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Süddeutsche Zeitung Magazin 9 Nummer 44 | 30. Oktober 2014 LETZTE RUNDE Philipp Lahm spricht über seinen Rücktritt aus der Nationalelf, sein Verhältnis zu Michael Ballack – und erklärt, warum der Kapitän nie zu früh ins Bett sollte

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Philipp Lahm verabschiedet sich aus der Fußball-Nationalmannschaft. Für das Cover des SZ-Magazins lässt er sich bald darauf im Münchner »Valentinstüberl« fotografieren.

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  • 8 SddeutscheZeitungMagazin SddeutscheZeitungMagazin 9

    Nummer44 | 30.Oktober2014

    l e t z t e r u n d ePhilipp Lahm

    spricht ber seinen Rcktritt aus der Nationalelf, sein

    Verhltnis zu MichaelBallack und erklrt,warum der Kapitn

    nie zu frh ins Bett sollte

  • SddeutscheZeitungMagazin 1 1

    D i e b l d e n S p r c h e h a b e n m i c h n i e g e t r o f f e n

    InterviewChrIstof Kneer und Lars reIChardt

    fotos JULIan BaUMann

    Ein Kapitn, sagt Philipp Lahm, sollte nach dem Essen mit der Mannschaft nicht als Erster

    aufstehen sonst bekommt er zu wenig mit.

    Das erste groe Interview nach seinem Rcktritt: Philipp Lahm erzhlt, wie er vom schchternen

    Hnfling zum Kapitn der Nationalmannschaft wurde und warum er es nicht mehr sein will

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    SZ -MagaZiN Herr Lahm, tut es gut, vermisst zu werden?

    PhiliPP l ahM Ich habe mich nicht gefreut, dass meine Kollegen in den letz-ten beiden Spielen nicht erfolgreich wa-ren, falls Sie das so gemeint haben.

    Verfolgen Sie die Qualifikations-spiele fr die Europameister-schaft berhaupt?

    Das erste habe ich nicht gesehen, da bin ich mit meiner Frau bers Wochenende verreist und war gerade beim Abend- essen. Die Niederlage gegen Polen und das Unentschieden gegen Irland schon. Ich will ja mitreden. Wobei ich schon sicher bin, dass wir uns locker qualifizie-ren werden.

    Sie sprechen noch von wir?Ach, ich wrde auch von wir sprechen, wenn es um Leichtathletik ginge. Alle reden doch von unserer Nationalmann-schaft von 1974, als wir Weltmeister ge-worden sind. Ich freue mich jetzt schon darauf, die nchste EM mit Freunden beim Grillen anzuschauen. 2002 war das letzte Turnier, das ich am Fernseher ver-folgen konnte.

    Die vielen Reisen werden Sie nicht vermissen?

    Aserbaidschan oder Kasachstan werden mir nicht fehlen. Nicht dass es da hsslich gewesen wre, aber was soll ich da ohne Fuball? Die Reisen waren das Anstren-gendste beim DFB. Man darf sich das auch nicht so vorstellen, dass wir kurz ins Taxi springen knnten, um uns die Se-henswrdigkeiten einer Stadt anzuschau-en. Unsere Hotels werden belagert. Wenn man rausgeht, wird man erkannt und be-strmt, das setzt einen unter Stress. Also lsst mans lieber sein.

    Keine Flucht durch den Hinter-ausgang?

    Ich bin nicht der Typ fr so was. Ich bin schon neugierig auf fremde Lnder, aber das waren ja immer Dienstreisen, auf de-nen wir uns auf Fuball konzentrieren mussten.

    Ist es nicht seltsam, nach fnf Wochen Brasilien oder Sdafrika zu Hause nur erzhlen zu knnen, wie die Kabinen in den Stadien aussehen?

    In Kapstadt haben wir mal eine kleine Stadtrundfahrt gemacht, anderthalb Stunden oder so. Und von Brasilien hab ich ja durchaus was gesehen: Wir haben in so vielen unterschiedlichen Stdten gespielt, da kriegst du auf den Busfahrten vom Flughafen zum Hotel schon einen Eindruck.

