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aktuell Myelodysplastische Syndrome (MDS) und multiples Myelom (MM) Neue Therapiekonzepte verbessern die Prognose Seit September 2013 steht mit Pomalidomid eine neue immunmodulatorische Substanz für intensiv vortherapierte, auf Lenalidomid und Bortezomib nicht mehr ansprechende Myelompatienten zur Verfügung. Die bisher sehr schlech- te Prognose dieser Patienten lässt sich so erheblich verbessern: Erreicht werden eine Verdopplung des progressions- freien und eine signifikante Verlängerung des Gesamt-Überlebens unter Pomalidomid.. Auch bei MDS gibt es eine wichtige Neuzulassung: Transfusionspflichtige Patienten mit isolierter 5q-Deletion profitieren von Lenalidomid mit lang anhaltender Transfusionsfreiheit und verbesserter Lebensqualität. Patienten mit MDS hatten bis vor kurzem eine schlechte Prognose. Zwar steht bei MDS-Patienten mit höherem Risiko (int-2, high nach IPSS) mit inten- siver Chemotherapie und allogener Stammzelltransplantation eine poten- tiell kurative Therapie zur Verfügung. „Bei einem medianen Erkrankungsalter von 72 Jahren ist diese Maßnahme aber meist nicht durchführbar“, so PD Dr. Aristoteles Giagounidis, Düsseldorf. Als Fortschritt in der Therapie älterer MDS- Hochrisikopatienten wertet er daher die demethylierende Therapie mit Aza- citidin (Vidaza®). Verdopplung der Überlebensrate Belegt wurde der Nutzen der Substanz in der Phase-III-Studie AZA-001, in der 358 therapienaive Patienten (int-2, high) randomisiert Azacitidin oder eine konventionelle Therapie (Supportiv- therapie, niedrig dosiertes Cytarabin, Standardchemotherapie) erhielten [1]. Den Unterschied zwischen den zwei Studienarmen bezeichnet Giagounidis als „dramatisch“: Nach zwei Jahren leb- ten im Kontrollarm nur noch 26,2 Pro- zent, im Azacitidin-Arm dagegen mit 50,8 Prozent fast doppelt so viele Pa- tienten; die Überlebenszeit stieg von nur 15 Monaten auf median 24,4 Mo- nate. Der Überlebensvorteil durch Aza- citidin war unabhängig von der Quali- tät des Ansprechens: Auch Patienten mit nur Stabilisierung profitierten mit einer Verbesserung der 2-Jahres-Über- lebensrate um 15 Prozent. Bei älteren Patienten (> 75 Jahre) er- wies sich Azacitidin ebenfalls als effek- tiv: Die 2-Jahres-Überlebensrate war mit 55 Prozent sogar höher als im Ge- samtkollektiv und signifikant höher als im Kontrollarm (15 %; p = 0,0003) [2]. Kontrollpatienten überlebten median 10,8 Monate, im Azacitidin-Arm war die mediane Überlebenszeit nach einem Follow-up von 17,7 Monaten noch nicht erreicht. Lenalidomid jetzt auch bei MDS MDS-Patienten mit isolierter 5q-Dele- tion (del 5q) leiden oft an einer schwe- ren transfusionsbedürftigen Anämie; ihre Lebensqualität ist daher stark be- einträchtigt. Für diese Gruppe transfu- sionsbedürftiger Niedrigrisikopatien- ten wurde im Juni 2013 Lenalidomid (Revlimid®) zugelassen. Den Nutzen der bislang beim MM eingesetzten Substanz zeigte erstmals die Studie MDS-001, in der bei 83 Prozent der MDS-Patienten mit del (5q) ein er- ythroides Ansprechen erreicht wurde [3]. Untermauert wurden die Daten durch die Phase-III-Studie MDS-004, in der 56 Prozent der mit 10 mg Lenalido- mid behandelten Patienten transfu- sionsunabhängig wurden (Placebo: 6 %; Abb. 1) [4]. Die Transfusionsunab- hängigkeit blieb median mehr als 100 Wochen lang erhalten. Entsprechend besserte sich die Lebensqualität der Verumpatienten deutlich, während unter Placebo eine Verschlechterung dokumentiert wurde. Verlängertes Überleben bei MM Beim MM hat sich das Überleben in jüngster Zeit dank neuer Substanzen wie Lenalidomid von vor kurzem noch lediglich drei auf heute sieben bis zehn Jahre verbessert. PD Dr. Katja Weisel, Tübingen, wies jedoch darauf hin, dass MM-Patienten selbst bei Erreichen tie- fer Remissionen in der Primärtherapie im weiteren Therapieverlauf Rezidive erleiden. Auch nehmen Ansprechdau- er und ereignisfreies Überleben (EFS) mit steigender Zahl an Therapieregi- men drastisch ab. Einer Metaanalyse zufolge sinkt das EFS beim rezidivier- ten/refraktären MM (rrMM) auf median nur fünf Monate; auch das Gesamt- Überleben (OS) ist mit neun Monaten kurz [5]. Grund ist die genetische Insta- bilität des MM mit Entwicklung resis- 30 | Wiener Klinisches Magazin 6 · 2013 Abb. 1: Transfusionsunabhängigkeit in der Studie MDS-004 unter der Therapie mit Lenalidomid oder Placebo (nach Protokoll, nach IWG 2000) (1) 80 70 60 50 40 30 20 10 0 Placebo (n=51) LEN 5 mg (n=47) LEN 10 mg (n=41) Protokoll-definiert (≥26 Wochen) IWG (≥8 Wochen) *p<0,001 vs. Placebo; =95%-Konfidenzintervall RBC-TI (%) 6 43* 56* 51* 8 61*

