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Argumentationspapier Mit Mut für Europas Zukunft – Reshaping Europe Notwendige Reformprozesse in der Europäischen Union

Mit Mut für Europas Zukunft – Reshaping Europe

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Page 1: Mit Mut für Europas Zukunft – Reshaping Europe

Argumentationspapier

Mit Mut für Europas Zukunft – Reshaping EuropeNotwendige Reformprozesse in der Europäischen Union

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Impressum

HerausgeberFriedrich-Naumann-Stiftung für die FreiheitKarl-Marx-Straße 214482 Potsdam-Babelsberg

/freiheit.org/FriedrichNaumannStiftungFreiheit/FNFreiheit

RedaktionLiberales Institut der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

ProduktionCOMDOK GmbH, Büro Berlin

FotosTitel: Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit26: Picture-Alliance/dpa

KontaktTelefon: 03 31.70 19-0Telefax: 03 31.70 19-1 88E-Mail: [email protected]

Diese Publikation ist kostenfrei zu beziehen.Der Weiterverkauf ist untersagt.

Stand November 2016

Reshaping Europe 4

Handlungsfelder 6

I. Für eine dynamische und handlungsfähige 6 Europäische Union

II. Für ein Europa in Frieden und Verantwortung 9

III. Für eine humane und gemeinschaftliche 11 europäische Einwanderungs- und Asylpolitik

IV. Für einen europäischen Binnenmarkt als Raum 14 für Innovationen und Investitionen

V. Für eine europäische Währungsunion 18 als Stabilitätsunion

VI. Für ein freies und tolerantes Europa der Bürger 21

Unser Appell für Europa 25

Mit Mut für Europas Zukunft – Reshaping Europe

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„Europa ist unsere Zukunft – wir haben keine andere.“ Prägnanter als Hans-Dietrich Genscher kann man es nicht auf den Punkt bringen. Es ist die Lehre aus der Geschichte unseres Kontinents, aus den unvor-stellbaren Gräueln zweier Weltkriege, die in Deutschland ihren Ausgang nahmen. Es ist die Lehre aus den Katastrophen des vergangenen Jahrhunderts.

Wenige Monate vor dem 60. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge zeigt Europa aber tiefe Risse: Das Vereinigte Königreich hat seinen Austritt beschlossen. An den großen Baustellen der Durchsetzung von mehr Demokratie, wirklicher Subsidiarität, einer europäischen Migrationspolitik und der Sicherung des Euro wird nicht mehr ernsthaft gearbeitet. Nationale Alleingänge, Regelverstöße, Ent-solidarisierung und die Abkehr von gemeinsamen Werten nehmen zu und werden toleriert. Die Europäi-sche Union befindet sich in ihrer bisher tiefsten Handlungs- und Vertrauenskrise.

In den kommenden Monaten wird es vordringlich darauf ankommen, die Folgen der Brexit-Entscheidung Großbritanniens für die Institutionen und die innere Verfasstheit der Gemeinschaft zu begrenzen, den Austrittsprozess partnerschaftlich aber konsequent zu gestalten und die neuen Beziehungen zum Verei-nigten Königreich zu regeln. Gleichzeitig gilt es, nachhaltige Lösungen für den Zustrom von Flüchtlingen nach Europa zu finden. Die Staatsschuldenkrise im Euroraum ist weiterhin nicht dauerhaft überwunden, sondern schwelt auch acht Jahre nach ihrem Ausbruch weiter vor sich hin, während in vielen Mitglied-staaten populistische und europafeindliche Kräfte an Zuspruch gewinnen. Dies sind nur die derzeit drän-gendsten inneren Herausforderungen an die europäische Gemeinschaft und nicht nur an sie: Es sind die nationalen Regierungen, die Arbeitslosigkeit, Jugendarbeitslosigkeit, mangelnde Strukturreformen zu verantworten haben und demografiesichere Alterssicherungssysteme nicht entwickeln.

Es gilt für die Zukunft, die EU der 27 im Inneren zusammenzuhalten, das Vertrauen in die europäische Idee nachhaltig zu stärken und die Anziehungskraft der Europäischen Union als föderale Gemeinschaft demokratischer Staaten wieder zu vergrößern.

Darüber hinaus wird es entscheidend für die Zukunft unseres Kontinents sein, dass es gelingt, die EU auf die großen globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts vorzubereiten: transnationaler Terroris-mus, Migration, Klimawandel, globaler Wettbewerb, die Veränderung der geopolitischen Machtverteilung und nicht zuletzt die digitale Revolution. Die Europäische Union ist hier als starker und aktiver globaler Akteur gefordert. Eine Rolle, die die EU nur wird leisten können, wenn ihre Institutionen effizient wirken und Verabredungen und Regeln wieder gelten.

Europa ist nicht nur ein Binnenmarkt. Es ist ein Zivilisationsprojekt. Die europäischen Bürger eint ein gemeinsames kulturelles Erbe. Dies war und ist das unverzichtbare Fundament für die Herausbildung einer gemeinsamen europäischen Identität. Die besondere Leistung Europas liegt deshalb aber nicht nur in der friedlichen Gemeinschaft der Völker, sondern auch in der Wahrung von regionaler und natio-naler Vielfalt auf dem Weg zu einem gemeinsamen europäischen Kulturraum. Europa muss auch für die Zukunft Frieden, Freiheit und Sicherheit in Europa und seiner Nachbarschaft garantieren, Demokratie und Menschenrechte in Europa und in der Welt schützen und fördern, durch freiheitliche Regelungen die wirt-schaftliche Entwicklung und den Wohlstand der Bürger fördern, seinen Bürgern ermöglichen, überall in der EU leben und arbeiten zu können, kulturelle, ethnische, religiöse, gesellschaftliche und sprachliche Vielfalt schützen und Toleranz fördern, seinen Bürgern zuhören, ihnen Rechenschaft ablegen und für sie transpa-rent und subsidiär arbeiten und die gemeinsamen Interessen der Europäer in der Welt erfolgreich vertreten.

A Reshaping Europe

Es gilt die aktuelle Krise der Europäischen Union zu überwinden und die EU als Wertegemeinschaft mit vereinten Kräften auf die Zukunft vorzubereiten. Wir sollten nicht darüber diskutieren, ob wir mehr oder weniger Europa brauchen. Die leitende Fragestellung muss lauten: „Wo brauchen wir europäische Lösungen? Wo müssen wir mit Integrationsschritten gezielt vorangehen? Wo sollten Kompetenzen auf die Ebene der Mitgliedstaaten zurückverlagert werden?“ Wir müssen Europa im Inneren festigen. Wir müssen Europa gegen äußere Unsicherheiten widerstandsfähig machen. Europa muss auf Krisen schneller und zielorientiert reagieren können. Europa muss seinen Wert besser kommunizieren und für die Menschen erfahrbar sein. Wir dürfen nicht hinnehmen, wenn Europa zur Projektionsfläche für Globa-lisierungsängste und als Spielball von Populisten genutzt wird.

Wir wollen ein Europa, das sich aus Themen und Aufgaben heraushält, für die es nicht zuständig ist. Dies schließt die Rückübertragung von Kompetenzen an die Mitgliedstaaten ausdrücklich ein. Dabei muss der Kern der Gemeinschaft erhalten bleiben; es darf kein Europa der Beliebigkeit geben. Die EU ist eine auf Dauer angelegte Gemeinschaft des Rechts, die auf gemeinsamen Werten beruht. Die zukünftige Europäische Union muss institutionell einfach, effizient und transparent verfasst und gegliedert sein. Nur so wird sie von den Menschen verstanden und akzeptiert. Ihre Daseinsberechtigung ergibt sich aus ihrem Sinn, Zweck und Nutzen. Die gemeinschaftliche Handlungsfähigkeit muss durch verschiedene Ge-schwindigkeiten bei weiteren Integrationsschritten erhöht werden. Kein Zwang für alle, sondern Wahlfrei-heit für Allianzen des Fortschritts. Die Erneuerung der EU beginnt in den Mitgliedstaaten.

Nach ihrem europapolitischen Grundsatzpapier von 2013 legt die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit erneut einen europapolitischen Orientierungsvorschlag vor. Wenn wir die Europäische Union nicht hätten, müssten wir sie erfinden. Da wir sie haben, müssen wir sie verbessern.

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Die nationalen Parlamente bekommen damit die Möglichkeit eines Vetos (bei ausreichenden Quoren). Zudem fordern wir die Einführung eines unabhängigen Subsidiaritätsgerichts auf EU-Ebene.

3. Für ein Europa, das mehr Demokratie wagtWir setzen uns dafür ein, dass die Europäische Union darüber hinaus mehr Demokratie im Inneren wagt. Es gilt, demokratische Prinzipien auf allen institutionellen Ebenen zu stärken und die Verfahren und Abläufe transparenter zu machen. Dies beginnt bereits im Kleinen, indem beispielsweise der Rat der Europäischen Union und seine Arbeitsgruppen ihre Beratungsvorlagen und weitere Dokumente öffentlich machten, damit die Bürger und nationalen Parlamente das Handeln ihrer Regierungsvertreter und den Verhandlungsstand im Rat besser beurteilen können. Es sollte in den Räten mehr dauerhafte Vorsitze geben, unter anderem im Allgemeinen Rat. Die halbjährlich wechselnde rotierende Präsidentschaft eines Landes und der damit verbundene Koordinationsaufwand würden damit entbehrlich. Der Rat ist als zweite Kammer der Union zu institutionalisieren. Der Trilog zwischen Europäischem Parlament (EP), Kommission und Rat muss ebenfalls transparenter werden und darf nicht länger im rechtlichen Grau-bereich stattfinden; klare Verfahrensregelungen müssen dafür sorgen, dass Parlament, Mitgliedstaaten und Öffentlichkeit in den Beratungsprozess eingebunden sind. Angesichts des Stands der Integration ist das Initiativmonopol der Kommission nicht mehr zeitgemäß. Das europäische Parlament ist zu einem Ort geworden, an dem wegweisende und große Debatten über Stand und Zukunft der EU stattfinden. Deshalb sollte das Europäische Parlament das Recht erhalten, Gesetzgebungsvorhaben anzustoßen. Ferner sollten Parlament und Rat mit Mehrheit entscheiden können, ein Gesetzgebungsvorhaben wei-terzuführen, auch wenn die Kommission es zurückziehen möchte. Erforderlich ist ferner eine frühzeitige und noch bessere Einbindung der nationalen Parlamente der Mitgliedstaaten in Gesetzgebungsvorha-ben; dies setzt aber auch auf Seite der Parlamentarier ein Interesse voraus, die europäischen Gesetzge-bungsprozesse und das Handeln der nationalen Vertreter im Rat genau zu verfolgen.

