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30 THEMA Neue Reifenzeitung 9/2017 30 30 30 30 30 30 30 A m Ende des Berufslebens steht für viele Fir- meninhaber ein komplexer, bisweilen auch schmerzhafter Prozess. Denn nicht nur die tägliche Arbeit fällt weg, sondern auch das Lebenswerk wird in fremde Hände überge- ben. Ein oft schwerer Schritt, der allzu oft auf die viel zu lange Bank geschoben wird. Nils Koerber weiß: „Manchmal sind die Menschen emotional einfach noch nicht soweit.“ Er mahnt aber: „Die demografische Entwick- lung in Deutschland wird dazu führen, dass wir in wenigen Jahren einen massiven Mangel an geeigneten Führungskräften ha- ben werden, die als Käufer eines mittelständischen Unternehmens infrage kommen.“ Koerber bezieht sich auf Zahlen der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Ernst & Young, nach denen jedes vierte mittelständische Unternehmen in Deutschland innerhalb der nächs- ten zehn Jahre die Unterneh- mensführung neu regeln muss. Dies bestätigen auch die Zahlen der Förderbank KfW. Hier heißt es: Während 2002 erst zwölf Prozent der mittelständischen Unterneh- 30 Weiter geht es – Firmennachfolge will geplant sein Jährlich müssen in Deutschland laut Auskunft des Institutes der deutschen Wirtschaft 30.000 mittelständische Unternehmen aus Alters- oder Krankheitsgründen übergeben werden. Auch im Reifenfachhandel. Viele Se- niorchefs tun sich schwer mit der Suche nach einem passenden Nachfolger. Gut ist aber der beraten, der sich frühzeitig darüber Gedanken macht, egal, ob der Generationswechsel innerhalb der Familie passiert oder ob das Unternehmen verkauft wird: „Denn eine schlecht vorbereitete Führungsübergabe gefährdet den Fortbestand des Unternehmens“, weiß Nils Koerber von der Unternehmensberatung Kern – Die Nachfolgespezialisten, und er ergänzt: „Eine gründliche Vorbereitung zahlt sich hingegen oft in der Höhe des zu realisierenden Preises aus. An der Nachfolge hängt ja auch oft die Alterssicherung des Inhabers.“ 70 Prozent aller Unternehmen haben ihren Notfallkoffer nicht oder unzureichend ge- packt. Fällt der Chef unerwartet aus, wird es für viele kleine Firmen schnell existenzbedrohend, weil etwa keine Kontrollvollmachten vergeben oder Stellvertreterregelungen vereinbart und umge- setzt wurden. Was gehört in so einen Notfallkoffer? •Stellvertreterregelung: Jeder Unternehmer sollte eine schriftlich fixierte Stellvertreter- regelung haben. Dies Regelung sollte auch mit dem Betroffenen besprochen worden sein. •Beiratsregelung: Für Unternehmen mit mehr als 15 Mitarbeitern könnte ein Beirat ein- gerichtet werden. Der könnte aus dem Steuerberater oder ein bis drei Unternehmern bestehen. Der Beirat könnte einspringen und zeitweilig die operative Leitung eines Unternehmens über nehmen. • Vollmachten: Privatvollmachten und Kontovollmachten für Firmen und Privatkonten sowie eine Handlungsvollmacht oder Prokura für den Stellvertreter sollten eventuell beim Anwalt hinterlegt werden und erst herausgegeben werden, wenn der explizit besprochene Notfall eintritt. • Unternehmertestament: In ihm wird geregelt, wie es mit der Firma und der Familie weiter gehen soll. Denn die Praxis zeige, dass die gesetzliche Erbfolge nur selten für den erfolg- reichen Fortbestand einer Firma gut ist, so Nils Koerber. Da in Deutschland Gesellschaftsrecht vor Erbrecht geht, ist unbedingt darauf zu achten, dass ein Unternehmenstestament mit dem Gesellschaftsvertrag synchronisiert wird. cs NOTFALLKOFFER

Neue Reifenzeitung 9/2017 Weiter geht es – … · IHK-Nachfolgeberatung verfügen nicht über einen „Notfallkoffer ... Natürlich inklusive einer strengen Vertraulichkeitserklärung

