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Mein Platz in Kempen FotoForumKempen

Mein Platz in Kempen

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Kempener Bürger ausländischer Herkunft in Zitaten und fotografischen Porträts FotoForumKempen / hrsg. Paul Maassen

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Mein Platz in KempenKempener Bürger ausländischer Herkunftin Zitaten und fotografischen Porträts

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„Wollt ihr nicht mal was über Ausländer machen?“

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Eine Idee, viele Fragen – der Weg des Projekts „Mein Platz in Kempen“.

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Hallo Elmar, Paul, Konrad,

Konzept finde ich gut, es ist schon sehr ausge-reift.

Spontan habe ich überlegt, ob - Ein Platz in Kempenoder- Mein Platz in Kempen besser ist.

Stelle ich zur Diskussion. Ansonsten – gutes Konzept,

Viele GrüßeMichael

Email von Michael Schäfer,Dezember 2007

Hallo Herr Caniceus,

vor einiger Zeit habe ich Ihnen ja versichert,dass ich mit meinen Leuten aus den letzten Porträt-Workshops einmal über das nächste Jahr reden wollte.Dieses Treffen hat inzwi-schen stattgefunden,und ich habe der Gruppe von Ihrer Idee berichtet.

Anschliessend haben wir, zum Teil auch kontrovers, die Möglichkeit eines sol-chen Projektes diskutiert. Kontrovers, da einige der Teilnehmer sehr wohl auch Gefahren und Schwierigkei-ten gesehen haben, zum Teil nicht ganz unberechtigt.

Kurzum, wir werden uns am 5. Dezember im Restaurant „Ela“ auf der Ellenstrasse treffen.

Die Teilnehmer und auch ich selbst haben bis da-hin Gelegenheit, sich noch einmal Gedanken über unsere Vorgehensweise zu machen.

Wir gehen allerdings schon jetzt davon aus, dass die Fotos diesmal nicht in der „Beamtenlaufbahn“, sondern im direkten Umfeld der Menschen entstehen sollen, die sich uns dann schliess-lich zur Verfügung stellen werden.

So soll auch der Eindruck vermieden werden, es han-dele sich bei dieser Akti-on um die Fortführung der „Frauen-Männer-Paare“-Tri-logie.Das muss eine ganz eigen-ständige Porträtarbeit werden, bei der die ganz spezielle Situation der vielen ausländischen Kem-pener Mitbürger im Vorder-grund steht.

Wir vermuten, dass ungefähr 50 verschiedene Nationali-täten in Kempen vertreten sind. (Stimmt das?)

So viel fürs Erste,alles Weitere hoffentlich am Mittwoch,schöne Grüße,

Paul Maaßen

Email an Jeyaratnam Caniceus,von dem die Frage auf der vorhergehenden Seite stammt,November 2007

Hallo Paul,

habe mir nochmal Gedanken zum Thema Ausländer ge-macht. Wer ist Ausländer? Und welche gibt es in Kempen?

Wie gesagt, es ist leicht, sich einen zahlenmäßigen Überblick über die in Kem-pen lebenden Ausländer zu verschaffen.Und auch darü-ber, welche verschiedenen Nationalitäten es in Kem-pen gibt. Ausländer sind aber auch Personen, die mit zweiter Staatsange-hörigkeit Ausländer sind, also z.B. gleichzeitig die deutsche und die spani-sche Staatsangehörigkeit haben. Auch Deutsche, die eingebürgert sind und die bisherige Staatsangehö-rigkeit aufgeben mussten, haben einen ausländischen Hintergrund. Fasst man den Begriff des Ausländers weit, so gehört auch die-ser Personenkreis in den Fokus einer fotografischen Betrachtung.

Ein interessantes Thema. Viele Grüße Manfred

Email von Manfred Joosten,Leiter der Service-Stelle im Kempener Rathaus,Dezember 2007

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Und schon wieder waren wir einen Schritt weiter: Wir spürten, dass wir mehr erfahren wollten über die Menschen in unserer Mitte. Ein Porträt allein – und sei es auch noch so eindrucksvoll – reicht da wirklich nicht aus.

Woher kommen die Menschen, warumsind sie hier, hatten sie jemals Heimweh,wollen sie vielleicht sogar zurück? Fühlen sich ihre Kinder hier zuhause oder fremd?Da wurde klar: Wir wollen die Geschichtenund die Geschichte der Porträtiertenzumindest teilweise einfangen, wollen sieerzählen lassen, Zitate sammeln.Aus Bildern und Zitaten sollte ein Gesamtobjektentstehen, das uns den Menschen ein bisschen näher bringt.

Es folgten Wochen mit weiteren Diskussionenund natürlich die ersten Begegnungen,Foto-Shootings, Gespräche, erste Entwürfe: spannend war es, nicht immer einfach.Häufig haben uns Nachbarn oder Freunde oder auch Mitglieder des Multikulturellen Forums geholfen, wenn es galt, sprachliche Barrieren zu überwinden oder Skepsis zu überbrücken. Immer aber wurden wir freundlich empfangen, haben uns Menschen ihre Tür und sehr oft auch ihr Herz geöffnet.

Ganz nebenbei mussten wir feststellen,dass die Größe unseres Projektes uns nochvor weitere Probleme stellte: wir brauchtenfinanzielle Unterstützung. Film-, Scan-, Druck- und Rahmenkosten, das alles erreichteDimensionen, die wir aus eigener Kraft nicht mehr alleine stemmen konnten,trotz aller Bereitschaft zu großem zeitlichenund finanziellen Engagement.Aber glücklicherweise hatten wir auchan dieser Stelle Unterstützung: durch dieAktion Mensch, die Stadt Kempen, die SparkasseKrefeld, die C&A Mode KG, den SKMund nicht zuletzt den Kreis Viersen.Sie alle haben erkannt, dass wir mit diesem ProjektIntegrationsarbeit leisten und haben uns unterstützt,bis zum heutigen Tag. Dafür möchten wir an dieser Stelle herzlich danken.

Mit der Ausstellung im Rathaus Kempenist unser Projekt nicht beendet – bei diesem Thema kann und sollte es auch kein Ende geben. Aber wenn wir es schaffen, ein paar kleine Brücken zu schlagen, die von den Besuchern, den Porträt-ierten und uns selbst mutig betreten werden, ist eigentlich das Ziel aller Beteiligten erreicht.Wir hoffen und wünschen uns sehr, dass dieTeilnehmer dieses Projektes sich wiederfinden –in unseren Bildern, in ihren Zitaten.

In dieser Zeit war das Multikulturelle Forum für uns ein unerlässlicher Partner: Man öffnete uns Türen, die wir alleine nicht hätten aufstoßen können, brachte uns mit ausländischen Mitbürgern zusammen, zu denen wir alleine nur schwer Kontakt hätten knüpfen können. Irgendwann reifte in uns der Gedanke, dass unsere Modelle selbst entscheiden sollten, wo sie gerne fotografiert werden würden. Sie sollten uns „ihren Platz“ in Kempen zeigen. Wo fühle ich mich wohl – oder auch eben nicht?Welche Stelle in dieser unserer gemeinsamen Stadt ist mir wichtig und warum?

Und was wollen wir überhaupt mit diesem Projekt sagen und zeigen? Abende lang haben wir diskutiert, Ideen formuliert, wieder verworfen. „Zu banal, nicht angemessen, nicht eindeutig genug“.Schnell wurde uns klar, dass dieses Projekt ein ganzes Stück mehr darstellte als unsere bisherigen Studio-Aktionen. Mehr Überlegungen, mehr Zeit- und Ar-beitsaufwand, mehr Verantwortung – aber auch mehr Chancen, etwas zu bewegen – in unseren, aber auch in den Köpfen der Menschen, mit denen wir arbeiten wollten. Und natürlich in den Köpfen derer, denen wir unsere Ergebnisse letztlich präsentieren würden.

Nach drei erfolgreichen Porträt-Workshops mit anschließender Ausstellung waren wir als Gruppe eigentlich an dem Punkt angelangt zu sagen: „So, das war´s erst einmal – was kann jetzt noch kommen?“– Frauen, Männer, Paare – das Thema Porträt schien erschöpft. Nur wenig später kam Jeyaratnam Caniceus vom Multikulturellen Forum auf uns zu und fragte: „Wollt Ihr nicht mal etwas über Ausländer in Kempen machen?“ Er hatte diese Idee bereits mit der Sprecherin des Forums, Alice Poeira, und auch mit Vertretern der Stadt Kempen diskutiert und gemeinsam trat man an uns – das FotoForumKempen – heran. Zugegeben – wir waren ein bisschen skeptisch: Ausländer in Kempen – wie kann denn eine solche Arbeit überhaupt aussehen? Wer kann und will dort mitmachen?Wie knüpfen wir Kontakte zu ausländischen Mit-bürgern, die sich unserer Kamera stellen wollen? Wie stellen wir sie dar – etwa in Landestrachten oder mit Nationalflaggen? Und wer ist denn eigentlich „Ausländer“?

Paul Maaßen für das FotoForumKempen,aus der zur Ausstellung erschienenen Zeitung.

VORWORT

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MEIN PLATZ IN KEMPENDie IDEE

Bei den fotografischen Aktionen der letzten drei Jahre haben wir uns mit Frauen, Männern und Paaren befasst, die zum überwiegenden Teil seit langem in Kempen ansässig odergeboren sind, aber nur wenige dieser von uns porträtierten Menschen gehören zu den hier heimisch gewordenen -sogenannten- Ausländern.

In einer Zeit, in der Begriffe wie Integration, Assimilation, Parallelgesellschaft oderZuwanderungsproblematik zum Standardvokabular nicht nur der Medien gehören, erscheint es uns angebracht, diesem Teil der Kempener Bevölkerung ein gesondertes und anders geartetes Projekt zu widmen, dass wir hier und heute vorstellen.

Wohin wird es uns führen?Was werden wir hinzulernen?Werden die Erfahrungen „aus der Provinz“ repräsentativ sein?Können sie das sein?

Während wir bisher immer an einem festen Ort gearbeitet haben, der Beamtenlaufbahn des Kulturforums, werden unsere diesjährigen Aufnahmearbeiten jeweils an einem Ort stattfinden, den die teilnehmenden ausländischen Mitbürger bestimmen.

Diese Wahl des Aufnahmeortes bzw. -hintergrunds soll einen Dialog eröffnen,der Auskunft gibt über besondere Lebensweisen und individuelle Lebenssituationen, über Befindlichkeiten, Normalität, aber auch Schwierigkeiten, denen sich der ausländische Teil der Kempener Bevölkerung vielleicht in besonderem Maße gegenüber sieht.

Teil des gemeinsamen fotografischen Konzeptes ist es, diese gewählten Plätze in den Bildern klar erkennbar werden zu lassen. Das erfordert naturgemäß eine eher dokumentarische Arbeitsweise, mit der Einschränkung, dass diese nicht in jedem Fall dogmatisch durchgesetzt werden soll. Dem Umstand, dass ein Dutzend unterschiedlicher Fotografen an dem Projekt beteiligt sein wird, müssen und wollen wir Rechnung tragen.

Da wir Menschen uns, unabhängig von der Herkunft, in starkem Maße definieren als Angehörige von Gruppen der unterschiedlichsten Art, dürfen die zur Teilnahme bereiten Menschen auch gerne ihre Familienmitglieder, Freunde, Kollegen oder sonstige wichtige Bezugspersonen mitbringen. Sollten diese zudem in besonderem Bezug zur gewählten Örtlichkeit stehen , um so besser. Spannende Resultate sollten sich daraus ergeben.

Doch wollen wir diejenigen, die sich dann letztlich der Kamera stellen, nicht nur fotografisch dokumentieren. Durch die individuelle Wahl eines Umfeldes, in dem diese Einzel- oder Gruppenporträts gemacht werden, entsteht Gesprächsbedarf: Warum wollen Sie an diesem Ort fotografiert werden?Welche Erfahrung, welche Geschichte steht hinter Ihrer Entscheidung? Ist es ein Blick zurück oder ein Blick nach vorn?

Der Kempener Michael Pluschke, lange Jahre als Redakteur in Kempen tätig, hat sich bereit erklärt, den Part des befragenden und zuhörenden Begleiters bei den Fototerminen zu übernehmen, gegebenenfalls unterstützt von dem einen oder anderen Kollegen resp. Kollegin.

Aus den dabei geführten Gesprächen und Interviews sollen aussagekräftige Texte oder Statements entstehen, die den jeweiligen Fotos beigegeben werden und das erklären sollen, was bildlich nicht darzustellen ist, was sich aus der bloßen Abbildung eines Menschen in einer Szenerie nicht ablesen lässt - oder vielleicht sogar eine Facette des Porträtierten zeigen, die im Gegensatz zum Gezeigten zu stehen scheint.

Wir werden es sehen.Und lesen.

Aus der Pressemappe zur Pressekonferenz im „Bärlin´s“ am 14. Februar 2008.

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MEIN PLATZ IN KEMPENDie UMSETZUNG

Ungefähr 1800 ausländische Mitbürger aus 83 verschiedenen Ursprungsländern leben zurzeit in Kempen, manche seit ihrer Geburt, andere sind erst später an den Niederrhein gekommen.Viele sind freiwillig bei uns, aber es gibt auch diejenigen, die aus ihrer Heimat geflohen sind aufgrund der politischen oder ökonomischen Situation.

Andere wiederum werden von den gebürtigen deutschen Kempenern schon nicht mehr mit ihrer fremden Herkunft in Verbindung gebracht, so sehr sind sie inzwischen integriert und assimiliert. Manche besitzen nur noch eine - nämlich die deutsche - Staatsbürgerschaft und fallen somit statistisch nicht weiter auf.Während wir diese Menschen mit Hilfe der örtlichen Presse und über die Mundpropaganda zu mobilisieren hoffen, wird es besondere Maßnahmen und Ideen erfordern jene zu erreichen, die sich erst später hier angesiedelt haben oder sich vielleicht sogar noch auf der Durchreise befinden - und ihrerseits den Begriff „Integration“ völlig anders verstehen oder sogar ablehnen.

Im Januar 2008 haben wir deshalb an einem Treffen des Multikulturellen Forums teilgenommen, das aus dem ehemaligen Ausländer-Beirat hervorgegangen ist, um unser Konzept vorzustellen und für eine Unterstützung des Projektes zu werben. Denn die Anregung für unser Vorhaben kam von einem der Mitglieder des Multikulturellen Forums, vom Ratsherren Jeyaratnam Caniceus, selbst aus SriLanka stammend und bereits Teilnehmer an einem unserer ersten Fotoprojekte.

Mithilfe dieses Kreises von deutschen und ausländischen Mitbürgern, dessen Anliegen die Förderung eines Multikulturellen Bewusstseins ist, werden wir sicherlich Kontakte knüpfen, die wir selbst nicht herstellen könnten und erhoffen uns so eine noch breitere Resonanz auf unsere Appelle.

Das ursprüngliche Vorhaben, eine gewisse Parität der vertretenen Nationalitäten zu erstreben, haben wir schon bald verworfen - aus unterschiedlichen Gründen. Es würde dem Umstand nicht gerecht, dass manche Länder stärker (z.B. die Türkei, Italien, das ehem. Jugoslawien), einige andere hingegen nur durch Einzelpersonen vertreten sind; dass Teilnehmer bestimmter Nationalitäten leicht zu kontaktieren sein werden, andere aber eben nicht - und es vielleicht auch gar nicht wollen; dass Menschen, die nur die Seiten der Grenze getauscht haben und dabei nur zwanzig Kilometer zurücklegen mussten, streng genommen dann ebenfalls zu Ausländern werden in ihrer neuen Heimat. Worin also sollte diese Parität bestehen?

Stattdessen wird es stärker darauf ankommen, die Auswahl der Beteiligten so zu treffen,dass sich ein stimmiges Bild ergibt - wie dieses dann aussehen wird ist jetzt noch nicht wirklich absehbar, geschweige denn definierbar.

Es wird darauf ankommen, alle vorhandenen Multiplikatoren einzusetzen - die örtliche Presse zu allererst. Wichtig wird jede Form von positiver Mundpropaganda sein, aber auch das Durchforsten des eigenen Freundes- und Bekanntenkreises. Kontakte zu Kempener Vereinen sollen hergestellt werden. Wo haben sich Menschen aus anderen Ländern hier bei uns zusammengetan, um einer Freizeitbeschäftigung nachzugehen?Bleiben sie dabei unter sich, oder sind die meisten Schranken auch dort längst gefallen?

Bei den bisherigen Vorbesprechungen sind wir von ungefähr 50 Personen bzw. Personen-gruppen ausgegangen, die fotografiert und interviewt werden sollen; das ergäbe ungefähr fünf Fototermine pro Gruppenmitglied, die Redakteure wären zeitlich ungleich stärkergefordert. Ob diese Zahl erreichbar sein wird hängt natürlich auch davon ab, wie erfolgreich wir mit der heute beginnenden Kampagne sein werden.

Mit den Aufnahmearbeiten hoffen wir Ende März beginnen zu können,den Termin für die Abgabe der Anmeldungen haben wir auf den 15. März gelegt,damit noch ausreichend Zeit bleibt für die Planung und Fixierung der Fototermine.Es darf dabei auch nicht übersehen werden, dass der überwiegende Teil der Fotografennoch voll berufstätig ist, das gleiche wird gelten für die meisten der Porträtierten.Zu Beginn der Sommerferien in NRW (26.Juni) sollen die Bilder „im Kasten sein“.

In der Folge wird die Gruppe den handwerklichen Teil der Arbeit erledigen.Diejenigen, die Filmmaterial verwenden, müssen Filme entwickeln und Abzüge erstellen,die anderen werden viel Zeit vor ihrem Computer verbringen.Im fast wöchentlichen Turnus treffen wir uns dann zwecks Bildkritik und Auswahl,das war auch in den vergangenen Jahren so.

Im März 2009 werden dann die Ergebnisse unserer Arbeit vier Wochen lang im Foyer des Rathauses ausgestellt werden.

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Bilder & Texte:

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die Tafeln

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Elmar Streyl

47 Jahre alt,Richter,fotografiert seit über 30 Jahren.

„Fast alle Porträtierten haben sich für unserenTermin besonders zurecht gemacht –das hab ich bei unseren Modellen frühererProjekte nicht in dem Maß erlebt. Besonders beeindruckt hat mich außerdem, wie Avakeza Barjamovic mit nur wenigen Mittelnihre nüchterne Wohnung im Asylbewerberheimso wohnlich gestaltet hat.“

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Elmar Streyl

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N A M E A V A K E Z A B A R J A M O V I C

H E R K U N F T S L A N D S E R B I E N

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B E R U FH A U S F R A U

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M E I N P L A T Z I N K E M P E NU N S E R E W O H N U N G „Unsere Wohnung hier in Escheln - das ist meine Heimat geworden. Leben ohne Angst.“

„Klar will ich hier bleiben. In Jugoslawien wird es nur noch schlimmer - vor allem für uns Roma. Keiner hat Platz für Roma. Nirgendwo. Wo soll ich denn hin?“

„Hier habe ich meine Kinder, meine Familie, meine Liebe. Und viele deutsche Menschen, Freunde, die mich besuchen, mir helfen. Und eben keine Angst. Und das ist gut.“

„Ich will hier bleiben, die Deutschen hier sind alle gut zu mir. Probleme habe ich mal mit anderen Ausländern hier in der Unterkunft gehabt. Mit den deutschen Nachbarn - nie.“

„Ich habe keine Schule richtig besucht. Meine Kinder sollen hier aufwachsen, zur Schule gehen, lernen. Das ist mein Wunsch für die Zukunft.“

„Ich lebe jetzt seit zweieinhalb Jahren hier in der Unterkunft in Escheln. Es ist klein, aber es ist gut. Sicher. Und die Nachbarn sind freundlich, haben Verständnis für die Kinder. Wenn ich wieder verheiratet bin, werden wir sicher in eine größere Wohnung ziehen.“

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Interview MICHAEL PLUSCHKE

Avakeza Barjamovic kam 1999 nach Deutschland, hat Jugoslawien verlassen aus Angst vor dem Krieg, aber auch vor ihrem damaligen Mann - sobald die Scheidung von ihrem (abgeschobenen) Mann in Serbien rechtskräftig ist, will sie ihren deutschen Lebenspartner heiraten - von ihren sechs Kindern leben Sohn Sharoha (2), Tochter Sunita (4) und eine ältere Tochter bei ihr - weil sie derzeit formal nur 'geduldet' ist, bekommt sie keine Integrationskurse bez-ahlt - bei der Sprache helfen ihr jetzt die beiden Kleinen, die im Kindergarten natürlich Deutsch sprechen gelernt haben und jetzt auch mit der Mama daheim ständig Deutsch reden: 'Das ist sehr gut für mich.'

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N A M E C L A U D I O M E D I C I

H E R K U N F T S L A N D I T A L I E N

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B E R U FH A N D E L S V E R T R E T E R

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„Ich träume meist in Bildern - und wenn es da sprachlich zugeht, ist das sicher deutsch. Und spontan fluchen? Auf Deutsch! Nur wenn es ganz arg wird, dann wird’s italienisch. Da hat der Italiener einen direkten Draht zu Gott - der ist dann wirklich an allem Schuld...“

M E I N P L A T Z I N K E M P E NU N S E R H A U S I M K E M P E N E R S Ü D E N

„Gleichzeitig ist dies unsere Wohn- und meine Arbeitsstelle in Kempen.“

„In Italien bin ich 'der Deutsche'. Und auch in Frankreich hält man mich wohl aufgrund meines Akzents oft für einen Deutschen. Hier in Deutschland werde ich oft für einen Tschechen oder Jugos-lawen gehalten. Komisch genug. Aber ich fühle mich als Deutscher: Ich lebe länger hier, als ich in Italien gelebt habe.“

„Meine älteren Töchter sind bisweilen italienischer als ich. Zum Beispiel beim Fußball, bei der letzten WM. Da wird dann die Fahne ausgepackt. Aber das hat dann wohl auch damit zu tun, dass das ein wenig chic oder cool ist.“

„Seit den 70ern hat sich in Deutschland das Klima gegenüber Ausländern total verändert. Als ich in Frankfurt zu studieren begann, bekam man noch oft - auch auf der Straße - klare An-sagen, wie 'man' sich zu benehmen hat. Erst Recht beim Job neben dem Studium auf dem Bau. Heute ist das alles viel, viel toleranter, so erlebe ich das zumindest.“

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„Klar habe ich noch einen italienischen Pass - aber eine ziemlich deutsche Mentalität.“

Interview MICHAEL PLUSCHKE

Claudio Medici wurde geboren 1953 in Bologna/Italien - 1972 ging er zum Studium nach Frankfurt (Philosophie und Mathematik) - Diplom Städtebau/Raumplanung nach Studium in Grenoble/Frankreich - er hat vier Töchter aus erster Ehe - in zweiter Ehe ist er verheiratet mit einer Tai-wanesin, Töchterchen Lian wächst zweisprachig auf - er ist in Kempen seit 1991 - arbeitet jetzt als freier Handelsvertreter für keramische Fliesen.

