Nancy- Tatsachen Aus Heften - Faust Kultur

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  • 7/21/2019 Nancy- Tatsachen Aus Heften - Faust Kultur

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    Der hier verffentlichte Text Jean-Luc Nancys ist nach dem bereits auf Faust-KulturpubliziertenBeitrag Heidegger und wir ein weiterer Einwurf des franzsischen Autors zur Sache MartinHeidegger und der Antisemitismus. Die Debatte darber, wie Heideggers politisches Verhalten imDritten Reich zu verstehen ist, ist nicht neu. Sie wurde durch Philosophen wie Jean-Franois Lyotard,Jacques Derrida, Philippe Lacoue-Labarthe, Jean-Pierre Faye und Pierre Bourdieu, um nur einige zunennen, frh angeregt. Aktualitt hat sie gewonnen durch die letztjhrige Verffentlichung derSchwarzen Hefte Heideggers im Rahmen der im Verlag Vittorio Klostermann erscheinendenGesamtausgabe und der darin von vielen Kommentatoren als deutlich antisemitisch bewertetenPassagen. Deren Brisanz wurde durch die Verffentlichung eines mit Heidegger und der Mythos derjdischen Weltverschwrung betitelten Kommentars vom Herausgeber der Schwarzen Hefte, PeterTrawny, noch verschrft. Einer seiner Kritiker ist der Philosoph Friedrich-Wilhelm von Herrmann,

    Heideggers letzter Privatassistent und leitender Herausgeber der Gesamtausgabe. Der Streit derherausgebenden Philosophen um das korrekte Heideggerbild in der ffentlichkeit mag sich alsphilologischer Deutungsmachtkampf darstellen; seine um den Antisemitismusvorwurf kreisendeBrisanz betrifft indessen die Allgemeinheit und bedarf der Aufklrung.

    ESSAY

    Von Jean-Luc Nancy

    Professor Friedrich-Wilhelm von Herrmann bringt ein Schreiben in Umlauf, das Peter Trawny und dieantisemitischen uerungen in zwei der krzlich erschienenen Bnde der Schwarzen Hefte von MartinHeidegger zum Thema hat. Dieses acht Seiten umfassende Schreiben wurde von Franois Fdier und

    Alexandre Schild ins Franzsische bersetzt. (1)Der Tenor dieser Seiten steht so sehr im Widerspruch zu philologischer und philosophischer Strenge, wie auchzum Menschenverstand und zur Achtung gegenber den betroffenen Personen, dass es mir unmglich ist,nicht mit der grten Entschiedenheit dagegen zu protestieren.

    Was sagt Professor von Herrmann?

    Erstens, dass Peter Trawny, der Herausgeber besagter Bnde, in Bezug auf diese ein absolutunphilosophisches Buch verffentlicht habe, in welchem er Heidegger diffamiert, indem er seinem Denkeneinen antisemitischen Zug anlastet. Solcherart habe er sich einer Hetzkampagne gegen Heideggerhingegeben.

    Zweitens, dass der Grund der Diffamierung ganz klar darin liege, dass diese Textstellen keinensystematischen Baustein des unauflslich an die Seinsgeschichte gebundenen Denkens bilden.

    Dieser Grund trgt keinen Augenblick.Zuallererst enthlt er sich vollstndig einer Erklrung der Anwesenheit dessen, was hier Textstellen genannt

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    wird. Aus der Feststellung, dass Heidegger das Weltjudentum durch Zge kennzeichnet, die fr ihn denZustand des neuzeitlichen Abendlandes beschreiben, schliet Professor von Herrmann dann: die Tatsache,dass er das Weltjudentum eigens benennt und es zum Trger seiner Kritik macht, obwohl dieCharakterisierung, die er hier herausarbeitet, gleichermaen fr die ganze Epoche der Neuzeit zutrifft, dieseTatsache muss als Reaktion auf den Geist seiner Zeit verstanden werden. Dies bedeutet zumindest, dassHeidegger in Anlehnung an eine Kritik der Neuzeit den banalsten Antisemitismus seiner Zeit wiederholt,wobei zu verstehen bleibt, weshalb diese Kritik es ntig hat wie wenig auch immer von einem vulgrenDenken bekrftigt zu werden. Aber es bleibt auch zu verstehen, weshalb die wesentlichen Zge des