Eine weitere Herausforderung ist die Arbeitsfähigkeit der Kommission. Mit einem Kommissar pro Mit-gliedstaat ist es kaum möglich, jedem Kommissar noch eine sinnvolle Aufgabe zuzuweisen. Kommissi-onspräsident Juncker hat den Versuch unternommen, der Kommission eine Art hierarchische Struktur zu geben, indem er die einzelnen Kommissare Vizepräsidenten unterstellt hat. Dies ist aber nur eine Zwi-schenlösung. Zu erinnern ist vielmehr an den Vertrag von Lissabon, der eine Reduzierung der Zahl der Kommissare auf zwei Drittel der Zahl der Mitgliedstaaten vorgeschlagen hat – bei Repräsentation aller Regionen und Mitgliedstaaten durch Rotation. Langfristig sollten die Kommission, ihr Präsident und ihre Mitglieder vom Europäischen Parlament gewählt werden und sich ihm gegenüber verantworten müssen. Die Benennung von Spitzenkandidaten bei der letzten Europawahl war ein erster wichtiger Schritt in diese Richtung. Die Mitglieder der Regierungen der Mitgliedstaaten werden im Rahmen der Auswahl der Spitzenkandidaten durch die europäischen Parteienfamilien weiter eingebunden werden.

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I. Für eine dynamische und handlungsfähige Europäische UnionDie europäische Integration ist der maßgebliche Prozess der europäischen Einigung; die enger werdende Zusammenarbeit der europäischen Staaten ist auch für die Zukunft ein wichtiges, wertvolles Gut. Dennoch lehrt uns die Erfahrung der vergangenen Jahre, dass eine unreflektierte und undifferenzierte Integration um ihrer selbst willen nicht zwangsläufig zu einem besseren Europa für die Bürger führt. Die Bedrohung des Schengen-Systems, die andauernde Euro-Krise und vor allem auch die Entscheidung Großbritanniens zum Austritt aus der EU, all dies sind in ihrem Kern Krisen von zentralen europäischen Integrationspro-jekten. Gleichzeitig stocken weitere Integrationsschritte, beispielsweise in der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, am Widerspruch einzelner Mitgliedstaaten. Die Heterogenität der Mitgliedstaa-ten in ihrem politischen Können und Wollen muss ihre Abbildung deshalb in einem dynamischeren und stärker differenzierten europäischen Integrationsprozess finden, wenn die Handlungsfähigkeit der EU gestärkt und politischer Fortschritt innerhalb der Gemeinschaft vorangetrieben werden soll.

Grundsätzlich wollen wir als Stiftung für die Freiheit, dass Europa sich auf die Aufgaben konzentriert, bei denen gemeinsames europäisches Handeln besser dem Wohl der Bürger dient als es nationales Handeln könnte. Es ist für die Zukunft wichtig, dass Europa in diesen Politikfeldern seine Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit verbessert. Wir wollen deshalb, dass Europa sich auf diese Kernaufgaben konzentriert. Hierzu zählen die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, die Asyl- und Einwanderungs-politik, der gemeinsame Binnenmarkt, die Digital- und Energieunion und die gemeinsame Finanz- und Währungsunion einschließlich der Schaffung einer Kapitalmarktunion.

1. Für ein Europa der verschiedenen GeschwindigkeitenWir wollen ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten, in dem Mitgliedstaaten, die schneller und weiter vorangehen wollen, dies auch tun können. Die Möglichkeiten sind in den EU-Verträgen vorgese-hen. Die Verhinderung von Blockadesituationen macht die EU handlungsfähiger. Das große europäische Integrationsprojekt Schengen ist beispielsweise gerade das Resultat einer differenzierten Integration, indem eine Gruppe von Staaten vorangegangen ist und so politischer Stillstand überwunden werden konnte. Ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten bedeutet aber eben nicht ein Europa des „Ro-sinenpickens“. Den Mitgliedstaaten soll aber die Möglichkeit gegeben werden, je nach ihrer Bereitschaft oder Fähigkeit, einzelne Schritte auf dem Weg zu ihren Integrationszielen gemeinsam mit anderen Mit-gliedern zu vollziehen oder zu einem späteren Zeitpunkt nachzuholen. Es muss aber bei unterschiedlichen Geschwindigkeiten klar geregelt sein, welche Integrationsschritte für die Mitgliedstaaten der EU weiterhin grundlegend und verbindlich sind, damit nicht Funktionsfähigkeit und Legitimität der Gemeinschaft unter-graben werden. Die Möglichkeit eines „Opt-out“ darf nicht zu einem dauerhaften „Step-out“ werden.

2. Für ein Europa, das Subsidiarität stärktZudem wollen wir, dass die Europäische Union in Handlungsfeldern, die nicht erkennbar zu ihren Kernkompetenzen zählen, stärker als bisher den Grundsatz der Subsidiarität beachtet. Nicht alles, was Europa regeln könnte, muss Europa regeln. Der Nutzen für die europäischen Bürger muss immer im Vordergrund stehen, wenn darüber entschieden wird, ob politische Entscheidungen auf nationaler oder supranationaler Ebene getroffen werden sollen. Hierzu kann eine Task Force „Subsidiarität“ in Anlehnung an die EU-Arbeitsgruppe zum Bürokratieabbau geschaffen werden, um Empfehlungen zu erarbeiten, an welchen Punkten die bestehende EU-Gesetzgebung im Sinne des Subsidiaritätsprinzips verschlankt werden kann. Zudem halten wir es für sinnvoll, die Anforderungen für eine Subsidiaritätsrüge zu senken. Die Frist für die Abgabe einer Subsidiaritätsrüge durch die nationalen Parlamente muss deutlich verlän-gert werden. Eine Subsidiaritätsrüge durch die Mitgliedstaaten sollte für die Europäische Kommission verbindlich sein, die ihren Vorschlag dann zurückziehen müsste.

B Handlungsfelder

Die Kommission muss kleiner und effizienter werden. Der Vertrag von Lissabon sieht vor, die Zahl der Kommissare auf zwei Drittel der Zahl der Mitgliedstaaten zu reduzieren – bei Repräsentation aller Regionen und Mitgliedstaaten durch Rotation.

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Nach dem Ende des Kalten Krieges war die Anziehungskraft der Europäischen Union als Gemeinschaft in Freiheit stark. Die Osterweiterung der EU im Jahr 2004 ordnete unseren Kontinent neu. Trotz ihrer internen Herausforderungen ist die EU für Staaten in unserer regionalen Nachbarschaft weiterhin de-mokratischer und rechtsstaatlicher Orientierungs- und Anziehungspunkt. Ein Beitritt darf aber eben nur dann erfolgen, wenn ein Beitrittskandidat beitrittsreif nach den Kopenhagener Kriterien ist. Als Voraus-setzung für die Mitgliedschaft muss der Beitrittskandidat eine institutionelle Stabilität als Garantie für demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, für die Wahrung der Menschenrechte sowie die Achtung und den Schutz von Minderheiten verwirklicht haben. Dies ist in der Türkei gegenwärtig nicht der Fall. Deshalb macht es keinen Sinn, Beitrittsverhandlungen fortzusetzen. Sie sollten ausgesetzt werden.Ebenso gilt für die Europäische Union als Gemeinschaft, dass sie in der Lage sein muss, zusätzliche Mitglieder zu verkraften, ohne dass ihre Funktionsfähigkeit leidet. Gerade die eigene Aufnahmefähigkeit der Union wird zumindest für absehbare Zeit ein wichtiger Faktor für die Entscheidung sein, ob die EU weitere Mitglieder aufnehmen kann. Für neue Mitglieder darf in keinem Fall ein Zwang zum Beitritt zur Währungsunion innerhalb einer bestimmten zeitlichen Frist gelten. Darüber hinaus sollte die EU aber auch auf Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) setzen; diese können dazu dienen, poten-zielle Beitrittskandidaten langfristig an die Union heranzuführen, oder können eine dauerhafte Alternative zur Mitgliedschaft sein.

Deshalb setzen wir uns als Stiftung für die Freiheit ein:

Für ein Europa, das sich auf seine Kernaufgaben konzentriert und sich an seine selbst vereinbarten Regeln hält.

Für ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten.

Für ein Europa, das Subsidiarität dort stärkt, wo nationale Politik besser wirken kann, undBürokratiedortabbaut,woschlankereStrukturenEffizienzfördern.

Für eine Stärkung der Subsidiaritätsrüge nach dem „Tusk-Plan“, die Aufstellung einer Task Force „Subsidiarität“ sowie die Schaffung eines Subsidiaritätsgerichts auf EU-Ebene.

Für ein Europa, das mehr Demokratie und Transparenz auf allen institutionellen Ebenen durchsetzt.

FüreineVeröffentlichungderBeratungsvorlagendesRatsderEuropäischenUnion.

Für ein Initiativrecht des Europäischen Parlaments.

Für eine Verkleinerung der Kommission gemäß des Vertrags von Lissabon.

Für ein Europa, das neuen Beitrittskandidaten die Tür offenhält, aber gleichzeitig deren Beitrittsfähigkeit und die eigene Aufnahmefähigkeit fest im Blick hat.

II. Für ein Europa in Frieden und VerantwortungDie internationale Ordnung befindet sich ebenfalls im Wandel. Aufstrebende Staaten und nichtstaatliche Akteure erlangen Macht und Einfluss in der internationalen Politik, regionale Machtzentren verschieben sich oder diffundieren. Etablierte Formate des Regierens geraten dadurch zunehmend unter Druck. Neue Foren und Kooperationszusammenhänge gewinnen an Bedeutung, wie beispielsweise die G20. Die Staatengemeinschaft steht einer zunehmenden Zahl von globalen, vernetzten Risiken gegenüber, die nur gemeinsam auf globaler Ebene verringert werden können.

Die Europäische Union sieht sich neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen und wachsender Instabilität in ihrem Süden und Osten gegenüber. Die Konflikte in der europäischen Nachbarschaft, der Ukraine-Konflikt sowie die hierdurch stark angespannten Beziehungen zu Russland, die Flüchtlingskrise sowie transnationale Bedrohungen durch islamistischen Terrorismus und organisierte Kriminalität ha-ben direkte Auswirkungen auf die Sicherheit der EU und ihrer Mitgliedstaaten. Viele dieser geopolitischen Bedrohungsszenarien und Konflikte sind heute hybrid – sowohl in ihrer Form als auch den eingesetzten Mitteln. Sie erfordern deshalb einen vernetzten Ansatz der Instrumente der Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik.