    Wie haben Sie die Zeit in den Hotels totgeschlagen?

    Bcher sind wichtig. Zuletzt hab ich zwei Romane von Harry Kmmerer gelesen, die spielen in Mnchen, der eine dreht sich sogar um Fuball. Ich hab mir jetzt drei weitere von ihm schicken lassen. Abends an der Bar spielen wir schon mal Poker oder Schafkopf.

    Wer kann schafkopfen in der Nationalmannschaft?

    Nicht mehr viele. In Brasilien haben Tho-mas Mller, Manuel Neuer, Mats Hum-mels und ich gespielt. Aber der Unter-schied zwischen Schafkopf und Skat ist nicht so gro, deshalb haben Thomas Mller und ich uns manchmal beim Skat eingeklinkt, wenn die Betreuer in groer Runde gespielt haben.

    Sind Sie gut im Schafkopf?berragend.

    Findet Thomas Mller das auch?Ich glaube schon. Aber er spielt auch nicht schlecht.

    Wie hoch ist der Tarif in der Nati-onalmannschaft?

    Ich werde jetzt bestimmt nicht den Tarif bei der Nationalmannschaft offenlegen. Aber wenn ich mit Freunden am Tegern-see spiele, dann liegt er bei zwanzig Cent frs Sauspiel und fnfzig Cent frs Solo.

    Wie weit kann man sein Leben denn berhaupt offenlegen als Prominenter? Verkleiden Sie sich, wenn Sie durch die Stadt laufen?

    Ich verkleide mich nur an Fasching. Zum Einkaufen gehe ich ganz normal.

    Steht Lahm auf Ihrem Klingel-schild?

    Nein.Irgendein anderer Fuballer- name? Einer Ihrer Kollegen beim FC Bayern soll Cantona an der Klingel stehen haben.

    Bei mir steht kein Name eines Fuballers. Aber wenn ich jetzt verraten wrde, was auf meinem Klingelschild steht, htte ich ja gleich Lahm draufschreiben knnen.

    Viele Spieler wechseln stndig ihre Handynummer. Sie auch?

    Ziemlich oft, die jetzige hab ich gerade mal ein halbes Jahr. Manchmal muss ich meine Nummer rausgeben, wenn ich ei-nen Rckruf erwarte, bei Handwerkern oder bei Bestellungen, die wird leider oft weitergegeben. Dann rufen pltzlich wildfremde Menschen an.

    Wer ruft denn an? Frauen?Eher Kinder.

    Sie wissen schon, dass Sie ein Frauentyp sind?

    Ein Frauentyp, ich? Wer sagt das?Allein aus unserer Redaktion drei Kolleginnen. Viele Frauen schwrmen fr Sie.

    Beim Autokorso nach der Meisterschaft 2010 sa ich mit Thomas Mller und Jrg Butt in einem Wagen. Dem Jrg haben die Betrunkenen Butt, Butt, Butt! zuge-rufen. Die Frauen im besten Alter haben nur Augen fr Thomas Mller gehabt. Bei mir haben die Kinder und die ber Sech-zigjhrigen gerufen: Oh, toll, der Philipp!

    Halten Sie sich fr einen sensiblen Kapitn?

    Ja, doch. Aber ich wei auch nicht, ob ich immer das richtige Gespr fr die Pro-bleme meiner Mitspieler bewiesen habe. Ich habe es jedenfalls versucht.

    Sensibilitt ist eine Eigenschaft, die sich Ihre Vorgnger im Amt des Kapitns nicht unbedingt zugeschrieben htten.

    Wei nicht. Vielleicht ist jeder auf eine andere Art sensibel.

    Gren Sie Michael Ballack, wenn Sie sich heute ber den Weg laufen?

    Natrlich. Ich war ja auch bei seinem Abschiedsspiel. Ob Sie es glauben oder nicht: Das Verhltnis ist total entspannt.

