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SAMSTAG 4. APRIL 2020 | Wirtschaft  | 13 Schwerpunkt Lebensmittelindustrie und die Coronakrise Martin Henck: «Ich bin sicher, dass diese Pandemie bleibende Spuren hinterlassen wird» Interview Die Versorgung sei sichergestellt, versichert Martin Henck, CEO der Hilcona AG, Schaan. Vereinzelte leere Regale seien aber kurzfristig dennoch möglich. Allerdings wird fieberhaft versucht, diese Phasen so kurz wie möglich zu halten. Das Personal leistet Sonderschichten – solange dies möglich ist. VON HOLGER FRANKE «Volksblatt»: Herr Henck, in jeder Krise gibt es Gewinner und Verlie- rer. Würden Sie sagen, dass die Le- bensmittelindustrie, zu der natür- lich auch die Hilcona AG zählt, zu den Gewinnern gehört? Martin Henck: Die Lebensmittelin- dustrie gehört nicht zu den Gewin- nern. Unsere Branche zeigt sich aber generell resistenter gegenüber Kri- sen oder einer Rezession, weil wir Produkte des täglichen Bedarfs her- stellen. Obwohl die Bevölkerung wohl gleichviele Kalorien zu sich nimmt, sind wir als Unternehmen durch die Verschiebungen der Nach- frage sehr stark gefordert. In einzel- nen Bereichen, wie beispielsweise Konserven, stellen wir eine deutli- che Zunahme fest. Unsere Mitarbei- tenden arbeiten mit viel Engage- ment und Einsatz daran, dass die Versorgung mit Lebensmitteln auch weiterhin funktioniert. Die zusätzli- chen Nacht- und Sonntagsschichten steigern aber auch unsere Produkti- onskosten. Vor allem grössere Unternehmen haben für diverse Unternehmensri- siken verschiedene Szenerien in der Schublade. Eine Pandemie hatten aber vermutlich nicht viele auf dem Radar. Was heisst das im Tagesge- schäft – wie gehen Sie selbst mit der sich beinahe täglich ändernden La- ge um? Wir haben uns schon vor Jahren auf eine Pandemie vorbereitet. Die aktu- elle COVID-19 Krise ist nicht die ers- te Pandemie. Basierend auf dem weltweiten Ausbruch der Schwei- negrippe im Jahre 2010 – mit einem ähnlichen Erreger wie damals bei der Spanischen Grippe – haben wir als systemrelevantes Unternehmen unsere Pandemiepläne entwickelt. Aber wie in jeder Krise präsentiert sich die Situation dann etwas anders, als es die vorbereiteten Pläne vorge- sehen haben. Wir haben deshalb ei- nen Krisenstab einberufen, welcher täglich eine Lagebeurteilung macht und Massnahmen definiert. Wir sind in engem Austausch mit den Behör- den in Liechtenstein und der Schweiz, der LIHK und dem Haupt- sitz der Bell Food Group. Die oberste Priorität hat die Si- cherheit unserer Mitarbeitenden. Als Lebensmittel- unternehmen ha- ben wir auch unter normalen Bedingungen hohe Hygie- nestandards. An unseren Standor- ten haben wir die Massnahmen in Anbetracht der aktuellen Situation nochmals deutlich erhöht. Wir be- finden uns als Land aber auch als Unternehmen auf einer Lernkurve. Wir müssen schnell reagieren und neue Erkenntnisse konsequent um- setzen, sowohl am Arbeitsplatz als auch zu Hause oder in der Freizeit. Ich vermute, dass einzelne Produkte bei Ihnen nun weniger stark nachge- fragt werden, andere wiederum deutlich mehr. Das dürfte Sie vor grössere Herausforderungen stellen, wenn heute bestimmte Produkte produziert werden müssen, für die die Nachfrage dann morgen erst ein- mal gesättigt ist. Je nach Abteilung sind wir unter- schiedlich betroffen. Mit der Schlies- sung von Restaurants sinken unsere Umsätze bei Gastronomiekunden stark. Die Abnahme der Reisetätig- keit führt zu einem Rückgang bei Produkten für den Verzehr unter- wegs. Auf