Die USA als weltpolitische Ordnungsmacht haben ihren Blick vom europäischen Kontinent insbesondere in außen- und sicherheitspolitischen Fragen gen Asien („Asian rebalance“) gewendet. Russland drängt mit zunehmender Aggressivität zurück auf die globale Bühne, während es im gleichen Atemzug von einer friedlich-kooperativen Partnerschaft mit Europa abrückt. Mit China steht ein machtvoller Akteur vor der Entscheidung, dauerhaft Verantwortung als Teil der internationalen Gemeinschaft zu übernehmen oder seine territorialen Machtansprüche weiter unilateral auszudehnen. Gleichzeitig werden aufstreben-de Mächte wie die Türkei oder Indonesien immer wichtiger für die Regelung von regionalen und interna-tionalen Krisen- und Konfliktszenarien, auch wenn sie die Wertvorstellungen der EU nicht immer teilen. Dieses Dilemma zeigt deutlich das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei. Europa muss mehr Verantwor-tung für die eigene Sicherheit und den Frieden der Welt übernehmen.

1. Für eine starke Gemeinsame Außen- und SicherheitspolitikEine kluge gemeinsame Außenpolitik der Europäischen Union ist deshalb notwendiger denn je. Die Europäische Union braucht die institutionellen Voraussetzungen und Instrumente, um durch eine starke Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) den neuen, komplexen Bedrohungen zu begegnen. Der Bericht der Zukunftsgruppe der elf europäischen Außenminister unter Leitung des damaligen Bun-desaußenministers Guido Westerwelle hat hierfür bereits im Jahr 2012 grundlegende Vorschläge vorge-legt, um die gemeinsame außenpolitische Handlungsfähigkeit Europas kurz- bis mittelfristig zu stärken. Teil dieses Vorschlags ist es, den Europäischen Auswärtigen Dienst (EEAS) und insbesondere die Rolle des Hohen Vertreters der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik zu stärken. Nur so kann der Hohe Vertreter wie ein europäischer Außenminister wirken. Der Hohe Vertreter sollte verantwortlich sein für alle zentralen Bereiche der europäischen Außenpolitik, einschließlich der Nachbarschaftspolitik. Zudem sollte das Amt des Hohen Vertreters von der Vielzahl administrativer Aufgaben entlastet werden und so den diplomatischen Freiraum erhalten, noch stärker außenpolitisch wirken zu können.

Ebenfalls sollte die Möglichkeit geprüft werden, eine größere Zahl von Entscheidungen der GASP mit qualifizierter Mehrheit nach Art. 31 Abs. 2 EUV zu treffen, um die Handlungsfähigkeit der Union zu erhö-hen und Blockadesituationen zu reduzieren. Insgesamt sollte die Europäische Union langfristig soweit wie möglich eine gemeinsame Vertretung in internationalen Organisationen anstreben, insbesondere einen gemeinsamen europäischen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Zudem ist langfristig der Weg zu einer gemeinsamen Repräsentation allein durch die diplomatischen Vertretungen der Europäischen Union zu prüfen. In einem ersten Schritt könnten die Mitgliedstaaten den rund 140 EU-Auslandsvertretungen mittelfristig konsularische Aufgaben übertragen.

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Weltweit sind nach Angaben des UNHCR rund 63,5 Millionen Menschen auf der Flucht. Es ist die höchste Zahl, die die Organisation je festgestellt hat.

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2. Für eine zukunftsfähige Gemeinsame Sicherheits- und VerteidigungspolitikIm Bereich der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) sollte die EU eine stärke-re Integration der nationalen Streitkräfte der europäischen Länder anstreben. Es gilt, die europäische Rüstungskooperation zu stärken und Verfahren wie „pooling & sharing“ zu intensivieren. Zudem sollten die Mitgliedstaaten anstreben, die nationale Rüstungsentwicklung und -beschaffung stärker im europäi-schen Rahmen zu bündeln. Hierzu sollten die im Vertrag von Lissabon vorgesehenen Möglichkeiten der verstärkten Zusammenarbeit und Vergemeinschaftung der GASP und GSVP voll ausgeschöpft werden.Die aktuellen Vorschläge der Kommission sowie der EU-Verteidigungsminister zum Aufbau einer ständigen strukturierten Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik sind deshalb eine wichtige Richtungs-entscheidung. Eine europäische Armee ist ein äußerst langfristiges Ziel. Sie müsste parlamentarischer Kontrolle unterliegen, die das gegenwärtige Europäische Parlament mit seiner geringen Legitimation noch nicht leisten kann. Vorbild könnten die bereits bestehenden EU-Battle-Groups sein, in die Mitglied-staaten nationale Kontingente entsenden, die unter EU-Hoheit geführt werden. Soll dies gelingen, ist hierfür aber insbesondere eine gemeinsame Vision und Strategie notwendig, wie gemeinsame europä-ische Streitkräfte eingesetzt werden sollen. Die Entwicklung einer solchen Vision und Strategie könnte beispielsweise in Form eines „europäischen Weißbuchs“ erfolgen. Zudem muss die Verteilung der Lasten gerecht unter allen EU-Mitgliedstaaten erfolgen. Da die grundsätzliche Entscheidung über den Einsatz von militärischen Streitkräften, und damit möglicherweise über Krieg und Frieden, in den elementaren Bereich nationaler Souveränität fällt, sollte der Deutsche Bundestag bereits heute mit anderen Parlamen-ten in einen Dialog treten, ob und wie das Mitspracherecht der nationalen Parlamente bei militärischen Einsätzen einer europäischen Armee gestaltet werden könnte.

Im Anschluss an die Entscheidung der britischen Wähler für einen Brexit ist bereits viel über mögliche Varianten, Formen und Bedingungen der zukünftigen Handels- und Wirtschaftsbeziehungen des Ver-einigten Königreichs mit der EU diskutiert worden. Es wird für Europa aber wichtig sein, die britisch-europä-ische Kooperation im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik auch außerhalb der gemeinsamen NATO-Kooperation auf eine dauerhafte Basis zu stellen. Zum einen sollte es Großbritannien selbstver-ständlich möglich sein, ebenso wie anderen Staaten wie den USA oder der Türkei, sich an europäischen Auslandsmissionen zu beteiligen. Zum anderen ist es wichtig, dass Großbritannien weiterhin eng im Be-reich der Rüstungskooperation im Rahmen von „pooling & sharing“ mit Europa verbunden ist. Auf dem Feld der Außenpolitik sollten nach einem Austritt Großbritanniens (informelle) Formate für einen regelmäßigen diplomatischen Austausch mit dem Vereinigten Königreich auf ihre Tragfähigkeit geprüft werden.

Deshalb setzen wir uns als Stiftung für die Freiheit ein:

Für eine Stärkung der Rolle des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik und des Europäischen Auswärtigen Dienstes.

Für gemeinsame Entscheidungen in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik nach dem Mehrheitsprinzip, um die EU handlungsfähiger zu machen.

Für eine bessere und engere Zusammenarbeit der Streitkräfte der Mitgliedstaaten auf europäischer Ebene mit dem langfristigen Ziel, eine europäische Armee unter gemeinsamem Oberbefehl und parlamentarischer Kontrolle aufzubauen.

Für eine Stärkung der europäischen Rüstungskooperation.

Für einen europäischen Diskussionsprozess zum Parlamentsvorbehalt.

Für eine enge Kooperation mit Großbritannien im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik.

III. Für eine humane und gemeinschaftliche europäische Einwanderungs- und Asylpolitik Weltweit sind nach Angaben des UNHCR rund 63,5 Millionen Menschen auf der Flucht1. Es ist die höchste Zahl, die die Organisation je festgestellt hat, und die Tendenz ist weiter steigend; dabei sind die Ursachen für Fluchtbewegungen vielfältig: bewaffnete Konflikte, Menschenrechtsverletzungen, ethnische, politi-sche und religiöse Verfolgung der Menschen und die Auswirkungen des Klimawandels. Der größte Teil von Menschen, die sich auf der Flucht befinden, bleibt dabei in ihren Herkunftsregionen. Dennoch ist inden vergangenen Jahren die Zahl der Flüchtlinge, die nach Europa kommen, stark angestiegen. Die ge-genwärtigen und kommenden Migrationsbewegungen nach Europa sind deshalb die große humanitäre Herausforderung der Zukunft für die Europäische Union. Damit Europa auch weiterhin ein Zufluchtsort für politisch Verfolgte und Schutzsuchende vor Krieg und Gewalt sein kann, bedarf es einer europaweiten, gerechten und solidarischen Neuregelung des Rechts auf Asyl und der Regelungen zum humanitären Schutz sowie insbesondere der Verteilung der Schutzsuchenden innerhalb der EU. Gleichzeitig muss die EU die Fluchtursachen in ihren Nachbarschaftsregionen bekämpfen und ihre Außengrenzen schützen. Denn nur, wenn die EU ihre Außengrenzen wirksam schützt, wird es mittelfristig möglich sein, ein Europa ohne Grenzkontrollen zwischen den Schengen-Staaten aufrechtzuerhalten. Die Möglichkeit, ohne Kont-rollen von einem Mitgliedstaat in den anderen reisen zu können, ist für viele Bürgerinnen und Bürger die unmittelbarste Erfahrung eines geeinten Europas; die dauerhafte Wiedereinführung von Grenzkontrollen hätte daher eine große psychologische und symbolische Bedeutung. Darüber hinaus wird prognostiziert, dass ein Ende der offenen Grenzen zwischen den Mitgliedstaaten Kosten in Höhe von bis zu 110 Milliar-den Euro über einen Zeitraum von zehn Jahren verursachen würde.2

1. Für eine humanitäre und solidarische Migrations- und AsylpolitikDie Europäische Union braucht dringend eine effektive und gleichzeitig humanitäre und solidarische Migrations- und Asylpolitik. Die Flüchtlingsbewegung 2015/2016 hat die Schwächen und Ungerechtig-keiten der bestehenden europäischen Asyl- und Einwanderungspolitik offengelegt, die sich bereits seit Längerem in Italien und Griechenland gezeigt hatten. Das Dublin-System bedarf einer grundlegenden Reform. Das Regelwerk – Kernstück des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems – ist spätestens seit Ende 2015 zusammengebrochen. Die erstmalig mit Mehrheitsbeschluss gegen die Stimmen von Ungarn, Tschechien, der Slowakei und Rumänien durchgesetzte Kontingentlösung zur Verteilung von Flüchtlingen zeigt die Zerrissenheit der Union in der europäischen Flüchtlingsfrage. Die Vorschläge der Kommission zur Reform der bestehenden Dublin-III-Regelungen vom Mai 2016 verbessern das fehler-hafte System nur minimal.

