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6 | Persönlich Volksstimme Nr. 9 | Freitag, 20. Januar 2017 Aussichten Wetter im Oberbaselbiet Laufen Basel Liestal Oberbölchen Anwil Rheinfelden Sissach -4° -5° -6° -1° -7° Dienstag Montag Sonntag Samstag 28. Jan. 4. Feb. 11. Feb. 18. Feb. 01:06 12:09 17:12 08:07 -1° -2° -1° -5° -6° -2° -2° Das Wetter bleibt im Oberbaselbiet weiterhin hochdruckbestimmt. Am Freitag und Samstag scheint meist die Sonne, lokal hat es einige Nebelfelder. Es bleibt kalt. Am Sonntag ziehen einige Wolkenfelder vorüber, dazu wird es etwas wärmer. «Die Oberbaselbieter Dörfer sind schön, aber …» Heimatschützer und Architekt Ruedi Riesen wünscht sich, dass die Baselbieter Gemeinden bei ihrer baulichen Entwicklung vermehrt eine ganzheitliche Strategie verfolgen. Tobias Gfeller Seit Muttenz im Jahr 1983 hat keine Baselbieter Gemeinde mehr den Wakker-Preis erhalten. Auch die- ses Jahr geht die Auszeichnung in die Restschweiz, nämlich an Sem- pach. Der Präsident des Baselbie- ter Heimatschutzes, Ruedi Riesen, spricht im Interview über die Gründe für die lange Flaute und wie die Baselbieter Gemeinden besser pla- nen sollten. n «Volksstimme»: Herr Riesen, die Oberbaselbieter Gemeinden sind doch wunderschön. Warum sieht das die Wakker-Preis-Jury nicht? Ruedi Riesen: Die Oberbaselbieter Gemeinden sind schon schön, aber das reicht für den Wakker-Preis halt einfach nicht. Da geht es nicht nur um Schönheit. Es geht um eine Ent- wicklung, die eine Gemeinde voll- zieht. Und da hat die Wakker-Preis- Jury mit Sempach eine ausgezeich- nete Wahl getroffen. n Welche sind denn die schönen Gemeinden bei uns, für die es Ihrer Meinung nach nicht reicht? Die Dörfer auf dem Tafeljura wie Anwil, Wenslingen oder Rünenberg haben eine gut erhaltene und kom- pakte Substanz. Auch Oltingen und Bennwil sind in ihrem Kern ur- sprünglich typisch geblieben. Der Wakker-Preis will aber auch aufzei- gen, was mit dieser bestehenden Substanz passiert und wie sich die Gemeinden weiterentwickeln. Mei- ner Meinung nach zeigt sich dies im Baselbiet nicht an vielen Orten. n Was macht Sempach besser als Oltingen oder Bennwil, die auch schon als mögliche Wakker-Preis-Gewinner gehandelt wurden? Sempach ist wesentlich grösser als diese Dörfer, ein Vergleich ist da- her schwierig. Ich war an der Ver- anstaltung des Schweizer Heimat- schutzes dabei, als der Sempacher Stadtrat sein langfristiges Planungs- und Baukonzept vorstellte. Das ist wirklich beeindruckend, mit wel- chem Engagement dieser die Ent- wicklung Sempachs verfolgt. Und das ist nicht eine Entwicklung, wie sie zum Beispiel gerade Pratteln erlebt, das sich in additiver Weise in Einzelobjekten wie Hochhäuser ohne erkennbaren Gesamtzusam- menhang ausdehnt und verdichtet. In Sempach wie auch in Rheinfelden, das vor einem Jahr den Wakker- Preis erhielt, wird die Gemeinde im Gesamtbild geplant und dies ist auch so erkennbar. n Fehlt dieser gesamtheitliche Blick im Baselbiet? Mich verwundert es kaum, dass der Wakker-Preis schon lange nicht mehr im Baselbiet vergeben wurde. Die Gewinnergemeinden zeichnen sich dadurch aus, dass sie ein Gesamtbild ihrer Gemeinde skizzieren, das sie über Jahre und Jahrzehnte hinweg kontinuierlich verfolgen. Dazu braucht es aber politischen Willen. Ich sehe einige Gemeinden im Kanton Baselland, in denen ein solch gesamtheitliches Bild verfolgt wird. Als Beispiel Benn- wil: das Dorf wurde kürzlich ins Isos- Verzeichnis aufgenommen. Nun geht es für diese Gemeinde darum, ihre Entwicklung adäquat zu steuern. n Nur einige Gemeinden