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Am Ende des Berufslebens steht für viele Fir-meninhaber ein komplexer, bisweilen auchschmerzhafter Prozess. Denn nicht nur dietägliche Arbeit fällt weg, sondern auch dasLebenswerk wird in fremde Hände überge-ben. Ein oft schwerer Schritt, der allzu oft aufdie viel zu lange Bank geschoben wird. Nils

Koerber weiß: „Manchmal sind die Menschen emotional einfachnoch nicht soweit.“ Er mahnt aber: „Die demografische Entwick-

lung in Deutschland wird dazu führen, dass wir in wenigenJahren einen massiven Mangel angeeigneten Führungskräften ha-ben werden, die als Käufer einesmittelständischen Unternehmensinfrage kommen.“ Koerber beziehtsich auf Zahlen der Prüfungs- undBeratungsgesellschaft Ernst &Young, nach denen jedes viertemittelständische Unternehmen inDeutschland innerhalb der nächs-ten zehn Jahre die Unterneh-mensführung neu regeln muss.Dies bestätigen auch die Zahlender Förderbank KfW. Hier heißt es:Während 2002 erst zwölf Prozentder mittelständischen Unterneh-

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Weiter geht es – Firmennachfolge willgeplant seinJährlich müssen in Deutschland laut Auskunft des Institutes der deutschen Wirtschaft 30.000 mittelständischeUnternehmen aus Alters- oder Krankheitsgründen übergeben werden. Auch im Reifenfachhandel. Viele Se-niorchefs tun sich schwer mit der Suche nach einem passenden Nachfolger. Gut ist aber der beraten, der sichfrühzeitig darüber Gedanken macht, egal, ob der Generationswechsel innerhalb der Familie passiert oder obdas Unternehmen verkauft wird: „Denn eine schlecht vorbereitete Führungsübergabe gefährdet den Fortbestanddes Unternehmens“, weiß Nils Koerber von der Unternehmensberatung Kern – Die Nachfolgespezialisten, under ergänzt: „Eine gründliche Vorbereitung zahlt sich hingegen oft in der Höhe des zu realisierenden Preisesaus. An der Nachfolge hängt ja auch oft die Alterssicherung des Inhabers.“

70 Prozent aller Unternehmen haben ihren Notfallkoffer nicht oder unzureichend ge-packt. Fällt der Chef unerwartet aus, wird es für viele kleine Firmen schnell existenzbedrohend,weil etwa keine Kontrollvollmachten vergeben oder Stellvertreterregelungen vereinbart und umge-setzt wurden. Was gehört in so einen Notfallkoffer?•Stellvertreterregelung: Jeder Unternehmer sollte eine schriftlich fixierte Stellvertreter-regelung haben. Dies Regelung sollte auch mit dem Betroffenen besprochen worden sein.

•Beiratsregelung: Für Unternehmen mit mehr als 15 Mitarbeitern könnte ein Beirat ein- gerichtet werden. Der könnte aus dem Steuerberater oder ein bis drei Unternehmern bestehen. Der Beirat könnte einspringen und zeitweilig die operative Leitung eines Unternehmens über nehmen.• Vollmachten: Privatvollmachten und Kontovollmachten für Firmen und Privatkonten sowie eine Handlungsvollmacht oder Prokura für den Stellvertreter sollten eventuell beim Anwalt hinterlegt werden und erst herausgegeben werden, wenn der explizit besprochene Notfall eintritt. • Unternehmertestament: In ihm wird geregelt, wie es mit der Firma und der Familie weiter gehen soll. Denn die Praxis zeige, dass die gesetzliche Erbfolge nur selten für den erfolg- reichen Fortbestand einer Firma gut ist, so Nils Koerber. Da in Deutschland Gesellschaftsrecht vor Erbrecht geht, ist unbedingt darauf zu achten, dass ein Unternehmenstestament mit dem Gesellschaftsvertrag synchronisiert wird. cs