Myelodysplastische Syndrome (MDS) und multiples Myelom (MM)

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Page 1: Myelodysplastische Syndrome (MDS) und multiples Myelom (MM)

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Myelodysplastische Syndrome (MDS) und multiples Myelom (MM)

Neue Therapiekonzepte verbessern die PrognoseSeit September 2013 steht mit Pomalidomid eine neue immunmodulatorische Substanz für intensiv vortherapierte, auf Lenalidomid und Bortezomib nicht mehr ansprechende Myelompatienten zur Verfügung. Die bisher sehr schlech-te Prognose dieser Patienten lässt sich so erheblich verbessern: Erreicht werden eine Verdopplung des progressions-freien und eine signifikante Verlängerung des Gesamt-Überlebens unter Pomalidomid.. Auch bei MDS gibt es eine wichtige Neuzulassung: Transfusionspflichtige Patienten mit isolierter 5q-Deletion profitieren von Lenalidomid mit lang anhaltender Transfusionsfreiheit und verbesserter Lebensqualität.

▬▬ Patienten mit MDS hatten bis vor kurzem eine schlechte Prognose. Zwar steht bei MDS-Patienten mit höherem Risiko (int-2, high nach IPSS) mit inten-siver Chemotherapie und allogener Stammzelltransplantation eine poten-tiell kurative Therapie zur Verfügung. „Bei einem medianen Erkrankungsalter von 72 Jahren ist diese Maßnahme aber meist nicht durchführbar“, so PD Dr. Aristoteles Giagounidis, Düsseldorf. Als Fortschritt in der Therapie älterer MDS-Hochrisikopatienten wertet er daher die demethylierende Therapie mit Aza-citidin (Vidaza®).

Verdopplung der ÜberlebensrateBelegt wurde der Nutzen der Substanz in der Phase-III-Studie AZA-001, in der 358 therapienaive Patienten (int-2, high) randomisiert Azacitidin oder eine konventionelle Therapie (Supportiv-therapie, niedrig dosiertes Cytarabin, Standardchemotherapie) erhielten [1]. Den Unterschied zwischen den zwei Studienarmen bezeichnet Giagounidis als „dramatisch“: Nach zwei Jahren leb-

ten im Kontrollarm nur noch 26,2 Pro-zent, im Azacitidin-Arm dagegen mit 50,8 Prozent fast doppelt so viele Pa-tienten; die Überlebenszeit stieg von nur 15 Monaten auf median 24,4 Mo-nate. Der Überlebensvorteil durch Aza-citidin war unabhängig von der Quali-tät des Ansprechens: Auch Patienten mit nur Stabilisierung profitierten mit einer Verbesserung der 2-Jahres-Über-lebensrate um 15 Prozent.