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N A M E M A R I E - F R A N C E A M D O H R

H E R K U N F T S L A N D F R A N K R E I C H

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B E R U FE R Z I E H E R I N

I N D E U T S C H L A N DS E I T 1 9 7 2

„Ich bin hier keine Ausländerin - ich bin Französin. Das ist ein Unterschied: Als Französin - und das hört man mir ja an, dass ich aus Frankreich komme - hast du hier wirklich kein Problem. Du bist in erster Linie Französin - dann erst 'Ausländerin'. Da haben es Türken oder Schwarze schwerer - und zu denen bin ich persönlich dann immer besonders nett.“

„Von Paris nach Kempen - doch, das war schon ein kleiner Kulturschock. Aber ich fühle mich hier absolut wohl. Kempen, Krefeld, St. Tönis - das ist schön. Okay: Ab und an brauche ich Luft, brauche ich Großstadtatmosphäre, dann fahre ich nach Düsseldorf - komme aber hinterher gern hierher zurück.“

„Wenn wir irgendwann nach Frankreich zurückgehen sollten, dann nur dahin, wo es warm und schön ist. Habe ich meinem Mann schon gesagt. Provence, Bretagne - oder wir bleiben hier. Hier sind unsere Freunde, unser Leben.“

M E I N P L A T Z I N K E M P E ND I E K I T A P U S T E B L U M E I N S T. P E T E R

„Ich liebe meine Arbeit mit den Kindern in diesem Kindergarten. Ich spreche mit den Kindern jeden Tag ein bisschen Französisch - hier, an diesem Platz liegt mein Herz.“

„Es gibt schon Unterschiede: In Frankreich ist die Familie offener, dass Essen ein wenig wichtiger, vieles ein bisschen gemütlicher, entspannter. Und man muss sich als Besuch nicht immer anmel-den wie hier. Da ist man eigentlich immer willkommen, ob es aufgeräumt ist, ordentlich gesaugt oder nicht.“

„Natürlich passt du dich an. Das sollte man auch. Wenn ich zum Beispiel als Tourist in Länder fahre, wo die Sitten, was die Kleidung angeht, strenger sind, ziehe ich mich auch ent-sprechend an - das gehört sich doch so. Man will doch nicht schockieren.“

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„Anfangs bin ich auch vom Freundeskreis meines Mannes ein wenig abgecheckt worden - Französin? Was zieht die an? Wie gibt die sich? Ist die nett? Aber das war wohl normal und auch bald vorbei. Heute hat mein Hund - der mit den drei Beinen - mehr zu knabbern, was blöde Sprüche angeht.“

Interview MICHAEL PLUSCHKE

Marie-France Amdohr kam 1972 der Liebe wegen nach Deutschland - ihren Mann hat sie in Frankreich kennen gelernt - beide haben zunächst eine Wo-chenendbeziehung geführt, dann ist sie nach Deutschland gezogen - zunächst arbeitete sie im Krankenhaus Tönisvorst - sie hat zwei erwachsene Kinder. (25 & 30 Jahre alt).

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H E R K U N F T S L A N D I R A N

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B E R U FD R U C K E RM A S C H I N E N F Ü H R E R I N

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Herayk: „Ausländer? So fühle ich mich nicht. Zumindest nicht in Kempen. Hier habe ich Freunde, Bekannte, hier kennt man mich, ich gehöre dazu. Okay: Wenn ich in andere Städte zum Einkaufen fahre, da bin ich dann wegen der Optik und des Akzents 'der Ausländer' - egal.“

Herayk: „Als dann die Mitteilung kam, dass wir in die USA einsiedeln dürften und dort auch sofort die Green Card bekommen könnten, waren wir hier in Kempen schon wirklich zu Hause. Jetzt fahren wir als Touristen aus Deutschland in die Staaten. Und kommen hinterher nach Hause zurück - nach Kempen.“

M E I N P L A T Z I N K E M P E ND E R P L A T Z V O R D E M R A T H A U S

„...weil wir dort am Tag unserer Ankunft als Flüchtlinge von Frau Schreieck und Mitarbeitern des Sozialamtssehr freundlich aufgenommen worden sind - das war für uns nach der Verfolgung im Iran wie ein kleines Wunder.“

Herayk: „Wir waren wirklich erstaunt, wie gut wir hier aufgenom-men worden sind. Da stehst du mit zwei Koffern und einem kleinen Kind auf dem Arm als Flüchtling in einem fremden Land mit ein bisschen Englisch - und dir wird geholfen. Wir sind toll aufgenom-men worden.“

Anahid: „Du kommst nie so wirklich ganz an die Leute ran. Das ist aber kein böser Wille - das ist eher Misstrauen vor etwas Fremdem. Schlecht behandelt worden sind wir einmal auf einem Spielplatz, als eine Mutter ohne jeden erkennbaren Grund nicht wollte, dass ihr Kind mit meinem spielt. Aber das ist die absolute Ausnahme gewesen.“

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Herayk: „Ich wollte so schnell wie möglich raus aus der staatlichen Hilfe, aus der Sozialhilfe, wollte arbeiten - und da hat man mir keine Steine in den Weg gelegt.“

Anahid: „Was soll man machen? Wir hatten hier keine Landsleute, keine Verwandten, zunächst keine Kontakte - da baust du dir dein Leben eben völlig neu auf. Und lernst, so schnell das geht, die Sprache. Und das geht. Bei den Kindern sowieso - schnell, fast automatisch - im Kindergarten.“

Interview MICHAEL PLUSCHKE

Die beiden sind 1986 als Armenier und Christen aus dem Iran geflohen, wo sie verfolgt und drangsaliert worden waren - sie wollten in die USA, sind dann aber wegen fehlender Papiere in Deutschland 'gelandet' und haben sich hier schnell wohlgefühlt - er ist gelernter Schlosser mit Qualifizierung zum Industriemechaniker, als solcher eher zufällig in den Bereich Druck gerutscht und dort zum Schichtleiter aufgestiegen - drei erwachsene Kinder (Anita, Androsh und Marcell), schulisch/beruflich erfolgreich - Tochter Anita ist verheiratet mit einem Deutschen und Mutter einer Tochter.

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N A M E A L B E R T I N E A B O B I N I M O K A N G O M A R I E C H R I S T I N E M O K A N G O - B O L A

H E R K U N F T S L A N D K O N G O

G E B U R T S J A H R 1 9 5 4 & 1 9 5 8

B E R U FM A S C H I N E N B E S T Ü C K E R I NH A U S F R A U I N D E U T S C H L A N DS E I T 1 9 9 3 & 1 9 8 8

U N S E R P L A T Z I N K E M P E NK I R C H E C H R I S T K Ö N I G

„Diese Kirche steht in der Mitte unseres Lebens, und hier haben wir auchden Deutschkurs bei Frau Schreieck gemacht, der uns den Weg in dieseGesellschaft geebnet hat.“

„Wenn du dreißig Tage arbeitest, auch als Lehrer für den Staat, und dann kein Geld bekommst - das ist kein Leben.“

„In Afrika leben viele zusammen wie in einer Familie, man kennt fast alle. Hier kenne ich von den sechs Familien im Haus gerade mal eine. Und die auch nur wenig.“

„Man muss sich adaptieren, sich anpassen, muss die fremde Mentalität akzeptieren - also ich meine: die typisch deutsche.“

„Ob ich hier zu Hause bin? Hier geht es gerecht zu. Ich bin pünktlich und mache meine Arbeit und werde dafür ordentlich bezahlt, kann Essen und Medizin kaufen. Das ist Leben.“

Alle Zitate stammen von Albertine (im großen Bild links).

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„Rückkehr in eine sichere, demokratische Heimat - ist sicher nur ein Traum. Vielleicht die Kinder meiner Kinder. Vielleicht.“

„Fast alle in meiner Familie sind zuckerkrank. Hier wird mir geholfen - in Afrika wäre ich längst tot.“

Interview MICHAEL PLUSCHKE

Die Schwestern Mokango stammen aus Kinshasa/D.R. Kongo - sie flohen aus Kinshasa vor dem Terrorregime von Joseph Mobutu - lebten auch zeitweise in Sambia, haben aber keine direkten Verwandten mehr in Afrika - beide haben Kinder, Betty (17) und Emanuel (19), diese sprechen nur wenig bis gar kein Lingala - sie leben im Stadtteil Hagelkreuz.

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Bilder im KopfZwei Fotografen schildern den Ablauf eines Porträt-Termins.Und dass nicht immer alles so ist, wie man es sich vorstellt...

Es war an einem Spätnachmittag, als wir am Wohnheim für Asylbewerber eintrafen.Wir waren mit Avakeza Barjamovic verabredet, einer Roma, die 1999 aus Serbien nach Deutschland gekommen war. Die Sonne knallte trotz der Uhrzeit immer noch heftig und wir dachten beide: „Das Licht ist aber sehr hart, um zu fotografieren – das wird schwierig“.Wir warteten vor der Tür auf Frau Arretz, die uns den Kontakt zu Frau Barjamovic vermittelt hatte und die ihr bei Behördengängen und ähnlichem beisteht.Viel wussten wir nicht über unser Modell, aber was wir wussten, hatte in unseren Köpfen eine bestimmte Vorstellung geformt und wir hatten beide – völlig un-abhängig voneinander – das Gefühl, es könne vielleicht „nicht einfach“ werden. Warum? Keine Ahnung. Vielleicht auch, weil wir uns fragten, wie wir uns mit ihr verständigen sollten.Den Anmeldebogen hatte nämlich Frau Arretz ausge-füllt, weil Frau Barjamovic Analphabetin ist – wir haben daraus auf ihre Sprachkenntnisse geschlossen.Dann plötzlich steht sie vor uns – und kurz danachist klar: Nichts stimmt mit den komischen Dingenüberein, die wir uns zurecht gelegt haben. Nicht mal äußerlich entspricht sie dem Bild in unseren Köpfen. Gut, sie ist dunkelhaarig – so etwas hatten wir erwartet, aber sie könnte genauso gut Spanierin oderItalienerin sein – ein südländischer Typ eben. Warum nur glaubten wir zu wissen, wie „Zigeuner“ aussehen ...? Dann die Verständigung: Sie spricht recht gut Deutsch. Warum meinten wir, sie könne auf-grund ihrer Lese- und Schreibschwäche nicht mit uns kommunizieren? So ein Quatsch.

Sie begrüßt uns freundlich – aber zurückhaltend. Sie wolle lieber draußen fotografiert werden, sagt sie – und ohne es auszusprechen vermittelt sie uns das Gefühl, sie wolle keine fremden Leute in ihre privaten Räume lassen – vielleicht auch, weil wir Männer sind.Plötzlich verschwindet sie. Sie will sich unbedingt um-ziehen – nötig ist das für uns nicht, vielleicht aber für das Bild, das sie von sich zeigen möchte.Wir versuchen Fotos zu machen. DAS erweist sich als eigentliches Problem. Die Lichtverhältnisse sind tatsäch-lich schwierig, der Platz vor dem Haus trostlos und ungemütlich.Hinterm Haus ist es netter, ein Rasen mit Spielgeräten, aber dort wird nicht wirklich deutlich, wo wir uns befinden – unbefriedigend. Dazu ihre beiden quirligenKinder – Frau Barjamovic hat Mühe, die beiden im Zaum zu halten.

So zurückhaltend sie im Gespräch ist, so selbstbe-wusst zeigt sich die 38-jährige vor der Kamera. Sie weiß, dass sie attraktiv ist, das merkt man an ihrer sicheren Art, sich in Pose zu setzen – sie hat keine Scheu vor der Kamera. Frau Arretz muss irgendwann gehen – doch das ist kein Problem.Wir trauen uns später zu fragen, ob wir nicht doch in der Wohnung fotografieren können, draußen haben wir einfach zu wenig Möglichkeiten. Und plötzlich geht es ohne weiteres – offenbar hat sie Vertrauen gefasst.Drinnen müssen wir schon wieder unser Bild im Kopf korrigieren. Es ist unglaublich sauber, aufgeräumt und sehr gemütlich. Wir sind beeindruckt, mit welch ge-ringen Mitteln sie aus ihrer Wohnung ein schönes Zuhause gemacht hat – und dabei größere Sorgfalt verwendet hat als viele, denen mehr zur Verfügung steht. Wir machen unsere Fotos – es ist zwareng, aber es geht – und alles ist sehr unkompliziert.Nach etwa einer Stunde gehen wir auseinander. Viel gesprochen haben wir nicht. Ob es anstrengend gewesen sei, fragen wir Frau Barjamovic. Anders als die meisten anderen, die wir fotografiert haben, sagt sie: „Nein, kein bisschen.“ Nein – kein bisschen, auch für uns nicht. Es war ein wirklich angenehmer Termin. Warum nur hatten wir geglaubt, es könne anders werden?

Elmar Streyl & Konrad Nolten-Falk

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NorbertStammnitz

65 Jahre alt,Verkaufsleiter i.R.,fotografiert seit fast 10 Jahren.

„Leider vergessen immer noch viele Menschen,dass eigentlich jeder Mensch Ausländerist. Ich hoffe, dass unser Projekthilft, Vorurteile abzubauen. Meine positiveEinstellung zu ausländischen Mitbürgernhat sich nicht geändert. Neue Kontaktesind zwar nicht entstanden, aber ich hatteeinige im Beruf und habe sie immer nochinnerhalb der Familie und im Bekanntenkreis.“

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Norbert Stammnitz

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N A M E J O S é M E S Q U I T A D A S I L V A

H E R K U N F T S L A N D P O R T U G A L

G E B U R T S J A H R 1 9 5 9

B E R U FA U S B I L D E R

I N D E U T S C H L A N DS E I T 1 9 7 1

„Als Migrant ist man gewissermaßen ein Nomade. Die portugiesische Identität habe ich zum Teil verloren, Deutschland ist zwar meine Hei-mat, aber ich bin hier nicht so sehr verwurzelt. Man weiß nie so ganz, wohin man gehört.“

M E I N P L A T Z I N K E M P E NE X T R U S I O N K E M P E N G M B H

„Ich bin froh, dass ich eine Arbeit habe, die mir Spaß macht. Ich finde es wichtig, jungen Menschen etwas beizubringen und ihnen in ihrer Entwicklung zu helfen.“

„In südlichen Ländern ist man in vielem lockerer als in Deutschland. Zum Beispiel ist es nicht so schlimm, wenn man zu spät kommt, und die Kinder müssen nicht zu einer bestimmten Uhrzeit ins Bett, sondern werden abends auch mal mitgenommen.“

„Wenn man sich integrieren will, muss man schon selbst etwas tun und auf die Leute zugehen. In der Schule habe ich darunter gelitten, dass ich wegen meiner Herkunft gehänselt wurde. Jetzt habe ich einen großen Freundeskreis in Kempen.“

„Manches, was in Portugal üblich ist, machen wir hier nur bei guten Freunden, etwa unangemeldet zu Besuch kommen. Da kann es auch schon mal zu Missverständnissen kommen. Der eine sagt: 'Du kommst nie zu mir', und der andere sagt: 'Du lädst mich ja nie ein'!“

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José da Silva wurde geboren 1959 in Nevogilde/Portugal (nördlich von Porto) - er kam 1971 als Gastarbeiterkind nach Kempen - der Vater lebt heute wieder in Portugal - Schulbesuch in Kempen - Ausbildung bei der Bayer AG, heute selbst Ausbilder in einer Kempener Firma - verheiratet mit Maria da Silva, zwei in Deutschland geborene Söhne.

„Als ich nach Deutschland kam, da war ich zwölf. Ich wurde in die sechste Klasse gesteckt, obwohl ich nicht viel Deutsch konnte, und musste gucken wie ich klar komme. Ich habe mich durchgeboxt, erst Hauptschulabschluss, dann die Fremdenprüfung zum Realschulabschluss und schließlich Fachabitur.“

Interview SONJA BERNECKER

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N A M E M A R I A DA C O N C E I ç ã O P I N H E I R O D A S I L V A

H E R K U N F T S L A N D P O R T U G A L

G E B U R T S J A H R 1 9 6 2

B E R U FH A U S F R A U

I N D E U T S C H L A N DS E I T 1 9 8 8

„Mit Deutschen habe ich eigentlich keine besonders schlechten Erfahrungen gemacht. Aber als mein Deutsch noch nicht so gut war und ich beim Bäcker nach einem bestimmten Brot gefragt habe, haben sich die Verkäufer schon mal mit Absicht dumm gestellt.“

M E I N P L A T Z I N K E M P E NU N S E R G A R T E N „Wir haben in Kempen ein Haus gebaut, weil wir uns hier wohl fühlen. Der Garten gehört zum Haus, ist mein Zuhause.“

„In Deutschland fühle ich mich sicherer als in Portugal. Die Versorgung, was Versicherungen und so etwas angeht, ist besser. Auch im Straßenverkehr halten sich die Leute mehr an die Regeln.“

„Ich hatte kein Problem damit, nach der Hochzeit mit meinem Mann nach Deutschland zu gehen. Dass ich am Anfang kein Deutsch konnte, war das Schlimmste, aber vor einem fremden Land hatte ich keine Angst. Schon als Kind hatte ich lange im Ausland gelebt,nämlich in Frankreich.“

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„Kempen ist zwar ein klei-ner, aber sehr schöner Ort. Ein wenig vermisse ich das schöne Wetter, das Meer und natürlich meine Familie. Aber an einen anderen Ort in Deutschland zu ziehen war für mich nie eine Opti-on. Die Frage, nach Portugal zurückzugehen, stellt sich im Moment gar nicht. Vielleicht, wenn die Kinder einmal aus dem Haus sind.“

Interview SONJA BERNECKER

Maria da Silva wurde geboren 1962 in Moure bei Vila Verde, nördlich von Porto - Maria hat als Kind mehrere Jahre in Frankreich gelebt - das begonnene Lehramtsstudium hat sie wegen der Heirat mit José Mesquita da Silva abgebrochen - die beiden haben zwei Söhne, die 1991 und 1993 geboren wurden.

„Manchmal ist auf Formularen zu wenig Platz für meinen Namen.“

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N A M E A N G E L L A K A M B A L U S E V I M B A L A L U K A U H E R K U N F T S L A N D K O N G O

G E B U R T S J A H R 1 9 7 5 & 1 9 7 1

B E R U FH A U S F R A U G A R T E N B A U H E L F E R

I N D E U T S C H L A N DS E I T 1 9 9 6

„Ich liebe mein Land, den Kongo. Das Problem ist die Politik. Meine Partei wurde verboten, daraufhin bin ich nach Deutsch-land gekommen.“

M E I N P L A T Z I N K E M P E ND E R C O N C O R D I E N P L A T Z

„Der Concordienplatz ist das Herz der Neuen Stadt. Dieses Viertel ist unsere Heimat, unser Lebensmittelpunkt.“

Alle Zitate stammen von Mbala Lukau, der selbst nicht fotografiert werden wollte.

„Wenn die politische Situation besser wäre, würde ich zurückgehen. Ich war seit zwölf Jahren nicht mehr im Kongo, bekomme keine Einreiseerlaubnis.“

„Ich habe keine deutschen Freunde. Meine Freunde sind meine Arbeitskollegen; für mehr habe ich keine Zeit.“

„In Deutschland einen Job zu finden, ist schwierig. Ich habe immer viel gearbeitet, wurde ohne Grund gekündigt und hatte es schwer, eine neue Stelle zu finden.“

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„Kempen ist schon okay.“

Interview SONJA BERNECKER

Mbala Lukau wanderte 1996 nach Deutschland aus und kam direkt nach Kempen, seine Frau folgte einige Zeit später - die Familie lebt im Stadtteil Hagelkreuz, die Kinder besuchen dort den Kindergarten - Angella ist Hausfrau, Mbala arbeitet im Gartenbau - zwei Kinder im Alter von fünf und drei Jahren sind in Deutschland geboren.

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Page 36: Mein Platz in Kempen

N A M E B A R B A R A G E S T Y

H E R K U N F T S L A N D P O L E N

G E B U R T S J A H R 1 9 6 8

B E R U FF L O R I S T I N

I N D E U T S C H L A N DS E I T 1 9 9 0

„Ich käme nie auf die Idee, mir eine polnische Fahne ins Fenster zu hängen, wie das andere anderer Nationalitäten tun. Aber eben auch keine Deutsche. So einfach ist das.“

M E I N P L A T Z I N K E M P E ND E R B L U M E N L A D E N A M C O N C O R D I E N P L A T Z

„ ...weil ich mein Hobby, die Blumen, zum Beruf gemacht habe und ich stolz auf dieses Geschäft bin.“

„Daheim wird ausschließlich Polnisch gesprochen, sonst kannst du eine Sprache nicht vernünftig lernen. Und Zweisprachigkeit halte ich für einen Vorteil. Man weiß ja nie, wo die Kinder einmal beruflich landen, was sie machen werden, wo einen das Leben hinführt...“

„Ich werde aufgrund meines Akzentes als Auslän-derin erkannt - aber das ist es dann auch. Wir leben in diesem Land, wir schätzen es, und wir werden akzeptiert. Das ist wirklich unkompli-ziert, wir fühlen uns wohl.“

„Ich habe einen deutschen Pass, natürlich auch stets einen Blick für Polen und was dort passiert - fühle mich aber als Europäer.“

„Unterschiede zwischen Deutschland und Polen? Hier gibt es vor allem bei den Jugendlichen weniger Disziplin, das Verhalten von Jugendlichen gegen-über Erwachsenen, das war und ist in Polen schon ganz anders.“

„Die Sprache war kein Problem. Was man will, schafft man. Aber man muss wollen. Und es ist natürlich auch eine Frage der Intelligenz.“

„Als wir den Blumenladen übernommen haben, hatte ich schon Bedenken, ob ich die Kunden hal-ten kann. Das war aber dann kein Problem: Man fragte, wo ich herkomme, und hat das akzep-tiert. Heute sind rund 95 Prozent meiner Kunden Deutsche. Wir haben das geschafft - darauf bin ich schon stolz.“

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Barbara Gesty wurde geboren 1968 in Oberschlesien/Polen - lebte zunächst in Krefeld, seit 14 Jahren in Kempen - aus der Heimat, wo die Familie einen größeren Blumenzuchtbetrieb hatte, brachte sie Fachkenntnisse mit und hat sich hier weitergebildet - griff zu, als vor fünf Jahren der Blumenladen am Concordienplatz zu haben war: 'Zufall. Oder Schicksal?' - zwei Söhne sind auf dem LvD (Gymnasium), sie sollen beide Abitur machen und danach stu-dieren - 'aber einen richtigen Männerberuf, nichts mit Blumen, das ist was für Frauen.' - Deutsch hat sie via Schulung, Kurs und TV gelernt, liest sehr viel in Deutsch - die Kinder wachsen konsequent zweisprachig auf.

Interview MICHAEL PLUSCHKE

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Von: [email protected] [mailto:[email protected]] Gesendet: Mittwoch, 13. Februar 2008 14:23An: Paul MaassenBetreff: Antwort: ZahlenDatenFakten

Hallo Paul,

habe gerade nochmal die Liste durchgezählt. Darauf befinden sich 83 verschiedene Nationalitäten . Insgesamt sind es 1805 ausländische Einwohner.

Gruß Manfred

Manfred JoostenService-Stelle

Stadt Kempen, Buttermarkt 1, 47906 Kempen

mailto:[email protected]:http://www.kempen.defax:02152/917400 fon:02152/917148 "Paul Maassen" <[email protected]> 13.02.2008 12:28

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SUSAN SONTAG / aus: „Über Fotografie“ (1977), einer Sammlung von Essays über das Medium Fotografie.

„Menschen (zu) fotografieren heißt ihnen Gewalt antun, indem man sie so sieht wie sie selbst sich niemals sehen, indem man etwas von ihnen erfährt, was sie selbst nie erfahren. Es verwandelt Menschen in Objekte, die man symbolisch besitzen kann.“

„Das Fotografieren ist dem Wesen nach ein Akt der Nichteinmischung. Wer sich einmischt, kann nicht berichten; und wer berichtet, kann nicht eingreifen.“

RICHARD AVEDON / aus: „In The American West“ (1984),einem in den USA sehr kontrovers aufgenommenen Bildband über die Bewohner des Mittleren Westens.