NOTFALLKOFFER

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mer älter als 60 Jahre waren, sind es mittlerweile 22 Prozent. Undmit 14 Prozent gehörten auch deutlich mehr Unternehmenslenkerzur Altersklasse der 55- bis 59-Jährigen als im Jahr 2002. Denndamals waren es lediglich acht Prozent. Und das Dilemma wirdgrößer. Dr. Klaus-Heiner Röhl vom Institut der deutschen WirtschaftKöln e.V. weiß: „Denn viele Unternehmer aus den geburtenstarkenJahrgängen Anfang der 1960er Jahre werden sich ab 2020 demRuhestandsalter nähern.“

Viele Mittelständler verdrängen die Tatsache, dass die Vorbe-reitungsschritte zur Firmenübernahme Zeit kosten, egal ob nundas Unternehmen innerhalb der Familie weitergegeben wird, einMitarbeiter das Unternehmen übernimmt oder aber es extern ver-kauft wird. Es gibt kein perfektes Alter, um über Unternehmens-nachfolge nachzudenken. Nils Koerber gibt allerdings zu beden-ken: „Je älter der Seniorunternehmer, desto höher ist die Wahr-scheinlichkeit einer unorganisierten Notfallnachfolge aufgrund vonTod oder Krankheit.“ Nach Erfahrung des Unternehmensberatersdauert der Verkauf bei einem gesunden Unternehmen ein bis ein-einhalb Jahre – vorausgesetzt, die Firma ist verkaufsfähig undwird zu einem realistischen Marktpreis angeboten. Zwei bis dreiJahre werden es, wenn erst noch strategische Probleme gelöstwerden müssen. Bei einem Generationswechsel in der Familiekann es sogar noch länger dauern. Nils Koerber: „Bei komplexen,innerfamiliären Prozessen sollte mit bis zu fünf Jahren gerechnetwerden.“ Die Unternehmen sollten ja auch nicht in Zugzwangkommen, „sodass sie das erstbeste Angebot annehmen müssen“.Oft sei es für einen Käufer auch von Bedeutung, dass der bisherigeUnternehmer oder Geschäftsführer noch ein bis zwei Jahre in ei-ner Übergabephase mitarbeite, so Nils Koerber.

Die demografische Entwicklung und der damit verbundeneMangel an Jungunternehmern mache die Nachfolgefrage für viele

Betriebsinhaber schwierig. Nach Einschätzung von Dr. Klaus-Hei-ner Röhl stehen sich die Seniorchefs oft genug auch noch selberim Weg. „Rund 44 Prozent der übergabebereiten Firmenlenker for-dern einen überhöhten Kaufpreis.“ Dies sei aus Sicht der Unter-nehmer zwar verständlich, „denn sie wollen ihr Lebenswerk ge-würdigt wissen und versuchen darüber hinaus, durch den Verkaufeine möglichst gute Altersabsicherung zu erzielen“. Für Kaufinte-ressenten zähle allerdings allein die Ertragskraft eines Unterneh-mens, und die ist laut Röhl nicht immer rosig: „Denn mit zuneh-menden Alter des Seniorchefs werden häufig auch die Investitio-nen in das Familienunternehmen zurückgefahren. Dadurch ist dieAusstattung nicht mehr up to date, und neue Geschäftsfelder blei-

ben unerschlossen. Und mit dem Seniorunternehmer al-tert häufig auch der Kundenstamm und droht wegzubre-chen.“

Damit es zu einer erfolgreichen Firmenübergabekommen kann, sollten rechtzeitig Berater mit ins Bootgenommen werden, raten Röhl und Koerber.

[email protected]

So viel Prozent der Seniorunternehmen in der IHK-Nachfolgeberatung verfügen nicht

über einen „Notfallkoffer”

9/2017Quelle: IW Medien

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Wichtigster Punkt: Eine reale und eingespielte zweiteFührungsebene. Sobald Stellvertreter den abgebendenUnternehmer im kaufmännischen und/oder techni-schen Bereich einer Firma vertreten können, ist das eine wichtige Wertsicherung. Steueroptimierungen in den ein bis zwei Jahren vor dem Verkauf spätestens einstellen. Komplizierte Erklärungenmachen einen möglichen Käufer eher misstrauisch. Kosten und Erträge vor einem Verkauf bestmöglich optimieren. Perspektiven aufbauen. Wo und wie kann zukünftig der Umsatz und Gewinn nach der Übernahme gesteigert werden. Dazu bedarf es belastbarer und nachvollzieh-barer Argumente.

