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naselja

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  • Die Entwicklung Mitteleuropas ist in vielen Periodender europischen Geschichte stark von Prozessen inSdosteuropa beeinusst. Dies gilt insbesondere frden Zeitraum zwischen 6500 und 3800 v.Chr., in demsich die wesentlichen Neolithisierungsprozesse voll-ziehen. Um die Einfhrung von Ackerbau und Vieh-zucht hierzulande besser zu verstehen, ist daher einBlick in den Sdosten unabdingbar: Dort ist Garten-und Landwirtschaft, Kupfertechnologie und einedeutliche Zunahme der Bevlkerung wesentlich fr -

    her greifbar. Im Folgenden sollen verschiedene As -pek te der Entwicklung des sdosteuropischen Raumsnher betrachtet werden.

    Von Anatolien nach Europa

    Die neolithische Wirtschaftsweise und die damit ver-bundene Weltanschauung gelangt nach ihrer Entste-hung im Fruchtbaren Halbmond (ca. 104008200 v.Chr.) zunchst nach Zypern und Anatolien,wo sich bereits ab 8400 v.Chr. buerliche Siedlungenentwickeln, die Gartenbau und intensive Viehhaltungbetreiben. Ausgehend vom Ursprungszentrum imNorden Mesopotamiens, wo komplexe Formen ritu-eller Bruche auch in Monumentalbauten wie Gbe-kli Tepe umgesetzt werden, lassen sich in Hailar oderatalhyk Gemeinschaften fassen, die auf einer so-liden Subsistenzbasis die neue Wirtschaftsweise undneue soziale Verhltnisse etablieren. Siedlungen aufZypern wie Khirokitia besitzen eine eigenstndigeKultur mit hohem Anteil an landwirtschaftlicher Pro-duktion. Bereits um 6500 v.Chr. erreichen Vorbotender neuen Entwicklung an der Westkste der heuti-gen Trkei den gischen Raum.

    Dort nden wir zu dieser Zeit eine Bevlkerungaus Wildbeutern und Fischern vor, die aufgrund ihrermobilen Lebensweise kaum archologisch greifbareReste hinterlassen hat. Dennoch zeigt sich schon frdiese sptmesolithische Zeit mit der Verbreitung desqualittvollen Obsidians von der Insel Melos ein weitverzweigtes, ber Hunderte von Kilometern reichen-des Austauschnetz. Es sind Seefahrer, die in kleinenBooten fr einen regen Kstenverkehr sorgen undber die zumeist in Sichtweite liegenden Inseln eineVerbindung zwischen dem anatolischen und grie-chischen Festland herstellten. Auch auf Kreta gibt esbereits um ca. 6800 v.Chr. eine erste buerliche Nie-derlassung mit Anbau von Getreide, die allerdingsbald wieder aufgegeben wird. Diese frhbuerliche

    Frhe Bauern und Tellsiedlungen in SdosteuropaNetzwerke, Bevlkerungsdichten undSiedlungssystemeJohannes Mller

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    Die Neolithisierung Sdosteu-ropas ist ein Prozess, in demverschiedene Kernregionender gis und des Balkans v.a.ab 6100 v.Chr. besiedelt wer-den. Dabei spielen sowohlagrarische Gruppen als auchWildbeuter eine Rolle. Mesoli-thische und neolithischeGruppen benutzen gemeinsa-me Netzwerke, z.B. bei derRohstoffversorgung mit Obsi-dian aus Melos oder Tokai(blau).

    Tokai

    Melos

    7200 v. Chr. 5500

  • Siedlung war noch ohne Keramik und entsprach derakeramischen Nahrungsmittelproduktion, -lagerungund -konsumption, wie sie damals fr Anatolien ty-pisch war. Von der Insel Kythnos ist eine Fundstellebekannt, bei der sesshafte Jger, Sammler und Fischerunter zeltartigen, aber mit Steinen befestigten Httenihre Toten bestatteten. Auch hier drften Einsseaus dem neolithischen Osten sichtbar werden, diesich allerdings nicht in einer vernderten Subsistenz-wirtschaft widerspiegeln.

