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Matthias Haun Handbuch Robotik

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Matthias Haun

Handbuch Robotik

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Matthias Haun

HandbuchRobotikProgrammierenund Einsatz intelligenter Roboter

Mit 158 Abbildungen

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Dr. Matthias Haun

Uhlandstraße 367122 AltripGermany

[email protected]

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung,des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfil-mung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben,auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen diesesWerkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes derBundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlichvergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes.

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© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2007

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Buch berechtigt auchohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- undMarkenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Sollte indiesem Werk direkt oder indirekt auf Gesetze, Vorschriften oder Richtlinien (z. B. DIN, VDI, VDE) Bezug genommenoder aus ihnen zitiert worden sein, so kann der Verlag keine Gewähr für die Richtigkeit, Vollständigkeit oder Ak-tualität übernehmen. Es empfiehlt sich, gegebenenfalls für die eigenen Arbeiten die vollständigen Vorschriften oderRichtlinien in der jeweils gültigen Fassung hinzuzuziehen.

Herstellung: LE-TEX Jelonek, Schmidt & Vöckler GbR, LeipzigEinbandgestaltung: medionet AG, Berlin

Gedruckt auf säurefreiem Papier 68/3100/YL – 5 4 3 2 1 0

ISBN 3-540-25508-7 Springer Berlin Heidelberg New YorkISBN 978-3-540-25508-6 Springer Berlin Heidelberg New York

Satz: Digitale Vorlage des Autors

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Vorwort

Die Robotik stellt sich bisher als ein weit ausgedehntes Forschungsgebiet dar, daß zahlreiche Disziplinen streift, hier und da sich in diesen vertieft und damit eher an eine zerklüftete Bergkette als an eine harmonische Landschaft erin-nert. In diesem Buch wird die Robotik als Wissenschaft formuliert, verstanden als Gesamtheit naturwissenschaftlicher Analysen von Erkennen, Wissen und Handeln in allen Dimensionen und Funktionsweisen von Systemen. Legiti-miert wird dies auch dadurch, daß die Robotik in den letzten Jahren theoreti-sches wie praktisches Interesse weit über wissenschaftliche Fachgrenzen hin-aus gefunden hat. Sie gilt als die bedeutendste theoretische und technische Revolution seit der Atomphysik mit unabsehbaren Folgewirkungen auf die gesellschaftliche Entwicklung dieses Jahrhunderts. Ihre Wirksamkeit liegt vor allem darin, daß Wissenschaft und Technik hier eine auch von außen unübersehbare enge Wechselbeziehung eingegangen sind. Mit der Entstehung der Robotik als Wissenschaft haben sich gesell-schaftliche Problemfelder wie Daten, Information, Kommunikation, Wissen, Daten-, Informations- und Wissensverarbeitung oder Robotik revolutionär verändert bzw. neu installiert. Insofern wird die Robotik bewusst als Wissenschaft betrieben. Eine solche Wissenschaft treiben wird als eine besondere Form sozialen Handelns nach bestimmten Regeln aufgefasst, mit dem Ziel, Strategien zur Lösung von Prob-lemen zu entwerfen. Solche Problemlösungsstrategien sind explizite Kon-struktionen, die ein Wissenschaftler entwickelt, um nach ihren Kriterien Erklä-rungsdefizite zu beheben, die in dem jeweiligen Problembereich als Bedarf vorliegen. Solche Lösungsstrategien werden in diesem Buch als Theorien vorgestellt. Ein in diesem Sinne wissenschaftliches Handeln liefert Problemlö-sungstrategien, deren Lösungsverfahren interpretierbar sind und zu einem anwendbaren Wissen führen. Gerade dieser wissensorientierte Problemlö-sungsansatz skizziert Lesern ein Modell wissenschaftlichen Handelns, daß das Ziel der systematischen Problemlösung nach wissenschaftlichen Kriterien verfolgt.Trotz ihrer theoretischen Ergiebigkeit und praktischen Effizienz ist die Wisen-schaft der Robotik bis heute noch keine etablierte reife Naturwissenschaft mit einer homogenen Forschergemeinschaft, sondern eher ein multidisziplinäres dynamisches Forschungsfeld, in dem sich disziplinäre Ansätze überschneiden und gegenseitig beeinflussen. Dieses Buch stellt somit einen engagierten Versuch dar. Ein Spezifikum dieses Versuches liegt darin, daß innerhalb 800 Seiten die Wissenschaft der Robotik

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VI Vorwort

und Robotiktechniken nicht voneinander getrennt werden, sondern postuliert wird, daß Vitalität und Zukunftspotential dieses Forschungsbereiches erst dann in den Blick kommen, wenn man den Grundlagenaspekt mit den techni-schen Aspekten zusammen sieht. Damit bezieht der Autor bewußt eine wissenschaftssoziologische und auch wissenschaftspolitische Position, die Heterodoxie, Intradisziplinarität und Vielfalt propagiert und jeweils forschungsdominierende Ansätze aus gründli-cher Kenntnis einer gründlichen Kritik unterzieht. Ihr Engagement bezieht diese Position aber nicht nur aus einer allgemeinen skeptischen Einstellung; gerade im Fall der Robotik kann der Autor zu Recht auch darauf verweisen, daß gegenwärtig höchst kreative kognitive Denkmodelle bzw. Gedankenexpe-rimente wie die der Selbstorganisation und Emergenz schon vor fast dreißig Jahren entwickelt worden sind, aber wieder vergessen wurden, weil sie der kognitivistischen Orthodoxie nicht in die Konzepte der „klassischen“ Robotik paßten. Die in diesem Buch erstmals verfolgte Strategie ist klar und wirksam: Auf Basis der bereits klassischen Informationsverarbeitung entwickelt der Autor deren basale theoretische Konzepte (Daten, Information, Symbol, Repräsenta-tion) weiter aus (Wissensverabreitung). Mit anderen Worten, die naturwissen-schaftliche Erforschung des menschlichen Erkennens und Handelns bietet der Robotik mit ihrer Technik einen so noch nie wahrgenommenen Fundus, das weit über Philosophie, Psychologie und Informatik hinausführt. Ein Spezifi-kum dieser naturalistischen Erkenntnistheorie liegt im schöpferischen Zu-sammenspiel von Forschung, Technik und Öffentlichkeit, das die Geschwin-digkeit wissenschaftlicher wie technischer Entwicklungen von Beginn an ge-prägt hat. Dieses Zusammenspiel drückt sich auch im Interesse der Massen-medien für wissenschaftliche Fragestellungen aus. Themen wie „künstliche Intelligenz“, „maschinelles Sprach- und Bildverstehen“, „Wissens-„ bzw. „Expertensysteme“ oder letztlich „intelligente Roboter“ prägen auch die popu-lärwissenschaftliche Diskussion der letzten Jahre. Ein Ergebnis dieser Diskussion ist sicher auch darin zu sehen, daß heute fast jeder ohne Probleme von Information und Informationsverarbeitung spricht und das Gehirn als einen informationsverarbeitenden natürlichen Computer betrachtet. Gerade der Informationsbegriff und die damit verbundenen Vor-stellungen sind höchst problematisch. Werden Informationen wirklich, wie Kognitionstheoretiker immer wieder sagen, aufgenommen, gespeichert, kom-muniziert und verarbeitet, oder entstehen Informationen und Wissen nicht erst durch kognitive Tätigkeiten? Die einzelnen Konzepte dieses Buches gehen mit einer Neuorientierung der kognitivistischen Konzepte von Symbolverrechnung und Repräsentation ein-her. Diese Konzepte implizieren drei ontologisch wie erkenntnistheoretisch folgenreiche Annahmen:

Die Welt ist vorgegeben. Die Kognition bezieht sich auf diese Welt - wenn auch oft nur auf ei-

nen Teil derselben.

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Vorwort VII

Die Art, auf die diese vorgegebene Welt erkannt wird, besteht darin, ihre Merkmale abzubilden und sodann auf der Grundlage dieser Ab-bildungen zu agieren.

Diese Annahmen werden durch einen wissenschaftstheoretischen Ansatz flan-kiert, der einerseits im kritischen Rationalismus basiert und andererseits auf den Erkenntnissen der Phänomenologie und der Hermeneutik aufbaut. Dieser wissenschaftstheoretische Ansatz, unter Einbeziehung der Systemtheorie lie-fert folgende Annahmen:

Das Ganze ist nicht gleich der Summe der Teile. Komplexe Systeme sind vernetzte, dynamische Ganzheiten. Offene Systeme sind mit ihrer Umwelt vernetzt und tauschen mit ihr Materie, Energie und Informationen aus. Das Verhalten komplexer Systeme läßt sich nicht im Einzelnen vor-hersehen, jedoch beeinflussen. Komplexe Systeme weisen erkennbare Ordnungsmuster auf, die ges-taltet werden können. Lenkung (Steuerung, Regelung) hält ein System unter Kontrolle. Rechnerbasierte Robotersysteme können lernen, sich entwickeln und entsprechend intelligent handeln. Fehlertoleranz ist oftmals erfolgreicher als Exaktheit.

