. Entscheidend für die rechtliche Bindungist, vergleichbar mit dem deutschen Recht, der Inhaltdieses Vorvertrages. Je nach Intention der Käufer- be-ziehungsweise Verkäuferseite werden die Klauseln nachniederländischem Recht sorgsam gewählt, damit derBindungswille beziehungsweise der Unwille sich zu bin-den über verschiedene Klauseln zum Ausdruck kommt.Da der schadlose Abbruch von Vertragsverhandlungennach niederländischem Recht – wie später ausgeführtwird – schwierig sein kann, ist es bei M&A-Transaktio-nen wichtig, äußerste Sorgfalt bei der Formulierung die-ser Vorverträge anzuwenden. Vergleichbar mit demdeutschen Recht hängt die Regelungsdichte des Vorver-trages von den Absichten der Parteien ab. Ein umfas-sender Vorvertrag enthält in aller Regel die Beschreibungdes Unternehmens und den beabsichtigten Kaufpreisbeziehungsweise zumindest die Parameter zur Bestim-mung des Kaufpreises, in aller Regel abhängig gemachtvon der noch auszuführenden Due Diligence. Weiterwerden häufig Absprachen zum Ablauf der Due Dili-gence wie zum Beispiel Zeitrahmen, Unterlagen, Um-fang, Einsichtsrechte, Kostenaufwand, Zeitablauf usw.aufgenommen. Weitere Kernvereinbarungen sind viel-fach bestimmte Garantien zum Beispiel zum Verkaufs-

memorandum, zu Jahresabschlüssen oder zu zwischen-zeitlichen Bilanzen. Arbeitsrechtliche Fragen könnenauch Gegenstand des Vorvertrages sein, wie zum Bei-spiel der Verbleib von Schlüsselfiguren im Betrieb sowieReorganisationen beziehungsweise die Kostentragungdavon. Weiterhin finden sich vielfach aufschiebende be-ziehungsweise auflösende Bedingungen im Hinblick aufZustimmungserfordernisse durch interne oder externeGremien oder die Finanzierung der Transaktion. Stan-dardklauseln finden sich zur Exklusivität, zu Wettbe-werbsbeschränkungen, zur Geheimhaltung, zur vorver-traglichen Haftung und zur Kostentragung. Ob eine vor-vertragliche Haftung ausgeschlossen werden soll, hängtsehr stark von dem Bindungswillen der jeweiligen Par-tei ab. Gleiches gilt zum Beispiel auch für die Exklusivi-tät. Schließlich sollten immer das anwendbare Recht undder Gerichtsstand aufgenommen werden.

An dieser Stelle verdient die aus dem deutschen Rechtbekannte Diskussion Aufmerksamkeit, inwieweit dieDue Diligence Aufklärungspflichten auf Verkäuferseitebeziehungsweise Untersuchungspflichten auf Käufer-seite auslöst und ob dadurch Haftungstatbestände ver-gleichbar mit dem deutschen Recht §§ 437, 442 BGBbeziehungsweise § 377 HGB ausgelöst werden. Im nie-derländischen Recht trifft den Käufer eines Unterneh-mens grundsätzlich eine Untersuchungspflicht4. Dem-gegenüber steht eine Mitteilungspflicht des Verkäufersüber Umstände, die aufgrund der Verhandlungen fürdie Nutzung des Unternehmens erkennbar für den Käu-fer wichtig sind5. Gleichzeitig ist anerkannt, dass die Par-teien davon ausgehen dürfen, dass die Mitteilungen derGegenseite zutreffend sind. Allerdings kann sich derKäufer auf Mängel nicht berufen, wenn er diese bei Ab-schluss des Vertrages kannte oder redlicherweise hättekennen müssen. Insofern erhöht sich die Untersu-chungspflicht der Käuferseite, wenn professionelle Be-rater zum Beispiel die Due Diligence begleiten, undschwächt sich dadurch die Aufklärungspflicht ab. Da dasSpannungsfeld zwischen diesen beiden Pflichten sehrstark auf den Einzelfall bezogen ist, werden in den Ver-trägen zu diesem Themenkomplex regelmäßig Bestim-mungen aufgenommen. Die gesetzlichen Bestimmun-gen hierzu können abbedungen werden. Ein Verkäuferhat Interesse daran, dass alles, was der Käufer wussteoder durch die Due Diligence wissen konnte, nicht un-ter die Gewährleistung fällt. Auf der anderen Seite hatdie Käuferseite ein Interesse daran, dass ihm das Durch-führen der Due Diligence nicht haftungsmindernd ent-gegengehalten werden kann.