Bei älteren Patienten (> 75 Jahre) er-wies sich Azacitidin ebenfalls als effek-tiv: Die 2-Jahres-Überlebensrate war mit 55 Prozent sogar höher als im Ge-samtkollektiv und signifikant höher als im Kontrollarm (15 %; p = 0,0003) [2]. Kontrollpatienten überlebten median 10,8 Monate, im Azacitidin-Arm war die mediane Überlebenszeit nach einem Follow-up von 17,7 Monaten noch nicht erreicht.

Lenalidomid jetzt auch bei MDSMDS-Patienten mit isolierter 5q-Dele-tion (del 5q) leiden oft an einer schwe-ren transfusionsbedürftigen Anämie;

ihre Lebensqualität ist daher stark be-einträchtigt. Für diese Gruppe transfu-sionsbedürftiger Niedrigrisikopatien-ten wurde im Juni 2013 Lenalidomid (Revlimid®) zugelassen. Den Nutzen der bislang beim MM eingesetzten Substanz zeigte erstmals die Studie MDS-001, in der bei 83 Prozent der MDS-Patienten mit del (5q) ein er-ythroides Ansprechen erreicht wurde [3]. Untermauert wurden die Daten durch die Phase-III-Studie MDS-004, in der 56 Prozent der mit 10 mg Lenalido-mid behandelten Patienten transfu-sionsunabhängig wurden (Placebo: 6 %; Abb. 1) [4]. Die Transfusionsunab-hängigkeit blieb median mehr als 100 Wochen lang erhalten. Entsprechend besserte sich die Lebensqualität der Verumpatienten deutlich, während unter Placebo eine Verschlechterung dokumentiert wurde.

Verlängertes Überleben bei MMBeim MM hat sich das Überleben in jüngster Zeit dank neuer Substanzen wie Lenalidomid von vor kurzem noch lediglich drei auf heute sieben bis zehn Jahre verbessert. PD Dr. Katja Weisel, Tübingen, wies jedoch darauf hin, dass MM-Patienten selbst bei Erreichen tie-fer Remissionen in der Primärtherapie im weiteren Therapieverlauf Rezidive erleiden. Auch nehmen Ansprechdau-er und ereignisfreies Überleben (EFS) mit steigender Zahl an Therapieregi-men drastisch ab. Einer Metaanalyse zufolge sinkt das EFS beim rezidivier-ten/refraktären MM (rrMM) auf median nur fünf Monate; auch das Gesamt-Überleben (OS) ist mit neun Monaten kurz [5]. Grund ist die genetische Insta-bilität des MM mit Entwicklung resis-

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Abb. 1: Transfusionsunabhängigkeit in der Studie MDS-004 unter der Therapie mit Lenalidomid oder Placebo (nach Protokoll, nach IWG 2000) (1)

80

70

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Placebo (n=51) LEN 5 mg (n=47) LEN 10 mg (n=41)

Protokoll-definiert(≥26 Wochen)

IWG(≥8 Wochen)

*p<0,001 vs. Placebo; =95%-Konfidenzintervall

RBC-

TI (%

)

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tenter Zellklone, sodass die Erkrankung im Verlauf aggressiver wird.

Pomalidomid: hohe Effektivität„Patienten, die auf Bortezomib und Le-nalidomid nicht mehr ansprechen, ha-ben eine ausgesprochen schlechte Pro-gnose. Es besteht daher großer Bedarf an neuen effektiven Therapien“, beton-te Weisel. Mit Pomalidomid (Imnovid®) wurde im August 2013 ein neues IMiD® von der EMA für erwachsene Patienten mit rrMM zugelassen, die bereits min-destens zwei Vortherapien, darunter Lenalidomid und Bortezomib, erhalten und unter der letzten Therapie einen Progress erlitten haben. Nach Thalido-mid und Lenalidomid ist Pomalidomid die dritte immunmodulatorische Sub-stanz, die sich beim MM als effektiv er-wies. Neben der Immunmodulation zeichnet sich das neue IMiD® durch zu-sätzliche Wirkmechanismen aus: Es be-sitzt direkte antitumorale Effekte, greift in die Interaktion zwischen Myelom-zellen und Stroma ein und wirkt zudem antiangiogenetisch.

