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SIE WERDEN MICH MÖGEN Die Robert-Hartmann-Trilogie Roman VAT Mathias Ullmann

Mathias Ullmann, Sie werden mich mögen

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Robert Hartmann, der charmante Held und Erzähler, führt in schmissigem Plauderton hinter die Fassaden der Zivilgesellschaft, in die Abseiten eines Lebens zwischen Job, Improvisation und Finanzamt. Nach und nach laufen die Dinge aus dem Ruder ... Während die Zahl der Probleme und der Leichen unaufhaltsam steigt, erhöht der Autor gekonnt die Spannung mit den Mitteln von Thriller, Satire und realistischem Porträt. Die drei Teile »Josephsmacher«, »Ohne Engel« und »Hirnriss« zeichnen Deutschland im scheinbar schicksalhaften Auf und Ab seiner Krisen und Zyklen.

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SIE WERDEN MICH MÖGENDie Robert-Hartmann-Trilogie

Roman

VAT

Mathias Ullmann

Die Robert-Hartmann-Trilogie

Roman

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Mathias Ullmann

Sie werden Mich Mögen

die robert-hartmann-Trilogie

Verlag André Thiele

Leseauszug

© VAT Verlag M

ainz

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w.vat-m

ainz.de

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© VAT Verlag André Tiele, Mainz am rhein 2012Umschlag: gestaltungsmerkmal.de, dresden Satz: Felix Bartels, Osaka druck: Anrop Ltd., Jerusalem Umschlag unter Verwendung eines Bildes von piai – Fotolia.com Alle rechte vorbehalten. Printed in israel.

www.vat-mainz.de

isbn 978-3-940884-37-4

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Josephsmacher

2005

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Mildernder Umstand, den manvorm Jüngsten Gericht anführen kann:Wir hatten sowieso nie darum gebeten,geboren zu werden.

Kurt Vonnegut,Zeitbeben

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Mein name ist hartmann, robert hartmann.wenn Sie mir das jetzt nicht glauben, dann liegen Sie richtig.

ich bin realist genug, um davon auszugehen, dass Sie ohnehinnichts von dem glauben, was ich ihnen erzählen werde. eigentlichkönnte ich auch gleich meinen im Pass verzeichneten namennehmen, vielleicht heiße ich ja tatsächlich robert hartmann.

im Sächsischen gibt es eine schöne Formulierung dafür, etwasvöllig Sinn- und würdeloses mit großer ernsthaftigkeit zu tun:Man macht sich zum robert. Manchmal habe ich das gefühl,dass ich genau dies tue. Aber das ist nicht weiter schlimm. ge-nauer gesagt: ich lebe davon.

hartmann dagegen klingt gut. das Leben ist ein einziger här-tetest – und ich komme trotzdem durch. das Leben ist hart,Mann, aber ich bin härter. Schade, dass hertha als Männernamenicht so recht anerkannt ist. clemens und claudia würden, wennsie diesen namen hörten, laut auflachen: Papa, du und hart!das glaubst du doch wohl selbst nicht! was die schon wissen.Besser, dass sie nichts wissen.

claudia und clemens sind meine beiden Kinder. die natürlichauch nicht claudia und clemens heißen. Sie sind halbwaisen,so viel wenigstens ist wahr. ich bin witwer.

Mein geld verdiene ich freiberuflich, überwiegend als Jo-sephsmacher. Sehen Sie jetzt aber bitte nicht in irgendeinemBranchenbuch nach, dann schon eher in der Bibel. ist jedenfallskein Ausbildungsberuf.

wissen Sie, wie oft ich gegenüber irgendwelchen Ämternnachweisen muss, dass ich in der Lage bin, für meine Kinder an-gemessen zu sorgen? ich sage es ihnen: So oft, dass es einem spä-testens beim dritten Mal ganz gewaltig auf die nüsse geht.

entschuldigung. ich verspreche, nicht mehr zu fluchen. dieÄmter tun ja auch nur ihre Pflicht. die Leute dort machen das,was sie müssen, und sie machen es, um irgendwie durchs Lebenzu kommen. das eint uns.

claudia ist gerade viel zu früh aus der Schule gekommen. esgab Ärger, das ist ihr anzusehen. Sie ist kurz vorm heulen. ich

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bekomme schon raus, was sie bedrückt, noch vertraut mir meineTochter jeden Kummer an. Und Papa hört zu und tröstet. Manahnt kaum, wie sehr einem Kind schon damit geholfen ist, dassman ihm einfach zuhört.

claudia ist vierzehn. Und eigentlich sollte sie jetzt ihre geigeaus dem Kasten nehmen und Fingerübungen machen, bevor siezur Musikschule geht. in dem Zustand allerdings, in dem sienach hause gekommen ist, ist sie dazu kaum in der Lage. ichgeh dann mal trösten …

claudias Problem besteht kurz gesagt, darin, dass Männer auchschon mit vierzehn oder fünfzehn Jahren ausgemachte Volltrottelsind. irgendein Schulkamerad hat ihr wohl unlängst heiße Blickezugeworfen. Und nun hat er das alles wieder vergessen und sichan eine von claudias Klassenkameradinnen rangeschmissen, weildie nämlich größere Brüste hat. Sagt claudia.

was ist das für eine welt, in welcher Männer Frauen nur da-nach beurteilen, wie groß deren Brüste sind? der Junge schlepptoffenbar einen Brustkomplex aus seiner Kindheit mit sich herum.Vielleicht ist er nicht lange genug gestillt worden? Oder zu lange,wer weiß das schon? Zumindest teilt er diesen Komplex anschei-nend mit der Mehrheit der männlichen Bevölkerung deutsch-lands.