6. Abbruch von Vertragsverhandlungen

Seit der Neufassung des BGB im deutschen Recht gibtes Ähnlichkeiten zum niederländischen Recht im Hin-blick auf Schadensersatz wegen des Abbruchs von Ver-

REPORT • COUNTRY SPECIAL

M&A REVIEW 6/2012 • 23. Jahrgang

4 Art. 23 Buch 7 des niederländischen bürgerlichen Gesetzbuches.5 Art. 17 Buch 7 des niederländischen bürgerlichen Gesetzbuches.

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tragsverhandlungen. Nach deutschem Recht ist der An-satz aus culpa in contrahendo inzwischen Gesetzesnormgeworden (§§ 311 II, 280 I, 241 II BGB) und spielt dieFrage der schwerwiegenden Treueverletzung eine Rolle6.Wie bereits dargestellt ist der Grundsatz von Redlichkeitund Billigkeit wesentlicher Bestandteil des niederländi-schen Rechts und wird auch beim Abbruch von Vertrags-verhandlungen herangezogen. Ähnlich wie im deut-schen Recht ist die Vertragsfreiheit Ausgangspunkt undinsofern ein Abbruch jederzeit möglich. Dies verändertsich aber dann, wenn eine Partei bei der anderen Parteizurechenbar das Vertrauen geweckt hat, ein Vertragwerde zustande kommen.

Die niederländische Rechtsprechung hat die sogenannteDrei-Phasen-Lehre, basierend auf dem Fortschritt derVerhandlungen, entwickelt. In der ersten Phase dürfendie Parteien noch jederzeit die Verhandlungen ohneKostenfolgen abbrechen. In der zweiten Phase sind dieVerhandlungen bereits in ein solches Stadium eingetre-ten, dass das Abbrechen gutgläubig nicht mehr erfol-gen darf, weil die jeweils andere Partei bereits einenSchaden erleiden kann. Entscheidend ist in diesem Fall,ob bei der Gegenseite bereits ein gerechtfertigtes Ver-trauen geschaffen wurde, dass ein Vertrag zustandekommen kann und diese Partei insofern für die entstan-denen Kosten, also das negative Interesse, kompensiertwerden muss. In der dritten Phase liegt ein Verstoß ge-gen Redlichkeit und Billigkeit vor, da die Gegenseite da-rauf vertrauen durfte, dass ein Vertrag zustande kommt.Beachtung verdient das Wort „ein“ Vertrag und nicht„der“ Vertrag. Dies bedeutet, dass die Haftung beischon weit geführten Verhandlungen substanziell seinkann. Die Haftung kann auf das sogenannte positive In-teresse hinauslaufen, also auf den Abschluss des oderbesser eines Vertrages gerichtet sein. Zumindest aberkann die Weiterverhandlungspflicht eingefordert wer-

