2
6 MMW-Fortschr. Med. Nr. 11 / 2012 (154. Jg.) AKTUELL MAGAZIN _ Wenn der Halbzeitpfiff beim Fußball- spiel näherrückt, steigt das Risiko der Spie- ler, sich am Oberschenkel zu verletzen. Trifft es die ischiokrurale Muskulatur, droht den Kickern eine längere Pause. Untersucht haben das Risiko von Ober- schenkelverletzungen beim Fußball Sport- mediziner um David Cloke von der Univer- sität in Newcastle, England. Fußball sei weltweit der beliebteste Sport, schreiben Cloke und Kollegen und merken an: „Un- glücklicherweise können Training und Wettkampf in wiederholten Belastungen resultieren.“ Wer es je versucht hat, wird dies bestätigen. Auch dass die Belastung in Verletzungen münden kann, ist nicht neu. Allerdings ist deren Muster bisher hauptsächlich an er- wachsenen Spielern studiert worden. Die Briten haben nun die 8- bis 16-jährigen Ki- cker, respektive deren Ober- schenkel in den Fokus ge- nommen und das Läsions- muster beschrieben. An der Studie beteiligt wa- ren mehr als 12 000 eng- lische Nachwuchsspieler, die FUSSBALLERS OBERSCHENKEL Mittelfeldspieler leben gefährlich Besonders gefährdet: der M. quadriceps. in den Jahren 2000 bis 2005 an Trainings- programmen des englischen Fußballver- bandes teilgenommen hatten. Insgesamt traten über 10 000 muskuloskeletale Ver- letzungen auf, rund 1300 davon betrafen die Oberschenkel. Damit betrug die Häu- figkeit von Oberschenkelläsionen 0,42 pro 1000 Trainingsstunden bzw. 0,52 pro Jahr. Nicht unerheblich am Risiko beteiligt war die Mannschaftsaufstellung: 11,3% der Mittelfeldspieler erlitten eine Oberschen- kelverletzung, gefolgt von 10,6% der Stür- mer, 8,8% der Verteidiger und 8% der Torhüter. Am häufigsten traf es dabei die Quadrizepsmuskulatur. Die Verletzungsgefahr wäh- rend eines Spiels stieg ge- gen Ende der ersten Halb- zeit und blieb dann wäh- rend der zweiten Halbzeit konstant auf diesem Niveau. Das Risiko, sich eine schwe- re Verletzung zuzuziehen, nahm mit dem Alter der Spieler zu – Verletzungen also, die eine Pause von mindestens vier Wochen erforderlich machten. Die Erholungsphase war vor allem nach Läsionen der ischiokru- ralen Muskulatur, nach der ersten Verlet- zung und nach Verletzungen durch Zu- sammenprall, etwa mit dem Gegenspieler oder dem Rasen, verlängert. Wiederholungsverletzungen waren bei den jungen Fußballern im Übrigen ebenso häufig wie bei erwachsenen, die Quote lag bei 27%. Dieser betrüblich hohe Wert weist nach Meinung von Cloke und Kollegen da- rauf hin, dass die vorangehenden Verlet- zungen nicht vollständig ausgeheilt waren. RB Cloke D et al. Thigh Muscle Injuries in Youth Soccer: Predictors of Recovery. Am J Sports Med 2012; DOI: 10.1177/0363546511428800 _ Sechs Millionen Deutsche in über 27 000 Vereinen spielen in ihrer Freizeit Fußball. Das geht nicht immer ohne Blessuren ab. Wer besonders gefährdet ist, haben neu- seeländische Mediziner untersucht. Die Wissenschaftler um David Chalmers von der University of Otago in Dunedin hatten für ihre Studie rund 1700 Fußballe- rinnen und Fußballer für eine prospektive Kohortenstudie aufgestellt. Insgesamt ka- men dabei Daten aus knapp 22 000 Spielen zustande. Rund 1500-mal ging ein Match für einen der beteiligten Spieler in die © Müller Stuafenberg/Imago © Sven Simon/Imago AMATEURFUSSBALL Nach dem Spiel ist vor dem Arzt sportmedizinische Verlängerung. Die Ver- letzungsverteilung – zuerst die Beine (67%), dann Rumpf (12%), Kopf (12%) und Arme (8%) – entsprach ebenso den Erwar- tungen wie die Art der Verletzungen. Hier lagen Gelenk- und Bandläsionen (43%), Prellungen (32%) sowie Risswunden (7,5%) auf den ersten Plätzen. Männer verletzen sich den Resultaten zu- folge seltener als Frauen, ihr Verletzungsri- siko liegt 16% niedriger. Je älter ein Spieler, desto höher ist die Gefahr, eine Blessur da- vonzutragen: Über 35-jährige Fußballer humpeln um 86% häufiger lädiert vom Platz als 16-jährige. Große Menschen ha- ben es auf dem Rasen offenbar schwerer