Mit mir nicht, ich könnte mir so etwas gar nicht leisten.davon abgesehen muss jeder zugeben, dass claudia wundervollaussieht. glücklicherweise erkennen wenigstens Frauen das so-fort.

clemens kommt heute später nach hause, er hat Fußballtrai-ning. hoffentlich verstaucht oder prellt er sich nicht wieder ir-gendetwas, sonst muss ich noch zur Apotheke am neustädterBahnhof und Salbe kaufen.

clemens ist zwölf und er kann einmal ein großartiger Fußballerwerden. Am liebsten spielt er im defensiven Mittelfeld. Von dortaus hat er das gesamte Spiel vor sich und kann es lenken. Unddas macht er richtig gut. ich sag jetzt nicht, von wem er daswohl geerbt haben könnte.

davon abgesehen ist auch clemens ein bildhübsches Kind.wenn er noch drei, vier Jahre älter wird und auch mal an etwasanderes denkt als an Fußball, dann, liebe damenwelt, wird es

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schwungvoll. ich sollte allerdings rechtzeitig mit ihm darüberreden, dass es bei Frauen auf die Brustgröße zu allerletzt an-kommt.

nun ja, zumindest fast zuletzt.nun haben Sie auch die Begründung dafür, warum ich immer

in so kurzen Abschnitten schreibe: Zu mehr komme ich in derZeit zwischen zwei erziehungsnotfällen einfach nicht. wenn dieKinder am Vormittag in der Schule sind, gehe ich einkaufen,wasche, mache die wohnung sauber und koche – meist mehr alsnötig. die hälfte des essens wird dann eingefroren, damit sichdie Kinder an den Abenden, an denen ich beruflich unterwegsbin, einfach etwas aus der gefriertruhe nehmen können. habeich schon gesagt, dass das Jugendamt ganz besonders darauf ach-tet, ob die Kinder vernachlässigt aussehen? das tun meine Kinderwirklich nicht. Jedenfalls geht der ganze Vormittag für solchedinge drauf. Am nachmittag bin ich dann abwechselnd Seelen-tröster, nachhilfelehrer, Medizinmann, Fitnesstrainer, Korrepe-titor, Konzertbesucher, Schlachtenbummler, chauffeur oderschlicht erzieher und Papa. Sie sehen, es ist immer etwas loshier.

es ist vielleicht nicht ganz fair, meinen Kindern diese namenzu geben, clemens und claudia. clem und clau. währendmeiner Studienzeit in Leipzig gab es im Stadtzentrum einenAn- und Verkauf für gebrauchte Möbel. in dem habe ich mirmeine erste eigene Bude zusammengestoppelt. dieser Ladenhieß im Volksmund nie anders als »Klemm & Klau«. der Ladenexistiert schon lange nicht mehr. Aber es ist schön, an ihn zurückzu denken.

wenn ich mir das bisher geschriebene ansehe, dann kann ichmich nur fragen: ein bisschen kleiner hast du es wohl nicht?Klischeefamilie, zwei Kinder, Junge und Mädchen. Sie schön-geistig-künstlerisch orientiert, er eher der handfeste, sportlicheTyp. Und beide schön und erfolgreich, was sonst. wirkt argkonstruiert, das kann ich mir eigentlich nur ausgedacht haben.

wenn es so wäre, hätte ich zumindest ein paar Sorgen und sehrviel rennerei weniger. ich musste gerade mal eben in die Küche,um Scherben zusammenzufegen. claudia ist ein einziges ver-

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heultes elend. Beim Unterricht vorhin hat sie die gedankennicht von diesem Busenfetischisten freibekommen und war dem-entsprechend unkonzentriert. Oder einfach nur schlecht. Undzur Strafe darf sie – sollte sie sich nicht gewaltig zusammenrei -ßen – in vierzehn Tagen bei dem Stück von Pachelbel nicht dieerste geige spielen. was ist da schon eine runtergefallene Teetasse?Papa macht’s weg, Papa kauft eine neue. Aber nicht wieder in ei-nem so ekligen grün. claudia konnte diese Tasse noch nie leiden.ich verstehe allerdings nicht, warum sie dann immer wiedergenau diese genommen hat. der Alltag stellt einen vor Fragen,die jeden Philosophen überfordern.

dieses Buch schreibe ich eigentlich aus romantischen grün-den. ich hege nämlich die altmodische Überzeugung, dass manimmer schön ehrlich sein sollte. Meinen Kindern habe ich vielzu oft erzählt, dass ich an den Abenden, an denen ich geschäftlichzu tun habe und nicht zu hause sein kann, recherchen durch-führe. Und dass ich vielleicht irgendwann daraus ein Buch mache.gesagt ist gesagt. recherchen habe ich im weitesten Sinne wirk-lich angestellt. Und das mit dem Buch, das hole ich jetzt nach.

wenn ich an meine Kinder denke, dann ist das hier allerdingskein Lesestoff, den ich mir für die beiden wünschen würde.

heute ist so ein Abend, wie ich ihn liebe: es ist Juni, ich habein den kommenden zwei Tagen keine Aufträge, und die Kinderliegen im Bett und schlafen. Bis auf die Teetasse ist heute nichtszu Bruch gegangen. es ist noch gar nicht spät, sodass ich michin aller ruhe auf meinen Balkon setzen kann. Aus meinem Lieb-lings-Afrikaladen habe ich mir eine schöne Flasche südafrikani-schen Pinotage mitgebracht, der schon in der Karaffe atmet –genau das richtige, um die rotweinzeit zu verabschieden undallmählich den Sommer einzuläuten. ich zünde mir eine Zigarettean. in der wohnung rauche ich nicht, wegen der Kinder. Aberhier auf dem Balkon, da gönne ich mir das hin und wieder.

Seit die Autobahnumgehung für dresden fertig ist, geht auchnicht mehr der gesamte Transit zwischen Balkan und nordkapin fünfzig Meter entfernung an meiner wohnung vorbei. Manhört jetzt sogar die Vögel morgens und abends! das einzige, wasnoch nervt, sind nachts die Krankenwagen, deren Fahrer die Si-rene wahrscheinlich nur anschalten, um selbst nicht einzuschlafen.Allerdings wäre ich für den Fall, dass sich clemens beim Fußball

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einen komplizierten Beinbruch zuzieht, für doppelte Sirenenbe-stückung auf dem Krankenwagen. Und für eine jaulende Mo-torradeskorte, mindestens. Oder besser gleich den rettungshub-schrauber.

claudia hat große chancen, Musikerin zu werden, wennnichts dazwischen kommt. Leider weiß ich nur zu gut, was allespassieren kann.

Jetzt gucken Sie bitte nicht so genervt: ich bin alleinerziehenderVater. ich bin Ossi. ich bin Freiberufler. ich erkenne in jeder pa-radiesischen Aussicht das Loch in der Pappe, welches diese Aus-sicht als billige eaterkulisse entlarvt. ich sehe in jedem fettenwurm den haken. Selbst wenn gar keiner drin steckt.