den. Allerdings hat der Hoge Raad, das letztinstanzlicheniederländische Zivilgericht, in einer neueren Entschei-dung betont, dass die Vertragsfreiheit einen hohen Stel-lenwert besitzt und darum eine Haftung wegen des Ab-bruchs von Vertragsverhandlungen nicht einfach ange-nommen werden darf. Wie dieses Urteil im Hinblick aufdie Drei-Phasen-Lehre ausgelegt werden muss, ist sehrumstritten. Trotz dieser niederländischen Rechtspre-chung muss man feststellen, dass die Kasuistik zum Ab-brechen von Vertragsverhandlungen bei M&A-Transak-tionen letztlich auch sehr gering ist. Ob dies daran liegt,dass aufgrund der Rechtsprechung niederländische Par-teien bereits in der vorvertraglichen Phase deutliche Ab-sprachen treffen oder andere (prozess)ökonomischeGründe eine Rolle spielen, ist bisher nicht untersuchtworden. Trotzdem gilt es gerade für ausländische Par-teien, hier große Vorsicht walten zu lassen, da das nie-derländische Prozessrecht Möglichkeiten gibt, die durchdie jeweils betroffene Partei gut genutzt werden kön-nen.

So gibt es, anders als im deutschen Recht, zum BeispielSicherungspfändungen auf Vermögen in den Niederlan-den. Hierunter können zum Beispiel auch Forderungeneiner ausländischen Partei bei einem niederländischenSchuldner fallen. Das Sicherungspfändungsverfahrenwird durch einen Antrag bei Gericht eingeleitet, der mitUnterlagen unterbaut werden muss, aber nicht zum Bei-spiel durch eine eidesstattliche Versicherung. Darüberhinaus gibt es wesentlich weitergehende Möglichkei-ten, im einstweiligen Rechtsschutz Ansprüche durchzu-setzen, die sich von dem deutschen System der einst-weiligen Verfügung stark unterscheiden.

COUNTRY SPECIAL • REPORT

6 Schadensersatz zuweisende Urteile im Hinblick auf den unrechtmäßigen Abbruch von Ver-tragsverhandlungen sind in Deutschland wohl eher selten.

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7. Gewerkschaften und Betriebsrat

Vor einer geplanten Übernahme müssen im Unterneh-men organisierte Gewerkschaften über die Folgen fürdie Arbeitnehmer aufgeklärt werden7. In diesem Zusam-menhang liegt eine Übernahme im Sinne der sogenann-ten SER – Fusiegedragsregels 20008 vor, wenn ein Wech-sel des Mehrheitsgesellschafters stattfindet und in demUnternehmen mehr als 150 Arbeitnehmer beschäftigtsind. Wenn die an der Übernahme beteiligten Parteiendies missachten, kann auf Antrag zum Beispiel der Ge-werkschaft eine Zuwiderhandlung festgestellt werden9.Es wird keine Buße oder Ähnliches auferlegt, aber dieseEntscheidungen des SER sind öffentlich und in der Ent-scheidung kann aufgenommen werden, dass auch dieParteien namentlich genannt werden, damit ein Öffent-lichkeitsaspekt stattfindet. Der Schaden entsteht vor al-lem auf der Image-Ebene, der sich auf diese Weise na-türlich auch in Geld ausdrücken kann.

Die Betriebsräte von der Verkäufer- und der Käuferseitesowie der Zielgesellschaft müssen rechtzeitig angehörtwerden10. Das Verfahren ist dergestalt ausgerichtet, dassdem Betriebsrat schriftlich der zu nehmende Beschlussvorgelegt wird, und zwar so rechtzeitig, dass auch ef-fektiv eine Anhörung stattfinden kann11. Im Gesetz istein ganzer Katalog aufgenommen, bei dem der Be-triebsrat angehört werden muss. Dies geht von demKauf und Verkauf von Unternehmen beziehungsweiseUnternehmensbestandteilen, Umstrukturierung, Reor-ganisationen bis zu einer wesentlichen Kreditaufnahmeim Rahmen einer geplanten Übernahme. Ausgangs-punkt ist, dass es sich um eine Anhörung handelt. DerBetriebsrat kann also einen Rat geben. Eine Zustim-mungspflicht des Betriebsrats besteht nicht. Wenn dasUnternehmen von dem Rat abweichen möchte, ist diesdem Betriebsrat schriftlich mitzuteilen, und es bestehteine Wartefrist von einem Monat ab Bekanntmachungan den Betriebsrat zur Durchführung des Beschlusses12.Der Betriebsrat kann während dieses Monats die Ange-legenheit der sogenannten Ondernemingskamer vorle-gen, einem besonderen Senat beim Oberlandesgerichtin Amsterdam, der kein Pendant im deutschen Prozess-recht kennt. Dieser Senat ist zuständig für bestimmteGesellschaftsrechtsstreitigkeiten und hat weitgehendeBefugnisse, kann zum Beispiel die Ausführung einesÜbernahmebeschlusses aussetzen oder aber auch fürungültig erklären.