verfolgen also eine ganzheitliche Strategie. Welche denn? Natürlich bin ich als ehemaliger Stadtrat, der damals die Planungen mit angetrieben hat, voreingenom- men. Aber für mich verfolgt Liestal ein solches Gesamtbild in seiner räumlichen Entwicklung. Viele Be- bauungen werden über Quartier- pläne teilweise im Wettbewerbs- verfahren abgewickelt. Denken Sie nur an den Masterplan Zentrum Nord unterhalb des Ziegelhofareals oder den Manor-Neubau. n Es gibt Menschen, für die die bauliche Entwicklung Liestals zu schnell und zu weit geht. Das kann ich nachvollziehen. Lie- stal ist jetzt an einem Punkt ange- langt, wo aufgepasst werden muss, dass nichts überbordet. Die in den nächsten Jahren steigenden Infra- strukturkosten werden ein Grad- messer sein. Bis anhin hat sich die Entwicklung sorgsam ins Beste- hende eingebettet. Und genau das ist es übrigens, wofür sich der Hei- matschutz einsetzt. n Heimatschutz und Denkmal- pflege werden oft als Bremser für Entwicklungen empfunden. Wieso sollen die Gemeinden den Wakker-Preis überhaupt anstreben? Heimatschutz und Denkmalpflege arbeiten gut zusammen, sehen aber gewisse Entwicklungen differenziert. Der Heimatschutz versteht sich als Förderer guter Baukultur. Wir wün- schen uns auch progressive und zeitgenössische Architektur. Eine kultivierte bauliche Entwicklung wirkt sich positiv auf die Standort- attraktivität einer Gemeinde aus. Vielleicht ist dies wichtiger, als un- bedingt den Wakker-Preis anzustre- ben – oder vielleicht wird gerade wegen einer subtilen Entwicklung der Wakker-Preis vergeben. n Wie muss eine Gemeinde Areale und Projekte planen, damit diese sich optimal ins Bestehende integrieren? Das soll über Varianzverfahren ge- schehen. Nur so ist das Bestmögliche zu erreichen. Dafür braucht es aber auch den Willen, mal einen unge- wöhnlicheren Weg einzuschlagen – wie die Wakker-Preisträgerin, die Stadt Sempach, aufzeigt. n Und es braucht viel Geld. Ja, das stimmt, es braucht zusätz- liche Mittel. Es braucht eben einen Willen und die Erkenntnis, dieses Geld für qualitätsvolle Planung zu investieren. Ich bin überzeugt, wenn eine Gemeinde, die Behörde, die Bevölkerung und die Investoren im Dialog nach Lösungen streben, eine Identität für das Dorf schaffen wol- len, dann zahlen sich höhere Pla- nungskosten im besseren Resultat aus. n Wettbewerbe gibt es vor allem in städtischen Gebieten. Weshalb hat es dieses planerische Vorgehen auf dem Land so schwer? Wettbewerben gegenüber besteht auf dem Land noch immer eine ge- wisse Abwehrhaltung. Das Denken, dass sich diese Architekten doch nur selber verwirklichen wollen, ist noch sehr verbreitet. Doch in einem Wettbewerbsverfahren müssen die Planer und Architekten für das Dorf beste Lösungen bringen. Nur so hat die Gemeinde auch die Chance, gute Bauqualität zu erhalten. n Mit dem Umbau der Walden- burgerbahn erhalten die Gemeinden eine einmalige Chance, ihr Dorfbild zu verändern. Diese Chance müssen sie packen. Wir sind bereits mit der BLT zu- sammengesessen. Ihr Wille war spürbar, mit den Gemeinden etwas anzustossen. Das haben wir den Gemeindevertretern an einer Ver- anstaltung mitgeteilt. Wir werden uns mit allen Waldenburgertal- gemeinden nochmals treffen und hoffen, dass das Potenzial des Um- baus der Waldenburgerbahn er- kannt und für die Neugestaltung der Dorfzentren genutzt wird. n Richten wir den Blick nochmals auf den ganzen Kanton Baselland. Wie lautet Ihr Tipp: Welche Gemeinde wird als nächste den Wakker-Preis ins Baselbiet holen? Auf eine Gemeinde will und kann ich mich nicht festlegen. Das