Nach dem Spiel ist vor dem Arzt

  • Upload
    rb

  • View
    212

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Nach dem Spiel ist vor dem Arzt

6 MMW-Fortschr. Med. Nr. 11 / 2012 (154. Jg.)

AKTUELL–MAGAZIN–

_ Wenn der Halbzeitpfiff beim Fußball-spiel näherrückt, steigt das Risiko der Spie-ler, sich am Oberschenkel zu verletzen. Trifft es die ischiokrurale Muskulatur, droht den Kickern eine längere Pause.Untersucht haben das Risiko von Ober-schenkelverletzungen beim Fußball Sport-mediziner um David Cloke von der Univer-sität in Newcastle, England. Fußball sei weltweit der beliebteste Sport, schreiben Cloke und Kollegen und merken an: „Un-glücklicherweise können Training und Wettkampf in wiederholten Belastungen resultieren.“ Wer es je versucht hat, wird dies bestätigen. Auch dass die Belastung in Verletzungen münden kann, ist nicht neu. Allerdings ist deren Muster bisher hauptsächlich an er-wachsenen Spielern studiert worden. Die Briten haben nun die 8- bis 16-jährigen Ki-cker, respektive deren Ober-schenkel in den Fokus ge-nommen und das Läsions-muster beschrieben.An der Studie beteiligt wa-ren mehr als 12 000 eng-lische Nachwuchsspieler, die

FUSSBALLERS OBERSCHENKEL

Mittelfeldspieler leben gefährlich

Besonders gefährdet: der M. quadriceps.

in den Jahren 2000 bis 2005 an Trainings-programmen des englischen Fußballver-bandes teilgenommen hatten. Insgesamt traten über 10 000 muskuloskeletale Ver-letzungen auf, rund 1300 davon betrafen die Oberschenkel. Damit betrug die Häu-figkeit von Oberschenkelläsionen 0,42 pro 1000 Trainingsstunden bzw. 0,52 pro Jahr. Nicht unerheblich am Risiko beteiligt war die Mannschaftsaufstellung: 11,3% der Mittelfeldspieler erlitten eine Oberschen-kelverletzung, gefolgt von 10,6% der Stür-

mer, 8,8% der Verteidiger und 8% der Torhüter. Am häufigsten traf es dabei die Quadrizepsmuskulatur.Die Verletzungsgefahr wäh-rend eines Spiels stieg ge-gen Ende der ersten Halb-zeit und blieb dann wäh-

rend der zweiten Halbzeit konstant auf diesem Niveau. Das Risiko, sich eine schwe-re Verletzung zuzuziehen, nahm mit dem Alter der Spieler zu – Verletzungen also, die eine Pause von mindestens vier Wochen erforderlich machten. Die Erholungsphase war vor allem nach Läsionen der ischiokru-ralen Muskulatur, nach der ersten Verlet-zung und nach Verletzungen durch Zu-sammenprall, etwa mit dem Gegenspieler oder dem Rasen, verlängert.Wiederholungsverletzungen waren bei den jungen Fußballern im Übrigen ebenso häufig wie bei erwachsenen, die Quote lag bei 27%. Dieser betrüblich hohe Wert weist nach Meinung von Cloke und Kollegen da-rauf hin, dass die vorangehenden Verlet-zungen nicht vollständig ausgeheilt waren.