    Bei der WM 2010 hat der Manager von Michael Ballack die National-mannschaft Schwulencombo genannt. Warum haben Sie darauf als Kapitn nicht reagiert?

    Warum sollte ich? Ich war damit nicht ge-meint. Auf so einen Angriff mssen ande-re reagieren, sicher nicht der Kapitn. Es gibt ja auch noch einen Verbandsprsi-denten, einen Manager, einen Trainer, erst dann kommen irgendwann die Spieler.

    Knnen Sie denn mit der Unter-stellung leben, Sie htten Michael Ballack beim DFB abgesgt?

    Ich war weder derjenige, der ihn vor der WM verletzt hat, noch war ich derjenige, der entscheidet, ob ein Spieler nominiert wird oder nicht. Ich habe ihn nicht abge-sgt. Ich wei das, und alle, die sich aus-kennen, wissen es auch.

    Bei der EM 2008 war die Stim-mung schlecht, weil sich jngere Spieler durch Michael Ballack und Torsten Frings, die Fhrungsspie-ler alten Typs, nicht gut reprsen-tiert sahen. Haben Sie daraus Leh-ren gezogen fr Ihre sptere Zeit als Kapitn?

    Eine Lehre war sicher: Wenn man sich zusammensetzt, dann kann auch wieder was entstehen selbst wenn nicht alle Probleme an- oder ausgesprochen wer-den. 2008 haben wir nach der Vorrunde offen ber vieles gesprochen und so etwas

    bewegt. Das haben wir 2012 im Mann-schaftsrat auch angestoen, perfekt gelun-gen ist es da noch nicht, so ehrlich muss man schon sein.

    Erinnern Sie sich noch an Ihr ers-tes Lnderspiel im Februar 2004 gegen Kroatien? Ihre erste Ball-berhrung in der Nationalmann-schaft war ein Fehlpass.

    Hab ich vergessen. Das ist zehn Jahre her und weit weg, gefhlte 500 Spiele liegen dazwischen. Ich glaube, mein Gegen- spieler hie Dario Kranjcar, dem bin ich danach noch fter begegnet. Das zweite Tor von Carsten Ramelow nach einem Pass in den Rckraum habe ich auch noch vor Augen.

    Erinnern Sie sich an Ihr erstes Lnderspiel-Tor?

    Das fllt mir nicht schwer, ich habe nur fnf gemacht: gegen Rumnien, Costa Rica, die Trkei, Bosnien-Herzegowina und Griechenland. Dabei zhle ich die Tore gar nicht zu den persnlichen Hhe-punkten, da sind andere Szenen viel pr-senter, zum Beispiel wie ich die Betreuer umarmt habe nach dem WM-Gewinn, oder wie Olli Kahn 2004, als wir nach der Vorrunde ausgeschieden sind, zu mir kam und sagte: Junge, an dir lags nicht. Da war ich gerade mal zwanzig.

    Versuchen Fuballspieler, sich vor jedem Spiel eine perfekte oder be-sonders schne Spielsituation ins

    Gedchtnis zu rufen, um sich so wie beim autogenen Training auf-zubauen?

    Perfekt gibt es nie im Fuball, dazu gibt es viel zu viele unterschiedliche Spielsitu-ationen. Schne Augenblicke gab es viele in 113 Lnderspielen. Aber auch die ge-hen mir nicht vor einem Spiel im Kopf um. Da nehme ich mir nur vor, aggressiv zu sein und die ersten Duelle gleich zu gewinnen.

    Als Sie zur Nationalelf stieen, war Oliver Kahn Kapitn. Hat er Sie beiseite genommen und Ihnen erklrt, auf was Sie achten ms-sen?

    Nein, so luft das nicht, das bekommt man alles einfach mit. Man sitzt beim Es-sen und fragt: Mssen wir immer das Gleiche anziehen?

    Phil iPP lahmbegann seine Karriere bei der FT Gern und wechselte als Elfjhriger zum FC Bayern, mit dem er spter fnf deutsche meisterschaften und einmal die Champions league gewann. mit der deutschen Nationalmannschaft wurde erVize-Europameister, zweimal Wm-Dritter undzuletzt in Brasilien Weltmeister. Nach demEndspiel gegen argentinien erklrte er im altervon dreiig Jahren seinen Rcktritt aus derNationalmannschaft.