Da auch ein Anhörungsrecht des Betriebsrats bei dervorgenommenen Entscheidung der Ernennung oder derKündigung eines Geschäftsführers besteht13, könnte

man vermuten, dass auch in diesem Fall der Betriebsrateinen Ernennungs- oder Kündigungsbeschluss zu einemGeschäftsführer bei der Ondernemingskamer angreifenkönnte. Dies ist aber nicht der Fall. In diesen Fällen kannder Betriebsrat lediglich überprüfen lassen, ob seine An-hörung ordnungsgemäß durchgeführt wurde.

8. Kartellrecht

Bei Übernahmen, die zu einer Marktkonzentration füh-ren, ist unter bestimmten Voraussetzungen eine Mel-dung an die Kartellbehörde erforderlich: Wenn die be-teiligten Unternehmen in dem davor liegenden Kalen-derjahr einen weltweiten Umsatz von mehr als113.450.000 Euro erwirtschaftet haben und wenn min-destens zwei der beteiligten Unternehmen innerhalb derNiederlande jeweils einen Jahresumsatz von minimal 30Mio. Euro erzielt haben. Wenn die Unternehmen Teil ei-nes Konzerns sind, dann ist der Umsatz des Konzernsmaßgebend. Diese jetzt gültigen Beträge können durchVerwaltungsbeschlüsse erhöht werden14. Die Aufsichts-behörde entscheidet nach der Meldung an die Kartell-behörde, ob das Vorhaben einer näheren Prüfung be-darf. Ein Vertrag, der ohne Beachtung des Kartellrechtsgeschlossen wurde, ist nichtig und der Abschluss kannmit Geldbußen geahndet werden.

9. Kaufvertrag

Der Kaufvertrag zur Übernahme von Geschäftsanteileneiner GmbH oder AG nach niederländischem Recht be-darf keiner notariellen Beurkundung. Erst im zweitenSchritt, bei der Übertragung der entsprechenden Ge-schäftsanteile, ist eine notarielle Urkunde erforderlich,in der in aller Regel nur einige wenige Bestandteile desVertrages, wie zum Beispiel der Kaufpreis und einige Ga-rantien, übernommen werden und im Übrigen auf denKaufvertrag verwiesen wird. Deshalb fallen in den Nie-derlanden häufig die wirtschaftliche Einigung und dieÜbertragung der Geschäftsanteile auseinander.

Da niederländische Kaufverträge an dem Grundsatz vonRedlichkeit und Billigkeit gemessen werden und in dersogenannten Haviltex-Entscheidung des Hoge Raad dieMethode bei der Auslegung von Verträgen durchhöchstrichterliche Rechtsprechung festgelegt wurde,enthalten die niederländischen Verträge immer ausführ-lichere Erwägungen beziehungsweise Präambeln. Nachder Haviltex Rechtsprechung kommt es nämlich nichtallein auf eine grammatische Interpretation an, sondernauch auf den Zweck, den die Parteien unter den gege-benen Umständen berechtigterweise den Vertragsbe-dingungen beimessen durften und ob sie das Verein-barte berechtigterweise voneinander erwarten durften.Hierbei kann unter anderem auch von Wichtigkeit sein,zu welchen gesellschaftlichen Kreisen die Parteien ge-hören und welche Kenntnisse des Rechts von solchenParteien erwartet werden können15. Im Streitfalle spieltes deshalb eine größere Rolle als im deutschen Recht,weshalb bestimmte Klauseln in den Vertrag aufgenom-

REPORT • COUNTRY SPECIAL

M&A REVIEW 6/2012 • 23. Jahrgang

7 Artikel 3 und 4 SER – Fusiegedrachtsregels 2000.8 „SER“ steht für Sociaal-Economische Raad (ein Ratgebungsorgan der Regierung und desParlaments zu sozio-ökonomischen Fragestellungen).

