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Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ Master-Studiengang Medienwissenschaft Masterarbeit Sommersemester 2013 Susanne Eichner, Prof. Dr. habil. Lothar Mikos Marvelous Cinema Transmediales und hyperdiegetisches Erzählen am Beispiel des „Marvel Cinematic Universe“ Vorgelegt von: Benjamin Hillmann Berlin, den 26.07.2013

Marvelous Cinema - OPUS 4€¦ · auseinander gesetzt. Er bezeichnet diese Art des Erzählens als "transmedia stroytelling": „A transmedia story unfolds across multiple media platforms,

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Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“Master-Studiengang MedienwissenschaftMasterarbeitSommersemester 2013Susanne Eichner, Prof. Dr. habil. Lothar Mikos

Marvelous CinemaTransmediales und hyperdiegetisches Erzählen am Beispiel des „Marvel Cinematic Universe“

Vorgelegt von:Benjamin Hillmann

Berlin, den 26.07.2013

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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung – Your First Step Into a Larger World.......................1

2. Kapitel 1 – Blockbusting All Channels..........................................8

2.1 Bedeutung und Entwicklung des Blockbuster-Kinos..........................8

2.2 Das Blockbuster-Kino im Zeitalter der Medienkonvergenz..............12

2.3 Transmedia Storytelling – Versuch einer erweiterten Definition......172.3.1 Inhaltliche Tiefe......................................................................................................17

2.3.2 Wahl und Macht des Rezipienten...........................................................................18

2.3.3 Immersion...............................................................................................................18

2.3.4 Fan-Kult(ur)...........................................................................................................19

2.3.5 Henry Jenkins 2011: Begriffs- und Definitionsklärung.........................................20

3. Kapitel 2 – The Revolution is Serialized.....................................24

3.1 Die Genesis der Fortsetzungsliteratur zu Zeiten der industriellen Revolution..............................................................................................24

3.1.1 Der Aufstieg der Comics in den USA....................................................................27

3.1.2 Marvel-Comics – Ursprünge, Kontinuität und Intertextualität.............................29

3.1.3 "The Marvel Method" und die fünf Säulen des Marvel-Universums....................31

3.1.4 Intertextualität, Metaebene und Partizipation........................................................33

4. Kapitel 3 – Marvel on the Big Screen .........................................37

4.1 Die Evolution der Marvel Studios....................................................37

4.2 Marvel Cinematic Universe – Phase One.........................................41

5. Kapitel 4 – Analyse des Marvel Cinematic Universe ................44

5.1 Die Kinofilme – Handlung, Filmwelt, Intertextualität......................445.1.1 IRON MAN............................................................................................................44

5.1.2 THE INCREDIBLE HULK...................................................................................48

5.1.3 IRON MAN 2.........................................................................................................51

5.1.4 THOR.....................................................................................................................54

5.1.5 CAPTAIN AMERICA: THE FIRST AVENGER..................................................58

5.1.6 THE AVENGERS...................................................................................................62

5.2 Transmediale Erweiterungen – Inhalte und Merkmale.....................665.2.1 Comics: Marvel Cinematic Universe Tie-Ins........................................................66

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5.2.2 Kurzfilme: Marvel One-Shots................................................................................67

5.2.3 TV-Serie: Agents of S.H.I.E.L.D...........................................................................68

5.2.4 Computer- und Videospiele....................................................................................69

5.2.5 Radikale Intertextualität am Beispiel des Tesseract...............................................70

5.2.6 Multimodalität am Beispiel der Figur Phil Coulson..............................................72

5.2.7 Hyperserialität .......................................................................................................74

6. Fazit – Ein Universum der narrativen Möglichkeiten...............76

Literaturverzeichnis..........................................................................78

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1. Einleitung – Your First Step Into a Larger World

Tony Stark, Milliardär, Playboy, Philanthrop, betritt sein Luxus-Anwesen an der

Küste von Malibu. Wenige Augenblicke zuvor hat er als Iron Man seinen ersten

großen Sieg über das Böse in Form des abtrünnigen Iron Mongers davon getragen.

Ein Mann mit Augenklappe und schwarzem Ledermantel tritt aus dem Schatten

hervor und konfrontiert den frisch ernannten Helden in seinem Wohnzimmer:

„You think you're the only superhero in the world? Mr. Stark, you've

become part of a bigger universe. You just don't know it yet.“1

Nick Fury, Leiter der Strategic Homeland Intervention, Enforcement and Logistics

Division – kurz S.H.I.E.L.D., hat soeben Kontakt zum potentiellen ersten Mitglied

seiner geheimen Avengers-Initiatve aufgenommen. Die Leinwand wird schwarz und

der Kinosaal langsam von Licht geflutet.

Ein Teil des Kinopublikums hat diese Szene wahrscheinlich nicht zu Gesicht

bekommen, weil es den Saal bereits zu Beginn des Filmabspanns verlassen hat. Sie

werden diese zusätzliche Szene auch nicht missen, denn sie haben mit IRON MAN

(USA 2008) gerade einen unterhaltsamen Hollywood-Blockbuster aus dem Genre der

populären Superheldenfilme gesehen und sind mit ihren Gedanken bereits wieder im

Alltag angekommen. Ein anderer Teil des Publikums im Saal ist eventuell noch

sitzen geblieben, um während des Abspanns den Rest Popcorn aufzuessen oder ihre

Mails via Smartphone abzurufen – und wundern sich jetzt, warum ein etablierter und

bekannter US-Schauspieler wie Samuel L. Jackson (als Nick Fury) in nur einer

einzigen Szene nach dem eigentlichen Ende des Films auftaucht. Und was hat es

überhaupt mit dieser „Avengers-Initiative“ auf sich? Dann sind da noch die

Initiierten. Die Populärkultur- und Comic-Fans, die wohlig grinsend im Kinosessel

sitzen und wissen, dass sie in den vergangenen zwei Stunden gerade den Einstieg in

das Marvel Cinemtaic Universe erlebt haben. Sie können es kaum erwarten, ihre

Erfahrungen über diverse Social-Media-Kanäle mit anderen Fans zu teilen und zu

1 IRON MAN (USA 2008)

1

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diskutieren. Willkommen in der Ära von Henry Jenkins "convergence culture":

"By convergence, I mean the flow of content across multiple media

platforms, the cooperation between multiple media industries, and the

migratory behavior of media audiences who will go almost anywhere in

search of the kinds of entertainment experiences they want. Convergence

is a word that manages to describe technological, industrial, cultural and

social changes depending on who´s speaking and what they think they

are talking about. [...] In the world of media convergence, every

important story gets told, every brand gets sold, and every consumer gets

courted across multiple media platforms."2

Doch vorerst zurück zu Iron Man und Nick Fury, deren Geburtsstunden lange vor

dem Zeitalter der digitalen Medien und dem Verschmelzen alter und neuer

Medienarten liegen. In den 1960ern, bzw. in der Zeitrechnung der US-Comic-

Industrie im Silver Age3, erblickten zahlreiche neue und die Reinkarnationen älterer

Comic-Helden des Marvel-Verlags (zuvor bekannt unter dem Namen Timely bzw.

Atlas)4 das Licht der Welt.

Darunter sowohl Eisenmann Tony Stark, der seinen ersten Auftritt 1963 in Tales of

Suspense5 feierte, als auch Geheimagent Nick Fury, der im gleichen Jahr zusammen

mit den Howling Commandos6 sein erstes Gefecht auf bebilderten Seiten austrägt.

Unter der Leitung der heutigen Comic-Legende Stan Lee legte Marvel großen Wert

darauf, Figuren und Geschichten in einem großen, sich ständig ergänzenden

Erzähluniversum anzusiedeln und dessen Kontinuität fortlaufend aufrecht zu

2 Jenkins, Henry (2006): Convergence Culture. Where Old And New Media Collide. New York: New York University Press, S. 2f3 Als Silver Age wird generell die Zeit zwischen Mitte der 1950er bis Anfang der 1970er bezeichnet, in der viele neue Comichelden eingeführt wurden und die Verleger und Artisten damit begonnen haben, die klassischen Genrekonventionen stärker zu variieren, um das Interesse an ihren Veröffentlichungen wieder zu steigern, nachdem es nach dem Ende des zweiten Weltkriegs stark eingebrochen war. Vgl. Anhut, Anjin; Ditschke, Stephan (2009): Menschliches, Übermenschliches. Zur narrativen Struktur von Superheldencomics. In: Ditschke, Stephan; Kroucheva, Katerina; Stein, Daniel (Hg.) (2009): Comics. Zur Geschichte und Theorie eines populärkulturellen Mediums. Bielefeld: transcript, S. 1674 Vgl. Weaver, Tyler (2013): Comics for Film, Games and Animation. Using Comics to Construct Your Transmedia Storyworld. Burlington: Focal Press, S.1105 Marvel Comics (1963): Tales of Suspense #39 6 Marvel Comics (1963): Sgt. Fury and His Howling Commandos #1

2

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erhalten. So erschien 1963 auch bereits die erste Ausgabe der Avengers7, eine Gruppe

von Superhelden, der u.a. Iron Man, Donnergott Thor und Wut-Monster Hulk

angehören, um mit gebündelten Kräften gegen die Mächte zu kämpfen, denen sie

sich nur gemeinsam stellen können. In der Welt der (Superhelden-)Comics war und

ist das intertextuelle Erzähluniversum – das „shared universe“8 – ein essentielles und

erfolgreiches Mittel zur Leserbindung und Fan-Community-Pflege. Matt Hills

bezeichnet in seinem Buch über Fankulturen solche Erzähluniversen als

„hyperdiegesis“ und nennt sie als eine der entscheidenden Grundvoraussetzungen für

die Erhebung eines Medientextes zum Kult-Objekt bzw. die Generierung eines Fan-

Kultes um einen Medientext:

„Another defining attribute of the cult text is hyperdiegesis: the creation

of a vast and detailed narrative space, only a fraction of which is ever

directly seen or encountered within the text, but which nevertheless

appears to operate according to principles of internal logic and

extension.“9

All das war in der Welt der Superheldencomics schon damals Realität, lange bevor

Intertextualität bzw. Inter- und Transmedialität als Anker der modernen

"particapatory culture"10 zu den Trendwörtern der heutigen Medien- und

Unterhaltungsindustrien wurden. Während das Marvel-Imperium und seine Helden

sich (wieder) erhoben, befand sich ein anderes amerikanisches

Unterhaltungsimperium im freien Fall. Hollywoods Traumfabriken hatten in den

späten 1960ern mit kostspieligen Kinoflops zu kämpfen und produzierten mehr und

mehr am Publikumsgeschmack vorbei. Darüber hinaus mangelte es der Filmbranche

an talentiertem Nachwuchs, der die Gedanken und Gefühle der jungen

Nachkriegsgeneration verstand. Diese Krise verhalf einer neuen Generation

Filmemacher in den 1970ern, ihre ganz eigenen Visionen des amerikanischen

Kinotraums auf die Leinwände zu bringen. Inspiriert vom europäischen Autorenfilm

und den politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen in den USA, spiegelten

7 Marvel Comics (1963): The Avengers #1 8 Vgl. Weaver, Tyler (2013), S.1159 Hills, Matt (2002): Fan Cultures. London and New York: Routledge, S.13710 Vgl. Jenkins, Henry (2006), S. 3

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junge Filmemacher wie Martin Scorscese oder Francis Ford Coppola Amerikas

angeschlagenes Selbstbild in ihren Filmen wieder und fanden dabei sowohl beim

jungen Publikum als auch bei den Kritikern großen Anklang. Die in der

Filmgeschichte allgemein als New Hollywood bezeichnete Dekade brachte so einige

der größten bis heute noch aktiven Filmemacher des US-Kinos hervor. So schnell

sich New Hollywood aus der Asche des alten Studiosystems erhoben hatte, desto

abrupter näherte es sich wieder dem Boden der ökonomischen Realitäten. Je nach

Betrachtungsweise stellen Steven Spielbergs Sommer-Hit JAWS (USA 1975) und

George Lucas Weltraum-Märchen STAR WARS (USA 1977) entweder das Ende der

wilden New Hollywood-Jahre oder deren Kulmination dar. Hollywood hatte die

Masse als Publikum wieder gefunden – und den Urknall des modernen Blockbuster-

Kinos initiiert.11

Das Erscheinen von STAR WARS war nicht nur für das moderne Kino ein

entscheidender Moment, sondern auch für die Welt populärer Erzähluniversen und

transmedialer Story-Welten. Der später als Episode IV – A New Hope betitelte erste

Film der Sternenkrieger-Reihe legte den Grundstein für eines der größten populären

Erzähluniversen des 20. Jahrhunderts. Wenn Jedi-Meister Obi-Wan Kenobi dem

jungen Luke Skywalker nach seiner ersten Trainingslektion über die alles

verbindende Macht zuversichtlich orakelt "You've taken your first step into a larger

world."12, dann ähnelt das nicht nur zufällig der zu Beginn geschilderten Szene

zwischen Tony Stark und Nick Fury. Auch wenn zu diesem Zeitpunkt das damalige

Kinopublikum noch nicht ansatzweise erahnen konnte, was Lucas Space-Fantasy in

den folgenden Jahrzehnten an Geschichten in unterschiedlichsten Medien generieren

würde, symbolisiert dieser Satz doch den Grundsatz erfolgreicher Erzähluniversen:

Hole das Publikum mit einer (oder diversen) prägenden(n) Geschichte(n) zum

Einsteig ab und belohne es fortan mit neuen Geschichten ihrer Helden und zuvor

unbekannten Winkeln einer unvergleichbaren fiktiven Welt.

Zwei Dekaden später im Kinosommer 1999, in dem auch der erste Teil der Star Wars

Prequels EPISODE I – THE PHANTOM MENACE (USA 1999) die großen

Leinwände eroberte, entführten ebenso die Wachowski-Geschwister Scharen von

11 Vgl. Elsaesser, Thomas (2009): Hollywood heute. Geschichte, Gender und Nation im postklassischen Kino. Berlin: Bertz + Fischer, S. 19ff12 STAR WARS (USA 1977)

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Zuschauern in die düstere Cyberpunk-Dystopie von THE MATRIX (USA 1999). Das

Geschwisterpaar überwachte in den Folgejahren als kreative Instanz das transmediale

Großprojekt hinter THE MATRIX, welches u.a. Comics, Videospiele und animierte

Kurzfilme umfasst. Diese halten für den engagierten Zuschauer allesamt Puzzleteile

in Form von überschneidenden Handlungssträngen und Figuren sowie versteckten

Hinweisen und Informationshäppchen bereit, um das große Matrix-Story-Mosaik in

seiner Vollständigkeit anschließend selber zusammensetzen zu können. Henry

Jenkins hat sich in seinem Buch Convergence Culture – Where Old And New Media

Collide näher mit dem Matrix-Phänomen und seinem Erfolg – als auch Fehlschlägen

– in Bezug auf das medienübergreifende Erzählen fiktionaler Erzähluniversen

auseinander gesetzt. Er bezeichnet diese Art des Erzählens als "transmedia

stroytelling":

„A transmedia story unfolds across multiple media platforms, with each

new text making a distinctive and valuable contribution to the whole. In

the ideal form of transmedia storytelling, each medium does what it does

best – so that a story might be introduced in a film, expanded through

television, novels, and comics; its world might be explored through game

play or experienced as an amusement park attraction. Each franchise

entry needs to be selfcontained so you don't need to have seen the film to

enjoy the game, and vice versa.“13

Während bei Star Wars das sogenannte expanded universe14 (Geschichten die z.B. in

Romanen, Comics oder Videospielen erzählt werden und jenseits der Ereignisse der

Kinofilme im selben Universum stattfinden) eine rein optionale Erweiterung

darstellt, handelt es sich bei den medienübergreifenden Angeboten der Matrix-Welt

teilweise um essentielle Informationen zum tieferen Verständnis der Filme. Dieser

Umstand führte bei dem einen oder anderen traditionelleren Zuschauer allerdings

schnell zu Irritationen im Kinosaal, denn auf einmal waren mehr Zeitaufwand und

kognitive Leistung von den Zuschauern gefordert, sofern sie wirklich die Geschichte

in ihrer Ganzheit verstehen wollten. Wie es Jenkins selbst formuliert: "To truly

13 Jenkins, Henry (2006), S. 97f14 Vgl. ebd. S. 108f

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appreciate what we are watching, we have to do our homework."15 Spätestens seit

Beginn des 21. Jahrhunderts sind Medienkonvergenz und transmedia storytelling oft

geradezu inflationär verwendete Trendbegriffe, die von Medienunternehmen und

-produzenten oft gerne als Werbemittel für ihre neuen Brands und Franchises benutzt

werden. Auch an den bereits 1993 gegründeten Marvel Studios ist dieser Trend nicht

vorbei gegangen. Nachdem der audiovisuelle Seitenarm des Marvel-Verlages

jahrelang nur als Produktionspartner bei lizenzierten Film- und Fernsehauswertungen

ihrer Figuren und Franchises fungierte, entschied sich die Führungsriege des Studios

2004 dazu, zukünftig selber Filme zu finanzieren und produzieren. Unter der Leitung

von President of Production Kevin Feige wurde so der Grundstein für das Marvel

Cinematic Universe gelegt, ein Franchise-übergreifendes Filmuniversum der

verschiedenen Marvel-Helden, wie es Leser der Comics bereits seit Dekaden

begleitete. Der Startschuss fiel 2008 mit jener hier zu Beginn erwähnten Adaption

des Comic-Helden Iron Man. Darauf aufbauend folgten die Filme THE

INCREDIBLE HULK (USA 2008), IRON MAN 2 (USA 2010), THOR (USA

2011), und CAPTAIN AMERICA: THE FIRST AVENGER (USA 2011). Diese sich

die selbe fiktive Welt teilende Reihe von Filmen mündete schließlich in THE

AVENGERS (USA 2012), in dem sich die Helden der vorhergegangenen Einzelfilme

gegen eine feindliche Übermacht verbünden müssen.

Mit Hilfe der Erkenntnisse von Herny Jenkins und anderen Experten, wird sich diese

Arbeit damit auseinandersetzen, wie das Marvel-Kino-Universum als film- und

medienübergreifendes World-Building-Projekt über mehrere Jahre hinweg von den

Produzenten und Filmemachern realisiert wurde. Schwerpunkte werden dabei sowohl

narrative Aspekte, wie filmübergreifende Handlungselemente und intertextuelle

Referenzen bilden als auch die Erweiterung des Filmgeschehens und damit der

narrativen Welt durch transmediale Angebote wie Comics, Kurzfilme und TV-

Inhalte. Ein weiterer Bestandteil wird außerdem die Analyse der multiplen Lesearten

bzw. die dem individuellen Zuschauer überlassene Komplexität der medialen

Erfahrung sein. Denn die Freiheit des Rezipienten, über die erfahrbare Tiefe des

fiktiven Universums selbst zu bestimmen, wird in der Auseinandersetzung mit

transmedialen Produktionen immer wieder als entscheidender Aspekt genannt.

15 Ebd. S.96

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"Transmedia is about discovery, and the choice of how much the audience is willing

to discover."16 Zum besseren Verständnis der Analysen und daraus resultierenden

Schlussfolgerungen rekapituliert Kapitel 1 dieser Arbeit zunächst die Geschichte des

modernen Hollywood-Blockbusters und seinem Aufbruch in das Zeitalter der

Medienkonvergenz inklusive einer detaillierten Auseinandersetzung und erweiterten

Definition von transmedia storytelling. Verständnis fördernde Hintergründe zum

Phänomen populärkultureller Erzählwelten bietet zudem Kapitel 2, das sich mit der

Genesis der Fortsetzungsliteratur im 19. Jahrhundert und der daraus entstehenden

Comic-Kultur in den USA beschäftigt. Da die Überschreitung einzelner

Medienformen nicht nur die Essenz von transmedia storytelling ausmacht, sondern

dem Phänomen sogar direkt in den Namen geschrieben ist, ist eine interdisziplinäre

Sichtweise auf transmedia storytelling und dessen historischen Ursprünge, die weiter

in der Mediengeschichte zurückreichen, als man zunächst denken mag, nämlich nicht

nur empfehlenswert, sondern gar von Nöten.

16 Weaver, Tyler (2013), S.115

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2. Kapitel 1 – Blockbusting All Channels

2.1 Bedeutung und Entwicklung des Blockbuster-Kinos

Spricht man von den Verfilmungen von US-amerikanischen Comics, liegt es in den

meisten Fällen nahe, dass man sich thematisch in der Sphäre des modernen

Blockbuster-Kinos bewegt. Im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends sind bis

heute praktisch jeden Sommer gleich mehrere Multi-Millionen-Dollar Produktionen

basierend auf populären Superheldenstoffen auf dem internationalen Kino-Markt

gestartet – und das in den meisten Fällen mit großem Erfolg. Die

Rahmenbedingungen der Blockbuster-Produktionen und die Inhalte der Superhelden-

Comics scheinen eine dementsprechend fruchtbare Symbiose darzustellen. Bei

genauerer Betrachtung der Geschichte des Blockbuster-Kinos wird sogar deutlich,

dass diese Entwicklung den beiden Unterhaltungszweigen seit Jahren vorbestimmt

war.

Die Bezeichnung Blockbuster ist im Englischen als auch im Deutschen längst in den

alltäglichen Sprachgebrauch eingegangen und das nicht nur in Bezug auf das Kino.

Auch im Fernsehen oder in der Videospiel-Branche wird regelmäßig von

Blockbuster-Unterhaltung oder Blockbuster-Games gesprochen – sowohl auf Seite

der Produktion, im Marketing oder unter den Rezipienten selbst. Es scheint also ein

genereller Konsens darüber zu herrschen, was unter einem Blockbuster zu verstehen

ist, bei genauerer Betrachtung zeigt sich aber schnell, dass dem Begriff im Laufe der

Zeit durchaus unterschiedliche Konnotationen zugeordnet wurden und das Konzept

des heutigen Kino-Blockbusters nicht mehr mit der ursprünglichen Bedeutung des

Terminus übereinstimmt. Im folgenden möchte ich zum besseren Verständnis kurz

auf die historische Entwicklung des Begriffs eingehen.