    M e i n e F r a u h a t m i r i m U r l a u b e r k l r t ,

    d a s s m a n n i c h t P u n k t s i e b e n e r s c h e i n e n

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  • 14 SddeutscheZeitungMagazin SddeutscheZeitungMagazin 15

    Gehrt es nicht zu den Aufgaben eines Kapitns, die jungen Spieler einzufhren?

    Es gibt in der Nationalelf keine absurden Regeln, die man erlutern msste. Wenn es um neun Essen gibt, geht man zum Es-sen. Es ist eher so, dass mir meine Frau im Urlaub erst wieder erklren musste, dass man nicht Punkt sieben erscheinen muss, wenn die Kche ab sieben geffnet ist.

    Aber die Nationalhymne haben Sie lernen mssen.

    Die habe ich schon in der Schule auswen-dig gelernt. Als Kind habe ich ja viele Ln-derspiele bei meinen Groeltern gesehen, da habe ich die immer mitgesungen.

    Was haben Sie als Kapitn der Na-tionalmannschaft anders gemacht als Ihre Vorgnger Oliver Kahn und Michael Ballack?

    Wir sind sicherlich sehr unterschiedliche Charaktere, mein Stellvertreter Bastian Schweinsteiger und ich sind uns viel hn-licher, aber auch wir beide werden das sicherlich unterschiedlich gemacht ha-ben. Man wchst langsam in so eine Rol-le hinein und entwickelt allmhlich ein Gespr dafr.

    Waren Sie 2014 ein besserer Kapi-tn als bei der EM 2012 und der WM 2010?

    Das kann ich nicht beurteilen, aber ich kann es mir vorstellen. Ich besa mit drei-ig sicherlich mehr Erfahrung, wie man

    auf unterschiedliche Charaktere eingehen kann, als mit 26. Ich habe 2014 all meine Energie eingebracht, weil ich ja wusste, dass die WM mein letztes Turnier mit der Nationalmannschaft werden wrde. Ich habe alles klarer angesprochen als vier Jahre zuvor, in allen Bereichen, dem Trai-ner gegenber wie der Mannschaft.

    Was muss ein Kapitn klar an-sprechen?

    Kommunikationsprobleme zum Beispiel, die gab es selten und waren alle lsbar. Vor allem bei der WM 2010, wo die ganze Mannschaft einen super Teamgeist hatte.

    Spricht man schon von einem Kommunikationsproblem, wenn zwei Spieler sich auf dem Platz anschnauzen?

    Einfach gesagt, ja. Aber nicht jeder Rffel nach einem schlechten Pass muss vom Kapitn zur Sprache gebracht werden.

    Bei der EM 2012 hat Bastian Schweinsteiger bemngelt, nicht alle Ersatzspieler htten mitgefie-bert. Spricht so etwas der Kapitn an oder macht das der Trainer?

    Mitunter muss sogar der ganze Mann-schaftsrat berlegen, wie wir die wieder einfangen. Braucht jemand eine klare An-sage oder muss man ihn nur im Training besser motivieren? Es ist ein Miteinander, das mehrere betrifft. Wir hatten ja fnf gestandene Spieler im Mannschaftsrat, wenn da drei daraus auf einen Einzelnen zukommen, macht das schon Eindruck. Wenn allerdings einer aus dem Mann-schaftsrat den besten Zugang zu einem Spieler besitzt, dann redet der allein mit ihm. Ich hatte das Glck, einen tollen Mannschaftsrat zu haben und in Basti ei-nen Spieler, mit dem ich mich ber alles austauschen konnte.

    Klingt, als ob es beim DFB fnf Kapitne gegeben htte, die ge-meinsam die Verantwortung ge-tragen htten?