Jedenfalls versuche ich, mir über die Probleme, die kommenkönnten, im Klaren zu sein. wenn nichts kommt, umso besser.Für Pessimisten ist Unrechthaben sehr erfreulich. es ist nichtunwahrscheinlich, dass claudia ein völlig unmusikalischer Tram-pel über den weg läuft, dem ihre Körbchengröße ausreicht undin den sie sich unsterblich verliebt. Und schon ist ihr die gesamteMusik aber so was von egal. dabei hat das Mädchen Talent,richtiges Talent. Sie schafft es, sich in die Musik hineinfallen zulassen und vom ersten Ton an alles Störende um sich herum zuvergessen.

nun ja. Fast immer.einmal, als die Agentur ziemlich generös war und ich mehr

Aufträge als üblich erledigt hatte, haben wir eine echte Opel-geige gekauft. das instrument hat einen Klang, dass einemschon beim Stimmen glückstränen kommen.

ich gestehe, dass sie das musikalische Talent nicht von mirgeerbt hat, sondern von ihrer Mutter. »Best of both worlds«. Sieist eben ein glückskind.

geigerinnen in claudias Alter haben es ohnehin schwer, einenFreund zu finden, der den Fleck an der linken Seite des halses,der durch das Anliegen der geige entsteht, nicht für den Knutsch-fleck eines anderen Jungen hält. wenn ein Bursche aber halbwegsinteresse für Musik zeigt, dann lässt sich dieses Missverständnisleichter ausräumen.

Ansonsten: wussten Sie, dass nur ein Bruchteil aller Musikerdas rentenalter bei akzeptabler gesundheit und Arbeitsfähigkeiterreicht? haben Sie schon mal was von Tinnitus gehört, von

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gehörsturz? Oder von Arthrose? Fragen Sie mich ruhig, ichkenne mich damit inzwischen aus. irgendwas muss ich bei meinendauernden Bibliotheks- und Archivtagen schließlich lesen. ichkann nur sagen: Man macht sich keine Vorstellung!

dabei geht es claudia im Vergleich zu clemens ja noch gera-dezu goldig. der Junge hat das Zeug zum Fußballprofi. SeinTrainer hat mir neulich mitgeteilt, dass der Junge ab herbst sei-nem himmel ein ganzes Stück näher kommen könnte: Talente-sucher von dynamo wollen ihn unter die Lupe nehmen. Alsoinformiere ich mich seit einiger Zeit sehr genau darüber, was inso einem kleinen Fußballerbein alles kaputtgehen kann. da gibtes jede Menge Menisken, Adduktoren sowie Kreuz-, Quer- undSyndesmosebänder, die an- oder abreißen können. Zu allemÜberfluss lauert überall auch noch das gespenst des ermüdungs-bruches, um sich auf den nächstbesten Knochen zu stürzen. Vonlächerlichen blauen Flecken oder geprellten Schienbeinen fangeich gar nicht erst an, auch nicht von solch geheimnisvollen undperfiden erscheinungen wie dem Pfeifferschen drüsenfieber, wel-ches sich offenbar besonders gern Sportler als Opfer aussucht.Mit Sport und seinen gefahren kenne ich mich inzwischenebenso gut aus wie mit Musikerkrankheiten – die neurosen al-leinerziehender Väter sind ein weites und von der wissenschaftbislang kaum erforschtes Feld.

Ob mich jemand zu einer zweiten dissertation zulässt? ichbin da immerhin experte.

Oh ja, ich habe einen doktortitel. Obwohl mir das manchmaleher peinlich ist. Aber was soll man machen, davon wird derTitel ja nicht ungültig, und zurückgeben möchte ich ihn auchnicht. Mal angenommen, ich bekäme einen Job bei infineon,dann wäre alleine der Titel schon ein paar extrascheine proMonat wert. der Titel zählt; wofür man ihn bekommen hat, in-teressiert keinen. Aber dazu später.

Vielleicht geht ja auch alles gut und in drei, vier oder fünfJahren sind meine Kinder so weit, dass sie für ihren eigenen undauch noch für meinen Lebensunterhalt sorgen können. dannkönnte ich mich zur ruhe setzen. ich stelle mir schon den Tri-umph vor, wenn ich dem Finanzamt mitteile, dass ich von nunan gedenke, von den einnahmen meiner Kinder zu leben. ha!

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hirnriss

2009

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Counting flowers on the wallat don’t bother me at allPlayin’ solitaire till dawn with a deck of fifty-oneSmokin’ cigarettes and watchin’ Captain KangorooNow don’t tell me I’ve nothing to do

e Statler Brothers,Flowers on the wall

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null

Sie haben clemens verhaftet.es kann nicht wahr sein, es darf nicht wahr sein, und dennoch

ist es leider wahr. ich soll nachher auf die Polizei kommen. ZurKlärung eines Sachverhaltes.

ich wollte wissen, was man ihm vorwirft, was er angeblichausgefressen haben soll. »dazu können wir ihnen am Telefonleider keine Auskunft erteilen.«

ich hasse dieses Amtsdeutsch.ich muss jetzt schnellstens zur Polizei, ihn da herausholen!was immer es sein mag – clemens ist unschuldig. das kann

gar nicht anders sein. es handelt sich um ein Missverständnis,das sich sofort aufklären wird.

Aber vielleicht ist das auch eine ganz hinterhältige Falle! eskann ja sein, dass es überhaupt nicht um clemens geht, sondernum mich. Kommissar Scheffler hat Sehnsucht nach mir, undweil er an mich nicht herankommt, hat er sich eben clemensgegriffen, um mich so zu zwingen, ihm in die Arme zu laufen.

Aber die kriegen uns nicht! clemens nicht und mich gleichgar nicht.

ich geh dann eben mal los, um meinen Sohn aus den Klauender Justiz zu befreien.

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entschuldigen Sie, dass ich so hereingeplatzt bin, ohne vorheranzuklopfen. Aber die Situation war ja auch angemessen drama-tisch, da ist für höfliche weitschweifigkeiten keine Zeit. weilich aber kein anstandsloser Trampel bin, hole ich das jetzt nach.

Also:Mein name ist hartmann. robert hartmann.ich gehe stramm auf die Fünfzig zu, bin freiberuflicher hi-

storiker und verwitweter Vater zweier Kinder.eines davon, sie haben es sicherlich erraten, ist männlich,

wird in ein paar Monaten sechzehn Jahre alt und heißt clemens.das andere Kind heißt claudia. Sie wird in diesem Sommerachtzehn und befindet sich nach meiner derzeitigen Kenntnisnirgendwo in Polizeigewahrsam.

Mir fällt im Augenblick auch kein grund ein, der eine Fest-nahme claudias rechtfertigen könnte. es sei denn, ein extremunmusikalischer Zeitgenosse verklagt sie wegen ruhestörung. Siespielt geige. dann müsste die Polizei gemeinsam mit claudiagleich noch drei weitere junge, hübsche damen festsetzen. claudiaist nämlich ein Viertel eines Streichquartettes namens Q16, dasin dresden und Umgebung schon eine ganze Menge Lob undden einen oder anderen Fünfzig-euro-Schein eingeheimst hat.