Regisseur Francis Ford Coppola liefert in seinem Vorwort zu George Lucas

Blockbusting eine allgemein gültige, zeitlose Definition des Blockbusters als eine

“[…] combination of financial success, critical success, great storytelling, and

timing. Blockbusting is determined by the impact it makes on the culture and its

8

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ability to stand the test of time.”17 Gerade bei einer historischen Betrachtung des

Begriffs wird allerdings deutlich, dass im Diskurs des Kinos von zwei

unterschiedlichen Dingen die Rede ist, wie auch Marianne Skarics festhält:

Manche Blockbuster sind wahre 'Entertainment-Maschinen', deren Erfolg

eng gekoppelt ist mit extensivem Marketing und dem Verkauf zum Film

gehöriger Produkte wie Soundtracks oder Videospielen [z.B. “Batman”

(USA 1989)]. Andere Blockbuster erzielen ihre Erfolge ruhiger,

unauffälliger und langsamer [z.B. “Good Will Hunting” (USA 1997) Man

könnte demnach Blockbuster in bereits als solche intendierte, mit einer

'Blockbuster-Mentalität' versehene und in aus anderen Gründen zu

Blockbustern gewordene Filme unterteilen.18

Der letztere Teil stellt dabei die ursprüngliche Bedeutung des Wortes Blockbuster (in

Bezug auf das Kino) dar. Der aus dem zweiten Weltkrieg stammende Begriff für eine

Fliegerbombe, die einen ganzen Häuserblock zerstören konnte, wurde bis in die

1970er herein gewöhnlich für alle Arten von Filmen benutzt, die sich im Laufe ihrer

Kinospielzeit zu großen Publikumserfolgen entwickelten [wie z.B. GONE WITH

THE WIND (USA, 1939) oder THE SOUND OF MUSIC (USA, 1959)]. Durch die

heutigen Produktions- und Distributionsbedingungen ist diese klassische Form des

Blockbuster-Kinos aber bis auf wenige Ausnahmen praktisch ausgestorben. Heutige

Blockbuster werden bereits von der ihnen zu Grunde liegenden Idee an darauf

konzeptioniert, ein Massenpublikum anzusprechen, was sie auch müssen, um die

enormen Produktionskosten mit zusätzlichem Gewinn wieder einzuspielen. Das hat

aber auch dazu geführt, dass diese „intendierten Blockbuster“ das Risiko in sich

tragen, fehl zu zünden und bei den heutigen Produktionsbudgets dadurch auch schon

mal ein komplettes Produktionsstudio mit in den Abgrund reißen könnten. Das

verleiht dem Ganzen nicht nur im Hinblick auf den historischen Ursprung des

Begriffs eine unheimliche Ironie, es hätte vor einigen Dekaden auch noch zu

17 Coppola, Francis Ford (2010): Introduction. In: Block, Alex Ben; Wilson; Lucy Autrey (2010): George Lucas' Blockbusting. A Decade-by-Decade Survey of Timeless Movies Including Untold Secrets of their Financial and Cultural Sucess. New York: HarperCollins Publishers Inc., S. vi.18 Skarics, Marianne (2004): Popularkino als Ersatzkirche? Das Erfolgsprinzip aktueller Blockbuster. Münster: Lit Verlag, S. 95

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berechtigten Stirnrunzeln geführt, von „fehlschlagenden Kino-Erfolgen“ zu sprechen,

wie auch Tom Shone in seinem Buch Blockbuster festhält: „ […] Variety will Speak

today of a bluckbuster 'failing' at the box office – which would have caused endless

confusion to someone from 1975; a film was either a riotous success, in which case it

was a blockbuster, or else it wasn't.19

Trotzdem ist dieses vermeintliche Oxymoron Teil der heutigen Realität des populären

Kinos, auch wenn natürlich von Seiten der Filmproduktion und – vermarktung alles

dafür getan wird, dass ein vermeintlicher Sommer-Blockbuster nicht an den

Kinokassen scheitert, weswegen heutige Großproduktionen von Beginn an auf ihre

Markttauglichkeit hin konzipiert werden. Bereits populäre Inhalte sind dabei als

Basis ebenso gefragt wie einfach zu kommunizierende, wodurch heutzutage eine Flut

von Adaptionen oder Remakes populärkultur-prägender Stoffe aus Literatur,

Fernsehen, Kino – und eben Comics – den internationalen Markt beherrschen. Das

Grundmuster für diese Produktionen haben vor allem das Gespann Lucas-Spielberg

geprägt, auch wenn man deutlich machen muss, dass weder JAWS noch STAR

WARS "geplante Hits" waren, ganz im Gegenteil. Der enorme Erfolg dieser Filme

beim Publikum und der sich darum entwickelnde Fan-Kult, wiesen den großen

Filmstudios den Weg zu ihrer heutigen Blockbuster-Formel, die sie in den darauf

folgenden Jahrzehnten Stück für Stück optimierten.

Doch was verhalf den ursprünglichen Vorbildern des heutigen "intendierten

Blockbusters" zu ihrem Erfolg? Es waren ihre massentauglichen, vor allem an ein

junges Publikum gerichtete Geschichten gekoppelt mit einem professionellen

Produktionsstandard und innovativer, berauschender Ästhetik, wie sie das Genre-

Kino zuvor noch nicht geboten hatte. Insbesondere Spielbergs JAWS sprengte die in

vielen Kinogänger-Köpfen vorhandene Mauer zwischen Qualität/Anspruch und

Unterhaltung und bewies, das beides möglich war:

"Spielberg had completely upended the pyramid of American film,

ridding the blockbuster of its rather desperate bids of 'prestige' while also

visiting on it the sort of filigree dramatic technique normally associated

with films much further up the brow. The effect on audiences was

19 Shone, Tom (2004): Blockbuster. How Hollywood Learned to Stop Worrying and Love the Summer. New York: Free Press, S. 28

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properly electric, for now we knew, and we would never go back,

willingly, to the old system of cinematic apartheid that had existed

before, dictating that popular films must be dumb, and highbrow films

boring."20

Der Triumph von Lucas' STAR WARS hingegen bestand vor allem darin, das

Publikum zu einer Reise in eine andere Welt, eine „weit, weit entfernte Galaxis“,

abzuholen und auch nach dem Kinobesuch nicht mehr loszulassen. Anstatt einen

Film auf einer zwei-dimensionalen Leinwand zu betrachten, tauchten die Menschen

im Kinosaal geradezu in das Geschehen ein, reagierten mit Schreien oder Applaus

auf das Gesehene, nahmen an der Geschichte selber teil.21 Im weiteren Sinne war es

nicht Hollywood, das mit STAR WARS versuchte, die Filmindustrie in eine

Spielzeugindustrie zu verwandeln, sondern es waren die Zuschauer, die sich STAR

WARS zu eigen machten und damit spielten:

"You turned it into a toy, so you could keep playing with the movie in

your head, as Lucas had played with it in his head, in the years before he

got to make it [...]. That was how Star Wars felt, [...] as a clarion call to

adventure, an invitation to another, impossibly glamorous universe where

movies like Star Wars happened all the time."22

Was Filmemacher wie Spielberg und Lucas von anderen Regisseuren ihrer Ära

unterschied, waren weniger die handwerklichen Einflüsse, sondern die ästhetischen

und inhaltlichen Inspirationsquellen ihrer Werke. Diese fanden sie in ihrer Jugend

nicht in der Kunst des anspruchsvollen Kinos, sondern in den bunten, schnellen und

viszeralen Auswüchsen US-amerikanischer Massenunterhaltung wie

Groschenromanen, Comics, TV-Sendungen und B-Movie-Serials aus der Frühzeit

Hollywoods. Es war die Populärkultur vor der Festschreibung ihres Begriffes. Für

Amerikaner ihrer Zeit war es einfach Trash:

20 Ebd. S. 3321 Vgl. ebd. S. 5522 Ebd. S. 11

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"There was no 'popular culture' as we know it today. That phrase, with its

charge of punkish, publicly endorsed glamour, was decades off. It was

just 'junk' or 'trash' and to track it down required patience, dedication and

cunning. You had to go around to your neigbor's house, like Lucas, or

sneak down at night after your parents had gone to bed, like Spielberg,

and if that failed, [...] bulid your own thrills yourself. They were the boys

who built pop culture in their backyards."23

Die erste Filmemacher-Generation des modernen Blockbuster-Kinos sammelte und

verarbeitete die Essenzen populärer Unterhaltung und setzte diese in einer

Kettenreaktion, unterstützt durch die Standards des professionellen Filmemachens,

auf den Leinwänden und in den Köpfen der Zuschauer frei. Die Ära der Comic-

Adaption und Superhelden-Filme besteht vielleicht erst seit gut einer Dekade, das

Aufeinandertreffen von Kino und Comic hatte das in den späten 1970ern initiierte

Blockbuster-Kino allerdings schon immer in die DNA seiner Wurzeln geschrieben.

Erst durch die Anforderungen und Produktionsbedingungen des heutigen

Kinomarktes und dank der enormen Entwicklungen der Visual-Effects-Industrie, ist

diese Verschmelzung heute zu seiner vollständigen Blüte gekommen.

2.2 Das Blockbuster-Kino im Zeitalter der Medienkonvergenz

Wenn wir von Medienkonvergenz und damit verbundenen Trends wie transmedia

storytelling, Multi-Channel-Inhalten und immersiven Medienerlebnissen sprechen,

scheinen dabei zwei Wahrnehmungen oft unbewusst als gegeben vorausgesetzt zu

werden: Erstens, dass diese Trends neuartige Entwicklungen der durch die Dotcom-

Ära entstandenen Möglichkeiten der digitalen Medien und Distribution sind und

zweitens, dass, wie bei so vielen anderen Phänomenen der globalen Populärkultur,

ihre Wiege in den "kulturimperialistischen" Mühlen der US-Unterhaltungsindustrie

23 Ebd. S. 6

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zu finden ist. Doch ein genauerer Blick in die Medien-Historie erzählt eine andere

Geschichte.

Das vielleicht früheste Beispiel für ein transmediales Erzählprojekt ist zunächst in

der Tat eine US-amerikanische Kreation. 1930 debütierte die Figur The Shadow

zunächst als Erzählstimme der Radiosendung Detectiv Story Hour. Kurz darauf

erschuf Autor Walter B. Gibson eine eigene Reihe von Groschenromanen über den

maskierten Rächer und seinem Kampf gegen die Unterwelt. Auch wenn die Inhalte

nicht direkt miteinander in Verbindung standen, wurde durch die Buchgeschichten

der Eindruck erweckt, mehr über den mysteriösen Mann aus dem Radio zu erfahren,

der seine wahre Identität dem Publikum verbarg. So entstand sogar noch vor der

Einführung des Fernsehens die frühe Form eines transmedialen Erzählprojekts.24 Die

Figur (in ihrer Radio-Version später u.a. auch von Schauspieler Orson Welles

gesprochen) wurde zudem zu einem Vorläufer und Archetypen für die noch

folgenden maskierten Helden und Rächer der Populärkultur, wie z.B. der 1939 zum

ersten Mal in Erscheinung tretende Batman vom Bob Kane.25

Das erste Land, in dem eine breitflächige und professionalisierte "media mix"26-

Kultur Fuß fasste, befand sich allerdings auf der anderen Seite des Pazifiks. Die

technikbegeisterten Fan-Communities, die seit den 1970ern um japanische Anime-

Serien wie Macross oder Gundam Wing entstanden, katalysierten einen in Nippon bis

heute ungebrochenen Trend für "synergetic storytelling"27. Die Idee, dass eine

Geschichte zeitgleich durch verschiedene Medien hinweg erzählt werden kann, ist in

Japan seit Dekaden ein etabliertes Mantra der Medienproduktion, während sich

Hollywood und der Rest der Welt bis in das neue Jahrtausend hinein damit schwer

taten, medienübergreifende Angebote zu schaffen, die über die Vergabe von Lizenzen

an Dritte zur Produktion von bloßen Begleitartikeln hinausgehen. So wurde der

Begriff "transmedia producer" erst 2010 durch den Druck von einflussreichen

Personen wie Filmregisseur James Cameron und Filmproduzentin Gale Ann Hurd,

offiziell als Berufsbezeichnung in der US-Industrie akzeptiert.28 Aber nicht nur die

24 Vgl. Weaver, Tyler (2013), S. 2725 DC Comics (1939): Detective Comics #2726 Jenkins, Henry (2006), S. 112f27 Rose, Frank (2012): The Art of Immersion. How the Digital Generation Is Remaking Hollywood, Madison Avenue, and the Way We Tell Stories. New York; London: Norton, S. 4128 Vgl. ebd., S. 41f

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Möglichkeiten des medienübergreifenden Erzählens durch TV-Serien, Filme,

Videomarkt-Veröffentlichungen und Mangas (Comics) der selben Franchise führten

zu der heute auch weit über Japan hinaus reichenden Popularität von Anime-

Produktionen. Auch im Bereich der Fan-Communities waren und sind japanische

Produktionen gefördert durch das Plus an Aufmerksamkeit durch Multi-Channel-

Angebote und transmediale Story-Erfahrungen Vorreiter für Entwicklungen wie Fan-

Connventions, Fan-Fiction und andere von den Rezipienten kreierte Inhalte.29

Interessanterweise stammen die jüngeren Versuche US-amerikanischer

Filmproduktionen mit transmedialen Charakter meistens aus der Hand von

Regisseuren wie Cameron (AVATAR, USA 2009) oder den Wachowskis, deren

Filmen nicht nur oft inhaltliche und ästhetische Bezüge zu populären Anime-

Produktionen aufweisen, sondern die selber auch gerne als Advokaten der

japanischen Animationskunst auftreten. So plant Cameron schon seit geraumer Zeit

eine Kino-Adaption des Manga-Klassikers Battle Angel Alita30, während die

Wachowskis sogar mehrere renommierte japanische Animationsstudios und

Regisseure in die transmediale Auswertung der Matrix-Franchise in Form der

ursprünglich als Webisodes veröffentlichten Kurzfilmsammlung THE ANIMATRIX

(USA 2003) mit einbanden.31 Darüber hinaus betonten die Wachowskis den großen

Einfluss von Anime als Inspirationsquelle für ihr Matrix-Universum, das praktisch

als erste US-Franchise vollständig die japanischen Media-Mix-Strategien rund um

das synergetische Erzählen von medienübergreifenden Geschichten adaptierte.32

Heutzutage sind nicht nur unsere medialen Erfahrungen von übergreifenden und sich

gegenseitig ergänzenden Prozessen bestimmt, sondern im weitesten Sinne unsere

gesamte Kommunikation, unsere Beziehungen, unsere Erinnerungen – kurzum

unsere komplette Kultur hat sich zu einer Kultur der Konvergenz entwickelt.33

Zuschauergruppen und Fan-Communities sind aktiver denn je, nicht nur in Bezug auf

Kommunikation und Organisation durch die digitalen Medien, sondern auch wenn es

um Rekreation und Erweiterung von rezipierten Inhalten geht. Populäre

Medieninhalte müssen deshalb heute nicht nur einen universellen Markt ansprechen,

29 Vgl. ebd., S. 42f30 Vgl. http://www.imdb.com/title/tt0437086/ [Stand: 25.05.2013]31 Vgl. Jenkins, Henry (2006), S. 103f32 Vgl. Rose, Frank (2012), S. 4333 Vgl. Jenkins, Henry (2006), S. 3f

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sondern gleichzeitig auch inhaltlich potentiell endlos erweiterbare Basen für Fan-

Kulturen darstellen. Jenkins spricht in diesem Zusammenhang von einer neuen Kunst

des Geschichtenerzählens, der "art of world building":

„More and more, storytelling has become the art of world building, as

artists create compelling environments that can not be fully explored or

exhausted within a single work or even a single medium. The world is

bigger than the film, bigger even than the franchise – since fan

speculations and elaborations also expand the world in a variety of

directions.“34

Filmemacher und andere Kreative befinden sich heute sowohl in der Rolle des

Produzenten von kulturwirtschaftlichen Produkten als auch in der des universellen

Geschichtenerzählers. Jedes Element einer Geschichte hat heute das Potential durch

neue Medienarten erweitert bzw. näher beleuchtet zu werden, genauso wie neue

potentiell profitable Distributionswege den Ausbau immer komplexerer Story-Welten

erfordern.35 Daraus resultiert eine für die noch nicht "konvergierten" Teile des

modernen Publikums oft merkwürdig fragmentiert wirkende, dem inhaltlichen

Zusammenhang entrissene Art des Erzählens, sowohl im aktuellen Blockbuster-Kino

als auch in anderen populären Medien. "If you look at such works by old criteria,

these movies may seem more fragmented, but the fragments exist so that consumers

can make the connections on their own time and in their own ways."36 Diese

Fragmentation des Geschichtenerzählens ist letztendlich auch eine direkte Reaktion

auf die fortschreitende Fragmentation des Publikums. Unterschiedliche

Zuschauergruppen werden durch verschiedene Rezeptionsebenen des selben Inhalts

angesprochen. So spricht z.B. auch Digital Media-Theoretikerin Janet Murray von

drei verschiedenen Arten von Konsumenten, die durch zeitgenössische, populäre

Medieninhalte angesprochen werden: Der aktiv involvierte "real-time"-Zuschauer,

der kurzfristig in jedem neuen Inhalt Unterhaltung und Spannung sucht, das

reflektiertere "long-term"-Publikum, das nach kohärenten Mustern in der Geschichte

34 Ebd., S. 11635 Vgl. ebd., S. 11736 Ebd., S. 121

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als Ganzes sucht und der "navigational viewer", dem es Freude bereitet,

Verbindungen in verschiedenen Teilen der Geschichte zu folgen und multiple

Anordnungen des gleichen Materials zu entdecken37.

Diese multiple Rezeptionsausrichtung in der Praxis in den jeweiligen Inhalten

umzusetzen ist allerdings ein Unterfangen, das nicht immer von Erfolg oder dem

Verständnis einer klassischen Kritik über die Qualität von medialen Inhalten geprägt

ist. So wurden laut Jenkins sowohl die Kinofortsetzungen als auch andere mediale

Umsetzungen des Matrix-Universum dafür kritisiert, inhaltlich zu stark voneinander

abzuhängen und für den durchschnittlichen Rezipienten kaum noch fassbar zu sein.

Inhaltliche Lücken der Filme könnten für Zuschauer ohne Kenntnisse der animierten

Kurzfilme nicht geschlossen werden, Nebenfiguren hätten für Zuschauer ohne Bezug

zum Videospiel Enter the Matrix eher handlungsbremsende als –bereichernde

Funktionen und auch die Auflösung der Geschichte habe am Ende nicht die über

Jahre ausgemalten Erwartungen der Fans erfüllen können. Kritiker sahen in den

transmedialen Auswüchsen zudem eher neue Wege der Profitmaximierung als des

Geschichtenerzählens, was ohne Zweifel die Kehrseite des aktuellen Transmedia-

Trends ausmacht. Am Ende war das Matrix-Universum ein interessanter aber

mängelbehafteter Blick in die Zukunft der transmedialen Unterhaltung.38

Das Blockbuster-Kino, das als Auswertungsweg für Franchise-Universen momentan

immer noch eines der entscheidenden Leitmedien darstellt – Kino als das Event, um

das sich alle weiteren Teile der Auswertungskette drehen – ist im Zeitalter der

Medienkonvergenz und Konvergenzkulturen mit ebenso vielen Chancen wie

Herausforderungen konfrontiert. Die neuen Medien und die ständige Vernetzung der

Konsumenten ermöglichen cross- sowie transmediale Auswertungen erfolgreicher

Franchises, ikonischer Figuren und beliebter Geschichten, fordern aber gleichzeitig

auch neue Erzähltechniken und größeren Umfang an Inhalten. Der (post-)moderne

Kino-Blockbuster muss konstant im Moment der Rezeption unterhalten, als auch

darüber hinaus weitere Ebenen für tiefergehende Auseinandersetzung bereithalten

und im besten Fall zu jedem Zeitpunkt in alle Richtungen inhaltlich erweiterbar sein.

Er muss als Produkt für die Masse, als auch ein speziell auf den individuellen

Zuschauer zugeschnittenes Unterhaltungsgut funktionieren.

37 Murray, Janet zitiert in ebd., S. 12138 Vgl. ebd., S. 98f. u. S.105f

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2.3 Transmedia Storytelling – Versuch einer erweiterten Definition

Wie bereits in der Einleitung (S. 5) festgehalten, versteht Henry Jenkins unter

transmedia storytelling eine Geschichte, die über verschiedene Medien hinweg

erzählt wird. Bei der jeder Teil sowohl für sich selbst steht als auch Teil einer

größeren übergreifenden Erzählung ist und deren Einzelteile in beliebiger

Reihenfolge rezipiert werden können. Zwei dieser Definition innewohnenden

Aspekte sollen hier im Folgenden genauer betrachtet werden und zwar die der

inhaltlichen Tiefe und der Wahl bzw. Macht des Rezipienten über den

Rezeptionsverlauf. Schlussfolgernd daraus folgen weitere Unterpunkte zu Immersion

und Fan-Kult(ur) sowie eine aktuelle Überarbeitung und Differenzierung des

Begriffs transmedia storytelling durch Jenkins selbst.

2.3.1 Inhaltliche Tiefe

In Anbetracht von transmedialen Inhalten ist unter Tiefe weniger die inhaltliche bzw.

thematische Komplexität eines Stoffes, einer Handlung oder der Figurenzeichnung

zu verstehen, sondern die verschiedenen (inhaltlichen bzw. auch medialen) Ebenen,

durch die eine Erzählung oder erzählte Welt ausgebreitet wird. Sinnbildlich

gesprochen funktioniert transmedia storytelling idealerweise wie eine Zwiebel, deren

einzelne Schichten sowohl für sich alleine stehen, als auch zusammengelegt ein

Ganzes ergeben. Grundvoraussetzung dafür ist, dass mehrere Schichten vorhanden

sein müssen, um bei Bedarf vom Konsumenten freigelegt werden zu können und ihm

die Möglichkeit bieten, so tief in die Materie einzudringen, wie es ihm gerade recht

ist. Frank Rose spricht in diesem Zusammenhang von "deep media": "[...] A new type

of narrative is emerging – one that's told through many media at once in a way that's

nonlinear, that's participatory and often gamelike, and that's designed above all to be

immersive."39 Unmittelbar damit verbunden ist, die Wahl des Rezipienten über die

Tiefe dieser Erfahrung.

39 Rose, Frank (2012), S. 3

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2.3.2 Wahl und Macht des Rezipienten

Eine funktionierende transmediale Erfahrung zeichnet sich dadurch aus, dass der

Rezipient die Möglichkeit hat und die Motivation dazu verspüren sollte, tiefer in die

jeweilige Erzählung vorzudringen ohne dies aber zwangsweise tun zu müssen. Sich

nur auf der Schale der Zwiebel zu bewegen sollte eine genauso vollständige

Erfahrung bieten, wie sich an einer Stelle durch die verschiedenen Schichten zu

bohren. "That inner desire to dig deeper, that choice to peel back the layers, to track

down pieces of story, of character, is the beating heart of great transmedia

storytelling."40 Diese Art des Geschichtenerzählens bietet deshalb auch wie keine

andere zuvor die Möglichkeit, verschiedene Typen von Rezipienten, vom

Gelegenheitszuschauer bis zum leidenschaftlichen Fan, anzusprechen und abzuholen.

Dies ist ein entscheidendes Merkmal in Zeiten immer stärkerer

Publikumsfragmentierung und Individualisierung des Konsumverhaltens, das die

Bedeutung und das Potential von transmedialen Inhalten in ein neues Licht rückt.

Regisseur James Cameron spricht in Bezug auf seinen Film AVATAR von einer

"fractal-like complexity": "The casual viewer can enjoy it without having to drill

down to the secondary and tertiary levels of detail. But for a real fan, you go in an

order of magnitude and, boom!. There's a whole new set of patterns."41

2.3.3 Immersion

Der Begriff Immersion wird gewöhnlich in Zusammenhang mit der Rezeption von

Computer- und Videospielen verwendet, um die „Form des Erlebens, die einem

Eintauchen in virtuelle Realitäten entspricht“42 zu beschreiben. Der Effekt kann laut

Lothar Mikos aber auch bei anderen Medieninhalten auftreten, sofern „der

Medientext einen hohen Grad an kognitiver und emotionaler Aktivität der

Rezipienten hervorbringt, die sich mit einem zweckfreien Vergnügen am Text

paart“43. In der amerikanischen Forschungsliteratur wird der Begriff immer wieder in

40 Weaver, Tyler (2012), S. 3141 Zitiert in Rose, Frank (2012), S. 4942 Mikos, Lothar (2008): Film- und Fernsehanalyse. Konstanz: UVK (2. Aufl.), S. 18443 Ebd., S. 185

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Zusammenhang mit transmedialen Erzählungen und deren attraktiven Eigenschaften

für ein modernes Publikum verwendet. Frank Rose spricht von einem Bedarf an

Immersion, Teile des Publikums würden geradezu in medial erzählte Geschichten

eintauchen wollen, von ihren Inhalten komplett umgeben sein, sich in eine

scheinbare Zweit-Realität einklinken. Interaktivität und Nicht-Linearität werden

dabei oft als Schlüsselfaktoren immersiver Medienerlebnisse begriffen. Bei der

Auseinandersetzung mit dem Eintauchen in fiktive Welten schwingt allerdings häufig

eine Angst vor der totalen Immersion mit, dem Moment, in dem Realität und Fiktion

verschwimmen und beide Gegenstände vom Rezipienten nicht mehr

auseinandergehalten werden können, wie Rose weiter ausführt. Trotz dieser Angst

würden wir uns Rose zufolge allerdings nach immer immersiveren Fiktionen und

Medienerfahrungen sehnen.44

Interessanterweise wird dieser Diskurs nicht nur aktuell von Forschern und Experten

geführt, sondern er findet auch in den betroffenen Medien selber statt. Egal ob jüngst

in Filmen wie INCEPTION (USA 2010), TRON: LEGACY (USA 2010) oder

SHUTTER ISLAND (USA 2010), oder in Videospielen wie Metal Gear Solid 2 :

Sons of Liberty (Konami, 2001) oder der Assassins' Creed-Reihe (Ubisoft, 2007-

2013), immer wieder sehen sich Protagonisten und in letzter Konsequenz auch das

Publikum mit vermeintlichen Realitäten konfrontiert, die sich als bloße Konstrukte

erweisen und im Verlauf dieser Entdeckung langsam auseinanderfallen. Bestes

Beispiel dafür ist natürlich THE MATRIX, welcher sich mit seiner Handlung über

von Maschinen versklavten und unbewusst in einer Computersimulation lebenden

Menschen seine eigene Immersivität auf geradezu ironische Weise dem Publikum

vorhält und selbst dekonstruiert.