9 Artikel 32 SER – Fusiegedragsregels 2000.10 Artikel 25, Absatz 1 Betriebsratsgesetz (Wet op de Ondernemingsraden).11 Artikel 25, Absatz 2 Betriebsratsgesetz (Wet op de Ondernemingsraden).12 Artikel 25, Absatz 6 Betriebsratsgesetz (Wet op de Ondernemingsraden).13 Artikel 30 Betriebsratsgesetz (Wet op de Ondernemingsraden).14 Artikel 29 Kartellrecht (Mededingingswet).15 Hoge Raad 13. März 1981.

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men wurden und welche Intentionen die Parteien da-mit bezweckten. Eine besondere Rolle erhält diese Aus-legung natürlich bei Lücken im Vertrag, weil es dannauch darauf ankommt, was redlicherweise von den Par-teien erwartet werden konnte. Eine Formulierung imVertrag kann also eigentlich objektiv deutlich sein, abertrotzdem im Einzelfall nicht dem Willen der Parteien ent-sprechen, weil noch andere Umstände eine Rolle spie-len.

Die inhaltlichen Regelungen eines niederländischen Un-ternehmenskaufvertrages unterscheiden sich in aller Re-gel inhaltlich nicht wesentlich von deutschen Kaufver-trägen. Es wird die Zielgesellschaft beschrieben und derKaufpreis festgelegt. Beim Kaufpreis gibt es eine großeVariation von Regelungen, mit Earn-out-Varianten, Ra-tenzahlungen, gegebenenfalls abhängig von bestimm-ten Parametern, bis zum Verzicht auf einen Kaufpreismit gleichzeitiger Zusage von Liquiditätszuschüssen. Esist sehr gebräuchlich, dass der Kaufpreis nicht in vollemUmfang gezahlt wird, sondern ein Teilbetrag auf einemsogenannten Escrow-Account verbleibt. Häufig ist die-ser Escrow-Account ein Anderkonto beim Notar. DieserBetrag gilt als Absicherung für eventuelle Garantiean-sprüche, die die Käuferseite möglicherweise später ent-deckt. Die Regelungen zu diesem Escrow-Account kön-nen sehr weitreichend sein und erfordern gesonderteAbsprachen mit dem Notar, zum Beispiel zur Auszah-lung der Gelder an die entsprechenden Parteien.

Die Kaufpreisabwicklung von Übernahmen in den Nieder -landen erfolgt in aller Regel über ein Notaranderkonto.Der Kaufpreis wird vor der notariellen Übertragung derGeschäftsanteile auf ein Notaranderkonto eingezahltmit der Maßgabe, dass direkt nach der Übertragung derGeschäftsanteile durch den Notar der Kaufpreis an dieVerkäuferseite ausgezahlt werden soll, gegebenenfallsunter Einbehaltung eines Betrages für den Escrow-Ac-count auf dem Notaranderkonto.