Das Buch plädiert für eine Modellierung der erkenntnistheoretischen Grund-frage, die Wahrnehmung und Erkenntnis als handlungsbezogene kreative Di-mensionierungen von Bedeutungen im Kontext des Lebenszyklus eines Sys-tems begreift. Die kognitiven Module eines solchen Systems bringen ständig Welten im Prozeß gangbarer Handlungsalternativen; diese Module legen Wel-ten fest statt sie zu spiegeln. Der Grundgedanke besteht dabei darin, daß intel-ligente/kognitive Fähigkeiten untrennbar mit dem Lebenszyklus eines Systems verflochten sind, wie ein Weg, der als solcher nicht existiert, sondern durch den Prozeß des Gehens erst entsteht. Daraus folgt, daß eine Problemlösung nicht mit Hilfe von Wissensrepräsentationen erfolgt, sondern daß durch die kognitiven Komponenten in kreativer Weise eine Welt produziert/modelliert wird, für die die einzige geforderte Bedingung die ist, daß sie erfolgreiche Handlungen ermöglicht: sie gewährleistet die Fortsetzung der Existenz des betroffenen Systems mit seiner spezifischen Identität. Insofern erscheinen Probleme und deren Lösung nicht als vorgegeben, sondern werden, bildlich gesprochen, handelnd erzeugt, aus einem wie auch immer gearteten Hinter- bzw. Untergrund hervorgebracht. Dieses Hevorbringen spiegelt die totale Zirkularität zwischen Handeln, Erkennen und Verstehen. Zur Unterstützung dieser handlungsorientierten Theorie baut der Autor unter anderem auch auf konnektionistische Modelle. Während orthodoxe Modelle Kognition nach dem Muster logischer Rechenprozesse mit symbolischen Rep-räsentationen konzipieren, arbeiten konnektionistische Modelle mit der An-nahme, daß Gehirne neuronale Netzwerke sind, die auf der Grundlage zahllo-

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VIII Vorwort

ser weit verzweigter Verknüpfungen arbeiten. Die Beziehungen zwischen Neuronengruppen verändern sich durch Erfahrungen und Lernprozesse, d. h. sie zeigen Fähigkeiten der Selbstorganisation, die sich in der Logik nirgendwo finden. Damit erweist sich der aus dem Kognitivismus hervorgegangene Konnektio-nismus als wichtiger Ausgangspunkt für die handlungsorientierte Interaktions-theorie, die erstmalig in diesem Buch vorgestellt wird. In dieser Konzeption spielen aber auch Konzepte der Symbolverarbeitung und Repräsentation eine entscheidende Rolle. Alle Ansätze zusammen bewirken in ihrer Kombination eine Steigerung des systemischen Intelligenzqoutionen eines Systems (IQS). Dabei wird der übliche Intelligenzbegriff nicht länger verstanden als Fähigkeit des Problemlösens, sondern als Fähigkeit eines Systems, in eine mit anderen geteilte Welt aktiv einzutreten.

So liegt denn auch ein weiterer Schwerpunkt des Buches eben nicht nur auf dem technischen Aspekt der Robotik, wie beispielsweise dem Bau von Robo-tern (Mechanik), der Steuerung der Gelenke (Elektronik) oder der Mechatro-nik (als die Verbindung von Mechanik und Elektronik). Vielmehr beschreibt das Buch auch die Möglichkeiten der Programmierung von Robotersystemen. Am Ende dieser Kapitel wird sich dann zeigen, daß in der zukünftigen Brain-ware das Potenzial zu suchen ist, was letzlich Roboter zu intelligenten Robo-tersystemen avancieren läßt. Welche wissenschaftlichen, philosophischen, ethischen und technischen Kon-sequenzen mit dieser Konzeption verbunden sind, versucht der Autor am Ende des Buches, sozusagen als Ausblick und Motivation, deutlich zu machen. Neben dieser inhaltlichen Ausrichtung liegt dem Buch auch ein didaktisches Grundprinzip zugrunde, das davon ausgeht, daß die beste Methode der Ausei-endersetzung mit diesem Gebiet darin besteht, eigene Robotersysteme zu ent-wickeln und zu verproben. Es ist inzwischen möglich, relativ günstig Bausätze oder Bauteile zu kaufen, aus denen sich kleine aber dennoch leistungsfähige Robotersysteme entwickeln lassen. Was hierzu fehlte, war ein allumfassendes Buch, das in die grundlegenden Probleme, Konzepte und Techniken so ein-führt, daß eine direkte Umsetzung des vermittelten Wissens in die Praxis mög-lich ist. Auch diese Lücke möchte das vorliegende Buch schließen. Insofern wendet sich das Buch an Philosophen, Psychologen, Informatiker, Ingenieure der Fachrichtungen Maschinenbau, Elektrotechnik und Mechatro-nik, Praktiker in der Fertigungsindustrie, Studenten aller technischen Studien-gänge, sowie alle Personen, die Interesse an Robotern zeigen. Das Konzept dieses Buches impliziert, daß sich die behandelten Themenge-biete über viele Fachgebiete erstrecken. Es ist evident, daß der Autor eines solchen Buches nicht Spezialist für die einzelnen Themen sein kann. Insofern sei an dieser Stelle die Bitte erlaubt, daß die Fachleute der einzelnen Fachge-biete, denen die Darstellung ihres Spezialgebietes zu kurz oder zu oberfläch-lich erscheint, Nachsicht üben. Wenn dieses Buch auch an vielen Stellen ein Kompromiss zwischen Gesamtschau und Detailblick darstellt, sind eventuelle Fehler dem Autor anzulasten. Einen Hinweis auf diese, sowie Anregungen

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Vorwort IX

oder konstruktive Kritik nimmt der Autor gerne unter [email protected] entgegen. Immerhin lebt nicht nur die Wissenschaft, sondern auch ein Buch-vorhaben von solchen Dialogen. Jeder, der Ergebnisse langwieriger Überlegungen zu formulieren versucht, hat sicherlich die Erfahrung gemacht, daß man vor seinem Schreibtisch oder vor dem Computer sitzt, auf die geschriebene Seite, deren Absätze und Sätze schaut und sich dann zusichert, daß eigentlich alles in Ordnung zu sein scheint. Doch plötzlich macht sich eine Unsicherheit breit, indem Fragen wie „Woher habe ich das?“, „Habe ich es irgendwo gelesen?“ auftauchen. Man zerbricht sich den Kopf, wer das wohl so oder in ähnlicher Form formuliert haben könnte. Bei dem Schreiben eines solchen Buches hat man eine Menge Bücher konsultiert und man verbringt manchmal Stunden und Tage damit, Ideen und Formulierungen nachzuspüren, gewöhnlich ohne Erfolg. Es ist wahrlich nicht leicht, in Hunderten von Seiten einen ganz bestimmten Satz zu finden, vor allem wenn man noch in verschiedenen Sprachen suchen muß. Greift man dabei auf mehrere Bibliotheken zu, ist es oft praktisch unmöglich, vergessene Quellen wieder aufzutreiben. Der Autor hat es inzwischen aufge-geben. Auch ist klargeworden, daß alles, was man schreibt, schon einmal ge-sagt oder geschrieben worden ist. Ideen sollten ohnehin niemals Privatbesitz sein, denn es kommt ja darauf an, was man aus ihnen macht. Der Autor hat daher versucht wo immer möglich, die Quellen anzugeben und lebt in der Hoffnung, keinen falschen Gebrauch von all dem gemacht zu haben, was man sich bei solch einem Tun unwissentlich angeeignet hat.

Altrip, im Dezember 2006 Matthias Haun

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Lesehinweise

An gleich mehreren Stellen in diesem Buch werden sich mathematischer For-meln bedient und damit zunächst die nachvollziehbare Tatsache mißachtet, daß jede solche Formel den Leserkreis von vorne herein halbieren wird. Die-sem Leserkreis wird daher empfohlen, auch hier das Prinzip des „Mutes zur Lücke“ zunächst zu verfolgen, diese mathematisch-kontaminierte Zeile völlig zu ignorieren und zur nächsten Textzeile überzugehen. Offener ausgedrückt: Man sollte die Formel eines flüchtigen Blickes würdigen, ohne sie unbedingt verstehen zu wollen, und dann rasch weiterlesen. Nach einer Weile kann man mit neuem Selbstvertrauen zu der vernachlässigten Formel zurückkehren und versuchen, sich diese Schritt für Schritt zu erschließen. Jedem Kapitel sind Mind Maps vorgestellt. In ihnen sind - der Abfolge nach im Uhrzeigersinn angeordnet - die Hauptgliederungspunkte, ihre Verzweigun-gen in Unterkapitel sowie deren Beziehungen zu anderen Kapiteln visualisiert.

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Inhaltsverzeichnis

1 Anstelle einer Einleitung…...................................................................1

1.1 Artifizielle Wesen....................................................................................11.2 Roboter als integraler Bestandteil der Lebenswelt ..................................71.2.1 Serviceroboter .........................................................................................71.2.2 Industrieroboter .....................................................................................111.2.3 Robotersystem im Dienste der Medizin ................................................121.2.4 Robotersystem im Alltag und bei Spass und Spiel ................................141.2.5 Humanoide Roboter ..............................................................................171.2.6 Animaten und Biorobotik......................................................................171.3 Intelligente Robotersysteme ..................................................................181.3.1 Klassifikation ........................................................................................221.3.2 Allgemeiner Aufbau eines Robotersystems ..........................................25

2 Modellierung von Robotersystemen ..................................................33

2.1 System...................................................................................................332.1.1 Systembegriff ........................................................................................342.1.2 Systemtheorie ........................................................................................392.1.3 Systemvarianten ....................................................................................412.2 Modell ...................................................................................................482.2.1 Modellbegriff ........................................................................................482.2.2 Modelltheorie ........................................................................................512.2.3 Modellvarianten ....................................................................................512.2.4 Modellierung .........................................................................................752.3 Simulation .............................................................................................822.3.1 Modellsimulationen...............................................................................822.3.2 Robotersimulationsysteme ....................................................................832.4 Architekturmodell .................................................................................842.4.1 Sensoren-Brainware-Aktoren-Einheit ...................................................852.4.2 Mentale Strukturen ................................................................................88

3 Systemische Interaktionstheorie ........................................................97

3.1 Ausgangsposition ..................................................................................973.2 Ziele.......................................................................................................983.3 Roboter als interaktionsbasierte Systeme ..............................................993.4 Systemische Interaktion ......................................................................1033.4.1 Interaktion als System .........................................................................1033.4.2 Definition des Interaktionsbegriffes ....................................................1043.4.3 Navigation von Robotersystemen........................................................1073.4.4 Kommunikation und Interaktion von Robotersystemen......................110