    Ab ca. 6400 v.Chr. entstehen im gischen Raumdann Drfer frher Bauern und in Thessalien einefr Ackerbau und Viehzucht hervorragend geeigneteSiedlungskammer des griechischen Festlandes ers-te Tellsiedlungen. Beispiele fr diese schnell wach-senden Niederlassungen sind Sesklo und Achilleionsowie Argissa und Otzaki Magula. Auch in Mazedo-nien und angrenzenden Gebieten prgen kleine Sied-lungen mit rechteckigen Lehmziegelgebuden diefrhbuerliche Landschaft. In Nea Nikomedia weistein etwas grerer Bau mit zahlreichen Figurinen-funden auf die soziale Entwicklung hin: Die Anlageder Feldur erfordert gemeinschaftliches Handeln inweit grerem Ma als dies bei mobilen oder sess-haften Wildbeutern notwendig war. Emmer, Einkornund Gerste wurden in einer Zweifelderwirtschaft an-gebaut; Linsen, Erbsen und gesammelte Frchte bil-deten zusammen mit Schaf/ Ziege und Rind als Haus-tiere die Ernhrungsgrundlage. Die Aufteilung derLandschaft, z.B. in Thessalien, geschieht nach festge-

    legten Regeln: Whrend frhere Forschungsanstzev.a. den Einuss der kologischen Grundbedingun-gen auf die Ortswahl betonen, knnen neuere Arbei-ten fr Thessalien eine politische Aufteilung des Lan-des wahrscheinlich machen. Die Herausbildung vonBesitzverhltnissen bei der Ressourcenausnutzung istnoch wichtiger als die natrliche Umwelt.

    Um 6100 v.Chr. hat die buerliche Wirtschafts-weise weite Teile Griechenlands erfasst, und nungreift der Neolithisierungsprozess in bemerkenswer-tem Tempo nach Norden aus. Innerhalb von wenigenGenerationen entstehen im westlichen Karpatenraumdie ersten Bauernsiedlungen.

    Auf zu neuen Ufern die Ursachen

    der Ausbreitung

    Was ist die Triebkraft dieser dynamischen Entwick-lung? Aus palodemograscher Sicht nden sich kei-ne Anhaltspunkte dafr, dass aufgrund eines hohenBevlkerungswachstums die kologische Tragfhig-keit bestimmter Regionen berschritten war und einTeil der Menschen abwandern musste. Deutliche Un-terschiede lassen sich jedoch in der materiellen Kul-tur dieser frhen Gruppen fassen. Whrend zu Be-ginn der Neolithisierungsprozesse ein rechteinheitliches Dekor- und Formenspektrum der inHaushaltsproduktion hergestellten Keramik vorliegt,ndert sich der Charakter der Ware nach mehreren

    | Frhe Bauern und Tellsiedlungen in Sdosteuropa Netzwerke, Bevlkerungsdichten und Siedlungssysteme16

    Die Siedlungskonzepte derfrhen Bauern in der gisund Mitteleuropa unterschei-den sich: In Sdosteuropa er-kennen wir die Entwicklungvon planmig angelegtenDrfern, whrend in Mitteleu-ropa zur gleichen Zeit nochEinzelhfe oder Weiler vor-herrschen.

    ORGANISIERTEDRFER

    EINZELHFE,WEILER UNDKREISGRBEN

    DRFER MITHFEN

    EINZELHFE UNDGRUPPENSIEDLUNGEN

    EINZELHFE UNDGRUPPENSIEDLUNGEN

    UPPENSIEDLUNGEN

    BEFESTIGTEORGANISIERTESIEDLUNGEN

    DRFER MITZENTRALBAU

    FER MITN

    20 m

    WestlichesMitteleuropa

    SdstlichesMitteleuropa

    stlichesKarpatenbecken

    WestbalkanWestliches

    KarpatenbeckenOstbalkan gis

    6000

    5500

    5000

    4500

    4000

    3500

    v. Chr.cal BC

    ENTW ICK LUNG NEOLITHISCHER S IEDLUNGSSTRUKTUREN

    Gura Baciului

    Polgar-Czszhalom

    UPUPUPUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUU

    ului

    Petrivente

    ar-Czszhalom

    400 m

  • Generationen: Vielfalt und regionale Differenzierungnimmt zu, was wahrscheinlich Abgrenzungsprozesseinnerhalb der Gesellschaft widerspiegelt. SozialeSpannungen (social tension) drften insbesonderejngere Mitglieder der Gemeinschaften dazu veran-lasst haben, neue Ufer aufzusuchen oder mit be-nachbarten Wildbeutern in Kontakt zu treten.

    Der bergang zum Neolithikum in Sdosteuropawar vielfltig: von der Akkulturation einheimischerSammler- und Jgergruppen ber regionale Mobili-tt buerlicher Individuen bis hin zu Familien, die

    Pioniersiedlungen in neuen Gebieten errichteten. Diejeweiligen Gruppen tragen einen Teil der Traditionenund Erinnerungen mit sich. Aus ethnograschen Beispielen wissen wir, dass der Umgang mit den kul-turellen Wurzeln fr Mnner und Frauen sehr unter-schiedlich sein kann und auch die Verbreitungsme-chanismen des Neuen von Mnnern und Frauenganz anders gehandhabt werden.

