6

Megatrends - manager.kitzbuehel.commanager.kitzbuehel.com/media/zukunftsinstitut... · herrscht. Und der Tourist der Zukunft wird versuchen, Teil dieses Lebens zu werden. Nicht umsonst

  • Upload
    others

  • View
    5

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Megatrends - manager.kitzbuehel.commanager.kitzbuehel.com/media/zukunftsinstitut... · herrscht. Und der Tourist der Zukunft wird versuchen, Teil dieses Lebens zu werden. Nicht umsonst
Page 2: Megatrends - manager.kitzbuehel.commanager.kitzbuehel.com/media/zukunftsinstitut... · herrscht. Und der Tourist der Zukunft wird versuchen, Teil dieses Lebens zu werden. Nicht umsonst

5

Megatrends

megatrends sind wie Lawinen in Zeit lupe. Sie reißen alles mit – sukzessive, aber mit einem kontinuierlich-beständ igem Effekt. Die Konsistenz von Megatrends weist eine Haltbarkeit von 30 – 50 Jahren auf und

macht vor keiner Branche und keinem Lebensbereich halt. Das betrifft insbesondere einen Sektor wie den der Tourismus- und Freizeitindustrie, der von den unterschiedlichsten Märkten geprägt und somit von den verschiedensten Entwicklungspro-zessen beeinflusst wird.

Nehmen wir etwa die Alterung der Gesellschaft: Menschen leben länger als je zuvor und verstehen sich selbst auch in späteren Jahren nicht als „alt“. Knapp 50 % der Europäer über 50 bezeichnen das Lebensalter von 60 – 70 Jahren als das „mittlere Alter“. Das ist enorm und führt zu einem ganz neuen Selbstverständnis. Nicht nur, dass wir alt werden und uns dabei jung fühlen. Nein, wir beginnen dieses neue Altwerden sogar zu genießen – mit erheblichen Auswirkungen auf gesellschaftspo-litische und soziokulturelle Konstellationen wie zum Beispiel das Pensionssystem oder unsere Vorstellung von Jugend resp. Alter, denn mit dem zu erwartenden Lebensalter stellt sich die Frage des „Erwachsenwerdens“ deutlich später als bisher. Wer 30 ist, muss noch nicht erwachsen sein. Diese Entwicklungen zeigen ihre Wirkung auch im Konsum und natürlich in den Rei-sebranchen. Hat man vor einigen Jahren begonnen, sogenannte 50- oder 60-plus-Konzepte zu installieren, musste man schnell erkennen: So geht das nicht, denn ein 60-plus-Hotel kann eben nicht ein schöneres Seniorenheim sein. Wer heutzutage älteren Menschen alte Konzepte anbietet, muss scheitern. Gerade deshalb gilt es, sich als Unternehmen diesen veränderten Re-alitäten zu stellen. Sich damit auseinanderzusetzen und mehr denn je konzeptionell darauf zu reagieren.

Sanfte Innovationen nutzen Megatrends als RichtungsweiserMegatrends sind nicht radikal und neu. Und doch können sie, intelligent angewendet, richtungsweisend für jegliche Art von Zukunftsplanung sein. Ein Blick in die Vergangenheit gibt uns da Sicherheit: Nachhaltigkeit, vor 20 Jahren gedacht, war ein Alternativprogramm und eher politisch motiviert. Dementspre-chend waren auch die Angebote am Markt dünn gesät. Doch im Megatrend „Neo-Ökologie“ hat sich dieses Bild gewandelt: Ökologie ist sexy. Die öffentlichen Diskussionen über Klima-wandel konnte niemand überhören. Die Einschränkungen wie Mülltrennung oder Tempolimits aufgrund von Luftverschmut-zung werden nicht länger als beengend empfunden, sondern vom Verbraucher als richtig goutiert. Und dementsprechend mussten auch Reiseanbieter auf diesen Wandel reagieren. Ho-tels haben sich zu LOHAS*-Hochburgen umgerüstet, Fluglinien errechnen den durchschnittlichen CO

2-Ausstoß pro Reise und

sogar Reiseführer kommen ohne die „Green Tipps“ nicht mehr aus. Daran lässt sich erkennen, wie sehr große Trendwellen die Gesellschaft prägen und verändern. In diesem Kapitel werden wir erörtern, welche Eigenschaften der elf Megatrends unserer Zeit sich im Speziellen auf den Tourismus auswirken werden.