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XIV Inhaltsverzeichnis

3.5 Aktionsanalyse ....................................................................................112 3.5.1 Wissensbasierte Aktionsebenen ..........................................................113 3.5.2 Funktionaler Ansatz ............................................................................117 3.5.3 Aktionsmanagementmodell.................................................................121 3.5.4 Konzeptionelle Darstellung der Interaktion.........................................122 3.6 Planung................................................................................................123 3.6.1 Planungskonzepte................................................................................124 3.6.2 Planungsschritte ..................................................................................126 3.6.3 Planverfahren ......................................................................................127 3.6.4 Navigation ...........................................................................................129 3.7 Simulationen........................................................................................131 3.8 Architektur ..........................................................................................134 4 (Hardware)Komponenten eines Roboters.......................................135 4.1 Mechanik und Kinematik ....................................................................135 4.2 Achsregelung und Antrieb...................................................................136 4.3 Sensoren ..............................................................................................137 4.3.1 Haptische Sensoren .............................................................................140 4.3.2 Infrarotsensoren...................................................................................140 4.3.3 Sonarsensoren......................................................................................141 4.3.4 Laser....................................................................................................142 4.3.5 Radar-Sensoren ...................................................................................143 4.3.6 Hall-Sensoren ......................................................................................143 4.3.7 Kompaßsensoren .................................................................................143 4.3.8 Winkelkodierung.................................................................................144 4.3.9 Bewegungssensoren ............................................................................145 4.3.10 Bildsensoren ........................................................................................145 4.3.11 Sensordatenintegration ........................................................................146 4.4 Aktoren................................................................................................146 4.5 Steuerung.............................................................................................149 5 Robotik Engeneering: Das Problem2Solution-Vorgehensmodell.........................................151 5.1 Klassische Vorgehensmodelle im Überblick.......................................151 5.2 Lebenszyklus.......................................................................................159 5.3 Die Entwicklungsprozess im Überblick ..............................................161 5.4 Verfahren zur Systemvalidierung........................................................162 5.5 Entwicklungsprojekte..........................................................................165 5.6 Robotik Projektmanagementsystem ....................................................168 6 Software .............................................................................................173 6.1 Arten der Robotersystemprogrammierung ..........................................173 6.1.1 Manuelle Programmierung..................................................................174 6.1.2 Teach-In-Programmierung ..................................................................174 6.1.3 Programmierung durch Beispiele ........................................................176 6.1.4 Programmierung durch Training .........................................................178 6.1.5 Roboterorientierte Programmierung....................................................178

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Inhaltsverzeichnis XV

6.1.6 Aufgabenorientierte Programmierung.................................................1786.1.7 Problemorientierte Programmierung ...................................................1796.2 Entwicklung von Programmiersprachen für Robotersysteme .............1806.3 Verarbeitungsmodelle .........................................................................1816.4 Roboterprogrammiersprachen im Überblick .......................................1836.4.1 Klassifikation ......................................................................................1846.4.2 Explizite Programmiersprachen ..........................................................1856.4.3 Implizite Programmiersprachen ..........................................................1866.4.4 Aufgabenorientierte Programmiersprachen.........................................1876.5 Allgemeine Programmiersprachen im Überblick ................................1886.5.1 Maschinennahe Sprachen ....................................................................1896.5.2 Problemorientierte Programmiersprachen...........................................1906.5.3 Simulationsorientierte Programmiersprachen .....................................1936.5.4 Wissensverarbeitende Programmiersprachen......................................1966.5.5 Objektorientierte Programmiersprachen..............................................2006.5.6 Elementare Sprachelemente ................................................................2096.5.7 Dokumentation ....................................................................................2116.6 Softwaretechnik...................................................................................2156.7 NQC ....................................................................................................2216.7.1 Programmaufbau .................................................................................2216.7.2 Kommentare ........................................................................................2236.7.3 Konstanten und Schlüsselwörter .........................................................2236.7.4 Präprozessor ........................................................................................2316.7.5 Variablen .............................................................................................2336.7.6 Funktionen...........................................................................................2336.7.7 Multitasking ........................................................................................2356.7.8 Sensoren ..............................................................................................2386.7.9 Bedingungen........................................................................................2426.7.10 Operatoren und Anweisungen .............................................................2466.7.11 Bedingte Verzweigung ........................................................................2506.7.12 Programmschleifen..............................................................................2536.7.13 Datenspeicherung ................................................................................2566.7.14 Kommunikation...................................................................................2576.8 LeJOS und Java...................................................................................2586.8.1 Das Betriebssystem leJOS...................................................................2596.8.2 Spurverfolgung mit Java .....................................................................260

7 Problem2Solution-Plattform.............................................................269

7.1 Entwicklungsumgebung Eclipse .........................................................2697.2 Systemmodellierung mit UML............................................................2727.2.1 Anwendungsfall (Use Case) ................................................................2737.2.2 Aktivitäten...........................................................................................2747.2.3 Komponenten (Verteilungsdiagramm) ................................................2747.2.4 Klassen ................................................................................................2757.2.5 Sequenzen............................................................................................2787.2.6 Kollaborationen...................................................................................2797.2.7 Zustand................................................................................................280

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XVI Inhaltsverzeichnis

7.3 Interaktionsmodellierung.....................................................................282 7.3.1 Übersicht .............................................................................................282 7.3.2 Leistungsmerkmale .............................................................................283 7.3.3 Elemente..............................................................................................283 7.3.4 Sichten.................................................................................................284 7.3.5 Entwicklungsschritte ...........................................................................285 7.3.6 Vorteile................................................................................................286 7.4 Projektplanung ....................................................................................286 7.4.1 Planungskomponenten.........................................................................286 7.4.2 Planungsmethoden für Robotik-Projekte.............................................287 7.4.3 Dokumente und Werkzeuge der Projektplanung.................................288 7.4.4 Planungszeitpunkt ...............................................................................288 7.4.5 Funktionen und Leistungsmerkmale ...................................................289 7.4.6 Schritte der Aktivitätsplanung.............................................................290 8 Brainware...........................................................................................293 8.1 Artifizielles Leben...............................................................................293 8.2 Artifizielle Intelligenz .........................................................................295 8.2.1 Arbeitsbereiche....................................................................................296 8.2.2 Historie ................................................................................................301 8.2.3 Philosophie ..........................................................................................304 8.2.4 Zeichen, Daten, Informationen und Wissen ........................................305 8.2.5 Schlußweisen.......................................................................................309 8.3 Systemische Intelligenz.......................................................................313 8.3.1 Ausgangsposition ................................................................................313 8.3.2 Allgemeine Intelligenzkriterien...........................................................314 8.3.3 Systemische Intelligenzkritierien ........................................................317 8.3.4 Systemischer Intelligenzquotient.........................................................319 8.3.5 Modell .................................................................................................326 8.3.6 Kogniogenese ......................................................................................326 8.4 Problemlösungsmethoden zur Steigerung des systemischen Intelligenzquotienten...............................................328 8.4.1 Problemmodellierung ..........................................................................328 8.4.2 Methodenpluralismus ..........................................................................333 8.5 Problemlösen durch Suchen ................................................................337 8.5.1 Blinde Suchverfahren ..........................................................................339 8.5.2 Constraintpropagierung .......................................................................347 8.5.3 Heuristische Suchverfahren.................................................................350 8.6 Problemlösen durch Planen .................................................................359 8.7 Mittel-Zweck-Analyse.........................................................................363 8.8 Expertensysteme..................................................................................365 8.8.1 Eigenschaften und Ziele ......................................................................366 8.8.2 Anwendungsgebiete ............................................................................368 8.8.3 Architektur ..........................................................................................370 8.8.4 Problemlösungsstrategien....................................................................373 8.8.5 Entwicklungsmethodik und Wissensakquisition .................................380 8.9 Artifizielle neuronale Netze (AnN) .....................................................392

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Inhaltsverzeichnis XVII

8.9.1 Mathematisches Neuronenmodell .......................................................3928.9.2 Artifizielles Neuron.............................................................................4028.9.3 Artifizielle neuronale Netze ................................................................4048.9.4 Klassifizierung artifizieller neuronaler Netze......................................4118.9.5 Lernparadigmen ..................................................................................4158.9.6 Architekturen.......................................................................................4198.10 Genetische Algorithmen......................................................................422

9 Ausblick..............................................................................................425

9.1 Zukunftsbilanz.....................................................................................4259.2 Ein neues Paradigma? .........................................................................4299.3 Ein Playdoyer für ein Jahrzehnt der Robotik.......................................4309.3.1 Robotic Science Programm .................................................................4319.3.2 Intradisziplinarität ...............................................................................4329.3.3 Robotik als multidisziplinäre Forschungseinrichtung .........................4349.3.4 Handeln anstatt Befürchten .................................................................436

10 Anhang ...............................................................................................437

10.1 Glossar.................................................................................................43710.2 Physikalische Grundlagen ...................................................................44010.2.1 Kräfte und Momente ...........................................................................44010.2.2 Kräfte und Wege .................................................................................44310.2.3 Antriebe...............................................................................................44710.3 Bausätze für Roboter ...........................................................................44910.3.1 TuteBot................................................................................................44910.3.2 Rug Warrior.........................................................................................45010.3.3 Joker Robotics .....................................................................................45110.3.4 Fischertechnik .....................................................................................45210.4 Robotic Invention System ...................................................................45210.4.1 Der Robotic Controller (E)Xplorer (RCX)..........................................45210.4.2 Infrarot-Schnittstelle............................................................................45510.4.3 Sensoren ..............................................................................................45610.4.4 Aktoren................................................................................................46010.5 RCX-Programmierung mit NQC.........................................................46310.5.1 Bricx-Command-Center ......................................................................46310.6 RCX-Programmierung mit leJOS........................................................46910.7 Java für Robotersysteme .....................................................................47310.7.1 Vom Algorithmus zum (objektorientierten) Programm ......................47410.7.2 Struktur eines Java Programms ...........................................................47910.7.3 Kommentare ........................................................................................48010.7.4 Bezeichner...........................................................................................48010.7.5 Variablen .............................................................................................48110.7.6 Konstanten...........................................................................................48310.7.7 Primitiva ..............................................................................................48410.7.8 Operatoren...........................................................................................48510.7.9 Kontrollstrukturen ...............................................................................49210.7.10 Vererbungsmechanismen ....................................................................499

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XVIII Inhaltsverzeichnis

10.7.11 Paketierung..........................................................................................509 10.7.12 Threads................................................................................................518 11 Literatur.............................................................................................533 11.1 Prozessmodellierung ...........................................................................533 11.2 Informatik............................................................................................534 11.3 Informationstheorie .............................................................................537 11.4 Komponenten ......................................................................................542 11.5 Projektorganisation..............................................................................542 11.6 Softwareentwicklung...........................................................................542 11.7 Robotik................................................................................................545 12 Sachverzeichnis..................................................................................547

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1 Anstelle einer Einleitung…

1.1 Artifizielle Wesen

Im Laufe der Menscheitsgeschichte betete der Mensch seine Götter nicht nur an, sondern trat hier und da in Konkurrenz zu ihnen, wie beispielsweise:

auf der Suche nach der Fähigkeit zu fliegen, im Streben nach ewiger Jugend, nach Entdeckung des Lebenselexiers, vor allen Dingen aber in dem nach der Schaffung des Lebens.