„Wir sind alle Darsteller. Wir tun dies jederzeit für uns gegenseitig, bewusst oder unbewusst. Es ist eine Art und Weise, etwas über uns mitzuteilen in der Hoffnung, als der erkannt zu werden, der wir sein möchten.“

„Die Art und Weise, wie jemand sich der Kamera präsentiert und die Antwort desFotografen auf diese Präsentation - das ist es, was ein Porträt ausmacht.“

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Paul Maaßen

54 Jahre alt,Fotograf,fotografiert seitseiner Schulzeit.

„Von Beginn an hatten wir immer wiederdas Problem, unser Projekt mit den richtigenWorten zu benennen: Wie findet manden richtigen 'Überbegriff' für die Menschen,mit denen wir da arbeiten wollten?'Ausländer', 'ausländische Mitbürger','Menschen mit Migrationshintergrund','Gastarbeiter'? Warum sind all diese Begriffeso problematisch, scheinen besetzt zu sein mit nicht nur positiven Assoziationen?Warum sind wir immer so sehr auf der Hut, wenn wir uns zum Thema Ausländer äußern? Ist dieses unwohle Gefühl nicht schon ein Hinweis darauf, dass unser Verhältnis zum vermeintlich 'Fremden' auch in unserem Land immer noch ungeklärt ist – und das trotz so zahlreicher Beziehungen, Verknüpfungen, Abhängigkeiten und positiver Erfahrungen?“

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Paul Maaßen

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N A M E Y O U N E S E S S A Y A F I

H E R K U N F T S L A N D M A R O K K O

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B E R U FB A U I N G E N I E U R

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„Die Kempener habe ich im Zug kennen gelernt - ich bin so oft mit dem Zug gependelt, da kommt man mit den Menschen ins Gespräch.“

„Es kommt immer darauf an, wie man sich selber gibt - so nehmen einen die anderen auch wahr, das ist nicht von der Nationalität abhängig. Entweder ich trete selbstbewusst auf oder aber nicht - entweder ich bin aufgeschlossen oder eben nicht. Ich lasse die Menschen - dann lassen sie auch mich. Wer mehr gibt, bekommt auch mehr.“

„Als ich hier das erste Mal ankam, dachte ich: Hier ist ja nichts - außer einem Bahnhof. Ich musste einen Taxifahrer fragen, wo die Stadt ist. Da dachte ich: Das kann ja was werden.“

„Als ich weg ging, wurde mir klar: Jetzt sehe ich meine Eltern sehr lange nicht mehr... Aber echtes Heimweh? Nein, das hatte ich eigentlich nicht.“

„Klar habe ich einen deutschen Pass. Wenn ich hier lebe, möchte ich auch die gleichen Rechte haben, Wählen zum Beispiel.“

M E I N P L A T Z I N K E M P E ND E R B A H N H O F

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Younes Essayafi wurde geboren 1970 in Rabat/Marokko - Abitur, 2 Jahre Studium des Bauingenieurwesens - lebt seit 1992 in Deutschland - Stu-dium in Krefeld u. Wuppertal - lernte 1992 Ehefrau Helma kennen, hat mit ihr zwei Kinder - 1993 Umzug nach Kempen - er arbeitet als Bauin-genieur in Geldern - seine Eltern und zwei Geschwister leben noch in Marokko.

Interview SABINE FEYEN

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„Wir sind an einem Sonntagmorgen im November hier angekommen, müde von der langen Zugfahrt - die Straßen waren wie leer gefegt. Das kannte ich aus Portugal nicht, dort waren die Menschen sonntags unterwegs. Dazu war es kalt, die Häuser grau...Dazu kam die Ungewissheit, aber zugleich auch eine kindliche Neugier.“

„Anfangs hab ich den Fluss vermisst - das Angeln, das Baden, außerdem hat mir das Wetter zu schaffen gemacht.“

„Ich könnte überall leben, wo ich frei sein kann - frei leben, frei reden. Jetzt ist es erst einmal Kempen - schon wegen der Kinder. Die Familie ist wichtig, ohne sie läuft nichts.“

„Die Sprache hab ich schnell gelernt: Auf unserem Radio stand Blaupunkt - im Portugiesischen ist es genau umgekehrt: Punkt blau. Das fand ich spannend, hab s auch schnell umgesetzt.“

N A M E A N T O N I O P O E I R A

H E R K U N F T S L A N D P O R T U G A L

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B E R U FT I S C H L E R M E I S T E R I N D E U T S C H L A N DS E I T 1 9 6 7

M E I N P L A T Z I N K E M P E ND E R L U D W I G - J A H N - S P O R T P L A T Z

„Es gab Zeiten als Kind, da war ich auf diesem Fußballplatz mehr als irgendwo sonst.“

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Page 45: Mein Platz in Kempen

Interview SABINE FEYEN

Antonio Poeira wurde geboren 1957 in Odemira/Süd-Portugal - der Vater wanderte 1964 als Gastarbeiter nach Kempen aus und holte 1967 seine Familie (Ehefrau und vier seiner fünf Kinder) nach - von 1973 bis 1986 wohnhaft in Wachtendonk, dann Rückkehr nach Kempen - verheiratet mit Alice Alves Poeira, die er in Kempen kennenlernte - zwei Töchter.

„Ich bin rein zufällig Portugiese, so wie andere eben Deutsche sind. Natürlich sind die Kinderjahre die prägendsten, deshalb sage ich: 'Ich bin Portugiese'. Aber wenn ich als Kind in zehn Ländern gelebt hätte - was wäre ich dann ?? Mit dem Begriff 'Stolz' kann ich in dem Zusammenhang nichts anfangen.“

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B E R U FF R E M D S P R A C H E N -K O R R E S P O N D E N T I N

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M E I N P L A T Z I N K E M P E NH A U S V O R S T E R S T R. 1 6

„Wenn man ein Gefühl entwickeln kann - ein 'Hier bin ich zu Hause' - dann hängt das mit den Menschen in diesem Haus zusammen. Mit Tante Lene undihrem Mann, bei denen ich so viele Stun-den verbracht habe - die sich immer um uns bemüht haben.“

„Bei meiner Ankunft in Kempen an einem trüben Septembertag war ich enttäuscht - alles war grau, die Sonne fehlte. Andererseits war ich auch froh, wieder mit den Eltern zusammen zu sein - endlich waren wir wieder eine Familie.“

„Die ersten Wochen waren schlimm, wir wurden viel gehänselt, weil wir die Sprache nicht konnten. Aber dann ging es doch recht schnell - wir haben Freunde gefunden und dann fand ich die Schule toll.“

„So gerne ich in Deutschland lebe: Ich kann meine Wurzeln nicht in Frage stellen. Ich habe zwei Kulturen in mir, die sich ergänzen. Beide zusammen machen mich zu dem Menschen, der ich bin. Ich kann das nicht einfach austauschen. Deshalb konnte ich auch nicht einfach meinen portugiesischen gegen einen deutschen Pass tauschen - ich kann ja auch meine kulturelle Identität nicht einfach wechseln.“

„Meine Eltern leben wieder in Portugal, meine Kinder sind hier - von daher hat das Gastarbeitertum die Familie schon zerrissen.Wenn meine Eltern richtig alt und hilfsbedürftig sind, dann weiß ich nicht, was ich tun soll: zurück in die Heimat gehen - hier bleiben? Eine bange Frage!“

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„Wenn man zwischen zwei Kulturen aufwächst, ist das manchmal schwer. Die Rolle als Mädchen in Portugal ist ganz anders und das wollte mein Vater auch hier durchsetzen. Ich durfte nicht ausgehen, keinen Freund haben. Mir war das alles zu eng - ich musste mir meine Freiheit erkämpfen.“

Interview SABINE FEYEN

Alice Poeira wurde geboren 1959 in Castelo Branco/Portugal - folgte als Zehnjährige mit ihrer jüngeren Schwester den Eltern, die bereits vier Jahre zuvor als Gastarbeiter nach Kempen gegangen waren - Schneiderlehre mit 16, mit 19 die erste eigene Wohnung - Weiterbildung und Studium zur Fremdsprachenkorrespondentin - verheiratet mit einem portugiesischen Landsmann, zwei Töchter - parteilos im Multikulturellen Forum (ehem. Ausländerbeirat) aktiv.

„So gerne ich in Deutschland lebe: Ich kann meine Wurzeln nicht in Frage stellen. Ich habe zwei Kulturen in mir, die sich ergänzen. Beide zusammen machen mich zu dem Menschen, der ich bin. Ich kann das nicht einfach austauschen. Deshalb konnte ich auch nicht einfach meinen portugiesischen gegen einen deutschen Pass tauschen - ich kann ja auch meine kulturelle Identität nicht einfach wechseln.“

„Meine Eltern leben wieder in Portugal, meine Kinder sind hier - von daher hat das Gastarbeitertum die Familie schon zerrissen.Wenn meine Eltern richtig alt und hilfsbedürftig sind, dann weiß ich nicht, was ich tun soll: zurück in die Heimat gehen - hier bleiben? Eine bange Frage!“

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H E R K U N F T S L A N D I R A N

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B E R U FD R U C K E R

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M E I N P L A T Z I N K E M P E NU N S E R E W O H N U N G

„Ja, ich habe Heimweh - meine Eltern sind im Iran, meine Geschwister. Hier ist alles anders: Die Natur, die Sprache - einfach alles, sogar der Geruch - man spürt hier unsere Heimat einfach nicht.“

„Wir versuchen, den Kindern auch unsere Kultur nahe zu bringen, aber das ist schwer: Wenn hier Weihnachten ist, spürt man das überall - wir zum Beispiel feiern den Beginn des neuen Jahres im Frühling, aber davon merkt man hier nichts.“

„Ausländerhass habe ich nie gespürt. Natürlich gibt es Leute, die einem aus dem Weg gehen, die nicht wol-len, dass unsere Kinder mit ihren Kindern spielen - aber sagen tun sie es nicht.“

„Die Stadt ist klein und das hat Vor- und Nachteile: Für die Kinder ist es gut hier, aber in großen Städten kann ich Bücher in meiner Sprache kaufen, da gibt es Theater, iranische Filme - und Landsleute, mit denen man sich austauschen kann. Die Menschen sind sehr nett hier, aber es ist nicht das Gleiche…“

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„Man kann nicht ganz deutsch sein, aber man kann auch nicht zurück in die Heimat - das ist schwer.“

Interview SABINE FEYEN

Hassan Shooshtari wurde geboren 1958 in der Provinz Fars im Süd-Iran - hatte immer wieder Probleme mit dem Mullah-Regime, deshalb keine weitere Ausbildungsmöglichkeit - verschiedene Tätigkeiten: Kaufmann, Buchhändler, Taxifahrer - verheiratet, drei Kinder - im Jahr 2000 Flucht nach Deutschland - Anerkennung nach 13 Monaten und Umzug in die eigene Wohnung.

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N A M E R U U D S T E F E L M A N N S

H E R K U N F T S L A N D N I E D E R L A N D E

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B E R U FP H Y S I O T H E R A P E U T

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M E I N P L A T Z I N K E M P E NM E I N E P R A X I S I M E H E M A L I G E N „S T Ä D T I S C H E N B E T R I E B S A M T“

„Hier kann ich Architektur, Kunst und Arbeit ideal verbinden.Das Haus bietet die optimalen Voraussetzungen, sich mit diesen Dingen auseinanderzusetzen - und alle sind mir wichtig.“

„Ich mag die Nähe zum Bahnhof: Es ist toll zu sehen, wenn abends die Reisenden in Scharen heimkommen - zurück aus der Welt nach Kempen - mit allem, was sie erlebt und gesehen haben. So habe ich den Austausch mit der Außenwelt - auch wenn ich selbst nicht so viel weg komme.“

„Am Anfang war mir schon wichtig, nach Hause zu können - zur Familie. Da war Kempen schon gut wegen seiner Nähe - in zweier-lei Sinn: der geringen Entfernung und der Ähnlichkeit zur Heimat-stadt.“

„Die Kempener sind offener geworden -früher war ja eigentlich jeder Nicht-Kempenerein bisschen Ausländer.“

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Page 51: Mein Platz in Kempen

Interview SABINE FEYEN„Ich habe mich nie als Ausländer gefühlt und schon gar keinen Ausländerhass erlebt - aber mich stört dieses Schubladen-Denken: der Holländer ist so, der Deutsche so...“

Ruud Stefelmanns wurde geboren 1962 in Sittard/Niederlande - Studium der Physiotherapie in Heerlen - trat dann 1984 eine Stelle in Essen an - wegen Jobangebot 1985 Wechsel nach Kempen - 1995 folgten weitere Studien in Maastricht, später Leiden, wohnhaft jedoch weiterhin in Kempen - verheiratet mit einer Hamburgerin, die er in Kempen kennengelernt hat.

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Page 52: Mein Platz in Kempen

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Sabine Feyen

45 Jahre alt, TV-Redakteurin.

„Mich hat besonders beeindruckt, mit welcher Zuversicht und großem Mut manche Menschen ihre Heimat verlassen, um an einem weit entfern-ten Fleck der Erde Fuß zu fassen, in einer völlig neuen Umgebung, wo nichts so ist wie daheim, sei es die Sprache, die Landschaft, das Essen, ja sogar das Wetter. Mir ist eigentlich erst durch diese Gespräche so richtig klar geworden, wie schwer auch mir dies fallen würde. Das hat meinen Blick verändert: Ich habe großen Respekt bekommen für Menschen, die diesen Schritt gehen.“

Michael Pluschke

47 Jahre alt,Redakteur und Pressesprecher.

„Es war zweifellos ein tolles Projekt - mit einem kleinen Wermutstropfen. Wer bei einer solchen Aktion mitmacht, ist natürlich in der Regel schon weitgehend integriert. Ich hätte es im Sinne eines ‚runderen Bildes‘ span-nend gefunden, auch mit Ausländern zu sprechen, die ihren Platz in Kempen vielleicht noch nicht gefunden haben - die abgelehnt werden, schlechte Erfahrungen gemacht haben. Aber dafür kann das Projekt ja letztlich nichts...“

Sonja Bernecker

23 Jahre alt,Studentin und WZ-Volontärin.

„Durch die Interviews habe ich erfahren, dass Menschen, die aus irgend-einem Grund ihr Heimatland verlassen haben, immer eine spannende Geschichte zu erzählen haben. Besonders beeindruckt haben mich die Gespräche mit denjenigen, die – oft unter abenteuerlichen Umständen – ausgewandert oder geflüchtet sind, weil die Situation vor Ort unerträglich wurde, sei es durch Krieg oder menschenverachtende Regime. Was ich im Studium theoretisch über Bürgerkriege gelernt habe, erscheint in einem ganz neuen Licht, nachdem ich mit Flüchtlingen gesprochen habe, die nur wenige Hundert Meter von meinem Elternhaus entfernt wohnen.“

die Redakteure:

Page 53: Mein Platz in Kempen

Younes erzählt: wann ihn das erste Mal der Wunsch ereilte, seine Heimat zu verlassen und warum. Er spricht ohne Scheu – auch über seine Gefühle. Aus allem klingt Entschlossenheit, Stolz und das Be-wusstsein, das Richtige getan zu haben.Ich habe das Gefühl, alles fragen zu können – und tue es doch nicht. Ich weiß, dass Younes seinen muslimischen Glauben lebt, beiläufig erzählt er, wie Bekannte extra für ihn beim Grillen auf Schweinefleisch verzichtet haben – und doch traue ich mich nicht, ihn tiefergehend danach zu fragen. Warum? Ich weiß es nicht. Da ist eine Grenze, die nicht ER gezogen hat, sondern ich – in meinem Kopf.

So geht es mir häufiger in Gesprächen mit Teilnehm-ern – obwohl alle aus freienStücken mit mir sprechen, gibt es Fragen, die ich NICHT stelle. Vielleicht würde mir das auch so ergehen, wenn es sich um andere Themen, andere Menschen handelnwürde – vielleicht ist es aber auch die Angst, aus Unwissenheit kulturelle Regeln zu verletzen, an Tabus zu rühren, die ich nicht als solche erkenne.

Das Gespräch mit Younes war letztlich toll – fand ich. Younes´ unkomplizierte Art hat mich mutiger gemacht. Auch wenn ich IHM manche Frage nicht gestellthabe – in folgenden Gesprächen habe ich es getan.Diesen Mut habe ich mitgenommen in meinen Alltag – in neue Begegnungen. Insofern hat das Projekt auch mich ein bisschen verändert.

Sabine Feyen

„Ach übrigens – Younes macht auch mit beim Fotoprojekt“, heißt es eines Tages aus den Reihen der Teilnehmer, „du musst einen Interview-Termin mit ihm ausmachen“. Ich kannte Younes Essayafi flüchtig, war ihm ein paar Mal auf Partys begegnet. Groß, gutaussehend, modisch gekleidet, sehr eloquent.Ich erinnerte mich, dass es nicht schwierig war, mit ihm und seiner Frau ins Gespräch zu kommen – man plauderte über dies und das, vor allem über die Kinder, die im gleichen Alter sind. Younes arbeitet in der Baubranche – wir wollen gerade umbauen, da ist auch das ein beliebtes Thema.Nun also ist er einer von den mehr als 50 Kempener Bürgern mit ausländischen Wurzeln, die wir für unser Projekt fotografieren und eben auch interviewen wollen.

Dass Younes arabische Wurzeln hat, wusste ich „irgendwie“, dafür sprachen schon sein Name und auch sein Aussehen: schwarzes, krauses Haar, dunkle Augen, gebräunter Teint.Jetzt habe ich also einen Termin mit ihm, kann „ganz offiziell“ mehr über ihn und seine Herkunft er-fahren. Es ist ein Sonntag im Mai, es ist heiß.Wir fahren mit dem Rad ins Kempener Neubaugebiet, zum Haus der Familie Essayafi. Modern ist es, genau mein Geschmack, hell – viel Glas, aber auch Holz – auf gemütliche Weise „stylisch“. An der Wand lehnt eine riesengroße alte Tür mit aufwändigen Schnitzer-eien – Younes erzählt, sie stamme aus seiner Heimat Marokko, sie soll noch einen Platz im Haus finden.

Kinder wuseln herum – mehr als Younes und Helma haben. Familie ist da und Nachbarskinder – ein buntes Treiben. Bald soll gegessen werden, aber es eilt auch nicht. „Wir können uns Zeit nehmen“, sagt er freundlich. Wir ziehen uns in eine Sitzecke zurück, die wie eine Oase anmutet. Ein Stück Afrika in einer Doppelhaushälfte am Niederrhein – ohne folkloristisch zu sein. Große, gemütliche Sofas – kleine runde Glastische. Es gibt frisch gepressten Orangensaft – köstlich. Wie fange ich ein solches Gespräch an?Gut, erst einmal die biographischen Daten abfragen. Geburtstdatum, -ort, Ausbildung – unverfänglich.

Angst vor der Grenze im KopfWarum es nicht immer so einfach ist, die richtigen Fragen zu stellen

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Valérie Peschel

44 Jahre alt,Postbotin,fotografiert seit 15 Jahren.

„Nein – meine Sehweise verändert hat das Projekt nicht. Ich hatte keinerlei Vorurteile, fühlte mich eher zugehörig, da ich ja selbst als Französin ausländische Mitbürgerin bin.“

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Page 55: Mein Platz in Kempen

Valérie Peschel

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„Manchmal habe ich Heimweh. Zurück in die Heimat? Nicht um dort zu leben. Aber wenn die politische Situation es zulässt, möchte ich dort für eine gewisse Zeit als Ent-wicklungshelfer Elektriker ausbilden.“

„Wir haben unsere Kinder konsequent zweisprachig erzogen: Wir wollen weder unsere Sprache Tamil, noch unsere Kultur und Tradition verlieren. Natürlich wollen wir uns integrieren - aber nicht unsere Identität verlieren.“

„Natürlich gibt es hier Positives: Demokratie, Rechtsstaat-lichkeit. Was mir fehlt, ist eine Willkommenskultur in Deutschland: Ich vermisse einen offenen und ehrlichen Umgang mit Migranten. Meiner Meinung nach werden Menschen mit Migrationshintergrund oft als Sündenböcke für vieles genommen, Migranten bei der Arbeit als billige Konkurrenten betrachtet.“

„Ich begegne häufig freundlichen und sehr aufgeschlossenen Menschen. Aber ich weiß nicht, was in ihren Köpfen vorgeht.“

„Du kommst in ein Land, sprichst die Sprache nicht, darfst nicht zur Schule gehen, nicht arbeiten, darfst dich wegen der Residenzpflicht nur eingeschränkt bewegen. Da wird dir das Leben wirklich so schwer wie möglich gemacht. Da muss man kämpfen. Und die Kraft haben nur wenige. Viele geben auf, gehen wieder weg.“

M E I N P L A T Z I N K E M P E NU N S E R H A U S I M N E U B A U G E B I E T V O R S T E R S T R A S S E

„Wir betrachten dieses Haus als ein Symbol für unsere neue Heimat, die wir in Kempen gefunden haben. Wir haben uns für Kempen für immer entschieden.“

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„Nicht nur die Stadt Kempen hat eine mittel-alterliche Mauer um sich, sondern auch manche Menschen haben eine eigene Mauer in denKöpfen. Das finde ich schade. Ich will kulturelle Vielfalt fördern und eine offene Gesellschaft stär-ken.“

Jeyaratnam Caniceus wurde geboren 1966 im Inseldorf Karampon im Norden Sri Lankas - kam 1985 als Bürgerkriegsflüchtling nach Deutsch-land - war hier nicht mehr schulpflichtig und hatte wegen des ‚ungeklärten Status‘ zunächst keine Chance, zur Schule zu gehen oder eine Ausbild-ung zu machen - er bekam dann einen Praktikumsplatz und anschließend einen Ausbildungsplatz in einer Wachtendonker Firma, die aber nach-weisen musste, dass sie keinen anderen Azubi finden konnte - machte eine Lehre, die Gesellenprüfung und später die Meisterprüfung nach vier Jahren Abendschule - arbeitet als Elektrotechnikermeister im Krankenhaus Viersen - er hat vier Geschwister, eine Schwester lebt in England, alle anderen in Deutschland - mit seiner Frau Geen (Heirat 1994) hat er drei Kinder (14, 11 und 7) - er lebt im eigenen Haus in einem der Kempener Neubaugebiete - wurde im Jahr 2000 eingebürgert und ist seither in Kempen auch politisch aktiv.

Interview MICHAEL PLUSCHKE

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Page 58: Mein Platz in Kempen

N A M E D R . T U A N D U - Q U O C D R . T H A N H - T H U Y D U - Q U O C

H E R K U N F T S L A N D V I E T N A M

G E B U R T S J A H R 1 9 7 3 & 1 9 7 4

B E R U FZ A H N A R Z T R E C H T S A N W Ä L T I N

I N D E U T S C H L A N DS E I T 1 9 8 2 & 1 9 7 8

M E I N P L A T Z I N K E M P E ND I E B U R G

„ ...als historischer, aber auch sehr natürlicher grüner Punkt mitten in der Stadt.“

„Sprache ist der Schlüssel zu vielem. Sprache ist Macht.Wenn jemand eine Sprache in seinem Umfeld nicht spricht, ist das eine Art Behinderung.“

„Ich spiele E-Bass und E-Gitarre in einer Band: 'Vietmusic'. Uns geht es hier in Deutschland gut, gute Jobs - und das Geld, das wir einnehmen, spenden wir für Leprakranke und Waisenkinder in unserer Heimat. Auch ein Stück Dankbarkeit, dass es uns hier so gut geht. Ich würde nicht nach Vietnam zurückgehen. Jedenfalls nicht, um dort zu leben, vielleicht nur, um zu helfen.“

„Dass wir hier gut integriert sind, liegt auch daran, dass es hier in Deutschland - anders als bei Freunden von uns in den USA und Kanada - keine Ghettobildung, kein Chinatown gibt.Hier in Deutschland sind zum Beispiel die Flüchtlinge der Kap Anamur über das ganze Land verteilt worden.“

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„Deutschland ist inzwischen meine Heimat - aber im Herzen brennt noch eine Flamme für Vietnam. Ich denke bei aller Integra-tion, dass ich noch vietna-mesisch denke und fühle.“

Interview MICHAEL PLUSCHKE

Geboren sind beide 1973 und 1974 in Vietnam - sein Vater (Apotheker) stand während des Vietnam-Kriegs auf Seiten der Amerikaner, hatte folglich nach Kriegsende keine Zukunft mehr im Land und kam in ein Umerziehungslager - die Familie wurde ausgeflogen, nachdem Onkel und Tante, beide Mediziner in Deutschland, die Flucht über eine Universität organisieren konnten - sie lebten zunächst in Bonn, die Eltern leben noch heute dort - die Sprache haben beide recht schnell gelernt, den Anschluss in der Schule geschafft und sind dann auf dem Gymnasium 'durchgestartet' - sie leben mit ihrer im August 08 geborenen kleinen Tochter Yen-Nhi (kleine Flamme) in einem Kempener Neubaugebiet - waren bisher drei mal in zu Besuch in Vietnam, die Großeltern leben noch dort - der Nachname spricht sich überraschenderweise 'Yu-Wuk'.