1 https://www.uno-fluechtlingshilfe.de/fluechtlinge/zahlen-fakten.html2 http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/grenzschliessungen-in-fluechtlingskrise-waeren-teuer-fuer-europa-14049635.html

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Ambitioniertere Reformen sind bislang an der mangelnden Einigkeit und Solidarität unter den Mitglied-staaten und insbesondere am Widerstand der Visegrád-Staaten gescheitert, die eine Verteilung von Flüchtlingen in der EU ablehnen3. Dennoch sollte sich die Europäische Union weiterhin für die Schaffung eines dauerhaften und verbindlichen Quotensystems zur EU-weiten Verteilung aller Asylberechtigten und Schutzsuchenden sowie von EU-einheitlichen Kriterien zur Gewährung von Asyl und temporärem Schutz in den Mitgliedstaaten einsetzen. Die Staaten am Außenrand der EU brauchen mehr Unterstützung durch die EU. Die Strukturen dafür sind mit dem Asyl-Unterstützungsbüro (EASO) und dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) vorhanden. Anreizsysteme könnten Länder wie Griechenland oder Italien dahin-gehend unterstützen, Verpflichtungen einzuhalten.

Wenn allerdings wie in der Vergangenheit ein Großteil der Flüchtlinge nach Deutschland oder Skandinavi-en will, werden Quoten allein die Menschen nicht daran hindern, ihren Weg zu finden. Unterstützend kann eine Art „virtuelles Quotensystem“ wirken, das die Länder, die entgegen der ihnen eigentlich zukommen-den Quote keine oder weniger Flüchtlinge aufnehmen wollen, verpflichtet, einen finanziellen Ausgleich in einen Fonds zu zahlen, aus dem Aufnahmestaaten unterstützt werden. Denn die EU steht als Gemein-schaft in der Verantwortung. Nationale Egoismen und Ressentiments dürfen nicht stärker sein als das Prinzip europäischer Solidarität und die Gebote der Humanität. Es ist daher nicht hinzunehmen, dass Mitgliedstaaten nicht bereit sind, die „Lasten“ des Europäischen Asylsystems zu tragen, gleichzeitig aber von den Vorteilen und dem Schutz der Union profitieren möchten. Hier muss ein klarer Ausgleich geleistet werden, beispielsweise durch ein stärkeres Engagement zum Schutz der gemeinsamen Au-ßengrenzen. Die Europäische Union muss auch auf diesem Feld handlungsfähig bleiben; hierzu gehört es, dass einzelne Mitgliedstaaten überstimmt werden können. Darüber hinaus muss die EU mittelfristig die Möglichkeit prüfen, Anträge auf Asyl in den Mitgliedstaaten der EU auch vom Ausland aus stellen zu können und ein Schengen-Visum – wie beispielsweise in der Schweiz – aus „humanitären Gründen“ zu erteilen. Langfristig ist der Vorschlag der Kommission zur Einrichtung einer europäischen Asylagentur mit Entscheidungskompetenz über Asylanträge im Rahmen eines einheitlichen und zentralisierten Ent-scheidungsprozesses anzustreben.

2. Für einen besseren Schutz der gemeinsamen EU-AußengrenzenDie EU-Außengrenzen geraten zunehmend unter Druck: nicht nur durch die Flüchtlingsbewegungen in Richtung Europa, sondern auch durch organisierte Kriminalität und transnationalen Terrorismus. Europa muss selbst in der Lage sein, die Verantwortung für seine innere und äußere Sicherheit zu übernehmen.Die EU muss befähigt werden, den Schutz der gemeinsamen Grenzen wirksam und eigenständig zu gewährleisten. Die Einrichtung einer gemeinsamen EU-Grenz- und Küstenwache, in der die Grenzschutz-agentur4 und die nationalen Grenzschutzbehörden zusammengeführt werden, ist hierfür der erste überfällige Schritt. Frontex sollte darüber hinaus aber im Sinne eines wirklichen europäischen Grenz- und Küstenschutzes ausgebaut, mit eigenen Kompetenzen und Mitteln ausgestattet und personell aufge-stockt werden.

Dies würde auch zu einer weiteren Verringerung der Krisenreaktionszeiten führen, für den Fall, dass die EU-Außengrenzen eines Mitgliedstaats der Sicherung bedürfen. Die Vorschläge der Kommission im Rahmen der Bratislava Roadmap greifen deshalb aus unserer Sicht weiterhin zu kurz. Die gemeinsame Verantwortung für Menschenrechte und Humanität hört nicht an unseren europäischen Außengrenzen auf. Die Europäische Union muss sich deshalb noch stärker jenseits ihrer Grenzen für Krisenprävention, Entwicklung und Stabilität engagieren.

Es bedarf eines vernetzten Ansatzes der Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik zur Prävention von großen humanitären Krisen und Fluchtbewegungen, insbesondere des Aufbaus einer stehenden zivil-hu-manitären Task Force als Instrument einer schnellen, umfassenden und sichtbaren Hilfe in akuten zivilen Krisensituationen im regionalen Sicherheits- und Nachbarschaftsumfeld der Europäischen Union. Eine solche Task Force kann beispielsweise bereits kurz- bis mittelfristig im Rahmen der Kompetenzen von Artikel 43 des Vertrags von Lissabon umgesetzt werden. Grenzstaaten außerhalb der EU, die ebenfalls erhebliche Flüchtlingslasten zu tragen haben wie Jordanien und die Türkei, müssen deutlich mehr als bisher finanziell und organisatorisch unterstützt werden, um die Lebensbedingungen in den Flüchtlings-lagern und bei der einheimischen Bevölkerung zu verbessern und Flüchtlingen eine Perspektive zu geben.

3. Für eine moderne und intelligente EinwanderungspolitikEuropa braucht Zuwanderung. Allein in innovativen Wirtschaftszweigen wie der Telekommunikations-branche fehlen nach Schätzungen bis 2020 ca. 75.000 Fachkräfte. Auf rund eine Million wird der Fach-kräftemangel im Gesundheitsbereich geschätzt. Um hochqualifizierten Arbeitnehmern aus Nicht-EU-Ländern die Möglichkeit zu geben, in Europa arbeiten und leben zu können, hat die EU im Jahr 2009 die „Blue Card“ eingeführt. Seitdem haben ca. 15.000 Personen die „Blue Card“ genutzt. Dennoch liegt der Anteil hochqualifizierter Arbeitnehmer, die in die EU eingewandert sind, weiter hinter den Vereinigten Staaten oder Australien. Nach Angaben der OECD hat Europa die Vereinigten Staaten als Ziel für Stu-denten weltweit abgehängt. Aber nur zwischen 16 und 30 Prozent bleiben nach ihrem Abschluss auch beruflich in der EU. Außerhalb Europas verbleibt laut der OECD aber mindestens ein Drittel der Studenten in ihren Studienländern5. Die Europäische Union bleibt im internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe unter ihren Möglichkeiten, die sie gerade mit Blick auf den demografischen Wandel zunehmend braucht, von dem ab 2020 spürbare Auswirkungen auf das Wachstum der westlichen Industriegesell-schaften ausgehen werden. Deshalb muss das europäische „Blue Card“-System im Rahmen der von der Kommission geplanten Überarbeitung nicht nur grundsätzlich vereinfacht werden, es muss auch gezielt für ausländische Hochschulabsolventen attraktiver gemacht und stärker beworben werden. Mittelfristig braucht Europa eine moderne und einheitliche Einwanderungspolitik, die über die „Blue Card“ hinausgeht.

3 Im Jahr 2015 wurden 1.321.050 Millionen Erstanträge auf Asyl innerhalb der EU gestellt (http://ec.europa.eu/eurostat/web/asylum-and- managed-migration/data/main-tables)4 Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union

Die Flüchtlingsbewegung 2015/2016 hat die Schwächen und Ungerechtigkeiten der bestehenden Europäischen Asyl- und Einwanderungspolitik offengelegt. Das Dublin-System bedarf einer grundlegenden Reform.

5 http://www.oecd.org/migration/europe-is-underachieving-in-the-global-competition-for-talent.htm

Die EU muss befähigt werden, den Schutz der gemeinsamen Außengrenzen wirksam und eigenständig zu gewährleisten. Frontex muss im Sinne eines wirklichen europäischen Grenz- und Küstenschutzes ausgebaut, mit eigenen Kompetenzen und Mitteln ausgestattet und personell aufgestockt werden.

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Deshalb setzen wir uns als Stiftung für die Freiheit ein:

Für eine Reform des Dublin-Systems, die eine humanitäre und gerechtere Asyl- und FlüchtlingspolitikinnerhalbderEUmöglichmacht.

Für die Einführung eines Schengen-Visums aus „humanitären Gründen“ und die Einrichtung einer europäischen Asylagentur.

Für die Schaffung einer Task Force zur schnellen zivilen Krisenprävention und humanitären Hilfe. Für einen besseren europäischen Grenz- und Küstenschutz sowie eine Stärkung der Grenzschutz- agentur Frontex.

Für eine intelligente und kohärente Einwanderungspolitik der EU.

IV. Für einen europäischen Binnenmarkt als Raum für Innovationen und InvestitionenDer europäische Binnenmarkt ist mit einem Bruttoinlandsprodukt von ca. 16,2 Billionen US-Dollar, 510 Millionen Bürgerinnen und Bürgern und rund 21 Millionen Unternehmen einer der größten Wirt-schaftsräume der Welt und ein historischer Erfolg der politischen und wirtschaftlichen Integration der EU. Seine Stärke und Innovationsfähigkeit ist entscheidend für den Erfolg Europas im globalen Wettbe-werb und bei der Verhandlung von Freihandelsabkommen. Vor allem aber für die Chance aller europä-ischen Bürger auf Arbeit und Wohlstand.