Vor allem auf drei Gebieten wird die letzte Anstrengung sichtbar: auf mythologischem, magisch-biologischem und technisch-mechanischem.

Dabei lassen sich die einzelnen Richtungen oft kaum sauber voneienander trennen. Dies gilt auch für die verschiedenen Variationen, in denen der artifi-zielle Mensch auftreten kann:

von der belebten Statue bis zur Puppe, Marionette und Wachsfigur, vom Golem bis zum Homunkulus, vom Teraphim bis zur Alraune,

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2 1 Anstelle einer Einleitung…

vom Maschinen- und Uhrwerk bis zum Androiden, zum mechanischen Spielzeug oder Scheinautomaten um letztlich beim Roboter zu landen.

Der erste sagenhafte Mechaniker und Konstrukteur von Maschinen und auto-matenhaften Gebilden ist Daidalos. Am bekanntesten ist seine Flugmaschine, die ihn und seinen Sohn Ikarus vor der Ungnade des Königs Minos retten sollte. Ähnliches gilt für die Produkte des Schmiedes Hephaistos, dessen eisernem Riesen Talos Wächterdienste bei König Minos zugeschrieben werden. Diome-des soll Statuen geschaffen haben, die aus eigener Kraft schwammen. König Ptolemaios von Ägypten förderte im dritten Jahrhundert v. Chr. nicht nur die Automatenproduktion als Mäzen, sondern soll eigene Automaten ge-baut haben. Man erzählt, daß bei einem Fest zu Ehren Alexanders des Großen eine Statue der Nymphe Nisa auf ihrem Wagen aufgestanden sei und Milch in eine goldene Schale gegossen habe. Die Erwähnung solcher belebter Statuen und mechanischer Kunstwerke zu Repräsentationszwecken findet sich in na-hezu allen Kulturen. Gerade den tatsächlich oder scheinbar belebten Statuen kam als göttlichem Orakel eine wichtige Rolle zu. Lukian berichtet so von einer Orakelstatue des Apollo. Sprechende Statuen erlaubten den Regierenden und Priestern, das gläubige Volk mit deren Prophezeiungen beliebig zu manipulieren, seine Gier nach sinnlichen Gottesbeweisen zu befriedigen. Daß derartige Leistungen durchaus nicht nur im Bereich der Mythologie exis-tiert haben mußten, beweisen die grundlegenden technischen Entwicklungen griechischer Mechaniker, insbesondere derer, die zur Schule von Alexandria gehörten (Ktesibios, Heron von Alexandria und Philon von Byzanz). Als An-triebsprinzipien ihrer mechanischen Kunstwerke standen ihnen primär Vor-richtungen nach dem Sanduhrprinzip zur Verfügung, als Energiequellen Was-ser, Wasserdampf, Quecksilber, als Energieübertragungsmittel Winde, Hebel, Flaschenzug oder Schraube. Es fehlte das fortschrittliche Zahnrad. Dennoch konstruierte Ktesibios seine Wasserorgel, eine Wasseruhr und eine Luftpum-pe. Heron hinterließ ein zum Teil verschollenes, reichhaltiges und breitgefä-chertes theoretisches Werk, das von der Geometrie bis zur Vermessungs- und Spiegellehre reicht. Philon, ein Schüler des Ktesibios, (3. Jahrhundert v. Chr.) soll darüberhinaus ebenfalls Wasseruhren, mechanische Geschütze und ein-zelne Automatenspielfiguren angefertigt haben. Nach dem Niedergang der hellenischen Kultur.verlagert sich das Zentrum des Automatenbaus nach Byzanz. Arabische Mechaniker schaffen prunkvolle Automaten, besonders zu Repräsentationszwecken, wie den berühmten Thron Salomons, der um 835 nach Christus von dem Astronomen, Architekten und Mathematiker Leo für Kaiser Theophilos Ikonomachos aus Gold und Silber gebaut worden sein soll. Er war verziert mit Greifen und Löwen, die den Kopf bewegen, sich erheben und sogar brüllen konnten. Hervorragendes Produkt der arabischen Automatenbaukunst ist die etwa 500 n. Chr. entstandene Uhr

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1.1 Artifizielle Wesen 3

von Gaza, die mit unzähligen automatischen Figuren verziert war. Diese Ver-wendung der Automaten war die gebräuchlichste, da der Islam im Übrigen Nachahmungen der menschlichen Gestalt verbot. Ausnahmen bilden Trinkau-tomaten, die zur Belustigung des Publikums zuvor aufgenommene Getränke wieder ausschieden. Die Weiterentwicklung der Uhrwerke, Maschinen und Automaten wurde ent-schieden durch die Erfindung einer Vorrichtung gefördert, die es erlaubte, den Ablauf der bisher sanduhrmäßig funktionierenden Bewegung zu verzögern und damit zu verlängern: die Hemmung. Der Uhr kam eine über ihren Gebrauchswert hinausgehende Faszination zu, die sie trotz der Ungenauigkeit der ersten Exemplare, zur Metapher und zum Symbol von Ordnung und Har-monie werden ließ in all den Bereichen, in denen diese Werte gefragt waren. Die Uhrmacherkunst erreicht im 14. Jahrhundert eine ungeahnte Blüte. Ihre Produkte sind nicht mehr bloße Zeitmeßgeräte, sondern Mittel zur Nachah-mung der Planeten. Der Mensch versucht, „imitatio die“, ein maschinalisiertes Universum nachzubauen, noch ohne den Gedanken, mit Gott konkurrieren zu wollen. Die besten Beispiele dafür sind die Uhren des Abtes von St. Alban, Richard von Wallingford, und die des Giovanni de Dondi. Zusätzlich wird die Uhr zunehmend künstlerisch ausgestaltet mit Automatentableaus von über-wiegend religiösem Gehalt. Beispielhaft dafür ist die Uhr des Straßburger Münsters von 1352 mit ihrem an die Verleugnung des Petrus erinnernden Hahn. Andere Automatentableaus spielen auf politische Gegebenheiten an. Die Automaten entwickelten sich aber auch zum beliebten Spielzeug, das wegen der hohen Herstellungskosten den oberen Schichten vorbehalten blieb. Die kunstvollen und kostbaren Figuren waren kaum als Kinderspielzeug, son-dern vielmehr nur als Repräsentationsobjekt geeignet. Die Skala reicht von der automatischen Weihnachtskrippe Hans Schlottheims (1589) bis zu dem be-rühmten Schiff Karls V., dem sein Hofmeister Juanelo Turriano den Rückzug ins Kloster San Yuste mit mechanischen Spielzeugen versüßt haben soll. Cha-rakteristisch für die ständig zunehmenden Automatentableaus war die Mi-schung aus mechanisch bewegten und unbeweglichen bzw. marionettenhaften Figuren. Ein anderer Zweig der Automatenbaukunst entwickelte immer kunstvollere Wasserspiele für feudale Parkanlagen und Gärten. Diese Wasserkunstfiguren dürften wesentlich die Cartesianische Konzeption vom Mechanismus des menschlichen Körpers beeinflußt haben. Aber nicht nur Ingenieure und Techniker, sondern selbst Philosophen beschäf-tigen sich zunehmend mit den Werken Herons und der Alexandrinischen Schule. Die einzelnen Werke und ihr Inhalt sind weniger wichtig als die sich generell darin abzeichnende Tendenz zur Verbindung von Technik und Philo-sophie, die erstmals in den Theorien Descartes kulminiert. Die praktische technische Entwicklung der Automaten zielt auf immer perfek-tere Nachahmung der Natur ab, sichtbar etwa in den Automaten Jacques de Vaucansons. 1738 stellt dieser Mechaniker seinen nahezu lebensgroßen, höl-zernen Flötenspieler der Akademie vor. Er konnte zwölf Melodien auf seinem

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4 1 Anstelle einer Einleitung…