der anderen Seite wach- sen unsere Umsätze für den Verzehr zu Hause, was sich aktuell beispiels- weise durch eine Zunahme unserer Pasta- und Konser- venumsätze zeigt. Auch das Einkaufs- verhalten scheint sich zu ändern. Konsumenten täti- gen beispielsweise grössere Einkäu- fe, dafür aber seltener und vermehrt unter der Woche und weniger häufig am Samstag. Dies hat einen grossen Einfluss auf unsere tägliche Pla- nung, insbesondere für die Herstel- lung von sehr kurz haltbaren Pro- dukten, welche täglich frisch herge- stellt werden. Unsere Teams im Be- reich Produktionsplanung, Produk- tion, Einkauf und Verkauf leisten hier einen grossen Einsatz und ha- ben jeden Tag neue Herausforderun- gen und Erkenntnisse. Ich gehe auch davon aus, dass heute bevorratete Dosen zu einem späteren Zeitpunkt konsumiert werden und die Nach- frage dann dämpfen werden. Im bes- ten Fall führt die aktuelle Krise zur Wiederentdeckung und Wertschät- zung einer alt bewährten Methode zur Haltbarmachung von Lebens- mitteln. Es heisst, die Versorgungssicherheit sei gegeben, dennoch sieht man in Läden zumindest zeitweise leere Re- gale und Lastwagenstaus an den Grenzen. Wie lange ist die Versor- gungssicherheit wirklich gegeben ? Die Versorgung ist sichergestellt. Na- türlich ist es möglich, dass einzelne Lücken in den Regalen kurzfristig auftreten können. Wir haben bei- spielsweise bei Konserven und Pasta plötzlich fünfmal höhere Bestel- lungen erhalten, was ich in mei- ner beruflichen Karriere noch nie erlebt habe. Die Nachfrage beginnt sich jetzt auch bei diesen Produkten langsam einzupendeln. Für die Produktion dürfen wir auf zuverlässige, langjährige Lieferanten und Logistiker zählen. Natürlich sind wir auf eine reibungslose Versorgung mit Rohwaren angewiesen. Die noch vor einigen Tagen feststellbaren Staus von Lastwagen an der Grenze haben in der Zwischenzeit abgenom- men und die Belieferung funktioniert auch dank der guten Zusammenar- beit mit unseren langjährigen Logis- tikpartnern gut. Und wie sieht es mit den Arbeits- kräften in der Landwirtschaft aus ? Die Hilcona Agrar arbeitet mit mehr als 400 Landwirtschaftsbetrieben in Liechtenstein und der Schweiz direkt zusammen. Für den Anbau und die Ernte unserer traditionellen Produk- te wie Bohnen, Erbsen, Karotten und Kartoffeln dürfen wir auf ein einge- spieltes, lokales Team und eigene Erntemaschinen zurückgreifen, bei welchen wenig Handarbeit notwen- dig ist. Im Falle von Frischgemüse wie zum Beispiel Spargeln, Tomaten, Gurken oder Blumenkohl arbeiten wir mit Drittlie- feranten eng zu- sammen. Bei Kulturen mit viel Handarbeit sind unsere Lieferan- ten natürlich auf Erntehelfer an- gewiesen. Die Bauernverbände in der Schweiz wie auch in Liechten- stein sind in Kontakt mit den Behör- den, um eine Lösung zu finden. Rächt es sich nun, dass in Europa in den vergangenen Jahren zu viel nach Asien ausgelagert wurde? Chi- na gilt beispielsweise mittlerweile als weltweit grösster Tomatenexpor- teur, wobei es heisst, dass die Chine- sen selbst kaum Tomaten essen. Nicht nur in Zeiten einer Pandemie erscheint dies nur schwer nachvoll- ziehbar – ausser aus Kostengründen natürlich. Hilcona ist stark regional verbun- den. Wir beziehen etwa 75 Prozent der Rohwaren aus der Schweiz und Liechtenstein. Etwa ein Viertel der Rohstoffe werden aus dem restli- chen Europa geliefert. Tomaten, Ge- müse und Salate beziehen wir je nach Saison aus der Schweiz oder Südeuropa. Für die Herstellung von Biotofu verwenden wir sogar aus- schliesslich