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Schweiz am Sonntag, Nr. 46, 16. November 2014 MENSCHEN | 17 astian Baker kniet neben einer syrischen Familie. «Sa- lam alaikum», begrüsst er den Mann im blauen Hemd und die Frau mit dem schwarzen Kopftuch. Der Übersetzer lacht und lobt den Schweizer Sänger für seine Aussprache. Die Familie sitzt im Schatten eines Baumes im Innenhof des Registrationszentrums der Hilfsorgani- sation Caritas in der jordanischen Hauptstadt Amman. Es herrscht eine surreale farbenfrohe Stimmung: Überall sitzen Frauen mit Kopftüchern mit ihren Kindern auf dem Arm. Ein Magazin-Fotograf schiesst Bilder und ruft: «Bastian, kannst du den Fuss des Säuglings halten?» Baker verzieht das Gesicht, ignoriert die Aufforderung. Stattdessen konzentriert er sich auf das Gespräch mit der Familie. Das sei ihm zu weit gegangen, erklärt er später. «Für mich ist das eine Herzensangelegenheit und ich will mich hier nicht als Wohltä- ter aufdrängen.» Der Sänger sitzt mittlerweile in einem kleinen Van auf dem Weg in die Altstadt von Amman. Dort wird er zwei syrische Familien besuchen, um ihre Ge- schichten zu erfahren. Gemäss Angaben der Vereinten Nationen ist fast die Hälfte aller Syrier auf der Flucht. Seit drei Jah- ren tobt die Gewalt im Land. Zehn Mil- lionen Menschen sind aus Angst vor dem Assad-Regime und der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) ins Ausland geflo- hen. Viele Vertriebene suchen im be- nachbarten Jordanien Zuflucht vor den Kämpfen. BAKER, DER AM MORGEN aus Bahrain an- gereist war und in zwei Tagen bereits in London sein muss, versteckt seinen müden Blick hinter einer Ray-Ban-Son- nenbrille. Er ist zum ersten Mal im Na- hen Osten. In Bahrain hatte er auf einem internationalen Musikfestival vor 1500 Leuten gespielt. «Ich hatte das Gefühl, ich würde eine Revolution füh- ren», sagt er und zieht seine Sonnen- brille aus: «Kennst du diese Youtube-Vi- deos, in denen eine Grossmutter am Schluss auf einem Tisch tanzt? Diese Art von Steigerung habe ich in Bah- rain gespürt!» Er schwärmt vom ver- rückten Publikum, von ausverkauften Alben nach dem Konzert und wie er eineinhalb Stunden lang Autogramme verteilen musste. «Viele Leute fragen mich, weshalb ich mich nicht auf die USA oder Eng- land konzentriere, aber diese Märkte sind bereits gesättigt. In Asien oder hier im Nahen Osten sind die Leute offen für Neues. Ich liebe diese Unvoreinge- nommenheit!» Baker, die Gitarre um die Schulter gehängt, folgt dem Caritas-Mitarbeiter B durch enge Gassen, Kinder rennen vor- bei. Die Häuser aus Lehm sind hell- braun, ihre Dächer flach. Ab und zu er- kennt man neugierige Gesichter, die zwischen den Wäscheleinen hindurch blicken. Ob es ihm nicht mulmig war, hierherzukommen? «Meine Schwester hatte sich Sorgen gemacht, dass ich hierherkomme», sagt er. Sie habe ihren Geografie-Lehrer sogar gebeten, ihm ein E-Mail zu schreiben, um ihn von seinem Vorhaben abzubringen. «Doch der Leh- rer meinte nur, ich solle gehen, das Land sei sicher», sagt Baker und zeigt sein verschmitztes Lachen. DIE WOHNUNG der syrischen Flüchtlings- familie in der Altstadt Ammans besteht aus zwei Räumen und ist spartanisch ein- gerichtet. Die einzige Sitzgelegenheit sind die dünnen Matten auf dem Beton- boden des Wohnzimmers, das in der Nacht zum Schlafzimmer wird. Die vier- köpfige Familie sitzt in einer Ecke, er- zählt vom Krieg in ihrer Heimat. Sie seien nach Jordanien geflüch- tet, nachdem die fünf Nachbarskinder erschossen worden seien. Eine Stille füllt den Raum. Dann erzählt der Vater, 31, dessen Gesichtszüge ihn wie 40 