    Ab ca. 6100 v.Chr. werden einzelne Kernregionenmit hohem ackerbaulichem Potenzial in weiten Teilender Balkanhalbinsel neolithisiert, und zwar entstehen

    Auf zu neuen Ufern die Ursachen der Ausbreitung | 17

    Neolithische Feinkeramik inSdosteuropa war uerstqualittvoll. Im Bild sind einBecher aus dem thrakischenFrhneolithikum und derTheiss-Kultur zu sehen.

    Menschliche Knochen in Ein-hegungen neolithischer Sied-lungen Sdosteuropas kn-nen auf gewaltttige Konflik-te hinweisen, die im Zusam-menhang mit zunehmenderUngleichheit stehen (Beispiel:Graben Okolite).

  • die neuen Bauernsiedlungen in Regionen wie der Un-teren Donau, dem bulgarischen Hinterland, an derThei, in Zentralbosnien oder in Siebenbrgen, dienaturrumlich Thessalien hnlich sind. Kaum nochetwas erinnert jetzt an die neolithischen Kulturen auslteren Zeiten: Die Keramikdekoration, die Hausbau-und Siedlungsweise hat einen neuen, eigenstndigenCharakter, und nur die weiblichen Tonguren sowieHaustiere, Getreide und Arbeitswerkzeuge lassennoch die Wurzeln erahnen. Kleinere Rechteckhuser,oft giebelparallel angeordnet, prgen die Siedlungen,die noch nicht als echte Drfer bezeichnet werdenknnen. Sie sind zu klein, und es zeichnen sich keinekommunalen Aktivitten ab. Die KeramikgruppenStarevo, Cri und Krs in den unterschiedlichenRegionen wirken trotz mancher Unterschiede (be-malt/ unbemalt, mit/ ohne Applikationen) nochrecht einheitlich, und erst im Laufe der Zeit kommt eszu einer strkeren Vielfalt und Abgrenzung, wie wirsie bereits Jahrhunderte zuvor in Griechenland beob-achten konnten. Ab ca. 5700 v.Chr. setzt dann amnordwestlichen Rand des Karpatenbeckens die nchs-te Ausbreitungswelle der neolithischen Produktions-weise ein, und in Mitteleuropa formiert sich die Li-nearbandkeramik.

    Ausbreitung entlang der Ksten

    Im Gegensatz zum kontinentalen, donaulndischenGebiet Sdosteuropas verlaufen die Neolithisie-rungsprozesse im Adriaraum anders. Ab etwa 6000 v.Chr. lassen sich hier in den fruchtbaren Flysch-Ebe-nen des Kstenlandes erste buerliche Siedlungennachweisen, die abweichend von der typischen mate-riellen Kultur des frhen balkanischen Neolithikumsnur die mediterran geprgte Impresso-Keramik auf-weisen. Zugleich fehlen Figurinen, und Beile bzw.Mahlsteine sind sehr selten. Der Adriaraum bildet ei-ne kumene, in der es zwischen italischer Ostksteund balkanischer Westkste offenbar durch Kontak-te zur Verwendung gleicher Verzierungsmuster kam.Die Seefahrt orientiert sich wiederum an den sicht-baren Inseln und prgt die mediterranen Neolithisie-rungsprozesse.

    Die letzten Wildbeuter

    Wie in weiten Teilen Europas ist der Fundnieder-schlag der spten Jger, Fischer und Sammler, die voroder gleichzeitig mit den drichen Gemeinschaftenlebten, eher gering. Wir kennen einige wenige meso-lithische Freilandstationen und Hhlen, jedoch nicht

    aus den frhen agrarischen Kerngebieten, sondernzumeist aus den fr Landwirtschaft wenig geeignetenRckzugsregionen. Als typisches Beispiel kann dasDinaridische Castelnovien dienen, das im Dinari-schen Gebirge zwischen einerseits adriatischem undandererseits donaulndischem Neolithikum nochlngere Zeit existiert. Offensichtlich werden unter-schiedliche kologische Areale mit verschiedenenRessourcen durch die jeweiligen Gruppen genutzt:fruchtbare Terra-rossa-Bden durch die Bauern unddas Karsthinterland durch die letzten Wildbeuter.Tatschlich haben die buerlichen Gruppen im Rah-men einer Fernviehhaltung wohl in den Sommermo-naten Rinder, Schafe und Ziegen im Gebirge gehtet,sodass ein Kontakt entstand, der Schritt fr Schrittzur bernahme von Elementen der materiellen Kul-tur und spter der gesamten Lebensweise durch dieWildbeuter gefhrt hat. Auch knnen wir feststellen,dass entlang der Adria eine frhe monochrome, po-lierte Keramik die erste Tonware ist, die aus dem Setan Gefen von Wildbeutern bernommen wird, wasfr eine bewusste Selektion spricht.