Sojabohnen aus Schwei- zer Anbau in Bio Knospe Qualität. Nur etwa 1 Prozent der Rohwaren, wie beispielsweise Shitake Pilze, Ingwer oder Vanille, importieren wir aus dem Rest der Welt. Es ist aus Teilen der Lebensmittelin- dustrie zur hören, dass Überstun- den und Extraschichten schon seit Wochen an der Tagesordnung seien. Auch die Mitarbeiter der Hilcona AG dürften derzeit stark gefordert sein. Gelten bei Ihnen auch in dieser Situ- ation faire Arbeitsbedingungen? Selbstverständlich gelten auch in dieser Situation faire Arbeitsbedin- gungen. Es ist richtig, dass wir in ei- nigen Abteilungen Mehrarbeit ha- ben und Sonderschichten leisten. Dabei helfen wir uns damit aus, dass wir intern Mitarbeitende ver- schieben, aus Abteilungen, in de- nen aktuell gerade weniger produ- ziert wird. Längere Arbeitseinsätze oder Einsätze am Wochenende er- folgen immer auf freiwilliger Basis und im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten. Unsere Mitarbeiten- den sind auch in dieser Zeit sehr en- gagiert, flexibel und motiviert. Wir sind sehr froh, dass wir auf sie zäh- len können. Ihr Betrieb ist stark von Grenzgän- gern abhängig. Noch dürfen diese die Grenze passieren. Aber was wä- re, falls sich dies in den kommenden Tagen oder Wochen ändern sollte. Welches Szenario würde dann im Werk in Schaan in Kraft treten? Die wirtschaftlichen Verflechtungen hier im Rheintal sind über die Gren- zen hinweg sehr eng. Die vielen Grenzarbeiter leisten nicht nur in der jetzigen Situation einen wichti- gen Beitrag und sind tagtäglich drin- gend benötigt. Wenn diese Pendler beispielsweise wegen einer komplet- ten Grenzschliessung nicht mehr kommen könnten, dann hätten wir massive Auswirkungen in unserem Unternehmen und wir könnten die Produktion von Lebensmitteln im gewohnten Umfang nicht mehr ge- währleisten. Immerhin produzieren wir für jeden Einwohner der Schweiz und Liechtenstein durchschnittlich 8 kg Lebensmittel pro Jahr. Welche Gedanken haben Sie sich schon über die Zeit danach gemacht, welche Lehren ziehen Sie für die Hilcona AG vielleicht jetzt schon für die Zeit nach der Coronavirus-Pan- demie? Die aktuelle Lage ist beispielslos und es ist noch zu früh, um Schlüsse zu ziehen. Wir fokussieren uns zur Zeit auf die Sicherheit unserer Mitarbei- tenden und die Abwicklung unseres Tagesgeschäftes unter sich ständig ändernden Bedingungen. Ich bin si- cher, dass diese Pandemie als ein- schneidendes Ereignis bleibende Spuren hinterlassen wird. Eine durchlebte Krise schweisst ein Team in der Regel noch mehr zusammen. Erlebte Solidarität, Rücksichtnah- me, gegenseitige Hilfe und engagier- tes Handeln sind eine gute Basis, die Zukunft erfolgreich zu gestalten. Die aktuellen Erfahrungen im Bereich Home Of fice und Videokonferenzen werden die Digitalisierung der Ar- beitswelt beschleunigen. Die Wert- schätzung für gesunde Lebensmittel aus heimischer Produktion wird hof- fentlich auch nach Beendigung der Krise anhalten. Wenn Pendler beispielsweise wegen einer kompletten Grenzschliessung nicht mehr kommen könnten, wären massive Auswirkungen die Folge und die Produktion von Lebensmitteln könnte nicht im gewohnten Umfang gewährleistet werden, wie Martin Henck, CEO der Hilcona AG in Schaan, verdeutlicht. (Foto: ZVG) «Natürlich ist es möglich, dass einzelne Lücken in den Regalen kurzfristig auftreten können.» «Längere Arbeitseinsätze oder Einsätze am Wochenende erfolgen immer auf freiwilliger Basis und im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten.»