Ansonsten geht sie auf das gymnasium, elfte Klasse, und hatsich noch nicht entschieden, ob sie nach dem Abitur lieber Musikoder Biologie studieren will. Von den Leistungen her sollte siebeides schaffen. da ist also im Moment nichts, was sie auf dieschiefe Bahn bringen könnte.

Und genau das habe ich bis vor ein paar Stunden auch vonmeinem Sohn gedacht!

da können Sie mal sehen, wie man sich in Menschen täuschenkann.

Bislang war ich der festen Meinung, mit meinen beiden Kinderngeradezu unverschämt viel glück gehabt zu haben. claudia, die

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Künstlerin. clemens, die Sportskanone. er spielt Fußball beidynamo dresden. Allerdings ist das ende schon abzusehen. Sobrutal das für mich als Vater auch ist – ab herbst wird clemensnicht mehr bei mir wohnen, sondern im tiefen wilden westen.in Leverkusen. dort wird er auf ein Fußballinternat gehen, seinAbi machen und nebenbei für Bayer spielen.

darauf hat er seit Jahren hingearbeitet. Mit einer Beharrlich-keit, die mir manchmal unheimlich vorkam. er will Fußballprofiwerden.

das ist einer der gründe, warum ich, von ganz vereinzeltenAusrutschern einmal abgesehen, noch nie ernstliche Problememit meinen engelchen hatte. ich denke da beispielsweise androgen. clemens hat sich einmal aus dummheit und Unerfah-renheit sinnlos betrunken. Am nächsten Tag musste er mitschwerstem Brummschädel ein Punktspiel bestreiten, seitdemist er gründlich kuriert. claudia sagt kurz und knapp, dassdrogen vielleicht manche Musiker kreativ machen – gleichzeitigmachen sie aber auch launisch, und das ist für das Zusammenspielgift. Sie scheint an diesen dingen zumindest schon einmal vor-sichtig geschnuppert zu haben. wenn es damit allerdings Pro-bleme gäbe, dann würde sie mir davon erzählen. da bin ich mirsicher.

das trifft bei den beiden übrigens auch auf das andere großeMinenfeld zwischen eltern und Kindern zu, die leidige Partner-suche. nach meinen nicht repräsentativen Kenntnissen suchensich Kinder meist Partner aus, die ihren eltern nicht gefallen.die, die den eltern als ideale Schwiegersöhne oder -töchter er-scheinen, halten die Kinder dann für schlicht unmöglich.

nicht so bei meinen Kindern. claudia hat derzeit keinen jun-gen Mann in der nähe, den sie als »ihren festen Freund« be-zeichnen könnte. nicht, dass sie mit ihrem Aussehen keinenMann finden würde. Aber sie verbringt ihre Zeit nun einmal amliebsten mit Musik. Mit ihren Mitmusikerinnen und besondersmit der anderen geigerin, Sophie. das hat vor ein paar Jahrenzu dem gerücht geführt, sie sei vielleicht lesbisch. Anstatt denTratschkühen die bemalten gesichter zu zerkratzen oder ihnenwenigstens in den hintern zu treten, hat sie diesen wissendenwas-wisst-ihr-denn-schon-gesichtsausdruck entwickelt, an demprallt so etwas ab. das hat sie zwar nicht unbedingt beliebt ge-

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macht, aber Beliebtheit bei Klassenkameradinnen stand auf clau-dias wunschliste ohnehin nie vorne. Sie wird respektiert unddas genügt ihr.

das einzige Zeichen von Schwäche und Unsicherheit, das siesich leistet: Sie raucht seit etwa einem Jahr. Sehr selten, soweitich das überblicken kann, und dann auch nur ganz normale Zi-garetten. Aber es ärgert mich – und ich habe keine handhabedagegen, weil ich nämlich selbst rauche, ungeachtet der unzähl-baren Bitten meiner Kinder in den vergangenen Jahren, es dochendlich sein zu lassen.

diesen gesichtsausdruck, von dem ich gesprochen habe, hatclaudia übrigens auch mir gegenüber ab und an drauf. ich kannnicht sagen, dass ich das liebe. Sicherlich hat das Mädchen schondie ein oder andere erfahrung gemacht, ob mit Jungs oder dochmit Mädchen, das wage ich nicht zu entscheiden. Aber wenndaraus für sie Probleme gewachsen wären, hätte sie es mir erzählt.Und sei es nur zum Stressabbau. denn wenn sie mal wirklichdruck in der Musik oder in der Schule hat, redet sie eine Stundewie aufgezogen auf mich ein, danach ist es wieder gut.

genauso läuft es auch bei clemens. der hat seit vier Jahreneine feste Freundin, Jaqueline. ich weiß nicht, was die beidenschon miteinander ausprobiert haben und will es auch nicht wis-sen. das einzige, was clemens möchte, ist, jede sinnlose Aufre-gung zu vermeiden, die ihn in seiner Konzentration auf die,seiner Meinung nach, wichtigen dinge stört. Jaqueline ist kluggenug, ihm ruhe zu bieten. wahrscheinlich gehen die Problemeab herbst mit der Trennung los, aber bis dahin gilt: Bloß keinenStress.

Falls es den doch gibt, dann wissen meine beiden, zu wem siejederzeit kommen können. wenn Sie mich jetzt fragen, wie ichmir in diesem Punkt so sicher sein kann und ob in diesem idyl-lischen Familiengemälde, das ich da zeichne, nicht noch einwichtiges Teil fehlt: Meine Frau, ich nenne sie in der erinnerungimmer guinnevere oder guinn, ist vor mittlerweile elf Jahrengestorben. Seitdem sind wir zu dritt. Und das hat uns als Familiezusammenwachsen lassen.

wir vertrauen einander und können über jedes Problem zuzweit oder zu dritt beraten. das tun wir aber nur, wenn die Pro-bleme wirklich akut sind. Also mitunter monatelang gar nicht,

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dann wieder einmal zwei wochen lang jeden Tag. Ansonstengilt auch hier: Bloß keinen Stress.

Und dann rennt mein goldsohn los und bereitet sich selbst eineMenge davon!

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Zwei

ich habe clemens aus den Fängen der Justiz befreit und ihn vor-erst den Bütteln des Staates entrissen.