Zu den globalen Megatrends, die unsere internationale Ordnung prägen, zählt die weltweite Verschie-bung der Wirtschaftsmacht zwischen Industrienationen und aufstrebenden Staaten, die sich in der Zukunft fortsetzen wird. Der Anteil der Schwellen- und Entwicklungsländer am weltweiten nominalen Bruttoinlandsprodukt ist bereits stark angestiegen: von 13 Prozent (2000) auf 27,8 Prozent in 2012. Dieser Trend wird sich aller Voraussicht nach fortsetzen. Vor allem China wird zu einem der Hauptwett-bewerber der europäischen Wirtschaft aufsteigen.6

Die EU hat durch ihre integrative Kraft zu mehr wirtschaftlicher Konvergenz zwischen den Mitglied-staaten geführt. Seit Beginn der Euro- und Finanzkrise leidet Europa unter einer Wachstumsschwäche. Hierdurch wird auch das Wirtschafts- und Wohlstandsgefälle zwischen den Regionen wieder stärker. Von dieser Entwicklung sind insbesondere die Staaten in Südeuropa betroffen. Europa braucht deshalb eine nachhaltige Wiederbelebung des Wachstums. Hierfür muss die Europäische Union die richtigen po-litischen Rahmenbedingungen setzen. So kann auch die globale Wettbewerbsfähigkeit der EU gesteigert

werden. Nachhaltiges Wachstum ist auch eine wichtige Voraussetzung für die Bekämpfung der hohen Jugendarbeitslosigkeit in einzelnen EU-Mitgliedstaaten sowie für die Überwindung der Staatsschulden-krise im Euroraum.

Es ist eine Herausforderung, die Europa durch kluge Initiativen meistern kann, denn das Wachstumspo-tenzial des europäischen Binnenmarkts ist noch lange nicht ausgeschöpft. Doch zur Aktivierung der Wirtschafts- und Innovationskraft braucht es – neben einer entschiedenen Reformpolitik der betroffenen Staaten selbst – eine konsequente Vollendung des Binnenmarkts und eine Konzentration auf europä-ische Zukunftsprojekte wie die gemeinsame Digitalunion, einen gemeinsamen Energiebinnenmarkt, eine Kapitalmarktunion oder die Schaffung eines einheitlichen europäischen Luftraums. Es wird prognosti-ziert, dass allein ein gemeinsamer digitaler Binnenmarkt ein zusätzliches Wachstum in Höhe von 415 Milliarden Euro bedeuten könnte. Für Deutschland allein werden Investitionen von über 100 Millionen Euro erwartet.7 Es sind richtige Schritte für Europas wirtschaftliche Zukunft, auf die sich die EU-Kommis-sion mit aller Kraft konzentrieren sollte.

1. Für ein Europa, das die Chancen der Digitalisierung ergreiftDie Digitalisierung durchdringt zunehmend alle Bereiche unseres Lebens – dies gilt für den privaten Bereich ebenso wie für die Wirtschaft (Industrie 4.0). Dennoch setzen rund 41 Prozent der europäischen Unternehmen weiterhin nicht moderne Digital- und Kommunikationstechnologien ein.8 Die Kommission muss daher dringend ihr selbstgesetztes Ziel einhalten, den „Digital Single Market“ bis Ende des Jahres 2016 zu vollenden. Für die Sicherung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit ist es wichtig, dass Europa die Voraussetzungen schafft, damit die in der EU ansässigen Unternehmen diesen digitalen Rückstand schnellstmöglich aufholen. Hierfür bedarf es zum einen klarer und einheitlicher Regelungen beispiels-weise für den grenzüberschreitenden E-Commerce, transnationale Paketzustelldienste sowie den europaweiten Breitbandausbau oder das mobile Internet (5G). So können Wachstums- und Innovations-potenziale aktiviert werden, indem unterschiedliche nationale Regelungen harmonisiert werden, damit digitale Innovationen nicht mehr länger in allen 28 Mitgliedstaaten mit unterschiedlichen Regelungen konfrontiert werden.

Zum anderen ist es wichtig, dass die Europäische Union ihre Netze und deren Nutzer – Bürger wie Unter-nehmen – konsequent und verlässlich schützt. Daten gewinnen in der digitalen Wirtschaft zunehmend an monetärem Wert. „Big Data“ steht stellvertretend für diese Entwicklung. Deshalb ist ein effektiver und zeitgemäßer Datenschutz nicht nur Auftrag zur Verwirklichung eines europäischen Grundrechts.

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6 http://www.pwc.com/gx/en/issues/the-economy/assets/world-in-2050-february-2015.pdf sowie https://www.iwkoeln.de/_storage/ asset/169598/storage/master/file/4622405/download/Bericht_Europa_2025_aus_Sicht_der_Wirtschaft.pdf

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7 Handelsblatt, 22. August 20168 http://europa.eu/rapid/attachment/IP-15-4919/en/DSM_communication.pdf

Mit einem Bruttoinlandsprodukt von ca. 16,2 Billionen US-Dollar, 510 Millionen Bürgerinnen und Bürgern und rund 21 Millionen Unternehmen ist der europäische Binnenmarkt einer der größten Wirtschaftsräume der Welt.

Rund 41 Prozent aller europäischen Unternehmen setzen derzeit noch keine modernen Digital- und Kommunikations-technologien ein. 41%

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Den Schutz personenbezogener Daten sowie der Integrität und Vertraulichkeit von informationstechni-schen Systemen sowie der Kommunikation vor dem Zugriff Dritter sicherzustellen, kann auch zukunfts-weisender Standortvorteil für Europa sein. Der nächste Schritt ist, die bestehende E-Privacy-Richtlinie durch eine Verordnung weiterzuentwickeln, die alle internetbasierten Kommunikationsangebote umfasst und damit auch gleiche Wettbewerbsbedingungen schafft. Hierbei sollte unserer Meinung nach geprüft werden, eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung zum europäischen Standard zu machen. Auch Daten ohne Bezug zu einer Person haben in einer digitalen Wirtschaft einen wirtschaftlichen Wert. Teil eines Daten-wirtschaftsrechts ist daher, dass die EU für solche Datenbestände einen entsprechenden immaterialgü-terrechtlichen Schutz schafft.

2. Für eine sichere und bezahlbare Energieversorgung in EuropaDie EU importiert derzeit 53 Prozent aller Energieträger. Mit der Europäischen Energieunion will die EU deshalb für eine sichere, bezahlbare und klimafreundliche Energieversorgung in Europa sorgen. Die Ener-gieunion basiert auf fünf eng miteinander verknüpften Politikfeldern: Versorgungssicherheit, einem integ-rierten Energiebinnenmarkt, Energieeffizienz, Klimaschutz und Energieforschung. Durch Energieeffizienz und eine Stärkung der Nutzung heimischer Energieträger soll die EU unabhängiger von Energieimporten werden, um insbesondere in Krisenzeiten weniger Angriffsfläche für Energiepreisausschläge zu bieten.

Von großer Bedeutung ist hierbei der koordinierte Ausbau der Energieinfrastruktur. Mit der Beseitigung technischer und rechtlicher Hindernisse des europaweiten Energiehandels soll der Wettbewerb innerhalb der Energiemärkte im Interesse der Verbraucher gestärkt werden. Die Klima- und Energiepolitik fokus-siert vor allem auf die Reduktion der energiebedingten Treibhausgasemissionen, den Ausbau der Erneu-erbaren Energieträger und die Energieeffizienz. Ein koordiniertes Vorangehen im Rahmen gemeinsamer Ziele liegt im Interesse aller EU-Mitglieder, da hiermit die Effizienz der ergriffenen Maßnahmen erhöht werden kann. Exemplarisch hierfür steht der EU-Emissionshandel, mit dem prinzipiell eine kostenmini-male Realisierung der gesteckten Klimaschutzziele erreicht werden kann.

Bislang ist die Bilanz der Energie- und Klimapolitik der EU zwiespältig: Zwar konnten in den vergangenen Jahren erhebliche Emissionsminderungen erreicht werden. Auch beim Ausbau der Erneuerbaren Energie-träger und bei der Steigerung der Energieeffizienz haben die EU-Mitgliedstaaten erhebliche Fortschritte gemacht, wenn auch mit geringeren Zuwachsraten in jüngerer Zeit. Doch waren diese Erfolge auch mit deutlichen Kostensteigerungen für private Verbraucher und Unternehmen verbunden. Darunter hat die Wettbewerbsfähigkeit vor allem der energieintensiven Industrie erheblich gelitten. Dies liegt in erster Linie an der fehlenden Abstimmung der Unterziele der Klima- und Energiepolitik mit dem primären Klimaschutzziel, aber auch an einer Überfrachtung der Kernziele der Energiepolitik mit diversen Sekun-därzielen. Ein europaweit koordiniertes Vorangehen wird durch Zielvorgaben auf nationaler Ebene und sektorale Strategien verhindert. Damit verbunden ist eine Vielzahl von Instrumenten, was erhebliche Effizienzverluste impliziert. Während rund die Hälfte der Emissionen (Energiewirtschaft und energiein-tensive Industrie) dem EU-Emissionshandel unterliegen, sind die restlichen Sektoren (Wärme, Transport) einer Vielzahl von ordnungsrechtlichen und förderpolitischen Maßnahmen ausgesetzt.

Dies verhindert, dass in allen Wirtschaftszweigen einheitliche marktbasierte Anreize zur Senkung der Treibhausgasemissionen und des Energieverbrauchs gesetzt werden können. Hinzu kommt, dass die Ziele Ausbau der Erneuerbaren Energieträger und Energieeffizienz nur einen sehr indirekten Zielbeitrag zur Versorgungssicherheit und zum Klimaschutz leisten. Im Stromsektor führt die Emissionsminde-rung durch den Einsatz Erneuerbarer Energieträger wegen der fixen Emissionsobergrenzen lediglich zur Reduzierung der Preise für Emissionsrechte, wodurch in fossilen Kraftwerken Mehremissionen wieder lohnenswert werden. Energieeffizienzmaßnahmen induzieren aufgrund ihrer energiekostensenkenden Wirkung eine höhere Energienachfrage (Rebound-Effekt), wodurch sich der eigentliche Einspareffekt reduziert. Insgesamt steigen dadurch die Kosten der Energie- und Klimapolitik.