Page 3: Megatrends - manager.kitzbuehel.commanager.kitzbuehel.com/media/zukunftsinstitut... · herrscht. Und der Tourist der Zukunft wird versuchen, Teil dieses Lebens zu werden. Nicht umsonst

12

2050 werden knapp 70 % der Menschen auf unserem Planeten in Städten leben. Dies wird langfristig den Städtetourismus weiter beflügeln. Auch wenn, krisenbedingt, viele Städte einen Rückgang im Tourismus verzeichnen mussten wird das Interesse am weltweiten Städteboom auch die Reiselust ankurbeln. Dafür gibt es unterschiedlichste Motive: In jedem Fall sind Städte inspirie-rend. Sie sind Schmelztiegel diversifizierter Kulturen und Schichten. Speziell die neuen Megacitys sind vor allem für viele Europäer noch unbekanntes Neuland, was für neue Neugierde sorgt.

Und Städte sind auch Orte, an denen in Zukunft Lebensqualität zurückkehrt. Dabei entwickeln sich die urbanen Kolosse mit unterschiedlicher Geschwindigkeit. Die einen explodieren geradezu, wie das in Lagos, Nigeria der Fall ist. Dort ist das Leben Chaos und nicht qualität. Dort versuchen die verarmten Landbewohner, einen Hoff-nungsschimmer zu erlangen, um sich selbst entlang der Industrialisierung nach oben zu schieben. Andere Städte jedoch erleben gerade eine Phase der Transformation: Viele Städte in Indien oder China verlassen ihren Status des Explodierens und verwandeln sich zu Orten, an denen Leben lebenswert wird, an denen neue Formen des Miteinanders entstehen.

Die durchschnittliche Wohnfläche, die pro Einwohner in China zur Verfügung steht, erreicht heute knapp 30 quadratmeter – in den 1950er-Jahren waren das noch 3 qua-dratmeter. Dazu kommt, dass in diesen Städten der Transformation auch die Errungenschaften einer modernen Stadt mit all ihren Vorteilen Einzug halten. Neu-Delhi hat beispielsweise dank der Commonwealth Games im Jahr 2010 eines der modernsten U-Bahn-Systeme der Welt erhalten. Dies verändert das Zusammenleben in dieser Megacity, die für ihren Schmutz auf den mit dreirädrigen Tuk Tuk voll gepferchten Straßen bekannt ist. Aber gerade diese Un-terschiedlichkeit im Tempo macht den Reiz des zukünftigen Städtetourismus aus. Stadt ist niemals gleich Stadt.

Vom Vergehen und Entstehen der ZukunftsstädteSo wird die Automobilstadt Detroit viele Jahre brauchen, bis sie als Lebensmittelpunkt oder als Reisedestination wieder anziehend wirkt. Andere Städte, wie Manchester zum Beispiel, haben diesen Turnaround bereits geschafft und sich über Kunst und Kultur neu erfunden. Auch im deutschen Ruhrgebiet ist eine Neu-definition durch Kreativität gelungen.

Globaler & urbaner denn jeDie Megatrends „Globalisierung“ und „Urbanisierung“ zünden eine neue Stufe des Tourismus

Städte sind Orte als der Lebens qualität

Megatrends

Foto: Boutiquehotel

Page 4: Megatrends - manager.kitzbuehel.commanager.kitzbuehel.com/media/zukunftsinstitut... · herrscht. Und der Tourist der Zukunft wird versuchen, Teil dieses Lebens zu werden. Nicht umsonst

13

Die Städte der Zukunft sind also Orte, die durch Kreativität und Vernetzung neue Architektur, neue Plätze und ein neues Zusammenleben definieren. An denen Leben herrscht. Und der Tourist der Zukunft wird versuchen, Teil dieses Lebens zu werden. Nicht umsonst sind Angebote wie das CouchSurfing (www.couchsurfing.com)für mittlerweile über zweieinhalb Millionen Menschen weltweit attraktiv. Zum einen ist es meist gratis, auf einer Couch zu übernachten, zum anderen aber vor allem einzigartig. Die Stadt kann von „innen“ erlebt werden. Man geht in der Früh zum Bäcker, fährt mit den öffentlichen Verkehrs-mitteln und trifft vielleicht am Abend auch Freunde des Gastgebers. Der Tourist wird zu einem Teil der Stadt, was – in Hotels lebend – kaum geschieht. Gerade dieses Eintauchen und Beteiligtsein avancieren für viele zu einer wichtigen Erfahrung, denn die reise-erprobten Europäer langweilen sich schnell: Das Reisen an sich ist eben kein Aufreger mehr, wie wir im „Wege-Feuer“- und „View & Watch“-Trend sehen. Daher braucht es eben mehr als nur die neue Attraktion einer Stadt. Perspektivenwechsel sind gefragt, wie das Kajakfahren in Venedigs Kanälen, das Stadt-wandern in Wien oder gar ein Rollentausch (Seite 48).

