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1 Institut Sozialarbeit und Recht Patrick Zobrist, M.A. (Soziale Arbeit) Dozent und Projektleiter T direkt +41 41 367 49 24 [email protected] Macht: Zwischen Hilfe und Kontrolle UPD Bern – Sozialkonferenz Schwerpunkthema: Ethik, Macht und Zwang Zweite Veranstaltung: 5. Juni 2018 „Das Wort Macht gehört zu der nicht allzu großen Zahl von Begriffen, die zwar häufig benutzt werden, bei denen aber nur ein geringes Bedürfnis besteht, darüber nachzudenken, was sie eigentlich bedeuten.“ (Galbraith 1987: 13) Bei Macht herrscht ein “[...] theoretisches Chaos. Der Selbstverständlichkeit des Phänomens steht eine totale Unklarheit des Begriffs gegenüber.“ (Han 2005: 7)

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Institut Sozialarbeit und RechtPatrick Zobrist, M.A. (Soziale Arbeit)Dozent und Projektleiter

T direkt +41 41 367 49 [email protected]

Macht: Zwischen Hilfe und Kontrolle

UPD Bern – SozialkonferenzSchwerpunkthema: Ethik, Macht und ZwangZweite Veranstaltung: 5. Juni 2018

„Das Wort Macht gehört zu der nicht allzu

großen Zahl von Begriffen, die zwar häufig

benutzt werden, bei denen aber nur ein

geringes Bedürfnis besteht, darüber

nachzudenken, was sie eigentlich bedeuten.“ (Galbraith 1987: 13)

Bei Macht herrscht ein “[...] theoretisches

Chaos. Der Selbstverständlichkeit des

Phänomens steht eine totale Unklarheit des

Begriffs gegenüber.“ (Han 2005: 7)

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Drei Dimensionen von Macht (in Anlehnung an Lukes 2005, Hall 1997)

Interaktion

Strukturen (ermöglichen & begrenzen) Entscheidungen/Nicht-Entscheidungen

!

"

#Diskurseund Symbole

Formen der Machtausübung

Überzeugung Einwirkung Autorität Kontrolle Zwang Gewalt

Machtmittel

Machtquellen/Ressourcen

Kapitalien Organisationen Sanktionsgewalt Informationen

vgl.

Imbu

sch

(201

6)

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Erster Zugang: Soziale Einwirkung und Reaktanz (Scholl 2012, Buschmeier 1995)

Machtausübung Einflussnahme

Intendierte Einwirkung von A auf B, die mit Interessen von B im Einklang stehen

Intendierte Einwirkung von A auf B, die die Interessen von B verletzen

Machtausübung führt i.d.R. zu stärkerer Reaktanz oder Hilflosigkeit bei den Betroffenen als Einflussnahme(Buschmeier 1995)

vs.

Einfluss oder Macht? (Dumbrill 2006: 34)

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Freiheits-einschränkung Reaktanzzustand

Bewältigung durchPassivität/Resignation

Bewältigung mit Ärger/Wut

Kontrollierbarkeit hochKontrollierbarkeit tief

Mögliche Reaktion der Fachkräfte:

Einschränkung

Mögliche Reaktion der Fachkräfte:

„Versorgung“, Abnahme von Verantwortung

verstärkt

verstärkt

hohe Freiheitserwartungstarke Freiheitseinschränkung

verst

ärkt

Macht und Reaktanz

Erweiterte Reaktanztheorie von Wortman/Brehm 1975 (eigene Darstellung)

„Professionell Macht ausüben“ könnte heissen:

Partizipieren

Interessen erfragen

Ernst nehmen

Handlungs-spielräume

öffnenSinn

verstehen

Auf Reaktanz nicht mit Einschränkungen oder Versorgung

reagieren

Auftrags-und Rollen-klärung

Rückgabe vonAutonomie

Transparenz

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Perspektiven der Partizipation (Blandow et al. 1999)

1. A entscheidet autonom (ohne weitere Verpflichtungen gegenüber B)

2. A entscheidet autonom, hat aber eine Anhörungspflicht gegenüber B

3. A entscheidet, B hat ein Vetorecht

4. A und B müssen der Entscheidung zustimmen

5. B entscheidet, A hat ein Vetorecht

6. B entscheidet autonom, hat aber eine Anhörungsverpflichtung

gegenüber A

7. B entscheidet autonom (ohne weitere Verpflichtungen gegenüber A)

Zweiter Zugang: Identität schützen

Strategien zum Schutz bedrohter Identität in totalen Institutionen (Goffman 1973)

Primäre Anpassung Sekundäre Anpassung

neuere Formen von Machtausübung in “offenen Institutionen“: vgl. Scott (2011)

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„Professionell Macht ausüben“ könnte heissen:

Aushandlungs-orientierung

Identitäten stärken

Anpassungs-strategien als Warnsignal

wahrnehmen

Institutionen noch weiter öffnen

Abläufe von den PatientInnen her

denken

Vertrautes hinterfragen

Situationen gemeinsam definieren

Regeln RessourcenStrukturen

ermöglichenbegrenzen

Handeln

Dritter Zugang: Strukturen und Machtressourcen

„Macht ist das Mittel zum Ausführen von Dingen“Macht bedeutet: Handeln können – „einen Unterschied machen“

Macht ist keine Ressource, aber erfordert Ressourcen

Handlungsspielräume

(vgl. Giddens 1997)

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Ressourcen (Jenkins 2009)

Macht ist eine Wirkungskraft, das Vermögen von Individuen oder Gruppen, die eigenen Ziele zu erreichen und/oder die Ziele von

anderen zu verhindern.