    Im Gegensatz zum Dinaridischen Mesolithikumherrscht im Gebiet des Eisernen Tores der Donau ei-ne ganz andere Situation: Mit der Lepenski-Vir-Kul-tur erfassen wir hier ab 6500 v.Chr. Sammler, Jgerund Fischer, die aufgrund des aquatischen Reichtumsder Donau sesshaft leben und ber fest installiertetrapezfrmige Htten mit organisierten Dorfpl-nen inklusive Dorfplatz verfgen (vgl. S. 29). Ein-drucksvoll lassen bewegliche und fest installierte,

    | Frhe Bauern und Tellsiedlungen in Sdosteuropa Netzwerke, Bevlkerungsdichten und Siedlungssysteme18

    Im Adriaraum wird die Inter-aktion zwischen Wildbeuternund ersten Bauern deutlich.Die Sommerweide von Haus-tieren im dinarischen Hinter-land findet dort statt, woWildbeuter ihre Siedlungs-areale haben. EntsprechendeKommunikationsbezge fh-ren auf die Dauer zur Auswei-tung des neolithisierten Ge-biets.

    Impresso, Siedlungen

    Impresso, Abris und Hhlen

    Dinarisches Castelnovien

  • schartig skulptierte Stelen vor den jeweiligen Ht-ten eine besondere knstlerische Ausdrucksform er-kennen. Die Lepenski-Vir-Kultur war und ist eineberraschung fr die Archologie, und sie zeigt, dasseine wildbeuterische Lebensweise durchaus zu einersesshaften, weitreichend organisierten Gesellschaftfhren kann, die ab 6000 v.Chr. allerdings neolithi-schen Einssen unterliegt: Hockerbestattungen wer-den huger, frhneolithische Starevo-Keramik be-ginnt zu dominieren, und sptestens nach zweiJahrhunderten lsst sich der bergang zu einer agra-rischen Produktionsweise fest stellen.

    Tellsiedlungen als neue Lebensweise

    Whrend sich also ab ca. 6100 v.Chr. in verschiede-nen Kernregionen Sdosteuropas die neolithische Le-bensweise etabliert hat und die Akkulturation be-nachbarter Wildbeuter beginnt, ist ab 5700 v.Chr.eine verstrkte Neolithisierung des Inlandes zu beob-achten. So erfolgt z.B. eine intensivere Besiedlung desBosnischen Berglandes oder die Neuanlage von Sied-lungen in Transdanubien. Zu einer Zeit, als sich inMitteleuropa ab ca. 5500 v.Chr. die Linearbandkera-mik voll entfaltet, kommt es im sdlichen Balkan zuneuen Prozessen: Die Kupfertechnologie entwickeltsich, und mit der Vinca-Kultur entstehen neue sozia-le Verhltnisse (vgl. S. 48). Grundstzlich beobachtenwir zu dieser Zeit weitrumige Keramikstilgruppen(z.B. Vina, Kakanj), die im Nordwesten auch denbergang zur Linearbandkeramik einleiten.

    In den von der neuen Kupfertechnologie geprg-ten Gebieten Sdosteuropas markieren Tellsiedlun-gen nun die neue Lebensweise, die auf die mitteleu-ropische Entwicklung vermutlich greren Einusshatte. So zeigt sich in den bulgarischen Siedlungsh-geln von Karanovo oder Poljanica eine Organisationmit rechtwinklig geplanten Raumkonzepten, beste-hend aus Quartieren, Husern und Befestigungsan-lagen. Auch in Vinca selbst und im sdlichen Karpa-tenbecken lsst sich eine ausgeprgte Siedlungs-organisation erkennen. Doch ab ca. 4500 v.Chr. ist einZusammenbrechen dieser Tellsiedlungen in weitenTeilen des Balkans zu bemerken, und es setzt sich wie-der eine dispersere Siedlungsweise durch. Als Ursa-che knnen u.a. soziale Spannungen in den sich un-gleich entwickelnden Gemeinschaften angefhrtwerden. Im Karpatenraum ist die neu entstehende,disperse Siedlungsweise mit der Einfhrung der Kup-fertechnologie und der Anlage neuer Grberfelder(Bodrogkeresztur/ Tiszapolgar) verbunden. In denehemaligen Zentren der kupferzeitlichen Entwicklung(z.B. Bulgarien, Serbien) ist mit dem beschriebenen

    Wandel hingegen eher von einem Bevlkerungsrck-gang auszugehen. Whrend wir also im sdlichenMitteleuropa nach 4500 v.Chr. einen weiteren Ent-wicklungsschub beobachten, sehen wir in Sdosteu-ropa eine umgekehrte Tendenz. Spiegeln sich hier un-terschiedliche demograsche Prozesse wider?