Auch wenn ich beruflich gerade einiges um die Ohren habe,ich bin, nachdem der Anruf von der Polizei kam, stehendenFußes dorthin, um meinen Sohn auszulösen. ich kann die Tat-sache nur preisen, dass ich als Freiberufler meistens herr übermeine Zeit bin.

ich saß einem alten Bekannten gegenüber, genauso wie ich esmir in meinen Verschwörungstheorien zurechtfantasiert hatte:Kommissar Scheffler. der ist inzwischen mindestens zum haupt-kommissar emporgestiegen. ich habe von den entsprechendendienstgraden keine Ahnung, deshalb meine ich hier mit Kom-missar lediglich seine Tätigkeit, nicht seinen rang. ich will denguten Mann schließlich nicht degradieren!

ich kann nicht behaupten, dass die erinnerung an meine Be-gegnungen mit ihm zu den sonnigen Seiten meines Lebens zählt.in dresden waren damals mehrere Leute ermordet worden, undich war für Scheffler einer der Verdächtigen. Selbst nachdemsich alles geklärt hatte, ließ er keinen Zweifel daran, dass für ihndie geschichte nicht abgeschlossen sei. Mein Argwohn war alsonicht gänzlich aus der Luft gegriffen.

damals allerdings bearbeitete Scheffler Mordfälle. was cle-mens genau angestellt hatte, wurde mir immer noch nicht gesagt.Aber dass mein Sohn unter die Mörder gegangen wäre, das wollteich mir dann doch nicht vorstellen. »So viele Morde gibt es selbstin dresden nicht«, klärte Scheffler mich auf. »da muss maneben die Arbeit erledigen, die ansonsten so anfällt. So etwas wieihr Sohn beispielsweise.«

er war dünner geworden in den vergangenen Jahren, das haarspärlicher. ich nahm an, er hatte was mit dem Magen.

Und mein Sohn war also angefallen!»nun, ihr Sohn hat Aufkleber auf Autos geklebt.«ich musste lachen. »deswegen wird er festgenommen? wissen

Sie, wie oft ich sinnlose Karten mit werbung oder für gebraucht-wagenhändler, die mir meine Karre abschwatzen wollen, hinter

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den Scheibenwischern oder im Fenster habe? werden die jetztauch alle festgenommen? weil gerade nichts anderes anfällt?«

»es geht um Aufkleber!«»Ach je, der Junge ist nun mal fußballverrückt. wahrscheinlich

hat er dynamo-Sticker verteilt. Oder für seinen neuen Klub,Bayer Leverkusen.«

»Leider, lieber herr dr. hartmann, ist das alles nicht so harm-los. die Aufkleber waren eindeutig beleidigender natur.« erlangte in eine Schublade seines Schreibtisches, um mir trium-phierend einen kleinen Packen wichtiger Beweisstücke zu prä-sentieren, in Folie eingetütet. ein kleiner Stapel Aufkleber, weiß.darauf stand mit leuchtend roter Schrift, sehr gut lesbar: »deinAuto ist peinlich!«

ich lächelte. »Also, für mich ist das keine Beleidigung. Be-stenfalls ein ästhetisches Urteil!«

»wie ich schon sagte, so humorvoll wie Sie sehen wir es leidernicht. ihr Sohn hat sich zunächst einmal nicht wahllos Autosvorgenommen, sondern ausschließlich solche der gehobenenKlasse. Und er ist, nachdem er den Aufkleber darauf angebrachthat, noch mit einem farblosen Lack aus der Spraydose drüberge-gangen, damit man das nicht so einfach wieder abbekommt.«

Alles, was recht ist, mein Sohn hatte schon immer einenhang zur gründlichkeit.

»Kommen Sie, herr Kommissar. Jungenstreiche. geben Sieihm eine Verwarnung oder wie immer das heute im Amtsdeutschheißt. Pfänden Sie sein Taschengeld für den nächsten Monat,lassen Sie ihn zehn Stunden gemeinnützig arbeiten. ich verspre-che, ihm ebenfalls ordentlich den Kopf zu waschen – dann wirdihm das eine Lektion sein.«

»ich fürchte, damit wird er nicht davonkommen. Sie dürfenihn jetzt natürlich mit nach hause nehmen. das mit dem Kopf-waschen schadet sicher auch nicht, aber ansonsten hoffe ich,dass Sie eine gute private haftpflichtversicherung haben. derStaatsanwalt ist entschlossen, Anklage zu erheben. wegen Sach-beschädigung und Vandalismus.«

Jetzt blieb mir doch der Mund offen. Aber Scheffler gab mirdie Zeit, ihn auch wieder zuzuklappen.

»So«, murmelte ich. »Vandalismus. darf man erfahren, wasfür eine Art Auto der Staatsanwalt fährt?«

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»ich glaube nicht, dass das in diesem Zusammenhang einerolle spielt.«

›Und ob es das tut‹, dachte ich, allerdings nur ganz leise.wenn der meinem Sohn ans Leder will, drehe ich ihm einenStrick wegen Befangenheit! Aber Scheffler ließ mich nicht zuende denken.

»wie schon gesagt, Sie können ihren Sohn jetzt mitnehmen.er soll sich bitte zu unserer Verfügung halten. Außerdem, das istjetzt zwar eher ein Zufall, dass ihr Sohn hier ist, herr dr. hart-mann, aber es trifft sich gut – es gibt da noch eine Sache, überdie ich Sie informieren möchte.«

Auch du – claudia?»Sehen Sie, ihre Frau ist nun vor beinahe elf Jahren ermordet

worden. die Tat ist bis heute immer noch nicht vollständig auf-geklärt. So etwas gibt es eigentlich nicht, darf es nicht geben.deshalb wollen wir jetzt ein paar von den älteren Fällen nocheinmal ansehen. es wird sicher auch in ihrem interesse liegen zuerfahren, wer das damals getan hat.«

»das ist so lange her, und meine Frau wird nicht wieder le-bendig davon.«

»dennoch: es könnte sein, dass wir Sie in den nächsten wo-chen noch einmal zu uns bitten und ihnen ein paar Fragen stel-len.«

»Sie können mich gerne alles noch einmal fragen, was ich da-mals schon gefragt worden bin.«

»Sehen Sie, herr dr. hartmann, ich will ihnen nichts ver-sprechen, aber es hat sich in den vergangenen Jahren einiges ent-wickelt, auch in der Kriminaltechnik. Methoden, an die damalsnoch nicht zu denken war. dnA-Analysen und all diese neuenMöglichkeiten. ich will Sie nicht mit details langweilen. diesalles steht uns jetzt zur Verfügung und das werden wir nutzen,auch in ihrem Fall.«

warum wurde ich den ganzen rest des Tages das gefühl nichtlos, dass die letzten Sätze schon gar nicht mehr vorrangig aufguinns Tod gemünzt waren?