Poten- zial im Oberbaselbiet haben neben den erwähnten Dörfern sicherlich Gelterkinden und Sissach. Alleine schon von der Grösse und den Ent- wicklungsmöglichkeiten, die sich dadurch bieten. Dazu kommt wie bereits erwähnt Liestal. Im Unter- baselbiet sehe ich Arlesheim und Münchenstein auf dem Weg. Auch die Stadt Laufen gehört für mich zum engeren Kreis künftiger An- wärter. AUSGEFRAGT | RUEDI RIESEN, BASELBIETER HEIMATSCHUTZ MEINE WELT Oberst Zünsel im Kochgefecht Wie jeden Mittwoch besuchte ich auch vorgestern den alten Zünsel. Der ehemalige Oberst der Artillerie wohnt ganz allein in einem herrschaftlichen Anwesen vor den Toren der kleinen Stadt und verlässt sein Haus nur noch selten. Niemand öffnete, als ich den altertümlichen Türklopfer krachen liess. Ein Blick nach rechts zeigte mir jedoch, dass die Terrassentüre weit offen stand. Ich betrat den Salon und sah von Weitem, wie Oberst Zünsel in der Küche hantierte. Obwohl mir sein massiger Oberkörper die Sicht auf den Küchentisch etwas versperrte, erkannte ich sofort die Brisanz der Situation. In seiner linken Hand hielt Zünsel eine alte Handgranate, seine rechte Hand griff soeben zu einer Konservendose. Als er mich sah, rief er laut «Vorsicht, Sprengung!», warf sich in Deckung und stiess mich gleichzeitig rückwärts in die geöffnete Tiefkühltruhe. Die Explosion war gewaltig, die Küche vollständig demoliert. Und es war totenstill; nur der alte Decken- ventilator drehte sich ein letztes Mal, bevor er krachend in den Toaster stürzte. Zünsel war kaum mehr zu erkennen. Eine Melasse aus Pulverdampf, Olivenöl und Weizenmehl hatte ihn gleichmässig von Kopf bis Fuss paniert und gab ihm das Aussehen einer überbackenen Aubergine. Dem Herrn Oberst lugten zwei nicht identifizierbare rote Objekte aus der Nase. «Auftrag aus- geführt!», donnerte er und sammelte die entflohenen Tortellini sorgfältig wieder ein. «Ich lasse mich doch von diesen Dosen- heinis nicht zum Blödmann machen!» Immer mehr Lebensmittel und Getränke lassen sich nur noch unter Einsatz brutalster Gewalt aus ihren Verpackungen entfernen. Die Laschen der Sardinenbüchsen brechen ab, Konservendosen können nicht mehr mit herkömmlichen Dosenöffnern geknackt werden. In einzelnen Küchen sollen bereits Motorsägen, Winkelschleifer und Harpunen zum Einsatz kommen. Nur mithilfe von Hammer und Meissel stosse ich zu meinen geliebten Ravioli vor. Schokoladen und andere Süssigkeiten sind meistens gleich in mehrere Schichten verpackt. In farbigen Schachteln, umhüllt von güldenen Bordüren, mit einem Seidenimitat-Bändeli dekoriert und unter einem Blatt Seidenpapier mit dem Aufdruck «Sofort zu verzehren», findet sich ein einsames Guetzli. Bis ich es mithilfe mei- nes Bajonetts ausgepackt habe, wird es al- lerdings bereits verrottet sein. Aber nicht nur Lebensmittel, sondern auch Bücher – die geistige Nahrung – werden zunehmend verschweisst und vakuumiert. Man stelle sich vor, wie dem armen Gottfried Keller unter einem Film aus Poly- ethylen langsam die Luft ausgeht. Da kann auch kein grüner Heinrich mehr helfen. Friedrich Dürrenmatt wird, da in einem Schlauch aus Polyolefin eingeschweisst, auf den Besuch älterer Damen verzichten müssen. Nein, nicht einmal Johanna Spyri könnte bei ihm in Güllen vorbeischauen. Die wurde nämlich samt dem Heidi in einen PVC-Schlauch gepresst. Armer Geissenpeter! Der Autor, Kolumnist Hanspeter Gsell, lebt seit mehr als 30 Jahren in Sissach. Ruedi Riesen verwundert es nicht, dass der Wakker-Preis schon lange nicht mehr im Baselbiet vergeben wurde. Bild Tobias Gfeller