Martin Henck: «Ich bin sicher, dass diese Pandemie ...Apr 04, 2020  · Pandemie bleibende Spuren hinterlassen wird» Interview Die Versorgung sei sichergestellt, versichert Martin

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Page 1: Martin Henck: «Ich bin sicher, dass diese Pandemie ...Apr 04, 2020  · Pandemie bleibende Spuren hinterlassen wird» Interview Die Versorgung sei sichergestellt, versichert Martin

SAMSTAG4. APRIL 2020 |  Wirtschaft | 13

Schwerpunkt Lebensmittelindustrie und die Coronakrise

Martin Henck: «Ich bin sicher, dass diese Pandemie bleibende Spuren hinterlassen wird»Interview Die Versorgung sei sichergestellt, versichert Martin Henck, CEO der Hilcona AG, Schaan. Vereinzelte leere Regale seien aber kurzfristig dennoch möglich. Allerdings wird fieberhaft versucht, diese Phasen so kurz wie möglich zu halten. Das Personal leistet Sonderschichten – solange dies möglich ist.

VON HOLGER FRANKE

«Volksblatt»: Herr Henck, in jeder Krise gibt es Gewinner und Verlie-rer. Würden Sie sagen, dass die Le-bensmittelindustrie, zu der natür-lich auch die Hilcona AG zählt, zu den Gewinnern gehört?Martin Henck: Die Lebensmittelin-dustrie gehört nicht zu den Gewin-nern. Unsere Branche zeigt sich aber generell resistenter gegenüber Kri-sen oder einer Rezession, weil wir Produkte des täglichen Bedarfs her-stellen. Obwohl die Bevölkerung wohl gleichviele Kalorien zu sich nimmt, sind wir als Unternehmen durch die Verschiebungen der Nach-frage sehr stark gefordert. In einzel-nen Bereichen, wie beispielsweise Konserven, stellen wir eine deutli-che Zunahme fest. Unsere Mitarbei-tenden arbeiten mit viel Engage-ment und Einsatz daran, dass die Versorgung mit Lebensmitteln auch weiterhin funktioniert. Die zusätzli-chen Nacht- und Sonntagsschichten steigern aber auch unsere Produkti-onskosten.

Vor allem grössere Unternehmen haben für diverse Unternehmensri-siken verschiedene Szenerien in der Schublade. Eine Pandemie hatten aber vermutlich nicht viele auf dem Radar. Was heisst das im Tagesge-schäft – wie gehen Sie selbst mit der sich beinahe täglich ändernden La-ge um?Wir haben uns schon vor Jahren auf eine Pandemie vorbereitet. Die aktu-elle COVID-19 Krise ist nicht die ers-te Pandemie. Basierend auf dem weltweiten Ausbruch der Schwei-negrippe im Jahre 2010 – mit einem ähnlichen Erreger wie damals bei der Spanischen Grippe – haben wir als systemrelevantes Unternehmen unsere Pandemiepläne entwickelt. Aber wie in jeder Krise präsentiert sich die Situation dann etwas anders, als es die vorbereiteten Pläne vorge-sehen haben. Wir haben deshalb ei-nen Krisenstab einberufen, welcher täglich eine Lagebeurteilung macht und Massnahmen definiert. Wir sind in engem Austausch mit den Behör-den in Liechtenstein und der Schweiz, der LIHK und dem Haupt-sitz der Bell Food Group. Die oberste Priorität hat die Si-cherheit unserer M i t a r b e i t e n d e n . Als Lebensmittel-unternehmen ha-ben wir auch unter normalen Bedingungen hohe Hygie-nestandards. An unseren Standor-ten haben wir die Massnahmen in Anbetracht der aktuellen Situation nochmals deutlich erhöht. Wir be-finden uns als Land aber auch als Unternehmen auf einer Lernkurve. Wir müssen schnell reagieren und neue Erkenntnisse konsequent um-setzen, sowohl am Arbeitsplatz als auch zu Hause oder in der Freizeit.