2.3.4 Fan-Kult(ur)

Wie an mehreren Stellen schon deutlich geworden, lässt sich kaum über Produktion

und Inhalte von populären Medieninhalten sprechen, ohne nicht auch die Seite des

Rezipienten und seine Auseinandersetzung mit den Texten zu thematisieren. Viel-

mehr stellt die Rezeption und daraus resultierende Fan-Kulturen die entscheidende

44 Vgl. Rose, Frank (2012), S. 291f

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Page 23: Marvelous Cinema - OPUS 4€¦ · auseinander gesetzt. Er bezeichnet diese Art des Erzählens als "transmedia stroytelling": „A transmedia story unfolds across multiple media platforms,

Komponente des Erfolgs dar, denn ein komplexes, sich ständig ausdehnendes Erzäh-

luniversum ist alleine schon aus rein wirtschaftlichen Aspekten auf ein Publikum

angewiesen, das fortlaufend nach neuen Geschichten verlangt. Darüber hinaus geben

Fans dem Universum durch die Kommunikation untereinander Relevanz, arbeiten es

auf verschiedene Arten auf, geben den Produzenten direkt oder indirekt Feedback

und gestalten je nach Angebot das Universum sogar mit. Nur durch die Etablierung

einer Fan-Kultur kann ein Medieninhalt überhaupt zum Kult-Objekt werden. Laut

Matt Hills gibt es demzufolge drei Faktoren, die die Generierung von Fan-Kulturen

maßgeblich unterstützen: Erstens, ein über die die einzelne Geschichte weit hinaus-

gehendes Erzähluniversum, die „Hyperdiegese (hyperdiegesis)“, ein „großer und

detailreicher narrativer Raum […] mit eigener interner Logik“45. Zweitens, eine

„endlos hinausgeschobene Erzählung (endless deferred narrative)“46, die sich um ein

bestimmtes Geheimnis oder Thema dreht, das in seiner Gänze nie ganz aufgeklärt

wird und so als Katalysator für die gesamte Handlung funktioniert. Drittens, das

Vorhandensein eines „auteur“47, eines kreativen Steuermannes hinter den Kulissen

der Produktion, der alle inhaltlichen und ästhetischen Aspekte lenkt und Herr über

das jeweilige Universum ist.

2.3.5 Henry Jenkins 2011: Begriffs- und Definitionsklärung

Jenkins ursprüngliches Konzept des transmedialen Erzählens hat in den Folgejahren

nach der Veröffentlichung von Convergence Culture zu allerlei Debatten und Diskus-

sionen rund um die Definition des Begriffes, seiner Abgrenzung zum klassischen

Franchising und der ihm innewohnenden beschriebenen Erzählqualitäten geführt.

Jenkins nahm 2011 in Form eines längeren Eintrags auf seinem Internet-Blog Stel-

lung zu dem inzwischen umfangreichen Diskurs über den vom ihm beschriebenen

Medientrend. Seine Überlegungen sieht er dabei allerdings nicht als eine neue Defi-

nition des Begriffes, sondern sollen vor allem zur Reflexion und Klärung einiger

45 Hills, Matt (2002), S. S.137f46 Ebd., S. 134f47 Ebd., S. 132f

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entstandener Unklarheiten beitragen.48 Seine nur leicht abgewandelte Definition

lautet wie folgt:

„Transmedia storytelling represents a process where integral elements of

a fiction get dispersed systematically across multiple delivery channels

for the purpose of creating a unified and coordinated entertainment expe-

rience. Ideally, each medium makes it own unique contribution to the

unfolding of the story.“49

Problematisch sieht Jenkins allerdings die Entwicklung, dass der Begriff häufig je

nach Kontext und Publikum unterschiedlich ausgelegt wird, zum Teil sogar zum

reinen Selbstzweck bzw. Werbemittel verkommt, da die eigentliche Bedeutung

ausgehölt und mit der Beschreibung von gänzlich anderen Phänomenen verschmol-

zen wird.50 Eine Gefahr sieht er zudem in der Verwendung des Begriffs als Synonym

für klassische, rein wirtschaftlich motivierte Entwicklungen der populären Unterhal-

tung wie Branding und Franchising:

„Franchising is a corporate structure for media production which has a

long history and throughout much of that history, there has been an

attempt to move icons and brands across media channels, but not

necessarily an attempt to extend the story in ways which expanded its

scope and meaning. Most previous media franchises were based on

reproduction and redundancy, but transmedia represents a structure based

on the further development of the storyworld through each new

medium.“51

Während Franchising vor allem auf der Idee der Vergabe von Lizenzen basiert, sieht

Jenkins neue Strukturen von Ko-Kreation und Zusammenarbeit verschiedener

48 Vgl. Jenkins, Henry (2011): Transmedia 202: Further Reflections. http://henryjenkins.org/2011/08/defining_transmedia_further_re.html [Stand: 18.06.2013]49 Ebd.50 Vgl. ebd.51 Ebd.

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Medienmacher als Fundament von transmedialen Phänomenen.52 Was die transme-

diale Erweiterung außerdem von der klassischen Adaption eines Stoffes unterschei-

det sei die „additive comprehension“53, ein ursprünglich von Videospiel-Designer

Neil Young eingeführter Begriff, der die Erweiterung des Wissens über eine fiktive

Welt durch jeden neuen (Teil-)Text dieser Erzählwelt beschreibt. Als Schlüsselfakto-

ren dieses Konzepts des „world-building process“54 sieht Jenkins die folgenden

Funktionen von transmedialen Inhalten: Die Darbietung zusätzlicher Hintergrundge-

schichten, die Verortung/Kartografierung der erzählten Welt, alternative Perspektiven

anderer Figuren auf das Geschehen und eine Vertiefung der Auseinandersetzung mit

dem Stoff durch den Rezipienten.55

Im Kern versteht Jenkins transmediales Erzählen als eine Verbindung von diversen

Erzählformen und Texteigenschaften, die sich im Laufe der letzten zwei Jahrhunderte

entwickelt haben. Sowohl das Konzept der „seriality“56, das Erzählen von Fortset-

zungsgeschichten über die einzelne (mediale) Veröffentlichung hinweg, als auch die

von Jenkins als „radical intertextuality“57 beschriebene Eigenschaft von diversen

Titeln der Comic-Verlage DC und Marvel, deren Geschichten allesamt untereinander

erzählerisch verknüpft sind (z.B. durch das Auftauchen der selben Figuren in

verschiedenen Geschichten), stellen zwei grundlegende Aspekte intertext- bzw. inter-

medialer Erzählstoffe dar. Um der Idee des Transmedialen gerecht zu werden, ist

allerdings eine weitere Eigenschaft zu beachten, nämlich die der „multimodality“58.

Ein erstmalig von Christy Dena im Zusammenhang mit transmedialer Narration

verwendeter Begriff, der den Umstand beschreiben soll, dass transmediale Inhalte

nicht nur über verschiedene Medien präsentiert werden, sondern auch je mit den

speziellen Charakteristika des jeweiligen Mediums dargestellt werden. Transmediale

Geschichten verändern dementsprechend Modalitäten der Narration und Darstellung

in Bezug auf das jeweilig gewählte Medium, das dem transmedialen Fragment als

Träger dient. In diesem Sinne definiert sich eine transmediale Geschichte laut

52 Vgl. ebd.53 Ebd.54 Ebd.55 Vgl. ebd.56 Ebd.57 Ebd.58 Ebd.

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Jenkins weder durch die Anzahl noch die Art der Medien, durch die sie erzählt wird,

sondern durch die Kombination der eben erläuterten Eigenschaften:

„A franchise can be multimodal without being transmedia — most of

those which repeat the same basic story elements in every media fall into

this category. For me, a work needs to combine radical intertextuality and

multimodality for the purposes of additive comprehension to be a trans-

media story. That’s why shortening transmedia to 'a story across multiple

media”' distorts the discussion.“59

Diese Überlegungen von Jenkins beweisen einerseits, dass sich die Kategorisierung

transmedialer Inhalte immer noch in einer Pionier- und Experimentierphase befindet,

anderseits machen sie auch deutlich, wie weit das Phänomen in den historischen

Ursprüngen der Populärkultur verankert ist. Deshalb beschäftigt sich das folgende

Kapitel nicht nur mit dem Erscheinen von Fortsetzungliteratur im 19. Jahrhundert,

sondern auch mit der daraus resultierenden „radikalen Intertextualität“ populärer

Superhelden-Comics, um das Verständnis für die narrativen Wurzeln des Marvel

Cinematic Universe zu vertiefen und dessen grundlegende Verflochtenheit mit den

Ideen des transmedialen Erzählens und der Hyperdiegese besser zu veranschauli-

chen.

59 Ebd.

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3. Kapitel 2 – The Revolution is Serialized

3.1 Die Genesis der Fortsetzungsliteratur zu Zeiten der industriellen Revolution

Der wissenschaftliche und gesellschaftliche Diskurs über Inhalte und Produkte der

populären Unterhaltung ist gewöhnlich auch mit der oft in der Kritik stehenden

Massenproduktion dieser Güter verknüpft. Besonders im deutschsprachigen Raum

treibt die Fachwelt gerne einen Keil zwischen die Produkte der auf den

internationalen Markt ausgerichteten Kulturindustrien und den (hoch-)kulturellen

Werken individueller Künstler. Die Idee der "Kulturindustrie" an sich wird dabei oft

bis zum heutigen Tage mit Argwohn betrachtet, verbindet sie doch den klassischen

Gedanken der Erschaffung eines einzigartigen Gutes bzw. Kunstwerks mit den

festgeschriebenen Normen und eindeutigen Funktionalitäten industriell gefertigter

Massenprodukte.

Doch Massenkultur und Industrialisierung haben eine weit tiefer gehende Beziehung

zueinander als die Produktion ersterer durch die Mittel letzterer. Die in der ersten

Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzende Industrialisierung veränderte nicht nur die

Produktionsbedingungen wirtschaftlicher Güter, sondern auch das Leben von großen

Teilen der Bevölkerung. "England in the 1830s was being transformed by technology

as profoundly as the entire planet is today."60 Die Arbeit in den neu errichteten

Fabriken zog die Menschen vom Land in die Städte, als Konsequenz daraus stand

mehr und mehr Bürgern der untereren und mittleren Schichten immer weniger Raum

zum Leben und zur Gestaltung der (wenigen) Freizeit zur Verfügung. Die eingehende

Urbanisierung des 19. Jahrhunderts hatte so nicht nur das Wachstum der Städte zur

Folge, sie veränderte auch den Alltag und die Lebensläufe der Menschen.

Die harten Arbeitsbedingungen und der Umstand, dass es in der wenigen Freizeit für

die Bürger der Arbeiterklassen kaum Unterhaltungsangebote gab – bzw. kaum

Angebote, die sie sich leisten konnten – führten dazu, dass viele dieser Menschen

Lesen lernten, woraus ein rasant steigender Bedarf an Lesestoff resultierte.

60 Rose, Frank (2012), S. 89

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Gleichzeitig beschleunigte die Industrialisierung die Produktion von Büchern und

begünstigte Qualitätssprünge in Papierherstellung, Bücherdruck und Logistik.61 Das

Ergebnis war die Geburtsstunde der "serialized novel"62 und damit einer neuen Art

Geschichten zu erzählen, wie es Frank Rose beschreibt:

"Book publishers saw a market for serial fiction – books released a few

chapters at the time in flimsy paperback editons that sold for a shilling or

so each (12 pence). Writers were lucky to stay one or two installments

ahead of the deadline, so readers who wanted to share their thoughts

could influence the plot as the books were being written – could

participate, in other words."63

Die serialisierte Erzählform war so in erster Linie ein Zugeständnis an die limitierten

finanziellen Ressourcen der Leserschaft. Aus diesem Umstand heraus entwickelte

sich über die Jahre hinweg ein eigener Literaturtrend, der nicht nur für immer die

Struktur von Geschichten veränderte, sondern auch das Publikum bzw. dessen

Reaktionen auf die Fortführung der Geschichten mit einbezog. Untrennbar mit dem

Aufstieg der Fortsetzungsliteratur verknüpft ist Charles Dickens mit Werken wie

Oliver Twist und The Old Curiossity Shop. Der in Portsmouth geborene Autor wurde

im Laufe der 1830er und -40er schnell zu Englands erfolgreichstem Autor, dem

"master of the serial"64. Die einzelnen Bände seiner Geschichten endeten oft an den

spannendsten Stellen, um die Leser zum Kauf der nächsten Ausgabe zu animieren

(heute umgangssprachlich als "cliff-hanger ending" bekannt, wurde dieser Begriff

allerdings erst Jahrzehnte später durch Autor Thomas Hardy geprägt, der seinen

Helden in einem Band von A Pair of Blue Eyes am Ende von einer Klippe hängen

ließ65). Außerdem arbeitete Dickens das Feedback der Leser oft direkt in seine

Geschichten ein, sowohl was das Schicksal von Figuren als auch Ortswechsel der

Handlung betraf.66 Die Genesis des Erzählens von fragmentierten Geschichten, wie

61 Vgl. ebd., S.8962 Ebd., S.8963 Ebd., S.8964 Ebd., S.9065 Vgl. ebd., S.90f66 Vgl. ebd., S.91

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sie uns heute durch die Medien hinweg überall begegnen, ist somit unweigerlich mit

dem Grundstein unserer modernen (post-)industrialisierten und technisierten

Gesellschaften verbunden, der industriellen Revolution des frühen 19. Jahrhunderts.

Es ist der Beginn von Handlungsbögen, die die jeweilige Einzelveröffentlichung

übergreifen und von der indirekten Kommunikation des Rezipienten mit dem Autor.

Daraus resultiert eine neue Art von Erzählung, die sich unter ständiger

Aufrechterhaltung ihrer Grundcharakteristika gleichzeitig auch immer wieder neu

erfinden muss, um mit dieser Mixtur aus Konvention und Abweichung ihr Publikum

anzusprechen als auch potentiell zu erweitern. Wie Frank Kelleter und Daniel Stein

in der Auseinandersetzung mit der damit unmittelbar verbundenen Entstehung des

Comic-Mediums festhalten, kann „die Spannung zwischen Reproduktion und

Fortsetzung, Invarianz und Innovation […] als das zentrale Strukturprinzip der

Ästhetik populärer Serialität, ja vielleicht des historischen Systems der

amerikanischen Populärkultur insgesamt identifiziert werden.“67

Natürlich wurde diese Entwicklung von Advokaten klassischer Literatur und den

oberen (Kultur-)Eliten des 19. Jahrhunderts äußerst kritisch gesehen. Literarische

Fiktion und Romane waren sowieso erst seit kürzerer Zeit in den höheren Kreisen der

Gesellschaft als legitimer Zeitvertreib akzeptiert und für die lautstarken

Kulturkritiker der Oberschicht waren Fortsetzungsgeschichten einmal mehr der

Untergang der westlichen Zivilisation, wie es so viele weitere Formen von neuen

Medien in den folgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten auch noch sein sollten.

Dickens war weit davon entfernt als der einflussreiche englische Autor zu gelten, als

der er heute wahrgenommen wird; vielmehr war er Unterstützer einer neuen Form

von Unterhaltung, die die Allmachtstellung der klassischen Kulturgüter der Elite

gefährdete: Unterhaltung für die Masse, für das große Publikum. Auch die Angst

davor, dass sich der Leser nun komplett in den fiktiven Welten verlieren und die

Aufregung der ständig fortgesetzten Geschichten den Banalitäten des Alltags

vorziehen würde, war zu diesem Zeitpunkt ein kontrovers diskutiertes Thema. Die

Faszination von immersiven Erzählwelten und die Angst vor dieser Faszination

waren dementsprechend schon damals Bestandteil des kritischen Diskurses über neue

67 Kelleter, Frank; Stein, Daniel (2009): Great, Mad, New. Populärkultur, serielle Ästhetik und der frühe amerikanische Zeitungscomic. In: Ditschke, Stephan; Kroucheva, Katerina; Stein, Daniel (Hg.) (2009): Comics. Zur Geschichte und Theorie eines populärkulturellen Mediums. Bielefeld: transcript, S. 57

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Medien.68 Zum Ende des 19. Jahrhunderts sanken die Kosten der Bücherproduktion

immer mehr und die monatliche Veröffentlichung von Roman-Stoffen verringerte

sich stetig. Stattdessen dominierten nun Magazine mit Kurzgeschichten den

monatlichen Markt. Um die Jahrhundertwende herum begann sich vor allem in den

USA eine Szene rund um die Genre-Stoffe von Amateur- als auch erfahrenen

Autoren zu etablieren, die ihre gewöhnlich in sich geschlossenen Horror, Abenteuer-

oder Science-Fiction-Geschichten in den monatlichen Ausgaben der Groschen-

Magazine veröffentlichten, die die ursprünglichen Fortsetzungsromane als populäres

Lesemedium ablösten.69 Serielles Erzählen verschob sich derweil zunächst in andere,

neuere Medien wie das Radio (The Shadow) oder später in Form von Movie-Serials

auch in das junge Kino. Aber in den literarischen Entwicklungen des letzten

Jahrhunderts, hervorgehend aus Fortsetzungsroman und Genre-Groschenheft, sollte

auch der Samen für eine neue Form der gedruckten Unterhaltung liegen. Mit bunten

Bildern und runden Sprechblasen.

3.1.1 Der Aufstieg der Comics in den USA

Für das Medium Comic gibt es viele unterschiedlich gewichtete Definitionen,

allgemein beschreibt der Ausdruck aber eine sequentielle Folge von Bildern, die

durch das so genannte „gutter“ (das meistens weiß gehaltene Gitternetz zwischen

den Bildern) gerahmt wird und die darüber hinaus auch Textelemente aufweisen.70

Comics existierten vor Beginn des 20. Jahrhunderts zunächst nicht als eigenständiges

Medium, sondern fungierten in Form von wenigen Bildern umfassenden

Kurzgeschichten vor allem als Mittel zur Auflockerung in Tageszeitungen. Als erstes

(amerikanisches) Comic-Strip gilt The Yellow Kid, auch wenn es weltweit weitaus

frühere Vorläufer-Varianten von Bilder-Kurzgeschichten gab. Die ersten eigenständig

in den USA produzierten Comichefte waren dementsprechend auch nur Sammlungen

zuvor bereits in Zeitungen publizierter Arbeiten. Erst als in den Nachwehen der

68 Vgl. Weaver, Tyler (2013), S.92f69 Vgl. ebd., S. 2670 Vgl. Etter, Lukas; Hoppeler, Stephanie; Rippl, Gabriele (2009): Intermedialität in Comics. Neil Gaimans Sandman. In: Ditschke, Stephan; Kroucheva, Katerina; Stein, Daniel (Hg.) (2009): Comics. Zur Geschichte und Theorie eines populärkulturellen Mediums. Bielefeld: transcript, S. 57

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Weltwirtschaftskrise 1929 ein stetig wachsender Bedarf an den eskapistischen

Bildergeschichten die Verleger der Comic-Sammelbände dazu brachte, neue Stoffe

für die monatliche Veröffentlichung von ihren Heften zu produzieren, machte das

junge Medium den ersten entscheidenden inhaltlichen Schritt in die Richtung, die die

strahlenden Anfangsjahre der Comic-Kunst, das Golden Age, definieren sollte: Die

Geburt der Superhelden.7172 Tyler Weaver beschreibt die Erfindung des Superhelden

euphorisch, wie man es ihm als aktiver Comic-Autor wohl kaum verübeln kann, als

„the greatest contribution to storytelling of the past hundred years“ und als ein

„cocktail of the archetypes of mythology and the power fantasies of male teenagers

emerging from the Great Depression.“73

Die ersten Comic-Helden mit Superkräften waren Symptome ihrer Zeit. Erdacht von

junge Männern, die sich in den Jahren der Weltwirtschaftskrise mit der Ohnmacht,

die Dinge um sich zu ändern, konfrontiert sahen und sich stattdessen lieber in

eskapistische Machtfantasien flüchteten, kämpften die Helden des Golden Age ohne

Zweifel für das Gute und triumphierten Mal um Mal. Dieser Idealismus gepaart mit

der inzwischen wirtschaftlichen Erfahrung und Aufmerksamkeit der Verleger von

populären Lesestoffen sorgte für den ersten großen Comic-Boom in den USA, der

nicht vor Ende der 1940er wieder abebben sollte. Schließlich sah sich Amerikas

junge Generation mit einer mehr und mehr düsteren Realität durch den Aufstieg des

Faschismus in Europa und Asien und der immer größer werdenden

Wahrscheinlichkeit eines erneuten Weltkrieges konfrontiert.74

Eine dieser Allmachtsphantasien war der von Jerry Siegel und Joe Shuster erdachte

letzte Sohn Kryptons Kal-El, besser bekannt unter seiner Heldenidentität Superman.

Aufgezogen von dem irdischen Ehepaar Martha und Jonathan Kent, ist Superman

auch deshalb ein uramerikanisches Symbol, weil er genau wie die meisten Vorfahren

der heutigen US-Bevölkerung (sowie die Eltern seiner jüdischen Erfinder) ein

Einwanderer ist, der nach dem Untergang seiner Welt in den USA eine neue Heimat

gefunden hat. Shuster und Siegel verkauften die Rechte an der Figur später für

gerade einmal 130 Dollar an die Verleger Malcolm Wheeler-Nicholson und Harry

Donnerfeld, deren Detective Comics auch die Initialen für ihren neu geformten

71 Vgl. Etter, Lukas; Hoppeler, Stephanie; Rippi, Gabrielle (2009), S. 55ff72 Vgl. Anhut, Anjin; Ditschke, Stephan (2009), S. 16673 Weaver, Tyler (2013), S.6374 Vgl. ebd., S.63

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Verlag bereitstellen sollten. Siegels und Shusters zuvor von Zeitungen abgelehnte

Superman-Comic-Strips debütierten schließlich 1938 als Gesamtausgabe in Form

von DC Comics Action Comics #1. Ein Jahr später publizierte Martin Goodmann,

ehemaliger Pulp-Verleger, wie auch die Konkurrenten von DC, über seinen in den

1930er-Jahren gegründeten Verlag Timely den Band Marvel Comics #1 und initiierte

damit den Urknall des heutigen Marvel-Universums.75

3.1.2 Marvel-Comics – Ursprünge, Kontinuität und Intertextualität

Der erste große Erfolg der Marvel-Comics ist eng mit der Geschichte des Zweiten

Weltkrieges verknüpft. Wie kaum eine anderes Unterhaltungsmedium zu dieser Zeit

thematisierten die monatlichen Marvel-Geschichten regelmäßig die

Schreckensherrschaft der Nazis in Europa und schickten frühe Helden wie The

Human Torch und Sub-Mariner in den Kampf gegen Hitlers Schergen. Gallionsfigur

dieser idealisierten, proamerikanischen Phase war der 1941 eingeführte

schwächelnde Patriot Steve Rogers, der sich nach der Injektion eines

Supersoldatenserums in den übermächtigen Captain America verwandelte und sich

gleich mit der ersten Ausgabe in die Köpfe der amerikanischen Comic-Leser brannte,

da das Cover-Motiv einen durch Captain Americas rechten Haken zu Boden

gehenden Adolf Hitler zeigte.7677

Sowieso unterscheidet sich Marvel seit Beginn an durch einen "realistischeren

Ansatz" (sofern man im Superhelden-Genre überhaupt von Realismus sprechen

kann) von anderen Comic-Universen. Nicht nur finden die Geschichten an realen

Orten wie New York City statt (DC-Helden dagegen bevölkern gewöhnlich fiktive

Städte wie Metropolis oder Gotham), auch ihre Helden menscheln in Bezug auf ihre

Schwächen, Probleme und Beziehungen mehr, als die eher an mythische Archetypen

angelehnten DC-Charaktere.78 Die Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg

und die "Mobilmachung" der Marvel-Helden war diesem Ansatz ebenfalls zuträglich:

"While Timely took the fight to Hitler and stirred up the patriotic passions of

75 Vgl. ebd., S.64ff u. S.7276 Vgl. ebd., S.75ff77 Marvel Comics (1941): Captain America Comics #1 78 Vgl. Weaver, Tyler (2013), S.73

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American children and adults, DC, for the most part, sought to be an escape."79 Diese

Nähe zum jeweiligen Zeitgeist zeichnet bis heute eine Qualität der Marvel-

Veröffentlichungen aus, wie z.B. die Einführung der X-Men, die in den Zeiten der

aufkommenden amerikanischen Bürgerrechtsbewegungen mit ihren seit Geburt an

vorhandenen Superkräften das Recht auf Gleichstellung für alle gesellschaftlichen

Minderheiten symbolisierten80 oder die in der Post-11/9-Ära veröffentlichte Civil

War-Reihe, in der ein an den Patriot Act angelehntes, von der Regierung

verabschiedetes Gesetz alle Helden dazu zwingt, ihre geheimen Identitäten

aufzugeben und die Heldengemeinde darauf in zwei verfeindete Lager spaltet,

jeweils angeführt durch die einstigen Waffenbrüder Captain America und Iron Man.81

Nach dem wirtschaftlichen Höhenflug des Golden Age (Ende 1942 wurden monatlich

eine Million Exemplare von Comics wie Superman oder Captain America abgesetzt,

derweil waren über 30 Prozent des gesamten gedruckten Materials, das an US-

Militär-Basen geschickt wurde, Comichefte82) mussten sich Comics in den

Nachkriegsjahren zunächst neu erfinden. Erstens wirkte sich der anhaltende Krieg so

negativ auf Amerikas Ressourcen aus, dass Papier praktisch zum Luxusgut wurde,

wodurch viele kleinere Verlage pleite gingen, zweitens sank die Qualität der Hefte

erheblich, da im Laufe des Krieges viele der ursprünglichen Zeichner und Autoren

selber eingezogen wurden.83 Mit dem Krieg endete auch die Schwarz-Weiß-Moralität

der Comichelden und die sich zu einem relevanten Wirtschaftszweig entwickelte

Comic-Industrie musste sich auf die Suche nach neuen Gegenspielern für ihre

Helden machen, wie auch die USA selbst.84

Die 1950er waren das Jahrzehnt, das das junge Comic-Medium beinahe zerstörte.