MEINE WELT AUSGEFRAGT - heimatschutz-bl.ch · Förderer guter Baukultur. Wir wün - schen uns auch progressive und zeitgenössische Architektur. Eine kultivierte bauliche Entwicklung

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6 | Persönlich Volksstimme Nr. 9 | Freitag, 20. Januar 2017

Aussichten

Wetter im Oberbaselbiet

Laufen

Basel

Liestal

Oberbölchen

Anwil

Rheinfelden

Sissach

2°-4°1°-5°1°-6°-1°-7°DienstagMontagSonntagSamstag

28. Jan.

4. Feb.

11. Feb.

18. Feb.

01:06

12:09

17:12

08:07

-1°

-2°

-1°

-5°

-6°

-2°

-2°

Das Wetter bleibt im Oberbaselbiet weiterhin hochdruckbestimmt. Am Freitag und Samstag scheint meist die Sonne, lokal hat es einige Nebelfelder. Es bleibt kalt. Am Sonntag ziehen einige Wolkenfelder vorüber, dazu wird es etwas wärmer.

«Die Oberbaselbieter Dörfer sind schön, aber …»Heimatschützer und Architekt Ruedi Riesen wünscht sich, dass die Baselbieter Gemeinden bei ihrer baulichen Entwicklung vermehrt eine ganzheitliche Strategie verfolgen.

Tobias Gfeller

Seit Muttenz im Jahr 1983 hat keine Baselbieter Gemeinde mehr den Wakker-Preis erhalten. Auch die-ses Jahr geht die Auszeichnung in die Restschweiz, nämlich an Sem-pach. Der Präsident des Baselbie-ter Heimatschutzes, Ruedi Riesen, spricht im Interview über die Gründe für die lange Flaute und wie die Baselbieter Gemeinden besser pla-nen sollten.

n «Volksstimme»: Herr Riesen, die Oberbaselbieter Gemeinden sind doch wunderschön. Warum sieht das die Wakker-Preis-Jury nicht?Ruedi Riesen: Die Oberbaselbieter Gemeinden sind schon schön, aber das reicht für den Wakker-Preis halt einfach nicht. Da geht es nicht nur um Schönheit. Es geht um eine Ent-wicklung, die eine Gemeinde voll-zieht. Und da hat die Wakker-Preis-Jury mit Sempach eine ausgezeich-nete Wahl getroffen.

n Welche sind denn die schönen Gemeinden bei uns, für die es Ihrer Meinung nach nicht reicht?Die Dörfer auf dem Tafeljura wie Anwil, Wenslingen oder Rünenberg haben eine gut erhaltene und kom-pakte Substanz. Auch Oltingen und Bennwil sind in ihrem Kern ur-sprünglich typisch geblieben. Der Wakker-Preis will aber auch aufzei-gen, was mit dieser bestehenden Substanz passiert und wie sich die Gemeinden weiterentwickeln. Mei-ner Meinung nach zeigt sich dies im Baselbiet nicht an vielen Orten.

n Was macht Sempach besser als Oltingen oder Bennwil, die auch schon als mögliche Wakker-Preis-Gewinner gehandelt wurden?Sempach ist wesentlich grösser als diese Dörfer, ein Vergleich ist da-her schwierig. Ich war an der Ver-anstaltung des Schweizer Heimat-schutzes dabei, als der Sempacher Stadtrat sein langfristiges Planungs- und Baukonzept vorstellte. Das ist wirklich beeindruckend, mit wel-chem Engagement dieser die Ent-wicklung Sempachs verfolgt. Und

das ist nicht eine Entwicklung, wie sie zum Beispiel gerade Pratteln erlebt, das sich in additiver Weise in Einzelobjekten wie Hochhäuser ohne erkennbaren Gesamtzusam-menhang ausdehnt und verdichtet. In Sempach wie auch in Rheinfelden, das vor einem Jahr den Wakker-Preis erhielt, wird die Gemeinde im Gesamtbild geplant und dies ist auch so erkennbar.

n Fehlt dieser gesamtheitliche Blick im Baselbiet?Mich verwundert es kaum, dass der Wakker-Preis schon lange nicht mehr im Baselbiet vergeben wurde. Die Gewinnergemeinden zeichnen sich dadurch aus, dass sie ein Gesamtbild ihrer Gemeinde skizzieren, das sie über Jahre und Jahrzehnte hinweg kontinuierlich verfolgen. Dazu braucht es aber politischen Willen. Ich sehe einige Gemeinden im Kanton Baselland, in denen ein solch gesamtheitliches Bild verfolgt wird. Als Beispiel Benn-wil: das Dorf wurde kürzlich ins Isos-Verzeichnis aufgenommen. Nun geht es für diese Gemeinde darum, ihre Entwicklung adäquat zu steuern.