Macht und Wirkungskraft sind abhängig von der Verfügbarkeit von

Ressourcen

ökonomische soziale

kulturelle

symbolische

usw.

„Professionell Macht ausüben“ könnte heissen:

Ressourcen erschliessen& aktivieren

Gate-keeping

nicht miss-

brauchen

strukturelle Barrieren abbauen

Sensibilität für knappe Ressourcen

Regeln, Normen in der Institution

hinterfragen

Diskurse reflektieren

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„Professionell Macht ausüben“

Macht

thematisieren

problematisieren

reflektiert ausüben

regeln und begrenzen

abtreten, abgeben, partizipieren lassen

kontrollieren

Erste Frage zum Weiterdenken

Begrenzungsmacht

Behinderungsmacht

Bewertung von Macht:

Wann üben Sie Behinderungsmacht aus? Weshalb?

(vgl. Staub-Bernasconi 2006)

vs.

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Zweite Frage zum Weiterdenken

Psychosoziale Interventionen im staatlichen Auftrag

Hilfe Kontrolle

Viele Fachleute im psychosozialen Feld wollen „helfen“ - wie gehen Sie mit den Anteilen von gesellschaftlichenErwartungen, sozialer Kontrolle und damit Macht in ihrer Rolle um?

„Professionell Macht ausüben“ kann u.a. bedeuten, die Patientinnen/Klienten zu beteiligen.

Wie gelingt es Ihnen, die PatientInnen/KlientInnen noch mehr

zu beteiligen?

Dritte Frage zum Weiterdenken

Partizipation

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Schlussgedanke zu Macht

„Die smarte, freundliche Macht operiert nicht frontal gegen

den Willen der unterworfenen Subjekte, sondern steuert

deren Willen zu ihren Gunsten. Sie ist eher jasagend als

neinsagend, eher seduktiv als repressiv. Sie ist bemüht,

positive Emotionen hervorzurufen und sie auszubeuten: Sie

verführt statt zu verbieten. Statt sich dem Subjekt

entgegenzusetzen, kommt sie ihm entgegen.“ (Han 2014: 27)

Literatur

- Blandow, Jürgen/Gintzel, Ullrich/Hansbauer, Peter (1999): Partizipation als Qualitätsmerkmal in der Heimerziehung. Eine Diskussionsgrundlage. Münster: Votum.

- Buschmeier, U. (1995): Macht und Einfluß in Organisationen. Göttingen: Cuviller.

- Dumbrill, G., C. (2006): Parental experience of child protection intervention: A qualitative study. In: Child abuse and neglect 30, pp. 27–37.

- Galbraith, J.K. (1987): Anatomie der Macht, München: Bertelsmann.- Giddens, A. (1997): Die Konstitution der Gesellschaft. Grundzüge einer

Theorie der Strukturierung. 3. Aufl. Frankfurt a.M.: Campus.- Goffman, E. (1973): Asyle. Über die soziale Situation psychiatrische

Patienten und anderer Insassen. (engl. Asylums. Essays on the social situation of mental patients and other inmates, 1961). Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

- Hall, P. (1997): Meta-power, social organization, and the shaping of social action. Symbolic Interaction 20, pp. 397-418.

- Han, B.-C. (2005): Was ist Macht? Stuttgart: Reclam.- Han, B.-C. (2014): Psychopolitik. Neoliberalismus und die neuen

Machttechniken. Frankfurt a.M.: Fischer.- Imbusch, P. (2016): Macht und Herrschaft. In: Korte, H./Schäfers, B.

(Hrsg.). Einführung in Hauptbegriffe der Soziologie. 9. Wiesbaden: Springer VS, S. 195–220.

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- Jenkins, R. (2009): The ways and means of power: Efficacy and resources. In: Clegg, S./Haugaard, M. (Ed.): The SAGE handbook of power. London: SAGE Publications, pp. 140–156.

- Lukes, S. (2005). Power: a radical view. 2nd. ed. Basingstoke: Palgrave Macmillan.

- Scholl, W. (2007): Das Janus-Gesicht der Macht: Persönliche und gesellschaftliche Konsequenzen Rücksicht nehmender versus rücksichtsloser Einwirkung auf andere. In: Simon, B. (Hrsg.): Macht. Zwischen aktiver Gestaltung und Missbrauch. Göttingen: Hogrefe, S. 27–46.

- Scott, S. (2011): Total Institutions and Reinvented Identities. Basingstoke: Palgrave Macmillan.

- Staub-Bernasconi, S. (2007): Soziale Arbeit als Handlungswissenschaft. Bern: Haupt-Verlag (UTB).

- Wortman, C. B./Brehm, J. W. (1975): Responses to uncontrollable outcomes : an integration of reactance theory and the learned helplessness model. In: Advances in experimental Social Psychology, 8, pp.277-336).

Zum Umgang mit Macht vgl. auch:

- Zobrist, P./Kähler, H.D. (2017): Soziale Arbeit in Zwangskontexten. Wie unerwünschte Hilfe erfolgreich sein kann. 3. Aufl. München: Ernst Reinhardt-Verlag.