Pädagogen und Psychologen machten Comics für die Verrohung der Jugend und die

steigende Kriminalität verantwortlich, was zur Einführung der Comics Code

Authority führte, einem Auflagenkatalog nach dem sich die Artisten inhaltlich und

ästhetisch fortan streng nach zu richten hatten. Zudem wirkten viele der

ursprünglichen Helden wie Relikte aus einer anderen Zeit und hatten ihre

79 Ebd., S.7780 Vgl. ebd., S.17781 Vgl. Watkins, Liz (2012): Marvel's Civil War. Media Research. http://distortedeight.files.wordpress.com/2013/02/reseach-paper.pdf [Stand: 09.06.2013] 82 Vgl. Weaver, Tyler (2013), S. 7683 Vgl. ebd., S. 77f84 Vgl. ebd., S.81

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gesellschaftliche Relevanz verloren. Marvel-Verleger Timely – jetzt unter dem

Namen Atlas geführt – standen kurz vor dem finanziellen Ruin.85

Verlagsinhaber Goodman strich die Belegschaft auf eine kleine Gruppe von Autoren

und Zeichner zusammen, u.a. die Brüder Stan und Larry Lee. Inspiriert durch den

jüngsten Erfolg des DC Verlages, die Erneuerung ihrer Helden durch den Team-Band

Justice League of America86, schuf Stan Lee unter der Anweisung Goodmanns die

Fantastic Four87, die den Beginn des neuen Marvel-Universums einleiten sollten.

Ihnen folgten zahlreiche neue (Spider-Man, Hulk, X-Men usw.) und revitalisierte

Versionen älterer Helden, wie der aus dem Kälteschlaf wiedererweckte Captain

America, der fortan Marvels neues Superhelden Team (The Avengers) anführen

sollte. Lee rettete so nicht nur den angeschlagenen Verlag, sondern schuf viele der bis

heute beliebtesten Helden der Marvel-Comics und errichtete das Grundgerüst für ein

Erzähluniversum, das sich einerseits ständig neu erfinden sollte, ohne dabei aber das

Vorhergekommene zu ignorieren.88 Stattdessen arbeiteten die Artisten unter Lee das

Erbe des Golden Age in ihre neuen Geschichten mit ein und sorgten für eine

fließende Kontinuität der Geschichten durch das Silver Age und alle folgenden

Comic-Zeitalter hinweg.

3.1.3 "The Marvel Method" und die fünf Säulen des Marvel-Universums

Stan Lee und sein Team entwickelten in den 1960ern eine neue Methode zur

Produktion der eigenen Comic-Reihen. Dank des kleinen, überschaubaren Teams war

Lee sowohl der hauptverantwortliche Autor sämtlicher Superhelden-Abenteuer als

auch Editor und Art Director. Mit mehr und mehr monatlich erscheinenden

Veröffentlichungen musste er eine Arbeitsmethode entwickeln, um die

Geschwindigkeit der Produktion zu erhöhen, ohne dabei Einbuße bei der Qualität zu

verursachen. Lee erstellte deshalb für neue Geschichten nur noch ein narratives

Grundgerüst, das den groben Verlauf der jeweiligen Geschichte darstellen sollte. Die

Umsetzung und der visuelle Charakter lag anschließend in der Hand der jeweiligen

85 Vgl. ebd., S.93ff86 DC Comics (1960): Justice League of America #1 87 Marvel Comics (1961): The Fantastic Four #1 88 Vgl. Weaver, Tyler (2013), S.110f

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Zeichner. Durch die geringen Limitierungen entwickelten die Comics von Marvel so

schnell eine stetig komplexer werdende visuelle Sprache und Gestaltung. Erst im

Nachhinein versorgte Lee die Bilder schließlich mit Titeln und Dialogen. Das

Ergebnis war ein vielfältiges, sich ausbreitendes Erzähluniversum, das trotz seiner

verschiedenen Erzählungen und Helden durch eine Autor-Autorität gesteuert wurde,

die dessen Kohärenz sicherstellte.89 Tyler Weaver beschreibt fünf grundlegende

Säulen als die entscheidenden Qualitäten, auf denen Marvel sein Erzähl-Fundament

errichtete:

"From the first Marvel Comics in1939, a focus on character and other

key traits have defined the Marvel stable of heroes and titles. With the

Fantastic Four, Lee brought those defining principles of story

development to a new generation with a dash of the national obsession

with space and the fears of the atomic bomb that pervaded the 1950s and

1960s. The Marvel Universe was both of its time and timeless."90

Diese fünf "key traits" benennt Weaver wie folgt: "The Flawed Protagonist91",

Helden, die trotz ihrer Superkräfte sich auch mit alltäglichen Problemen und den

inneren Dämonen auseinander setzen müssen und deswegen gerade für die jüngere

Leserschaft oft mehr Identifikationspotential bereit halten. "The Core Concept92",

jeder Heldengeschichte liegt ein universelles Thema zu Grunde, das durch die

verschiedenen Abenteuer der Helden erforscht wird (Spider-Man = Verantwortung,

Fantasitc Four = Familie, Hulk = Wut). "In Your Backyard93", die Marvel-

Geschichten finden an stilisierten Versionen realer Lokalitäten statt, wodurch die

Realität überzeichnet wird, anstatt komplett negiert. "The Shared Universe94", die

Geschichten und Mythologien der verschiedenen Helden werden in einem

Erzähluniversum miteinander verschmolzen und zu einer Hyperdiegese geformt.

Alles, was irgendwo in einem der Comics passiert, hat dadurch potentiell Relevanz

89 Vgl. ebd., S.111f90 Ebd., S.11391 Ebd., S.11292 Ebd., S.112f93 Ebd., S.11594 Ebd., S.115f

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für die Ereignisse zukünftiger Geschichten. "Plot Versus Charachter95", die

Geschichten der einzelnen Helden sind stets eng an ihre Persönlichkeit gebunden. Im

Gegensatz zu anderen Comics sind die Plots der verschiedenen Heldenfiguren nicht

beliebig austauschbar, sondern auf die Lebensumstände und Erlebnisse der

jeweiligen Figur zugeschnitten.

3.1.4 Intertextualität, Metaebene und Partizipation

Anjin Anhut und Stephan Ditschke thematisieren mit Bezug auf Peter Coogans

Dissertation Superhero die Zunahme an Selbstreferentialität in Superheldencomics

im Laufe der Genre-Geschichte. „Erstens wird […] sowohl quantitativ als auch

qualitativ in zunehmendem Maße transformatorisch Bezug auf die Genre-Regeln

genommen […]. Zweitens wird in zunehmendem Maße genrereflexiv erzählt.“96

Bereits seit frühen Tages des Superheldencomics sind intertextuelle Verweise und

Handlungselemente Teil der Comic-Geschichte. Das Aufeinandertreffen

verschiedener Helden ("crossover") war eine gewöhnlich durch die Verleger

geförderte Innovation, die sich durch die inhaltliche Erweiterung vor allem

finanzielle Vorteile erhofften.97 Eine logische Konsequenz aus den Crossover-Bänden

waren die Teambücher, die ebenfalls in Form von DCs Justice Society of America98

bereits in den 1940ern ihren Einzug hielten. Anstatt allerdings gemeinsame

Abenteuer zu bestehen, erzählten sich die Helden der Justice Society ihre einzelnen

Abenteuer in Sitzungen, die den eigentlichen Geschichten als Rahmenhandlung

dienten. Teambücher dienten außerdem dazu, die Tauglichkeit neuer Helden beim

Publikum zu testen, beliebte Charaktere erhielten nach positivem Feedback

anschließend oft eigene Veröffentlichungen.99

DCs Justice League und Marvels The Avengers wurden in den 1960ern zu

monatlichen Bestsellern, wobei letztere Veröffentlichungen durch die Jahre 1971/ 72

geprägt wurden, in denen der unter Stan Lee (inzwischen Geschäftsführer von

95 Ebd., S.11696 Anhut, Anjin; Ditschke, Stephan (2009):,S. 16297 Vgl. Waver, Tyler (2013), S.7698 DC Comics (1940): All Star Comics #399 Vgl. Waver, Tyler (2013), S. 77

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Marvel) arbeitende Editor-in-Chief Roy Thomas einen fortlaufenden Konflikt der

Avengers-Helden mit außerirdischen Invasoren inszenierte, der die Kontinuität aller

bis dahin erschienenen Marvel-Veröffentlichungen zusammenzog und damit dem

Marvel-Universum die Relevanz einer seit den 1930ern fortlaufenden Erzählung

überstülpte.100 Darüber hinaus enden die Möglichkeiten im Superhelden-Comic nicht

an den Grenzen eines Erzähluniversums, in manchen Fällen werden komplett neue

Paralleluniversen eröffnet, in denen Figuren alternative Schicksale erwarten oder

wichtige Ereignisse anderes verlaufen. In diesem "multiverse"101 existieren also

mehrere Hyperdiegesen nebeneinander und in einigen Fällen werden die Grenzen

zwischen den Universen geöffnet, um Interaktion zwischen den verschiedenen

Figurenversionen möglich zu machen. Auch Marvel führte im neuen Jahrtausend, auf

die Comic-Krise der 1990er reagierend, ein alternatives Erzähluniversum ein

(Marvel Ultimate). In diesem neuen, vom klassischen Marvel-Universum komplett

separiertem Erzählkosmos, wurden viele der bekannten Figuren in Bezug auf ihre

Erscheinung und Charakteristika erneuert und die Kausalität der einzelnen

Geschichten noch enger zusammengebunden. Insbesondere wurden Figuren auch in

Bezug auf ihre Ethnie überarbeitet; so ist Nick Fury neuerdings ein Afroamerikaner

(wie auch in Marvels Kino-Universum) und der ursprüngliche Spider-Man Peter

Parker wird nach seinem dramatischen Tod durch einen jungen Nachfolger mit afro-

und lateinamerikanischen Wurzeln ersetzt.102

Verknüpft mit der Idee eines „Multiversums“ ist der Einsatz einer

selbstreferenziellen Metaebene in den Comics. So führte DC in den 1960ern eine

neue Variante des klassischen Helden The Flash ein, der selber Comic-Leser war und

die Geschichten der ursprünglichen Figur aus dem Golden Age kannte. Die Figur

namens Barry Allen mochte den klassischen Helden so sehr, dass sie seine Identität

annahm und so zur Reinkarnation des klassischen Helden wurde.103 In einer der

späteren Ausgaben besuchte er dann sogar schließlich eine alternative Realität, in der

die Helden des Golden Age noch existierten und der neue Flash auf den

ursprünglichen Helden traf.104 Bei Marvel hingegen wurde u.a. die Figur Sub-

100 Vgl. ebd., S.149101 Ebd., S.106102 Vgl. ebd., S.198ff103 Vgl. ebd., S.101f104 Vgl. ebd., S.106

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Mariner wieder eingeführt, in dem ein Mitglied der Fantastic Four den ehemaligen

Helden als Obdachlosen auf der Straße erkannte (und zwar durch die Abbildung auf

einem Comic aus dem 1940ern).105 Das Medium entwickelte so schon in den 1960ern

ein großes Maß an Selbstreflexivität und spielte mit den eigenen Konventionen sowie

mit dem Wissen des Rezipienten. Dieses Spiel mit der vierten Wand zwischen

Fiktion und Realität förderte bei aufmerksamen Lesern so zusätzlich das

Rezeptionsengagement.

Die Interaktion mit den Fans war neben der Produktionsweise auch ein Feld, das der

damalige Editor Stan Lee in den 1960ern stark ausbaute und kultivierte. Er führte

nicht nur personalisierte Vorwörter ein, die interessierten Lesern die Menschen hinter

dem Medium näher brachten, sondern motivierte sie auch dazu, dem Verlag beim

Entdecken möglicher Kontinuitätsfehler oder anderen Lücken in der Handlung zu

schreiben, worauf jeder Hinweis scherzhaft mit der Rücksendung eines leeren

Briefumschlags belohnt wurde (dem Marvel-No-Prize), der den Lesern aber

immerhin bestätigte, dass ihre Einsendungen wahrgenommen wurden und die

erfolgreiche Kommunikation mit den Machern bestätigte. Da Lee alle wichtigen

Stränge des Marvel-Universums in seinen Händen hielt, entwickelte sich über die

Jahre ein immer individuellerer Ton in den Erzählungen. Lee gab den Lesern das

Gefühl, Teil der Geschichte zu sein und Einfluss auf die Ereignisse zu haben, anstatt

passiv einfach nur neue Geschichten erzählt zu bekommen.106

Nachdem die US-Comic-Industrie in den 1990ern u.a. auch durch die Spekulationen

auf den Sammlerwert von Heften fast kollabiert war und Marvel sich in seiner

damaligen Form für Bankrott erklären musste, haben sich Comics im letzten

Jahrzehnt darauf zurückbesonnen, dem Leser vor allem gesetzte Geschichten mit

Event-Charakter zu erzählen. Ähnlich wie jüngst im Bereich der TV-Serien lösen

dabei Einzelausgaben übergreifende Handlungsbogen die klassische episodische, in

sich abgeschlossene Erzählweise ab:

105 Vgl. ebd., S.110f106 Vgl. Ebd., S.128f

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"Storylines cross over. Characters from wildly divergent backgrounds

meet at random moments. An overarching mystery beguiles the

characters in the serio-episodic stories. An event brings a group of heroes

together; their might is the only thing that can stop the evil plaguing the

world. No, this isn't an episode of Heroes or Lost. It's the state of comic

books in the 21st century, inspired as much by shows like Lost and Dexter

as the comics that came before [...]."107

Doch der Beginn des 21. Jahrhunderts stellt nicht nur eine Phase dar, in dem sich die

klassische Comic-Industrie zu revitalisieren versucht; es ist auch eine Ära, in der ihre

Helden vollends ein anderes Medium erobern sollten: das Kino.

107 Ebd., S.195

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4. Kapitel 3 – Marvel on the Big Screen

4.1 Die Evolution der Marvel Studios

Die Adaption der hauseigenen Franchises und Charaktere für Film und Fernsehen ist

ein Ziel, das Marvel schon seit geraumer Zeit verfolgte, allerdings lange mit

ausbleibendem Erfolg. Abgesehen von einigen Ausnahmen wie der TV-Adaption des

Hulk (ab 1977), die über ein Jahrzehnt hinweg zuerst erfolgreich als Serie und später

in Form von TV-Filmen im amerikanischen Fernsehen zu sehen war108, erfüllten viele

andere Umsetzungen weder die Erwartungen der Fans noch die des Lizenzgebers.109

Erst in den späten 1990ern wendete sich zunächst mit der Umsetzung des

Vampirjägers BLADE (USA 1998) und schließlich mit X-MEN (USA 2000) und

SPIDER-MAN (USA 2003) das Blatt. Insbesondere die letzten zwei Adaptionen

sollten den Startpunkt für zwei bis zum heutigen Tag mehr als rentable, international

erfolgreiche Hollywood-Franchises darstellen. Das 1993 als Unterarm von Marvel

Entertainment gegründete Film- und Fernsehproduktionshaus Marvel Films, 1996

unbenannt in Marvel Studios, fungierte bei diesen ersten Produktionen nur in der

Rolle des Lizenzgebers – die Rechte an beiden Kino-Franchises halten bis heute die

Filmstudios 20th Century Fox (X-MEN) und Sony Pictures (SPIDER-MAN).110

Inspiriert durch den bis heute erheblichen Erfolg dieser Produktionen entschieden

sich Marvel Studios 2004 in Form der MVL Productions LLC dazu, direkt in die

Produktion ihrer Hausmarken einzusteigen und die Filme fortan selber zu

finanzieren. Ziel war es dabei von Beginn an, angelehnt an die ursprünglichen

Comics ein über die jeweiligen Einzelfilme hinausreichendes Erzähluniversum zu

kreieren, das Stück für Stück, zunächst nur mit einigen Querverweisen, die sich

später zu kompletten Subplots entwickeln sollten (mehr dazu im folgenden Kapitel),

in den einzelnen Filmen etabliert werden sollte.111 Als Finanzierungsgrundlage diente

Marvel eine Geldanleihe von über einer halben Milliarde Dollar, die auf einem Pitch

für zehn Verfilmungen basierte, die in den Folgejahren mit regelmäßigen Abständen

108 Vgl., Eba. S. 155f109 Vgl., Eba. S. 192f110 Vgl., Eba. S. 193111 Vgl., Eba. S. 194

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veröffentlicht werden sollten. Als Filmverleiher konnte Paramount Pictures

gewonnen werden, angedacht war der Kino-Release von je zwei Marvel-

Verfilmungen jährlich ab 2008.112 Die ursprünglich geplanten zehn Verfilmungen

sollten sich einmal abgesehen von Captain America eher um unbekannte Figuren aus

dem Verlag wie u.a. Black Panther oder Dr. Strange drehen, da Marvel in den

Vorjahren beinahe die Rechte an allen bekannteren Figuren an externe Partner

verkauft hatte.113 Doch Marvel gelang es in den Folgejahren die Rechte an Iron Man,

Black Widow, Hulk und Thor von jeweils verschiedenen Filmstudios oder

Produktionsfirmen zurückzukaufen. Schließlich löste 2007 David Meisel, vorheriger

COO der Marvel Studios, Avi Arad als Chairmann des Unternehmens ab und

Filmproduzent Kevin Feige, der bereits bei zahlreichen externen Marvel-

Kinoadaptionen in der Rolle des Produzenten fungiert hatte, wurde mit dem Beginn

der Dreharbeiten zu IRON MAN zum President of Production ernannt.114

Feige ist dabei für mehr verantwortlich als die bloße in sich abgeschlossene

Produktion der einzelnen Marvel-Filme, sondern plant und überwacht die einzelnen

Franchises auch als Teil des größeren Erzähluniversums, dem Marvel Cinematic

Universe. Damit erfüllt er in produktionstechnischer Hinsicht eine ähnliche Rolle wie

Stan Lee seinerzeit als Editor-in-Chief der Marvel-Comics, wie auch die New York

Times 2011 in einem Artikel über Feige und seinen speziellen Ansatz zur Produktion

eines Multi-Fanchise-Universums anmerkt:

"In the 1960s, when Stan Lee was editing and writing nonstop for

Marvel, he broke fresh ground in comics by intertwining the roster of

characters and stories into a shared universe. Now Mr. Feige is doing the

same thing with the movies, first introducing characters like Captain

America and Iron Man to multiplex audiences and then, as Mr. Lee did in

the comics, weaving them together as a team called the Avengers that

112 Vgl. Vincent, Roger (2005): Marvel to Make Movies Based on Comic Books. http://articles.latimes.com/2005/sep/06/business/fi-marvel6 [Stand: 15.06.2013]113 Vgl. SuperHeroHype (2005): Marvel Launches Independent Film Slate. http://web.archive.org/web/20071111020052/http://www.superherohype.com/news.php ?

id=3456 [Stand: 15.06.2013]114 Vgl. Leonard, Devin (2007): Marvel goes Hollywood (cont.).

http://money.cnn.com/magazines/fortune/fortune_archive/2007/05/28/100034246/index2.htm [Stand: 15.06.2013]

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will have its own series of films."115

Im Weiteren sieht der Artikel Feiges Erfolg in einer fruchtbaren Mischung aus

Konservatismus und Risikobereitschaft. Konservatismus in Bezug auf den Umgang

mit den Geschichten und Figuren des Marvel-Universums, da Feige im Gegensatz zu

vielen anderen aktuellen Comic-Verfilmungen die Ursprünge und wesentlichen

Charakterzüge der Figuren respektiere und dafür sorgen würde, dass ihre

Kinoinkarnationen sowohl den ursprünglichen Fans aber auch einem breiten

Multiplex-Publikum gefallen würden, dank leichten zeitgenössischen

Überarbeitungen und einem Hang zur Selbstironie.

Die Risikobereitschaft hingegen zeige sich vor allem bei den teilweise

ungewöhnlichen Talenten, die Feige für die Umsetzung der Stoffe engagiere.

Angefangen bei der Verpflichtung des durch die Rolle des Tony Starks / Iron Man

zum Superstar avancierten Robert Downey Jr., der vor seinem Einstand als Superheld

vor allem durch Rauschmittel-Exzesse und Ärger mit der Justiz für Aufsehen sorgte,

bis hin zu der ungewöhnlichen Entscheidung, den englischen, Shakespear-erprobten

Charakter-Darsteller und Regisseur Kenneth Branagh die Verfilmung von Thor

anzuvertrauen, der die Geschichte rund um den hammerschwingenden Hünen

erfolgreich in einen Balanceakt zwischen kosmischer Hamlet-Aufführung und

selbstironischer Fish-out-of-Water-Geschichte adaptierte.116 Dieser Trend setzt sich

fort bis hin zu jüngsten Deals, wie z.B. Shane Black, einem der in den 1980ern

bestbezahlten (und in den 1990er aufgrund mehrerer Flops abgestürzten)

Drehbuchautoren Hollywoods, für Drehbuch und Regie von IRON MAN 3 (USA

2013) zu verpflichten (eine Entscheidung, die sich mit knapp 1,2 Milliarden Dollar

Einspielergebnis auf dem internationalen Markt117 deutlich ausgezahlt hat) oder die

Wahl von James Gunn, vor allem bekannt als Kult-Regisseur der unabhängigen

Horror- und Genre-Produktionsfirma Troika, der für Marvel das Weltraumabenteuer

GUARDIANS OF

115 Barnes, Brooks (2011): With Fan at the Helm, Marvel Safely Steers Its Heroes to the Screen. http://www.nytimes.com/2011/07/25/business/media/marvel-with-a-fan-at-the-helm-steers-its-

heroes-to-the-screen.html?pagewanted=all&_r=1& [Stand: 15.06.2013]116 Vgl. ebd. 117 Vgl. http://www.boxofficemojo.com/movies/?id=ironman3.htm [Stand 15.06.2013]

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THE GALAXY 2014118 in die Kinos bringen wird. Feiges größter Coupe mag aber

die enge Zusammenarbeit mit dem zuvor vor allem durch TV-Serien wie Buffy und

Angel bekannten Autor und Regisseur Joss Whedon darstellen, der ursprünglich mit

dem Drehbuch und der Regie des ersten großen Aufeinandertreffens der Marvel-

Helden THE AVENGERS (USA 2012) beauftragt wurde, inzwischen allerdings als

kreative Autorität über die erzählerischen Aspekte aller Marvel-Verfilmungen wacht,

an diversen Drehbüchern mitarbeitet und den Verlauf der Ereignisse über die

einzelnen Filme hinweg plant. Außerdem zeichnet sich Whedon auch

mitverantwortlich für die im Herbst auf ABC startende TV-Serie Marvel's Agents of

S.H.I.E.L.D.119, die die Welt der Kinofilme aus der bodenständigen Perspektive der

unter Nick Fury arbeiteten Geheimagenten zeigt, die immer wieder in die Konflikte

der Superhelden mit hinein gezogen werden. Whedon schrieb u.a. das Drehbuch für

den TV-Piloten und übernahm auch hier die Rolle des Regisseurs120121. In diesem

Sinne ist er einer der wenigen Filmschaffenden, die wirklich transmedial an einem

Stoff arbeiten und auch direkt für deren Umsetzung in dem jeweiligen Medium (hier

Kino und TV) zuständig sind. Whedon stellt in dieser Hinsicht das symbiotische

Gegenstück zu Produzent Kevin Feige dar, da beide zusammen in sich die

Tätigkeiten eines inter- bzw. transmedialen Produzenten und Autors vereinen,

ähnlich wie es Stan Lee früher bei Marvel tat, und so besonders innerhalb der Fan-

Community eine Art Auteur-Rolle übernehmen, ähnlich wie bereits zuvor von Matt

Hills beschrieben (siehe Seite 20).