Alle Zitate stammen von Dr. Tuan Du-Quoc.

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N A M E A N A S T A S I J A I S A J C E N K O

H E R K U N F T S L A N D R U S S L A N D

G E B U R T S J A H R 1 9 8 7

B E R U FE I N Z E L H A N D E L S K A U F F R A U

I N D E U T S C H L A N DS E I T 1 9 9 3

„Ich empfinde mich wirklich nicht als Ausländerin. Klar, die erste Zeit in der Grundschule, das war schon hart, wegen der Sprache. Aber danach ging es dann - und ich fühle mich hier in Kempen wirklich sehr wohl.“

M E I N P L A T Z I N K E M P E ND E R E D E K A - L A D E N I N D E R N E U E N S T A D T

„Da herrscht eine sehr familiäre Atmosphäre, da arbeite ich wirklich gern und fühle mich sehr wohl.“

„Was an mir russisch ist? Ich koche gern russisch - russische Rezepte, viel mit Teig und mit viel Handarbeit. Aber zurück nach Russland - das ginge gar nicht. Ich bin häufiger dort zu Besuch gewesen. Das ist alles sehr, sehr einfach dort, ein kleines Dorf - wohl kann ich mich da heute nicht mehr fühlen.“

„Dumm angemacht worden bin ich wegen meines russischen Namens nicht. Ein paar Mitschüler haben sich halt gewundert - deutscher Pass und so ein Name. Das war aber auch schon alles.“

„Hier in Deutschland ist schon manches anders. Zum Beispiel das Verhältnis zu den Eltern, der Respekt vor den Eltern. Ich zum Beispiel sieze meine Eltern, also 'Mama' und dann 'Sie'. Das mag für hiesige Verhältnisse fremd klingen - ist aber wirklich nur ein Zeichen von Respekt.“

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„Meine Zukunft? Ich möchte auf eige-nen Füßen stehen, selbständig leben, eine Familie, Kinder. Man wird sehen.“

„Meine Oma hat immer gesagt: 'Kinder, sprecht Deutsch'. Wir haben dann immer gefragt: 'Warum, wir leben doch hier in Russland?' Aber sie hat Recht gehabt.“

Interview MICHAEL PLUSCHKE

Anastasija Isajcenko wurde geboren im Mai 1987 in einem Dorf, das etwa hundert Kilometer vom Schwarzen Meer entfernt liegt - sie hat noch zwei ältere Geschwister (30 u. 32) - die Großmutter war 'Russlanddeutsche' und sprach deshalb noch Deutsch - ist mit sechs Jahren nach Deutschland ausgewandert, hat seitdem einen deutschen Pass - sie sprach anfangs kein Wort Deutsch, kam sofort in die Grundschule und lernte die Sprache dort, spricht jetzt akzentfrei Deutsch - zu Hause und mit Freunden wird nur Russisch gesprochen.

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N A M E C H A M A I P O R N R E P G E S

H E R K U N F T S L A N D T H A I L A N D

G E B U R T S J A H R 1 9 6 4

B E R U FS C H N E I D E R I N

I N D E U T S C H L A N DS E I T 1 9 9 5

M E I N P L A T Z I N K E M P E ND I E B U R G

„Die Kempener Burg - weil es dort so wunderschön ist.“ Klaus: „Ganz ehrlich, ich persönlich finde es in Thailand um einiges schöner als bei uns - das Klima sowieso, aber auch das gesündere Essen, eine gewisse Lockerheit, ein entspannteres Leben, vieles halt. Meiner Frau gefällt es aber hier besser.“

Klaus: „Natürlich kann man von einem Kulturschock sprechen, bei Reisen in beide Richtungen, wir haben inzwischen auch ein Haus in Chamaiporns Dorf. Als ich das erste Mal vor rund 15 Jah-ren in dieses Dorf kam, wurde ich regelrecht bestaunt; viele hatten noch nie einen Ausländer gesehen. Heute ist das natürlich anders, da hat sich viel getan.“

Chamaiporn: „Ich bin hier eigentlich immer gut behandelt worden. Ganz zu Anfang gab es mal einen Zwischenfall, da haben mich Ju-gendliche dumm angemacht, damals konnte ich die Sprache aber auch noch nicht richtig, heute würde und könnte ich darauf anders reagieren.“

Chamaiporn: „Sicher war das damals eine mutige, gewagte Ent-scheidung zu heiraten, aber es ging halt so oder gar nicht, wegen der Visa und auch der großen Entfernung und den damit zusammenhängenden Kosten eben auch. Viele hatten damals Be-denken, viele haben die auch geäußert - aber bei uns beiden hat alles gepasst, damals wie heute.“

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Chamaiporn: „Ich bin sehr glücklich hier mit meinem Mann. Aber das ist nicht unbedingt die Regel: Ich kenne auch viele Ehen von Thailänderinnen, die hier in Deutschland verheiratet sind - und die sind wirklich nicht alle toll.“

Klaus: „Mit Vorurteilen gegenüber unserer Be-ziehung kann ich leben. Ganz ehrlich: Es ist mir egal, wie das von außen aussieht; wichtig ist, wie es uns dabei geht. Und wir sind glücklich miteinander.“

Chamaiporn: „Die Kempener sind total nett. Ich fühle mich hier aufgehoben, ja, zu Hause. Ich kenne viele Leute, und die ken-nen mich. In anderen Städten, wenn ich in Großstädten unterwegs bin, fühle ich mich eher als Ausländerin, in Kempen nicht. Ganz ehrlich: Wenn ich in Thailand bin, vermisse ich Deutschland.“

Interview MICHAEL PLUSCHKE

Chamaiporn Repges stammt aus einem kleinen Ort auf dem Land inmitten von Reisfeldern, grenznah zu Kambodscha - seit 14 Jahren verheiratet mit Klaus Repges (46), der für eine Bank in ganz Europa und weltweit viel unterwegs ist - haben sich zufällig in Hongkong kennen gelernt, wo sie als Haushälterin arbeitete und mit Freundinnen aus Thailand einen Ausflug machte; er war als Tourist in Hongkong unterwegs, wollte der Hitze der Stadt entfliehen und traf dadurch seine zukünftige Frau auf einer Fähre - die gemeinsame Tochter Emmi ist 6 Jahre alt.

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Ekkehart Czysch

75 Jahre alt,Textilingenieur i.R.,fotografiert seit 18 Jahren.

„Interessant war für mich die Erfahrung,wie sehr sich der kulturelle Hintergrundder Porträtierten auch in Körperhaltungund Gestik ausdrückt – so habe ich eineFamilie aus Italien fotografiert: lockereGlieder, dynamische Körperhaltung. Bei einer Gruppe aus dem Irak habe ich dasanders empfunden: sie alle zeigten sich ineher „geschlossener“ Haltung. Mit den beiden chilenischen Damen aus der Galerie Artedos werde ich sicherlich weiterhinKontakt haben. Durch unsere gemeinsamenlateinamerikanischen Wurzeln undauch das Kunstinteresse ...“

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Ekkehart Czysch

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N A M E K A R E N C E R V A

H E R K U N F T S L A N D C H I L E

G E B U R T S J A H R 1 9 6 3

B E R U FK Ü N S T L E R I N

I N D E U T S C H L A N DS E I T 1 9 8 7

U N S E R P L A T Z I N K E M P E ND A S A T E L I E R A R T E D O S

„Das Atelier ist mein Bezugspunkt zur Stadt. Hier sind wir mit unserer Kunst mitten im Zentrum.“ KC

KC: Geboren 1963 in Santiago de Chile als Tochter einer Chilenin und eines Deutschen - 1987 Auswanderung nach Deutschland - zunächst Lebensmitteltechnikerin, dann freie Künstlerin - lebt mit ihrem deutschen Mann in Rheurdt, zwei Kinder. MES: Geboren 1949 in Santiago de Chile - dort Kunst- und Designstudium an der katholischen Universität - 1975 Auswanderung nach Deutsch- land - Arbeit als Grafikerin in Karlsruhe - seit 2000 am Niederrhein, lebt mit ihrem deutschen Mann in Straelen.Seit 2007 betreiben Cerva und Schwarzenberg, die sich erst in Deutschland kennen gelernt haben, das Atelier „artedos“ in der Moosgasse.

„Eigentlich wollte ich nur zwei oder drei Jahre in Deutschland bleiben. In Chile war es gesellschaftlich eng geworden und ich wollte raus in die Welt. Irgendwie bin ich dann hier hängen geblieben.“

„Die typische deutsche Gründlichkeit gibt es ja nicht nur im Berufsleben. Die Leute planen sogar ihre Freizeit im Voraus.“

„Hier erlebt man die Jahreszeiten nicht so intensiv. Auch im Sommer ist die Sonne oft weg, das wenige Licht macht mir zu schaffen.“

„Wegen meines Vaters habe ich schon als Jugendliche angefangen, Deutsch zu lernen. Überhaupt war ich von meinen Geschwistern die 'deutscheste', ich war immer etwas pingeliger als die anderen.“

„Ich habe das Gefühl, die Leute hier haben Spaß daran, sich und andere in Schubladen zu stecken. Der Mann trägt selbst gestrickte Socken? Muss wohl ein Grüner sein!“

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N A M E M A R I A E L I A N A S C H W A R Z E N B E R G

H E R K U N F T S L A N D C H I L E

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B E R U FK Ü N S T L E R I N

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„Mein Wunsch ist es, noch ganz lange in Kempen und in diesem Atelier zu arbeiten. Ich möchte gemeinsam mit anderen Künstlern die Kulturszene mitgestalten.“ MES

Interview SONJA BERNECKER

„Deutsch ist eine schwere Sprache, aber auch eine schöne. Am Anfang konnte ich mich nur auf Englisch ver-ständigen, und auch nach 33 Jahren hier habe ich das Gefühl, ich bin nicht hundertprozentig sicher im Deuschen.“

„Als ich mit 24 aus Chile weggegangen bin, dachte ich einfach: So, jetzt kucke ich mir die Welt an. In Deutschland Fuß zu fassen war damals sehr einfach. Ich hatte nach kurzer Zeit einen Job, obwohl ich am Anfang kaum Deutsch konnte.“

„Meine Ur-Ur-Großeltern sind 1850 aus Deutschland nach Chile gekom-men, andere Vorfahren kamen aus Italien. Möglicherweise habe ich mich wegen meiner europäischen Abstam-mung nie so ganz fremd hier gefühlt.“

„Die Deutschen sind heute entspann-ter als vor dreißig Jahren. Oder viel-leicht habe ich mich auch nur an sie gewöhnt… Nein, ich glaube wirklich, sie sind offener und gelassener gewor-den.“

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N A M E A N T O N I O P I E R O DI S T E F A N O

H E R K U N F T S L A N D I T A L I E N

G E B U R T S J A H R 1 9 6 3

B E R U FM E D I Z I N P R O D U K T E B E R A T E R

I N D E U T S C H L A N DS E I T D E R G E B U R T

M E I N P L A T Z I N K E M P E ND I E B U R G „Die Burg ist das Wahrzeichen von Kempen. Schon als Kind habe ich dort gespielt, Ritter, Verstecken und so etwas. Damals war das Gelände noch verwilderter und man konnte am Efeu die Mauern hochklettern. Auch heute finde ich die Burg noch schön.“

„Ich hatte eigentlich nur ein negatives Erlebnis: Die Eltern einer ehemaligen Freundin wollten nicht, dass ihre Tochter mit einem Ausländer zusammen ist. Das ist mir danach nie wieder passiert; bessere Schwieger-eltern als ich jetzt habe könnte ich mir nicht wünschen.“

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„Eigentlich wollte ich Komiker werden, nur hat mich leider niemand entdeckt.“

„Wir sind innerhalb Kempens oft umgezogen. Nun wohnen wir in der Neuen Stadt, wo wir beide aufgewachsen sind. Das Viertel ist überhaupt nicht so, wie es oft dargestellt wird. Es gibt viel Grün, man ist schnell in der Stadt und auf dem Feld - was will man mehr?“

„Kempen ist eine schöne Stadt, zwar klein und familiär, aber auch nicht so klein, dass man jeden kennt. In größeren Städten wie Krefeld bin ich als Ausländer schon mal angepöbelt worden.“

„Ich habe ein sizilianisches Temperament, aber ich bin auch ein bisschen eingedeutscht: Ordnung, Sauberkeit und manchmal ein strenger Vater zu sein, das habe ich aus der deutschen Kultur übernommen.“

Interview SONJA BERNECKER

Antonio di Stefano wurde geboren 1963 in Kempen als Kind sizilianischer Gastarbeiter - seine zwei Brüder und die Eltern leben ebenfalls noch in Deutschland - er ist verheiratet mit der Kempenerin Heike di Stefano (41) - zwei Kinder, Louisa (14) und Fabio (11) - Besuch der Martin-Schule,, dann Ausbildung zum Zahntechniker - heute als Medizinprodukteberater tätig.

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N A M E A K O T A H I R R A B A T I

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B E R U FK F Z - M E C H A N I K E R

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„Nein, ich konnte kein Wort Deutsch. Das hab ich dann aber schnell auf der Straße gelernt. Das war hart, aber es geht. Ich habe viel mit Freunden und Kumpels gesprochen, auch viel mit Türken, weil ich ganz gut Türkisch spreche. Aber Deutsch war als völlig fremde Sprache schon hart.“

M E I N P L A T Z I N K E M P E ND I E K F Z - W E R K S T A T T A N D E R K L E I N B A H N S T R A S S E

„ ...weil ich dort gern arbeite; der Chef ist auch ein Iraker, das ist so ein bisschen wie ein Familienbetrieb.“

„Mir gefällt es gut in Kempen, ich bin inzwischen hier zu Hause, lebe hier mit meiner Frau und meinem Sohn. Ich werde bleiben. Im April 2006 war ich mal für eine Woche im Irak zu Besuch. Aber eben zu Besuch - ich lebe jetzt hier.“

„Bis zum Krieg, bis die Amerikaner kamen, war für mich und meine Familie wirklich alles wunderbar in unserer Heimat. Keine Probleme, keine Sorgen. Ich hatte eine schöne Schulzeit und Jugend, keine Sorgen, viele Freunde. Aber dann: Schulen kaputt, Straßen, Krankenhäuser - alles zerstört. Das absolute Chaos. Da musste ich weg.“

Foto: Manfred Joosten

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Interview MICHAEL PLUSCHKE

Ako-Tahir Rabati ist mit 14 Jahren aus dem Irak vor dem Krieg geflohen - musste seine Familie und zwei Brüder zurücklassen - er kam zunächst in Neuss bei Verwandten unter, dann nach Kempen eher zufällig wegen der Arbeit als Kfz-Mechaniker - arbeitet in einem KFZ-Meisterbetrieb an der Kleinbahnstraße - er ist verheiratet mit einer Deutsch-Irakerin und hat einen einjährigen Sohn.

„Das Leben läuft gut für mich, wirklich. Der Job macht mir Spaß - so etwas mit Autos hätte ich im Irak auch gemacht. Ich hab´ von klein auf bei einem Onkel in der Werkstatt zugeguckt und mitgemacht - das hat mir schon immer Spaß gemacht.“

„Wenn es Ärger mit ausländischen Jugendlichen gibt, und das gibt es - das hat doch ganz oft die gleichen Ursachen: keinen Job, keine Ausbildung, Langeweile und dann zusammen Alkohol trinken und Blödsinn machen. Ich komme mit allen hier gut klar. Mit Deutschen ge-nauso wie mit meinen Landsleuten, mit Türken, Russen, allen - kein Problem. Ich bin ein friedlicher Mensch.“

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Page 72: Mein Platz in Kempen

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G E B U R T S J A H R 1 9 8 0

B E R U FG A S T R O N O M

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„Ich habe mir, als ich nach Deutschland kam, das Deutschsprechen selbst beigebracht. Natürlich war das schwer, aber das ging alles in allem ganz gut. Ich habe mir damals fest vorgenom-men, jeden Tag zehn neue Wörter zu lernen - und das habe ich dann auch geschafft.“

M E I N P L A T Z I N K E M P E ND E R „ M A R K T G R I L L “ A M B U T T E R M A R K T „Der Platz, an dem ich lebe und arbeite. In unserer Familie sind wir immer schon mit Leib und Seele Gastronomen gewesen, haben diverse Restaurants gehabt. Ich arbeite seit ich zwölf bin in der Gastronomie mit, hab' immer gern geholfen.“

„Mit meiner Frau verstehe ich mich bestimmt auch deswegen so gut, weil sie als Flüchtling aus dem Kosovo ein ähnliches Schicksal erlebt hat wie meine Familie - sie versteht mich und meine Geschichte, ich verstehe sie. Wir haben Ähnliches durchgemacht.“

„Ich muss mich vor allem bei meinen Lehrern bedanken - ich hab' echt viele gute Lehrer gehabt. Da ist mir viel geholfen worden, auch wegen der Sprache. In Bochum, aber auch hier in Kempen, auf allen Schulen. Viele tolle Lehrer waren dabei. Manche haben mir sogar, als wir gar nichts hatten, Butterbrote mitgebracht, weil sie echt Mitleid mit uns hatten. Ganz ehrlich: Ich liebe meine Lehrer.“

„Das ist schön, dass ich meine Kinder jetzt in drei Sprachen aufwachsen las-sen kann. Und das klappt: Wenn Besuch kommt, spricht meine Tochter die eine Oma auf Türkisch an, die andere auf Albanisch - und natürlich spricht sie auch Deutsch.“

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„Klar, manchmal fühlst du dich auch wie ein Außenseiter - du gehörst eben nicht wirklich dazu. Richtig schlechte Erfahrungen, weil ich Ausländer bin, habe ich aber eigentlich nur in meiner Jugend gemacht, als ich noch Fußball gespielt habe - in Uerdingen, in Hüls, auch noch in Kempen. Da hab ich manchmal das Gefühl gehabt, andere würden bevorzugt, da wurdest du schon mal schräg angeguckt oder es kamen blöde Sprüche - aber meist nur von älteren Leuten...“

Interview MICHAEL PLUSCHKE

Deniz Yilmaz kam 1989 nach Deutschland - er und seine Familie wurden in der Türkei wegen der politischen Aktivitäten seines Vater verfolgt, der sechs Jahre inhaftiert war - wegen der andauernden Bedrohung durch die Polizei (Verhöre, Folter) beschloss die Familie, alles zu verkaufen und gemeinsam (der zwei Jahre jüngere Bruder, Vater und Mutter) nach Deutschland zu fliehen - sie wohnten zunächst bei Verwandten im Ruhrgebiet, u.a. in Bochum, Essen und Herne, oft zu viert in einem Zimmer - er ist selbständiger Gastronom, verheiratet mit der Ardita Yilmaz (26), die ebenfalls (Kriegs-)Flücht-ling ist und aus dem Kosovo stammt - die beiden haben zwei Kinder, Tochter Dilara (2) und Sohn Taylan Diyan Deniz, geboren im November 2008.

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Dr. Frank Hormes

47 Jahre alt,Geschäftsführer,fotografiert seit 30 Jahren.

„Meine ersten Gedanken zu dieser Projekt-Idee waren: 'Lieber nicht – das ist ein ganz sensibles Thema, da sind viele Missverständnisse möglich. Kleine Fehler können zu einem großen Dilemma führen.'Letztlich aber lief alles erstaunlich unkompliziert ab. Das lag sicher am strengen konzeptionellen Rahmen und vor allem an der großen Flexibilität der Fotografierten.“

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Dr. Frank Hormes

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Page 76: Mein Platz in Kempen

N A M E C H R I S T O P H E R S T A N L E Y

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M E I N P L A T Z I N K E M P E NU N S E R H A U S A N D E R S I E G F R I E D S T R A S S E

„Hier haben wir uns ein Paradies gestaltet - hier haben wir geheiratet. Um dieses Haus herum herrscht soviel Toleranz - das ist toll: Ich könnte im Bademantel vor dem Haus stehen, das stört niemanden.“

„Ich hab dieses platte Land lieben gelernt - ja, Kempen ist Heimat.“

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„Nein, einen deutschen Pass hab ich nicht. Meine Mutter ist Jüdin, heute lebt auch sie hier in Kempen. Aber die deutsche Geschichte und meine - das ist dann doch sehr speziell - das ging dann doch nicht.“

„Am Anfang fand ich die Menschen hier nicht nett - sie hatten keinen Humor. Die Sprache ist so eindeutig, lässt keinen Raum für Doppeldeutigkeit, für den britischen Humor. 30 Jahre habe ich gebraucht, um mich an die Deutschen zu gewöhnen - langsam geht’s...“

„Nach dem 1. Staatsexamen wollte ich eigentlich zurück nach England - aber dort herrscht eine Zwei-Klassen-Gesellschaft: Man muss die richtige Herkunft haben, die richtige Bildung. Wenn ich heute nach England fahre, komme ich mir vor wie ein Fremder.“

Interview SABINE FEYEN

Chris Stanley wurde geboren 1945 in der englischen Grafschaft Surrey - als Baby schon mit den Eltern nach Schweden aus-gewandert - 1958 Rückkehr nach Großbritannien - Kunststudium in Mittelengland - 1966 geht er auf Anraten seines Bruders, der in Solingen lebt, an die Kunst-Akademie Düsseldorf - seit 1976 am Gymnasium Rheinkamp in Moers - eine Tochter, in zweiter Ehe verheiratet.

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Page 78: Mein Platz in Kempen

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H E R K U N F T S L A N D P O L E N

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B E R U FK U N S T M A L E R

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„Kempen ist mein Zuhause - meine Heimat ist überall. Ob ich Deutscher bin? Nein: Kempener! Ach, irgendwie ist die Nationalität doch auch egal.“

M E I N P L A T Z I N K E M P E ND A S A T E L I E R A U F D E R K U H S T R A S S E „Das Atelier gehört zu meinem Leben - zumindest beruflich. Privat ist privat. Eigentlich sollten auch noch ganz viele Freunde mit aufs Foto, aber das klappte leider aus terminlichen Gründen nicht.“

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„Nach Schule und Ausbildung wollte ich mal sehen, wie das so ist 'im wilden Westen'- mein Onkel war ja schon hier. Ich wollte irgendwie, dass es mir besser geht, aber eine genaue Vorstellung davon, wie das aussehen sollte, hatte ich nicht.“

„Ja, ich kann mir schon vorstellen, wieder nach Polen zu gehen - aber auch in jedes andere europäische Land. Ob Polen, England oder anderswo - ein Neuanfang wäre es überall.“

„Ausländerfeindlichkeit habe ich eigentlich nicht gespürt. Wenn, dann waren das Kleinigkeiten und die hab ich schnell vergessen.“

M E I N P L A T Z I N K E M P E ND A S A T E L I E R A U F D E R K U H S T R A S S E „Das Atelier gehört zu meinem Leben - zumindest beruflich. Privat ist privat. Eigentlich sollten auch noch ganz viele Freunde mit aufs Foto, aber das klappte leider aus terminlichen Gründen nicht.“

Interview SABINE FEYEN

Roland Ploch wurde geboren 1966 in Kedzierzyn/Polen - machte nach der Ausbildung zum Maschinenschlosser alle mögli-chen Jobs, war zuletzt ausgebildeter Zahntechniker - seit 2002 erwerbsmäßig mit Kunst beschäftigt - verheiratet mit Ehe-frau Gracina, ebenfalls Polin, beide haben zusammen eine Tochter.