FIRMENWERT STEIGERN

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VERSCHIEDENE NACHFOLGEN – UNTERSCHIEDLICHE HANDUNGSABLÄUFE

Familieninterne Nachfolge

Bei einem innerfamiliären Generationswechsel ist aus unsererSicht an erster Stelle das Thema „Freiheit“ die wichtigste Grundlagefür eine gelingende Nachfolgeregelung. Eltern und Kinder solltensich gemeinsam klarmachen, dass die Nachfolge in der Firma seinkann, aber nicht sein muss. Das ist ein enormer Unterschied, undnur mit diesem Prinzip der Freiwilligkeit kann dann auch verabredetwerden, welche Ausbildungsschritte sinnvoll und wichtig für dieZukunft der Unternehmung sind. Zugleich muss sich daran auchein Kind messen lassen und zeigen, dass es wie eine fremde drittePerson in der Lage ist, den Ansprüchen an das zukünftige Ma-nagement der Firma gerecht zu werden. Durch die enge Verzah-nung von Familie und Firma sind ganz besonders „Spielregeln“ zuverabreden, dass die natürliche Überschneidung dieser unter-schiedlichen „Systeme“ von Familie und Firma möglichst minimiertwird. Sonst sind Streitigkeiten schnell vorprogrammiert. Im Über-gabeprozess hilft häufig auch eine neutrale Person von außen, diemit Erfahrung einen Wechsel zwischen Jung und Alt gut moderie-ren kann.

Firmeninterne Nachfolge

Firmeninterne Nachfolgen, also wenn leitende Mitarbeiter eine Un-ternehmung übernehmen, nennen sich auch MBO (Management-Buy-out). Dies kann eine wirklich ideale Situation sein, denn demNachfolger sind die Abläufe, der Markt, die Kunden und die Mitar-

beiter bestens bekannt, und es wechselt quasi nur der Kapitän undübergibt das Ruder an seinen leitenden Offizier. Bei einem MBOist jedoch schon früh im Vorfeld zu besprechen, ob und wie eineFinanzierung auf die Beine gestellt werden kann. Hier kann esauch hilfreich sein, wenn der Übergeber dem Übernehmer mit ei-nem sogenannten Verkäuferdarlehen in der Startphase hilft.

Verkaufen an jemand Fremden

Schon im Vorfeld muss klar sein, dass in der Regel der Verkauf anfremde Dritte immer bis zum Finale ein geheimes Projekt bleibensollte. Das Risiko, dass in einem lange dauernden Auswahlverfah-ren, einem möglichen Scheitern und erneuten Suchprozess dieMitarbeiter nervös werden oder Konkurrenten dies schamlos aus-nutzen, ist immer real gegeben. Da empfiehlt sich der Sicherheits-puffer eines Beraters, der nach außen eine wichtige Filterfunktionübernimmt und den eigentlichen Verkäufer gut beschützt und si-cher in den ersten Schritten unbekannt lässt. Die verdeckte Vor-auswahl von Einzelpersonen oder Firmen, die als Käufer Interessebekunden ist das A und O einer professionellen Unternehmens-nachfolge. Hier werden schon früh Finanzierungsmöglichkeiten,Kompetenzen und Synergien geprüft, und nur wer vom Verkäuferakzeptiert wird, erhält dann auch die vertraulichen Informationen.Natürlich inklusive einer strengen Vertraulichkeitserklärung zumSchutz des Verkäufers. Und auch der zeitliche Ablauf spielt eineRolle und sollte mit einer gewissen Dynamik vor Abbrüchen undUngewissheit schützen. cs

Herr Koerber, wenn Inhaber mittel-ständischer Unternehmen ihre Nachfolge pla-nen, müssen sie vieles bedenken. Was sindfür Sie die besonders kritischen Punkte?