    Bevlkerungsentwicklung

    Entscheidend fr die kulturelle Dynamik von Gesell-schaften ist neben der Wirtschaftsweise v.a. auch de-ren Populationsdynamik. Lange Zeit war es uerstspekulativ, die absolute Gre der handelnden Grup-pen und der realen Bevlkerungsdichte zu rekon-struieren. Doch in den letzten Jahren haben sich mitdem methodischen Fortschritt in der Archologieneue Mglichkeiten ergeben, die Bevlkerungsgr-en von Siedlungen, Kleinregionen und ganzenLandschaften mit hherer Verlsslichkeit abzuscht-zen. Dazu gehrt etwa die Hochrechnung ausgehendvon gleichzeitig existierenden Wohnbefunden oderdie Kalkulation von Sterbewahrscheinlichkeiten an-hand der Bestattungen. Aber auch induktive Metho-den wie die Tragfhigkeitsberechnung erlauben imZusammenspiel mit vlkerkundlichen Analogien, aufPopulationsdichten zurckzuschlieen.

    In einer neuen vergleichenden Studie konntenModelle fr die Bevlkerungszunahme im Nahen Os-ten, in Sdosteuropa und in Mitteleuropa ermitteltwerden. Nach diesen Berechnungen erhhte sich imNahen Osten zwischen 6500 und 2000 v.Chr. die ab-solute Bevlkerungsgre von einer Million (0,5 Per-sonen/km2) auf 14Millionen Einwohner (6 Perso-nen/km2). Schbe lassen sich jeweils bei technischenund sozialen Innovationen, wie z.B. der Einfhrungdes Bewsserungsfeldbaus oder der Urbanisierung,erkennen. Dabei konzentrieren sich die Menschenimmer strker in eng besiedelten Kernzonen.

    Ein ganz anderes Bild ergibt sich fr Mitteleuropaund Sdskandinavien. In den Lsszonen geht mit derNeolithisierung ein steiler Bevlkerungsanstieg ein-her, der mit einer Konzentration der Menschen inKernzonen verbunden ist. Mit der bandkeramischenKrise ist ein Bevlkerungsrckgang in diesen Kern-zonen zu beobachten, und erst ab 4500 v.Chr. undnach 3800 v.Chr. lsst sich ein erneutes starkes undkontinuierliches Wachstum feststellen. Diese Bevl-kerungsdynamik steht in Verbindung mit sekund-ren Landnahmeprozessen und neuen Neolithisie-rungsschben, die zum Ende des 5. Jt. v.Chr. denNorden Mitteleuropas erreichen.

    In Sdosteuropa verluft die Entwicklung wieder-um anders: Auch hier ist der Beginn der Neolithisie-

    Bevlkerungsentwicklung | 19

  • rung zunchst von einem rasanten Bevlkerungs-wachstum begleitet, sodass ab 6000 v.Chr. eine Dich-te von etwa einer Person pro Quadratkilometer er-reicht wird, was insgesamt ungefhr einer MillionMenschen entspricht. Dabei nimmt die Konzentrati-on v.a. in den Kernzonen erheblich zu, was auf dieTellsiedlungen zurckzufhren ist. In dieser Zeit rei-chen die sdosteuropischen Bevlkerungsdichten andie in Vorderasien heran. Das Populationswachstumsetzt sich fort, bis es um ca. 4500 v.Chr. schlielich zu

    einem Einbruch um etwa eine halbe Million Men-schen kommt. Erst nach Jahrhunderten lsst sichdann wieder ein Anstieg erkennen.

    Insgesamt zeichnet sich fr Europa eine kontinu-ierliche Bevlkerungszunahme ab, wobei technischeund soziale Vernderungen zu leichten Schwankun-gen fhren. Eine Ausnahme bildet der extreme Be-vlkerungseinbruch in Sdosteuropa um 4500 v.Chr.Was sind die Ursachen fr diesen Sonderfall?

    | Frhe Bauern und Tellsiedlungen in Sdosteuropa Netzwerke, Bevlkerungsdichten und Siedlungssysteme20

    Okolite entwickelte sich von

    einer offensichtlich planmig

    befestigten Grosiedlung

    (7,5 ha, 3000 Einwohner) um

    5200 v.Chr. zu einer normal

    groen Siedlung ab 4800 v.Chr.