aussehen lassen, leise weiter. Basti- an hört zu. Danach tut er das, wofür er bekannt ist. Er packt seine Gitarre aus und singt den neuen Spendensong «Leaving Tomorrow» – ein Lied über Verlust und Hoffnungslosigkeit. Es ist ein Moment, der allen für einen Au- genblick ein Lächeln ins Gesicht zau- bert und ein kurzes Gefühl der Leich- tigkeit vermittelt. Die Mutter sagt, sie habe die Wörter zwar nicht verstan- den, aber sie konnte nachfühlen, wor- über er sang. Draussen unter der Mittagssonne kneift er sich die Augen zu. Er habe noch nie eine solche Situation erlebt. Er könne sich nicht vorstellen, was die Fa- milie alles durchmachen musste. Sie er- zählen von ihren von Bomben zerstör- ten Häusern, ihren von Steinen zer- trümmerten Beinen und von ihren Liebsten, die vor ihren Augen umge- bracht wurden. «Durch die Begegnung ist mir noch bewusster geworden, wie gut es uns eigentlich geht», sagt Baker. Später, auf dem Weg ins UNHCR- Flüchtlingslager in Zaatari, erzählt der Sänger von seinen Zukunftsplänen. Sei- ne Alben sind nicht nur in der Schweiz ein Erfolg, sondern sie stehen auch in Tokio und Bangkok in den Regalen. Doch Alben werde es keine mehr geben, sagt er. «Ich habe mich entschieden, nur noch einzelne Songs zu veröffentlichen. Heutzutage kaufen sich die wenigsten Alben» – und das, obwohl seine zweite Platte «Too Old To Die Young» soeben mit Platin ausgezeichnet wurde. EINIGE SZENEN für das Musikvideo für den neuen «Jeder Rappen zählt»-Song «Leaving Tomorrow» dreht Baker auf einer Anhöhe im Flüchtlingslager in Zaatari. Seine schwarzen Stiefel wirbeln den trockenen Wüstensand auf. Wohin das Auge reicht, sieht man Zelte und weisse Container, in denen rund 80 000 syrische Flüchtlinge wohnen. Keine Vier- telstunde nach Drehbeginn steht eine Schar Kinder auf der Strasse. Ein Junge, barfuss, hellblaues T-Shirt, macht den Handstand. Bastian zögert keine Sekun- de, zieht seine Lederjacke aus, macht mit. Sie lachen. Als der Tross später durch die san- dige Landschaft zurück nach Amman fährt, denkt Baker noch immer an den Handstand zurück: «Der beste Moment heute war, als die Kinder von sich aus auf uns zugekommen sind.» Solche In- teraktionen, wie jene mit dem Jungen zeigen ihm, dass man auch in kurzer Zeit eine Beziehung schaffen könne. Ihm gehe es darum, dass Menschen an- deren Menschen helfen. «Deshalb musi- ziere ich auch. Musik bringt uns zusam- men.» Das soll auch sein Spendensong bewirken. Mit Bastian Baker im Flüchtlingslager VON TANYA KÖNIG (TEXT UND BILDER) Der Westschweizer Star singt die Hymne für die SRF-Spendenaktion «Jeder Rappen zählt». Eben war er in Jordanien Bastian Baker zu Besuch bei syrischen Flüchtlingen in der jordanischen Hauptstadt Amman. ●●● ●●●●●●●●●●●●●●●●●●●●●●●●●●● ●●● ●●●●●●●●●●●●●●●●●●●●●●●●●●● Für mich ist das eine Herzensangelegenheit und ich will mich hier nicht als Wohltäter aufdrängen.» POPSTAR BASTIAN BAKER « Bastian Baker hat für die 6. Ausgabe der SRF-Sammelaktion den offiziellen Song «Leaving Tomorrow» beigesteu- ert, dessen Einnahmen an «Jeder Rap- pen zählt» gehen. Das Musikvideo dazu ist letzten Donnerstag veröffentlicht worden. Dieses Jahr soll das Geld Fami- lien auf der Flucht unterstützen. Um den Spendern zu zeigen, wohin dieses fliesst, war der 23-jährige Sänger zu- sammen mit SRF3-Moderator Philippe Gerber in Jordanien unterwegs. Dort ha- ben sie die Tätigkeiten der Hilfswerke Caritas, Handicap International und Terre des Hommes besucht. Die dort gedrehten Beiträge werden vom 17. bis 23. Dezember auf SRF zwei und online auf www.srf3.ch gezeigt. KOOPERATION MIT SRF INSERAT