    Es hrt ja nicht damit auf, einzelne Spieler wieder einzufangen. Viele Gesprche habe ich allein fhren mssen, bei denen mir niemand helfen konnte: mit dem Trainer-stab, dem Prsidenten, der Delegation. Der gesamte Stab ist ja viel grer gewor-den seit 2004. Allein vierzig Betreuer wa-ren in Brasilien dabei, vom Zeugwart bis zu den Physiotherapeuten sind alle wich-tig fr die Stimmung, und ich musste je-

    dem das Gefhl geben, dass er mit einem Problem zu mir kommen kann.

    Was beredet ein Kapitn mit einem Fuball-Prsidenten?

    Das ganze Drumherum. Wolfgang Niers-bach will auch wissen, wie es luft, auf und neben dem Platz. Und wir haben die Prmien verhandelt.

    Sie sind offenbar kein guter Ver-handler. Im Vergleich zu der Pr-mie, die die spanische Mannschaft fr den WM-Titel erhalten htte, nahmen sich Ihre 300000 Euro pro Spieler geradezu lcherlich aus.

    Ich kann Ihnen auch nicht sagen, ob ich geschickt verhandelt habe, ich wei nur, dass es in der jngeren Geschichte immer mehr fr die Spieler wurde, ganz schlecht kann ich mich dabei also nicht angestellt haben. Es gibt ja nicht nur Prmien, und ich wei nicht, wie hoch die laufenden und turnierbezogenen Sponsorengelder bei den Italienern ausfielen, die sind bei uns nicht gering.

    Kommen die Spieler auch zu ih-rem Kapitn, wenn sie den Rasen zu stumpf finden oder mal ln-geren Ausgang bekommen wollen?

    Das ist vorgekommen, aber viele Spieler haben auch kein Problem, den Trainer direkt zu fragen. Die jngeren Spieler ha-ben weniger Scheu, die Dinge von sich aus anzusprechen. Sie wollen auch gerne eine Erklrung haben. Die Generation nach mir ist lockerer.

    Wre Klassensprecher eine pas-sende Beschreibung fr das Kapi-tnsamt?

    Ich war nie Klassensprecher, und in der Nationalmannschaft gibt es mehr zu tun als in der Schule. Aber der Vergleich stimmt schon einigermaen.

    Muss der Kapitn einer Fuball-mannschaft auch Witze reien oder am lngsten am Tisch sitzen bleiben, um von seinen Mitspie-lern akzeptiert zu werden?

    Man muss nicht zwingend gesellig sein. Sicherlich ist es fr einen Kapitn nicht von Vorteil, als Erster aufzustehen und aufs Zimmer zu gehen. Dann bekommt man ja auch weniger mit.

    Heit Spa am Reden auch, mit dem Trainer die Aufstellung zu diskutieren?

    I c h h a t t e e i n s u p e r V e r h l t n i s z u J o g i L w . I c h g e h e a b e r n i c h t z u m T r a i n e r u n d s a g e : D e r m u s s r a u s u n d d e r m u s s r e i n

    Mit 113 Partien steht Lahm auf Platz vier der Rekord-Nationalspieler. Erster ist Lothar Matthus mit 150.

    Man tauscht sich aus. Ich will meine Mei-nung gesagt haben, was ich fr richtig hielte, aber er muss die Mannschaft auf-stellen und mit den Konsequenzen leben.

    Hat der Trainer Sie je vorge-schickt, um anderen Spielern zu erklren, warum sie nicht spielen?

    Nein. Das erledigt der Trainer heutzutage meistens selbst im Einzelgesprch.

    Hat Jogi Lw vor jedem WM-Spiel zwlf Einzelgesprche gefhrt?

    Sicherlich nicht, nicht alle durften davon ausgehen zu spielen. Es gibt in der Mann-schaft eine Hierarchie, und man wei un-gefhr, wer spielen wird und wer nicht. Den Spielern das mitzuteilen gehrte nie zu meinen Aufgaben, ihnen zu vermitteln, dass sie dazugehren, dagegen schon.

    Wie vermittelt man so ein Gefhl?