    (2,5 ha, 300 Einwohner), die

    nicht mehr befestigt war. Dar-

    gestellt sind die Entwicklung

    in Flche und Musterprofil.

    Die Rekonstruktion der abso-luten Bevlkerungszahlen frEuropa zeigt neben grundle-genden Tendenzen einer Ver-grerung v.a. auch Fluktua-tionen und regionale Unter-schiede. Die Vernderungenknnen mit verschiedenentechnologischen und sozialenNeuerungen in Verbindunggebracht werden: 1 Ackerbau und Viehwirt-schaft;

    2 Beginn Tell-Gesellschaften;3 Ende Tell-Gesellschaften; 4 Brandfeldbau im nrdlichen Europa;

    5 Hakenpflug und Rad; 6 Paneuropische Netzwerke;7 Bronzetechnologie.

    0 50 100m 0 50 100m 0 50 100m1 32

    350m300250200150100500

    406,0

    405,5

    405,0

    404,5

    404,0

    403,5

    H

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    SW NO

    3

    2

    1

    6500 v. Chr.6000550050004500400035003000250020001500

    13

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    6

    5

    4

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    2

    1

    0

    Europa Bevlkerungsentwicklunginsgesamt agrarisch

    Sdosteuropa

    Mitteleuropa/SdskandinavienM

    illionen

    Einwohner

    1

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    2

    3

    3

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    4

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    5

    6

    6

    7

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    6

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    1

    0

    Relative BevlkerungsdichteEuropa/ Naher Osten

    p/km

    2v. Chr.

    Europa

    Sdosteuropa

    Naher Osten

    Mitteleuropa/Sdskandinavien

  • Balkan und Anatolien

    Der Bezug zwischen balkanischem und anatolischemNeolithikum ist ein lang diskutiertes Thema der For-schung. Vor allem sdosteuropische Archologensehen enge Beziehungen und sprechen von einembalkanisch-anatolischen Kulturkreis des Neolithi-kums. Die zuvor erluterten Kalkulationen zu den Be-vlkerungsdichten scheinen zu besttigen, dass dieVerhltnisse zwischen Anatolien und Sdosteuropasehr hnlich sind, und auch in der materiellen Kulturund Architektur gibt es erhebliche Gemeinsamkeiten.Neben technologischen bereinstimmungen, wiez.B. Benutzung von Lffeln, Anbau gleicher Getrei-desorten oder aber auch Nutzung gleicher Haustier-arten sowie hnlicher Bauweise der Huser, lassensich zugleich auch kulturelle Kongruenzen feststellen.Dazu gehren v.a. die hug genutzten weiblichenTonguren, gleiche Verzierungsmuster (PhantasticStyle), identische Kleidungs- und Schmuckelemen-te wie z.B. Grtelschnallen aus Knochen oder Oh-renknpfe, und auch im Hinblick auf die Hockerbe-stattungen innerhalb der Siedlungen bestehenGemeinsamkeiten. Somit deutet vieles darauf hin,dass sehr enge Netzwerke zwischen den genanntenRegionen existierten, die im Laufe der Zeit mit zu-nehmender Regionalisierung an Bedeutung verloren.

    Huser und Vererbung

    Im Rahmen solcher Regionalisierungen erkennen wirerhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen bal-kanischen Gebieten. So entwickeln sich etwa in Thes-

    salien Siedlungen, die um 4900 v.Chr. eine starke Innengliederung aufweisen: Mit Mauern und Durch-gngen werden Rume geschaffen, die eine klare Se-parierung in unterschiedliche Bereiche markieren.Ein Beispiel fr eine solche Siedlung ist Dimini, daszwar nur ca. 1,5 ha gro ist, aber als Verarbeitungsortder Spondylus-Muscheln eine wichtige Rolle bei derProduktion und Distribution seltener Gter spielt.Dichte Siedlungen nden wir z.B. auch in Bulgarien,wo die Strukturen sogar eine regelrechte Planung na-he legen und die regelmigen Bestattungspltze au-erhalb der Ortschaften eine Inbesitznahme des Ge-lndes andeuten.