Ich vermute, dass einzelne Produkte bei Ihnen nun weniger stark nachge-fragt werden, andere wiederum deutlich mehr. Das dürfte Sie vor grössere Herausforderungen stellen, wenn heute bestimmte Produkte produziert werden müssen, für die die Nachfrage dann morgen erst ein-mal gesättigt ist.Je nach Abteilung sind wir unter-schiedlich betroffen. Mit der Schlies-sung von Restaurants sinken unsere Umsätze bei Gastronomiekunden stark. Die Abnahme der Reisetätig-keit führt zu einem Rückgang bei

Produkten für den Verzehr unter-wegs. Auf der anderen Seite wach-sen unsere Umsätze für den Verzehr zu Hause, was sich aktuell beispiels-

weise durch eine Zunahme unserer Pasta- und Konser-venumsätze zeigt. Auch das Einkaufs-verhalten scheint sich zu ändern. Konsumenten täti-

gen beispielsweise grössere Einkäu-fe, dafür aber seltener und vermehrt unter der Woche und weniger häufig am Samstag. Dies hat einen grossen Einf luss auf unsere tägliche Pla-nung, insbesondere für die Herstel-lung von sehr kurz haltbaren Pro-dukten, welche täglich frisch herge-stellt werden. Unsere Teams im Be-reich Produktionsplanung, Produk-tion, Einkauf und Verkauf leisten hier einen grossen Einsatz und ha-ben jeden Tag neue Herausforderun-gen und Erkenntnisse. Ich gehe auch davon aus, dass heute bevorratete Dosen zu einem späteren Zeitpunkt konsumiert werden und die Nach-frage dann dämpfen werden. Im bes-ten Fall führt die aktuelle Krise zur Wiederentdeckung und Wertschät-zung einer alt bewährten Methode zur Haltbarmachung von Lebens-mitteln.

Es heisst, die Versorgungssicherheit sei gegeben, dennoch sieht man in Läden zumindest zeitweise leere Re-

gale und Lastwagenstaus an den Grenzen. Wie lange ist die Versor-gungssicherheit wirklich gegeben ?Die Versorgung ist sichergestellt. Na-türlich ist es möglich, dass einzelne Lücken in den Regalen kurzfristig auftreten können. Wir haben bei-spielsweise bei Konserven und Pasta plötzlich fünfmal höhere Bestel-lungen erhalten, was ich in mei-ner beruflichen Karriere noch nie erlebt habe. Die Nachfrage beginnt sich jetzt auch bei diesen Produkten langsam einzupendeln. Für die Produktion dürfen wir auf zuverlässige, langjährige Lieferanten und Logistiker zählen. Natürlich sind wir auf eine reibungslose Versorgung mit Rohwaren angewiesen. Die noch vor einigen Tagen feststellbaren Staus von Lastwagen an der Grenze haben in der Zwischenzeit abgenom-men und die Belieferung funktioniert auch dank der guten Zusammenar-beit mit unseren langjährigen Logis-tikpartnern gut.

Und wie sieht es mit den Arbeits-kräften in der Landwirtschaft aus ?Die Hilcona Agrar arbeitet mit mehr als 400 Landwirtschaftsbetrieben in Liechtenstein und der Schweiz direkt zusammen. Für den Anbau und die Ernte unserer traditionellen Produk-

te wie Bohnen, Erbsen, Karotten und Kartoffeln dürfen wir auf ein einge-spieltes, lokales Team und eigene Erntemaschinen zurückgreifen, bei welchen wenig Handarbeit notwen-dig ist. Im Falle von Frischgemüse wie zum Beispiel Spargeln, Tomaten, Gurken oder Blumenkohl arbeiten

wir mit Drittlie-feranten eng zu-sammen. Bei Kulturen mit viel Handarbeit sind unsere Lieferan-ten natürlich auf Erntehelfer an-gewiesen. Die Bauernverbände

in der Schweiz wie auch in Liechten-stein sind in Kontakt mit den Behör-den, um eine Lösung zu finden.

Rächt es sich nun, dass in Europa in den vergangenen Jahren zu viel nach Asien ausgelagert wurde? Chi-na gilt beispielsweise mittlerweile als weltweit grösster Tomatenexpor-teur, wobei es heisst, dass die Chine-sen selbst kaum Tomaten essen. Nicht nur in Zeiten einer Pandemie erscheint dies nur schwer nachvoll-ziehbar – ausser aus Kostengründen natürlich.Hilcona ist stark regional verbun-den. Wir beziehen etwa 75 Prozent der Rohwaren aus der Schweiz und Liechtenstein. Etwa ein Viertel der Rohstoffe werden aus dem restli-chen Europa geliefert. Tomaten, Ge-

müse und Salate beziehen wir je nach Saison aus der Schweiz oder Südeuropa. Für die Herstellung von Biotofu verwenden wir sogar aus-schliesslich Sojabohnen aus Schwei-zer Anbau in Bio Knospe Qualität. Nur etwa 1 Prozent der Rohwaren, wie beispielsweise Shitake Pilze, Ingwer oder Vanille, importieren wir aus dem Rest der Welt.