Metaregionen und Städte gewinnen an BedeutungTourismus ist ein globales Phänomen. Als eine Art Gegenreaktion zur Globalisierung entfachte in den letzen Jahren der Run auf die Regionen, die mehr und mehr versucht haben, sich in ihrer Originalität zu entfalten. Diese Entwicklung wird sich auch noch die kommenden Jahre verlängern. Dabei wird es aber gerade hinsichtlich der globalen Tourismusentwicklungen bedeutend sein, Regionen auch auf einem Metaplatz zu verankern. Also nicht nur Kirchturm, Ort und direktes Umfeld, sondern die größeren, meist um Metropolen herum verlaufenden Zusammenhänge werden in einer globali-

sierten Welt wichtiger denn je. Regionale Kleindenkerei wiederum kann sich in Sackgassen verlaufen, blickt man nicht auf Vernetzung und Kooperation im größeren Verbund. Somit zählt in einer globalisierten Welt der Gedanke des Sowohl-als-auch. Man muss als Region in Zukunft klein und authentisch und groß und vernetzt zugleich sein. Das ist der Deal der Zukunft. Weshalb sich folgende Fragen für die Zukunftspla-nung formulieren lassen:

Wie können wir regional authentisch und global vernetzt zugleich sein?

Welche neuen Schleusen schaffen wir zwischen Stadt und Land?

Wie erkennen wir frühzeitig Möglichkeiten für Nischen in einer globalen und urbanen Welt?

Wie können wir, jenseits vom Pauschaltourismus, von der rasanten Entwicklung der Megacitys in Asien, Südamerika und Afrika profitieren?

Man muss als Region in Zukunft klein und authentisch, groß und vernetzt zugleich sein

Megatrends

Page 5: Megatrends - manager.kitzbuehel.commanager.kitzbuehel.com/media/zukunftsinstitut... · herrscht. Und der Tourist der Zukunft wird versuchen, Teil dieses Lebens zu werden. Nicht umsonst

14

Die Lebensstile der Menschen orientieren sich immer weniger an vorgegebenen Grundrissen. Immer mehr sind es dagegen die Brüche und Abzweigungen im Leben eines Menschen, die fortlaufend für Trans-formation und Veränderung sorgen. Daher ist die Destination Ich, wie vom Zukunftsin-stitut postuliert, mehr Realität denn je. Und doch: Die Entwicklung der Individualisierung ist noch längst nicht abgeschlossen. Die Sehnsucht nach dem individuellen und einzigartigen Erlebnis, der Versuch, sich sein Leben wie nach dem Baukastenprinzip selbst zusammenzubauen – dies wird auch die kommenden Jahre dominieren. Das Internet lädt dazu ein, mit seinen Tausenden Opti-onen und Möglichkeiten.

Doch es gibt auch eine Kehrseite dieser Individualisierung, und diese lautet: Kom-plexität, denn wenn immer mehr Menschen eigenständig aus vielen kleinen Optionen ihr Angebot zusam-menstellen sollen, kann die Komple-xität dieses Vor-habens schnell zu Chaos und Unüber-sichtlichkeit führen. Daher werden neue, intelligente Wege benötigt, mit der Masse an Informationen umzugehen, was wiederum einen erhöhten Bedarf an Serviceleistungen bedingt. Aber auch neue Selektionsmodelle.