n Nur einige Gemeinden verfolgen also eine ganzheitliche Strategie. Welche denn?Natürlich bin ich als ehemaliger Stadtrat, der damals die Planungen mit angetrieben hat, voreingenom-men. Aber für mich verfolgt Liestal ein solches Gesamtbild in seiner räumlichen Entwicklung. Viele Be-bauungen werden über Quartier-pläne teilweise im Wettbewerbs-verfahren abgewickelt. Denken Sie nur an den Masterplan Zent rum Nord unterhalb des Ziegelhof areals oder den Manor-Neubau.

n Es gibt Menschen, für die die bauliche Entwicklung Liestals zu schnell und zu weit geht.Das kann ich nachvollziehen. Lie-stal ist jetzt an einem Punkt ange-langt, wo aufgepasst werden muss, dass nichts überbordet. Die in den nächsten Jahren steigenden Infra-strukturkosten werden ein Grad-messer sein. Bis anhin hat sich die Entwicklung sorgsam ins Beste-hende eingebettet. Und genau das ist es übrigens, wofür sich der Hei-matschutz einsetzt.

n Heimatschutz und Denkmal-pflege werden oft als Bremser für Entwicklungen empfunden. Wieso sollen die Gemeinden den Wakker-Preis überhaupt anstreben?Heimatschutz und Denkmalpflege arbeiten gut zusammen, sehen aber gewisse Entwicklungen differenziert. Der Heimatschutz versteht sich als Förderer guter Baukultur. Wir wün-schen uns auch progressive und zeitgenössische Architektur. Eine kultivierte bauliche Entwicklung wirkt sich positiv auf die Standort-attraktivität einer Gemeinde aus. Vielleicht ist dies wichtiger, als un-bedingt den Wakker-Preis anzustre-ben – oder vielleicht wird gerade wegen einer subtilen Entwicklung der Wakker-Preis vergeben.

n Wie muss eine Gemeinde Areale und Projekte planen, damit diese sich optimal ins Bestehende integrieren?Das soll über Varianzverfahren ge-schehen. Nur so ist das Bestmögliche zu erreichen. Dafür braucht es aber auch den Willen, mal einen unge-wöhnlicheren Weg einzuschlagen – wie die Wakker-Preisträgerin, die Stadt Sempach, aufzeigt.

n Und es braucht viel Geld.Ja, das stimmt, es braucht zusätz-liche Mittel. Es braucht eben einen Willen und die Erkenntnis, dieses Geld für qualitätsvolle Planung zu investieren. Ich bin überzeugt, wenn eine Gemeinde, die Behörde, die Bevölkerung und die Investoren im Dia log nach Lösungen streben, eine Identität für das Dorf schaffen wol-len, dann zahlen sich höhere Pla-nungskosten im besseren Resultat aus.

n Wettbewerbe gibt es vor allem in städtischen Gebieten. Weshalb hat es dieses planerische Vorgehen auf dem Land so schwer?Wettbewerben gegenüber besteht auf dem Land noch immer eine ge-wisse Abwehrhaltung. Das Denken, dass sich diese Architekten doch nur selber verwirklichen wollen, ist noch sehr verbreitet. Doch in einem Wettbewerbsverfahren müssen die Planer und Architekten für das Dorf beste Lösungen bringen. Nur so hat die Gemeinde auch die Chance, gute Bauqualität zu erhalten.

n Mit dem Umbau der Walden-burgerbahn erhalten die Gemeinden eine einmalige Chance, ihr Dorfbild zu verändern.Diese Chance müssen sie packen. Wir sind bereits mit der BLT zu-sammengesessen. Ihr Wille war spürbar, mit den Gemeinden etwas anzustossen. Das haben wir den Gemeindevertretern an einer Ver-anstaltung mitgeteilt. Wir werden uns mit allen Waldenburgertal-gemeinden nochmals treffen und hoffen, dass das Potenzial des Um-baus der Waldenburgerbahn er-kannt und für die Neugestaltung der Dorfzentren genutzt wird.

n Richten wir den Blick nochmals auf den ganzen Kanton Baselland. Wie lautet Ihr Tipp: Welche Gemeinde wird als nächste den Wakker-Preis ins Baselbiet holen?Auf eine Gemeinde will und kann ich mich nicht festlegen. Das Poten-zial im Oberbaselbiet haben neben den erwähnten Dörfern sicherlich Gelterkinden und Sissach. Alleine schon von der Grösse und den Ent-wicklungsmöglichkeiten, die sich dadurch bieten. Dazu kommt wie bereits erwähnt Liestal. Im Unter-baselbiet sehe ich Arlesheim und Münchenstein auf dem Weg. Auch die Stadt Laufen gehört für mich zum engeren Kreis künftiger An-wärter.