Marvel Entertainment Inc. wurde derweil Ende 2009 komplett von der Walt Disney

Company für 4 Milliarden Dollar aufgekauft, die bei zukünftigen Projekten als

Filmverleiher fungieren wird.122

118 Vgl. http://www.imdb.com/title/tt2015381/ [Stand 15.06.2013]119 Vgl. http://www.agentsofshield.com/ [Stand 15.06.2013]120 Vgl. http://marvel.com/news/story/19196/joss_whedon_to_write_direct_avengers_2 [Stand:

15.06.2013]121 Vgl. Anders, Charlie Jane (2012): Why Joss Whedon's Exclusive Marvel Contract Could

Actually Be a Big Deal. http://io9.com/5933460/why-joss-whedons-exclusive-marvel-contract-could-be-a-big-deal

[Stand: 15.06.2013]122 Vgl. Fixmer, Andy; Rabil, Sarah (2009): Disney’s Marvel Buy Traps Hollywood in Spider-Man

Web (Update2). http://www.bloomberg.com/apps/news?pid=newsarchive&sid=aU_kuPju0Ngo [Stand:

15.06.2013]

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4.2 Marvel Cinematic Universe – Phase One

In einem Interview mit movieweb.com spricht Marvel Studios President of

Production Kevin Feige über die Herausforderungen, ein Erzähluniversum in

Anbetracht zukünftiger Filme zu konstruieren:

"If the fans want to look further and find connections than they're there.

There are a few big ones obviously, that hopefully the mainstream

audience will be able to follow as well. But the most important thing and

I think the reason that all the filmmakers are on board is that their movies

need to stand on their own. They need to have a fresh vision, a unique

tone and the fact that they can interconnect if you want to follow those

breadcrumbs is a bonus."123

Die erste Reihe von sechs Filmen, die die einzelnen Helden einführen und sie

schließlich als die Avengers zusammen führen sollte, wird von Marvel selbst als

Phase One bezeichnet.124 Neben den titelgebenden Helden aus IRON MAN, THE

INCREDIBLE HULK, IRON MAN 2, THOR und CAPTAIN AMERICA: THE

FIRST AVENGER wurden im Laufe der Filme außerdem die Charaktere Nick Fury,

Black Widow, Hawkeye und S.H.I.E.L.D.-Agent Phil Coulson als Nebenfiguren

eingeführt, die im Plot von THE AVENGERS wichtigere Rollen übernehmen.

Insbesondere der speziell für das Kino-Universum entworfene Phil Coulson spielt

eine Schlüsselrolle als verbindendes, handlungsübergreifendes Element der erzählten

Welt der Filme als auch ihrer diversen transmedialen Erweiterungen (dazu mehr in

der auf dieses Kapitel folgenden Analyse).

Laut einer Liste der wirtschaftlich erfolgreichsten Kino-Franchises aller Zeiten125,

basierend auf den internationalen Einspielergebnissen der jeweiligen Einzelfilme

(nicht inflationsbereinigt), hat Marvels Phase One über 3,8 Milliarden Dollar an den

123 Philbrick, Jami (2010): EXCLUSIVE: Kevin Fiege Talks Iron Man 2, The Avengers and More. http://www.movieweb.com/news/exclusive-kevin-fiege-talks-iron-man-2-the-avengers-and-more

[Stand: 15.06.2013]124 Vgl.

http://marvel.com/news/story/20359/get_the_marvel_cinematic_universe_phase_1_box_set_today [Stand: 15.06.2013]

125 Vgl. http://www.the-numbers.com/movies/franchises/sort/World [17.07.2013]

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weltweiten Kinokassen eingenommen, weitere 1,2 Milliarden folgen dieses Jahr

allein durch den Release von IRON MAN 3, was zu einem momentan

Umsatzergebnis von rund 5 Milliarden Dollar führt. Diese Entwicklung macht das

Marvel Cinematic Universe zur aktuell dritterfolgreichsten Kino-Franchise aller

Zeiten, nur übertroffen durch die 25 Filme umfassende James Bond-Reihe und die

Kino-Adaptionen der Harry Potter-Romane.

2013 begann mit IRON MAN 3 Marvels Phase Two, die sich bis Sommer 2015

außerdem aus den Fortsetzungen THOR: THE DARK WORLD126, CAPTAIN

AMERICA: THE WINTER SOLDIER127, GUARDIANS OF THE GALAXY und

abschließend das erneute Helden Team-Up THE AVENGERS 2128 zusammensetzen

wird. Über die Pläne zu Phase Three hält sich Marvel derzeitig noch relativ bedeckt,

offiziell angekündigt ist bereits eine Umsetzung von Ant-Man durch den britischen

Filmemacher Edgar Wright (SHAUN OF THE DEAD, HOT FUZZ); Kevin Feige

bestätigte zudem Pläne und Überlegungen zu Adaptionen von Dr. Strange und einem

erneuten Auftritts des Hulk mit Darsteller Mark Ruffalo.129

In dem oben bereits zitierten Interview äußert sich Feige außerdem auch zu der

Strategie hinter den in Phasen stattfindenden Veröffentlichungen und verdeutlichte,

dass die einzelnen Franchises (z.B. IRON MAN) auch jeweils als individuelle

Filmreihen funktionieren sollen, auch wenn sie gleichzeitig Teil der Mutli-Franchise-

Reihe sind. Eine Person, die also ausschließlich die drei Teile der IRON MAN-

Filmereihe sieht, soll ebenso eine abgeschlossene Erfahrung haben, wie die

Zuschauer sämtlicher Filme des Marvel-Universums. Diese individuelle Serialität

adaptiert Marvel direkt aus den Comics:

"If you look at the comics, there would be ten, twelve or fifteen issues

and then there would be a crossover event. Then the characters would go

back into their own books and then come over for another crossover

event. And those crossover events always ... if you look at them, you look

126 Vgl. http://www.imdb.com/title/tt1981115/?ref_=sr_1 [Stand: 15.06.2013]127 Vgl. http://www.imdb.com/title/tt1843866/?ref_=sr_1 [Stand: 15.06.2013]128 Vgl. http://www.imdb.com/title/tt2395427/?ref_=sr_2 [Stand:15.06.2013]129 Vgl. O'Sullivan, Erin (2013): Hulk, Ant-Man & Doctor Strange Focus Of Marvel’s Phase Three. http://www.accesshollywood.com/hulk-ant-man-and-doctor-strange-focus-of-marvels-phase-

three_article_79657 [Stand: 15.06.2013]

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at "Secret Invasion" or "Civil War," you know you could just read the

seven issues of "Civil War" and get it. With "Civil War" it starts with that

explosion in the town and it's a self-contained story. You don't have to

have read all the comics of all the other heroes for it to match up. If you

have you'll see more and you will experience more but if you haven't it

still works."130

Die im nächsten Kapitel folgende Analyse widmet sich entsprechend der praktischen

Umsetzung dieser narrativen Erzählstrategien sowie der damit in Verbindung

stehenden intertextuellen und transmedialen Erweiterungen der Filmwelt(en).

130 Philbrick, Jami (2010): EXCLUSIVE: Kevin Fiege Talks Iron Man 2, The Avengers and More. http://www.movieweb.com/news/exclusive-kevin-fiege-talks-iron-man-2-the-avengers-and-more

[Stand: 15.06.2013]

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5. Kapitel 4 – Analyse des Marvel Cinematic Universe

5.1 Die Kinofilme – Handlung, Filmwelt, Intertextualität

Im Folgenden werden die sechs Kinofilme von Marvels Phase One anhand kurzer

Synopsen inhaltlich zusammengefasst und weitergehend auf die Darstellung der

Filmwelt (bzw. den jeweiligen Ausschnitten der größeren, filmübergreifenden Welt),

der Verortung der Handlung in jener Welt und in einem ersten Schritt auch bereits auf

verbindende (intertextuelle) Elemente zwischen den Filmen eingegangen. Die Filme

werden dabei in der Reihenfolge ihrer Veröffentlichung besprochen. Entscheidende

Sequenzen, Szenen oder Einstellungen sind zudem per Timecode markiert, der sich

nach der Spielfilmlaufzeit der PAL-Blu-ray Veröffentlichungen der Filme richtet. Im

zweiten Teil folgt eine Bestandsaufnahme der transmedialen Erweiterungen und den

damit verbundenen narrativen Phänomenen.

5.1.1 IRON MAN

Synopsis

Der milliardenschwere Großindustrielle und Erbe eines amerikanischen

Rüstungsimperiums Tony Stark befindet sich gerade auf dem Rückweg von einer

erfolgreichen Präsentation seiner neuesten Raketentechnologie in Afghanistan, als

sein Militär-Konvoi angegriffen und Stark selbst von einer seiner eigenen Waffen

schwer verwundet wird. Die Angreifer, eine paramilitärische Organisation namens

Ten Rings, entführen den Verletzten und wollen ihn fortan dazu zwingen, zusammen

mit dem ebenfalls unfreiwillig festgehaltenen Dokor und Ingenieur Ho Yinsen, das

neu entwickelte Stark-Raketensystem Jericho für ihre eigenen Zwecke nachzubauen.

Yinsen, ein afghanischer Pazifist, hatte dem eigentlich tödlich verletzten Tony Stark

zuvor das Leben gerettet, in dem er dem Amerikaner einen Elektromagneten in die

Brust pflanzte, um einen nicht operativ entfernbaren Schrapnellsplitter darin zu

hindern, in Starks Herz einzudringen.

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Um auf Dauer am Leben zu bleiben, entwickelt Stark zusammen mit Yinsen in

Gefangenschaft eine Miniatur-Version des Arc Reactors, einer unerschöpflichen

Energiequelle, die ursprünglich auf einer von Tonys Vater Howard Stark

entwickelten Technologie basiert und fortan den Elektromagneten in Tonys Brust

antreiben soll. Diese Energiequelle soll aber insgeheim den beiden auch bei ihrer

Flucht helfen. Ihren Wärtern suggerierend, dass sie mit dem Bau des geforderten

Raketensystems beschäftigt sind, entwickelt Stark eine metallische Kampfrüstung

ausgestattet mit diversen Waffensystemen und der Fähigkeit (für zu Beginn nur kurze

Dauer) zu fliegen – angetrieben durch die Energie des Arc Reactors in seiner Brust.

Tatsächlich gelingt Stark die Flucht aus den Fängen der Terroristen, Yinsen wird

jedoch tödlich verwundet und stirbt im Beisein seines neugewonnenen Freundes.

Wieder zurück in den USA, wird Stark von seiner persönlichen Assistentin Pepper

Pots empfangen, die für ihren Chef weitaus mehr zu empfinden scheint, als sie

normalerweise preisgibt; Gefühle die Tony selbst ebenfalls schweigend zu erwidern

scheint. Beide machen sich zusammen auf den Weg zu einer Pressekonferenz, auf der

Tony zur Überraschung der anwesenden Pressevertreter und zum Entsetzten seines

Mentors Obediah Stane bekannt gibt, dass Stark Industries Waffenproduktion und

-handel fortan einstellen wird. Während die Öffentlichkeit und Tonys

Geschäftspartner mehr und mehr an dessen Verstand zweifeln und auch das Militär,

insbesondere verkörpert durch Tonys alten Freund Jim "Rhodey" Rhodes, bezüglich

Starks Schweigen zu den Bedingungen seiner Flucht inklusiver den Gerüchten einer

neu entwickelten Stark-Superwaffe immer ungeduldiger wird, zieht sich der

exzentrische Erfinder in den Keller seines Malibu-Anwesens zurück und

perfektioniert die Arc-Reactor- sowie die Kampfanzugstechnik. Zur gleichen Zeit

versucht ein unscheinbarer Anzugträger namens Phil Coulson, der nach eigenen

Angaben für die Strategic Homeland Intervention, Enforcement and Logistics

Division arbeitet, mehrfach über Pepper an Tony heranzutreten, um ihn über die

Ereignisse in Afghanistan zu befragen.

Nach einer weiteren Intervention von Tony in Gestalt des Iron Man in Afghanistan,

kommt es beinahe zum Zerwürfnis zwischen ihm und Pepper, da sie ihn nicht dabei

unterstützen möchte, sich selbst um sein eigenes Leben zu bringen. Doch Tony sieht

in der Pflicht, die Menschen zu beschützen, die durch seine Waffen gefährdet

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werden, seine neue Lebensaufgabe. Schließlich deckt Pepper die wahren Pläne von

Stane auf, der den Stark-Konzern in den Jahren zwischen dem Tod von Howard Stark

und der Volljährigkeit Tonys leitete. Stane ist nicht nur für illegale Waffenlieferungen

in Krisenregionen verantwortlich, sondern plante auch den Überfall auf Tonys

Konvoi in Afghanistan, der in dessen Tod resultieren sollte. Inspiriert durch die neue

Arc-Reactor-Technologie und Tonys Kampfanzug plant Stane die Konstruktion einer

kompletten Armee von Kampfanzügen. Um seinen Plan zu verwirklichen, reißt er

Tony den Reaktor aus der Brust und übernimmt selbst die Kontrolle über eine der

neu entwickelten Kampfmaschinen, als ihn Pepper zusammen mit Agent Coulson

stellen will. Tony kann sich mit Hilfe seines ursprünglichen Reaktor-Prototypen

allerdings das Leben retten und besiegt Stane schließlich als Iron Man im Zweikampf

mit Hilfe von Pepper auf dem Stark-Firmengelände.

Im Vorfeld einer Pressekonferenz, die die wahren Geschehnisse und Starks

Zweiidentität als Iron Man vertuschen soll, bemerkt Coulson gegenüber Tony und

Pepper, dass sein Arbeitgeber, die Strategic Homeland Intervention, Enforcement and

Logistics Division fortan unter dem Namen S.H.I.E.L.D. auftreten werde und man

sich sicher wieder begegnen würde. Tony, der kein weiteres Interesse an

Unwahrheiten zu haben und das Rampenlicht sowieso mehr als zu genießen scheint,

gibt schließlich vor der Presse spontan seine Heldenidentität preis.

Nach dem Filmabspann folgt eine weitere Szene in Starks Anwesen, in dem dieser

auf den Direktor von S.H.I.E.L.D., Nick Fury, trifft, der mit dem gerade frisch

getauften Held über die Avengers-Initiative sprechen will.

Intertextualität / "World-Building"

Die Welt, die dem Zuschauer in IRON MAN präsentiert wird, scheint sich zunächst

eng an unserer aktuellen Realität inklusive des politischen Zeitgeschehens zu

orientieren. Orte, wie die staubigen Tal- und Berglandschaften Afghanistans

inklusiver westlicher Militärs und einheimischer Kämpfer wirken aus aktuellen

Kriegsfilmen oder aus Nachrichten- und Fernseh-Bildern vertraut, die USA hingegen

wird anhand kalifornischer Metropolen als sonniger Ort des Fortschritts und der

Technologie inszeniert. Jedoch wird im Laufe des Films deutlich, dass hinter den

glamourösen Fassaden zwielichtige Geschäfte stattfinden und es wird zumindest

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suggeriert, dass der Wohlstand dieser Gesellschaft an den Krieg im mittleren Osten

gekoppelt ist. In diesem Sinne etabliert IRON MAN allen voran eine verhältnismäßig

glaubhafte, da nah an der Realität des Zuschauers orientierte Filmwelt. Dieser

vermeintliche Realismus wird allerdings immer wieder mit typischen Science-

Fiction-Elementen gebrochen, wie dreidimensionale, holografische

Computergrafiken, mit denen Stark durch Bewegungssteuerung seine technischen

Errungenschaften designet (z.B. 00:54, 00:57 und 01:01). Andere Elemente wie

hochtechnologisierte, fliegende Kampfausrüstungen oder eine

kommunikationsfähige künstliche Intelligenz in Form von Tonys „Butler“-Roboter

Jarvis (00:10), sind dagegen natürlich noch offensichtlicher dem Science-Fiction-

Genre zuzuordnen. In diesem Sinne konfrontiert IRON MAN den Zuschauer mit

einer Filmwelt, die sich gesellschaftlich und politisch zwar auf dem gleichen Stand

wie die unsere befindet, in der aber ganz klar enorme Sprünge in der Entwicklung

von Technologie und Wissenschaft möglich sind (durch individuelle Genies wie

Stark selbst).

IRON MANs Handlung mag auf den ersten Blick zunächst sehr geschlossen und

kohärent wirken, trotzdem gibt es bei genauerer Betrachtung diverse

Anknüpfungspunkte für spätere inhaltlichen Erweiterungen. Das offensichtlichste

Element ist sicherlich die Figur des Agent Coulson und seine Verbindung zu der

Organisation S.H.I.E.L.D. (00:43, 01:08; 01:34, 01:42 und 01:53), die in einigen der

Folgefilme noch eine wichtigere Rolle spielen wird und unter deren Dach sich die

verschiedenen Helden schließlich in THE AVENGERS vereinigen werden, was auch

die Bonusszene nach dem Abspann verdeutlicht. Eine andere wesentlich subtilere

Querverbindung existiert in einigen Hinweisen auf die Figur des Howard Starks,

Tonys Vater, der im zwei Jahre später erschienenen CAPTAIN AMERICA: THE

FIRST AVENGER als Nebenfigur auftritt. Diese Verbindung wird hier nur in

wenigen Dialogen impliziert. So wird u.a. thematisiert, dass Stark Senior dabei

geholfen hat, die Nazis zu besiegen (00:08) und die eigentlichen Ursprünge der Arc

Reactor-Technologie von ihm stammen (00:47). Ein weiteres Element ist das

Vorhandensein eines scheinbar nicht fertig gestellten Prototyps von Captain

Americas ikonischem Schild, das nur kurz im Hintergrund einer Einstellung zu sehen

ist (01:25). Diese intertextuellen Querverweise werden allerdings erst nach der

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Rezeption von CAPTAIN AMERICA: THE FIRST AVENGER oder dem Wissen um

diese Verbindungen aus den Marvel-Comics deutlich. Für die alleinige Rezeption

und das Verständnis von IRON MAN spielen sie schlicht keine Rolle und treten bei

Unwissen nicht einmal als bedeutend hervor.

5.1.2 THE INCREDIBLE HULK

Synopsis

Der Wissenschaftler Dr. Bruce Banner befindet sich seit einem fehlgeschlagenen

Experiment an der Culver Universität in Virginia, bei dem er einer vermeintlich

tödlichen Dosis Gamma-Strahlung ausgesetzt wurde, auf der Flucht. Initiiert wurde

das Experiment durch den US-Army General Thaddeus "Thunderbolt" Ross, der

insgeheim das Ziel verfolgte, eine neue Methode zur Erschaffung eines

Supersoldaten zu entwickeln und seitdem Banner aus dem vorgeschobenen Grund

der nationalen Sicherheit hinterherjagt.

Untergetaucht in den Favelas von Rio de Janeiro sucht Banner verzweifelt nach

einem Mittel gegen die Nebenwirkung der Strahlungsaussetzung: Überschreitet sein

Puls eine bestimmte Frequenz, mutiert sein Zellengewebe und er verwandelt sich in

ein gewissenloses, grünes Monster, das alles, was sich ihm entgegenstellt, zerstört.

Banner verbringt seine Tage damit, mit Hilfe von Meditationstechniken seine

Gefühle unter Kontrolle zu halten und forscht mit der Hilfe eines amerikanischen

Wissenschaftlers, der mit Banner unter dem Alias "Mr. Blue" über das Internet in

Kontakt steht, nach einem Heilmittel. Mr. Blue besteht auf eine Blutprobe Banners,

die dieser ihm widerwillig schickt, worauf ihm Heilung versprochen wird, sofern

Banner ihm mehr Daten über den Verlauf des Experiments zukommen lassen kann.

Nach einem Zwischenfall in einer Getränkefabrik, in der Banner arbeitet, schickt

General Ross ein Einsatzteam nach Brasilien, um Banner in Gewahrsam zu nehmen.

Das Team, angeführt durch den Kriegsveteranen Emil Blonsky, wird allerdings von

Banner in Form seines bestialischen Alter Egos aufgerieben. Während sich Banner

widerwillig auf den Weg zurück in die USA macht, um in Besitz der benötigten

Daten an der Culver Universität zu gelangen, lässt sich Blonsky von Ross'

Wissenschaftlern eine kleine Dosis eines Supersoldaten-Serums injizieren, dessen

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Ursprünge auf ein Experiment im Zweiten Weltkrieg zurückgehen.

In Virginia angekommen, trifft Banner auf seine ehemalige Freundin Betty Ross, die

Tochter seines Verfolgers, die ihm dabei hilft, in Besitz der benötigten Daten zu

gelangen. Bruce gerät an der Universität in einen Hinterhalt der US-Army und liefert

sich in Form des Hulk ein Scharmützel mit Ross' Truppen, bei der nicht nur der

gestärkte Blonsky schwer verletzt wird, sondern auch Betty beinahe ums Leben

kommt. Doch auch als Hulk scheint sich Banner an seine Gefühle für Ross' Tochter

zu erinnern und zieht sich mit der bewusstlosen Betty aus dem Kriegsgebiet zurück.

Das Liebespaar macht sich mit den Daten des ursprünglichen Experiments auf den

Weg nach New York zu Banners vermeintlichem Erlöser Mr. Blue. Der mit

wirklichem Namen Dr. Samuel Stern heißende Biologe hat tatsächlich ein Mittel

entwickelt, das die Verwandlung Banners in das grüne Monster verhindern kann, hat

aber zu Bruces Entsetzen große Mengen von dessen Blut für weitere

Forschungszwecke synthetisiert. Zeitgleich wird das Gebäude von Ross' Soldaten

gestürmt, die Bruce und Betty in Gewahrsam nehmen. Derweil zwingt Blonsky, der

die vorige Konfrontation mit dem Hulk nur dank des Serums in seinen Venen

überlebt hat, Dr. Stern dazu, ihm Banners Blut zu injizieren, um zu einer

unbesiegbaren Kampfmaschine zu werden. Durch die Mischung der verschiedenen

Stoffe in Blonskys Körper mutiert dieser allerdings zu einem tobenden Monster, der

Abomination, und droht im Folgenden, New York in Schutt und Asche zu legen.

Widerwillig lässt Ross darauf Banner wieder frei, der sich aus einem fliegenden

Hubschrauber fallen lässt, sich so kurz vor dem tödlichen Aufprall wieder in den

Hulk verwandelt und darauf in einem Kampf, der mehrere Straßenzüge demoliert,

den mutierten Blonsky außer Gefecht setzt. Trotz seiner Heldentat flieht Banner

darauf aus der Stadt und taucht in den Wäldern Britsh Columbias unter, wo er weiter

an seinen Meditationstechniken arbeitet. Allerdings nicht, um die Verwandlung in

den Hulk gänzlich zu unterdrücken, sondern kontrolliert geschehen zu lassen, wie die

letzte Szene mit ihm impliziert.

In der darauf folgenden Bonusszene (hier nicht wie bei den anderen Filmen nach,

sondern noch vor dem Abspann) wird General Ross, der versucht, seine Niederlage

in einer Bar zu ertränken, von Iron Man/Tony Stark aufgesucht, der diesen über die

Pläne zur Formatierung eines besonderes Team unterrichten will.