Instrument spielen und erzeugte dabei die Töne nicht mehr einfach durch ein Uhrwerk in seinem Innern, sondern natur- und kunstgerecht durch die entspre-chenden Zungen- und Fingerbewegungen. Ein von verschiedenen Uhrwerken angetriebenes Blasebalgsystem setzte den dazu nötigen komplizierten Mechanismus in Gang. Dem Flötenspieler folgte bald der Joueur de Galoubet, der eine provenzalische Hirtenflöte blies und sich auf einem Tamburin begleitete. Man berichtet von ihm, daß er sogar bes-ser und schneller gespielt haben soll als ein Mensch. Der erste, wenn auch noch harmlose Fall einer Maschine, die den Menschen übertrifft. Höhepunkt des Vaucansonschen Erfindungreichstums ist aber sicherlich die mechanische die Ente, die zum ersten Mal nicht nur äußerlich die Natur imi-tiert, sondern auch innerlich korrekt die biologischen Vorgänge nachzuahmen suchte. Es läßt sich nicht genau entscheiden, wie die Verdauungsvorgänge im Einzelnen abliefen, ob tatsächlich im Magen der Ente ein kleines Chemielabo-ratorium untergebracht war, in dem die Nahrung zerkleinert wurde. Sicher ist allein, daß die Ente ihr Futter auf natürlichem Wege aufnahm und auch wieder ausschied, die verabreichte Nahrung also den Körper durchlaufen hatte und dabei auf irgendeine Weise zerkleinert worden war. Die Idee eines Tierauto-maten war nicht völlig neu, einmalig war jedoch die Konzeption der Vaucan-sonschen Ente als dreidimensionaler, korrekter anatomischer Atlas. Tatsächliche Automaten wurden nur noch im Miniaturformat gebaut - als verspieltes Beiwerk für Taschenuhren oder als Tafelaufsätze, die auf Grund der hohen Fertigungskosten weiterhin wohlhabenden Bürgern vorbehalten blieben. Weitere Verbreitung erfuhren dagegen in zunehmendem Maße die immer mehr als Massenprodukte angefertigten, mechanischen Spielzeuge. Die vorzüglichsten Techniker wendeten sich deshalb den Nutzmaschinen zu, deren Entwicklung durch die Entdeckung neuer Antriebskräfte, wie Dampf und Elektrizität, noch beschleunigt wurde. Es erscheint fast als Ironie des Schicksals, daß ausgerechnet diese neuen, äußerlich so menschenunähnlichen Maschinen dem Menschen bedrohlicher wurden als die ihm nachgebildeten Androiden. Dies gilt auch für die im 20. Jahrhundert gebauten Roboter mit Menschenfigur, die eher spielerisches Nebenprodukt der technischen Entwick-lung waren. Wesentlich größere Bedeutung als dem mechanischen Nachbau des Menschen kommt heute der biologischen und genetischen Forschung zu, die zwar noch kein Leben aus dem Nichts schaffen, aber doch entscheidend in seine Ent-wicklung eingreifen kann. Selbst Retortenbabys scheinen nicht mehr unmög-lich - der alte Traum von der Schaffung eines Homunkulus rückt, mit allen möglichen Konsequenzen, in greifbare Nähe. DESCARTES steht bei seinen Versuchen, das Universum, das Leben und den Menschen rational, mechanistisch-materialistisch zu erklären bzw. auch zu reproduzieren, ganz in der Nachfolge der atomistischen Lehren eines Epikur, Demokrit und Titus Lucretius Carus. Anders als diese begnügen sich Nikolaus Kopernikus, (1473-1543), Johannes Kepler, (1571-1630) und Galileo Galilei, (1564-1642) nicht mehr mit spekulativen Konzeptionen des Universums, son-

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1.1 Artifizielle Wesen 5

dern suchen nach empirischen Beweisen. Ihre von mechanischen Gesetzen bestimmten Systeme bilden natürlich eine eminente Gefahr für die entspre-chenden Lehren der Theologen, stellen durch die Reduktion alles Seienden auf Materie, beobachtbare Fakten und Gesetze alle Theorien hinsichtlich Unsterb-lichkeit und Geisthaftigkeit des Menschen in Frage. Gerade die negativen Erfahrungen Galileis machen Descartes vorsichtig mit eigenen radikalen Thesen, Er begegnet allen Vorwürfen dadurch, daß er als Objekt seiner Überlegungen nicht das reale Universum bzw. den konkreten Menschen nimmt, sondern vielmehr deren künstlich geschaffene Modelle.Diese entsprechen völlig den empirischen Wissenschaften, den Erkenntnissen der Mathematik, Physik und Mechanik. Das einzig Sichere scheint die eigene Denkfähigkeit zu sein. Am Anfang des 20. Jahrhunderts begannen die Bemühungen, Automaten zu bauen, die nützliche Aufgaben übernehmen konnten. Dabei konnte man in relativ kurzer Zeit wichtige Ergebnisse erzielen1:

1946 entwickelte der Amerikaner G. C. Devol ein Steuergerät, das e-lektrische Signale magnetisch aufzeichnen konnte. Diese konnten wieder abgespielt werden, um eine mechanische Maschine zu steuern. 1951 begann die Entwicklung ferngesteuerter Handhabungsgeräte (Teleoperatoren) zur Handhabung radioaktiver Materialien. 1952 wurde am MIT der Prototyp einer numerisch gesteuerten Werk-zeugmaschine entwickelt. Die zugehörige Programmiersprache APT wurde 1961 veröffentlicht. 1954 reicht der Brite C.W. Kenward ein Patent einer Roboterentwick-lung ein. Zur gleichen Zeit arbeitet der Amerikaner George C. Devol an dem „programmierten Transport von Gegenständen“. Er erhält 1961 dafür ein US-Patent. 1959 wird von der Firma Planet Corp. der erste kommerzielle Roboter vorgestellt. Dieser wurde mechanisch durch Kurvenscheiben und Be-grenzungsschalter gesteuert. 1960 wurde der erste Industrieroboter („Unimate") vorgestellt. Er ba-sierte auf den Arbeiten von Devol. Der Roboter war hydraulisch an-getrieben. Er wurde durch einen Computer unter Verwendung der Prinzipien numerisch gesteuerter Werkzeugmaschinen kontrolliert. 1961 wurde bei Ford ein Roboter des Typs Unimation installiert. 1968 wurde der mobile Roboter („Shakey") am Stanford Research In-stitute (SRI) entwickelt. Er war mit einer Vielzahl von Sensoren, u.a. Kamera, Tastsensor, ausgestattet. 1973 wurde die erste Programmiersprache (WAVE) für Roboter am SRI entwickelt. Im Jahr 1974 folgte die Sprache AL. Ideen dieser

1 Groover, M.P., Weiss, M, Nagel, R.N., Prdrey, N.G: Robotik umfassend. McGraw-Hill, 1987

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6 1 Anstelle einer Einleitung…

Sprachen wurden später in der Programmiersprache VAL von Unima-tion verwendet. Etwa zur gleichen Zeit entstanden auch vollständig elektrisch angetriebene Roboter.

1978 wird der Roboter PUMA (programmable universal machine for assembly, Programmierbare Universalmaschine für Montage-Anwendungen) von Unimation vorgestellt. Er ist elektrisch angetrie-ben und basiert auf Entwürfen von General Motors. Der Robotertyp PUMA wird nachfolgend immer bei konkreten Anwendungsbeispie-len zugrunde gelegt.

So findet man beispielsweise recht früh in den Richtlinien für die Montage- und Handhabungstechnik des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI), Düssel-dorf, nachstehende Begriffsbestimmung für einen Industrieroboter: „Industrie-roboter sind universell einsetzbare Bewegungsautomaten, mit mehreren Ach-sen ausgestattet, deren Bewegung hinsichtlich Bewegungsfolge und Wege bzw. Winkeln frei, d. h. ohne mechanischen Eingriff, programmierbar und gegebe-nenfalls sensorgeführt sind. Sie sind mit Greifern, Werkzeugen oder anderen Fertigungsmitteln ausrüstbar und können Handhabungs- und Fertigungsauf-gaben ausführen. " Die Automaten der ersten Generation hatten mit ihren metallenen Armen und Beinen noch eine sehr menschenähnliche Statur. Allerdings hatten diese Ap-paraturen wenig mit den Robotern im heutigen Sinne zu tun. Jede einzelne Aktion mußte vorher vom Menschen durch einen Befehl abgerufen werden. Daher scheint es legitim, den Begriff „Automat" anstelle von „Roboter“ zu verwenden. Auf jeden Fall waren die Apparate nicht in der Lage, diverse Tä-tigkeiten selbständig durchzuführen. So stellte zum Beispiel der Amerikaner Wensley 1928 der Öffentlichkeit seinen Maschinenmenschen „televox" vor. Das Gerät konnte auf ein akustisches Kommando hin den Elektroherd ein-schalten oder einen Lampenschalter betätigen. Keine große Sache, „televox" leistet damit auch nicht viel mehr als beispielsweise ein Fernsehgerät: Auf Kommando - in der Regel per Infrarotsignal - wird auf ein anderes Programm umgeschaltet, erhöht sich die Lautstärke etc. Als Nächstes baute man Maschinen, die man aus sicherer Entfernung leicht steuern konnte. Automaten dieser Kategorie sind prädestiniert für lebensge-fährliche Arbeiten, z. B. in den „heißen“ Zonen von Kernkraftwerken (z. B. setzte die UdSSR bei dem Reaktorunfall 1986 in Tschernobyl solche Geräte ein) oder bei der Produktion von Kernbrennstoffen, bei der Reparatur von Unterwasserpipelines in großen Meerestiefen, bei Giftunfällen und Umweltka-tastrophen, bei Waldbränden, bei der Instandhaltung von Satelliten im Welt-raum, als Besatzung von Raumschiffen oder als Auskundschafter auf fremden Planeten. Gerade in diesem zuletzt angesprochenen Einsatzgebiet waren Automaten ausgesprochen nützlich. Zu Beginn der 60er Jahre setzte man zur Erkundung der Mondoberfläche sogenannte „rangers“ ein, „Kamikaze“-Flugkörper, die vor dem Aufprall auf dem Erdtrabanten Fotos aufnahmen, die per Funk an die Erde übermittelt wurden. Die gewonnenen Aufnahmen zeigten zwar bis dahin unbekannte Details, genaue Untersuchungen der Mondoberfläche ließen sich

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1.2 Roboter als integraler Bestandteil der Lebenswelt 7

naturgemäß nicht durchführen. Also ging man an die Entwicklung kleiner Automatenfahrzeuge, die auf dem Mond herumkutschieren sollten, um den Boden zu untersuchen und Ergebnisse auf die 1282 Sekunden dauernde Reise zu unserem Planeten zu schicken. Diese Automaten wurden von der Erde aus „on-line“ ferngesteuert, d.h. der Steuermann auf der Erde sieht über Fernseh-kameras wie das Gelände vor Ort aussieht und kann dadurch entsprechende Aktionen einleiten. Von sich aus hat das Landefahrzeug freilich nichts ge-macht. Als die ersten Computer verfügbar waren, lag natürlich der Gedanke nahe, die Automaten mit einem Rechner zu kombinieren. Von nun an waren die Auto-maten in der Lage, auch komplizierte Arbeitsvorgänge durchzuführen, für die zahlreiche Bewegungen nötig sind. Mit anderen Worten, man konnte von jetzt an dem Automaten Anweisungen, wie beispielsweise ,,Bohre ein Loch mit einem Durchmesser von 15 mm" oder „Lege die gefertigten Teile in den Transportbehälter", geben. Der Automat war somit in der Lage, alle notwen-digen Berechnungen durchzuführen bzw. das entsprechende Programm ablau-fen zu lassen. Um 1970 wurden dann auch die ersten computerunterstützten Industrieautomatenentwickelt. Der Übergang von den Vorläufern der Automa-ten hin zu echten Robotern zeichnete sich also ab.