AUSGEFRAGT | RUEDI RIESEN, BASELBIETER HEIMATSCHUTZMEINE WELT

Oberst Zünsel im KochgefechtWie jeden Mittwoch besuchte ich auch vorgestern den alten Zünsel. Der ehemalige Oberst der Artillerie wohnt ganz allein in einem herrschaftlichen Anwesen vor den Toren der kleinen Stadt und verlässt sein Haus nur noch selten. Niemand öffnete, als ich den altertümlichen Türklopfer krachen liess. Ein Blick nach rechts zeigte mir jedoch, dass die Terrassentüre weit offen stand. Ich betrat den Salon und sah von Weitem, wie Oberst Zünsel in der Küche hantierte. Obwohl mir sein massiger Oberkörper die Sicht auf den Küchentisch etwas versperrte, erkannte ich sofort die Brisanz der Situation. In seiner linken Hand hielt Zünsel eine alte Handgranate, seine rechte Hand griff soeben zu einer Konservendose.

Als er mich sah, rief er laut «Vorsicht, Sprengung!», warf sich in Deckung und stiess mich gleichzeitig rückwärts in die geöffnete Tiefkühltruhe. Die Explosion war gewaltig, die Küche vollständig demoliert. Und es war totenstill; nur der alte Decken­ventilator drehte sich ein letztes Mal, bevor er krachend in den Toaster stürzte. Zünsel war kaum mehr zu erkennen. Eine Melasse aus Pulverdampf, Olivenöl und Weizenmehl hatte ihn gleichmässig von Kopf bis Fuss paniert und gab ihm das Aussehen einer überbackenen Aubergine. Dem Herrn Oberst lugten zwei nicht identifizierbare rote Objekte aus der Nase. «Auftrag aus­geführt!», donnerte er und sammelte die entflohenen Tortellini sorgfältig wieder ein. «Ich lasse mich doch von diesen Dosen­heinis nicht zum Blödmann machen!»

Immer mehr Lebensmittel und Getränke lassen sich nur noch unter Einsatz brutalster Gewalt aus ihren Verpackungen entfernen. Die Laschen der Sardinenbüchsen brechen ab, Konservendosen können nicht mehr mit herkömmlichen Dosenöffnern geknackt werden. In einzelnen Küchen sollen bereits Motorsägen, Winkelschleifer und Harpunen zum Einsatz kommen. Nur mithilfe von Hammer und Meissel stosse ich zu meinen geliebten Ravioli vor. Schokoladen und andere Süssigkeiten sind meistens gleich in mehrere Schichten verpackt. In farbigen Schachteln, umhüllt von güldenen Bordüren, mit einem Seidenimitat­Bändeli dekoriert und unter einem Blatt Seidenpapier mit dem Aufdruck «Sofort zu verzehren», findet sich ein einsames Guetzli. Bis ich es mithilfe mei­nes Bajonetts ausgepackt habe, wird es al­lerdings bereits verrottet sein. Aber nicht nur Lebensmittel, sondern auch Bücher – die geistige Nahrung – werden zunehmend verschweisst und vakuumiert.

Man stelle sich vor, wie dem armen Gottfried Keller unter einem Film aus Poly­ethylen langsam die Luft ausgeht. Da kann auch kein grüner Heinrich mehr helfen. Friedrich Dürrenmatt wird, da in einem Schlauch aus Polyolefin eingeschweisst, auf den Besuch älterer Damen verzichten müssen. Nein, nicht einmal Johanna Spyri könnte bei ihm in Güllen vorbeischauen. Die wurde nämlich samt dem Heidi in einen PVC­Schlauch gepresst.

Armer Geissenpeter!

Der Autor, Kolumnist Hanspeter Gsell, lebt seit mehr als 30 Jahren in Sissach.

Ruedi Riesen verwundert es nicht, dass der

Wakker-Preis schon lange

nicht mehr im Baselbiet vergeben

wurde.

Bild Tobias Gfeller