»Und«, fragte ich meinen goldsohn auf dem nachhauseweg,»zufrieden mit dem, was du angerichtet hast?«

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»ganz und gar nicht zufrieden«, antwortete clemens. »diesollten mich nicht schon so früh fassen! hab’ nicht mal diehälfte von dem geschafft, was ich mir vorgenommen hatte!«

»du hast nerven!«darauf antwortete er erst einmal nicht.»Aber warum das ganze?«, fragte ich weiter, als wir zuhause

angekommen waren. »war das eine Mutprobe?«»haben Sie dir die Aufkleber nicht gezeigt?«»doch.«»Und?«»was und?«»hast du über das nachgedacht, was da stand?«»ich wusste nicht, dass du neuerdings was gegen Autos hast.«»nicht gegen alle! Aber, Mensch Papa, sieh sie dir doch an,

diese riesenschleudern, diese Protzkisten!«»Bisher hast du es zu schätzen gewusst, wenn ich dich irgend-

wohin zum Spiel gefahren habe.«clemens nahm einen gesichtsausdruck an, den er sonst nur

verwendet, wenn er mir begriffsstutzigem Amateur taktischeFeinheiten der raumarbeit im defensiven Mittelfeld erklärt.

»Schau mal, es gibt Autos. es gibt große Autos. Und es gibtsinnlos, hirnrissig große Autos. Klar ist man manchmal auf soein ding angewiesen. das ist nicht schön, aber lässt sich nichtvermeiden. Unser Auto ist groß, damit wird ja auch eine Mengetransportiert, wenn ich an claudia und ihren Fichtelvereindenke. Um diese Autos geht es nicht. du brauchst auch nichtgucken, an unserem klebt kein Aufkleber. Aber auf diesen rie-senkisten, die keinen anderen Sinn haben, als damit rumzu-protzen! Spritfresser, sinnlose Spritfresser mit Spoilern undhirschfängern und geländeausstattung und Allrad, zu nichtsanderem genutzt, um Kindilein dreihundert Meter weit in dieSchule zu fahren und dann fünfhundert Meter weiter ins Büround am Abend das ganze wieder retour. Und wozu? Zu nichtsals Protz!«

claudias geigenspiel als gefichtel und ihr Streichquartett alsFichtelverein zu bezeichnen ist eines von clemens’ brüderlichenPrivilegien. Jedem anderen würde claudia wahrscheinlich dienase einschlagen, als Mindeststrafe. Aus clemens’ Mund hörensich diese Begriffe außerdem geradezu zärtlich an.

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Abgesehen davon hatte auch ich ein Problem mit etlichen derneuen Automodelle, die so auf den Straßen herumrollten – al-lerdings eher ein ästhetisches. ganz unabhängig von ihrer größe.Und mit zunehmendem Alter hatte ich auch Probleme mit derFahrweise anderer. ich habe das gefühl, es gibt, unabhängig vonder größe des Autos, nur drei Kategorien von Autofahrern: raserund drängler einerseits, Bremser und Bummler andererseits undmich.

was die Aufkleber betrifft, hätte ich Kommissar Scheffler wi-dersprechen sollen. Soweit ich verstanden habe, klebten die Auf-kleber ja hinten am Auto! Also war der Tatbestand der Beleidi-gung, den der Kommissar und der Staatsanwalt konstruierten,vollkommen falsch! der betreffende Fahrer sah den Sticker beimFahren ja gar nicht, wohl aber die, die hinter ihm fuhren odergerade überholt worden waren. das war dann doch auch nichtsanderes als: »eure Armut, eure lahme Kiste kotzt mich an!« daswar sicher nicht clemens’ Absicht. Aber um diesem widerspruchaufzulösen, hätte er die Sticker eben auf die Frontscheibe klebenmüssen, von innen zu lesen!

»Ach, clemens! weißt du, manche Leute verdienen geld,und manche verdienen mehr geld als andere. So ein Auto istnun einmal eine prima gelegenheit, das zu zeigen. Und sichdaran zu freuen.«

»genau. weil einige Leute mehr geld verdienen und das zei-gen wollen. Oder weil sie zumindest so tun wollen, als ob siemehr verdienen. genau darum hauen wir so ganz allmählichunsere welt kaputt. Jeder kauft irgendwelchen Scheiß, den ergar nicht braucht, nur um zu zeigen, dass er ihn sich leistenkann. wer sich nichts leisten kann, der ist raus aus dem rennen.egal, wie viel rohstoffe und energie damit sinnlos verballertwerden.

es geht mir doch gar nicht um die Autos, aber irgendwo mussman doch mal anfangen! Und wir? wir könnten uns bestimmtauch so eine Müllkiste leisten. Aber du kaufst keine!«

wo mein Sohn recht hat, da hat er recht. ich könnte mir soeine Müllkiste leisten. Und ich tue es nicht, aus gründen, dieclemens noch nicht kennt. Mir war es immer wichtig, nicht fürwohlhabend gehalten zu werden.

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das sind wir zwar, aber das geht nur mich und meine Kinderetwas an.

So leicht hinnehmen wollte ich clemens’ neu erwachtes Um-weltengagement aber auch nicht. »hast du dir schon mal ange-sehen, mit was Fußballprofis im normalfall so durch die gegendfahren? Und wahrscheinlich auch in Leverkusen?«

»das weiß ich.«»Und?«»die wollen mich haben. Sie haben sich lange mit mir unter-

halten. Also wissen sie, was ich für ein Typ bin. ich habe meineneigenen Kopf, das wissen sie, und trotzdem wollen sie mich ha-ben.«

»das kann sich ganz schnell ändern, wenn du deinen neuenKollegen auch so einen Aufkleber auf ihr Schmuckstück pappst.«

»das werde ich schon nicht machen. Ansonsten – es genügt,wenn auf dem Platz alle das gleiche Trikot anhaben. es müssennicht auch noch alle das gleiche im Kopf haben.«

»deinen Optimismus möchte ich haben … So, und wie solles nun weitergehen?«

»ich werde da schon irgendwie rauskommen. Versteh michbitte, die geschichte war mir wichtig. es hat sogar Spaß gemacht.Aber es kann sein, dass wir jetzt was zahlen müssen. das istetwas, worum ich dich bitten möchte. ich nehme an, das Zahlen,das kommt erst einmal auf dich zu, über die Versicherung unddie heben dann deine Beiträge an und so weiter. du sollst dasbitte alles ganz genau aufschreiben. ich zahle das nach und nachab von dem geld, was ich in Leverkusen bekommen werde. Bisauf den letzten cent, das ist versprochen!

ich habe das eingerührt, also will ich auch dafür geradestehen.Auch wenn es mich im Moment finanziell wohl überfordernwürde. ich werde das abarbeiten.«

ich wüsste da ein paar Möglichkeiten, wie clemens es abarbeitenkönnte. Aber ich halte nach Möglichkeit Job und Familie feinsäuberlich auseinander. ich habe meine gründe dafür.