    Zeigen ist das treffendere Wort, vermit-teln bedeutet ja, dass es nicht so wre. Man spricht sie im Training an, sagt: guter Pass. Wie oft trainieren wir acht ge-gen acht, da braucht man alle fr ein gutes Training. Man muss wegkommen von der Vorstellung, dass man zu zweit auf dem Zimmer sitzt und sagt: Du bist gut, du gehrst dazu. Man zeigt jeman-dem jeden Tag mit Kleinigkeiten, wie wichtig er ist.

    Trsten mussten Sie die Ersatz-leute nicht?

    Niemand kam zu mir, um sich trsten zu lassen, wobei natrlich jeder gedurft ht-te. Aber ich wrde auch nicht sagen: Jun-ge, das wird schon, oder so. Sondern ich wrde versuchen, jemanden zu motivie-ren. Schlimm ist ja nicht, wenn ein Spie-

    ler enttuscht ist ber eine Nichtnomi-nierung. Problematisch wird es, wenn er sich hngen lsst. Schauen Sie sich Per Mertesacker an, der bei der WM vier Spiele gemacht hat und dann gar nicht mehr zum Einsatz kam. Er war nicht be-leidigt, sondern hat die anderen unter-sttzt, das war vorbildlich. Oder wie Mats im ersten Spiel nach seinem Tor zur Bank gerannt ist, das war ein Zeichen, wie wichtig auch die anderen sind.

    Htten Sie sich als Kapitn auch so einen Wutausbruch wie Per Mertesacker vor der Kamera nach dem Algerien-Spiel erlauben knnen?

    Als Kapitn muss man sich nicht mehr zusammenreien als jeder andere auch. Aber Per hat nur gesagt, dass ihm die Fra-gen und die schlechte Stimmung nicht gefielen. Das war schon okay so.

    Haben Sie Joachim Lw gesagt, wie Sie das Algerien-Spiel gesehen haben?

    Selbstverstndlich. Ich will mir hinterher nicht vorwerfen mssen, etwas nicht an-gesprochen zu haben. Deshalb war die WM in Brasilien auch so anstrengend fr mich: Ich wusste vorher, dass es meine letzte ist, deshalb hab ich all meine Energie reingelegt. Ich habe mir zum Beispiel alle unsere Spiele jeweils hinter-her noch mal angesehen. Wir hatten ein super Computerprogramm, da konnte man zum Beispiel Spielszenen ber- einanderlegen, und da hab ich dann hin- und her analysiert. Ich hatte ein super Verhltnis zu Jogi Lw, deshalb hatte ich keine Bedenken, auf ihn zuzugehen. Ent-schieden hat immer er.

    Haben Sie ihm auch gesagt, wel-che Mannschaft Sie im Viertel- finale aufstellen wrden?

    Ich werde bestimmt nicht ffentlich ma-chen, was ich mit dem Trainer unter vier Augen besprochen habe. Das waren ein-fach fuballtaktische Sachen, die mir auf-gefallen sind.

    Taktik und Namen sind oft nicht zu trennen.

    Ich gehe aber nicht zum Trainer und sage: Der muss raus und der muss rein.

    Und andersrum? Hat der Trainer Sie jemals gefragt: Philipp, wen wrdest du auf dieser oder jener Position aufstellen?

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    Auswertung waren noch zwei andere rzte dabei, und alle drei haben so ein bisschen rumgedruckst. Dann hab ich ge-sagt: Wenn was ist, bitte sagt es mir gleich. Dann haben die gesagt: Aber wre das nicht schlimm, wegen der Weltmeister-schaft? Dann hab ich gesagt: Klar wr das schlimm, ich wr da gern dabei, aber wenns nicht geht, dann sagts mir bitte gleich.

    Und was haben sie Ihnen dann ge-sagt?

    Dass die Bilder komisch aussehen, dass man aber noch immer nichts Genaues sagen kann, weil alles noch so geschwol-len ist. Es wurde dann besser, aber dann gabs Tage, wos pltzlich wieder schlim-mer wurde, weil ich kaum geradeaus lau-fen konnte.