Niels Koerber: An erster Stelle steht häufigdie emotionale Abgabebereitschaft. Wenn dienicht vorhanden ist, steht immer das Risikodes Scheiterns im Raum. Früher oder später.Und dann folgt auch schon die professionelleVorbereitung des anstehenden Verkaufspro-zesses. Was will ich ganz konkret verkaufen?Was könnte kritisch gesehen werden? Was istein realistischer Marktpreis und zugleichmöglichst hoher Wert für den Übergeber?Beispiel: Pensionsverpflichtungen des Ver-käufers will kein Käufer übernehmen. Alsobenötige ich Zeit und auch die passendenMittel, um solche Stolpersteine aus der Bilanzzu entfernen. Oder das Risiko von steuerli-chen Veranlagungen bei Gebäuden in Ver-bindung mit einer Firma muss im Vorfeld mitausreichend Zeit beseitigt werden. Und gibt

es im Idealfall eine zweiteFührungsebene, die demKäufer die Sicherheit gibt,dass nicht ad hoc das ge-samte Know-how mit demTag der Übergabe unddem Austritt des Überge-bers für das Unternehmenverloren ist?

Was ist der richti-ge Zeitpunkt für eine Un-ternehmensnachfolge?

Niels Koerber: Den wird jeder Unternehmerfür sich selbst finden müssen. Im Idealfall im-mer dann, wenn es dem Unternehmen unddem Unternehmer richtig gut geht. SolltenPerson oder Firma „kränkeln“, wird sich dasautomatisch auf den Preis auswirken bezie-hungsweise den Übergeber selbst unterDruck setzen. Und bitte nicht zu lange warten,denn umfangreiche Analysen des DIHK ha-

ben ergeben, dass mit höherem Alter derInvestitionsstau in einer Unternehmungproportional zum Alter zunimmt.

Was sind die ersten Schritte,wenn die Entscheidung zur Übergabedes Unternehmens getroffen sind?

Niels Koerber: An erster Stelle steht inder Regel immer die Bewertungsfragedes Unternehmens. Was ist die Firmawert und zu welchem Preis will ich sieanbieten? Damit einhergehend gilt es

dann auch Klarheit zu finden, was eigentlichalles zum Verkauf dazugehört oder gegebe-nenfalls vorab herausgenommen werden soll.Und dann folgt die Erstellung eines ausführ-lichen Verkaufsmemorandums für die mögli-chen Nachfolger bzw. Käufer. Eine solche Un-terlage muss Appetit machen und eine ersteumfassende Einschätzung der Unterneh-mung ermöglichen. cs

Niels Koerber

Drei Fragen an den Nachfolgespezialisten Niels Koerber

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Herr Helm, seit wann ist das ThemaUnternehmensnachfolge ein Thema in Ih-rem im Unternehmen?

Stephan Helm: Unser Unternehmen wirdseit 1912 durchgehend durch die Inhaberfa-milie, aktuell in vierter Generation, geführt.Insofern sehen wir das Thema Unterneh-mensnachfolge nicht als statistisches/ein-maliges Ereignis, sondern als einen konti-nuierlichen Prozess. Ich kenne das Themavon Kindesbeinen an. Dies war eine laufen-de und ergebnisoffene Diskussion. Natürlichgibt es in so einem Prozess auch klare Ent-scheidungspunkte, zu dem alle Beteiligten„Farbe bekennen“ müssen.

Wann wurde entschieden, dass Siedas Unternehmen übernehmen? Wann wur-de Ihnen klar, dass Sie das auch machenmöchten?

Stephan Helm: Mein Onkel hat das Unter-nehmen über 40 Jahre geführt und das The-ma Nachfolge laufend im Auge gehabt. Ichhatte frühzeitig ein Interesse an dem Ge-schäft, was sich etwa in Praktika im Unter-nehmen und in der Branche oder auchdurch die Teilnahme an Unternehmensver-anstaltungen ausgedrückt hat. Ein ersterwesentlicher Entscheidungspunkt war hier-bei die Wahl der Ausbildung. Mit dem Stu-dium der Betriebswirtschaftslehre und ei-nem Auslandspraktikum bei einem Reifen-hersteller wurden bereits erste Akzente inRichtung Nachfolge gesetzt.

Mir persönlich wurde in dieser Phaseklar, dass ich jedoch keinen direkten Ein-stieg ins „gemachte Nest“ wählen wollte.Daher habe ich meinen Berufseinstieg be-wusst außerhalb der Branche und außer-halb des familiären Netzwerkes gewählt. Beider Wahl meiner beruflichen Stationen hatteich jedoch immer im Auge: Was kannst dumit Blick auf eine eventuelle Nachfolge ler-nen. Insbesondere: Welche Erfahrungen

brauche ich, die mir das Famili-enunternehmen nicht bietenkann.