Es ist aus Teilen der Lebensmittelin-dustrie zur hören, dass Überstun-den und Extraschichten schon seit Wochen an der Tagesordnung seien. Auch die Mitarbeiter der Hilcona AG dürften derzeit stark gefordert sein. Gelten bei Ihnen auch in dieser Situ-ation faire Arbeitsbedingungen?Selbstverständlich gelten auch in dieser Situation faire Arbeitsbedin-gungen. Es ist richtig, dass wir in ei-nigen Abteilungen Mehrarbeit ha-ben und Sonderschichten leisten. Dabei helfen wir uns damit aus, dass wir intern Mitarbeitende ver-schieben, aus Abteilungen, in de-nen aktuell gerade weniger produ-ziert wird. Längere Arbeitseinsätze oder Einsätze am Wochenende er-folgen immer auf freiwilliger Basis und im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten. Unsere Mitarbeiten-den sind auch in dieser Zeit sehr en-gagiert, f lexibel und motiviert. Wir sind sehr froh, dass wir auf sie zäh-len können.

Ihr Betrieb ist stark von Grenzgän-gern abhängig. Noch dürfen diese die Grenze passieren. Aber was wä-re, falls sich dies in den kommenden Tagen oder Wochen ändern sollte. Welches Szenario würde dann im Werk in Schaan in Kraft treten?Die wirtschaftlichen Verflechtungen hier im Rheintal sind über die Gren-zen hinweg sehr eng. Die vielen Grenzarbeiter leisten nicht nur in der jetzigen Situation einen wichti-gen Beitrag und sind tagtäglich drin-gend benötigt. Wenn diese Pendler beispielsweise wegen einer komplet-ten Grenzschliessung nicht mehr kommen könnten, dann hätten wir massive Auswirkungen in unserem Unternehmen und wir könnten die Produktion von Lebensmitteln im gewohnten Umfang nicht mehr ge-währleisten. Immerhin produzieren wir für jeden Einwohner der Schweiz und Liechtenstein durchschnittlich 8 kg Lebensmittel pro Jahr.

Welche Gedanken haben Sie sich schon über die Zeit danach gemacht, welche Lehren ziehen Sie für die Hilcona AG vielleicht jetzt schon für die Zeit nach der Coronavirus-Pan-demie?Die aktuelle Lage ist beispielslos und es ist noch zu früh, um Schlüsse zu ziehen. Wir fokussieren uns zur Zeit auf die Sicherheit unserer Mitarbei-tenden und die Abwicklung unseres Tagesgeschäftes unter sich ständig ändernden Bedingungen. Ich bin si-cher, dass diese Pandemie als ein-schneidendes Ereignis bleibende Spuren hinterlassen wird. Eine durchlebte Krise schweisst ein Team in der Regel noch mehr zusammen. Erlebte Solidarität, Rücksichtnah-me, gegenseitige Hilfe und engagier-tes Handeln sind eine gute Basis, die Zukunft erfolgreich zu gestalten. Die aktuellen Erfahrungen im Bereich Home Office und Videokonferenzen werden die Digitalisierung der Ar-beitswelt beschleunigen. Die Wert-schätzung für gesunde Lebensmittel aus heimischer Produktion wird hof-fentlich auch nach Beendigung der Krise anhalten.

Wenn Pendler beispielsweise wegen einer kompletten Grenzschliessung nicht mehr kommen könnten, wären massive Auswirkungen die Folge und die Produktion von Lebensmitteln könnte nicht im gewohnten Umfang gewährleistet werden, wie Martin Henck, CEO der Hilcona AG in Schaan, verdeutlicht. (Foto: ZVG)

«Natürlich ist es möglich, dass einzelne Lücken in den Regalen kurzfristig

auftreten können.» «Längere Arbeitseinsätze oder Einsätze am

Wochenende erfolgen immer auf freiwilliger Basis und im Rahmen der gesetzlichen

Möglichkeiten.»