    Wann war Ihnen klar: Ich kann meine letzte WM spielen?

    Spt, sehr spt. Selbst nach den ersten bei-den Trainingseinheiten in Brasilien habe ich gedacht: Wenns so bleibt, kann ich nicht spielen.

    Machen Sie nach wie vor Yoga nach jedem Spiel?

    Nein. Hab ich lange gemacht, war sicher-lich auch sinnvoll, aber eine groe Lei-denschaft wurde nie draus. Ich mache die Dinge eigentlich immer nur so lange, wie ich Spa an ihnen finde. Jetzt mach ich nur noch Dehnbungen.

    Wollen Sie wirklich einmal Mana-ger werden, oder knnten Sie nicht auch am Fuball irgend-wann die Lust verlieren?

    Keine Ahnung, was ich in vier Jahren ma-chen werde, aber es wird sicherlich ir-gendwas mit Fuball sein, daran werde ich nie die Lust verlieren.

    Wer hat Ihr Endspiel-Trikot be-kommen?

    Ich habe es behalten. Niemand wollte mit mir tauschen.

    Das knnte in den letzten acht Jahren schon das eine oder andere Mal vorge-kommen sein.

    Auch in Brasilien?Wir haben uns auch in Brasilien ausge-tauscht.

    Es heit, aus der Mannschaft wur-de der Ruf laut, Sie sollten aus dem Mittelfeld wieder auf die rechte Verteidigerposition wech-seln. Stimmt das?

    Das kann schon sein. Das wre ja auch nichts Ehrenrhriges, wenn man hinten rechts als Verstrkung betrachtet wird. Ich selbst war aber in keiner Besprechung da-bei, in der Trainer oder Spieler gesagt ht-ten: Kannst du bitte wieder Rechtsvertei-diger spielen! Aber das kann auch ohne mich besprochen worden sein, das wre ja auch durchaus normal. Ich wei ja, dass der Trainer nicht nur mit mir spricht.

    Wo haben Sie gelernt, so diploma-tisch zu sein?

    Ich glaube, dass ich schon immer sehr sachlich und analytisch war. Emotionen schiebe ich eher beiseite.

    Wie haben Sie als Kapitn gelernt, Pressekonferenzen zu halten?

    Man bekommt allmhlich ein Gespr da-fr, was man sagen darf und was nicht. 2010 etwa, als wir viele Ausflle von erfah-renen Spielern zu verkraften hatten, habe ich gesagt, dass dies die beste Mannschaft sei, in der ich je gespielt habe. Ich wollte der Mannschaft Selbstvertrauen geben, aber bin belchelt worden dafr. Nachher haben mir alle besttigt, was fr ein tolles Turnier wir gespielt haben.

    Ihre Mutter sagt, Sie seien als Kind sehr schchtern gewesen und htten im Schultheater ledig-lich Baum, Mond oder Sonne ge-spielt. Sprechrollen htten Sie erst spt bekommen.

    Die Rollen als Baum, Mond und Sonne hatte ich einfach nur super drauf.

    Wann legte sich Ihre Schchtern-heit?

    Als ich gemerkt habe, dass ich das, was ich tue, gut kann. Ich war immer einer der Kleinsten und schmchtig. In der Schule war ich nie einer der Besten und habe mich eher so durchgemogelt. Ich war auch nie laut. Und dann bin ich auch ver-gleichsweise spt in die Pubertt gekom-men. Das spielt alles eine Rolle. Mit 16, 17 hat sich meine Schchternheit allmhlich gelegt und mein Selbstbewusstsein sich entwickelt.

    Sind Sie in der Schule gehnselt worden wegen Ihrer Gre?

    Klar gab es mal blde Sprche, aber die haben mich nie getroffen.

    Sie sind wahrscheinlich der erste Kapitn, dem man nicht nach-sagen kann, schnell laut zu wer-den, so wie Kahn oder Ballack.