Mit Bastian Baker im Flüchtlingslager

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Reportage über die Reise von Bastian Baker nach Jordanien und seinem Einsatz für die SRF-Spendeaktion "Jeder Rappen zählt" in Zusammenarbeit mit der Glückskette. Schweiz am Sonntag, 16. Nov. 2014

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Schweiz am Sonntag, Nr. 46, 16. November 2014

MENSCHEN | 17

astian Baker kniet nebeneiner syrischen Familie. «Sa-lam alaikum», begrüsst erden Mann im blauen Hemdund die Frau mit dem

schwarzen Kopftuch. Der Übersetzerlacht und lobt den Schweizer Sänger fürseine Aussprache. Die Familie sitzt imSchatten eines Baumes im Innenhof desRegistrationszentrums der Hilfsorgani-sation Caritas in der jordanischenHauptstadt Amman. Es herrscht einesurreale farbenfrohe Stimmung: Überallsitzen Frauen mit Kopftüchern mitihren Kindern auf dem Arm.

Ein Magazin-Fotograf schiesst Bilderund ruft: «Bastian, kannst du den Fussdes Säuglings halten?» Baker verziehtdas Gesicht, ignoriert die Aufforderung.Stattdessen konzentriert er sich auf dasGespräch mit der Familie. Das sei ihm zuweit gegangen, erklärt er später. «Fürmich ist das eine Herzensangelegenheitund ich will mich hier nicht als Wohltä-ter aufdrängen.»

Der Sänger sitzt mittlerweile ineinem kleinen Van auf dem Weg in dieAltstadt von Amman. Dort wird er zweisyrische Familien besuchen, um ihre Ge-schichten zu erfahren. Gemäss Angabender Vereinten Nationen ist fast die Hälftealler Syrier auf der Flucht. Seit drei Jah-ren tobt die Gewalt im Land. Zehn Mil-lionen Menschen sind aus Angst vordem Assad-Regime und der TerrormilizIslamischer Staat (IS) ins Ausland geflo-hen. Viele Vertriebene suchen im be-nachbarten Jordanien Zuflucht vor denKämpfen.

BAKER, DER AM MORGEN aus Bahrain an-gereist war und in zwei Tagen bereitsin London sein muss, versteckt seinenmüden Blick hinter einer Ray-Ban-Son-nenbrille. Er ist zum ersten Mal im Na-hen Osten. In Bahrain hatte er aufeinem internationalen Musikfestivalvor 1500 Leuten gespielt. «Ich hatte dasGefühl, ich würde eine Revolution füh-ren», sagt er und zieht seine Sonnen-brille aus: «Kennst du diese Youtube-Vi-deos, in denen eine Grossmutter amSchluss auf einem Tisch tanzt? DieseArt von Steigerung habe ich in Bah-rain gespürt!» Er schwärmt vom ver-rückten Publikum, von ausverkauftenAlben nach dem Konzert und wie ereineinhalb Stunden lang Autogrammeverteilen musste.

«Viele Leute fragen mich, weshalbich mich nicht auf die USA oder Eng-land konzentriere, aber diese Märktesind bereits gesättigt. In Asien oder hierim Nahen Osten sind die Leute offenfür Neues. Ich liebe diese Unvoreinge-nommenheit!»

Baker, die Gitarre um die Schultergehängt, folgt dem Caritas-Mitarbeiter

B

durch enge Gassen, Kinder rennen vor-bei. Die Häuser aus Lehm sind hell-braun, ihre Dächer flach. Ab und zu er-kennt man neugierige Gesichter, diezwischen den Wäscheleinen hindurchblicken. Ob es ihm nicht mulmig war,hierherzukommen? «Meine Schwesterhatte sich Sorgen gemacht, dass ichhierherkomme», sagt er. Sie habe ihrenGeografie-Lehrer sogar gebeten, ihm einE-Mail zu schreiben, um ihn von seinemVorhaben abzubringen. «Doch der Leh-rer meinte nur, ich solle gehen, dasLand sei sicher», sagt Baker und zeigtsein verschmitztes Lachen.

DIE WOHNUNG der syrischen Flüchtlings-familie in der Altstadt Ammans bestehtaus zwei Räumen und ist spartanisch ein-gerichtet. Die einzige Sitzgelegenheit

sind die dünnen Matten auf dem Beton-boden des Wohnzimmers, das in derNacht zum Schlafzimmer wird. Die vier-köpfige Familie sitzt in einer Ecke, er-zählt vom Krieg in ihrer Heimat.