1.2 Roboter als integraler Bestandteil der Lebenswelt

Was immer noch mit gemischten Gefühlen empfunden wird, läßt sich nicht leugnen: Roboter integrieren sich langsam aber stetig in die Lebenswelt des Menschen. In der industriellen Fertigung längst unentbehrlich, erledigen die modernen Robotersysteme zunehmend auch Dienstleistungsaufgaben. So entschärfen sie Bomben, überwachen Fabrikgelände und saugen die Woh-nung. Als hochpräzise Assistenten unterstützen sie Chirurgen bei heiklen und difizilen Operationen. Und anstelle von Pflegern sollen autonome Roboter in Zukunft sogar einen Großteil der Altenbetreuung übernehmen. Selbst beim Sport entwickeln die Maschinen Ehrgeiz: Verläuft alles nach Plan ihrer Kon-strukteure, sollen Fußballroboter bei der Weltmeisterschaft 2050 nicht nur gegen menschliche Gegener antreten, sondern auch gewinnen!2

1.2.1 Serviceroboter Wie das Eingangskapitel dieses Buches verdeutlicht hat, zogen menschenähn-liche Maschinen die Menschen immer wieder in ihren Bann. In den 70er Jah-ren schrieb George Lucas Kinogeschichte, als er den aufrecht gehenden Robo-ter C3PO auf Zelluloid bannte und als Weggefährten des Helden Luke Sky-walker in den „Krieg der Sterne" ziehen ließ. Daß diese Geschichte noch nicht am Ende ist, zeigt der riesige Erfolg des neuesten Roboter-Epos „I Robot“. Flankierend zu den Filmgenres treibt auch die Unterhaltungsindustrie den lang

2 Auch der Autor dieses Buches arbeitet mit seinem Team an dieser visionären Herausforderung.

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8 1 Anstelle einer Einleitung…

geträumten Traum voran. Die Computerhunde Aibo oder Qrio, als erste dy-namische zweibeinige Laufroboter aus dem Hause Sony, dienen als publicity-trächtige Vorboten eines vielleicht neuen Zeitalters. Man schätzt, daß in ca. 30 Jahren mehr persönliche Roboter produziert werden als persönliche Computer. Hintergrund dieser Prophezeiungen ist der ermittelte Bedarf an Servicerobo-tern, die auf Zuruf die alltägliche Arbeit „vollautomatisiert“ erledigen. Staub saugen, Rasen mähen, Fenster putzen, einkaufen und den Müll wegbringen, Betten machen und den quengelnden Nachwuchs betreuen. Allerdings darf man bei all der berechtigten Euphorie die derzeitige Realität nicht ganz außer Acht lassen. Vieles, was für den Menschen selbstverständlich ist, erweist sich für Roboter auch heute noch als Ding der Unmöglichkeit. Beispielsweise können sie nach wie vor nicht Auto fahren. Auch die Anatomie des Menschen entpuppt sich immer wieder als schwer kopierbares Wunder-werk. Zum Beispiel weist die menschliche Hand bei einem Durchschnittsge-wicht von 600 Gramm 23 verschiedene Freiheitsgrade auf, die sie in die Lage versetzt, unterschiedlichste Aufgaben wie Schrauben drehen, Bälle fangen oder Menschen begrüßen mit einer stufenlos verstellbaren Feinfühligkeit zu erledigen. Dazu verfügt sie über rund 17000 Sensoren, die Druck, Temperatur, Wärmeleitfähigkeit und Berührung in direkter Muskelnähe messen. Solch ein perfektes Regelwerk bringt selbst modernste Technik derzeit nicht zu Stande. Doch man ist auf dem besten Wege dahin: Es sind vor allem japanische Forscher, die sich bemühen, die „überlebenswichtige“ Mecha-nik, Elektronik, Sensorik und Steuerungstechnik eines zweibeinigen Laufroboters zu integ-rieren und zu miniaturisieren. So wiegt das Modell Asimo (Advanced Step in Innovative Mobility), das Honda im Jahre 2001 vorstellte, bei einer Größe von 1,20 Meter nur noch 43 Kilogramm. Ein wahres Federgewicht im Vergleich zu seinen Vorgängern wie dem Pl, den die Ingenieure des Konzerns Mitte der 90er Jahre entwickelt hatten. Der Pl brachte mit seinem Gardemaß von 1,92 Metern satte 175 Kilogramm auf die Waage. Zu viel, als daß Batterien die Energie hätten liefern können, um den Koloss auf Trab zu bringen. Wie einen Schwanz zog der Pl daher sein Elektrokabel hinter sich her. Der Nachfolger P2 verfügte zwar bereits über eine eingebaute Energiequelle; bei einem Gewicht von 210 Kilogramm konnte ihn seine Batterie aber höchstens 15 Minuten lang ausreichend mit Energie versor-gen.

Eine der großen Herausforderungen stellt nach wie vor die Energieversorgung der Robotersysteme dar. Ein Serviceroboter, der ständig an der Ladestation pausieren muß, hilft dem Menschen schließlich nicht weiter. Anders als die stationären Automaten, die in der Industrie selbstständig ihre Arbeit rund um die Uhr verrichten, müssen autonome Assistenten auch dann zuverlässig arbei-ten, wenn sie nicht an der Steckdose hängen. Beliebig viele Akkus zu montie-ren, ist dabei keine Alternative, denn Akkus sind schwer und der Stauraum knapp. Und nur in wenigen Fällen lösen Solarpanels alle Energieprobleme. Mit dem Qrio setzt Sony nun neue Maßstäbe. Der Roboter ist mit seinen 58 Zentimetern Größe nur noch sieben Kilogramm schwer, weil er eine Vielzahl von mechanischen und elektronischen Bauelementen auf engstem Raum vereint. Sony baute zu diesem Zweck winzige Motoren und Getriebe, die Drehmomente und Umdrehungsgeschwindigkeiten über einen großen Wirkungsbereich hinweg stufenlos auf die Gliedmaßen übertragen können.

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1.2 Roboter als integraler Bestandteil der Lebenswelt 9

Die komplizierte Steuerung koordiniert die Extremitäten so schnell und sicher, daß Qrio seine Balance auch dann nicht verliert, wenn beide Beine gleichzeitig den Boden verlassen. Vorausschauend berechnet sie Körperhaltung und Bewegung so, daß die Schwer- und Trägheitskräfte, die auf den Roboter wirken, ihn niemals ins Straucheln bringen. Um In-formationen über die Beschaffenheit des Untergrundes zu erhalten, misst sie auch den Druck auf die Fußsohlen von Qrio. Selbst anspruchsvolle Bewegungen wie Treppen stei-gen, auf den Boden fallen oder sich wieder aufrichten kann der Serviceroboter auf diese Weise fließend ausführen. Nach etwa einer Stunde geht allerdings auch ihm die Puste aus, weil sich sein Akku leert. Zu früh, um als veritabler Spielkamerad zu dienen. Bis auf weite-res wird ihn Sony daher nicht kommerziell vermarkten.

Auf der Erde hat sich daher die Erkenntnis durchgesetzt, daß sich ausdauernde Roboter zunächst einmal rollend fortbewegen sollten. Denn gegenüber dem aufrechten Gang haben Räder den energiesparenden Vorteil, daß sie die schwere Energiequelle nicht ständig durch kraftrau-bende Bewegungen ausbalancieren müssen, sondern sie in konstanter Bodennähe durch die Gegend fahren. Au-ßerdem genügen Räder meist, wenn Roboter eine einzige Aufgabe zuverlässig erfüllen sollen. Autonome Staubsau-ger beispielsweise gleichen einer flachen Diskusscheibe auf Rädern mit eingebautem Saugmotor, ohne Arme und ohne Beine. In diesem Outfit kriechen sie auch unter Betten.

Der „RoboCIeaner" des Reinigungsgeräte-

herstellers Kärcher ist einer dieser Spezialisten. Ohne vorgegebenen Plan, aber mit der Zuversicht, irgendwann jeden Quadratmeter durchfahren zu haben, kurvt er nach einem Zufallsprinzip kreuz und quer durch die ihm zugewiesenen Räume. Mit Hilfe optischer Sensoren schnurrt er an Tischbeinen und Blumenvasen vorbei und schaltet vor gefährlichen Treppenabsätzen selbstständig den Rückwärtsgang ein. Ist der Staubspeicher voll oder die Batterie leer, kehrt er von einem Infrarotstrahl gelei-tet an seine Ladestation zurück, um Dreck ab- und Ener-gie aufzuladen.