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Intertextualität / "World-Building"

Ähnlich wie schon in IRON MAN wird der Zuschauer bei THE INCREDIBLE

HULK zunächst mit einer durchaus vertrauten Inszenierung der Realität zwischen

den Gegensätzen der Darstellung von US-amerikanischen Universitäten und urbanen

Metropolen sowie den Armenvierteln und Märkten südamerikanischer Länder

konfrontiert. Typische Elemente aus dem Horror-Genre (Monster und Mutationen)

werden hier, wie die technischen Errungenschaften von Stark in IRON MAN, mit

den Mitteln der Science-Fiction erklärt (Wissenschaft und Forschung als Grundlage

und Auslöser diverser „Superkräfte“).

Die Organisation S.H.I.E.L.D. tritt hier zunächst wieder komplett in den

Hintergrund, wird aber beiläufig in einer Szene erwähnt und ist somit Teil der

erzählten Welt (01:09). Dagegen überwiegen dieses Mal intertextuelle Querverweise

auf andere Filme, sowohl auf IRON MAN [eine Einstellung am Anfang gibt preis,

dass General Ross auf Waffen-Technologie von Tony Stark zurückgreift, um den

Hulk zu jagen (00:02)] als auch besonders auf den erst drei Jahre später

veröffentlichten CAPTAIN AMERICA: THE FIRST AVENGER. So wird in diversen

Szenen impliziert, dass General Ross' Bemühungen, einen neuen Supersoldaten zu

erschaffen, auf das ursprüngliche Supersoldaten-Experiment zurückgehen, das Steve

Rogers zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs zum patriotischen Vorzeigehelden machte

(00:32, 00:44). Die Anspielungen auf die beiden Filme kulminieren in der Barszene

zwischen Ross und Stark, in der nicht nur der Protagonist aus IRON MAN

unerwartet die Filmwelt des Hulks betritt und damit beide Erzählungen definitiv in

der selben Welt verortet; ein ironischer Kommentar von Stark bezüglich des

Supersoldaten-Programms [Ross hätte es lieber auf "Eis liegen lassen" sollen

(01:44)] spielt auf die Gleichzeitigkeit multipler Handlungsstränge im größeren

Erzähluniversum der Filme an. Denn in der Tat liegt der ursprüngliche Supersoldat

Captain America zu diesem Zeitpunkt im Kälteschlaf unter der Eisschicht Grönlands,

was zum Zeitpunkt des Kino-Releases von THE INCREDIBLE HULK (2008)

allerdings nur informierte Kenner der Comics wissen können – auf der Leinwand

werden diese Ereignisse erst drei Jahre später thematisiert werden. Ein neue

Dynamik entwickeln die Filme untereinander dann natürlich durch die

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Veröffentlichung auf DVD und Blu-ray, da sie in beliebiger Reihenfolge und

Häufigkeit rezipiert werden können und solche Querverweise auf die zeitliche

Dimension des Erzähluniversums vom Rezipienten besser eingeordnet werden

können.

5.1.3 IRON MAN 2

Synopsis

Ivan Vanko, Sohn des russischen Wissenschaftlers Anton Vanko, schwört am

Totenbett seines Vaters Rache für die Missstände, in denen er aufwachsen musste

und für die er die Stark-Familie verantwortlich macht. Sein Vater arbeitete als

russischer Überläufer einst zusammen mit Howard Stark an der Entwicklung des

ursprünglichen Arc Reactors und wurde schließlich wieder nach Russland deportiert,

nachdem Stark erfahren hatte, dass sein Kollege sich mit der neu entwickelten

Technologie selbst bereichern wollte.

Derweil lässt sich Lebemann Tony Stark dank seiner Errungenschaften als Iron Man

wie die Rockstar-Version eines Superhelden feiern, während er amerikanischen

Regierungsvertretern und dem US-Militär die kalte Schulter zeigt, wenn es um die

Übergabe seiner fortschrittlichen Technologie an die Staatsmacht geht. Allerdings

wird er im doppelten Sinne von inneren Dämonen geplagt, denn die Energiequelle in

seiner Brust, die ihn eigentlich am Leben hält, droht ihn umzubringen, da das

Element, das den Miniatur-Reaktor antreibt, langsam seinen Körper vergiftet. Anstatt

die Menschen in seinem Umfeld mit seiner Erkrankung zu konfrontieren, stürzt sich

Stark lieber in lebensgefährliche Situationen und entschließt sich so z.B. auch

spontan als Fahrer in einem F1-Rennen im Monaco einzuspringen. Wie sich

herausstellt, eine fatale Entscheidung, denn der rachsüchtige Ivan Vanko erscheint

auf der Bildfläche und verursacht mit seinen ebenfalls auf der Arc-Reactor-

Technologie basierenden, selbst konstruierten Energie-Peitschen eine

Massenkarambolage, bei der Tony fast ums Leben kommt. Dieser kann Vanko nur

mit größter Mühe und mit Hilfe seines Iron-Man-Anzugs stoppen. Iron Mans Image

ist darauf nicht nur in Bezug auf seine selbst erklärte Unbesiegbarkeit angekratzt, das

US-Militär sieht sich noch drastischer dazu genötigt, in Besitz von Starks

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Technologie zu gelangen. So kommt es dazu, dass Tonys Freund Colonel Rhodey

einen der Prototyp-Anzüge stiehlt, nachdem dieser entsetzt feststellen musste, dass

der selbsternannte Superheld scheinbar gewissenlos und betrunken in voller

Kampfmontur auf seiner eigenen Geburtstagsparty für die Belustigung seiner Gäste

sorgt. Es kommt zur Konfrontation zwischen den beiden Freunden, nach der Rhodey

mit dem entwendeten Anzug zu einer Basis der US Air Force flüchtet.

Währenddessen hat der Waffenproduzent und größte Konkurrent des Stark-

Imperiums Justin Hammer dem inhaftierten Vanko zur Flucht verholfen, unter der

Voraussetzung, dass dieser seine Technologie mit ihm teilt und fortan für ihn arbeitet.

Vanko willigt ein, verfolgt aber insgeheim weiter seine Rachepläne bezüglich der

Stark-Familie. Hammer wird derweil vom US-Militär mit der Aufgabe betraut, den

entwendeten Iron-Man-Prototypen mit seinen Waffensystemen auszurüsten. Vanko

arbeitet unterdessen an der Produktion einer ferngesteuerten Drohnenarmee, die

Hammer auf der in New York stattfindenden Stark Expo als Schlappe gegen den

pazifistischen Ex-Waffenproduzenten präsentieren will.

Stark, der inzwischen auch seine ehemalige Assistentin und inzwischen von ihm zum

CEO von Stark Industries ernannte Pepper Potts mit seinem Verhalten mehr und

mehr irritiert, wird schließlich von S.H.I.E.L.D.-Direktor Nick Fury aufgesucht.

Dieser weiß nicht nur von seiner lebensgefährlichen Blutvergiftung, sondern lässt ihn

von seiner Agentin Natasha Ramanov a.k.a. Black Widow mit einem

vorübergehenden Impfstoff injizieren. Fury betont allerdings, dass dies nur eine

temporäre Lösung sei und Stark den Schlüssel zu seinem Problem in den

Aufzeichnungen seines Vaters finden werde – der, wie Fury preisgibt, selber eines

der Gründungsmitglieder von S.H.I.E.L.D. gewesen ist. Tony arbeitet sich deshalb,

von Fury unter Hausarrest gesetzt und überwacht von Agent Phil Coulson, durch die

Hinterlassenschaft seines Vaters und entdeckt nicht nur eine versteckte, an ihn

gerichtete Botschaft, sondern auch die theoretische Grundlage zur Generierung eines

neuen Elements, das den Reaktor in seiner Brust fortan ohne gefährliche

Nebenwirkungen antreiben könnte. Während Agent Coulson nach New Mexico reist,

wo er nach eigenen Angaben gebraucht wird, erschafft Tony mit Hilfe eines

selbstgebauten Teilchenbeschleunigers das benötigte Element. Gerade rechtzeitig,

denn die Waffenpräsentation von Hammer auf der Stark Expo gerät außer Kontrolle

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bzw. wird durch Vanko sabotiert, der fortan nicht nur die unbemannten Drohnen

fernsteuert und durch sie das Publikum attackiert, sondern auch Rhodeys von

Hammer modifizierten Kampfanzug kontrolliert. Erst nachdem Black Widow in

Hammers Firmensitz eindringt und Vankos Software deaktivieren kann, erhält

Rhodey wieder die Kontrolle über den Anzug zurück und kann zusammen mit Iron

Man die restlichen Drohnen und schließlich Vanko selber ausschalten. Bei einem

weiteren Treffen zwischen Stark und S.H.I.E.L.D.-Direktor Fury teilt letzterer seine

Entscheidung mit, Stark (aufgrund seiner narzisstischen Persönlichkeit) nicht für die

Avengers-Initiative in Erwägung zu ziehen, sondern vorerst lieber als externen

Berater zu beschäftigen.

Nach dem Abspann folgt eine weitere Szene, in der Agent Coulson am Rande eines

großen Kraters in der Wüste New Mexicos erscheint, welcher bereits das Interesse

der lokalen Bevölkerung auf sich gezogen hat. Im Zentrum des Krater ragt ein

massiver Hammer zum Himmel empor.

Intertextualität / "World-Building"

IRON MAN 2 hebt sich in seiner Art der intertextuellen Verweise auf das Marvel-

Universum in zwei Bereichen von seinen Vorgängern ab: Erstens werden der

Geheimdienst S.H.I.E.L.D. und seine Agenten als wesentlicher Teil in die Ereignisse

des Plots mit eingewoben, denn Tony Stark ist auf die Hilfe und das Wissen von Nick

Fury angewiesen, um sein eigenes Leben zu retten (01:02). In der Szene, in der Stark

auf Fury trifft, wird auf geradezu selbstreferenzielle Weise der Umstand thematisiert,

dass die Ereignisse rund um Held Iron Man nur einen kleinen Teil eines viel größeren

Geschehens darstellen, dessen Gänze sich zu diesem Zeitpunkt nur Fury bewusst ist

und für den Starks existentielle Krise nur eines von vielen Problemen darstellt, mit

denen sich der S.H.I.E.L.D.-Direktor auseinandersetzen muss ("You are not the

center of my universe."). Der Film führt zudem auch die Figur Black Widow ein

(00:23), die in IRON MAN 2 zwar eher als Randfigur vorkommt, in THE

AVENGERS aber eines der zentralen Mitglieder des von Fury geformten

Superheldenteams wird. Neben der dominanteren Rolle von S.H.I.E.L.D wird in

IRON MAN 2 zudem an verschiedenen Stellen mehr Bewusstsein für die zeitliche

Dimension des Erzähluniversums geschaffen: Agent Coulsons Reise nach New

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Mexico und Ankunft in der Szene nach dem Filmabspann (01:25 und 02:03, ein

Vorgriff auf die Handlung von THOR) sowie eine im Hintergrund laufende

Nachrichtensendung über die Verwüstungen an der Westküste durch den Hulk am

Ende des Films (01:54), weisen auf die zeitliche Parallelität der verschiedenen

Filmhandlungen hin und bieten in diesem Sinne dem Zuschauer auch Hinweise, in

welcher chronologischen Reihenfolge die Ereignisse der Filme zueinander stehen.

Neben diesen Zeit-Raum-Beziehungen der Gleichzeitigkeit wird eine weitere

zeitliche Dimension in Bezug auf die Vergangenheit des Erzähluniversums in Form

der Informationen über Tonys Vater Howard aufgemacht (00:09, 01.07 und 01:13),

die indirekt bereits auf den Zeit- und Handlungsraum von CAPTAIN AMERICA:

THE FIRST AVENGER hinweisen, der zu großen Teilen im Zweiten Weltkrieg (bzw.

in der "Marvel-Version" dieses Krieges) spielt. Auch das bereits im ersten IRON

MAN gesichtete, dort nur als Teil des Szenenbilds vorkommende Schild von Captain

America, wird hier bereits zu einem Objekt mit dem der Protagonist kurz in einer

Szene direkt interagiert (und mit dessen Bedeutung hier wiederum selbstreferentiell

wie augenzwinkernd gespielt wird [01:25]).

5.1.4 THOR

Synopsis

Die Welt der Menschen ist nur eines von neun kosmischen Reichen, die durch den

Baum Yggdrasil (unsere Milchstraße) miteinander in Verbindung stehen. Odin

Allvater ist König des Reiches Asgard und hinderte mit seinen Kriegern einst die

Frostriesen aus Jotunheim daran, die Erde zu unterwerfen. Seitdem wurden die

Asgardier von den Menschen des Mittelalters als Götter verehrt. Odin vereinbarte

mit Laufey, dem König der Frostriesen, einen Waffenstillstand und entwendete

darauf die "Urne", die die Quelle der Macht Jotunheims darstellte.

Jahrhunderte später soll Odins erstgeborener Sohn Thor zum neuen König von

Asgard gekrönt werden, doch bevor Odin die Zeremonie beenden kann, dringt eine

Gruppe Frostriesen in Odins Waffenkammer ein und wird bei dem Versuch, die

Jotunheim-Urne zu stehlen, getötet. Thor macht sich gegen den Willen seines Vaters

und unter der Einflussnahme seines jüngeren Bruders Loki zusammen mit seinen treu

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ergebenen Gefährten Volstagg, Fandral, Hogun und Sif auf nach Jotunheim, um

dessen König zu stellen und sich für den Angriff zu rächen. Nach einem Kampf mit

den Eisriesen erscheint Odin, um seinen Sohn und seine Gefolgschaft vor Loufey zu

retten, der Odin darauf erneut den Krieg erklärt. Zurück in Asgard beraubt ein

wütender und enttäuschter Odin seinem Sohn die Kräfte und die Fähigkeit den

Hammer Mjolnir zu führen. Er verbannt Thor via der Regenbogenbrücke Bifröst ins

Exil auf die Erde, belegt Mjolnir mit einem Zauber und schickt ihm seinen Sohn in

das Reich der Menschen hinterher.

Auf der Erde in der Wüste von New Mexico wird der entkräftete Thor von der

Astrophysikerin Jane Foster gefunden, die mit ihrer Assistentin Darcy Lewis und

ihrem Mentor Dr. Erik Selvig merkwürdige Wetterphänomene untersucht. Die drei

bringen den verwirrt wirkenden jungen Mann in das Krankenhaus der Kleinstadt

Puente Antiguo, in dem der nun menschliche Thor feststellen muss, dass er nicht

mehr über seine asgardischen Kräfte verfügt. Jane wird inzwischen bewusst, dass

Thors Erscheinen mit den Wetterphänomenen und ihren Forschungen zu kosmischen

Wurmlöchern zusammenhängen und macht sich einmal mehr auf zum Krankenhaus,

um ihn zu befragen.

Zur gleichen Zeit lässt Agent Phil Coulson von S.H.I.E.L.D. die Absturzstelle von

Thors Hammer Mjolnir in der Wüste von New Mexico absichern. In Asgard erfährt

Loki in einem Streitgespräch mit seinem Vater über seine wahre Herkunft. Er ist ein

Kind der Frostriesen, das Odin aus Mitleid nach dem Ende des Krieges bei sich

aufnahm und in der Hoffnung, dass Loki einst als verbindendes Element beiden

Reichen immerwährenden Frieden schenken könnte, als seinen eigenen Sohn aufzog.

Doch Loki fühlt sich als politisches Instrument missbraucht und wirft seinem Vater

vor, ihn nie wirklich geliebt zu haben, worauf Odin zusammenbricht und in einen

tiefen Schlaf fällt. Loki wird folgend zum neuen König von Asgard gekrönt und

weigert sich trotz der Bitte von Thors Gefährten, die Verbannung seines Bruders

aufzuheben.

Thor versucht derweil zusammen mit Jane Foster, deren gesamte Arbeitsmaterialien

inzwischen von S.H.I.E.L.D. beschlagnahmt wurden, wieder in Besitz seines

Hammers und somit seiner Kräfte zu gelangen. Er dringt in das um den Hammer

errichtete Forschungslager ein und kämpft sich zur Absturzstelle durch, doch kann er

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zu seiner eigenen Überraschung den Hammer nicht aus dem Stein ziehen. Enttäuscht

und gebrochen lässt sich der Sohn Odins von Agent Coulson gefangen nehmen und

verhören. Loki erscheint seinem Bruder und lässt ihn die Lüge glauben, dass Odin

gestorben sei und seine Mutter Frigga ihn auf Lebenszeit die Rückkehr nach Asgard

verbieten würde. Danach macht sich Loki auf nach Jotunheim, um dessen König

(und seinen eigentlichen Vater) dazu zu überreden, Odin in seinem Schlaf zu

ermorden, wofür Loki ihm im Gegenzug die Rückgabe der Urne verspricht.

In New Mexico gelingt es Janes Mentor Dr. Selvig, Thor aus der Gefangenschaft von

S.H.I.E.L.D. zu befreien, Agent Coulson befiehlt aber insgeheim deren

Überwachung. Nach einem Trinkgelage trägt Thor seinen Retter zu Janes mobilem

Zuhause, deren Interesse an dem mysteriösen Hünen inzwischen weit über dessen

ominöse Herkunft hinaus zu scheinen geht. Thor klärt Jane auf über die neun Reiche

von Yggdrasil sowie über den Bifröst, den die Asgardier benutzen, um zwischen den

Welten zu reisen.

Thors Gefährten reisen aus Asgard schließlich mit Hilfe von Heimdal, der über den

Bifröst wacht und sich gegen Loki auflehnt, zur Erde und berichten Thor über die

Lügen und das doppelte Spiel seines Bruders. Loki schickt darauf hin den Wächter

von Odins Schatzkammer, den Destroyer, zur Erde, um Thor auszulöschen. Da Loki

droht, eine komplette amerikanische Kleinstadt zu verwüsten, bietet Thor seinem

Bruder sein Leben an, sofern er weitere Opfer unter den Menschen vermeidet. Durch

seinen selbstlosen Tod erweist sich Thor als würdig, wieder in Besitz seiner Kräfte zu

gelangen, wodurch sich der Hammer selbst aus dem Stein befreit und Thor darauf

wieder zum Leben erweckt. Der wieder erstarkte Donnergott vernichtet den

Destroyer mit Leichtigkeit und macht sich dazu auf, seinem Bruder das Handwerk zu

legen. Loki tötet derweil seinen Erzeuger Laufey bei dem Versuch, Odin im Schlaf

zu ermorden. Dies gibt ihm einen Vorwand, um das Reich der Frostriesen und das

Geheimnis seiner Herkunft vernichten zu können. Mit Hilfe der Energie des Bifröst

will Loki Jotunheim zerschmettern, doch Thor schreitet ein und zerschlägt mit

seinem Hammer die weltenverbindende Regenbogenbrücke, die Loki als Waffe

missbrauchen wollte. Beide Brüder drohen in die Tiefe des Alls zu fallen, doch der

wieder erwachte Odin rettet seine beiden Sohne. Loki jedoch lässt sich fallen und

verschwindet mit den Überresten des Bifröst in der Schwärze des Weltraums. Der

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Frieden der neun Reiche ist vorerst wieder hergestellt, doch Thor ist durch die

Zerstörung der Regenbogenbrücke die Möglichkeit genommen worden, zu Jane auf

die Erde zurückzukehren. Diese forscht unterdessen weiter nach einer Möglichkeit

die Verbindungen zwischen den Welten wieder herzustellen.

In der Szene nach dem Abspann wird Dr. Erik Selvig in einer Bunkeranlage von

S.H.I.E.L.D.-Direktor Nick Fury empfangen, um an einem streng geheimen

Energieprojekt zu arbeiten, das mit einem ominösen würfel-artigen Artefakt zu tun

haben soll. Am Ende der Szene wird enthüllt, dass Selvig insgeheim von dem immer

noch lebenden Loki kontrolliert wird.

Intertextualität / "World-Building"

THOR stellt im Hinblick auf die Darstellung und Erweiterung der Marvel-

Hyperdiegese einen entscheidenden Schritt dar: Waren die Handlungen der vorigen

Filme immer auf fiktionalisierte Versionen realer Ortschaften in verschiedenen Teilen

der Erde beschränkt, stößt dieser Film die Tür zu einem kompletten Universum an

verschiedenen Welten auf. Der Prolog zu Beginn des Films und das spätere Gespräch

zwischen Thor und Jane über die nicht vorhandene Dichotomie von Magie und

Wissenschaft [ersteres ist nur ein Vorwand, um Phänomene von letzterem zu erklären

(01:14)] verortet die komplette Welt der Menschen, die dem Zuschauer bisher in den

Marvel-Filmen gezeigt wurde, in einer größeren, all umspannenden Mythologie. Die

Asgardier sind in diesem Verständnis weniger ein übermenschliches Götter-

Geschlecht, sondern eine hochtechnologisierte Alienrasse, an deren Errungenschaften

und Entwicklung einzelne Individuen unter den Menschen, wie etwa Tony Stark

(Iron Man) und Bruce Banner (Hulk), gerade erst angefangen haben zu kratzen. Die

direkten Verbindungen zwischen den Erfindungen der Stark-Familie und dem Reich

der Asgardier wird in den Folgefilmen CAPTAIN AMERICA: THE FIRST

AVENGER und THE AVENGERS sogar noch in mehrfacher Hinsicht angedeutet.

Ein erster Hinweis ist hier die Bonusszene nach dem Abspann (01:53), denn das

Würfel-Artefakt (der Tesseract) stellt ein fast alle Filme übergreifendes

Handlungselement der Filme dar, das allerdings erst in den letzten beiden Filmen der

Phase One auch zu einem zentralen Element der jeweiligen Plots wird.

Auch S.H.I.E.L.D. spielt in THOR, wie auch schon in IRON MAN 2, eine

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prominentere Rolle als zuvor und tritt in Form von Agent Coulson als eine weitere

verbindende Entität zwischen den einzelnen Filmen auf. Zudem wird mit Hawkeye,

ähnlich wie zuvor in IRON MAN 2 mit Black Widow, ein zukünftiges Mitglied des

Avengers-Team eingeführt (00:56), ohne das dessen Auftreten hier von wirklicher

Relevanz für den Plot des Films wäre. Darüber hinaus werden an verschiedenen

Stellen wieder weitere Verbindungen zwischen den Figuren und Ereignissen der

einzelnen Filme gesponnen: Agent Coulsons Reise nach New Mexico wurde bereits

in IRON MAN 2 thematisiert und seine Ankunft am Krater von Thors Hammer dort

sogar schon gezeigt (00:36). Janes Mentor Dr. Selvig kennt Dr. Bruce "Hulk" Banner

(00:47) und ist mit den Machenschaften von S.H.I.E.L.D. vertraut (00:45). Außerdem

hält Coulson den von Loki auf die Erde geschickten Destroyer im ersten Moment für

eine neue Geheimwaffe von Tony Stark (01:21).

All diese Verweise werden meistens nur beiläufig in Zusammenhang mit den

eigentlichen Geschehnissen des Films in Form von Dialogen zwischen verschiedenen

Figuren präsentiert. Es handelt sich dabei normalerweise nicht um Informationen,

von denen das Verständnis des eigentlichen Filmplots abhängt, sondern sie dienen

vor allem als Hinweise auf den größeren Handlungsrahmen des Geschehens und auf

andere Ereignisse in der Hyperdiegese.

5.1.5 CAPTAIN AMERICA: THE FIRST AVENGER

Synopsis

In der Jetztzeit entdeckt ein Forschungstrupp in der Arktis ein großes Objekt unter

dem Eis und in dessen Innerem ein Schild mit den Farben der US-amerikanischen

Nationalflagge. Im März 1942 marschiert Johann Schmidt, Kommandant der

okkulten HYDRA-Organisation, mit seinen Untergebenen im norwegischen

Tønsberg ein, um in Besitz eines Artefakts zu gelangen, das laut seinen eigenen

Aussagen einst "das Juwel von Odins Schatzkammer" war. Er findet den hell

leuchtenden Würfel hinter einem Relief, das den Baum Yggdrasil aus der nordischen

Mythologie zeigt.