Auf Basis positiver Phase-I/II-Daten wurde Pomalidomid in der zulassungs-relevanten Phase-III-Studie MM-003 weiter evaluiert [6]. 455 meist doppelt refraktäre Patienten wurden im Ver-hältnis 2 : 1 der Kombination aus Po-malidomid und niedrig dosiertem De-xamethason (POM/LoDEX) oder hoch dosiertem DEX (HiDEX) als üblicher Op-tion bei Patienten ab der dritten Linie zugeteilt. Alle Teilnehmer waren inten-siv vorbehandelt (median 5 Vorthera-pien). Rund drei Viertel der Patienten waren refraktär gegenüber Lenalido-mid und Bortezomib (doppelt refrak-tär).

Mortalität um ein Viertel gesenktDer primäre Endpunkt der Studie MM-003 wurde signifikant erreicht: Das pro-

gressionsfreie Überleben (PFS) verdop-pelte sich von 1,9 Monaten im Kontroll-arm auf vier Monate unter POM/loDEX (p < 0,001; Abb. 2). Die sig nifikante Überlegenheit wurde auch hinsichtlich des längeren Gesamt-Überlebens be-stätigt: Es betrug bei Kontrollpatienten nur 8,1 Monate, unter POM/LoDEX 12,7 Monate, entsprechend einer Reduktion des Sterberisikos um 26 Prozent (HR 0,74; p = 0,028). Weisel betonte, dass der signifikante Überlebensvorteil trotz der 50 prozentigen Crossover-Rate von Kontrollpatienten zu POM/LoDEX er-reicht wurde. Doppelt refraktäre Pa-tienten profitierten von POM/LoDEX mit einer ähnlichen Verbesserung von PFS und Gesamt-Überleben wie das Gesamtkollektiv. Gleiches gilt für Pa-tienten, die Lenalidomid als letzte Vor-therapie erhalten hatten, was sich als fehlende Kreuzresistenz zwischen bei-den IMiDs® interpretieren lässt. Auch Patienten mit Hochrisiko-Zytogenetik oder eingeschränkter Nierenfunktion profitierten von Pomalidomid.

Weisel bewertete die POM/loDEX-Therapie als insgesamt gut verträglich. Dominierende Nebenwirkungen sind Neutropenien und Infektionen.

Katharina Arnheim

Quelle: Symposium „Multiples Myelom und MDS – fortschrittliche Therapiekonzepte 2013“ im Rahmen der DGHO-Jahresta-gung 2013, Wien, 19. Oktober 2013; Veranstalter: Celgene

Literatur: 1. ist Fenaux P et al. Blood 2011; 10:223–232 2. Seymour JF et al.; ASH 2008; Abstr. #36293. List A et al.; N Engl J Med 2005;352:549–5574. List A et al.; N Engl J Med 2006; 355:1456–14655. Kumar SK et al.; Leuk-emia 2012; 26:149–157 6. San Miguel J et al.; Lan-cet Oncol 2013; doi: PII: S1470-2014(13)70380-2

Praktische Tipps zur Pomalidomid-Therapie

F 4mg Pomalidomid werden oral an den Tagen 1-21 eines 28-Tage-Zyklus verabreicht.

F Als unverzichtbar bezeichnete Wei-sel die Thromboseprophylaxe mit einem niedermolekularen Heparin oder ASS (100 mg).

F Bei vielfach vorbehandelten Patien-ten und Leukopenie sollte frühzeitig eine antibiotische Prophylaxe initi-iert werden.

F Auch sollte bei Auftreten schwerer Neutropenien G-CSF verabreicht werden, um Dosisreduktionen von Pomalidomid nach Möglichkeit zu vermeiden.

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Abb. 2: Studie MM-003: Verdopplung des progressionsfreien Überlebens unter Pomalidomid [6]

Pomalidomid + LoDEX (n=302); medianes PFS: 1,9 MonateHiDEX (n=153) medianes PFS: 4,0 Monate

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