Zur Drucklegung dieses Buches hatten sich ca. 200 Firmen, die sich zum Ziel gesetzt haben, marktfähige Serviceroboter zu entwickeln, bei der europäischen Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen (UNECE) registriert. Fast die Hälfte der aufgeführten Unternehmen stammt aus den USA. Japan, Deutsch-land und Großbritannien beheimaten jeweils rund acht Prozent. Die Bandbrei-te ihrer Produktideen reicht von Reinigungs-, Inspektions-, Unterwasser- und Abrißrobotern für den professionellen Einsatz bis hin zu Unterhaltungs- und Pflegerobotern für den häuslichen Gebrauch. Mehr als 2,1 Millionen dieser Maschinen sollen laut UNECE bis 2006 verkauft worden sein, rund dreimal so

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10 1 Anstelle einer Einleitung…

viel wie heute. Insofern hat die Zukunft auch laut diesen Zahlen bereits be-gonnen. Ein weiterer Serviceroboter wurde speziell entwickelt, um Büroräume und Lagerhallen zu überwachen. Mit vier Kilometern pro Stunde rollt der Artifizielle Wachmann eine antrai-nierte Route entlang. Über Ultraschallsensoren gleicht er eine digitale Karte mit der Umge-bung ab und orientiert sich auf diese Weise im Raum. Gleichzeitig sondiert er mit Hilfe verschiedener Sensoren die Lage. Seine in die Stoßstange integrierten Infrarotsensoren erkennen Gegenstände, die am Boden liegen, auf eine Entfernung von bis zu 80 Zentime-tern. Bis auf zwölf Meter spüren vier Passiv-Infrarotbewegungsmelder Wärmestrahlung von bewegten Körpern auf, seine Radarsensoren reagieren sogar noch auf 30 Meter entfern-te Bewegungen. Auch die Umgebungsluft kann er mit Hilfe eines Massen-Ionen-Spektrometers analysieren. Wittert er Einbrecher, Rauch oder giftige Gase, schlägt er sofort Alarm und schickt per Funk Bilder vom Tatort an die Zentrale. Bleibt alles ruhig, patroul-liert er ohne Pause bis zu 18 Stunden pro Schicht. Allein die fünf Blei-Gel-Akkus machen zwei Drittel seines Gesamtgewichts von 25 Kilogramm aus. Dennoch ermöglichen leichte und stromsparende Komponenten, sowie ein ausgeklügeltes Energiemanagement, diese Ausdauerleistung.

Die artifiziellen Robotersysteme erorbern also die natürliche Lebenswelt des Menschen. Aller-dings verdient nicht alles, was diese Statistik aufzählt, den Titel eines Roboters im Sinne die-ses Buches. Denn Roboter, die Staub saugen oder Wache schieben, spulen eigentlich nur stumpf Programme ab, die ihnen von Entwick-lern eingegeben werden, und befahren Routen, die sie nicht selbstständig wählen. Allerdings sind sie frei programmierbar und in mindestens

drei Achsen frei beweglich. Intelligent im Sinne eines systemischen Intelli-genzquotionen (sIQ) aber sind die Geräte nach den Maßstäben dieses Buches noch lange nicht. Die Interaktion zwischen dem Robotersystem und dem Menschen scheint das Problem zu sein. Dazu muß das Robotersystem Daten nicht nur messen und analysieren, sondern auch bewerten können. Denn die intelligente, sprich intuitive Kommunikation mit dem Menschen erfolgt über unscharfe Botschaften wie Gestik, Mimik und Sprache. Schon die einfache Auf-forderung, seinem Besitzer ein Buch aus dem Regal zu bringen, stellt ein Robotersystem vor riesige Prob-leme. Zunächst muß er den Menschen identifizieren und lokalisieren. Anschließend das Regal finden, auf das der Mensch verweist, sich in der Wohnung orien-tieren, das Buch erkennen und dieses aus dem Regal ziehen und gegebenenfalls zurücktransportieren. Sollte das Buch nicht aufzufinden sein, darf der Ro-

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1.2 Roboter als integraler Bestandteil der Lebenswelt 11

boter auf keinen Fall stillschweigend den Dienst quittieren, sondern beispiels-weise eine verständliche Meldung liefern. Bevölkerungsexperten rechnen damit, daß sich der Anteil der über 65-jährigen Menschen in den westlichen Gesellschaften bis zum Jahre 2050 nahezu verdoppeln wird. In den USA, Frankreich und England wird er auf rund 20 Prozent steigen, in Japan und Deutschland sogar auf 30 Prozent. Die häusliche Betreuung und Pflege sollen dann, so die Vision, vor allem Roboter übernehmen. Das potentielle Einsatzszenario entspricht der Stellenbeschrei-bung eines Zivis. Dem Wunsch des Pflegebedürftigen, ihm einen Saft aus dem Kühlschrank zu holen, folgt der Roboter umstandslos. Dank seiner Spracherkennung versteht er die Anweisung sogar akustisch, und per Lasernavigation findet er den sicheren Weg in die Küche. Dort öffnet sein mächtiger Arm den Kühlschrank, während die kontrahierbare Rohrschelle, die dem Robotersystem als Handersatz dient, Glas und Flasche ergreift. Bei-des fährt der Roboter anschließend ins Wohnzimmer zurück.

Aber auch hier muß der Realität allerdings Rechnung getragen werden. Noch fehlt es an einer leistungsfähigen und robusten Spracheingabe, die einen genu-schelten Befehl in Digitalcode übersetzen kann. Stattdessen müssen sich die Anwender eines Robotersystems oftmals mit einem Notebook behelfen, das vorprogrammierte Befehle per Funk an das Robotersystem übermittelt. Schon kleine Lichtreflexe oder ein überlastetes Funknetz führen dazu, daß der Robo-ter die Orientierung im Raum verliert. Nur das Drücken des Not-Aus-Schalters und ein Neustart bringen ihn zurück in die Wirklichkeit. Solche Robotersys-teme sind also noch weit davon entfernt, ihr Experimentierumfeld bzw. Trai-ningslabor verlassen zu können.

1.2.2 IndustrieroboterVW baut seine Nutzfahrzeuge mit Robotern, wobei allein für die aktuelle Fertigung an einem Produktionsstandort derzeit ca. 760 Roboter eingesetzt werden. Während Roboter für den Haushalt noch weit gehend Zukunftsmusik sind, haben sich die mechanischen Helfer in der Industrie längst durchgesetzt. In Deutschland sind derzeit mehr als 100.000 von ihnen im Einsatz, und die Bundesrepublik gehört zu den roboterfreundlichsten Nationen der Welt: Pro 10.000 Beschäftigte in der verarbeitenden Industrie verrichten hierzulande 135 Roboter ihre Tätigkeiten. Übertroffen wird das nur von Japan: im Roboter-Mutterland USA liegt der Wert derzeit nur bei 58. Und auch auf der Anbieter-seite wetteifern nur Deutschland und Japan um die Spitzenposition.

Wenngleich man bei den sozialen Servicerobo-tern durch deren menschenähnliche Gestaltung versucht, deren Akzeptanz zu erhöhen, haben die realen Produkte für die Industrie äußerlich wenig gemein mit den ersonnenen humanoiden Sklaven. Statt zweier haben die meisten von ihnen nur einen Arm, auf Beine müssen sie, ebenso wie auf einen Kopf, ganz verzichten.

Dafür gibt es Modelle, die selbst tonnenschwere Lasten mühelos heben kön-nen. Und sie tun genau das, wofür Capek sie eigentlich vorgesehen hatte: pau-senlos unangenehme und gefährliche Arbeiten versehen, bei denen es auf

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Intellekt nicht ankommt. In der Autoindustrie, immer noch bei weitem der größte Roboteranwender, heißt das vor allem schweißen und schwere Sachen heben bzw. tragen. Überhaupt hat sich am Grundkonzept des Industrieroboters relativ wenig geändert, seit General Motors im Jahr 1961 das erste Exemplar, den von George Devol und Joseph Engelberger entwickelten „Unimate“, in Betrieb nahm. In Industrierobotern stecken eine Reihe von Technologien: Antrieb, Steuerung, Sensoren, Mechanik und Informationstechnologie. All diese Komponenten werden stetig weiterentwickelt und verbessert. Dieser stetige Fortschritt zeigt Wirkung: So kann ein heutiger Industrieroboter dop-pelt so viel wie früher, bei gleichzeitiger Minimierung seiner Bauteile um nahezu die Hälfte. Nach Berechnungen der United Nations Economic Com-mission for Europe ist der qualitätsbereinigte Preis von 1990 bis 2002 um 81,5 Prozent gefallen. Feinere Steuerung, Kameras und Sensortechnik erschließen den einarmigen Robotersystemen mittlerweile Einsatzgebiete, für die sie an-fangs schlicht zu grob strukturiert und damit zu tollpatschig waren. So können mit einem Erkennungssystem aufgerüstete Robotersysteme heute bei VW das Dach auf voller Länge und höchst präzise mit dem Rahmen so verschweißen, wie es ein menschlicher Schweißer kaum in der Lage wäre. Auch wenn man theoretisch heutzutage jedes Fertigungsproblem maschinell lösen kann, klafft auch hier eine Kluft zwischen Theorie und Praxis. So gibt es in der Praxis wie beispielsweise in der Autoproduktion weite Bereiche, wo Roboter nach wie vor nicht zum Einsatz kommen. Bei VW-Nutzfahrzeugen etwa dominieren die Robotersysteme die gesamte Halle für die Herstellung der Karosserie; Menschen sind nur vereinzelt zu sehen, wenn sie mit Gabel-staplern neue Teile herankarren oder Kontrollen vornehmen. In der Endmon-tage zeigt sich allerdings das umgekehrte Bild: Es wimmelt von Menschen, nur an wenigen Stationen unterstützt ein Robotersystem mit seinen Greifern den Produktionsprozeß. Um auch hier Zahlen zu nennen: Von den 780 Robo-tern an einem Produktionsstandort fungieren 500 als Schweißsysteme, etwa 200 übernehmen das Bewegen und Platzieren von Teilen, die restlichen Robo-ter sind in der Montage beschäftigt. Es ist davon auszugehen, daß die inzwischen gereifte Roboterbranche auch in den nächsten Jahren mit ansehnlichem Wachstum aufwarten wird. Zusätzliche Reife werden die Robotersysteme erlangen, indem, statt umständlich und in teils proprietären Sprachen, die zukünftigen Systeme bequem über eine grafi-sche Benutzeroberfläche oder eine Sprachsteuerung ihre Aufgaben erklärt bekommen.

1.2.3 Robotersysteme im Dienste der Medizin Wenn didaktisch sicherlich nicht unbedingt empfehlenswert, soll dieser Ab-schnitt gleich mit einem Rückschlag beginnen. Weil er gegen das oberste Ge-setz der Robotik verstieß, wurde Robodoc am 16. April 2004 abgeschaltet. Ganz gemäß dem Postulat des Sciencefiction-Autors Isaac Asimov aus seinem Buch „I, Robot", daß ein Roboter einem Menschen keinen Schaden zufügen darf. Robodoc ist ein Chirurg aus Stahl. Er hat weit über 10.000 Menschen operiert und manche allerdings dabei verletzt.