Zur gleichen Zeit wird der schmächtige Steve Rogers ein weiteres Mal bei der

Musterung für die US-Armee abgelehnt. Der junge Mann aus Brooklyn würde gerne

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wie sein Freund James "Bucky" Barnes in den Krieg gegen die Nazis ziehen, nicht

aus dem Drang über den Feind siegen zu wollen, sondern weil es seiner

Überzeugung entspricht, die Schwächeren vor der Tyrannei durch die Stärkeren zu

beschützen. Der aus Deutschland geflohene Arzt Dr. Abraham Erskine erhört das

Engagement des gutmütigen New Yorkers und rekrutiert ihn für ein streng geheimes

Supersoldaten-Projekt der Armee. Colonel Philips, der mit für das Projekt

verantwortlich ist, hält nicht viel von dem unscheinbaren Rogers im Gegensatz zu

der britischen Agentin Peggy Carter, die die Kandidaten für das Experiment

ausbildet. Doch Dr. Erskine besteht auf Rogers als Testperson, da sein Supersoldaten-

Serum den Menschen nicht einfach nur physisch stärkt, sondern alle Eigenschaften

einer Person expandieren lässt – und nur jemand, der weiß, wie es sich anfühlt unter

der Macht Stärkerer zu leiden, würde die ihm verliehene Macht nicht missbrauchen.

Am Abend vor dem Experiment erzählt der Doktor Steve davon, dass er

gezwungener Maßen die Supersoldaten-Formel schon einmal an einem Menschen

erproben musste und zwar an HYDRA-Anführer Johann Schmidt selbst, für den das

Experiment allerdings schreckliche Nebenwirkungen hatte.

Schmidt und seinem Erfinder Dr. Arnim Zola gelingt es unterdessen, die scheinbar

unendliche Energie, die in dem in Norwegen erbeuteten Tesseract schlummert,

anzuzapfen und fortan als Antrieb für Zolas hochentwickelte Geheimwaffen zu

missbrauchen. Nach der erfolgreichen Metamorphose Rogers zum Supersoldaten

wird Dr. Erskine von einem HYDRA-Attentäter ermordet, der nach einer

Verfolgungsjagd durch Brooklyn von Steve gestellt wird und Selbstmord begeht.

Erskine nimmt das Geheimnis seines Serums mit ins Grab und Steve Rogers

verkommt in den Folgemonaten zu einer Werbefigur der US-Armee, die bei

öffentlichen Auftritten für den Kauf von Kriegsanleihen wirbt, oder als patriotische

Wunschfantasie in Comics und Kino Hitler und seine Schergen den Garaus macht.

Weniger Kilometer hinter der Frontlinie haben die Auftritte des Captain America bei

den kriegsmüden Soldaten allerdings nicht den gewünschten Effekt. Steve wird von

der Bühne gejagt und fühlt sich zur Karikatur verkommen.

Hier trifft er allerdings wieder auf Peggy Cater und Colonel Philips, von denen er

erfahren muss, dass sein alter Freund Bucky zusammen mit seiner ganzen Division

von Schmidts HYDRA-Organisation gefangen genommen wurde. Mit der Hilfe von

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Peggy und Rüstungsmagnaten Howard Stark macht sich der idealistische Captain

allerdings alleine auf den Weg hinter die feindlichen Linien. Ihm gelingt es nicht nur,

Bucky und seine Kameraden aus einer Waffenfabrik HYDRAs zu befreien, sondern

der Cap erhascht auch einen Blick auf eine Karte mit allen geheimen Stützpunkten

von Schmidts Faschisten-Kult, der inzwischen sogar Deutschland selbst den Krieg

erklärt hat. Bei seiner Flucht zeigt Schmidt sein wahres Gesicht: Das fehlgeschlagene

Supersoldaten-Experiment hat dem Deutschen zwar übermenschliche Fähigkeiten

verliehen, aber das Gesicht zu einem roten Schädel entstellt. Sich selber als

Übermensch sehend, will er die bestehende Weltordnung kippen und sich selber als

neuer Herrscher über die Menschen installieren.

Captain America jagt in den Folgemonaten zusammen mit Bucky und einer von ihm

rekrutierten Gruppe unterschiedlichster Kämpfer, den Howling Commandos,

HYDRAs Anhänger und deren Anführer, den "Red Skull" Schmidt. Schließlich

gelingt es ihnen, Schmidts Erfinder Dr. Zola gefangen zu nehmen, bei dem Überfall

auf einen fahrenden Zug verliert Bucky allerdings sein Leben. Zola gibt HYDRAs

geheime Alpenfestung preis, die darauf von Captain America flankiert von Peggy

Cater sowie Colonel Philips und seinen Männern angegriffen wird. Schmidt gelingt

die Flucht mit einem durch den Tesseract angetriebenen Langstreckenbomber, der

mit mehreren Massenvernichtungswaffen bestückt, amerikanische Städte in Schutt

und Asche legen soll. Nach einem Kampf zwischen dem Captain und Red Skull an

Bord des Flugzeugs wird letzterer durch die freigesetzte Energie des Tesseract

verschlungen. Der beschädigte Bomber droht durch den Autopiloten weiterhin das

angepeilte Ziel New York zu erreichen, weswegen sich Steve dazu entschließt, das

Flugzeug in der Eiswüste Grönlands bruchzulanden. Peggy ist über Funk bei ihm,

während er auf die näher kommende Eisdecke zuhält und das Funksignal schließlich

verstummt.

Nach dem Ende des Krieges birgt Howard Stark bei einer Expedition nach dem

verschollenen Bomber den Tesseract vom Grund des Meeres, kann aber das

abgestürzte Flugzeug nicht finden. Steve öffnet in einem Zimmer in New York die

Augen. Was auf den ersten Blick der Realität der 1940er entspricht, erschließt sich

schnell als Fassade und der ehemalige Superheld flieht aus einer

Regierungseinrichtung, nur um schließlich am modernen Time Square in New York

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von S.H.I.E.L.D.-Direktor Nick Fury gestellt zu werden, der ihm mitteilt, dass seit

seinem Absturz in der Arktis 70 Jahre vergangen sind. Nach dem Abspann folgt eine

Szene, die Steve beim Trainieren in der Neuzeit zeigt und in der er von Fury

aufgesucht wird, der ihn mit einer neuen Mission beauftragen will. Es folgt ein

kurzer Teaser-Trailer mit Ausschnitten aus THE AVENGERS.

Intertextualität / "World-Building"

CAPTAIN AMERICA stellt den letzten Film vor dem Aufeinandertreffen der Helden

in THE AVENGERS dar und ist in mehrfacher Hinsicht dessen direkter Vorgänger

(worauf auch schon der Untertitel THE FIRST AVENGER deutlich hinweist). Der

Film ist einerseits von seiner größtenteils in der Vergangenheit spielenden Handlung

ein zeitlicher Vorgänger zu allen anderen Marvel-Filmen, zudem führt er auch mit

dem Tesseract das zentrale Handlungsobjekt, um den sich mehr oder weniger auch

die Ereignisse von THE AVENGERS drehen, als essentiellen Bestandteil des

Filmplots ein (00:07). Antagonist Red Skull will die Energie des Würfels für seine

Welteroberungspläne nutzen, ähnlich wie der zurückgekehrte Loki in THE

AVENGERS. CAPTAIN AMERICA: THE FIRST AVENGER vertieft in diesem

Sinne die Hintergrundgeschichte eines der Plotelemente von THE AVENGERS (der

Tesseract), ohne das beide Filme in ihrer Konsequenz aber dabei direkt voneinander

abhängig sind. Ebenfalls prominent im Film vertreten ist Tony Starks Vater Howard,

der sowohl an der Genesis von Captain America beteiligt ist (00:33), als auch später

dabei gezeigt wird, wie er u.a. die Kräfte des Tesseract erforscht (01:15) oder Caps

Schild entwirft (01:18).

Schmidt / Red Skulls Aussagen zur Herkunft des Tesseract (00:06) und sein Glaube

an höhere Formen der Existenz (00:26) gehen zudem Hand in Hand mit denen im

Vorgängerfilm THOR eingeführten „kosmischen“ Elementen des Erzähluniversums.

Derweil wohnt CAPTAIN AMERICA: THE FIRST AVENGER aber auch eine ganz

eigene Genre-Ästhetik inne, die sich sowohl an Kriegsfilmen als auch an

Abenteuerfilmen wie RAIDERS OF THE LOST ARK (1981 USA) orientiert. Das

jede Einzel-Franchise des Marvel-Universums mehr oder weniger einer bestimmten

Genre-Ästhetik oder wenigstens dem Vorhandsein spezifischer Genre-Elemente

zuzuordnen ist, obwohl diese wiederum alle Bestandteil der selben Erzählwelt sind,

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ist eine zusätzliche Eigenart der Filme. CAPTAIN AMERICA: THE FIRST

AVENGER weist außerdem als bis dato einziger Film in einer Szene eine

selbstreferentielle Metaebene (siehe S. 33ff) auf sein Ursprungsmedium und auch das

Kino selbst auf, da in einer Montage, die den Helden als patriotische Werbefigur auf

der Reise durch die USA zeigt, sowohl Ausschnitte vermeintlicher Filmauftritte des

Helden in alten Schwarz-Weiß-Produktionen als auch der Verkauf von Captain

America Comics gezeigt werden (00:50). Die Figur ist also auch innerhalb der

Diegese eine fiktionalisierte Heldenfigur, die aber auf einem echten Menschen,

einem echten „Helden“ basiert.

5.1.6 THE AVENGERS

Synopsis

Thors totgeglaubter Adoptivbruder Loki schließt ein Bündnis mit der Armee der

außerirdischen Chitauri. Für die Beschaffung des sich auf der Erde befindenden

Tesseracts stellt der Anführer der Aliens dem in Ungnade gefallenem Asgardier seine

Armee zur Verfügung und verspricht ihm die Herrschaft über die Menschheit.

Nick Fury und sein Leutnant Agentin Maria Hill treffen derweil bei einer geheimen

Einrichtung von S.H.I.E.L.D. ein, in deren Gewölben der Wissenschaftler Dr. Erik

Selvig die unerschöpfliche Energie des Tesseracts erforscht. Sie werden von Agent

Phil Coulson darüber informiert, dass der Würfel damit begonnen hat, unkontrolliert

Energie abzusondern. Während die Einrichtung bereits evakuiert wird, erscheint Loki

durch ein sich plötzlich öffnendes Wurmloch, hypnotisiert mit Hilfe seines Zepters

einige Mitglieder von S.H.I.E.L.D., darunter Dr. Selvig und Agent Clint "Hawkeye"

Barton, und flieht mit dessen Hilfe und in Besitz des Tesseract aus der Einrichtung.

Fury und seine verbleibenden Agenten nehmen erfolglos die Verfolgung auf,

während in ihren Rücken die Forschungseinrichtung durch die freigesetzte Energie

des Alien-Artefakts implodiert.

Fury reagiert auf den Angriff mit der Reaktivierung der Avengers-Initiative. Mit

Hilfe seiner Agenten überzeugt er die ursprünglich für die Initiative vorgesehenen

Mitglieder Dr. Bruce Banner (Hulk), Tony Stark (Iron Man) und Steve Rogers

(Captain America) bei der Suche nach Loki und dem Tesseract zu helfen. Derweil

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stiehlt der von Loki umgedrehte Hawkeye in Stuttgart ein seltenes Metall, das der

Asgardier dazu benötigt, die Energie des Tesseract zu stabilisieren und das

Dimensionstor für die Armee der Chitauri zu öffnen. Bei einem Ablenkungsmanöver

für den Diebstahl lässt sich Loki von Iron Man und Captain America ohne viel

Gegenwehr gefangen nehmen, doch auf dem Weg zurück zu S.H.I.E.L.D. erscheint

Thor aus heiterem Himmel, um seinen Bruder selber in Gewahrsam zu nehmen und

zurück nach Asgard zu überführen. Doch nach einer Konfrontation mit Stark und

Rogers willigt der Donnergott ein, die Gruppe zum Helicarrier, S.H.I.E.L.D.s

fliegendem Flugzeugträger und Operationsbasis zu geleiten.

Mit Loki in Gefangenschaft versuchen Dr. Banner und Stark den Tesseract mit Hilfe

seiner Energiesignatur aufzuspüren, während das Team allgemein darüber streitet,

wie man mit dem tückischen Loki weiter verfahren sollte. Die Spannungen in der

Heldengruppe verschärfen sich, als ans Tageslicht kommt, dass S.H.I.E.L.D. im

Geheimen daran arbeitet, die Energie des Tesseract für die Herstellung von

übermächtigen Waffengerät zu missbrauchen – ähnlich wie einst Red Skulls

HYRDA-Organisation zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs. S.H.I.E.L.D.-Agentin und

Verhörexpertin Natasha "Black Widow" Romanoff gelingt es währenddessen hinter

Lokis wahre Absichten zu kommen und realisiert, dass dieser Misstrauen zwischen

den Superhelden streuen und Dr. Banners unkontrollierbares zweites Ich, den Hulk,

gegen die Gruppe verwenden will. Zur selben Zeit landet ein Angriffskommando

angeführt vom abtrünnigen Hawkeye auf dem Helicarrier, beschädigt die fliegende

Festung schwer und verursacht durch das plötzliche Chaos die unfreiwillige

Verwandlung Banners in den amoklaufenden Hulk. Loki gelingt bei dem Beinahe-

Absturz des Helicarrier die Flucht, die Heldengruppe ist zunächst zerschlagen und

Agent Coulson verliert durch Lokis Hand sein Leben.

Den Avengers wird deutlich, dass Loki von Beginn an geplant hatte, sie

gegeneinander aufzuhetzen und schließlich in aller Öffentlichkeit zu demütigen. Als

Bühne für seine Erhebung zum Herrscher über die Menschheit hat er sich deshalb

auch nicht ohne Grund Tony Starks Wolkenkratzer in New York ausgesucht, auf

dessen Dach Loki das Eingangsportal für die Chitauri-Armee mit Hilfe des Tesseract

öffnen will. Doch der Tod Agent Coulsons dient (instrumentalisiert von Nick Fury)

den verschiedenen Helden dazu, ihre Differenzen zu überwinden und sich gegen

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Loki zu vereinigen. Das Helden-Team, darunter auch der wieder zu Sinnen

gekommene Hawkeye, stellt sich Loki und den Chitauri in den Straßen und auf den

Dächern New Yorks zum finalen Kampf. Gemeinsam gelingt es ihnen, Loki zu

besiegen und das Portal mit Hilfe seines Zepters wieder zu schließen. Im letzten

Augenblick leitet Stark zudem eine vom World Security Council auf New York

abgefeuerte Atombombe in das sich schließende Portal um und zerstört so das

Mutterschiff der Aliens. Nach dem "Kampf um New York" kehren Thor und Loki mit

Hilfe des Tesseracts nach Asgard zurück und auch die restlichen Avengers gehen

vorerst wieder getrennte Wege.

In einer weiteren Szene während des Filmabspanns muss der Anführer der Chitauri

seinem Befehlshaber die Niederlage gegen die Menschen gestehen. Dieser entpuppt

sich für Kenner der Marvel-Comics als Superschurke Thanos. Die erste Phase von

Marvels Kinouniversum endet schließlich mit einer Einstellung nach dem

Filmabspann, die das Heldengespann bei einer wohlverdienten Runde Schawarma in

einem New Yorker Restaurant zeigt.

Intertextualität / "World-Building"

THE AVENGERS zeichnet sich als finales Zusammentreffen vieler

Handlungselemente und Figuren aus den Vorgängerfilmen aus. In der ersten Hälfte

des Films werden die Protagonisten der vorigen Einzelfilme nach und nach in den

Plot eingeführt, dessen Anstoß und im weiteren Verlauf treibende narrative Kraft

Lokis Diebstahl des Tesseracts ist, wie bereits in der Eröffnungsszene verdeutlicht

wird. Derweil wurde auf die Bedeutung des Tesseracts, wie weiter oben beschrieben,

bereits in den Vorgängerfilmen angespielt, in CAPTAIN AMERICA: THE FIRST

AVENGER trat er sogar ebenfalls schon als ein entscheidendes Plotelement auf.

Nick Fury und S.H.I.E.L.D. nehmen zudem in THE AVENGERS erstmalig eine

zentrale Rolle ein und verbinden in dieser Funktion die individuellen Hintergründe

der verschiedenen Helden, deren Beziehungen und Verbindungen zu dem

Geheimdienst schon in den jeweiligen Einzelfilmen oder in anderen transmedialen

Erweiterungen des Erzähluniversums angedeutet wurden. Fury tritt sogar gleich zu

Beginn des Films quasi als Hauptfigur der Eröffnungsszene (der Zerstörung der

geheimen Forschungsanlage [00:01]) in Erscheinung, im Gegensatz zu den

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Randauftritten, die er in den Vorgängern hatte und die seine Funktion und Stellung in

der Erzählung eher andeuteten als komplett ausführten. Ebenso werden seine

Agenten Black Widow und Hawkeye von bloßen Randfiguren der Vorgängerfilme zu

handelnden Akteuren erhoben, deren Aktionen primäre Auswirkungen auf den Plot

haben. Die ehemaligen Protagonisten der Einzelfilme werden jeweils zunächst in

ihrem vertrauten Habitat eingeführt, um dann vom Plot wortwörtlich (in Form der

Agenten von S.H.I.E.L.D.) abgeholt zu werden. So arbeitet Stark gerade an der

Fertigstellung seines Wolkenkratzers in Manhatten, als er von Agent Coulson

aufgesucht wird (00:23), Black Widow erhält ihren Einsatzbefehl während des

Verhörs eines Waffenhändlers (00:12) und konfrontiert später den dieses Mal in

Indien untergetauchten Dr. Banner (00:15), Thor erscheint während eines plötzlichen

Gewittersturms (00:43), und Steve Rogers durchlebt beim Sandsack-Boxen

Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg, bevor er von Fury für die Mission rekrutiert

wird. Durch den Umstand, dass sich die Figuren untereinander noch nicht kennen

und deswegen einander vorgestellt werden müssen und außerhalb ihrer jeweiligen

Handlungsräume praktisch „narratives Neuland“ betreten, funktioniert THE

AVENGERS trotz seiner zahlreichen Querverweise aber grundsätzlich auch noch als

alleinstehendes Werk ohne die Kenntnis der anderen Filme.

Ungefähr zur Hälfte des Films vereinigen sich dann die Figuren sinnbildlich unter

dem Dach von S.H.I.E.L.D. und müssen Lokis Plan zur Unterwerfung der Welt mit

den in den Vorgängerfilmen erworbenen Fähigkeiten und deren Kombination

untereinander abwenden. Dadurch, dass die Handlung des Films die Helden mit einer

bis dato unvergleichbaren feindlichen Übermacht konfrontiert, werden außerdem die

Grenzen ihrer jeweiligen Kräfte ausgelotet und ebenso, wie diese Kräfte

untereinander in Relation stehen, z.B. bei einer Konfrontation zwischen Iron Man,

Captain America und Thor nach der Gefangennahme von Loki (00:48). THE

AVENGERS stößt die bereits in THOR geöffneten Türen zu einem größeren Kosmos

auf und verbindet die Welten (bzw. Weltausschnitte) der einzelnen Helden mit ihren

diversen Genre-Tropen aus Science-Fiction, Space-Fantasy, Monster- und Kriegsfilm

zu einem großen Genre-Hybrid und stülpt sich als Gitternetz der intertextuellen

Bezüge über die komplette (bis dahin bekannte) Hyperdiegese.

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5.2 Transmediale Erweiterungen – Inhalte und Merkmale

5.2.1 Comics: Marvel Cinematic Universe Tie-Ins

Seit dem Kino-Release von IRON MAN in 2008 sind bis Mitte 2013 über ein

Dutzend spezieller Comic-Veröffentlichungen von Marvel erschienen, die als

Erweiterungen der in den Kinofilmen präsentierten Welt angelegt sind. Im Gegensatz

zu den regulären Veröffentlichungen des Verlags liegen Gestaltung und Produktion

mit in der Hand der verantwortlichen Filmemacher der Marvel Studios131, außerdem

sind die Cover-Motive mit einem "Marvel Cinematic Universe Official Tie-In"-Logo

versehen.

Die einzelnen Veröffentlichungen stellen entweder direkte Adaptionen der einzelnen

Filme dar oder thematisieren Ereignisse parallel zu deren Handlungsverläufen als

auch Geschehnisse zwischen den unterschiedlichen Filmen. Erstere können nicht als

transmediale Erweiterungen verstanden werden, da die direkte Adaption eines Stoffes

von einem Medium in das andere nicht die Gesamterzählung bzw. fiktive Welt

erweitert und in diesem Sinne nur als crossmediales Element zu betrachten ist.

Direkte Adaptionen der Filme sind in der Form der Bücher Iron Man: I Am Iron Man

(Marvel Comics, 2010)), Iron Man 2 (Marvel Comics, 2012) und Thor (Marvel

Comics, 2013) erschienen. Bei den übrigen Veröffentlichungen handelt es sich um

Geschichten, die die Eigenschaften transmedialer Story-Fragmente erfüllen, wie

zuvor unter Punkt 2.3 festgehalten.

Unter anderem werden in den Comics Hintergründe und/oder Jugend der Filmhelden

erforscht wie etwa in Iron Man 2: Public Identity (Marvel Comics, 2010) oder

Captain America: First Vengeance (Marvel Comics, 2011). Der Band Avengers

prelude: Black Widow Strikes (Marvel Comics, 2012) rückt die im Film IRON MAN

2 als Nebenfigur eingeführte S.H.I.E.L.D.-Agentin Natasha Romanoff in den

Mittelpunkt, liefert als Teil einer Spionagegeschichte Informationen zu ihrer

Vergangenheit als Attentäterin und dient als Vorbereitung auf den größeren Auftritt

der Figur in THE AVENGERS. Eine ähnliche verbindende Funktion hat Avengers

131 Vgl. Wigler, Josh (2010): Joe Quesada Outlines Plans For 'Marvel Cinematic Universe' Comics With Movie Creators. http://splashpage.mtv.com/2010/11/01/joe-quesada-marvel-movies-comics [Stand: 16.07.2013]

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Page 70: Marvelous Cinema - OPUS 4€¦ · auseinander gesetzt. Er bezeichnet diese Art des Erzählens als "transmedia stroytelling": „A transmedia story unfolds across multiple media platforms,

prelude: Fury's Big Week (Marvel Comics, 2012), der die einzelnen

Handlungsstränge der Kinofilme aus der Sicht von S.H.I.E.L.D.-Direktor Nick Fury

miteinander in Verbindung setzt, indem der Plot seinen Handlungen zwischen den

diversen Auftritten in den jeweiligen Filmen folgt und so Fury bei seiner

Geheimdienstarbeit hinter den Kulissen zeigt, während die Superhelden ihre

individuellen Abenteuer aus den Filmen zu bestehen haben. Die Comics liegen bis

heute nur in englischer Sprache vor. Weitere Veröffentlichungen sind begleitend zu

der im Sommer 2013 mit IRON MAN 3 gestarteten Phase Two erschienen bzw.

geplant.

5.2.2 Kurzfilme: Marvel One-Shots

Die Marvel One-Shots sind eine Reihe von Kurzfilmen, die direkt für die

Veröffentlichung auf dem Heimvideomarkt produziert werden und als Bonusmaterial

auf den DVD- und Blu-ray-Veröffentlichungen der Kinofilme zu finden sind. Die

Kurzfilme sind je nur wenige Minuten lang und drehen sich gewöhnlich um die

Agenten des Geheimdienstes S.H.I.E.L.D. Der erste Kurzfilm The Consultant (2011)

zeigt die Agenten Coulson und Sitwell [letzterer tritt in den Filmen auch vereinzelt in

einigen Szenen auf, so z.B. in THOR (00:54) und THE AVENGERS (00:37)] bei

einer Diskussion über die Ausführung eines Befehls des World Security Councils.

Dieser verlangt die Rekrutierung von Hulks Gegenspieler Blonsky / Abomination für

die Avengers-Initiative, der sich zurzeit in Gewahrsam von General Ross befindet.

Die Agenten lehnen dieses Vorhaben strikt ab und kommen deswegen auf die Idee,

ihren neu ernannten Berater Tony Stark zu Ross zu schicken, in der Hoffnung, dass

Stark durch sein ungehobeltes Verhalten den Deal sabotiert. Das Resultat dieses

Coup war derweil bereits in der letzten Szene von THE INCREDIBLE HULK zu

sehen. Der Kurzfilm schließt dementsprechend die Lücke, wie es zu der Begegnung

von Stark und Ross am Ende des Films kam.