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Drei

Ach ja, arbeiten. irgendwie läuft es ja immer auf dieses leidigeema hinaus.

da mir nach dem Tod meiner Frau keine reiche witwe überden weg gelaufen ist, die ich hätte heiraten können, bin ich ir-gendwann auf das weite Feld der dienstleistungen marschiert,um mir ein paar claims abzustecken.

es würde zu weit führen, alles aufzuzählen, was ich so getriebenhabe. eine meiner letzten ideen, wider erwarten sogar recht ein-träglich, bestand darin, einigen nicht so ganz armen dresdnerndie Salons ihrer edel sanierten oder neu gebauten Villen amStadtrand oder mit elbblick mit einer wohlsortierten und reprä-sentativen Bibliothek auszustatten. dazu sind diese Leute vorlauter Arbeit nicht selbst gekommen.

Klingt verrückt, hat aber tatsächlich eine weile funktioniert.ich konnte dem Finanzamt mehrfach Summen melden, die manals historiker sonst nur schwer erwirtschaftet. was hat sich dasFinanzamt gefreut für mich! Und kassiert!

Vor zwei Jahren war das, und es lief ein knappes Jahr langrichtig gut. ich konnte sogar was für schlechte Zeiten zur Seitelegen. Allerdings hatte ich damals noch nicht an die ersten An-flüge von ökoterrorismus bei meinem Sohn gedacht.

Vor einem Jahr flaute es dann allerdings wieder merklich ab.inzwischen gab es ein, zwei Trittbrettfahrer auf diesem gebiet,und insgesamt legte der Aufschwung Ost in dresden erst einmaleine Verschnaufpause ein.

nebenher hatte ich noch einen Vertrag bei den Staatlichen Kunst-sammlungen in dresden. Aber das war ein befristeter werksver-trag, der eines nicht so schönen Tages nicht mehr verlängertwurde. ich hatte mich aufgrund der Bibliotheksgeschichte we-niger in meine Arbeit verbissen als man sich von mir erhoffthatte. Meine eigene Schuld und schade obendrein. diese Arbeithatte in mein Leben so etwas Stetiges, beruhigend Solides ge-bracht.

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Aber, wie gesagt, wenn man ordentlich was beiseitegelegt hat,dann kann man solche Phasen nutzen, um Pläne für die Zukunftzu schmieden.

ganz schwäbische hausfrau eben.ich will nicht prahlen, aber derzeit geht es mir finanziell so

gut wie nie zuvor. es gab Zeiten, da war es hart, die Kindernicht spüren zu lassen, dass man jeden cent dreimal umdrehenmusste. Fragen Sie doch als Selbstständiger mit sehr unregelmä-ßigen geldeingängen bei ihrer Bank mal nach einem dispokre-dit!

dank dieser Zeiten weiß ich mein jetziges glück erst recht zuschätzen.

dann kam der vergangene winter, und der war richtig hässlich.erst wollte er nicht kommen, dann wollte er nicht wieder gehen.nun macht es mir zwar einen riesenspaß, mit dem Zug nachAltenberg hochzufahren, um ein paar runden Langlauf zu dre-hen – aber doch nicht mehr als drei Monate lang! Bei aller land-schaftlichen Schönheit – in Skandinavien wäre ich am denkbarfalschesten Ort geboren. ich brauche ab und an eine ordentlichedosis Sonne und wärme. wenn dann auch noch ein kleinesMeer in der nähe ist, um so besser.

nun hatte ich aber im vergangenen winter noch ein paarrestbestände der Bibliotheken zu bestücken. die Kinder hattenSchule, und in den winterferien waren Trainingslager und Auf-tritte. ich konnte nicht, wie ich das am liebsten gemacht hätte,mit meinen Kindern in ein Flugzeug steigen und für vierzehnTage auf die Seychellen düsen. Allein hätte ich fliegen können.wahrscheinlich wären die Kinder sogar ganz froh gewesen, michfür ein paar Tage los zu sein. Aber ohne meine Kinder hatte ichkeine Lust dazu.

Also habe ich mehrmals die billigste Trostvariante gewählt:ich bin mit dem Auto zum dresdner Flughafen hinausgefahren,habe mich hingesetzt, einen cappuccino getrunken und michso gefühlt, als würde ich gleich einchecken und dresden in derKälte allein lassen.

der dresdner Flughafen, insbesondere im winter, eignet sichfür solche Träumereien gut, weil man da weitgehend ungestört

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ist. er dürfte wohl der weltweit ruhigste Flughafen dieser größesein. ein riesiges licht- und luftdurchflutetes gebäude, durchdas ein paar winzige, versprengte Menschlein laufen, nichts, waseinem die ruhe verderben könnte.

wenn dann noch Meeresrauschen eingespielt würde, könnteman sich auf jede schöne insel träumen.

ich sollte frühmorgens jetzt immer genau in den Spiegel guk-ken. es könnte ja sein, dass mir clemens wegen meiner ökolo-gisch verantwortungslosen Flugträume über nacht einen Auf-kleber auf die Stirn gepappt hat.

deine Lebensweise ist peinlich!

Als ich nach einer dieser Traumstunden wieder aus dem sündhaftteuren Parkhaus rollte, hörte ich im Verkehrsfunk, die Königs-brücker Straße sei gesperrt. wegen einer demonstration. nunhätte ich ohne Mühe auch über die Autobahn zurück in dieStadt fahren können – aber: hallo? es gab eine demo! in dres-den! das wollte ich mir auf keinen Fall entgehen lassen.

ich fuhr nach Klotzsche, stellte mein Auto ab und lief hinunterin richtung Königsbrücker.