    neuzeitlichen Abendlandes sich in einer ethnisch-kulturell bestimmten Identitt konzentriert finden ausgerechnet in jener, die damals und schon seit geraumer Zeit die Angriffsflche einer extrem grobenDenkstrmung bildete, die selbst von eigens fingierten Schriften (wie den berhmten Protokollen der Weisenvon Zion) genhrt wurde.Aber da ist mehr viel mehr. Im Gegensatz zu den Behauptungen von Professor von Herrmann ist derAnschluss der antisemitischen uerungen an das systematische Denken vollkommen klar. Derunvoreingenommenste Leser kann sich davon berzeugen, und es gengt hier ein entscheidendes Beispiel:Die Bodenlosigkeit* und die Abwesenheit der Geschichte oder des Geschicks (Geschichtslosigkeit*) sind zweibestimmende Zge der Neuzeit. Nun aber teilen Heidegger zufolge die Juden nicht nur diese Zge, sietragen oder verkrpern sie gar in einer besonderen Schrfe (bezieht man sich auf S. 97 von Band 95, woihnen die grere Bodenlosigkeit zugeschrieben wird).

    Hier ist nicht der Ort, diese Analyse zu entfalten. Ich behalte mir vor, dies anderswo systematisch zu tun.Aber es steht auer Frage, dass der Antisemitismus einen bestimmten Platz im gedanklichen Dispositiv dieserBnde besetzt. Welche Schlsse es daraus zu ziehen gilt, bleibt eine andere Frage. Ich ziehe nicht denSchluss, Heideggers gesamtes Werk undifferenziert zu verwerfen denn es handelt sich auf jeden Fall umphilosophisches Denken und nicht um eine simple moralische Verteufelung, wie es Professor von Herrmannzu glauben scheint.

    Dieser Professor sorgt sich sehr viel mehr um das ffentliche Bild seines Meisters als um die Tragweite unddie philosophische Anbindung der Texte, die es zu lesen gilt. Man versteht gut, warum er es vorgezogen htte,sich nicht zu diesen Texten uern zu mssen, denn genau das schafft er nicht. Ohne sich zu erklren,betreibt er Haarspalterei, berlsst sich Vagheiten (Reaktion auf den Zeitgeist), und vor allemVerwnschungen, fr die er keinen Nachweis anfhrt. Das Buch von Peter Trawny ber diese TexteHeideggers ist ein vollkommen sachliches und mavolles Buch, das einen klaren Blick auf die textuelleSituation freigibt, nur wohldosiert interpretiert und lediglich ein paar heuristische Wege vorzeichnet. Kurz, seinAutor hlt sich an das, was er unumgnglich dem Urteil aller unterstellen musste, nachdem er die Arbeit dergewissenhaften Edition der Texte einmal getan hatte.

    Da sich Professor von Herrmann zudem nicht nehmen lsst, perfide Unterstellungen bezglich insinuierterpersnlicher Interessen seines Kollegen Trawny vorzutragen, przisiere ich hier sehr deutlich, dass ich mitletzterem in keiner besonderen Verbindung stehe und keinerlei Bestreben seinerseits wahrgenommen habe,Untersttzer um sich zu scharen. Ich habe an einer Tagung ber die Schwarzen Hefte in Wuppertalteilgenommen, ohne mich dort im geringsten aufgefordert gefhlt zu haben, eine Position mehr als die anderezu vertreten. Die Publikation der Beitrge dieser Tagung wird zweifellos erlauben, besser zu beurteilen, was

    hier tatschlich auf dem Spiel steht.

    1 Leider lag die deutschsprachige Version des Textes von F.-W. von Herrmann der bersetzerin nicht vor, daher wurden die franzsischen Zitate so wortgetreuwie mglich ins Deutsche rckbertragen.

    Aus dem Franzsischen vonKathrin LagatieundEsther von der Osten

    Jean-Luc Nancy

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    Heideggers Schwarze Hefte: Gesprch zwischen Jrgen Kaube (F.A.Z.) und Peter Trawny im Mrz 2014, Frankfurt am Main

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    erstellt am 16.2.2015

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    Martin Heidegger

    MARTIN HEIDEGGERS SCHWARZE HEFTE

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    ISBN 978-3-465-03815-3Vittorio Klostermann Verlag, Frankfurt am Main 2014

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    Hardcover, 286 SeitenISBN 978-3-465-03839-8Vittorio Klostermann Verlag, Frankfurt am Main 2014

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    Peter TrawnyHeidegger und der Mythos der jdischen WeltverschwrungBroschiert, 144 SeitenISBN 978-3-465-04238-9Vittorio Klostermann Verlag, Frankfurt am Main 2015

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