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„Man steht so oft im Leben an Stellen, an denen man sich entscheiden muss...“

M E I N P L A T Z I N K E M P E ND E R B U T T E R M A R K T

„Auf dem Buttermarkt hatte ich 1990 bei einem Fest zur deutschen Wiedervereinigung zusammen mit meiner Frau eine Begegnung, die unser Leben verändert hat. Wir lernten einen Mann aus Polen kennen, der so verloren wirkte. Wir tranken einen Kaffee mit ihm und kamen ins Gespräch. Später lud er uns in seine Heimat ein und wir genossen eine Gast-freundschaft, die hier kaum denkbar ist. Es fehlte damals dort an so vielen Dingen, dass wir das Hilfsprojekt 'Most' starteten. Mittlerweile ist daraus eine gleichwertige Partnerschaft geworden, die uns sehr viel bedeutet.“

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„Heimweh nach Dänemark hatte ich eigentlich nicht, aber wenn ich zurückkam an die Orte meiner Kindheit, hatte ich Tränen in den Augen. Ich habe eine tiefe Verbundenheit gespürt - aber es ist wichtig, dass man solche Gefühle hat. Jeden Sonntag telefoniere ich eine halbe Stunde mit meiner Mutter - sie ist 88 Jahre alt. Einmal im Jahr sind wir zu Besuch dort.“

„Ich lebe schon so lange in Deutschland - das hat mich geprägt. Wenn ich heute nach Dänemark zurückginge, wäre ich doch ein Fremder. Dennoch ist Dänemark meine Heimat - auch wenn ich Kempen nicht verlassen will. Ich bin mehr Kempener als irgend etwas anderes, habe noch nie solange am Stück irgendwo gelebt und gearbeitet.“

„Am Anfang war es schon schwer, vor allem mit der Sprache - ich konnte mich ja auch nicht richtig wehren. Aber es war von Vorteil, mit Kindern zu arbeiten. Bei ihnen hat man nicht solche Angst, etwas falsch zu machen, sie haben viel mehr Verständnis. Wenn ich etwas falsch machte, hieß es von den Kleinen oft: 'Er kann es doch nicht wissen, er kommt doch aus Dänemark'.“

Interview SABINE FEYEN

Bjarne Norlander wurde geboren 1943 in Fredrickssund/Dänemark - nach einer Gärtner- und einer Bäckerlehre zunächst bei der Luftwaffe aktiv - nach seiner Übersiedlung Ausbildung zum Gruppenerzieher im Homberger Kinderheim für Schif-ferkinder und wohnhaft in Moers - seit 1984 bei der Stadt Kempen beschäftigt, 1986 Umzug nach Kempen - parallel Studium der Sozialpädagogik in Mönchengladbach - heute Leiter der Jugendheime „Mounty“ und „Calimero“ - seit 22 Jahren in der Kempener Chorgemeinschaft - verheiratet, zwei erwachsene Kinder.

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Page 82: Mein Platz in Kempen

„Ja - ich bin Brasilianerin, aber meine Heimat ist jetzt hier - zu 100 Prozent. Kempen war mit ein Grund, in Deutschland zu bleiben.“

M E I N P L A T Z I N K E M P E ND E R K E M P E N E R T A N Z T R E F F

„Der Tanztreff ist meine zweite Heimat - hier bin ich so oft. Aber ich hätte auch den Buttermarkt wählen können, den liebe ich so sehr - ja, ich glaube, das nächste Mal würde ich mich dort fotografieren lassen...“

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Page 83: Mein Platz in Kempen

„Meinen deutschen Mann habe ich durch eine falsch verschickte E-Mail kennengelernt. Drei Monate lang haben wir gechattet, dann haben wir uns kennengelernt und verliebt. Zuerst haben wir in Krefeld gewohnt, aber die Stadt ist einfach so groß, so anonym - da habe ich mich manchmal gefühlt wie ein Fisch ohne Wasser.“

„Kempen - das war 'love at first sight' - Liebe auf den ersten Blick. Die Menschen sind so freundlich, so hilfsbereit, sie öffnen ihr Herz. Und wenn´s mal mit der Sprache nicht so klappt, sagen sogar ältere Damen ganz einfach: 'Komm - probier´s nochmal'...“

Interview SABINE FEYEN

Rosana Greco-Sprung wurde geboren 1975 bei Sao Paulo/Brasilien - ihre Mutter ist Brasilianerin, der Vater Libanese - sie ist Lehrerin für orientali-schen Tanz im 'Kempener Tanztreff' - in Deutschland seit 2001 - sie ist verheiratet und hat einen Sohn.

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Page 84: Mein Platz in Kempen

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„Meine Mutter war entsetzt: 'Wie kannst du nach Deutschland gehen?' Aber jetzt weiß ich: Zwischen Engländern und Deutschen gibt es weniger Unterschiede als zwischen Bayern und Franken...“

M E I N P L A T Z I N K E M P E ND A S K U H T O R

„Das Kuhtor ist das Erste, was wir sehen, wenn wir morgens aufwachen. Außerdem hat das Navigationssystem meines Autos mich bei meinem allerersten Kempen-Besuch genau hierher geführt. Und: Mein erstes touristisches Erlebnis war der Martinszug - und auch den hab' ich hier gesehen.“

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Page 85: Mein Platz in Kempen

„Nein - nach England will ich eigentlich nicht zurück. Wenn ich woanders hingehe, dann nach Kanada.“

„Die Niederrheiner sind viel lockerer als die Franken - die Bayern sind ganz furchtbar.“

David Debonnaire wurde geboren 1949 in London/GB und wuchs auf in der Grafschaft Kent - gelernter Papiermacher - 1980 ging er wegen eines Jobs als Computertechniker nach Nürnberg und arbeitete bis 2001 u.a. in einem Sportstudio und im Zustelldienst - zog dann 2002 wegen seiner jetzigen Frau nach Kempen - heute ist er im Computer-Helpdesk einer Firma in Krefeld tätig.

„Die Kollegen bei der Arbeit sagen oft: 'Du bist deutscher als ein Deutscher'. Sie meinen, ich sei ein 'Korinthenkacker' - ich hab' die Mentalität wohl aufgesaugt. Letztlich hoffe ich, von beiden Nationalitäten das Beste mitgenommen zu haben...“

Interview SABINE FEYEN

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Page 86: Mein Platz in Kempen

Plakat zur Ausstellung im Kempener Rathaus.

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Titelseite der zur Ausstellung erschienenen Zeitung.

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Die Porträts vorwiegend einzelner Menschen an verschiedenen –selbstgewählten – Orten in Kempen sind der Gegenstand dieserFotoausstellung. Diese behutsame Art der Darstellung will denabgebildeten Menschen explizit den Raum zur Selbstdarstellunggeben, sie als Individuen zeigen.Deutlich wird dabei auch, dass das Thema etwas Besonderes,nicht Selbstverständliches ist und „Ausländer“ nicht einfachselbstverständlich Teil einer „normalen“ Fotoausstellung sind.Dem von den Fotografen gewählten, die Objekte als Subjektezeigenden Ansatz soll hier dadurch Rechnung getragen werden,dass schlaglichtartig einige soziologische Aspekte des Themenfeldes„Ausländer“ und „Integration“ herausgegriffen und nebeneinandergestellt werden.

Die jüngeren Diskussionen über die Ungenauigkeit der Bezeich-nung „Ausländer“ und deren Nachfolgebegrifflichkeiten wieBevölkerung mit Migrationshintergrund, Zuwanderungsgeschichte,Zuwanderungserfahrung und ähnliches machen deutlich,wie schwierig es ist, eine Bezeichnung zu finden, die den unter-schiedlichen Menschen mit ihren unterschiedlichen Geschichten,Hintergründen und Perspektiven gerecht wird.Hier soll nun keineswegs behauptet werden, DIE zutreffendeBezeichnung zu haben, oder gar der Schluss nahe gelegt werden,dass Bezeichnungen egal seien, sondern der Versuch unternommenwerden, das durch die Porträts hervorgerufene Nachdenkenfortzuführen.

Den Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen stellt dabeidie soziologische Erkenntnis dar, dass im Bereich des menschlichenZusammenlebens Vorstellungen die Wirklichkeit gestalten.Während die Bezeichnung „Ausländer“ bei aller sonstigen Problematikder Bezeichnung mit der juristischen Form doch daraufverweist, dass der „Ausländer“ durch eigenes Handeln die Staatsan-gehörigkeit wechseln kann, ist dies bei den neueren Bezeichnungennicht der Fall. Ein zugeschriebener Migrationshintergrund,eine Zuwanderungsgeschichte oder eine Zuwanderungserfahrungkönnen nicht mehr durch das Individuum abgelegtwerden, egal wie deutlich diese dem Individuum gegeben sind.Deutlich wird dies an der Fragestellung, bis zu welcher Generationdenn von einer Zuwanderungsgeschichte oder ähnlichemgesprochen werden soll. Die Bezeichnungen, die die entsprechendenBevölkerungsgruppen also als Bestandteil einer Gesamtgesellschaftbegreifen, schreiben die fremde Herkunft beim Einzelnen fest, während die Bezeichnung, die eine gesamte Gruppe ausschließt, dem Einzelnen die Möglichkeit der Zugehörigkeit eröffnet.

Gemeinsam ist beiden Begriffen, dass sie zwischen „innen“ und„außen“, „dazugehören“ und „fremd“ unterscheiden.Das „Fremde“ am „Ausländer“ schließt auch ein, dass er anderswo„Inländer“ ist, Mitglied einer in einem anderen Land herrschendenKultur ist. Wenn diese Kultur ein hohes Prestige besitzt, wiezum Beispiel die französische, profitiert das einzelne Mitglied voneinem positiven Vorurteil bezüglich dieser Gruppe, wird auch wenigerals „Ausländer“, sondern eben als Franzose wahrgenommen.Ist über die Herkunftskultur jedoch wenig bekannt, bzw. verfügt sie nicht über ein hohes Prestige, überwiegt hingegen die Ablehnung des Abweichenden, der Einzelne wird – weitgehend unabhängig von seinem eigenen Verhalten – mit einem negativen Vorurteil konfrontiert.

Ein weiterer Aspekt des „Fremden“, unabhängig von dessen Eigenarten, besteht darin, dass „der Fremde“ durch seine Anwesen-heit die unhinterfragten Selbstverständlichkeiten der eigenenKultur in Frage stellt, schlicht dadurch, dass deutlich wird, dasses eben mehr als eine Möglichkeit geben kann – und damit Unsicherheit hervorgerufen werden kann. Dieser Verlust der unhinterfragten Gewissheiten beim alltäglichen Umgang ist für die „Fremden“ dabei das Alltägliche, die eigenen Gewissheiten des menschlichen Miteinanders haben in der Fremde keine Geltung. Die Bezeichnung „Bevölkerung mit Zuwanderungs-erfahrung“ verweist auf diesen Umstand und fasst das Vermögen, mit dieser Situation produktiv umgehen zu können, als positives Merkmal. Die Fähigkeit, den eigenen kulturellen Hintergrund überschreiten zu können, bezeichnet vor dem Hintergrund der Globalisierung damit – komplementär zur Fähigkeit zur „Integra-tion“ für die „Ausländer“ – eine Aufgabenstellung für die „Inländer“.Ein anderer, auch intrakulturell wirksamer Aspekt der Beziehungvon Menschengruppen besteht nach Norbert Elias darin,dass sie weniger durch ein horizontales Nebeneinander geprägtsind, sondern durch Macht und Machtgefälle bestimmt werden.Dabei neigt die Gruppe der „Etablierten“ dazu, die Gruppe der„Außenseiter“ insgesamt mit den „schlechtesten“ Eigenschaftender „schlechtesten“ ihrer Untergruppen, die eigene Gruppe jedochmit den „besten“ Eigenschaften ihrer „besten“ Mitglieder zuidentifizieren und sich so Überlegenheit zu sichern.

Darüber hinaus besteht nach Georg Simmel ein grundsätzlicher Aspekt „des Fremden“ darin, dass die Wahrnehmung „des Fremden“in seiner Allgemeinheit nicht auf etwas Spezielles, etwa einebestimmte Kultur verweist, sondern auf etwas allen Menschengemeinsames, die Menschheit. Insofern ermöglicht die Auseinandersetzung mit „dem Fremden“ auch die Selbstwahrnehmung als Mensch und ermöglicht das Überschreiten der Bindungen an die lokalen Bräuche und Sitten sowie der verschiedenen Rollen, in denen sich jeder befindet. Freilich bleibt diese Wahrnehmung abstrakt, der „Fremde“ ist „Fremder“ und keine konkrete Person.Von daher bedeutet Integration auch, dass „der Fremde“, „Ausländer“, „Migrant“ etc. nicht von anderen und nicht von sich selbst in dieser Eigenschaft betrachtet wird, sondern als Vater, Mutter, Arbeitnehmer, Geschäftsmann, Autofahrer, Sportler usw.

Da soziale Gruppen nach Max Weber keine festen Größen sind,sondern das Ergebnis der Handlungen und des „Gemeinschafts-glaubens“ von Menschen, sind sie auch gestaltbar.In diesem Sinne kann diese Ausstellung als Beitrag zur Gestaltung eines menschlichen Miteinanders betrachtet werden.

Manfred Wittmann, M.A.Geboren 1961. Studium der Soziologie und deutschen Literaturgeschichte in Aachen. Seit 1999 zuständig für Sozialberichterstattung und Sozialplanung bei der Stadt Viersen. Sprecher der „Fachgruppe Armut und Soziale Sicherung“ des Vereins für Sozialplanung VSOP und Mitglied des Vorstands.

Vom Fremdsein, den Ausländern und InländernÜber die Schwierigkeit, die richtigen Bezeichnungen zu wählen –eine soziologische Betrachtung von M. Wittmann

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Konrad Nolten-Falk

50 Jahre alt,Lehrer,fotografiert seit über 30 Jahren.

„Einen Teilnehmer – er ist Perser – kannte ich flüchtig vom Sport. Als ich ihn nun fotografierte, habe ich ihn von einer Seite kennengelernt, die ich gar nicht vermutet habe. In seinem Haus befanden sich viele christliche Symbole und Darstellungen. So erfuhr ich, dass Christen aus dem Iran ihren Glauben in Deutschland intensiv leben.“

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Konrad Nolten-Falk

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Page 90: Mein Platz in Kempen

N A M E I G N A Z I O G R A V O T T A

H E R K U N F T S L A N D I T A L I E N

G E B U R T S J A H R 1 9 5 2

B E R U FD R E H E R

I N D E U T S C H L A N DS E I T 1 9 7 0

M E I N P L A T Z I N K E M P E ND I E S I T Z E C K E V O R M E I N E M H A U S

„...ist im Sommer zu einem Treffpunkt für die Nachbarn geworden. Ich habe so ein Stück italienische Lebensweise quasi importiert, nämlich auf der Straße vor der Tür zusammenzukommen, zu reden und zu kommunizieren.“

„Was mir hier besonders gefällt? Die Ordnung, das ist schon klasse. Da ist alles geregelt. Und es geht gerecht zu. Das hat mir immer gefallen - ich habe in einem Internat gelebt, da ist man an Ordnung und Regeln gewöhnt - und weiß diese auch zu schätzen.“

„Zurückgehen? Warum? Okay - ich vermisse das konstant gute Sommerwetter hier. Aber ich bin fünf bis sechs Wochen im Urlaub in meiner Heimat in Sizilien. Und das reicht dann. Nur 25 Kilometer bis zum Meer, gut, aber ansonsten ist es recht eintönig, nix los. Ganz ehrlich: Da ist eigentlich total tote Hose. Das ist hier doch ganz anders.“

„Ich träume eher Deutsch. Und dass ich schon lange aus Italien weg bin, merke ich ab und an - da fehlen mir dann Begriffe zu neueren Dingen, die ich im Deutschen natürlich kenne - aber eben nicht auf Italienisch. Sprache entwickelt sich, und das bekommst du hier oft nicht mit. Natürlich bin ich in Sizilien Il Tedesco, der Deutsche. Das ist für mich okay.“

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„Mein Vater hat immer gesagt: 'Egal, wo du herkommst oder hingehst: Bleibe, wo du dich wohl fühlst.' Und das mache ich.“

„Klar hast du hier auch einen Chef, und der hat das Sagen - aber eben mehr im Team. In Sizilien ist da der Capo, der Pad-rone - und der guckt auf dich herab und behandelt dich entsprechend.“

„Ich bin ein politischer Mensch. Ich würde gerne wählen, müsste aber dafür meine italienische Staatsbürgerschaft aufge-ben - und das mache ich nicht. Ich fühle mich als Europäer - so müsste das geregelt sein.“ (Doppelte Staatsbürger-schaft ist inzwischen möglich. Anm. der Red.)

Interview MICHAEL PLUSCHKE

Ignazio Gravotta wurde geboren 1952 in Campobello di Licata, Südküste Siziliens - er hat mit Ehefrau Gabriele zwei erwachsene Söhne, die kaum Italienisch sprechen - seit 32 Jahren ist er bei der gleichen Firma, seit zehn Jahren Betriebsrat - er besuchte Verwandte in St. Tönis, kam sonntags an, hatte bereits am Montag einen Job - und blieb.

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Page 92: Mein Platz in Kempen

N A M E J A K O B W O Z N I A K

H E R K U N F T S L A N D P O L E N & G R I E C H E N L A N D G E B U R T S J A H R 1 9 9 6

B E R U FS C H Ü L E R I N D E U T S C H L A N DS E I T D E R G E B U R T

M E I N P L A T Z I N K E M P E ND E R B O X C L U B K E M P E N

„Weil es Spaß macht, sich auszutoben. Und auch Spaß macht, besser zu sein als andere, sie zu schlagen. Aber eben nur im Ring.“

„Boxen ist derzeit absolut mein Ding. Ich würde auch gerne Profi werden. Wenn das nicht klappt? Keine Ahnung - da muss ich mir erst noch Gedanken machen.“

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Jakob ist ans Boxen über seinen Opa gekommen, der ihn bereits im Alter von 8 Jahren in den Boxclub mitgenom-men hat, obwohl alle sagten, der Enkel sei noch zu klein: „Denen hab ich’s dann gezeigt.“ Er wurde dann tatsächlich schon mit zehn Jahren Niederrheinmeister.Er trainiert zweimal die Woche, einmal zusätzlich Fitness, und spielt nebenher aber auch noch gerne Fußball...

Interview MICHAEL PLUSCHKE

Geboren wurde Jakob 1996 in Kempen, wo er auch seitdem ununterbrochen gelebt hat - er wird von seiner Umgebung und seinen Freunden nicht als 'Ausländer' wahrgenommen, obwohl er einen polnischen Vater und eine griechische Mutter hat und dadurch sowohl die polnische als auch die griechische Staatsbürgerschaft besitzt - er spricht fließend Polnisch, ein bisschen Griechisch und natürlich akzentfrei Deutsch - er ist Schüler an der Realschule in Kempen.

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Page 94: Mein Platz in Kempen

N A M E D R . B E Q I R B R A H I M I

H E R K U N F T S L A N D K O S O V O

G E B U R T S J A H R 1 9 6 2

B E R U FA R Z T

I N D E U T S C H L A N DS E I T 1 9 8 5

„Das kann ja auch an meinem Beruf als Arzt liegen, aber ich halte meine Verbindlichkeit, meine Zuverlässigkeit, meine Vertrauenswürdigkeit für wesentliche Eigenschaften aus meiner alten Heimat. Gleichgültigkeit und Oberflächlichkeit werde ich mir nie angewöhnen.“

M E I N P L A T Z I N K E M P E ND A S K U H T O R „...war mein erster Anlaufpunkt in Kempen und istStandort der Praxis, in der ich als Internist tätig bin.“

„Klar werde ich auf Grund meines Aussehens ab und an noch als Fremder wahrgenommen - aber Fragen nach meiner Herkunft, nach meiner Person erlebe ich eher als Interesse an meiner Person denn als Abgrenzung. Ich fühle mich wirklich maximal integriert.“

„Wenn man als Jugendlicher solch einen Schritt in ein ande-res Land tut, macht man sich über das Thema, was man da eigentlich aufgibt oder zurücklässt, keinen Kopf. Da ist alles, da ist das Neue, die Zukunft voller Chancen...Zurückblickend, als erwachsener Mensch, beginnt man nachzudenken, was da passiert ist, was man aufgebeben hat, was da vielleicht fehlt.“

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Page 95: Mein Platz in Kempen

Interview MICHAEL PLUSCHKE

Beqir Brahimi wurde geboren 1962 im Kosovo - er besuchte nach Schule und Abitur Mitte der 80er Jahre die Eltern, die in Deutschland als Gastar-beiter lebten (Vater als Bauingenieur) - lernte in sehr kurzer Zeit Deutsch und begann nach bestandener Aufnahmeprüfung an der Uni Düsseldorf ein Medizinstudium, zunächst mühsam, kämpfte sich aber erfolgreich durch - machte dann im Rahmen des Studiums das praktische Jahr am Kempener Krankenhaus - nach kurzer Phase in Norddeutschland (Rotenburg a.d.Wümme) zurück ins Rheinland ans St.Töniser Krankenhaus - danach drei Jahre am Kempener Krankenhaus - jetzt ist er niedergelassener Arzt und verheiratet mit Helga - zwei Kinder, Cedric (8) und Lucas (3), mit denen er ab und an ein wenig Albanisch zu sprechen versucht.

„Das ist schon verrückt: Ich habe die eine Hälfte meines Lebens hier, die andere dort gelebt. Ich habe also quasi 'zwei Heimaten' - und eigentlich keine Richtige.“

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Page 96: Mein Platz in Kempen

N A M E D A N I E L A R E N N E SR A P H A E L R E N N E S

H E R K U N F T S L A N D B R A S I L I E N

G E B U R T S J A H R 1 9 9 2 & 1 9 9 4

B E R U FS C H Ü L E R

I N D E U T S C H L A N DS E I T 1 9 9 8

M E I N P L A T Z I N K E M P E NU N S E R G A R T E N A M H Ü T T E R W E G

Daniela:„Ab und an wird man wegen der Hautfarbe mal für eine Jamaikanerin gehalten, andere denken zunächst, ich käme aus Afrika. Das ist mir aber ziemlich egal. Ich hab mich entschieden - nicht halb Deutsche und halb Brasilianerin - ich bin Deutsche. Und in Kempen zu Hause.“

Raphael: „Natürlich bekommst du auf dem Fußballplatz als Spieler mit dunkler Haut schon mal blöde Sprüche gedrückt – aber das sind nur Provokationen. Wenn man das begriffen hat, kann man damit umgehen, das abhaken.“

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Page 97: Mein Platz in Kempen

Rückblicke ihrer Mutter:

- Raphael steckte sich anfangs aus Angst vor Hunger intuitiv Butterbrote und Fleisch als heimlichen Vorrat in die Hosentaschen.