Vor diesem Hintergrund besteht erheblicher Reformbedarf, um die Belastungen für private Haushalte und Unternehmen zu reduzieren und die Wirksamkeit der europäischen Energiepolitik im internationa-len Maßstab zu erhöhen. Grundsätzlich hat sich der Emissionshandel als marktkonformes Instrument

bewährt. Langfristig verlässliche Reduktionsziele und der Verzicht auf eine Beeinflussung der Zertifi-katspreise würden die Planungssicherheit der betroffenen Unternehmen erhöhen. Der Emissionshandel sollte auch auf die Sektoren Wärme und Transport ausgedehnt werden, damit auch die Unternehmen in diesen klimapolitisch besonders wichtigen Sektoren einen Anreiz haben, Treibhausgasemissionen und Energieverbräuche zu senken. Mittel- bis langfristig dürfte damit eine deutliche Reduzierung der Kosten der Vermeidung von Treibhausgasemissionen verbunden sein, zumal sich dadurch der Bedarf an klimapolitischen Auflagen und Fördermitteln deutlich reduzieren ließe. Umfasst der Emissionshandel alle Wirtschaftsbereiche, ist eine gezielte Förderung des Ausbaus Erneuerbarer Energieträger und der Erhöhung der Energieeffizienz verzichtbar. Ein über alle Sektoren hinweg identischer Preis für CO2-Emis-sionen überträgt sich in hinreichende Anreize für den effizienten Einsatz von Energie und Investition in emissionsarme Energieträger.

3. Für eine Reform der europäischen Struktur- und Kohäsionspolitik und eine Freizügigkeit, die kein pauschales Recht auf Sozialleistungen begründetUm den europäischen Binnenmarkt noch stärker wettbewerbs- und zukunftsfähig zu machen, bedarf es aber auch der Reform bereits bestehender Instrumente. Der europäische Binnenmarkt fußt auf den vier Grundfreiheiten.9 Diese sind untrennbar miteinander verbunden. Ohne die Gewährung aller vier Grundfrei-heiten kann es für Nicht-EU-Staaten keine Teilnahme am gemeinsamen Markt geben; dies gilt auch für Großbritannien. Gleichzeitig muss die EU prüfen, wo den Mitgliedstaaten das Recht eingeräumt werden kann, Sozialleistungen für EU-Ausländer einzuschränken, ohne die Rechte der Unionsbürgerschaft zu ver- letzen, beispielsweise mit Blick auf das Kindergeld für EU-Ausländer, wenn die Kinder auch weiterhin imHeimatland leben. Das Recht auf Freizügigkeit darf kein pauschales Recht auf Sozialleistungen begründen.

Für die einzelnen Fonds im Rahmen der europäischen Struktur- und Kohäsionspolitik stellt die EU in ih-rem derzeit gültigen mehrjährigen Finanzrahmen rund 454 Milliarden Euro zur Verfügung.10 Damit bilden Mittel für EU-Struktur-und Kohäsionsfonds bereits den größten Posten im vereinbarten Gesamtbudget der EU (rund 960 Mrd. Euro).11 Allein aufgrund ihres Volumens sollten die EU-Strukturfonds grundsätz-lich fortwährend auf ihre Wirksamkeit überprüft, degressiv gestaltet und im Einzelfall angepasst bzw. aufgelöst werden, wenn sie nicht mehr notwendig sind. Der „Europäische Fonds für strategische Inves-titionen“ (EFSI) – das Herzstück des sogenannten Juncker-Plans mit einem Budget von 21 Milliarden Euro – muss unbedingt im Fall der Verlängerung als tatsächliche Investitionsplattform für besonders innovative, grenzüberschreitende Projekte genutzt werden. Insbesondere, wenn nach den Vorschlägen der Kommission aus dem September 2016 im Rahmen der Bratislava Roadmap die Laufzeit des EFSI nicht nur verlängert, sondern dessen Budget zudem verdoppelt werden soll. Im aktuellen Finanzrahmen sind für Großbritannien zwischen 2014 und 2020 ca. 10,8 Milliarden Euro eingeplant.12

9 Der freie Warenverkehr (Art. 28 ff. AEUV), die Personenfreizügigkeit, welche die Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Art. 45 ff.) sowie die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 ff.) umfasst, der freie Dienstleistungsverkehr (Art. 56 ff.) und der freie Kapital- und Zahlungsverkehr (Art. 63 ff.)10 https://cohesiondata.ec.europa.eu/overview#11 http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Europa/EU_auf_einen_Blick/EU_Haushalt/2012-02-26-mehr- jaehriger-finanzrahmen-der-eu-2014-2020.html12 https://www.dbresearch.de/PROD/DBR_INTERNET_DE-PROD/PROD0000000000418276.pdf

Mit rund 454 Milliarden Euro bilden die Mittel für EU-Struktur- und Kohäsionsfonds den größten Posten im vereinbarten Gesamtbudget der EU von rund 960 Mrd. Euro*.

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* Mehr jäh ri ger Fi nanz rah men 2014-2020

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In welchen Umfang diese noch eingesetzt werden, hängt vom endgültigen Zeitpunkt eines britischen Austritts ab. Im Nachgang zu einem Brexit müsste über die Mittelverteilung unter den 27 verbliebenen Mitgliedstaaten im Rahmen der Haushaltsberatungen zum nächsten mehrjährigen Finanzrahmen neu verhandelt werden. Diese Gelegenheit sollte die EU nutzen, um die Kriterien der Vergabe und Förderfähig-keit von Regionen und Ländern zu evaluieren.

Deshalb setzen wir uns als Stiftung für die Freiheit ein:

Für eine europäische Wirtschaftspolitik, die auf Innovation und Investitionen setzt.

Für eine schnelle Vollendung des digitalen Binnenmarktes und der Energieunion.

Für einen zeitgemäßen und effektiven Datenschutz als europäischen Standortvorteil.

Für eine Freizügigkeit, die kein pauschales Recht auf Sozialleistungen begründet.

Für eine grundlegende Evaluation der europäischen Struktur- und Kohäsionspolitik nach einem Austritts Großbritanniens und eine degressive Gestaltung sowie Wirksamkeitsprüfung der EU-Strukturfonds.

V. Für eine europäische Währungsunion als StabilitätsunionDie Folgen der globalen Finanzkrise sind auch acht Jahre nach ihrem Ausbruch in Europa noch spür-bar. Die Währungs- und Staatsschuldenkrise, die als Nachbeben den Euroraum tief erschütterte, ist noch nicht überwunden und stellt die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten weiterhin vor große Herausforderungen: Europa muss gemeinsam die Wachstumsschwäche in einzelnen Mitgliedstaaten überwinden, die betroffenen Mitgliedstaaten bei den hierzu notwendigen Reformen unterstützen und die Risiken einer Deflation durch die Niedrigzinspolitik der EZB abwehren. Die Mitgliedstaaten sind in der Verantwortung, ihre Staatshaushalte zu konsolidieren.

Seit 2010/2011 wurde als Reaktion auf die Staatsschuldenkrise bereits eine Vielzahl von institutionellen Reformen für die Eurozone beschlossen, weil sich in der Krise Schwachstellen in der Architektur der gemeinsamen Währungsunion und der Reformbedarf in einigen Mitgliedstaaten offenbarten. Deshalb muss die Europäische Union gemeinsam mit den Mitgliedstaaten den Weg einer Währungsunion als Stabilitätsunion weitergehen. Denn die großen Vorteile einer gemeinsamen europäischen Währungsuni-on können nur für alle wirken, wenn die gemeinsame Währung stabil und das Geld der Bürger sicher ist. Beide Ziele können am besten durch Konsequenz im Handeln und nicht durch Kompetenzverlagerungen auf die EU erreicht werden. Vorschläge für ein europäisches Finanzministerium, eine Euro-Regierung oder die Schaffung einer europäischen Fiskalkapazität sehen wir als Stiftung für die Freiheit daher nicht als zielführend an.

Eine stabilitätsorientierte Finanzpolitik der Mitgliedstaaten ist die wesentliche Voraussetzung dafür, dass in der Eurozone auf Dauer die Preisstabilität gesichert werden kann. Jeder Mitgliedstaat muss für sich genommen die gleichen Stabilitätserfordernisse erfüllen. Der europäische Stabilitäts- und Wachs-tumspakt kann nur seinem Namen gerecht werden, wenn er auch konsequent angewendet wird. Die Kommission hat noch nie Sanktionen wegen überhöhter Haushaltsdefizite verhängt. Dabei ging die Aufweichung der Kriterien maßgeblich von den Mitgliedstaaten aus. Sie muss damit anfangen, denn nur so können die Regeln des Stabilitätspakts glaubwürdig bleiben und effektiv wirken. Andernfalls verspielt die Kommission das Vertrauen der eigenen Bürger und auch der Kapitalmärkte. Auch sollten im Rahmen von Sanktionen die Aussetzung von Finanztransfers aus den Struktur- und Kohäsionsfonds ein mögli-ches Mittel sein. Darüber hinaus muss die Rolle der Kommission und des Rats bei der Überwachung der Haushaltsdisziplin der Mitgliedstaaten gestärkt werden. So könnten die Korrekturmaßnahmen, die der Rat im Rahmen der jährlichen multilateralen Haushaltsüberwachung einem Mitgliedstaat empfiehlt, im

Fall einer Defizit-„Frühwarnung“ verbindlich werden. Dies könnte erheblich dazu beitragen, die Haushalts-disziplin der Mitgliedstaaten zu stärken und frühzeitig korrigierend zu wirken.

Es gilt aber nicht nur die Regeln des Stabilitätspakts konsequent durchzusetzen und die Haushaltsdefizi-te der Mitgliedstaaten niedrig zu halten, auch die staatliche Gesamtverschuldung in der Eurozone muss nachhaltig sinken. In den vergangenen zwanzig Jahren ist die Staatsverschuldung in der EU erheblich angestiegen. Mit dem Beginn der Finanzkrise hat sich diese Entwicklung noch einmal verstärkt. Die nationalen Haushalte müssen konsolidiert werden, um die wirtschaftliche Handlungsfähigkeit der Staa-ten der Eurozone wiederherzustellen. Dies kann der Stabilitätspakt nicht allein leisten. Die betroffenen Mitgliedstaaten können der Schuldenfalle nur entkommen, wenn sie Strukturreformen durchführen. Wir sprechen uns nachdrücklich gegen neue Schuldenspiralen aus. Europa hat nur eine Zukunft, wenn es auf Wettbewerb und stabile Finanzen baut.

1. Für ein Staateninsolvenzverfahren für die Staaten des EuroraumsDarüber hinaus braucht die EU ein strukturiertes, glaubwürdiges und rechtssicheres Staateninsolvenz-verfahren für die Staaten des Euroraums. Hierdurch würde die Nicht-Beistandsklausel des Art. 125 AEUV weiter gestärkt und das Prinzip der Einheit von Handeln und Haften nochmals bekräftigt. Ein Staatenin-solvenzverfahren bietet darüber hinaus Schutz vor einer möglichen Verschleppung einer Staateninsol-venz sowie den wirtschaftlichen Folgen einer ungeordneten Staateninsolvenz. Deshalb sollte bei dem nächsten Verfassungskonvent eine Staateninsolvenz einschließlich der Möglichkeit eines (temporären) Rückzugs aus dem Euro vertraglich für die Europäische Union verankert werden.