    Wer ist denn heute noch ein lauter Spie-ler? Das hat sich alles verndert. Aber ich bin schon froh, dass ich die alte Generati-on noch miterleben durfte, die in jedem Training den hunderprozentigen Biss zeigte das hat deutsche Vereinsmann-schaften ja immer ausgezeichnet. Heute haben wir berragende junge Kicker, de-nen vielleicht der letzte Punch fehlt.

    Um den inneren Schweinehund zu berwinden?

    Auch. Frher musste man mehr arbeiten. Der richtige Mix ist schwer zu finden, wir sind Weltmeister geworden, so schlecht kann er also nicht gewesen sein. Aber manchmal denke ich, dass es den Jungen, die so talentiert sind, vielleicht ganz gut getan htte, mal das Tor tragen zu mssen oder auch mal zu verlieren. Ich habe die Champions League verloren, ein EM-End-spiel danach zu gewinnen, ist besonders schn. Ich mchte diese Niederlagen nicht missen, obwohl ich den WM-Titel natrlich auch frher angenommen htte.

    Sind Sie zurckgetreten, weil Sie frchteten, den Kontakt zu den jungen Spielern zu verlieren?

    Ich wollte den richtigen Zeitpunkt zum Rcktritt nicht verpassen und ich wollte selbst entscheiden, wann der gekommen ist. Ein Kapitn soll ja alles zusammenhal-ten, und da spielt das Alter schon eine gewisse Rolle. Im Fuball sind fnf Jahre schon viel, die meisten Spieler sind vier, fnf oder neun Jahre jnger als ich. Des-wegen habe ich das lieber bergeben.

    Sie hatten Sorge, dass die Jungen sich fragen, was erzhlt Opa denn wieder vom Krieg, wenn Sie von Demut sprechen und davon, dass es ganz gut tut, mal die Tore zu tragen?

    bertrieben ausgedrckt: Ja. Auerdem war mir immer klar, ich werde es nicht bis zum Ende auspressen und ich werde nicht so lange spielen, bis nichts mehr geht.

    Mit wem haben Sie Ihren Rck-tritt besprochen?

    Mit meiner Frau, der Familie, mit Freun-den, meinem Berater. Fr mein nheres Umfeld war das keine berraschung. Alle haben ja mitbekommen, wie schwer es mir fllt, so viel weg von meinem Sohn gewesen zu sein. Ich bin mir sogar ziem-lich sicher, dass meine Trainer wussten, wie wichtig mir auch andere Dinge sind. Nicht dass sie meinen Rcktritt vorausge-sehen htten, aber sie werden sich in der Rckschau sicher gesagt haben: Stimmt, wir htten das ahnen knnen.

    Sie betonen immer, wie viel Ener-gie Sie in diese letzte WM gesteckt haben. Waren Sie nach Ihrer Sprunggelenksverletzung, die Sie kurz vor der WM im Pokalfinale erlitten hatten, berhaupt sicher, dass Sie rechtzeitig zur WM fit werden wrden?

    Um ehrlich zu sein: berhaupt nicht. Es war ja eigentlich keine groe Verletzung, aber sie hat sich so angefhlt. Die Pro-bleme mit dem Sprunggelenk haben sich dann auch durchs Turnier gezogen.

    Gab es in der Reha auch finstere Momente, in denen Sie dachten: Das wird nix mehr mit meiner letzten WM?

    Ich habe das damals nicht ffentlich ge-macht, aber es gab schon schwierige Mo-mente. Als die Mannschaft schon in Sd-tirol im Trainingslager war, war ich noch mal bei Dr. Mller-Wohlfahrt, da wurden erneut Bilder gemacht, und bei der

    M e i n e T r a i n e r w e r d e n s i c h i n d e r R c k s c h a u s i c h e r g e s a g t h a b e n : S t i m m t , w i r h t t e n d a s a h n e n k n n e n

    trafen Philipp lahm zwei mal zu langen Ge-sprchen, zuletzt im Valentinstberl, einer mnchner Bar, in der mehmet Scholl zeitweise als Discjockey beschftigt war.

    ChriStOf kNeer undl arS reiChardt

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