- Daniela hat nur langsam das in der Jugend verlorene Grundvertrauen aufbauen können: Wenn die Mutter sich beim Abholen vom Kindergarten um ein paar Minuten verspätete, hat Daniela gezittert vor Angst, wieder verlassen worden zu sein.

Daniela: „Doch, ich fühle mich integriert, habe meine Freundinnen. Ich bin nur selten - einmal mit meiner Tante in einem großen Kempener Sportgeschäft - links liegengelassen und nicht bedient worden, ganz offensichtlich wegen meiner Hautfarbe. Aber das war die absolute Ausnahme. Und meine Tante hat denen auch klar gesagt, was sie davon hält. Und was sie jetzt alles nicht bei ihnen kauft. Selber schuld.“

Interview MICHAEL PLUSCHKE

Daniela und Raphael haben die selbe Mutter - beide wurden von der Familie Rennes über „pro adept“ adoptiert und am 24.12.1998 aus einem Heim nach Kempen geholt und damit nicht nur aus dem materiellen Elend - ihre leibliche Mutter hatte sie in den Straßen Sao Paulos zurückgelassen - sie lebten zunächst als Straßenkinder, wurden dann aufgegriffen und kamen in ein Heim - beide sind Schüler an der Martinschule/Kempen - Danielas Berufswunsch: Hebamme / Raphael: Profifußballer oder Zahntechniker.

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Page 98: Mein Platz in Kempen

N A M E G E O R G V I O L O N C H I J O S E P H I N E V I O L O N C H I

H E R K U N F T S L A N D I R A N

G E B U R T S J A H R 1 9 4 3 & 1 9 5 6

B E R U FT E P P I C H F A C H M A N ND A T E N E R F A S S E R I N

I N D E U T S C H L A N DS E I T 1 9 6 8 & 1 9 8 2

„Wir haben uns von Anfang an hier wohlgefühlt, lebten ja auch in Persien als Europäer. Das hat von der Mentalität her sofort gepasst. Schon die Ordnung, das Geregelte, die Sicherheit - das passte alles total.“

„Meine Jungs sind hier nie schlecht behandelt worden, weil ihre Eltern nicht Deutsche sind - wirklich nie.“

„Ich träume Deutsch. Ich fluche Deutsch - und viele Begriffe sind von der Sprache her auf Deutsch auch wirklich einfacher als auf Assyrisch oder Persisch.“

Gruppenbild im 'Manythron':Georg und Josephine (Mitte) mit Sylvia und Ralf Violonchi, der Ehefrau und dem Sohn

seines verstorbenen Bruders Jacques.

M E I N P L A T Z I N K E M P E ND A S M A N Y T H R O N „Das 'Café Manythron', weil wir dort jahrzehntelang mit unseren beiden Söhnen Marcel (25) und Pierre (22) gewohnt und im selben Haus das Teppichgeschäft geführt haben.“

„Ich fühle mich hier in Kempen absolut zu Hause. Hier lebe ich, hier kennt man mich, ich gehöre hierher. Uns hat die Tatsache, dass wir Christen sind, hier natürlich total geholfen. Man war nicht völlig fremd wie ein Moslem oder ein Araber, der hier auf eine teilweise völlig fremde Welt und Kultur stößt.“

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Page 99: Mein Platz in Kempen

„Ich bin heute ein Fremder in Persien. Allein gehe ich dort nicht raus, nur in der Gruppe, versuche dann, nicht aufzufallen - da habe ich wirklich Angst. Persien? Ein Jammer zu sehen, dass mein Land so kaputt geht.“

„Wir gehörten auch im Iran als Christen eher zum abendländi-schen Kulturkreis, was früher kein Problem war, jetzt aber für die Christen im Iran ein massives Problem ist. Das ist furchtbar - Fanatismus, gleich welcher Art, ist immer furchtbar.“

Interview MICHAEL PLUSCHKE

Der Assyrer Georg Violonchi kam 1968 nach Deutschland, weil sein hier arbeitender Bruder Jacques Hilfe im Job brauchte - und dieser kam auch eher zufällig: in den 60ern auf einem Trip nach Holland, fand das Städtchen Kempen sympathisch und mietete leerstehende Geschäftsräume für ein Teppichgeschäft - die Eheleute sind praktizierende Katholiken und hatten schon den Erzbischof aus dem Iran in Kempen zu Besuch - die Verwandt-schaft lebt heute in den USA - er ist passionierter und sehr guter Liga-Tischtennisspieler (Oberliga, 2. Bundesiga), was das Einleben in Deutschland über den Sport aufgrund der vielen Kontakte nach eigener Aussage enorm erleichtert hat - beide Söhne sprechen Persisch.

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Manfred Joosten

52 Jahre alt,Dipl.- Verwaltungswirt,fotografiert seit 1980.

„Ich war natürlich neugierig auf die Menschen:Ob sich wohl genügend Männer und Frauen zur Teilnahme an diesem Projekt bereit erklären würden? Wie tolerant ist unsere Gesellschaft wirklich? Ist es leicht, sich als Ausländer zu „outen“? Ausländer zu sein und auch noch im Mittelpunkteiner Ausstellung zu stehen – manchmal bedurfte es schon einiger Überzeugungsarbeit, Teilnehmer zu gewinnen,die wir fotografieren wollten.“

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Page 101: Mein Platz in Kempen

Manfred Joosten

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Page 102: Mein Platz in Kempen

„Es ist schön hier. Glaube mir - es ist nirgendwo besser als in Deutschland.“

„Nach schweren Schicksalsschlägen bin ich extrem aufgefan-gen worden. Da bin ich tief gefallen. Ich trage meine Trauer immer in mir - aber ich muss nach vorne denken.Das Leben geht weiter. Ich habe Gott gebeten, mein Herz stärker zu machen. Du musst den Kopf freibekommen und da durch. Beten hilft mir.“

„Die Menschen in Afrika sind offener, hier in Europa ein bisschen verschlossener - aber nicht intolerant. Wenn du ein freundlicher Mensch bist und die Men-schen gut behandelst, bekommst du deinen Respekt. Ich habe immer Hilfe bekommen, wenn ich am Boden war und Trost gebraucht habe.“

„Ich bin gerne und viel auf dem Friedhof unterwegs,nah bei meinem Mann, der übrigens afrikanisch beerdigt werden wollte, und meinem Sohn. Ich spaziere über den Friedhof, lese auf den Grabsteinen und mache mir meine Gedanken. Ich bin ein echter 'Friedhof-Experte'.“

„Mein Herz ist in Kempen, nicht mehr in Afrika.Auch wenn ich ab und an traditionelle afrikanische Kleidung trage, in der Kirche und bei Festen - ich spüre ganz deutlich, dass ich in Afrika nur zu Gast bin, eine Fremde. Ich bin ganz hier in Kempen. Ich möchte hier beerdigt werden, in Kempen. Bei meinem Mann, meinem Sohn. Die Liebe ist das Größte im Leben.“

M E I N P L A T Z I N K E M P E ND E R K I N D E R G A R T E N „ M U L L E W A P P “

„ ...weil ich dort bei meiner Arbeit von den Kindern und den Bildern der Kinder inspiriert und umgeben werde, und mich dort auch bei meinenKollegen total aufgehoben fühle.“

N A M E E M E L I A D O N K O R - G L A T Z E L

H E R K U N F T S L A N D G H A N A

G E B U R T S J A H R 1 9 6 3

B E R U FR E I N I G U N G S K R A F T

I N D E U T S C H L A N DS E I T 1 9 8 5

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Page 103: Mein Platz in Kempen

Interview Michael Pluschke

Geboren wurde Emelia Donkor-Glatzel 1963 in Ghana - sie verließ Ghana mit 17 Jahren - wollte von der Familie weg, ein eigenes Leben leben - ging nach Nigeria und ist dort an den 'falschen Mann' geraten, bekam ein Kind - ist dann quasi geflohen, wollte nach London, was wegen Visum-Problemen nicht klappte, kam dadurch nach Deutschland und wohnte zunächst in Jever - beim Besuch einer Freundin in Krefeld hat sie ihren späteren, deutlich älteren Mann eher zufällig kennen gelernt, war glücklich, ist auch von dessen Familie perfekt aufgenommen und akzeptiert worden - man heiratete 1985, 1988 kam Nachwuchs - Emelia ist jetzt verwitwet und hat zwei erwachsene Söhne, ein dritter Sohn kam auf tragische Weise ums Leben.

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Page 104: Mein Platz in Kempen

N A M E A N T O N I O L I M O N C I N I

H E R K U N F T S L A N D I T A L I E N

G E B U R T S J A H R 1 9 3 8

B E R U FD R E H E R

I N D E U T S C H L A N DS E I T 1 9 6 1

„Als ich nicht länger in Osnabrück sein wollte, habe ich einfach gekündigt und bin in den Zug gestiegen. Ich wollte dort aussteigen, wo es mir gefiel - und da bin ich in Krefeld gelandet. Ohne eigentlich zu wissen, was auf mich zukam. Aber so bin ich nun mal... Als junger Mensch macht man sowas...“

M E I N P L A T Z I N K E M P E ND E R S T A D T T E I L H A G E L K R E U Z

„Als ich hierher kam, da war hier gar nix. Nur eine große Fläche auf einem Plan. Ich habe gesagt: 'Ich möchte ein eigenes Haus bauen'. Da durfte ich mir ein Grundstück aussuchen. Ich habe von niemandem Geld genommen - habe alles selbst erarbeitet. Und jetzt habe ich alles: ein Haus, ein Auto - ist schon gut so.“

„Italien ist nicht mehr so gewachsen im Laufe der Jahre - Deutschland ist absolut in Ordnung, wirtschaftlich, politisch - schon okay.“

„Wenn ich nach Italien komme, ruft die ganze Straße in mei-nem Heimatort: 'Hey, da ist Antonio, Antonio kommt.' Natürlich fahre ich immer wieder dorthin, meine Geschwister sind alle noch da, aber leben will ich dort nicht mehr.“

„Klar gab es am Anfang auch traurige Momente, manchmal hab ich auch geweint, das soll man ruhig zugeben, aber das habe ich stets überwunden. Tagsüber war ich lustig, kontaktfreudig, doch da war noch eine andere Seite in mir. Aber das interes-sierte niemanden, wie es in mir aussah. Also habe ich gelesen und gelernt, nachts unter der Bettdecke, damit ich meine Mitbewohner nicht störe. Ich wusste, ich muss Deutsch lernen, um weiterzukommen. Meistens lag es ja auch an mir selber, dass ich nicht richtig erklären konnte, was ich meinte, dass man mich nicht wirklich verstand...“

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Page 105: Mein Platz in Kempen

„Der Kempener ist wie ich: ein bisschen skeptisch, ein bisschen vorsichtig. Aber letztlich ist Kempen gut für Fremde. Hier wird man gerne aufgenom-men - aber man muss auch etwas mitbringen.“

Interview SABINE FEYEN

Antonio Limoncini wurde geboren 1938 in Campobasso/Süditalien - wuchs zusammen mit Eltern und vier Geschwistern in einer Kleinstadt in der Provinz Molise auf - um dem Wehrdienst zu entgehen verließ er Italien mit 23 Jahren und ging als Gastarbeiter nach Deutschland - zu-nächst nach Osnabrück, zwei Jahre später nach Kempen - bis zu seiner Rente arbeitete er bei einer Firma in Krefeld, zunächst als Dreher, nach einem Unfall, bei dem er seinen rechten Arm verlor, im Büro - zusammen mit seiner deutschen Ehefrau Dorothea hat er drei erwachsene Kin-der - Tochter Sandra ist mit dem Schriftsteller Jan Weiler verheiratet, den er zu den Bestsellern 'Maria, ihm schmeckt´s nicht' und 'Antonio im Wunderland' inspirierte.

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Page 106: Mein Platz in Kempen

N A M E G O R A N M I L O B A RV E S N A M I L O B A R

H E R K U N F T S L A N D K R O A T I E N & S E R B I E N

G E B U R T S J A H R 1 9 6 5 & 1 9 6 4

B E R U FU N T E R N E H M E RH A U S F R A U

I N D E U T S C H L A N DS E I T 1 9 9 2

Vesna: „Wenn du dich in Deutschland um Integration bemühst, triffst du auf Offenheit. Wenn du dich bemühst, auch mit der Spra-che, und lernen willst, dann lacht keiner.“ „Sagen wir mal so: Tomi war der erste, der diese Wand durchbrochen hat - die Mädchen hat-ten es danach leichter.“

„Wir haben beide den nationalen Konflikt in Ju-goslawien nie verstehen können - hier käme auch niemand auf die Idee, wegen der Besonderheiten der einzelnen Bundesländer einen Konflikt oder Krieg anzuzetteln.“

Vesna: „Mein Mann hat mich von vorn-herein gebeten, mich mit Deutschen zu umgeben, nicht die Nähe zu ehemaligen Landsleuten zu suchen: 'Da lernst du nichts', war sein Credo.“

Goran: „Wir leben hier in Deutsch-land - und da wollen wir nach der Musik tanzen, die hier gespielt wird.“

Goran: „Wenn du deine Heimat verlässt, musst du dich integrieren, eine neue Sprache lernen, eine neue Heimat gewinnen - sonst hast du ja nur einen Verlust erlebt: das Alte verloren, nichts Neues dazu gewon-nen.“

M E I N P L A T Z I N K E M P E NU N S E R H A U S & U N S E R G A R T E N „Unser Haus ist immer voller junger Leute, ein ständiges Kommen und Gehen, und das ist auch gut so.“

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Page 107: Mein Platz in Kempen

Interview MICHAEL PLUSCHKE

Goran und Vesna Milobar haben 1992 in der Krisensituation auf dem Balkan tatsächlich gewürfelt: in die USA gehen, nach Kanada oder doch in Eu-ropa bleiben? - Zufall also, dass man 1992 in Deutschland gelandet ist und zunächst vier Jahre 'Duldung' bekam - Gorans Mutter ist Deutsche, der kroatische Vater kam 1964 als Gastarbeiter nach Deutschland - sie beantragten kein Asyl, keine Sozialhilfe, sondern arbeiteten vom ersten Tag an, zeit-weise in zwei Jobs - erhielten dann vorübergehend beschränkte Aufenthaltserlaubnis - er ist selbständiger Unternehmer (Montage) und viel im Ausland unterwegs, sie gelernte Airport-Managerin - drei Kinder: Tomislav (18), Diana (16) und Melitta (13).

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Page 108: Mein Platz in Kempen

N A M E M O N I K A U N D E D W A R D W Y P C H L OS T E P H A N I E W Y P C H L O

H E R K U N F T S L A N D P O L E N

G E B U R T S J A H R 1 9 6 1 & 1 9 5 6 1 9 9 0

B E R U F B E T R I E B S W I R T I N & T E C H N I K E R S C H Ü L E R I N

I N D E U T S C H L A N DS E I T 1 9 8 3

U N S E R P L A T Z I N K E M P E ND E R G A R T E N

„Im Garten gewinnen wir Abstand zum Alltag. Wir entspannen und arbeiten dort, bauen etwa gerade eine Lichtanlage. Außerdem sind wir begeisterte Hobby-Fotografen. Unsere besten Aufnahmen sind im Garten entstanden.“

Edward: „Als 1981 in Polen das Kriegsrecht ausgerufen wurde, haben wir keine Zukunft dort gesehen. Mit dem Mauerfall und einem Ende des Kalten Krieges hat damals ja noch niemand ge-rechnet. Mit einer Ausreisegenehmigung für fünf Tage Madrid haben wir das Land verlassen, nur mit einer kleinen Tasche, und sind über zehn Jahre lang nicht zurückgekehrt.“

Edward: „Wir behalten den Kontakt zur polnischen Kultur durch Bücher, Filme und Zeitungen. Beim Sport halte ich auch immer zur polnischen Mannschaft. Meine Töchter drücken den Deutschen die Daumen, das ist der Unterschied zwischen den Generationen.“

Edward: „Zum Glück konnten wir an einem Sprachkurs für Studenten teilnehmen statt an dem vom Arbeitsamt. In unserem Kurs waren alle hochmotiviert, während viele den obligatorischen Kurs nur absitzen, um weiter Geld vom Staat zu beziehen.“

Monika: „In der ersten Zeit in Deutschland hatten wir sozusagen eine kulturelle Lücke: Aus Polen erfuhr man nichts, weil sich das Land abschottete, und die deutsche Sprache mussten wir erst lernen. Das war die schwie-rigste Zeit.“

Monika: „Unser Leben ist ein laufender Zufall. Auch der Um-zug von Krefeld nach Kempen war nicht akribisch geplant. Wir haben uns innerhalb weniger Wochen entschieden, hier ein Haus zu bauen; die vielen Vorteile der Stadt sind uns erst später aufgefallen.“

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Page 109: Mein Platz in Kempen

Stephanie: „Ich bin zweisprachig aufgewachsen, spreche Polnisch fast so gut wie Deutsch. Viele meiner Freunde, die auch polnische Wurzeln haben, können die Sprache trotzdem nicht, das finde ich schade.“

Interview SONJA BERNECKER

Die Eltern sind 1983 über Madrid nach Deutschland gekommen, die älteste Tochter (heute 26) kam acht Monate später nach - sie lebten zuerst in einem Flüchtlingslager bei Frankfurt/M., dann in Krefeld - seit 1992 in Kempen - Monika Wypchlo machte ein Sportstudium in Warschau, später dann in Deutschland eine Ausbildung zur 'staatlich geprüften Betriebswirtin' - Edward Wypchlo machte zunächst ein Technik-Studium in Warschau und wechselte danach an die Hochschule Niederrhein/Krefeld - Stephanie: LvD-Schülerin Jahrgang 12, spielt Handball.

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Page 110: Mein Platz in Kempen

N A M E G H A S S A N Y A S S I N

H E R K U N F T S L A N D L I B A N O N

G E B U R T S J A H R 1 9 5 6

B E R U FG A S T R O N O M

I N D E U T S C H L A N DS E I T 1 9 7 5

„Ich lebe zwischen zwei Kulturen, zwischen zwei Sprachen, zwischen zwei Heimaten. Hier bin ich der Ausländer, da der Exot. Das ist schon nicht einfach. Natürlich werde ich aufgrund meines Äußeren immer wieder gefragt, wo ich herkomme. Aber das ist nie feindlich, ich habe seit 35 Jahren hier absolut kein Problem damit gehabt.“

„Ich liebe meine Muttersprache, mein Arabisch. Sie ist in meinem Herz und ich beherrsche sie in allen Facetten.“

„Als Dichter in einer Frittenbude zu arbeiten - das ist für mich kein Problem. Ich bin frei, ein freier Mensch, mach' mein eigenes Ding. Das ist wichtig.“

„Ich glaube nicht, dass ich von meinen Büchern leben könnte. Sollte ich mit meinen Gedichten, mit meinen Büchern einmal Geld verdienen, geht das alles nach Palästina: an Kinder, Schulen, Waisenhäuser.“

„Ich halte mich permanent auf dem Laufenden, vor allem über arabische Radio- und Fernsehsender. Ich will aus erster Hand wissen, was zum Beispiel im Gaza-Streifen passiert.“

M E I N P L A T Z I N K E M P E ND E R I M B I S S A M K R E F E L D E R W E G

„Weil ich so lange darauf gewartet und hingearbeitet habe“.

„Ich fühle mich hier wohl, ganz klar, bin hier zu Hause, habe sehr viele Freunde hier, meine Familie. Was ich vermisse? Meine Familie dort. Meine Freunde dort - Freunde aus der Kind-heit, das ist was anderes. Meine Schulkameraden. Den Kaffee meiner Mutter, der riecht anders - das ist Heimat, das vermisse ich.“

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Page 111: Mein Platz in Kempen

„Heute könnte ich in den Libanon reisen, ich werde da nicht mehr verfolgt, das Regime ist ein anderes. Ich denke aber nicht, dass ich dorthin zurück gehen werde. Ich glaube eher nicht.“

Interview MICHAEL PLUSCHKE

Ghassan Yassin wurde geboren 1956 im Libanon - er ist gelernter Schweißer - lebt mit seiner Frau Ute (die er 1985 geheiratet hat) und den beiden Söhnen Samir (19) und Salim (13) in Kempen, er selbst hat seit 2007 einen deutschen Pass - musste 1975 aus politischen Gründen den Libanon ver-lassen, weil der Vater politisch aktiv war - seine Jugend und die Schulzeit im Libanon waren unbeschwert - nebenbei ist er heute als Intellektueller und Dichter an Universitäten und bei arabischen Kulturvereinen gefragt und liest als sehr politischer Mensch aus seinen Gedichten zur aktuellen politischen Lage, beispielsweise zur Situation im Gaza-Streifen, im Libanon, in Syrien, Afghanistan oder im Irak.

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Page 112: Mein Platz in Kempen

Dieter Lueb

65 Jahre alt,Elektro-Ingenieur i.R.,fotografiert seit 1960.

„Ich freue mich heute, wenn ich jemanden treffe, den ich fotografiert habe. Wir erkennen uns – wir begrüßen uns. Man kennt sich jetzt und das finde ich gut so.Nachdenklich hat mich gemacht, dass einige,die wir für das Projekt gewinnen wollten, sehr reserviert reagiert haben und offensichtlich nicht als ausländische Mitbürger in Erscheinung treten wollten.“

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Page 113: Mein Platz in Kempen

Dieter Lueb

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Page 114: Mein Platz in Kempen

N A M E E L L Y A A N DEN B O O M

H E R K U N F T S L A N D N I E D E R L A N D E

G E B U R T S J A H R 1 9 4 2

B E R U FR E I S E B Ü R O K A U F F R A U

I N D E U T S C H L A N DS E I T 1 9 6 8

„Wenn ich alt bin, will ich das Meer sehen.“

„Nach Kempen bin ich 1972 eigentlich wegen einer Umleitung gekommen. Die musste ich wegen einer Baustelle fahren und da fand ich es hier so toll, dass ich gleich nach einer Wohnung gesucht habe.“

M E I N P L A T Z I N K E M P E NK A P E L L E S T. P E T E R

„Eigentlich war es eine ganz spontane Idee, mich hier fotografieren zu lassen. Gut, ich habe auch hier geheiratet, aber eigentlich war da noch was anderes: St. Peter ist immerhin die älteste Kirche der Stadt und hat damit auch etwas Symbolhaftes. Hier liegt quasi der Grundstein von Kempen - hier hat alles begonnen. Ich mag diesen Ort: Er ist so typisch für die niederrheinische Landschaft.“

„Zwei Herzen schlagen in meiner Brust: Bin ich hier, will ich in die Niederlande. Bin ich dort, will ich nach Kempen. Im Winter gehöre ich nach Kempen - im Sommer ans Meer.“

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Page 115: Mein Platz in Kempen

„Wenn ich an St. Martin in Kempen bin und das Feuerwerk sehe, die vielen Kinder, dann habe ich einen Kloß im Hals, dann weiß ich: Das ist 'mein' Kempen.“

„Beim Fußball wird’s schwierig. Da sag ich immer: 'Wir gewinnen' - damit lieg' ich dann immer richtig.“

„Für den Kempener sind die Holländer keine Ausländer. Da gibt es eine sehr große Nähe, sowohl sprachlich als auch in der Mentalität.“

Interview SABINE FEYEN

Elly Aan den Boom wurde geboren 1942 in Vlissingen/Niederlande - ist der Liebe wegen nach Deutschland gekommen - in Kempen lernte sie ihren zweiten Ehemann kennen (einen ehem. Kempener Bürgermeister) - seit fünf Jahren ist sie offiziell Rentnerin, aber immer noch beruflich aktiv - sie hat fünf Geschwister, bis auf eine Schwester leben alle noch in den Niederlanden.