Die Le Méridien Hotels der Starwood-Gruppe haben ein erstes Tool dafür auf ihrer Website installiert: das Moodboard. Dabei sucht sich der User der Website Stimmungsbilder zusammen, die – durch einen Algorithmus errechnet – zu einer Auswahl an Hotels führen, die diesen Stimmungen entsprechen. Individualisierung meint also nicht nur, eine Pauschalreise zu portionieren. Vielmehr bedeutet dieser Megatrend für die Reise-branche, sich auf Services und Konzepte

zu konzentrieren, in denen sich Individuen zurechtfinden. Die Verbraucher von morgen wollen einen Wegweiser, der sie durch die Unendlichkeiten der Entscheidungsmöglich-keiten navigiert.

Deep Support als SehnsuchtDie Antworten liegen oftmals im „richtigen“ Service, dem Deep Support. Individualisten wünschen sich auch bei Dienstleistungen keine Pauschalabhandlungen, sondern indi-viduelle Unterstützung. Dafür bedarf es zu-nächst vor allem eines tiefen Verständnisses für die Kunden. Und das bedeutet nicht automatisch immer „mehr Service“. Das wird am Hotelkonzept von onefinestay aus Großbritannien deutlich: das selbst ernannte „unhotel“ vermietet tageweise Wohnungen, komplett eingerichtet von Küche bis Wasch-maschine, aber ohne jede Spur von Service. Nur auf ausdrücklichen Wunsch des Kunden hin wird täglich geputzt, das Bett gemacht,

falls gewünscht auch eingekauft und die Wäsche gewa-schen. Deep Support bedeutet also nicht ein Überangebot an Dienstleistungen, sondern Freiräume für Konsumenten zu

generieren und Service dort anzubieten, wo er den Menschen wirklich hilft, wie es unter anderem die Beispiele im Trendkapitel „Es gibt keine App dafür“ auf Seite 40 erläutern.

Individuen wollen smarte Technologien und gut verstandene NischenangeboteWas der Megatrend „Individualisierung“ der Reisebranche in den kommenden Jahren beschert, sind eine Sehnsucht nach verein-fachten technologischen Lösungen und gut erkannte Nischenkonzepte. Nicht für alles wollen Menschen eine App, nicht immer muss es noch mehr Optionen und Vielfalt geben. Technologien werden in Zukunft nur dann verwendet, wenn sie das Leben leichter

auf einer reise zu sich selbsTKaum ein Megatrend vermag die Reisebranche zu wandeln wie der der „Individualisierung“

individualisTen leben einleben nach dem

baukasTenprinzip

Individualisierung meint nicht nur, eine Pauschal-

reise zu portionieren

Megatrends

Page 6: Megatrends - manager.kitzbuehel.commanager.kitzbuehel.com/media/zukunftsinstitut... · herrscht. Und der Tourist der Zukunft wird versuchen, Teil dieses Lebens zu werden. Nicht umsonst

15

und/oder schöner machen. Das mit Technik überbordende Hotel wird dann scheitern, wenn die Technik kompliziert zu bedienen ist und dem Gast kaum etwas Neues bietet. Wenn Concierges mit iPads sofort und überall auf meine Fragen reagieren können, ist das jedoch fein. Dass sich Individuen aber trotz aller Mühe lieber selbst organisieren, als darauf zu warten, dass die Anbieter endlich ihre Sehnsüchte erkennen, zeichnet sich ebenfalls deutlich ab. Im Kapitel „Alcovenience“ ab Seite 92 erläutern wir, wie Anbieter aktiv auf Kunden zugehen und deren Bedürfnisse erkennen können.

Der wichtigste Tag im Leben einer individualisierten Gesellschaft Für die Menschen gibt es kaum noch so etwas wie einen normalen Alltag, denn selbst das Reisen ist bereits zu einem Teil des Alltags geworden. Wer sich mit Innova-tionen im Tourismus- und Mobilitätssektor auseinandersetzt, sollte sich vor dem Hinter-grund des Megatrends „Individualisierung“ daher mit folgenden Fragen beschäftigen:

Wie können wir unseren Service auf Deep Support umstellen, ohne mehr vom klassi-schen Service anzubieten?

Wie helfen wir unseren Kunden, unangestrengt zu mehr Freiheit zu gelangen?

Welche Fragen müssen wir stellen, um auf die neuen Sehnsüchte des „Alcovenience“-Trends zu stoßen?

Was müssen wir tun, um individuelle Erlebnisse zu erzeugen?

Das „onefinestay“ in London bezeichnet sich selbst als Unhotel, und macht sich dadurch für Individualisten interessant

Megatrends

Foto: onfinestay