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Bei Patienten mit defekten Hüftgelenken fräst beispielsweise das Robotersys-tem nach einem vor der Operation festgelegten Plan die Knochen so exakt aus, daß sich die Ersatzteile aus Titan und Keramik sogar ohne Zement wackelfrei ins Skelett einfügen. Führen menschliche Operateure den Eingriff durch, müs-sen sie manchmal die Fugen mit Füllstoff kitten. An die Präzision der Maschi-ne gereicht keine noch so geschickte menschliche Chirurgenhand heran. Er-klärtes Ziel dieses vom Roboter präparierte Gelenkersatzes war es, dass dieses länger halten sollte und Patienten nach dem Eingriff wieder schneller laufen können sollten. Über 60 Robodocs operierten einmal in Deutschland. Tausende Patienten haben die Vorzüge des Robot-Operateurs schätzen gelernt. Einige hundert jedoch mussten erfahren, daß auch eine Maschine fehlbar ist. Ihnen durch-trennte der Automat Nerven und zerstörte Muskeln. Menschliche Chirurgen können ähnliche Schäden verursachen. Schmerzen und ein hinkender Gang waren die Folgen. Die Ansätze und Ziele des apparativen Fortschritts klingen überzeugend, nicht nur im Fall Robodoc: Roboter arbeiten frei von emotionalen Einflüssen, sie kennen keine Tagesform, sondern schaffen flink und unermüdlich, stets repro-duzierbar auf den hundertsten Teil eines Millimeters genau, egal ob sie Hüft-knochen fräsen, Schrauben im Schädel verankern oder bei einer Gehirnopera-tion assistieren. Doch Präzision allein heilt leider nicht immer alle Patienten. Robotersysteme, gleich welcher Anwendungscoloeur, sind teuer und kompli-ziert. Jeder Operation geht eine millimetergenaue Planung voraus, kein OP-Roboter agiert autonom. Auf sich plötzlich verändernde Gegebenheiten, wenn sich ihnen etwa ein Muskel in den Weg schiebt, können die Automaten nicht reagieren, sie setzen ihr befohlenes Programm stur fort. Viele Prototypen wur-den nach kurzer Zeit wieder demontiert, weil der Aufwand, den sie verursach-ten, unverhältnismäßig hoch war gegenüber ihrem Nutzen. Insofern hat der Einsatz solcher Robotersysteme im Operationssal zunächst einen herben Rückschlag erhalten. Insofern reduziert sich der derzeitige Einsatz im Operationssaal eher in Form eines Assistenten. Die Maschine hält dabei Skalpell und Nadel und führt als eine Art verlängerter Arm sklavisch aus, was ihr der menschliche Operateur per Joystick-Steuerung befiehlt. Solche Systeme - sie haben Namen wie Zeus, Aesop oder DaVinci - werden bereits erfolgreich bei Herzoperationen einge-setzt. Sie untersetzen die Bewegungen wie ein Getriebe um und filtern dabei jedes Zittern des Operateurs heraus, sodaß er auch an kleinsten Gefäßen oder Hirnstrukturen arbeiten kann, ohne sie zu zerstören. Mit ihnen kann der Chi-rurg ein Herz durch drei kleine Löcher hindurch behandeln und muß nicht mehr den ganzen Brustkasten öffnen (invasive Operationstechnik).Ein weiteres kommt hinzu, indem - dank der elektromechanischen Verknüp-fung - Patient und Arzt nicht mehr unbedingt an einem Ort zusammenkommen müssen. An solcher Technologie ist natürlich auch das Militär interessiert. Im Kriegsfall steht die Manipulator-Hälfte von solchen verteilten Robotersyste-men oder einem seiner Kollegen im Feldlazarett, der Steuerteil bleibt samt Spezialisten an einem sicheren Ort.

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Die Präzision der Maschinen mit der Reaktionsfähigkeit und Intuition des Menschen zu verknüpfen ist momentan das Ziel vieler Forschungen im Be-reich der medizinischen Robotik. Dabei sollen die Vorteile beider Welten vereint werden. Dazu muß man die Verhältnisse erst mal umkehren - die Ma-schine überwacht dann die Arbeit des Menschen: Weicht die von menschli-cher Hand geführte Knochenfräse zum Beispiel vom geplanten Weg ab, stoppt ein Computer blitzschnell das Werkzeug, bevor es etwas zerstört, was nicht zerstört werden soll. Ist es wieder an der richtigen Position, regelt das System die Drehzahl erneut hoch. Als Navigationshilfe kann der Computer Bilder aus Kernspin- oder Computertomographen samt exakter Operationsplanung auf eine Spezialbrille oder einen Bildschirm projizieren und den Menschen durch Knochen und Gewebe lotsen. Nicht nur dort, wo es auf Millimeterarbeit ankommt, sind Maschinen in der Medizin gefragt. Roboter taugen vor allem für stupide, immer gleiche Bewe-gungsabläufe, beispielsweise in der Rehabilitation nach Schlaganfällen. Jeder dritte Schlaganfallpatient behält Lähmungen zurück. Dann müssen die Betrof-fenen mühsam lernen, wieder ihre Arme oder Beine zu bewegen. In der Regel helfen Physiotherapeuten beim Üben dieser Bewegungsabläufe. Ein Prozess, der sich täglich und oft über Monate hinweg zieht. Je länger, intensiver und also auch teurer die Therapie ist, umso besser sind die Genesungschancen. Den Job der Krankengymnasten können jedoch in vielen Fällen einfühlsame Robotersysteme übernehmen. Teilweise erzielen die Maschinen sogar bessere Ergebnisse als menschliche Physiotherapeuten, denn die Automaten ermüden auch nach 1000 Wiederholungen nicht und führen die Bewegung des Arms oder des Beins mit der immer gleichen Exaktheit durch oder variieren den Bewegungsablauf nach genau definierten Mustervorgaben.

1.2.4 Robotersysteme im Alltag und bei Spass und Spiel Die Roboter sind in der alltäglichen Lebenswelt angekommen, sie dringen in die Häuser ein und begegnen den Menschen dort als Spielzeuge oder als nütz-liche Helfer. Insofern nehmen die Robotersysteme einen ähnlichen Lebens-zyklus, wie es die Computer seit den 80er Jahren vormachen. Auch damals begann der Siegeszug der Computersysteme eher verhalten und vorsichtig, um dann in eine Welle der sukzessiven und unaufhaltbaren Verbreitung umzu-schlagen. Insofern kann man prophezeien, daß die Robotersysteme in 10 Jah-ren überall sein werden, so wie heute E-Mail und das Web.

Angetrieben von einem viele Milliarden großen Markt, werden sie sich immer weitere Bereiche er-schließen und sich in den Alltag des Menschen naht-los und harmonisch integrieren. Aber auch bereits heute kann ein Roboter in Form eines Staubsaugers Zeit sparen oder als Experimentierbausatz die Zeit vertreiben helfen, was die folgende exemplarische Auswahl verdeutlicht:

Staubsauger: Obwohl ihre Saugleistung begrenzt ist, gibt es inzwi-schen mehrere Staubsaugroboter auf dem Markt (beispielsweise Tri-

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lobite von Electrolux, Robocleaner RC3000 von Kärcher, Roomba von iRobot) Rasenmäher: Technisch ausgereift präsentieren sich Roboter, die den Rasen mähen. Da sie weniger Strom brauchen, kennen sie keine Leis-tungsprobleme (beispielsweise Robomow von Friendly Robotics, Au-tomower von Husqvarna). Pool-Reiniger: Im Swimmingpool haben sich Roboter bereits etab-liert. Da hier keine Möbel herumstehen, können sich die Automaten leicht orientieren, und können problemlos Leitungen hinter sich her ziehen. Daher haben sie keine Leistungsprobleme wie die Staubsaug-roboter, die auf Akkus angewiesen sind (beispielsweise Aquapool). Wächter: (beispielsweise der Mosro Mini von der Berliner Firma Ro-bowatch ist ungefähr so groß wie eine Thermoskanne und sieht auch so ähnlich aus. Er überwacht Innenräume per Video und Infrarot.

Früher waren Spielzeugroboter einfache Blechmännchen, die piepen, blinken und fahren konnten. Heute können Spielzeugroboter Fußball spielen, ihr Herr-chen morgens wecken und Menschen per Kamera erkennen.

Aibo: Obwohl er je nach Modell um die 2000 Euro kostet, hat Sonys Roboterhund weltweit mehrere Fanclubs. Aibo spürt Streicheleinhei-ten mit hochempfindlichen Sensoren und reagiert wie ein echter Hund darauf. Mit seiner Kamera kann er Menschen erkennen, mit Mikrofo-nen hört er sie. Mit dem Computer verbindet er sich per WLAN. Der Roboter ist frei programmierbar. Leider gab während der Druckle-gung dieses Buches Sony bekannt, daß es die Produktion des populä-ren High-Tech-Spielzeuges im März 2006 einstellen wird. In diesem Zusammenhang soll auch der humanoide, laufender Roboter Qrio nicht mehr weiterentwickelt werden. Allerdings werden die For-schungen und Entwicklung der künstlichen Intelligenz, die in diesen Robotern steckte, im Dienste des Investitonsschutzes fortgesetzt und in anderen Produkten verwendet. I-Cybie: Deutlich preiswerter als Aibo ist I-Cybie, der über Conrad zu beziehen ist. Man kann den Roboterhund erziehen und ihm Tricks beibringen. Robosapien: Der zweibeinige menschenähnliche Roboter kann lau-fen, greifen und tanzen. Er wird mit einer Infrarot-Fernbedienung ge-steuert. Furby: Um den Spielzeugroboter ku-scheliger zu machen, hat die Firma Hasbro ihren Modelltyp Fur-by mit weichen und kunterbunten Plüsch-stoff überzogen.