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Page 116: Mein Platz in Kempen

N A M E A M E R I C O P E D R O S A D A S I L V A M A R I A A M E L I A R I B E I R O L O P E S

H E R K U N F T S L A N D P O R T U G A L

G E B U R T S J A H R 1 9 6 4 & 1 9 6 6

B E R U FS T R A S S E N B A U E R & H A U S F R A U

I N D E U T S C H L A N DS E I T 1 9 9 5 & 1 9 9 6

U N S E R P L A T Z I N K E M P E ND E R G A R T E N U N S E R E S H A U S E S Americo & Maria: „Wir wollten fotografiert werden, wo wir uns wohl fühlen. Es war immer schon unser Traum, ein Haus zu haben - einen Garten. Und die Freunde sollten dabei sein - sie sind hier unsere Familie.“

Americo: „Meine Frau hat lange nicht geglaubt, dass ich wirklich nach Deutschland gehen würde. Noch 24 Stunden vor der Abfahrt hat sie gesagt: 'Du machst Witze'. Aber es war mir ernst - auch wenn ich am Anfang dachte, es ist nur für eine kurze Zeit. Am Telefon hat Maria viel geweint, jeden Tag hat sie mit einem anderen Argument versucht, mich zurückzuholen. Irgendwann hat sie gesagt: 'Entweder Du kommst nach Hause - oder ich komme nach Deutschland'. Dann ist sie gekommen.“

Americo: „Die ersten Jahre konnte ich überhaupt kein Deutsch sprechen. Ich konnte nicht mal Brötchen in der Bäckerei kaufen. Ich hatte nur portugiesische Arbeitskollegen, war im-mer nur mit Landsleuten zusammen. Dann kam ich in eine gemischte Kolonne - dann ging´s ganz schnell besser mit der Sprache. Heute kann ich mich ganz gut über die Arbeit unterhalten - bei anderen Themen ist es immer noch schwer.“

116

Page 117: Mein Platz in Kempen

Americo: „Am Anfang habe ich das portugiesische Essen sehr vermisst. Wenn ich in Portugal mittags nach Hause kam, stand da ein Riesentopf, in dem Suppe brodelte. Hier gibt es so was nicht. Klar, auch hier kann man gut essen, aber eben anders. Wir kochen immer noch jeden Tag portugiesisch.“

Maria: „Mir fehlt die Familie sehr - meine ganzen Geschwister, die in Portugal leben. Ich telefoniere täglich mit jemandem aus meiner Familie. Ich wäre glücklich, wenn sie alle hier wären. Hier haben wir nur wenige Freunde, aber das sind dafür echte Freunde.“

Maria: „Nein, in einer anderen Stadt in Deutschland möchte ich nicht leben - wenn ich umziehen müsste, würde ich zurück nach Portugal gehen.“

Interview SABINE FEYEN

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Beide sind geboren in der Nähe von Porto - Americo kam auf Werben einer Baufirma nach Kempen, nach einem Jahr folgte seine Ehefrau mit der damals 15 Monate alten Tochter - nach mehreren Umzügen lebt die Familie heute im eigenen Haus - die Tochter besucht die Kempener Realschule und ist eine erfolgreiche Schwimmerin.

Page 118: Mein Platz in Kempen

N A M E H A N N A J A C K I E W I C Z

H E R K U N F T S L A N D P O L E N

G E B U R T S J A H R 1 9 6 6

B E R U FR E I S E V E R K E H R S K A U F F R A U

I N D E U T S C H L A N DS E I T 1 9 8 5

„Ich habe Deutsch durchs Radio gelernt, durch Windelpackungen und Babybrei-Gläser. Man muss offen sein für eine Sprache, sich begeistern...Ich habe mir gesagt: Wenn du in diesem Land leben willst, musst du dich weiter-bilden.“

„Wir waren jung - und haben den 'Eisernen Vorhang' hautnah gespürt. Wir hatten Träume, wollten raus aus den Verhältnissen. Wenn man in Polen erfolgreich sein wollte, musste man sich an die Kommunisten verkaufen. Das wollten wir auf keinen Fall.“

M E I N P L A T Z I N K E M P E ND A S R E I S E B Ü R O A N D E R B U R G S T R A S S E

„Das Reisebüro ist schon ein großer Teil von mir - ich bin so viele Stunden am Tag hier. Reisen ist meine Welt, auch wenn ich es oft nur in Gedanken - für den Kunden - tue.“

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Foto: Sabine Hübner-Henninger

Page 119: Mein Platz in Kempen

„Im Osten hat man immer gedacht: Die im Westen sind viel weiter - die wurden ja durch nichts gebremst. Und dann habe ich schon große Augen gemacht, als ich merkte: frauen- und familien-rechtlich war es hier alles andere als fortschrittlich. Selbst meine Oma konnte arbeiten und hatte ihre Kinder versorgt - hier musste ich auf einen Kindergartenplatz für meinen Sohn warten.“

„Ich habe Deutschland lieben gelernt - auch wenn es Liebe auf den zweiten Blick war. Zurück nach Polen will ich nicht. Die Verhältnisse dort haben sich doch nur auf dem Papier geändert. Wenn ich in Polen zu Besuch bin, merke ich auch, wie sehr ich die kleinen Städte schätzen gelernt habe. In Warschau leben gerade ältere Menschen wie Hamster im Käfig. Die Stadt ist so schnell, da vergessen die Menschen sogar sich zu grüßen.“

Hanna Jackiewicz wurde geboren 1966 in Warschau - sie wanderte nach der Schule zusammen mit ihrem heutigen Ehemann aus, ihr Ziel waren eigentlich die USA, wo ein Onkel lebte, der jedoch krank wurde - zunächst ging sie nach Norddeutschland - heiratete 1986 und Sohn Daniel wurde geboren - danach Ausbildung in Hamburg - zog 1994 an den Niederrhein.

Interview SABINE FEYEN

119

Page 120: Mein Platz in Kempen

N A M E M A R I A N A N G E N H E I S T E R

H E R K U N F T S L A N D N I E D E R L A N D E

G E B U R T S J A H R 1 9 4 7

B E R U FK I N D E R K R A N K E N S C H W E S T E R

I N D E U T S C H L A N DS E I T 1 9 6 8

M E I N P L A T Z I N K E M P E ND E R W A S S E R T U R M

„Den Wasserturm übersieht man nicht. Wenn man an der Hülser Straße wohnt und kehrt heim, dann weiß man hier - jetzt ist man zu Hause.“

„Nein, Probleme als Ausländerin hatte ich nie. Sicher hat man es als Holländer auch leichter, da man schon in der Schule Deutsch gelernt hat. Außerdem fuhr man ja auch selbst nach Deutschland in Urlaub, traf die Deutschen umgekehrt an der holländischen See...Hinzu kam, dass ich von Anfang an versucht habe, mich zu integrieren und alles zu verstehen.“

„Am Anfang hatte ich schon Sehnsucht nach zu Hause - in den 60er Jahren war das Stadtbild von Kempen recht düster. Die Fassaden waren grau - es war alles so dunkel und auch die Leute waren mir fremd. Viele machten schon früh am Abend die Rolläden runter und vermittelten sehr deutlich: 'Bis hierhin und nicht weiter'. Es war schwierig aufgenommen zu werden - da war ich dann doch froh, ein holländisches Clübchen zu finden, in dem wir unsere Rituale leben konnten: Koninginnedag, Sintaklaas, dazu oranje Likeur... Doch, ich habe schon ganz gezielt Kontakt zu meinen Landsleuten gesucht. Später - auch durch die Kinder - wurde das anders. Da habe ich neue Kontakte gesucht: im Turnverein, bei den Pfadfindern...“

„Die Deutschen sind schon anders. Wenn man hier im Theater jemanden trifft, den man kennt, nickt man sich kaum spürbar zu - in Holland gibt es gleich ein großes 'Hallo'. Wir leben, um zu leben - da gibt es nicht so sehr Schein und Sein.“

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Page 121: Mein Platz in Kempen

„Heimat ist für mich da, wo ich lebe und wo es mir gut geht. Ich hab' in den letzten Jahren manches Mal gedacht: Irgendwann gehst du zurück... Dann aber habe ich hier soviel Herzlichkeit und Freundschaft erlebt - jetzt will ich hier bleiben. Wenn ich jetzt zurück-ginge hieße das, einen Baum zu verpflanzen, der doch ganz schön Wurzeln geschlagen hat.“

Interview SABINE FEYEN

Marian Angenheister wurde geboren 1947 in Venlo/NL - als 'Grenzgängerin' wuchs Marian Angenheister in Venlo auf, ging dort zur Schule - sie besuchte später für drei Jahre ein kirchliches Internat in Eindhoven, arbeitete in der Kinderkrankenpflege - 1964 lernte sie in Straelen ihren Mann (einen gebürtigen Kempener) kennen, sie heirateten 1967 - 1969 zogen sie gemeinsam in die Thomasstadt - das Paar bekam vier Söhne; heute ist Marian Angenheister Witwe und hat sechs Enkelkinder.

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Page 122: Mein Platz in Kempen

Michael Schäfer

50 Jahre alt,Dipl.-Kaufmann,fotografiert seit 20 Jahren.

„Es gab unmittelbar nach den Fototermineneinzelne Kontakte zu den Porträtierten,die jedoch nicht weitergeführt wurden.Da sehe ich auch noch eine Aufgabe in unseremProjekt: Möglichkeiten zu diskutieren,um weiterführende Kontakte, Bekanntschaftenbis hin zu Freundschaften möglich zu machen.“

122

Page 123: Mein Platz in Kempen

Michael Schäfer

123

Page 124: Mein Platz in Kempen

N A M E M A R I E - A N N E D E N N I E L O U - B Ü T T N E R

H E R K U N F T S L A N D F R A N K R E I C H

G E B U R T S J A H R 1 9 4 3

B E R U FD O L M E T S C H E R I N

I N D E U T S C H L A N DS E I T 1 9 6 7

„Ich habe ein kleines Stück Land mit einer Hütte in Frankreich, dorthin kann ich gehen, wenn nichts mehr geht - un pied-à-terre. Das ist ein gutes Gefühl - aber eigentlich will ich gar nicht un-bedingt. Mein Mann will nach Frankreich, dort sei es geologisch viel spannender als hier - aber ich will nicht, ich habe doch kaum noch Freunde dort.“

M E I N P L A T Z I N K E M P E ND I E B U R G „Das ist meine Arbeitsstelle - aber nicht nur das. Hier gehe ich gerne hin - hier gebe ich Kurse und Konzerte.“

„Kempen ist eine hübsche Stadt, aber eigentlich hänge ich nicht an Städten, sondern an den Menschen.“

„Ich habe alles zurückgelassen - meine Freunde, meine Familie, meinen Beruf - um diesem Mann hinterher zu reisen. Bei einem Besuch in Kiel habe ich mich aber auch in Deutschland verliebt: Das Land hat mich erobert. Hier war alles so viel stim-mungsvoller, leidenschaftlicher als zu Hause.“

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Foto: Annette Kretschmer

Page 125: Mein Platz in Kempen

„Mein Mann hat mir das Kochen beigebracht. Alle dachten immer: 'Sie ist doch Französin, sie muss doch kochen können'. Aber ich hab s nie gelernt - meine Mutter hasste Kochen. Heute kochen wir französisch, deutsch, aber auch italienisch und asiatisch.“

„Früher hatte man als Franzose ein gutes Ansehen. Die Leute hatten Interesse am Leben in Frankreich, an der Kultur, der Literatur, der Poesie - heute ist das nicht mehr so. Wir sind alle Europäer.“

Interview SABINE FEYEN

Marie-Anne Dennilou-Büttner wurde geboren 1943 im Senegal als letztes von fünf Kindern, der Vater war in der frz. Armee und ist 1946 beim Einsatz in Indochina ums Leben gekommen - sie kam dann nach einigen Jahren in der Bretagne in ein sehr strenges Internat für Armee-Waisenkinder nach Paris - suchte Zuflucht in Musik und Sport, Ausbildung zur Solistin - später Studium zur Sozialarbeiterin - sie hat zwei Kinder.

125

Page 126: Mein Platz in Kempen

N A M E J O S E F A F A A T Z

H E R K U N F T S L A N D B R A S I L I E N

G E B U R T S J A H R 1 9 5 0

B E R U F S O Z I A L A R B E I T E R I N

I N D E U T S C H L A N DS E I T 1 9 8 4

M E I N P L A T Z I N K E M P E NU N S E R G A R T E N „In diesem Garten steckt ganz viel Leben von uns - wir haben ihn gemeinsam mit den Kindern angelegt. Das ist unser Platz der Erholung.“

„Am Anfang hatte ich schon große Probleme, auch sprachliche. Mein Mann war beruflich viel unterwegs. Mit den Kindern habe ich nur Deutsch gesprochen - ich musste es ja selbst lernen, musste zurechtkommen. Das war schwer am Anfang.“

„Ich bin sehr gläubig, sonst hätte ich diesen Schritt nie gewagt - es ist Gottes Plan, dass ich hier bin.“

„Warum sollte ich zurück nach Brasilien? Dort gibt es soviel Kriminalität - wenn ich dort zu Besuch bin, spüre ich Unsicherheit, Angst. Was einen bindet, ist doch die Familie - und die ist hier.“

„Ich war eine erwachsene Frau, als ich meine Heimat verlassen habe. Ich habe diese Entscheidung mit allen Konsequenzen getroffen. Heute bin ich glücklich mit meinem Leben. Natürlich gibt es auch schon mal Probleme - wer hat die nicht?“

126

Page 127: Mein Platz in Kempen

„Man kann und darf nicht immer vergleichen - dann tut man Unrecht. Es ist ja auch sinnlos.“

Interview SABINE FEYEN

Josefa Faatz wurde geboren 1950 in Vitoria de Santo Antao/Brasilien - nach verschiedenen Ausbildungen, unter anderem als Grundschullehrerin und Buchhalterin, Studium an der Universität von Recife (Religion, Pädagogik) - betreute Familien in den Slums von Fortaleza - dort lernte sie ihren deutschen Mann Klaus kennen, der das Projekt aus der Heimat unterstützte - drei erwachsene Söhne - Mitglied im Marburger Kreis, einem Netzwerk engagierter Christen verschiedener Konfessionen - sie betreibt zudem einen kleinen Weinladen.

127

Page 128: Mein Platz in Kempen

N A M E A N D R E A S S C H M I D T

H E R K U N F T S L A N D K A S A C H S T A N

G E B U R T S J A H R 1 9 8 6

B E R U FI N D U S T R I E K A U F M A N N

I N D E U T S C H L A N DS E I T 1 9 9 5

„Meine Kinder sollen mal beide Sprachen lernen, das ist mir wichtig. Zu Hause mixen wir gerne, wenn uns der passende Ausdruck in der jewei-ligen Sprache nicht einfällt, wechseln wir einfach in die andere.“

M E I N P L A T Z I N K E M P E ND E R F U S S B A L L P L A T Z D E R B E R U F S S C H U L E

„Früher hab ich viel Fußball gespielt, dann 'ne ganze Weile nicht mehr. Da waren Partys und Ausgehen wichtiger. Aber seit zwei Jahren spiele ich wieder mit Freunden: mit Italienern, Türken, Russen und Deutschen. Hier treffen wir uns, spielen und reden über das, was war und das, was kommt...“

„Nationalitätsbewusstsein ist schon wichtig, aber ich lebe seit 13 Jahren hier... In Russland waren wir Deutsche, hier waren wir Russen - schon komisch... Aber irgendwie ist beides in mir - da konnte ich bei der EM für beide jubeln.“

„Heimweh hab' ich eigentlich nie gehabt - hab' mich gar nicht darum ge-kümmert, Heimweh zu haben. Nach Russland habe ich kaum noch Kontakt. Alle Verwandten leben hier, vielleicht haben meine Eltern noch ein paar Freunde dort...“

„Als wir nach Deutschland kamen, war ich acht Jahre alt - da habe ich gar nicht richtig realisiert, dass wir viel-leicht nie wieder zurückgehen würden. Ich bin schnell aufgenommen worden, auch durch den Fußball, da war man schnell integriert. Gut war auch, dass ich in eine Klasse kam, in der fast nur Deutsche waren. Da war ich gezwungen, die Sprache so schnell wie möglich zu lernen.“

128

Page 129: Mein Platz in Kempen

„Kempen ist ne tolle Stadt, nicht zu groß und nicht zu klein, und die Leute sind nett. Die nächsten Jahre bleibe ich bestimmt hier - vielleicht sogar für immer - mal sehen...“

„Nationalitätsbewusstsein ist schon wichtig, aber ich lebe seit 13 Jahren hier... In Russland waren wir Deutsche, hier waren wir Russen - schon komisch... Aber irgendwie ist beides in mir - da konnte ich bei der EM für beide jubeln.“

Interview SABINE FEYEN

Geboren wurde Andreas Schmidt 1986 in Tonkeris/Kasachstan - er kam als Kind mit den Eltern zunächst über Unna nach Kempen - nach einem halben Jahr in einer Übergangsunterkunft bezog die Familie, zu der noch ein älterer Bruder gehört, die eigene Wohnung - nach Grund- und Realschule machte er sein Fachabitur an der Höheren Handelsschule.

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Page 130: Mein Platz in Kempen

N A M E C H R I S T O S T I R B A K I S K O N S T A N D I N O S T I R B A K I S

H E R K U N F T S L A N D G R I E C H E N L A N D

G E B U R T S J A H R 1 9 9 1 & 1 9 9 2

B E R U FS C H Ü L E R

I N D E U T S C H L A N DS E I T D E R G E B U R T

M E I N P L A T Z I N K E M P E ND E R B O X C L U B

„Wir sind oft hier im Box-Club. Drei-, viermal die Woche. Es ist toll, sich fit zu machen, sich auf Kämpfe vorzubereiten. Wir würden gerne weiterkommen, große Kämpfe boxen. Vielleicht auch international.“

Christos: „Ich kann mir gut vorstellen, in Griechenland zu leben. Da ist das Klima besser, die Leute sind gelassener, nicht so gestresst - die gehen die Sachen ganz anders an. Irgendwann gehe ich bestimmt dahin, wann weiß ich noch nicht.“

130

Page 131: Mein Platz in Kempen

Konstandinos: „Es wäre schön, wenn hier mehr Griechen leben würden. Mit denen könnte man sich treffen, erzählen, die eigene Sprache sprechen.“

Interview SABINE FEYEN

Beide sind geboren in Kempen - Christos möchte gerne studieren und Rechtsanwalt werden, sein Bruder ist noch unsicher, denkt über eine Ausbil-dung als KFZ-Mechatroniker nach - ihre Eltern (beide Griechen) lernten sich in Deutschland kennen - die Schüler sind oft in Griechenland, haben dort viele Verwandte und Freunde.

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Page 132: Mein Platz in Kempen

Sabine Hübner-Henninger

45 Jahre alt,Diplom-Kauffrau,fotografiert seit ca. 15 Jahren.

„Am meisten hat mich die Begegnung miteiner jungen Libanesin beeindruckt. Mit welcher Kraft sie ihre Lebenssituation meistert, wie fröhlich sie das Leben sieht und wie selbstverständlich sie auch schwer verständliche Dinge in ihrer eigenen Erziehung akzeptiert – Wahnsinn. Auch der Besuch bei einem Polen war erstaunlich.Er hat sich in seiner Wohnung mitten in der Neuen Stadt eine asiatische Welt geschaffen.Alle Türen stehen offen und jeder kann jederzeit die Wohnung betreten – das habe ich nicht erwartet und hat mir die Sprache verschlagen.“

132

Page 133: Mein Platz in Kempen

Sabine Hübner- Henninger

133

Page 134: Mein Platz in Kempen

N A M E K A D I A D J A N A

H E R K U N F T S L A N D T O G O

G E B U R T S J A H R 1 9 7 5

B E R U FH A U S F R A U

I N D E U T S C H L A N DS E I T 2 0 0 3

„Ich war noch nicht lange hier, da hat mich meine Betreuerin ins Haus Wiesengrund mitgenommen - zu den alten Menschen. Am Anfang haben einige schon komisch geguckt, waren miss-trauisch. Aber ich habe mir gesagt: ’Auch wenn du mich nicht magst, werde ich dich grüßen - immer wieder - irgendwann wirst du mich mögen... ‘Heute sind es dort alles meine Freunde - ich liebe die alten Menschen, kann mit ihnen viel mehr anfangen als mit den jungen.“

„Man weiß nie, was später kommt. Aber ich habe ganz viele Schutzengel - die passen auf. Monika ist einer von ihnen - sie passt auf die Kinder auf und wir lieben sie alle.“

„Mal koche ich deutsch, mal afrikanisch. Mein Adoptivvater hat mir beigebracht, Reibekuchen zu machen, oder Bratkartoffeln und Gulasch - lecker. Nur backen kann ich leider nicht.“

M E I N P L A T Z I N K E M P E NU N S E R E W O H N U N G

„Ich lebe zu Hause - hier verbringe ich die meiste Zeit. Sicher, manchmal bin ich auch auf dem Spielplatz oder einkaufen, aber meistens bin ich zu Hause. Hier kann ich auch am besten über alles nachdenken, über die Kinder, über die Zukunft.“

134

Page 135: Mein Platz in Kempen

„Es gibt einen Gott und vor dem sind alle gleich. Die Nationalität ist doch egal, wir sind alle gleich - nur die Haut ist eben anders. Es gibt immer Leute, die anders denken, aber die haben doch keine Ahnung.“

„Man muss im Leben verzeihen können. Wenn einem was Schlim-mes passiert, muss man das vergessen und nach vorne sehen.“

Interview SABINE FEYEN

Kadi Adjana wurde geboren 1975 in Lomé/Togo - kam mit 28 Jahren alleine nach Deutschland - nach einem Aufenthalt in der Zentralen Unter-bringungseinrichtung in Schöppingen lebte sie zunächst im Asylbewerberheim in Kempen - ein deutsches Ehepaar adoptierte die junge Frau - ihren Ehemann, ebenfalls aus Togo, lernte Kadi durch Zufall am Kempener Bahnhof kennen, mit ihm lebt sie nun in der gemeinsamen Wohnung - das Paar hat zwei kleine Söhne, in diesen Wochen (März/April) sollen Zwillinge zur Welt kommen.

135

Page 136: Mein Platz in Kempen

N A M E D R. W O Y C I E C H C Z E R W I N S K I

H E R K U N F T S L A N D P O L E N

G E B U R T S J A H R 1 9 5 1

B E R U FC H E M I K E R

I N D E U T S C H L A N DS E I T 1 9 8 0

„In der Studienzeit hatte ich schon häufiger mal Heimweh nach Polen, aber dann hat der Alltag, der Beruf das überdeckt. Ganz Europa entwickelt sich ja irgendwie zur Heimat.“

M E I N P L A T Z I N K E M P E ND I E F U S S G Ä N G E R Z O N E „Hier fahre ich jeden Tag mit dem Fahrrad entlang - keine andere Strecke fahre ich häufiger, unabhängig von Jahreszeit oder Wetter. Und immer um die gleiche Zeit, im 12-Stunden-Rhythmus. Irgendwie hänge ich an dieser Route - es sind schöne Ecken der Stadt Kempen, aber auch ein gutes Stück meines Lebenslaufes...“

Woyciech Czerwinski wurde geboren 1951 in Krakau - nach dem Abitur Chemie-Studium in Krakau, später in Merseburg bei Halle a.d.Saale, er promovierte in Darmstadt - arbeitete dort bis 1994, ging dann für vier Jahre nach Hamburg - wegen Job-Verlust Rückkehr nach Krakau - er ist seit 2000 in Kempen, beschäftigt als Chemiker in Straelen - als Zeichner und Cartoonist „Humorix“ nimmt er Alltagsgeschichten liebevoll unter die Lupe und aufs Korn - er ist verheiratet und Vater von zwei Söhnen.