rb ■

Cloke D et al. Thigh Muscle Injuries in Youth Soccer: Predictors of Recovery. Am J Sports Med 2012; DOI: 10.1177/0363546511428800

_ Sechs Millionen Deutsche in über 27 000 Vereinen spielen in ihrer Freizeit Fußball. Das geht nicht immer ohne Blessuren ab. Wer besonders gefährdet ist, haben neu-seeländische Mediziner untersucht.Die Wissenschaftler um David Chalmers von der University of Otago in Dunedin hatten für ihre Studie rund 1700 Fußballe-rinnen und Fußballer für eine prospektive Kohortenstudie aufgestellt. Insgesamt ka-men dabei Daten aus knapp 22 000 Spielen zustande. Rund 1500-mal ging ein Match für einen der beteiligten Spieler in die

© M

ülle

r Stu

afen

berg

/Imag

o

© S

ven

Sim

on/Im

ago

AMATEURFUSSBALL

Nach dem Spiel ist vor dem Arzt

sportmedizinische Verlängerung. Die Ver-letzungsverteilung – zuerst die Beine (67%), dann Rumpf (12%), Kopf (12%) und Arme (8%) – entsprach ebenso den Erwar-tungen wie die Art der Verletzungen. Hier lagen Gelenk- und Bandläsionen (43%), Prellungen (32%) sowie Risswunden (7,5%) auf den ersten Plätzen.Männer verletzen sich den Resultaten zu-folge seltener als Frauen, ihr Verletzungsri-siko liegt 16% niedriger. Je älter ein Spieler, desto höher ist die Gefahr, eine Blessur da-vonzutragen: Über 35-jährige Fußballer

humpeln um 86% häufiger lädiert vom Platz als 16-jährige. Große Menschen ha-ben es auf dem Rasen offenbar schwerer

Page 2: Nach dem Spiel ist vor dem Arzt

7 MMW-Fortschr. Med. Nr. 11 / 2012 (154. Jg.)

–AKTUELL–MAGAZIN

Hier droht nicht nur dem Hirn, sondern auch der Bandscheibe Ungemach.

NOTFALL BEIM FUSSBALL

Lähmung nach Kopfball: Es war die Bandscheibe_ Ein Fußballspieler klappt nach einem Kopfball zusammen und kann sich minu-tenlang nicht mehr bewegen. Was nach ei-ner Gehirnerschütterung aussah, erwies sich als Bandscheibenvorfall.Dass es beim Fußball rau zur Sache geht – das gehört zum Spiel. Wenn ein Spieler je-doch plötzlich nicht mehr in der Lage ist, Arme und Beine zu bewegen, wird es be-denklich. Genau dies ist einem 18-Jährigen passiert: Unmittelbar nach einem Kopfball brach er zusammen und war fast komplett gelähmt, nur den Kopf konnte er noch be-wegen. Nach zehn Minuten war der Spuk wieder vorbei und er hatte wieder Kraft in

Armen und Beinen. Er klagte al-lerdings über starke Schmerzen im Halswirbelbereich sowie Pa-rästhesien an Schultern und Ar-men, berichten Dr. Sylma Diabira und Dr. Xavier Morandi aus Rennes, Frankreich.Die beiden Ärzte hatten den Spieler nach der Einlieferung in

Wie homophob ist die Fußballwelt wirklich?