Der EU als Wirtschaftsraum gelingt es weiterhin nur langsam, die Rezession infolge der globalen Finanz-krise von 2008 zu überwinden. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Geldpolitik für den Euroraum seit Beginn der Finanz- und Staatsschuldenkrise stark gelockert. Die langanhaltende Niedrigzinspolitik der EZB führt den Euroraum in finanz- und wirtschaftspolitisches Neuland. Der Grund für die Niedrig-zinspolitik liegt vorallem am niedrigen Wachstum in der EU, das auf die massive Reformabstinenz in Europa zurückzuführen ist. Bisher haben diese Maßnahmen nicht den erhofften positiven Effekt auf die wirtschaftliche Entwicklung im südlichen Raum der Eurozone erzielt. Auch die Regierungen der Mitglied-staaten nutzen die Niedrigzinsphase nur zögerlich für Wirtschafts- und Strukturreformen. Die langfris-tigen Auswirkungen auf die Vermögensentwicklung und Alterssicherung breiter Teile der europäischen Bevölkerung gilt es aber genau im Blick zu behalten. Wer eigenverantwortlich vorgesorgt hat, darf hierfür nicht bestraft werden.

Eine weitere Folge der Niedrigzinspolitik der EZB ist, dass eine große Zahl europäischer Bankhäuser we-niger Ertrag erwirtschaften. Dies betrifft häufig insbesondere jene Banken, deren Schwerpunkt im „boring banking“13 liegt. Dennoch sind weitere staatliche Rekapitalisierungsprogramme nicht zu rechtfertigen. Es droht kein Zusammenbruch des gesamten Finanzsystems wie 2008; ferner erscheinen die Risiken einer Insolvenz eines Kreditinstituts nach Erlass der Abwicklungsrichtlinie für den Bankensektor beherrschbar.

Richtet man den Blick auf die andere Seite des Atlantiks, zeigt sich, dass die USA ihr Finanzsystem nicht nur stabilisiert haben, indem sie ihre Finanzinstitutionen in einer akuten Notlage und unter stren-gen Auflagen schnell und verpflichtend rekapitalisiert oder abgewickelt haben. Sie haben vor allem früh glaubwürdige Stresstests durchgeführt und hierdurch das Vertrauen der Märkte wiederhergestellt. Bei letzterem muss Europa ebenfalls schnellstmöglich ansetzen und die Kriterien für die bestehenden Stresstests noch einmal schärfen und transparenter machen. Die Daten und Ergebnisse der Stresstests für den Bankensektor sind zudem grundlegend für die Entscheidungen der europäischen Bankenauf-sicht. Deshalb muss in den Stresstests unter realistischen Bedingungen geprüft werden, wie belastbar die systemrelevanten Banken sind, auch um unnötige Unsicherheit aus den Märkten zu nehmen.

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13 Zum Begriff des „boring banking“ siehe auch Montalvo, „Back to “boring banking” in the age of deleveraging and new financial regulation”, S. 2(6) http://84.89.132.1/~montalvo/wp/SEFO%20back%20to%20boring%20banking%202014.pdf

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2. Für eine Entkopplung von EZB und europäischer BankenaufsichtDie europäische Bankenaufsicht ist bislang bei der EZB angesiedelt, wenn auch organisatorisch ge-trennt. Preisstabilität, das Ziel der EZB als Zentralbank, und Finanzmarktstabilität als Ziel der Banken-aufsicht können aber miteinander in Konflikt geraten; so kann es im Sinne der Preisstabilität sinnvoll sein, Banken Anreize zur Kreditvergabe zu geben, während eine zu riskante Kreditvergabe die Stabilität des Bankensektors gefährdet. Dauerhaft kann dieser Zielkonflikt nur ausgeschlossen werden, wenn die Bankenaufsicht nicht unter dem Dach der EZB verbleibt.

Es ist deshalb nur konsequent, wenn die Europäische Union langfristig eine Vertragsänderung zur Schaf-fung einer unabhängigen EU-Behörde für die Bankenaufsicht anstrebt. Mittelfristig sollte das Aufsichts-system für die europäischen Banken insgesamt reformiert werden, um sicherzustellen, dass eine Bank nicht von mehreren Aufsichtsbehörden überwacht wird. Zudem sollte die Bankenaufsicht auf europä-ischer Ebene auf jene Institute beschränkt werden, die aus europäischer Sicht wirklich systemrelevant sind; dies wird bei Banken, die nur in einem Mitgliedstaat tätig sind, in der Regel nicht der Fall sein.

Die Schaffung einer von der EZB entkoppelten Bankenaufsichtsbehörde ist auch ein wesentlicher Schritt, um die EZB auf ihre Kernaufgabe zurückzuführen: die Gewährleistung der Preisstabilität. Darüber hinaus sollten mittelfristig die Stimmverhältnisse im EZB-Rat der Bedeutung der übernommenen Verantwortung Rechnung tragen und sich an den Haftungsverhältnissen ausrichten.

Eine weitere Harmonisierung und Verbesserung des europäischen Finanzmarktes ist die richtige Antwort auf die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise, um die gemeinsame Wirtschafts- und Währungsunion auch für die Zukunft stabil und widerstandsfähig zu machen. Die Schaffung einer europäischen Kapital-marktunion ist deshalb ein weiterer Schritt in diese Richtung: Eine stärkere Integration kann den europä-ischen Kapitalmarkt stärken und Barrieren für den Fluss von Kapital europaweit abbauen.

3. Für eine starke europäische Stimme in der internationalen FinanzpolitikDie europäische Bankenunion ist hier ein wichtiger Baustein zur Gewährleistung von Finanzstabilität. Harmonisierte Regeln, eine einheitliche oder zumindest koordinierte Aufsicht und die Möglichkeit der Abwicklung von Krisenbanken reduzieren die Risiken des Bankensektors für die Staatshaushalte der Mitgliedstaaten bereits jetzt nachhaltig. Die Pläne der Europäischen Union, im Rahmen der Bankenunion bis zum Jahr 2024 eine gemeinsame Eigenlagensicherung zu errichten, lehnen wir unter den gegebenen Bedingungen ab. Eine Vergemeinschaftung von Bankenrisiken setzt die falschen Anreize zu einem Zeit-punkt, an dem die europäischen Banken vor der Aufgabe stehen, sich zu konsolidieren und am internatio-nalen Finanzmarkt neu aufzustellen. Vor acht Jahren brach die globale Finanzkrise aus. Eine Vielzahl von Regelungen wurde gerade zu Beginn dieser Phase auf europäischer und nationaler Ebene getroffen, um die akute Notlage zu überwinden. Deshalb ist es sinnvoll, eine Expertengruppe einzusetzen, um die im Zusam-menhang mit der Finanz- und Schuldenkrise getroffenen Regulierungsmaßnahmen zu überprüfen.

Die Europäische Union und die nationalen Vertreter der Eurozone im Baseler Ausschuss sollten sich frühzeitig im Interesse der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion einbringen. Beispielsweise sollten Staatsanleihen risikoadäquat gewichtet werden müssen und Obergrenzen bei der Vergabe von Großkrediten eingeführt werden. Es gilt für die EU zudem frühzeitig Regelungen beispielsweise bei der Risikogewichtung entgegenzuwirken, die aus europäischer Sicht Fehlanreize zur Entwicklung des Ban-kensektors setzen und das Bankensystem anfälliger für Risiken machen. Auch die Regelungen der EU für die Eigenmittelausstattungen von Versicherungen (Solvency II) sind auf entsprechende Fehlanreize, vor allem im Hinblick auf die Bewertung von Staatsanleihen, zu überprüfen.

Deshalb setzen wir uns als Stiftung für die Freiheit ein:

Für eine konsequente und strikte Anwendung der Regeln des europäischen Stabilitäts- und Fiskalpakts.

Für ein Staateninsolvenzverfahren für die Staaten des Euroraums.

Für Stresstests im Bankensektor mit großer Transparenz und unter glaubwürdigen Bedingungen.

Für eine Entkoppelung von EZB und Bankenaufsicht.

Für eine stärkere Integration der europäischen Kapitalmärkte durch eine Europäische Kapital- marktunion.

Für eine Überprüfung der Wirksamkeit der Regulierungsmaßnahmen, die im Zusammenhang mit der Finanz- und Schuldenkrise getroffen worden sind.

Für eine starke europäische Stimme in der internationalen Finanzpolitik, insbesondere im Baseler Ausschuss.

VI. Für ein freies und tolerantes Europa der Bürger„In Vielfalt geeint“: Es ist der Leitsatz, den sich die Europäische Union als eines der Symbole der euro-päischen Identität gewählt hat. Die Vielfalt der Kulturen auf unserem Kontinent ist ein großer Reichtum. Gleichzeitig eint uns ein Fundament gemeinsamer Werte und das Bekenntnis zu Freiheit, Rechtsstaat-lichkeit, der Universalität der Menschenrechte und Demokratie. Das europäische Projekt war deshalb immer mehr als eine große Freihandels- und Wirtschaftszone. Die Europäische Union ist eine starke Wertgemeinschaft. Doch diese uns bindenden europäischen Werte geraten zunehmend unter Druck, im Inneren sowie von außen.

Dauerhaft kann ein Zielkonflikt zwischen europäischer Banken-aufsicht und Europäischer Zentralbank nur ausgeschlossen werden, wenn die Bankenaufsicht nicht unter dem Dach der EZB verbleibt.

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Europaweit sind populistische, nationalistische und anti-europäische Parteien im Aufwind. Wir dürfen aber nicht hinnehmen, wenn die EU zur Projektionsfläche für Globalisierungsängste und als Spielball von Populisten genutzt wird. Europa muss seinen Wert besser kommunizieren und für die Menschen erfahrbarer werden.