    In Bosnien existiert zu dieser Zeit mit Okolite ei-ne sehr groe Siedlung (vgl. S. 22), die sich deutlichvon denen in Mittelserbien unterscheidet: Hier ndetsich eine giebelparallele Reihenhausbauweise eng ge-stellter, kleiner Rechteckbauten, die im Gegensatz zuOrtschaften mit greren Gebuden und Anbautensteht (z.B. in Divostin). Diese beiden unterschiedli-chen Bau- und Flchenprinzipien buerlicher Sied-lungen verdeutlichen eine Entwicklung, die im Laufedes 5. Jt. v.Chr. zu einer Vergrerung der Huser mitzunehmendem Abstand dazwischen fhrt. Wie lsstsich diese Tendenz erklren?

    Ein plausibles Modell geht davon aus, dass die engbebauten Siedlungen mit kleinen Einzelhusern aufeine Vererbungsregel durch Erbteilung zurckge-hen. Aus mittelalterlichen und neuzeitlichen Beispie-len wissen wir, dass Erbteilungen zu einer dichterenund zugleich rmeren Bevlkerung fhren knnen.Groe Gebude mit Anbauten, die in gewissem Ab-stand zueinander stehen, lassen sich hingegen als H-fe auffassen und sind wohl als eine Art Anerbe(Vererbung des Hofs an einen einzigen Erben) wei-tergegeben worden. Hier ist mit einer weniger dichtenBesiedlung bei grundstzlich reicherer Grundbevl-kerung zu rechnen. Zugleich mssen allerdings nichterbberechtigte Personen woanders unterkommen.

    Neben einer zunehmenden sozialen Ungleichheitinnerhalb der sptneolithischen und frhkupferzeit-lichen Gesellschaften Sdosteuropas knnte der erhebliche Bevlkerungsrckgang mit den hier skiz-zierten Prozessen verbunden sein, da die lange dis-kutierten klimatischen Bedingungen als Ursache frdiese Entwicklungen ausgeschlossen werden knnen.

    Mitteleuropa als melting pot

    Neben den Einssen, die auch aus West- auf Mittel-europa festzustellen sind (Weizenarten, Mohn, Kera-mikgruppe La Hoguette), hngen insbesondere dieNeolithisierungs- und Konsolidierungsprozesse von

    Mitteleuropa als meltingpot | 21

    Differenzen zwischen dengrten Siedlungen des Neo-lithikums in den verschiede-nen Regionen Sd- und Mit-teleuropas.

  • | Frhe Bauern und Tellsiedlungen in Sdosteuropa Netzwerke, Bevlkerungsdichten und Siedlungssysteme22

    Eines der wichtigsten Archive fr das sdosteuro-

    pische, aber auch vorderasiatische Neolithikum und

    Chalkolithikum sind Siedlungshgel: Durch Ortskon-

    stanz von Bauwerken und klimatische Bedingungen

    entstehen Siedlungsschicht fr Siedlungsschicht Tells,

    also Siedlungshgel, auf denen sich die Bevlkerung

    nach oben wohnt.

    Oft sind sie eingebettet in Siedlungskammern und

    nehmen manchmal zentralrtliche Positionen ein.

    Nrdlich von Sarajewo wurden an der Bosna mehrere

    Tells mit einer Schichtmchtigkeit von mehr als 1m aus-

    gegraben. Besonders eindrcklich ist die Siedlung Oko-

    lite: Ihre Gre von ber 7 ha entspricht in etwa 15 Fu-

    ballfeldern. Die Siedlungsanlage war um 5200 v.Chr.

    geplant und bestand bis ca. 4600 v.Chr. Bis zu

    3000Menschen lebten hier in giebelparallel angeord-

    neten Husern an rechtwinklig angelegten Gassen. Das

    Dorf kontrollierte die wichtige Neretva-Bosna-Route

    durch das Gebirge, einen der wenigen Verbindungswe-

    ge zwischen Adria und mittlerer Donau. Kleinere Nach-

    Okolite: eine Grosiedlung des bosnischen

    Sptneolithikums

    Die Siedlung Okolite bestandvon 5200 bis 4600 v.Chr. undzhlte bis zu 3000 Einwohner.Geomagnetik und Ausgra-bungsergebnisse lassen einegeplante Anlage aus kleine-ren Husern (5m x 12m) er-kennen. Mglicherweise wirddas Erbteilungssystem sicht-bar, bei dem der Familienbe-sitz aufgeteilt wird.

    1050 m1000 m950 m900 m850 m800 m750 m700 m

    1050 m1000 m950 m900 m850 m800 m750 m700 m

    11

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    m

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    -20 20nT

    min max(nT)

    22

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    22

    Grabungslchen

    Im sptneolithischen Bosnienwie hier in Okolite ist eineSpezialisierung unterschiedli-cher Haushalte auf verschie-dene Aktivitten und auch ei-ne berproduktion z.B. im Be-reich der Getreideverarbei-tung erkennbar. ReichereHaushalte enstehen. Mgli-cherweise fhrten soziale Un-gleichheiten zu Konflikten,die das Siedlungssystem ver-nderten.