Selbstverständlich wird der Termin des Risikoübergangsfestgelegt, also zu welchem Zeitpunkt die Kosten undNutzen auf den Käufer übergehen. Gewährleistungennehmen stets einen großen Raum in den Kaufverträgenein und sind auch bei den Vertragsverhandlungendurchgehend ein sehr zeitaufwändiger Faktor. Es gehtdann auch um Haftungsbeschränkungen und die Lauf-zeit der Garantien. Gleichzeitig werden in aller RegelSchwellenwerte für einzelne Haftungsansprüche aufge-nommen. So finden sich Regelungen zu Mindestbeträ-gen eines Gewährleistungsanspruches häufig kombi-niert mit Minimumbeträgen bei kumulierten einzelnenGewährleistungsansprüchen. Diskussionspunkt bei derVertragsgestaltung ist immer wieder auch die zuvor dar-gestellte Untersuchungspflicht des Käufers und die Mit-teilungspflicht des Verkäufers. Welche Dokumente undInformationen sind aus Käuferseite zur Verfügung ge-

stellt worden und inwieweit werden die entsprechen-den Pflichten der Käufer- beziehungsweise Verkäufer-seite ausdrücklich hierauf abgestimmt? Vielfach verein-baren Parteien Wettbewerbsklauseln, die alle möglichenThemenbereiche abdecken können. Wichtig ist auch,dass in den niederländischen Kaufverträgen in aller Re-gel bestimmte Gesetzesartikel aus dem niederländischenbürgerlichen Gesetzbuch ausgeschlossen werden. Eshandelt sich hierbei um die Anfechtung16, die Auflösungdes Vertrages aufgrund unvorhergesehener Umstände17

und die Möglichkeit der Vertragsauflösung beziehungs-weise des -rücktritts18. Eine Rückabwicklung von Unter-nehmenskaufverträgen ist in der niederländischen Pra-xis unerwünscht. Parteien gehen davon aus, dass mitMakeln versehene Transaktionen über Schadensersatz-ansprüche gelöst werden.

Im Übrigen ergeben sich in der Praxis Fallgestaltungenmit zahlreichen vertraglichen Regelungen, die sich aufReorganisationen, Umstrukturierungsmaßnahmen undderen Kostentragung beziehen können. Es gibt auchVertragsbestimmungen über den Umgang mit verschie-denen bereits bestehenden Claims gegen die Zielgesell-schaft und deren Umgang im Prozessfall.

10. Ausblick

Das niederländische Recht unterscheidet sich trotz allge -meiner Vertragsfreiheit auch bei Mergers & Acquisitionsim Einzelfall vom deutschen Recht. Die rechtskulturel-len Unterschiede sind wesentlich größer als allgemeinangenommen. Es ist deshalb dringend anzuraten, sehrfrühzeitig bei einer Transaktion gerade über Geschäfts-praktiken und andere kulturelle Aspekte Informationeneinzuholen. Häufig wird bei der Geschäftsidee nämlichaußer Acht gelassen, ob kulturelle Hintergründe die glei-che Herangehensweise behindern könnten. Diese Un-terschiede werden vielfach erst nach der Transaktionwirklich deutlich.

Daneben gibt es in einzelnen Rechtsbereichen erhebli-che Unterschiede zum deutschen Recht. Im niederlän-dischen Arbeitsrecht gibt es zum Beispiel starke Abwei-chungen zum deutschen Recht, die sich nicht nur beider rechtlichen Position des Geschäftsführers zeigen.Nur ein Ausschnitt hiervon konnte angesichts des Um-fangs dieses Artikels bearbeitet werden.

COUNTRY SPECIAL • REPORT

23. Jahrgang • M&A REVIEW 6/2012

Dr. Axel Hagedorn ist Senior Partner der niederländischen Großkanzlei Van Diepen Vander Kroef Advocaten (www.vandiepen.com). Er hat langjährige Beratungserfahrungmit grenzüberschreitenden M&A-Transaktionen. Als deutscher Rechtsanwalt und nie-derländischer Advocaat wird er häufig bei deutsch-niederländischen Transaktioneneingeschaltet. Van Diepen Van der Kroef Advocaten hat mit unter anderem vier doppeltvereidigten Rechtsanwälten/Advocaten eine außergewöhnliche [email protected]

16 Artikel 228, Buch 6 des niederländischen BGB.17 Artikel 258, Buch 6 des niederländischen BGB.18 Artikel 265, Buch 6 des niederländischen BGB.