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Page 137: Mein Platz in Kempen

„Wichtig ist doch eine gemeinsame Welt - weni-ger die Nationalität. In Krakau hatten wir litauische Freunde, in Ham-burg deutsche, russische, polnische, in Darmstadt chinesische, in Kempen norwegische. Es ist doch egal, woher man kommt, es kommt auf den Menschen an sich an.“

„Ein Kollege hat mich auf Kempen aufmerksam gemacht. Uns war wichtig: Wo sind gute Schulen, eine gute Verkehrsanbindung, gute Infrastruktur? Dann hat aber auch der Charme des Alten auf uns gewirkt - diese fantastischen Spuren des Mittelalters spürt man überall. Und wir sind sehr warmherzig aufgenommen worden. Ich kann Kempen nur empfehlen - es ist das absolut beste für Menschen mit Familie.“

Interview SABINE FEYEN

137

Foto: Dieter Lueb

Page 138: Mein Platz in Kempen

N A M E B R U N O P I E R L I N G

H E R K U N F T S L A N D P O L E N

G E B U R T S J A H R 1 9 6 1

B E R U FS T U C K A T E U R I N D E U T S C H L A N DS E I T 1 9 8 8

„Heimat ist, wo ich bin - egal, ob in Afrika, Asien, Polen oder Deutschland. Natürlich spürt man, wo man geboren ist - da ist Substanz: das Temperament, der Akzent vielleicht oder anderes.“

M E I N P L A T Z I N K E M P E NM E I N H A U S „Von Jugend an hatte ich Asien in meiner Seele. Ich brauche keine klassischen Räume: Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche...In diesem Raum lebe ich, empfange Freunde und manchmal schlafe ich auch hier.“

„Ich war 27, als ich weg wollte aus Polen. Ich war unzufrieden. Vor allem als Künstler beschäftigte man sich mit Themen, die man dort nicht wirklich ausleben konnte. Man konnte sich bewegen, ja - aber nur innerhalb des Ostblocks. Ich aber wollte mehr kennenlernen. Weil ich Menschen im Westen kannte, wurde ich eingeladen und blieb.“

Bruno Pierling kam über Friedland und Unna-Massen nach Neuss-Holzheim, wo eine Tante lebte - lernte dort seine Frau kennen - seit 1992 in Kempen - aus dem Berufswunsch Restaurator wurde die Tätigkeit des Stuckateurs, daneben als Maler und Bildhauer aktiv, zunächst in Kempen, später einige Jahre in Kevelaer - betreibt in Kempen eine Aikido-Schule - er ist verheiratet und hat vier erwachsene Kinder.

138

Foto: Dieter Lueb

Page 139: Mein Platz in Kempen

„Aikido wird mich immer be-gleiten - bis ans Ende. Bilder und Skulpturen haben zwei Dimensionen, Aikido hat drei: Die Bewegung, die dreidi-mensionale Körpersprache hat mich fasziniert. Es ist mehr als ein Kampfsport: Man arbei-tet hart und erreicht dadurch Entspannung. Ständig eröffnen sich neue Facetten, der Mensch entwickelt sich, nimmt Dinge mit in sein Leben.“

„Weggehen? Nein, ich habe doch die Aikido-Schule. Ich habe Verantwortung übernommen, eine Verpflichtung. Ich kann doch nicht einfach sagen 'ich bin weg' - und gehen.“

Interview SABINE FEYEN

139

Page 140: Mein Platz in Kempen

N A M E C L A U D I O K U R T E Z I

H E R K U N F T S L A N D A L B A N I E N

G E B U R T S J A H R 1 9 9 7

B E R U FS C H Ü L E R

I N D E U T S C H L A N DS E I T 2 0 0 1

M E I N P L A T Z I N K E M P E ND E R S P O R T P L A T Z I N T Ö N I S B E R G

„Ich hab´ eigentlich schon immer Fußball gespielt, aber seit der WM 2006 bin ich ein Fußball-Verrückter. Was ich mal werden will? Fußballer natürlich...“

„Am Anfang war hier alles neu für mich - ich konnte die Sprache ja nicht. Da wollte auch keiner mit mir spielen. Aber ich habe die Sprache schnell gelernt und jetzt habe ich viele Freunde, von der alten und von der neuen Schule. Die Kinder sind sehr nett zu mir - doch, ich kann schon sagen, ich bin beliebt...“

„An meine alte Heimat kann ich mich kaum erinnern, da war ich noch sehr klein. Meine Eltern haben immer Deutsch mit mir gesprochen - um mich herum wurde immer Deutsch gesprochen - eigentlich kann ich kaum noch Albanisch -ich verstehe vieles, aber sprechen...?“

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Page 141: Mein Platz in Kempen

Claudios Mutter: „Am Anfang haben wir schon ein bisschen auch unsere alten Rituale aus der Heimat gepflegt. Aber wir waren ja immer unter uns - hatten keine große Familie, keine Landsleute, mit denen wir das teilen konnten. Heute leben wir ganz die deutschen Feste.“

Interview SABINE FEYEN

Claudio wurde geboren am 4.8.1997 in Korce/Albanien - seine Eltern sind mit ihrem damals dreijährigen Sohn vor den politischen Verhältnissen ihres Landes nach Deutschland geflohen - nach einem Aufenthalt in der Zentralen Unterbringungseinrichtung in Schöppingen kam die Familie nach Kempen, lebte fast sieben Jahre lang im Asylbewerberheim - erst seit kurzem haben alle eine langfristige Aufenthaltsgenehmigung und konnten eine eigene Wohnung beziehen - Klaudio besucht das Gymnasium Thomaeum und hat einen dreijährigen Bruder.

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Fotos (2): Dieter Lueb

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N A M E S A B A H S E M M O

H E R K U N F T S L A N D L I B A N O N

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B E R U FH A U S F R A U

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M E I N P L A T Z I N K E M P E ND E R B U R G G R A B E N

„Hier stand früher ein Mirabellenbaum. Da bin ich immer mit meiner Freundin Heidi und meinen Kindern hingegangen. Ich habe einen Teppich mitgenommen und Essen, dann haben wir hier viele Stunden verbracht. Bei Regen haben wir unter den Mauerbögen Schutz gesucht - wie in einem großen Palast.“

„Der Libanon ist heute ein fremdes Land für mich - ich kenne dort niemanden mehr. Die Familien sind durch den Krieg geteilt. Aber wenn ich könnte, würde ich noch einmal in meine Heimat reisen - einfach um zu sehen, wie es dort heute aussieht. Man hat mir erzählt: Wo einmal unser Haus stand, ist heute ein Fußballplatz.“

„Es war so schrecklich zu Hause - jeden Tag fielen Bomben, jeden Tag starben Kinder auf den Straßen. Ich konnte nicht mehr schlafen, habe jeden Tag geweint. Da habe ich zu meinem Mann gesagt: 'Egal was passiert - ich gehe weg'.“

„Ich möchte nirgendwo sonst als in Kempen leben. Mein Mann wollte immer woanders hin - nach Essen oder Mülheim - aber ich wollte bleiben, weiß auch nicht, warum.“

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Foto: Dieter Lueb

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„Um meine Kinder mache ich mir Sorgen. Nur zwei haben einen deutschen Pass - einige keine Arbeit. Mit den Behörden ist es so schwer - vieles ist ungerecht. Wegen der Kriegswirren sind viele Papiere einfach nicht mehr da, aber wir haben keine Chance. Sechs meiner Kinder sind doch hier geboren - die kennen den Libanon ja nicht einmal. Und dennoch bekommen sie keinen deutschen Pass.“

„Der liebe Gott hat uns immer liebe Menschen ge-schickt, die sich um uns gekümmert haben. Eine Nonne aus Mülhausen zum Beispiel hat mit mir die Sprache geübt. Sie hat Dinge aus Zeitungen ausgeschnitten und die Namen darunter geschrieben - so habe ich gelernt.“

Sabah Semmo wurde geboren 1962 in Beirut/Libanon - sie floh im Alter von 18 Jahren mit ihrem Mann und zwei Kindern - bekam ein Visum über die DDR-Botschaft in Syrien - über Ost- und West-Berlin, Unna-Massen und Oedt gelangte sie nach Kempen - sie ist Mutter von acht Kindern.

Interview SABINE FEYEN

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Annette Kretschmer

43 Jahre alt,Unternehmerin,fotografiert seit 20 Jahren.

„Mir war gar nicht bewusst, wie viele 'ausländische Mitbürger' zu meinem Leben gehören, da ich sie gar nicht als solchewahrgenommen habe. Für mich gehörten sie einfach dazu. Mir ist noch bewusster geworden, dass das Charisma eines Menschen von der Nationalität unabhängig ist.Viel entscheidender sind der individuelle Lebensweg und die Kraft und Fähigkeit, ihn zu meistern.“

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Annette Kretschmer

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N A M E S E Y H A N A L K A N

H E R K U N F T S L A N D T Ü R K E I

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B E R U FG A S T R O N O M

I N D E U T S C H L A N DS E I T 1 9 7 6

M E I N P L A T Z I N K E M P E ND A S R E S T A U R A N T E L A „Die Leute identifizieren mich mit dem Laden - hier erkennen sie mich wieder...Außerdem bin ich ja fast immer hier.“

„In Großstädten fühlen wir uns verloren, hier - das spüren wir - gehören wir hin. Das Kleinstadtleben gefällt uns sehr. Ob ich zurück in die Türkei möchte? Manchmal schon... Ganz trennen kann man sich ja doch nicht - da sind Kindheitsträume... Aber irgendwie ist es auch Illusion: Wir haben ja auch die Mentalität von hier angenommen. Ich denke, wir hätten Schwierigkeiten zurückzukehren und uns dort wieder einzufügen.“

„Meine Eltern leben auch hier, sie können ja gar nicht zurück: Die Kinder und Enkelkinder sind alle hier. Wenn sie in die Türkei reisen, denke ich immer: Warum bleiben sie nicht mal länger dort? Ich würde länger bleiben. Aber sie kommen immer zurück - zu ihrer Familie.“

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„Die Reise nach Deutschland war sehr aufregend: Wir sind mit dem Auto durch verschiedene Länder gefahren, das fand ich eher interessant als traurig. Als Kind empfindet man das ja nicht so sehr...“

„Wir haben noch viele Kontakte in die Türkei: Freunde, Cousins und Cou-sinen leben dort. Aber das wird von Generation zu Generation weniger - die Kinder meiner Cousine kenne ich kaum noch. Dazu sind die Entfernungen einfach zu groß.“

„Ich hatte wenig Probleme - als Kind ist man kommunikations-freudig, knüpft schnell Kontakte. Die Sprache hab ich schnell gelernt - anders als die Eltern. Sie sprechen nur wenig Deutsch, leben sehr zurückgezogen.“

Interview SABINE FEYEN

Geboren wurde Seyhan Alkan 1969 in Yayladagi/Süd-Türkei - zusammen mit Mutter, Bruder und Schwester ist er dem Vater gefolgt, der bereits seit drei Jahren als Gastarbeiter in Deutschland lebte und arbeitete - er wohnte zunächst in Düsseldorf und zog 1977 nach Krefeld um - absolvierte dort alle Schulen bis hin zum Fachabitur - 1994 zog er auf Bitten des Onkels nach Kempen, um diesen in der Gastronomie zu unterstützen - er besitzt heute ein eigenes Lokal an der Ellenstraße.

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N A M E B O D J O N A M B A T A B A

H E R K U N F T S L A N D T O G O

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B E R U FK A M P F S P O R T T R A I N E R I N D E U T S C H L A N DS E I T 2 0 0 2

„Die Anfangszeit hier war hart. Togo - Deutschland, das ist schon ein Kulturschock. Ein Freund in Leverkusen, er stammt auch aus Togo, sagte mal zu mir, dass hier irgendwie alles 'andersrum' läuft. Statt von rechts nach links halt von links nach rechts. Und das trifft es irgendwie: Alles ist wie seitenverkehrt. Damit muss man erst mal klarkommen. Ich komm’ jetzt klar. Aber einfach war das nicht.“

„Ich lebe hier, fühle mich wohl, habe Spaß an meiner Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen.“

M E I N P L A T Z I N K E M P E ND E R B A H N H O F

„ ...als Beispiel für die von mir hochgeschätzte Architektur und dauerhafte deutsche Bauweise, die ich schon in Togo bewundert habe: Werftbauten aus der deutschen Kolonialzeit in Togo stehen heute immer noch.“

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„Ich komme mit den meisten Menschen gut klar. Wenn man mich aufgrund meiner Hautfarbe, meines Ausländerseins beleidigt - da hilft mir mein Kampfsport, mich zu beherrschen, mich zurück-zunehmen, souverän zu sein. Das kommt vor, aber das macht mir nichts aus. Aber körperlich attackieren sollte man mich besser nicht. Dann ist Schluss, das ist die Grenze.“

Interview MICHAEL PLUSCHKE

'Joe' Bataba kam 2002 nach der nie geklärten Ermordung seines Vaters (einem Ingenieur) nach Deutschland - musste Togo verlassen, da er aufgrund seiner Stellung beim Militär und den verbotenen Auslandskontakten zum Sicherheitsrisiko für den Staat geworden und selbst nicht mehr sicher war - hatte sich nach dem Abitur dem Wunsch des Vaters (er sollte studieren und 'was Anständiges' lernen) widersetzt, seine Hobbys zum Beruf und zunächst eine Ausbildung zum Detektiv in Benin gemacht - er ging danach zur togolesischen Armee, arbeitete schließlich vor seiner Flucht nach Deutschland in der zentralen Ausbildungseinheit der Armee als Ausbilder - ist heute als Taekwondo-Jugendtrainer in Kempen tätig.

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N A M E S E B A S T I A N J A M E S

H E R K U N F T S L A N D I N D I E N

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B E R U FM A S C H I N E N F Ü H R E R

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„Die ersten Jahre waren schwer: Ich durfte nicht arbeiten, habe mich zurückgezogen, hatte kaum Kontakte. Da habe ich mich als Fremder gefühlt. Ich bin Asiat und wir sind nicht so offen - als Europäer wäre es vielleicht einfacher gewesen. Später, als ich meine Arbeit hatte, habe ich Selbstbewusstsein bekommen, da habe ich mich wohl gefühlt.“

M E I N P L A T Z I N K E M P E ND I E W I E S E N U N D F E L D E R R U N D U M K E M P E N

„Wo ich herkomme, sind überall Reisfelder. Wenn ich jetzt mit dem Fahrrad hier durch die Felder fahre, durch Mais- oder Kornfelder, dann sind das in meinem Herzen die Reisfelder meiner Heimat.“

„Ich bin oft von indischen Freunden in Köln oder anderen Städten gefragt worden, ob ich nicht dorthin ziehen will. Aber zugleich haben alle, die mich besucht haben, gesagt: 'Hier ist es so schön'. Da dachte ich: Wenn alle so begeistert sind, dann brauch ich doch auch nicht wegzugehen.“

„Ich bin gläubiger Katholik, deshalb kannte ich Thomas a Kempis - ich habe aber nie gewusst, warum er so heißt. Als ich am Thomas-Denkmal stand, da wusste ich: Ich bin in der richtigen Stadt.“

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„Viele Landsleute haben geglaubt, wir würden zurückkommen - ein bisschen Geld verdienen und dann zurückkommen. Aber die Kinder sind hier aufgewachsen, sie fühlen sich wohl und haben hier eine bessere Zukunft. Das Wohl unserer Kinder ist das Allerwichtigste und jetzt weiß ich: Die Entscheidung war richtig.“

Interview SABINE FEYEN

Sebastian James wurde geboren 1952 in Kanichukulam/Süd-Indien - seine Ehefrau kam 1975 als Gastarbeiterin (Krankenschwester im Hospital zum Hl. Geist) nach Deutschland - er folgte 1981 und hätte gerne in seinem erlernten Beruf als Medizinisch-Technischer Assistent gearbeitet - fing deshalb mangels Möglichkeit 1985 bei einer Kempener Firma als Maschinenführer an - er hat drei Töchter - Hobbys: Radfahren, Musik, Politik - er schreibt für eine indische Zeitschrift über erfolgreiche Landsleute im Ausland.

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B E R U FD R U C K E R

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M E I N P L A T Z I N K E M P E NT U R N H A L L E W A C H T E N D O N K E R S T R A S S E

„Sport ist die beste Möglichkeit, eine multi-kulturelle Gesellschaft zu leben. Sport hat mir den Weg gezeigt zur Integration. Sport kennt keine Grenzen. Sport spricht alle Sprachen.“

„Seit 21 Jahren betreibe ich Kampfsport: Boxen, Karate, Taekwondo, ich war Nationaltrainer und Olympia-Coach. Als ich 2003 in Hanno-ver Weltmeister wurde, wollte ich die Flagge von Kamerun nicht tragen. Ich wusste doch gar nicht mehr, auf welcher Seite ich stand. Das haben mir die Medien in der Heimat sehr übel genommen, ich wurde als Verräter tituliert und meine Frau ganz massiv unter Druck gesetzt. Immer wieder wurde sie verhört - gefragt, ob wir noch Kontakt hätten. Mithilfe von Freunden gelang es ihr, mit unserer Tochter zu fliehen. Unsere Söhne musste sie zurücklassen, es wäre zu gefährlich gewesen, sie mitzunehmen. Darunter leiden wir sehr - sie ganz beson-ders.“

„Nein, nach Kamerun zurückkehren will ich nicht. Ich habe dort zwar einen großen Teil meines Lebens verbracht, aber in einem Land der Unterdrückung und der Ungerechtigkeit kann ich nicht leben.Wenn sich das politische System ändert, kann ich Kamerun vielleicht als Urlaubsland besuchen, aber ich kann nicht meine Familie hierher holen und dann später sagen: 'Jetzt gehen wir zurück'. Meine Tochter hat hier Freunde - ich muss ihr doch die Chance geben, eine Heimat zu finden.“

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„In Kempen bin ich zu Hause. Ich fühle mich integriert - und integriere durch meine Trainerarbeit auch andere. Ich weiß, was es heißt, das 'Ausländergefühl' zu haben - das Gefühl, nicht dazuzugehören.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, woanders zu leben, wegzugehen aus einer Stadt, die mir soviel gegeben hat. Ich will ein wenig davon zurückgeben.Mit dem, was ich kann, was ich bin, was ich habe: meinen Erfahrungen.“

„Kempen ist eine nette Stadt - so klein wie mein Geburtsort. In einer kleinen Stadt kann man 'Mitgefühl' mit Menschen haben. Man bekommt mit, was sie tun, wie es ihnen geht- das geht in einer großen Stadt nicht.Hier habe ich mein Lächeln wiedergefunden... Ich hatte es schon verloren...“

Interview SABINE FEYEN

Als Waisenkind wurde Christian Eloundou von einem Priester aufgenommen, absolvierte die Schule und ein Studium der Elektrotechnik - er besaß eine eigene Druckerei, war Geschäftsmann - Ehemann und Vater von zwei Söhnen und einer Tochter - wegen seines Engagements in Menschen-rechtsgruppen wurde er politisch verfolgt, entkam seiner Festnahme durch Flucht nach Europa - zunächst in die Niederlande, später wurde er nach Deutschland abgeschoben und verbrachte ein knappes Jahr im Asylbewerberheim, bevor er Arbeit und eine eigene Wohnung bekam - 2004 gelang es Ehefrau und Tochter, die unter großen Repressalien litten, Kamerun ebenfalls zu verlassen - die beiden Söhne leben bis heute in seiner Heimat bei der Schwiegermutter, ihre Ausreise und die herbeigesehnte Familienzusammenführung in Deutschland werden bis heute von den Behörden verweigert.

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Fotografen: Michael Schäfer Norbert Stammnitz Valérie Peschel Dieter Lueb Ekkehart Czysch Sabine Hübner-Henninger Annette Kretschmer Dr. Frank Hormes Elmar Streyl Paul Maaßen Konrad Nolten-Falk Manfred Joosten

Redaktion: Sabine Feyen, Michael Pluschke, Paul Maaßen & Sonja BerneckerMitarbeit: Barbara Herrmann-Lange

Konzept & Gestaltung: Paul Maaßen

Herausgeber: @ FotoForumKempen Oktober 2009 v.i.S.d.P.: Paul Maaßen [email protected]

FotoForumKempen

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VORWORT 9

Die IDEE / Die UMSETZUNG 10/11

Elmar Streyl: Avakeza Barjamovic 16/17 Claudio Medici 18/19 Marie-France Amdohr 20/21 Anahid Esagholi und Herayk Minayan 22/23 Schwestern Mokango 24/25

„Bilder im Kopf“ von E. Streyl und K. Nolten-Falk 27

Norbert Stammnitz: José Mesquita da Silva 30/31 Maria da Silva 32/33 Angella und Mbala Lukau 34/35 Barbara Gesty 36/37

ZITATE von Susan Sontag und Richard Avedon 39

Paul Maaßen: Younes Essayafi 42/43 Antonio Poeira 44/45 Alice Poeira 46/47 Hassan Shooshtari 48/49 Ruud Stefelmanns 50/51 „Angst vor der Grenze im Kopf“ von Sabine Feyen 53

Valérie Peschel: Jeyaratnam Caniceus 56/57 Tuan und Thanh-Thuy Du-Quoc 58/59 Anastasija Isajcenko 60/61 Chamaiporn Repges 62/63

Ekkehart Czysch: Karen Cerva und Maria Eliana Schwarzenberg 66/67 Antonio di Stefano 68/69 Ako Tahir Rabati 70/71 Deniz Yilmaz 72/73

INHALT

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Dr. Frank Hormes: Chris Stanley 76/77 Roland Ploch 78/79 Bjarne Norlander 80/81 Rosana Greco-Sprung 82/83 David Debonnaire 84/85

„Vom Fremdsein, den Ausländern und Inländern“ von Manfred Wittmann 87

Konrad Nolten-Falk: Ignazio Gravotta 90/91 Jakob Wozniak 92/93 Dr. Beqir Brahimi 94/95 Daniela und Raphael Rennes 96/97 Georg und Josephine Violonchi 98/99

Manfred Joosten: Emelia Donkor-Glatzel 102/103 Antonio Limoncini 104/105 Goran und Vesna Milobar 106/107 Monika, Edward und Steph. Wypchlo 108/109 Ghassan Yassin 110/111

Dieter Lueb: Elly Aan den Boom 114/115 Americo und Maria da Silva 116/117 Hanna Jackiewicz 118/119 Marian Angenheister 120/121

Michael Schäfer: Marie-Anne Dennilou-Büttner 124/125 Josefa Faatz 126/127 Andreas Schmidt 128/129 Christos und Konstandinos Tirbakis 130/131

Sabine Hübner-Henninger: Kadi Adjana 134/135 Dr. Woyciech Czerwinski 136/137 Bruno Pierling 138/139 Claudio Kurtezi 140/141 Sabah Semmo 142/143

Annette Kretschmer: Seyhan Alkan 146/147 Bodjonam Bataba 148/149 Sebastian James 150/151 Christian Eloundou 152/153

GäSTEBUCH & PRESSE 156-159

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FotoForumKempen

„Wer ist Ausländer? Und welche gibt es in Kempen? Es ist leicht, sich einen zahlenmäßigen Überblick über die in Kempen lebenden Ausländer zu verschaffen. Und auch darüber, welche verschiedenen Nationalitäten es in Kempen gibt. Ausländer sind aber auch Personen, die mit zweiter Staatsangehörigkeit Ausländer sind, also z.B. gleichzeitig die deut-sche und die spanische Staatsangehörigkeit haben. Auch Deutsche, die eingebürgert sind und die bisherige Staatsangehörigkeit aufgeben muss-ten, haben einen ausländischen Hintergrund. Fasst man den Begriff des Ausländers weit, so gehört auch dieser Personenkreis in den Fokus einer fotografischen Betrachtung.“