Sie seien nach Jordanien geflüch-tet, nachdem die fünf Nachbarskindererschossen worden seien. Eine Stillefüllt den Raum. Dann erzählt derVater, 31, dessen Gesichtszüge ihn wie

40 aussehen lassen, leise weiter. Basti-an hört zu. Danach tut er das, wofür erbekannt ist. Er packt seine Gitarre ausund singt den neuen Spendensong«Leaving Tomorrow» – ein Lied überVerlust und Hoffnungslosigkeit. Es istein Moment, der allen für einen Au-genblick ein Lächeln ins Gesicht zau-bert und ein kurzes Gefühl der Leich-tigkeit vermittelt. Die Mutter sagt, siehabe die Wörter zwar nicht verstan-den, aber sie konnte nachfühlen, wor-über er sang.

Draussen unter der Mittagssonnekneift er sich die Augen zu. Er habenoch nie eine solche Situation erlebt. Erkönne sich nicht vorstellen, was die Fa-milie alles durchmachen musste. Sie er-zählen von ihren von Bomben zerstör-ten Häusern, ihren von Steinen zer-

trümmerten Beinen und von ihrenLiebsten, die vor ihren Augen umge-bracht wurden. «Durch die Begegnungist mir noch bewusster geworden, wiegut es uns eigentlich geht», sagt Baker.

Später, auf dem Weg ins UNHCR-Flüchtlingslager in Zaatari, erzählt derSänger von seinen Zukunftsplänen. Sei-ne Alben sind nicht nur in der Schweizein Erfolg, sondern sie stehen auch inTokio und Bangkok in den Regalen.Doch Alben werde es keine mehr geben,sagt er. «Ich habe mich entschieden, nurnoch einzelne Songs zu veröffentlichen.Heutzutage kaufen sich die wenigstenAlben» – und das, obwohl seine zweitePlatte «Too Old To Die Young» soebenmit Platin ausgezeichnet wurde.

EINIGE SZENEN für das Musikvideo fürden neuen «Jeder Rappen zählt»-Song«Leaving Tomorrow» dreht Baker aufeiner Anhöhe im Flüchtlingslager inZaatari. Seine schwarzen Stiefel wirbelnden trockenen Wüstensand auf. Wohindas Auge reicht, sieht man Zelte undweisse Container, in denen rund 80 000syrische Flüchtlinge wohnen. Keine Vier-telstunde nach Drehbeginn steht eineSchar Kinder auf der Strasse. Ein Junge,barfuss, hellblaues T-Shirt, macht denHandstand. Bastian zögert keine Sekun-de, zieht seine Lederjacke aus, machtmit. Sie lachen.

Als der Tross später durch die san-dige Landschaft zurück nach Ammanfährt, denkt Baker noch immer an denHandstand zurück: «Der beste Momentheute war, als die Kinder von sich ausauf uns zugekommen sind.» Solche In-teraktionen, wie jene mit dem Jungenzeigen ihm, dass man auch in kurzerZeit eine Beziehung schaffen könne.Ihm gehe es darum, dass Menschen an-deren Menschen helfen. «Deshalb musi-ziere ich auch. Musik bringt uns zusam-men.» Das soll auch sein Spendensongbewirken.

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VON TANYA KÖNIG (TEXT UND BILDER)

Der Westschweizer Star singt die Hymne für die SRF-Spendenaktion «Jeder Rappen zählt». Eben war er in Jordanien

Bastian Baker zu Besuch bei syrischen Flüchtlingen in der jordanischen Hauptstadt Amman.

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Für mich ist das eineHerzensangelegenheit

und ich will mich hier nicht alsWohltäter aufdrängen.»POPSTAR BASTIAN BAKER

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Bastian Baker hat für die 6. Ausgabeder SRF-Sammelaktion den offiziellenSong «Leaving Tomorrow» beigesteu-ert, dessen Einnahmen an «Jeder Rap-pen zählt» gehen. Das Musikvideo dazuist letzten Donnerstag veröffentlichtworden. Dieses Jahr soll das Geld Fami-lien auf der Flucht unterstützen. Umden Spendern zu zeigen, wohin diesesfliesst, war der 23-jährige Sänger zu-sammen mit SRF3-Moderator PhilippeGerber in Jordanien unterwegs. Dort ha-ben sie die Tätigkeiten der HilfswerkeCaritas, Handicap International undTerre des Hommes besucht. Die dortgedrehten Beiträge werden vom 17. bis23. Dezember auf SRF zwei und onlineauf www.srf3.ch gezeigt.

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