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Europaweit sind populistische, nationalistische und anti-europäische Parteien im Aufwind. Das perfide Spiel von Populisten und Anti-Europäern mit einer Politik der Angst, mit Vorurteilen und Demagogie verhallt nicht ungehört. Es ist an der Zeit, dass wir als Freunde Europas diesen Kräften eine klare und selbstbewusste Botschaft entgegensetzen: mit Vertrauen in die europäische Idee und mit dem Mut, für Europas Werte zu streiten – für ein Europa der Freiheit und gegen die Intoleranz, Kleinmütigkeit und den Hass gegenüber Fremden oder Andersdenkenden. Es sind aber nicht nur Ewiggestrige und Menschen-feinde. Es sind auch immer mehr jene Bürger, die die Globalisierung und ein zusammenwachsendes Europa nicht mit Begeisterung, sondern mit Sorge sehen. Denen ein Zusammenwachsen der Kulturen, Märkte und Regionen Angst macht und die eben nicht von Digitalisierung, Freihandel, grenzüberschrei-tender Mobilität und Wettbewerb profitieren – oder sich zumindest als Verlierer des globalen Fortschritts fühlen. Wir dürfen davor nicht die Augen verschließen. Die Europäische Union muss als Gemeinschaft Antworten auf diese Herausforderung finden, nicht nur Garant für Frieden und Stabilität zu sein, sondern auch die politischen Rahmenbedingungen so zu setzen, um ein Europa der Chancen und des Wohlstands für alle Menschen zu sein.

Europa wird für seine Werte und Freiheit aber nur glaubhaft nach innen und außen eintreten können, wenn es diese auch gegenüber sich selbst und den Mitgliedstaaten der Union einfordert und lebt. Es ist deshalb wichtig, dass die Europäische Union konsequent die Einhaltung der europäischen Prinzipien von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie gegenüber ihren Mitgliedstaaten einfordert. Die aktuellen Entwick-lungen in Polen und Ungarn sind deshalb mit großer Sorge zu sehen. Die Europäische Union darf nicht hinnehmen, dass sich Mitgliedsländer nachhaltig vom gemeinsamen Wertekanon Europas abwenden. Es ist deshalb notwendig, dass die EU kurz- bis mittelfristig Instrumente zur Rechtsstaatskontrolle bereits unterhalb der Schwelle von Artikel 7 des Lissabonner Vertrages erhält, die es ihr ermöglichen, frühzeitig Defizite der Mitgliedstaaten zu sanktionieren.

1. Für ein freies und sicheres EuropaAber auch von außen werden Europas Werte herausgefordert: Der internationale Terrorismus gefährdet die Freiheit und Sicherheit der europäischen Bürgerinnen und Bürger. Die Antworten auf neue und alte Bedrohungen unserer Sicherheit müssen aber immer in Balance mit den europäischen Freiheitswerten und Grundrechten erfolgen. Organisierte Kriminalität und Terrorismus sind heute grenzüberschreiten-de Phänomene. Es ist daher nur folgerichtig, wenn Europa zukünftig eine wichtigere Rolle bei deren Bekämpfung einnimmt. Aber ein europäisches Terrorabwehrzentrum darf nur auf einer gesetzlichen Grundlage und nach klaren Regeln für den Informationsaustausch operieren. Mittelfristig muss das Ziel eine europäische Ermittlungsbehörde wie das FBI sein. Vor einer Ausweitung der Ermittlungsbefugnisse europäischer Behörden müssen hierfür die Voraussetzungen geschaffen werden; zu fern ist im Moment noch eine wirksame parlamentarische Kontrolle, zu gering das gemeinsame Verständnis, nach welchen Regeln diese Ermittlungen ablaufen sollen. Wichtige Schritte bis dahin sind der Ausbau der Rechtshilfe zwischen den Mitgliedstaaten und die Schaffung gemeinsamer Standards zum Schutze der Grundrech-te im Ermittlungsverfahren und im Strafvollzug, die nicht hinter dem deutschen Niveau zurückbleiben dürfen. Zu begrüßen ist auch die Schaffung einer Europäischen Staatsanwaltschaft.

Trotz des deutlichen Zeichens, das der EuGH in seinen Urteilen zur Vorratsdatenspeicherung und zum Safe-Harbor-Mechanismus gesetzt hat, herrscht auf europäischer Ebene vielfach noch immer die Idee vor, mehr Daten würden mehr Sicherheit bedeuten. Diese Philosophie atmet auch die Fluggastdaten-speicherung. Nach den Anschlägen in Paris und Brüssel ist der Ruf nach gemeinsamen Datenbanken sowie der Verknüpfung und Zusammenführung der verschiedensten Datenbestände lauter geworden; datenschutzrechtliche Grundsätze wie die Zweckbindung werden als hinderlich empfunden. Aus liberaler Sicht ist dieser Ansatz verfehlt. Datenschutz ist Freiheitsschutz und wird auch durch eine informationelle Gewaltenteilung zwischen den verschiedenen Behörden in unterschiedlichen Datenbanken verwirklicht. Auch eine Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung ist daher abzulehnen.

Die zuständigen Behörden verfügten vor Anschlägen zumeist über die entscheidenden Informationen und wären auch berechtigt gewesen, diese Informationen zu teilen. Die Mitgliedstaaten nutzen auch die vorhandenen Datenbanken sehr unterschiedlich und scheinen teilweise dazu zu neigen, „ihre“ Informa-tionen wie Schätze zu hüten. Es sollte geprüft werden, ob die Mitgliedstaaten z.B. verpflichtet werden sollten, ihre Informationen an Europol zu übermitteln; eine solche Pflicht könnte auf der Basis von Art. 352 AEUV durch einen einstimmigen Beschluss des Rates auf Vorschlag der Kommission mit Zustim-mung des Europäischen Parlaments eingeführt werden. Es ist mit der Loyalitätspflicht zwischen den Mitgliedstaaten, der Grundrechte-Charta und den Grundsätzen des Binnenmarktes nicht vereinbar, wenn die Nachrichtendienste der Mitgliedstaaten die Bürger und Regierungen der anderen Mitgliedstaaten aus-spähen. Nach dem Ausscheiden des „Five Eyes“-Mitglieds Großbritannien ist damit der Weg für eine Be-kräftigung dieser Grundsätze in einem europäischen No-Spy-Abkommen frei. Damit soll eine Kooperation der Nachrichtendienste innerhalb der EU nicht ausgeschlossen sein; die Mitgliedstaaten müssen sich aber auch in diesem Bereich der nationalen Sicherheit an den europäischen Grundrechten messen lassen.

2. Für einen wirksamen europäischen DatenschutzDatenschutz ist in der freiheitlichen Informationsgesellschaft essenziell. Die Datenschutz-Grundverord-nung war ein wichtiger Schritt zur Stärkung und Vereinheitlichung des Datenschutzes auf europäischer Ebene. Die Entwicklung eines modernen Datenschutzrechts kann hierbei aber nicht stehen bleiben: Moderne Datenschutzprinzipien wie Datenschutz durch Technik und technikfreundliche Voreinstellungen (privacy by design and default), die schon bei der Konstruktion von Geräten und Software zu berücksich-tigen sind, müssen weiter gestärkt werden und Eingang in europäische Produktzulassungsregelungen finden (z.B. beim Connected Car). Ziel muss es sein, dass bereits die Technik so gestaltet ist, dass der Nutzer leicht über die Verarbeitung und Nutzung seiner personenbezogenen Daten entscheiden kann. Die EU muss sich dafür einsetzen, dass diese Prinzipien auch in internationale Standards Eingang finden.

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Organisierte Kriminalität und Terrorismus sind heute grenzüberschreitend. Es ist daher nur folgerichtig, wenn die Europäische Union zukünftig eine wichtige Rolle bei deren Bekämpfung einnimmt.

Datenschutz ist nicht nur ein europäischer Standortvorteil, sondern auch Auftrag zur Verwirklichung eines Grundrechts. Die EU muss sich gegenüber anderen Staaten konsequent für die Wahrung der Grundrechte ihrer Bürger einsetzen.

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Datenschutz ist nicht nur ein europäischer Standortvorteil, sondern auch ein Auftrag zur Verwirklichung eines Grundrechts. Die EU muss sich daher gegenüber anderen Staaten konsequent für die Wahrung der Grundrechte ihrer Bürger einsetzen. Der „Privacy Shield“ zwischen der EU und den USA, der gegen-über dem vom EuGH für unwirksam erklärten Safe-Harbor-Mechanismus nur kosmetische Änderungen enthält, ist nur dazu geeignet, das Vertrauen der Bürger in die Wahrung ihrer Rechte durch Kommission und Mitgliedstaaten zu erschüttern.

Gleiches gilt für das „Umbrella Agreement“ zwischen der EU und den USA sowie das SWIFT-Abkommen, in denen die EU es nicht geschafft hat, ihren Grundrechtsstandard durchzusetzen. Die EU muss vielmehr selbstbewusst als Markt mit 510 Millionen Menschen versuchen, den Schutz der personenbezogenen Daten ihrer Bürgerinnen und Bürger durchzusetzen, auch indem sie sich mit ihren Mitgliedstaaten für eine Fortentwicklung des Datenschutzes auf internationaler Ebene einsetzt (z.B. den Vereinten Natio-nen). Datenschutz ist auch keine Frage des Freihandels; die EU muss daher in ihren Abkommen klarstel-len, dass Regelungen zum Schutz personenbezogener Daten kein Handelshemmnis sind.

Deshalb setzen wir uns als Stiftung für die Freiheit ein:

Für eine Reform der Rechtsstaatskontrolle, um bei dauerhaften Verletzungen des europäischen WertekanonswirksameSanktionenverhängenzukönnen.

Für einen Beitritt zur Europäischen Menschenrechtskonvention durch die Europäische Union.

FüreineeffektiveKooperationdernationalenBehördenbeimInformationsaustauschunter Wahrung von Datenschutz und Bürgerrechten sowie Eintreten für einen wirksamen europäischen Datenschutz.

Für ein europäisches Terrorabwehrzentrum auf einer klaren gesetzlichen Grundlage und Regeln zum Informationsaustausch.

Für einen Ausbau der Rechtshilfe zwischen den Mitgliedstaaten und die Schaffung gemeinsamer Standards zum Schutze der Grundrechte in Ermittlungsverfahren.

Für ein europäisches No-Spy-Abkommen.

C Unser Appell für Europa

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Verantwortung braucht Weitsicht und Mut. Wir appellieren an die Führungen der Mitgliedstaaten, Europa aus seiner Lähmung zu befreien. Die größte Gefahr für Frieden, Freiheit und Wohlstand wäre der weitere Zerfall Europas. Die Krise Europas wird nicht von selbst enden. Sie ist aber auch die große und viel-leicht letzte Chance für einen Neustart Europas. Die von uns geforderten Reformen dürfen nicht länger verschoben werden. Europa muss Vertrauen und Handlungsfähigkeit zurückgewinnen. Europa ist unsere Zukunft, denn wir haben keine andere.

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