Fußballfans: „Schwul ist cool“_ So homophob und intolerant, wie ge-meinhin behauptet, sind die Anhänger des Fußballsports offenbar doch nicht. Für eine Studie hatten britische Wissen-schaftler 3500 Fans in einer Online-Um-frage nach ihren Einstellungen gegen-über homosexuellen Profis befragt. 93% der Teilnehmer sprachen sich entschie-den gegen Homophobie aus und gaben an, sie würden selbstverständlich auch schwule Spieler anfeuern. Für die Wissenschaftler steckt das Prob-lem der Homophobie weniger in den Köpfen der Fans, als vielmehr in jenen der Fußballfunktionäre, Spielervermittler und

Spieler selbst. Einschlägige Kampagnen gegen Schwulenfeindlichkeit in den Sta-dien scheiterten in der Vergangenheit denn auch am Widerstand von Fußball-verbänden und Spielervereinigungen.Für das Gros der Fans zählt hingegen al-lein die Leistung eines Fußballers – ganz nach dem Lehrsatz von Adi Preißler, dem früheren Kapitän von Borussia Dort-mund, der da lautet: „Entscheidend is auffem Platz.“ rb ■

Cashmore E, Cleland J. Fans, homophobia and masculinities in association football: evidence of a more inclusive environment. Br J Sociol 2012; DOI: 10.111/j.1468-4446.2012.01414.x

Fußball-EM auf springermedizin.de

EM-Quiz und mehrMachen Sie mit bei unserem ebenso unterhaltsamen wie infor-mativem Quiz zur Fußball-Europa-meisterschaft und gewinnen Sie attraktive Preise! www.springer-medizin.de/em-quiz Interessant auch die Video-Inter-views mit dem Mannschaftsarzt der Dt. Nationalmannschaft, Prof. Tim Meyer www.springer-medizin.de/dfb-mannschaftsarzt

Weitere lohnende Beiträge finden Sie im Dossier „Sportmedizin“

www.springermedizin.de/sportmedizin oder unter www.springermedizin.de/fußball

die Klinik untersucht und stellten zu die-sem Zeitpunkt bis auf die Missempfin-dungen keine weiteren neurologischen De-fizite fest. Im MRT sahen sie in einer sagit-talen T2-gewichteten Aufnahme eine ver-rutschte, fast vollständig kollabierte C3-C4-Bandscheibe, die kräftig aufs Rückenmark drückte. Klar erkennbar war auch ein Rü-ckenmarksödem; für eine Rückenmarksblu-tung fanden sich keine Hinweise. Der Patient wurde sofort notoperiert. Da-bei entfernten die Chirurgen die lädierte Bandscheibe und implantierten einen Kunststoffblock aus Polyetheretherketon (PEEK), um die Wirbel auf Abstand zu hal-ten. Zusätzlich stabilisierten sie die Wirbel-säule über eine Zervikalplatte. Die Paräs-thesien verschwanden mit der Zeit, der Pa-tient erholte sich vollständig. Sechs Mo-nate nach der Operation rannte er wieder über den Fußballplatz und konnte den Ball wie gewohnt mit Kopf und Beinen aufs Tor dreschen. mut ■Diabira S. and Morandi X. Post-Traumatic Herniated Cervical Disk. N Engl J Med 2012; 366:462, 2012

© P

anor

amic

/Imag

o

als kleine. Nimmt man das Maß bei Philipp Lahm (1,70 m), liegt das Verletzungsrisiko von 2 m großen Spielern rund 40% höher. Spieler, die etwa 1,50 m messen, sind hin-gegen 40% weniger gefährdet als lahm-große.Wie überall trifft es Raucher auch auf dem Fußballplatz härter als Nichtraucher. So verletzen sich ehemalige Freunde des Ta-baks um 27% öfter als Nichtraucher. Etwas besser haben es die aktiven Raucher: Ihr Risiko ist nur um knapp 14% erhöht. rb ■

Chalmers DJ et al. Risk factors for injury in community-level football: a cohort study. International Journal of Injury Control and Safety Promotion 2012; DOI: 10.1080/17457300.2012.674044