  • Mitteleuropa als meltingpot | 23

    Flchenverzierung

    EE

    CC

    BB

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    FF

    DD

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    Gerte-produktion

    Weben

    WebenebenWeben

    Ritus

    RitusRitusRitus

    Jagd

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    Fell

    Gerteproduktion

    GerteproduktionGerteproduktionGerteproduktion

    Gerteproduktion

    Holz

    Holz

    Getreide

    Jagd

    Getreideverarbeitung

    Fell

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    l- und

    Leistenverzierung

    Unterproduktion berproduktion Getreide

    Phas

    e

    1

    2

    9

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    3

    1

    Haup

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    2

    3

    17*

    47

    46

    55

    55

    12

    27*

    36*

    36*

    * unsicherer Wert

    65

    28*

    500-650

    550-750

    100-

    120

    75

    4850

    4700

    5000

    5200

    v. u. Z

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    5,6

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    mK menschliche Knochen

    16

    80

    38

    40

    38

    ?

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    ?

    Vermehrte Brandhorizonte ab 4900 v.Chr.im bosnischen Okolite verdeutlichen dieZunahme sozialer Konflikte, was mit einerVernderung des Siedlungsmusters ein-hergeht.

    barsiedlungen im Visoko-Becken waren sicherlich abhn-

    gig. Angebaut wurden im Hackfruchtbau die Getreide Em-

    mer, Einkorn und Gerste auch Linse und Lein (als lfrucht)

    spielten eine wichtige Rolle. Die Bevlkerungsdichte in der

    agrarischen Kernzone betrug 30 Einwohner pro Quadrat-

    kilometer, was unter Einbeziehung der nicht besiedelten

    Gebiete durchschnittlich zwei bis drei Einwohnern pro

    Quadratkilometer entspricht. hnliche Werte kennen wir

    nicht nur fr thrakische Siedlungskammern aus der glei-

    chen Zeit, sondern auch aus vlkerkundlichen Vergleichs-

    beispielen.

    In Okolite lsst sich eine Spezialisierung einzelner

    Haushalte feststellen. Offensichtlich haben bestimmte Per-

    sonen andere mit Getreide beliefert. Die internen Konik-

    te fhrten immer wieder zu Brnden und wechselnden

    Siedlungsgren. Dabei vernderten sich die Bebauungs-

    dichte und die Anzahl gleichzeitiger Huser.

  • den Rhythmen der sdosteuropischen Entwick-lung ab. Die existierenden Netzwerke werden schlag-lichtartig an der weitrumigen Verteilung wertvollerGegenstnde erkennbar. Hier sei an die Spondylus-Muscheln aus bandkeramischen Zusammenhngenoder die kupferzeitlichen Schwergerte erinnert. berpalogenetische Analysen (aDNA) wissen wir, dassdie frhen mitteleuropischen Rinder und Schweineanatolischen Rassen entsprechen, diese daher als do-mestizierte Tiere ber Sdosteuropa nach Mitteleu-ropa eingefhrt wurden. Trotz dieser weit reichendenVerbindungen bleibt herauszustellen, dass die Inno-

    vationen der Bandkeramik wie z.B. Langhuser undGrberfelder auerhalb der Siedlungen keine Vor-bilder in Sdosteuropa haben und die stlichen Ele-mente wahrscheinlich von einer Mischung verschie-dener Gruppen bernommen worden sind. Die hohegenetische Variabilitt der Population bei einer er-staunlichen kulturellen Einheitlichkeit lsst das groelinearbandkeramische Gebiet eher als einen meltingpot erscheinen. Nach der bandkeramischen Krisesind es dann im 5. Jt. v.Chr. andere Elemente wie diekleineren Huser, die mglicherweise auf Anregungaus dem sdosteuropischen bernommen werden.

    | Frhe Bauern und Tellsiedlungen in Sdosteuropa Netzwerke, Bevlkerungsdichten und Siedlungssysteme24

    In der Siedlung Divostin ste-hen um 4800 v.Chr. Huser ingrerem Abstand zueinan-der. Im Laufe von Generatio-nen kommen Anbauten hinzu.Mglicherweise zeigt sichhierbei das Prinzip eines An-erbes, bei dem der Hof an nureinen Nachkommen weiterge-geben wird, und zumindestein Teil der Bevlkerung dielokale Umgebung verlassenmuss.