A Funny Thing Happened On The Way To Thor's Hammer (2011) hingegen folgt

Agent Coulson auf seiner Reise zum Städtchen Albuquerque in New Mexico. Dieser

überwältigt bei einem nächtlichen Zwischenstopp zwei Verbrecher, die eine

Tankstelle überfallen wollen. Der dagegen über 10 Minuten lange Item 47 (2012)

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schickt Agent Sitwell in den Nachwehen der Schlacht von New York aus THE

AVENGERS auf die Jagd nach einem Ganovenpärchen, das mit Hilfe einer

erbeuteten Alienwaffe Banken überfällt. Anstatt das Paar verhaften zu lassen,

rekrutiert er die beiden schließlich als neue Agenten, da es niemanden bei

S.H.I.E.L.D. selbst gelungen ist, die unbekannte Waffentechnologie zu aktivieren.

Die One-Shots erweitern das Erzähluniversum zwischen den "großen" Ereignissen

der Filme und präsentieren gleichzeitig das Geschehen aus der bodenständigen,

menschlicheren Perspektive der Agenten von S.H.I.E.L.D. Gleichzeitig bieten sie

Informationen, um Zusammenhänge im Geschehen rund um die Marvel-Helden

richtig verknüpfen zu können (siehe The Consultant).

5.2.3 TV-Serie: Agents of S.H.I.E.L.D.

Im Herbst 2013 wird der US-amerikanische TV-Sender ABC den Pilotfilm der von

Marvel Studios produzierten TV-Serie Marvel's Agents of Shield ausstrahlen. Für die

Konzeption der Serie zeichnet sich unter anderem Joss Whedon verantwortlich, der

für den Pilotfilm sogar die Funktion des Drehbuchautors und Regisseurs übernahm.

Ähnlich wie die One-Shots wird die Serie die Welt des Marvel Cinematic Universe

aus der Perspektive eines Teams von S.H.I.E.L.D.-Agenten zeigen, das von dem

totgeglaubten Agent Coulson angeführt wird. Die Serie wird nach dem ersten

Aufeinandertreffen der Helden in THE AVENGERS spielen und die Agenten

voraussichtlich mit den alltäglichen Konflikten und Problemen konfrontieren, die

eine Welt voller Superhelden und potentieller Superschurken mit sich bringt, wie ein

bereits veröffentlichter Trailer zur Serie andeutet.132 Sie soll aber genauso auch als

eigenständiges Werk funktionieren, weswegen das Protagonisten-Ensemble

größtenteils aus neuen Figuren besteht, wie Whedon in einem Interview erklärt.133

Bereits im Vorfeld der Veröffentlichung versuchte Marvel zudem, mit der in der Serie

von Schauspielern Chloe Bennet verkörperten Figur Skye auf die Premiere des

Pilotfilms aufmerksam zu machen. Die Computerhackerin gehört in der Serienwelt

132 Siehe Marvel's Agents of S.H.I.E.L.D. - Trailer 1 (Official). http://www.youtube.com/watch?v=T3T-evQZiQo [Stand: 16.07.2013]133 Vgl.coomingsoon.net (2013): Joss Whedon Talks Marvel's Agents of S.H.I.E.L.D. and Coulson's

Return. http://www.comingsoon.net/news/tvnews.php?id=105002 [Stand16.07.2013]

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der zivilen Organisation Rising Tide an, die auf ihrer Internetseite

http://www.wearetherisingtide.com/blog/ diverse vermeintliche Amateuraufnahmen

von verschiedenen Superhelden des Marvel-Univerums veröffentlichten und so die

Öffentlichkeit auf die verdeckten Machenschaften von S.H.I.E.L.D hinweisen

wollten. Ähnlich wie bei bereits bei anderen TV-Serien (z.B. bei Lost oder True

Blood) wird hier versucht mit Hilfe von diegetischen Artefakten, die als reale

Internetangebote getarnt sind, das potentielle Publikum im Vorfeld der

Veröffentlichung mit Erzählwelt und Figuren der Serie vertraut zu machen.

5.2.4 Computer- und Videospiele

Im Laufe der Veröffentlichungen der Kinofilme sind diverse Umsetzungen für

verschiedene klassische Videospielsysteme wie die PlayStation 3 und die Xbox 360

als auch für mobile Geräte wie Smartphones und Tablets erschienen. Inwieweit diese

Angebote allerdings als transmediale Erweiterungen und damit als offizielle

Bestandteile des Marvel Cinemtaic Universe fungieren, ist nirgendwo ersichtlich

festgehalten bzw. existieren dazu keine Aussagen der Verantwortlichen bei Marvel

Studios.

Einige der von Sega publizierten Spiele folgen lose der Handlung der Filme, weichen

im Verlauf aber davon ab oder erweitern diese durch zusätzliche Elemente (Iron Man

und The Incredible Hulk). Die Ereignisse der Spiele Iron Man 2, Thor: God of

Thunder sowie Captain America: Super Soldier finden derweil vor, nach oder

während der Ereignisse der Kinofilme statt, ohne das allerdings in den Inhalten der

anderen Medien diese Ereignisse je als Bestandteile der erzählten Welt bestätigt

werden. Die ursprüngliche Umsetzung zu THE AVENGERS ist zudem durch die

Insolvenz des Unternehmens THQ (bei dem sich der Titel in Produktion befand) nie

erschienen, stattdessen veröffentlichte Marvel zusammen mit Ubisoft 2012 The

Avengers: Battle for Earth, das allerdings nicht mehr auf dem Kinouniversum

basierte, sondern sich direkt an einer Reihe von Comics mit den gleichnamigen

Helden anlehnte. Dieser Umstand gepaart mit dem vorigen wirtschaftlichen

Misserfolg der Sega-Titel legt nahe, dass Marvel aktuell keine transmedialen

Strategien im Bereich der Computer- und Videospiele verfolgt. Zur Vollständigkeit

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halber sollen die Titel hier trotzdem genannt sein, sie werden aber im weiteren

Verlauf dieser Analyse aufgrund der Unklarheiten ihrer Einordnung in das größere

Erzähluniversum nicht weiter thematisiert werden.

5.2.5 Radikale Intertextualität am Beispiel des Tesseract

Wie bereits zuvor festgehalten, sieht Henry

Jenkins eine radikale Form von Intertextualität,

die sich in multiplen Querverweisen und

narrativen Verbindungen zwischen den einzelnen

narrativen Texten auszeichnet, als eine der

Grundvoraussetzungen für transmediale

Erzählungen (siehe Seite 22). Am Beispiel des

Tesseract (dem außerirdischen Würfel-Artefakt,

das dazu fähig ist, unbegrenzte Mengen von

potentieller Energie zu erzeugen) soll im

folgenden veranschaulicht werden, wie die Filme

des Marvel Cinematic Universe und ihre

Ereignisse rückwirkend miteinander verbunden werden und wie durch die

intertextuellen Verbindungen zwischen den Filmen dem Zuschauer zusätzliches

Wissen über die Filmwelt vermittelt wird, was Jenkins unter dem Begriff des

additiven Verstehens ("additive comprehension") definiert hat.

Als Start einer intertextuellen Kette von diversen Szenen und Einstellungen mit

narrativem Bedeutungszusammenhang soll hier eine zunächst eher unbedeutend

wirkende Szene des Films THE AVENGERS genannt sein. Während einer

Konfrontation zwischen Thor, Iron Man und Captain America attackiert der

Donnergott den stählernen Tony Stark mit der elektrischen Energie seines Hammers.

Stark wird aber nicht verletzt, im Gegenteil scheint sein Anzug die Energie zu

absorbieren bzw. ihn sogar zu stärken (00:48). Explizit erklärt wird dieses Ereignis

im weiteren Verlauf des Films nicht. Wer allerdings allen vorigen Filmen

aufmerksam gefolgt ist, der weiß, dass Tony Stark den Energie-Reaktor in seiner

Brust, der auch seinen Anzug antreibt, basierend auf einer von seinem Vater Howard

70

Abbildung 1: Tony Stark (Robert Downey Jr.) mit einem Hologramm des Tesseract in THE AVENGERS

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entwickelten Technologie entworfen hat (IRON MAN, 00:25). Die Geschehnisse von

CAPTAIN AMERICA: THE FIRST AVENGER wiederum implizieren, dass Howard

Stark nicht nur die Energie des außerirdischen Tesseracts erforschte, sondern diesen

auch als Grundlage für seinen später entwickelten Arc Reactor verwendete (01:15,

01:50, Abb. 2). Ein weiterer Hinweis darauf ist in einer Einstellung aus IRON MAN

2 zu finden, in der Tony ein Notizbuch seines Vaters durchblättert und kurz eine

Abbildung des außerirdischen Würfels zu sehen ist (01:14, Abb. 3). Tony selbst

scheint zudem in THE AVENGERS bewusst zu werden, dass er den Tesseract schon

einmal zuvor gesehen hat (nämlich in dem eben genannten Notizbuch), in einem

Moment, in dem er sich den Würfel in Form eines Computerhologramms das erste

Mal genauer anschaut (00:27, Abb. 1).

Diese Kette von intertextuellen

Verweisen impliziert demnach, dass die

Technologie hinter Starks Kampfanzug

letztendlich außerirdische Wurzeln hat,

denn wie ebenfalls in CAPTAIN

AMERICA: THE FIRST AVENGER

von Red Skull bei seinem Fund des

Würfels zu Filmbeginn angedeutet

(00:06), stammt der Tesseract wie

natürlich auch Thors Hammer aus Odins Reich Asgard. Das würde erklären, warum

es bei der Konfrontation zwischen Iron Man und Thor zu der oben beschriebenen

Patt-Situation kommt. Eine weitere (oder alternative) Erklärung wäre, dass es sich

bei dem ungenannten Element, das Tony Stark in IRON MAN 2 zum weiteren

Betrieb seines Anzugs mit Hilfe der Aufzeichnungen seines Vaters generiert, um das

gleiche Element handelt, das Howard Stark einst zur Konstruktion von Captain

Americas unzerstörbarem Schild verwendete (CAPTAIN AMERICA: THE FIRST

AVENGER, 01:18). Denn wie ebenfalls in der hier zu Beginn beschriebenen

Konfrontation zwischen den Helden zu sehen ist, ist das Schild ebenfalls gegen die

Macht von Thors Hammer immun, was auch wiederum die Immunität von Iron Man

erklären könnte.

71

Abbildung 2: Howard Stark birgt den Tesseract vom Meeresgrund in CAPTAIN AMERICA: THE FIRST AVENGER

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Anhand dieser Bedeutungsketten

von auf den ersten Blick nicht

zusammenhängenden, filmüber-

greifenden Szenen und

Einstellungen werden durch die

intertextuellen Verbindungen

zusätzliche Informationen über die

Filmwelt und die Konsequenzen

bestimmter ihr innewohnender Ereignisse vermittelt. Es handelt sich in diesem Sinne

also wirklich um eine die kognitiven und assoziativen Fähigkeiten des Rezipienten

fordernde, radikale Form der Intertextualität zwischen den verschiedenen Filmen.

Die Zuschauer, die diesen zunächst unsichtbar scheinenden Referenzen folgen,

können so allein aus den Primärtexten (den Kinofilmen) mehr über die erzählte Welt

erfahren. Nämlich indem Sie auf narrative Lücken in einem Text achten und diese

mit passenden Informationsteilen aus den anderen Filmtexten füllen.

5.2.6 Multimodalität am Beispiel der Figur Phil Coulson

Die oben beschriebene

intertextuelle Verknüpfung

von einzelnen Szenen und

Bildinformationen findet

nicht nur alleine zwischen

den Kinofilmen, sondern

auch zwischen ihnen und den

Inhalten der anderen Medien wie den Kurzfilmen und Comics statt. Die radikale

Intertextualität existiert so auch zwischen den diversen Darstellungsformen und

Erzähltechniken der verschiedenen Medien (Multimodalität) und eröffnet dem

Rezipienten neue Informationen und Sichtweisen auf die erzählte Welt – was laut

Jenkins den Kern einer transmedialen Erzählung ausmacht (siehe S. 22f). Als Träger

dieser intertextuellen Verbindungen zwischen den Inhalten der verschiedenen

Medienarten treten im Marvel Cinemtic Universe zumeist die Figuren rund um den

72

Abbildung 3: Tony Stark blättert im Notizbuch seines Vaters in IRON MAN 2

Abbildung 4: Phil Coulson und Nick Fury in dem Comic „Fury's Big Week“

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Geheimdienst S.H.I.E.L.D. auf. Als Beispiel soll hier ein transmedialer

Nebenhandlungsstrang über die Figur des Agenten Phil Coulson angeführt werden.

So zeigt das Comic Fury's Big

Week (Abb. 4) den Agenten bei

dem vergeblichen Versuch die

Aufmerksamkeit seines Chefs

auf ein merkwürdiges

Wetterphänomen in der Wüste

New Mexicos zu lenken, für das

sich Nick Fury allerdings erst

bei einem weiteren Gespräch

am Haus von Tony Stark interessiert. Hier überschneidet sich das Geschehen mit

dem Plot aus IRON MAN 2, in dem Coulsons Auftritt zunächst damit endet, dass er

sich auf den Weg nach New Mexico macht (01:24). Der Kurzfilm A Funny Thing

Happenend On The Way To Thor's Hammer thematisiert daran anknüpfend Coulsons

Fahrt zu seinem Zielort (Abb 5.), den er schließlich in einer Szene in THOR erreicht

(00:36), die wiederum auch bereits als Bonusszene nach dem Filmabspann in IRON

MAN 2 zu sehen war. Diese zunächst eher nichtsequentiell wirkenden Elemente

werden durch den größeren Bedeutungszusammenhang entlang an der Figur Phil

Coulson zu einer intertextuellen Sequenz von Handlungen verknüpft. Solche

transmedialen Erzählzweige bieten dem aufmerksamen Rezipienten zusätzliche

Informationen über Bewegungen bestimmter Figuren zu bestimmten Zeitpunkten

innerhalb des größeren Erzähluniverums und werfen zudem Licht auf konsequente

Zusammenhänge von zunächst autonom erscheinenden Ereignissen.

Die S.H.I.E.L.D.-Agenten funktionieren als Träger dieser intertextuellen

Verknüpfungen, weil sie in den Kinofilmen (die ohne Zweifel die Rolle der

Primärtexte des transmedialen Erzähluniversums einnehmen) zwar immer wieder

auftauchen, aber grundsätzlich nie von entscheidender Bedeutung für den kompletten

Verlauf des jeweiligen Plots sind. Sie treten viel mehr an bestimmten Stellen in die

Handlung ein und dann ebenso wieder aus, weswegen diese Leerstellen, in denen sie

nicht im Film zu sehen sind, leicht mit Inhalten aus den transmedialen Erweiterungen

gefüllt werden können. Die Kurzfilme, Comics (und vermutlich auch die TV-Serie)

73

Abbildung 5: Coulson als Protagonist des Kurzfilms „A Funny Thing Happened On The Way To Thor's Hammer“

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geben dem Rezipienten die Möglichkeit zu erfahren, was Phil Coulson gerade macht,

wenn er nicht auf der Leinwand zu sehen ist. In ihrer Kombination konstruieren die

einzelnen Medientexte so transmediale Handlungsstränge, die parallel zu den

primären Handlungssträngen der Kinofilme verlaufen.

5.2.7 Hyperserialität

Wenn man im Sinne einer Erzählwelt, in der eine Vielzahl von möglichen

Erzählungen stattfinden (können), von einer Hyperdiegese spricht, ist es nur

konsequent den Fortsetzungscharakter des Marvel Cinematic Unvierse als

Hyperserialität zu bezeichnen. "Hyper" deswegen, weil hier nicht einfach mehr eine

Geschichte bzw. die einzelnen Teile einer Geschichte über mehrere individuelle

Filme einer Franchise ausgebreitet werden, sondern eine Vielzahl von Geschichten

präsentiert werden, die größtenteils in beliebiger Reihenfolge rezipiert werden

können, dabei aber trotzdem Teil einer großes Fiktion sind.

So sind die drei Teile von IRON MAN sowohl als in sich geschlossene Trilogie zu

sehen (Tony Starks Reise zum Superhelden, die darauf folgende Auseinandersetzung

mit seiner Sterblichkeit und die Symbiose mit seiner Heldenidentität sowie

abschließend das Ablegen dieser Identität und Bewältigung seiner Angstzustände) als

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Abbildung 6: Thor (Chris Hemsworth), Jane Foster (Natalie Portman) und Dr. Erik Selvig (Stellan Skarsgård) treffen auf Agent Coulson in THOR

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auch als der erste, dritte und siebte Teil des größeren Erzähluniversums, das sich alle

Helden teilen. CAPTAIN AMERICA: THE FIRST AVENGER ist sowohl der sechste

Teil des Erzähluniverums und beinhaltet in dieser Funktion bereits narrative

Hinweise auf den direkten Nachfolger THE AVENGERS, er funktioniert aber

gleichzeitig auch als Prequel zu allen anderen Filmen, da er Ereignisse in deren

Vergangenheit thematisiert. Die Filme THE INCREDILBE HULK, IRON MAN 2

und THOR spielen mehr oder weniger parallel zueinander (in der erzählten Zeit) und

können dementsprechend in beliebiger Reihenfolge rezipiert werden – das Marvel

Cinematic Universe hebt die klassische, einseitig laufende Kontinuität des seriellen

Erzählens auf und bietet überall Einstiegs- und Ausstiegspunkte, die individuell vom

jeweiligen Rezipienten genutzt und verknüpft werden können.

Jedem Rezipient steht es im Marvel Cinematic Universe potentiell frei, seine eigene

mediale Erfahrung zu konstruieren, egal ob es sich dabei nur um die Rezeption

einzelner Kinofilme, aller Filme mit dem Bewusstsein der intertextuellen

Beziehungen oder dem Ausschöpfen der transmedialen Erweiterungen handelt – der

Rezipient entscheidet selber, wie tief er in die erzählte Welt vordringen will, ohne

dieses aber gezwungener Maßen tun zu müssen, da die einzelnen Inhalte in erster

Konsequenz gewöhnlich nicht von einander abhängen. Sie sind ganze Teile als auch

Teile eines Ganzen.

75

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6. Fazit – Ein Universum der narrativen Möglichkeiten

Was unterscheidet die Filme des Marvel Cinematic Universe von anderen

vergleichbaren Blockbuster-Filmen? In erster Konsequenz eigentlich nichts. Sie

erzählen universelle Geschichten über den Kampf zwischen Gut und Böse, in denen

ein auserkorener Held sich den inneren und äußeren Dämonen seiner Realität stellen

muss, um an der Herausforderung zu wachsen und das Gleichgewicht in Form von

Frieden und Ordnung wieder herzustellen. Begleitet werden diese existentiellen

Abenteuer von spektakulären Schauwerten und den neuesten Entwicklungen der

Visual-Effects-Industrie. In dieser Hinsicht orientieren sich die Marvel Studios an

den seit Jahrzehnten klassischen, mythologisch verwurzelten Erzählstrukturen des

populären Unterhaltungskinos.

Eine neuartige Form der intertextuellen Vernetzung weisen sie dagegen erst in

zweiter Konsequenz auf; durch das vernetzende, narrative Gewebe, das an den

Rändern der jeweiligen Filmplots beginnt und sich dann kontinuierlich mit jeder

neuen Kino-Geschichte ausbreitet und schließlich als tragende Kraft für ein cross-

narratives Aufeinandertreffen wie in THE AVENGERS fungiert. Unterstützt wird

dieses narrative Gewebe zusätzlich durch die Mittel des transmedialen Erzählens,

durch die alternative Blickwinkel auf Figuren und Handlungen sowie zusätzliche

Querverbindungen zwischen verschiedenen Punkten im Raum-Zeit-Geschehen der

erzählten Welt eröffnet werden. So wird in letzter Konsequenz beim Zuschauer das

Bewusstsein für ein fiktives Handlungsuniversum geschaffen, das weit über die

Grenzen der einzelnen Erzählung hinaus geht, und das potentiell die Möglichkeit

einer Vielzahl von weiteren möglichen Geschichten in sich trägt, die bereits davor

stattgefunden haben, währenddessen stattfinden oder noch danach stattfinden

werden.

Demnach lässt sich Henry Jenkins Definition von transmedia storytelling als die

Kunst, Geschichten mit einem hohen Maße von medienübergreifender Intertextualiät

zu erzählen, durch die der Rezipient neues Wissen über die dargestellte Welt erlangt,

und deren einzelne Geschichten sowohl separate Entitäten als auch Fragmente einer

größeren Erzählung darstellen, tatsächlich am Marvel Cinemtic Universe

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exemplifizieren. Eine nicht zu unterschätzende Dimension der transmedialen

Geschichten stellt zudem die Rolle des Rezipienten dar. Diverse Autoren, die sich

mit dem Thema auseinander gesetzt haben (wie etwa Frank Rose oder Tyler Weaver)

betonen immer wieder die Bedeutsamkeit des aktiven Zuschauers/Hörers/Lesers, der

selber entscheidet, wie tief er in ein transmediales Erzähluniversum vordringen

möchte und dementsprechend seine Medienerfahrung mit den ihm präsentierten

Texten und narrativen Puzzleteilen selber gestaltet. Im Sinne der modernen

Fragmentierung des Publikums gibt es nicht mehr den einen, ununterbrochenen

Medientext mit Anfang und Ende. Eine "Leserichtung" ist nicht länger vorgegeben

("Hyperserialität"), der Rezipient steigt da ein, wo er mit dem Stoff in Berührung

kommt und dringt an den Stellen tiefer in die narrative Materie ein, die er für

interessant hält. Der Kinogänger, der kurzfristig auf der Suche nach Unterhaltung für

den Moment ist, findet seine Bedürfnisse in einem Kino-Blockbuster der Marvel

Studios genauso wieder, wie der Zuschauer, der sich auf längere Sicht auch für die

seriellen Aspekte und narrativen Verbindungen der Filme interessiert. Der Fan, der

sein Hintergrundwissen über die dargestellte Welt zudem jenseits der Filme noch

vertiefen will, wird sich früher oder später der transmedialen Erweiterungen und

ihrer narrativen Stellenwerte bewusst werden. Fans der Kinofilme werden den Start

der TV-Serie verfolgen, so wie die TV-Serie auch wieder rückwirkend Zuschauer zu

den Kinofilmen führen kann. Die Marvel Studios haben mit ihrem Kino-Universum

weniger die eigentliche Erzählstruktur oder die präsentierten Inhalte revolutioniert,

sondern vielmehr eine neue Optionalität der Rezeption und Individualität der

Auseinandersetzung von bzw. mit diesen Strukturen und Inhalten eingeführt,

basierend auf den gleichen Gestaltungsprinzipien, die seit Jahrzehnten auch schon in

der Welt der (Superhelden-)Comics Gang und Gebe sind. Wie viele Entwicklungen

und Innovationen der populären Unterhaltung zuvor gehen diese Neuerungen vor

allem auch auf ein sich veränderndes Publikum zurück und beweisen einmal mehr,

dass wirtschaftliche Faktoren und kreative Impulse in der Populärkultur Hand in

Hand gehen. Der Kreis schließt sich so wieder im Kinosaal, in dem ein modernes

Publikum bestehend aus Menschen mit verschiedensten Erwartungen und

Ansprüchen an ihre medialen Unterhaltungswelten darauf wartet, dass sich das Licht

wieder dimmt.

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Bildmaterial

Titelblatt:Art by Matt Fergusonhttp://www.cakesandcomics.com/p/marvel.html [Stand: 17.07.2013]

Abbildung 1:http://theshootening.files.wordpress.com/2012/04/avengersimage41020122.jpeg [Stand: 17.07.2013]

Abbildung 2:http://images1.wikia.nocookie.net/__cb20121007112520/marvelcinematicuniverse/images/e/ee/Cube_ocean.png [Stand: 17.07.2013]

Abbildung 3:http://www.blastr.com/sites/blastr/files/images/assets_c/2012/05/Cosmic-Cube-Iron-Man-2-thumb-330x143-90329.jpeg [Stand: 17.07.2013]

Abbildung 4:http://i.annihil.us/u/prod/marvel/i/mg/a/20/4f2c59b388ec7.jpg [Stand: 17.07.2013]

Abbildung 5:http://www.ifc.com/wp-content/uploads/2011/10/101711-funny-thing-thors-hammer.jpg [Stand: 17.07.2013]

Abbildung 6:http://www.joblo.com/newsimages1/avengers-thor-coulson.jpg [Stand: 17.07.2013]

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Schriftliche Versicherung

Hiermit versichere ich, dass ich diese Masterarbeit selbstständig verfasst habe und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel verwendet habe. Alle Stellen, die wörtlich oder sinngemäß aus Veröffentlichungen entnommen sind, habe ich als solche kenntlich gemacht.

Berlin, 26.07.2013

Unterschrift