Tatsächlich: Schon an der ersten großen Kreuzung kam vonlinks, vom gelände eines der dresdner chiphersteller, ein de-monstrationszug auf die hauptstraße marschiert, der ein paarhundert Meter weiter unten, an der zweiten Ausfahrt aus demBetriebsgelände, noch verdoppelt wurde.

es war eine schlichte Selbstverständlichkeit, dass ich michohne Fragen in den demonstrationszug einreihte. Solidarität istdie Zärtlichkeit der Völker, das hatte ich mit der Muttermilcheingesogen, und ich fing eben mit dem werktätigen Teil meineseigenen Volkes an.

es gibt drei große chiphersteller im norden von dresden. daweltweit in dieser Branche zu viele Anbieter auf dem Markt waren,musste über kurz oder lang einer davon ins gras beißen, und fol-gerichtig stand nun einer von den dresdnern vor der Pleite. wenndie käme, dann wären mit einem Schlag dreitausend Arbeitsplätzeweg. darunter sicher auch der ein oder andere gut dotierte Postenim Vorstand – also potentielle Auftraggeber für mich.

ich hatte also durchaus einen grund, mitzumachen.

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Außerdem: hey, das war immerhin für mich die erste demo seitdem herbst ‘89. damals war ich noch in Leipzig, und es warenwundervolle, gefährliche, verrückte und aufregende Zeiten. Zei-ten, in denen man ein halbes Jahr lang glauben konnte, miteinem Mal sei alles denkbare möglich und erlaubt, politischebenso wie privat. Zeiten, in denen ich guinn kennenlernte.

ich fühlte mich glatt zwanzig Jahre jünger. die Kinder würdensich auch allein was zum Abendessen machen können. damalswaren sie noch nicht einmal geboren. Vielleicht sollte ich sie mitdem handy hierher bestellen, damit sie mal sahen, was ihr Vaterin seiner Jugend so erlebt hatte!

Trotzig wurden Transparente getragen, herrliche demonstra-tionsmetaphorik. die Politiker hatten die chipfabriken imdresdner norden als Silicon Saxony bezeichnet, als Leuchttürme,die weit in die region hinausstrahlten. nun war auf vielen dieserPlakate ein Leuchtturm ausgefallen, und dramatisch zerschelltenSchiffe an bitterbösen Felsen zu seinen Füßen.

ich hatte immer gedacht, dass es gerade am Fuß eines Leucht-turms ohnehin immer zappenduster ist. Aber man sollte beimersten Mal nicht gleich zu viel verlangen. Mit ein bisschen Übungwürde da sicher noch Schwung reinkommen.

Abgesehen von den Plakaten herrschte eine Stimmung, dieman mit viel gutem willen durchaus als in Ansätzen kämpferischbezeichnen konnte. na schön, um das System in die Knie zuzwingen, würde noch etwas Training vonnöten sein, dazu sah dasganze denn doch ein wenig zu brav aus. Aber ‘89 hatten wirauch anfangs noch brav geguckt. das war jedoch alles nur Tarnung!es war durchaus möglich, dass in diesem demonstrationszug derKeim einer künftigen revolutionären Massenbewegung lag.

nur würden die führenden genossen dann auch die Bünd-nisfrage couragierter angehen müssen. es fehlten eine MengeLeute, die dabei sein sollten. es waren nahezu ausschließlichMitarbeiter der Firma, die hier demonstrierten, und die, wenndie Firma pleiteging, ihren Job verlieren würden. Aber das warenalles hochqualifizierte Leute, die würden über kurz oder lang et-was neues finden. wenn auch nicht unbedingt in dresden undzu den Bedingungen, die sie dort hatten.

Aber die gesamte dresdner neustadt fehlte. das war nachder wende ein heruntergekommener Stadtteil, dessen Bausub-

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stanz aus der gründerzeit sowohl den Krieg als auch die ddrüberlebt hatte, wenn auch sehr bröcklig und mit Außenklo. hierfingen die ersten jungen Leute an, alternative Kneipen und ga-lerien in besetzten häusern einzurichten. die gegend wurdezum geheimtipp. Man konnte feiern ohne ende. es wurdenimmer neue gaststätten aufgemacht, und plötzlich galt diesesViertel als angesagt. Künstler zogen hierher und immer mehrjunge Leute, die gut verdienten. nicht zuletzt aus den chip -fabriken im norden.

die kaputtesten häuser wurden abgerissen. dort entstandendann neue mit nicht mehr so billigen Mieten. wer in einemSzeneviertel leben möchte, der muss eben tiefer in die Taschegreifen. Trotzdem gab es immer noch dieses manchmal chaotischenebeneinander von kreativen habenichtsen und gutverdienenderurbaner Bohème. diese vielen, kleinen Boutiquen und galerienund Kneipen rund um den erdball. Ausgestattet mit einem an-deren, anspruchsvolleren und, zugegeben, auch teureren Angebotals die üblichen Supermärkte. die schließlich davon lebten, dassbei den chipbuden ordentlich verdient wurde und die Leute,die dort arbeiteten, ihr geld auch gern wieder ausgaben. Jedochvon all diesen Läden und galerien und gaststätten waren keineKampfesgenossen zu sehen.

es war komplett vergessen worden, dieses revolutionäre Po-tential einzubinden.

Keiner da. nur ich!ich habe die ehre der dresdner dienstleistenden gerettet.

Leider hatte ich kein entsprechendes Transparent dabei, damitich dies später auf den revolutionsvideos auch würde beweisenkönnen.

die demonstration führte talwärts in richtung innenstadt, umdann an der Tannenstraße unvermittelt nach links abzubiegenund auf einem schlammigen Acker zu enden. ein paar Autosstanden da. Transporter mit runtergelassenen Seitenwänden, aufwelchen eine improvisierte Bühne aufgebaut war, wo Politiker,gewerkschafter und Betriebsangehörige kämpferisch und vor al-lem heiser in die jämmerlich schlechte Tonanlage hineindekla-mierten.

»Und jetzt?« fragte ich meinen nachbarn.

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»Jetzt geht’s nach hause!«»Aber – das kann es doch nicht schon gewesen sein!«»was soll denn jetzt noch kommen?«»ich meine – dass wir demonstriert haben. das hat da unten

in der Stadt doch kein Aas mitbekommen!«»was soll’s? wir haben keine genehmigung bekommen, mit

der demo in die Stadt zu gehen.«

Keine genehmigung! das traf mich wie ein Stein.

ich lief zur Straßenbahn und holte mein Auto ab.ich mag zwar nach zwanzig Jahren ein wenig aus der Übung

sein. Vielleicht verklärt die erinnerung auch so manches, aberin dem Punkt war ich mir sicher: So kann man doch keinedemo machen.

das musste doch auch anders gehen. Professioneller!

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ISBN 978-3-940884-37-4

»Eine haarsträubende Geschichte, die ebenso vergnüglich wie subtil, ebenso Krimi wie Persiflage

ist. Ullmanns Buch ist eine wunderbare Satire.«

dpa deutsche presse-agentur

VAT18.90 EUR [D]