Ich würde nicht sagen, dassjeder einzelne Schritt langfristiggeplant war. Im Hinterkopf hat-ten jedoch alle Beteiligten, dasssich hier eine Chance ergebenkönnte. Und siehe da: Es hatgepasst.

Haben Sie klare Spiel-regeln für die Übernahme fest-gelegt? Wenn ja, für wie wichtig halten Siedie?

Stephan Helm: Nein, wir haben keine Spiel-regeln und formale Kompetenzen festge-legt, sondern situativ entschieden, wie weitwir Prozesse gemeinsam gestalten oder wowir bereits „abgeben”. Auch ein Zeitplanstand nicht fest. Dieses Vorgehen fordert si-cherlich viel Vertrauen von allen Beteiligten,hat sich für uns aber ausgezahlt. Wir hattenein gemeinsames Ziel und konnten den Ge-nerationswechsel nach zirka drei Jahren ab-schließen.

Haben Sie im Übergabeprozess eine neutrale Person beauftragt, die denWechsel moderierte?

Stephan Helm: Was das eigentliche Ge-schäft betrifft, haben wir dies ohne externeBeratung vollzogen. Die formalen Prozessewie Umstrukturierung der Firmengruppe,Anteilsübertragung, aber auch langfristigeAusrichtung wie etwa Erbverträge haben na-türlich externe Profis begleitet. Die Erfah-rungen aus anderen Unternehmerfamilienhaben uns sehr geholfen. Nicht zuletzt spie-len steuerliche Themen eine wesentlicheRolle. Alles Themenfelder, die einem imoperativen Geschäft zwar nicht weiterhelfen.Wenn man sie jedoch nicht richtig regelt,können sie das Unternehmen gefährden.

Und der Erhalt des Unterneh-mens und seiner Arbeitsplätzestehen bei uns an erster Stelle.

Wird die Übergabe ei-nes Betriebes an ein Familien-mitglied bei den Mitarbeiternanders angesehen als wenn je-mand Fremdes ins Unterneh-men kommt?

Stephan Helm: Das müssenSie unsere Mitarbeiter fragen.

Mein Gefühl war jedoch, dass mir im Fami-lienunternehmen sehr viel Vertrauen entge-gengebracht wurde. Ich bin überall mit sehroffenen Armen empfangen worden und ha-be alle Unterstützung erhalten, die nötig war.Das habe ich im Konzern auch schon malanders erlebt.

Bietet die Zeit der Firmenübergabeauch die Chance zu doppelter Power, alsideales Zeitfenster für Veränderung und In-novation?

Stephan Helm: Veränderung ist immer ein„heißes Eisen”. Und in der Tat bietet diesesZeitfester einen guten Rahmen für Verände-rungen. Ich denke, kontinuierliche Verände-rung wird unser Unternehmen und unsereBranche in den nächsten Jahren laufend aufTrab halten. Zum jetzigen Zeitpunkt kann ichnur sagen, dass die letzten Jahre eine Phaseder persönlichen Aufbruchsstimmung wa-ren. Ich denke, dass uns eine Menge Auf-bruch und Veränderung gelungen ist. Obdies an dem persönlichen Transportierender Aufbruchsstimmung, am Generationen-wechsel ganz allgemein oder an unsererguten Mannschaft liegt, kann ich ehrlich ge-sagt nicht beurteilen – vermutlich an allemgemeinsam. Zurzeit genieße ich einfach diepositive Phase, die das Unternehmendurchläuft.

[email protected]

Unternehmensnachfolge: Stephan Helm wollte keinen Einstieg ins gemachte Nest Stephan Helm ist seit fünf Jahren Geschäftsführer von Reifen Helm. Er hat das Unternehmen von seinem Onkel Klausübernommen. Das Unternehmen mit Stammsitz in Hamburg hat mittlerweile 50 Filialen im norddeutschen Raum inklusiveBerlin. Der studierte Betriebswirt hatte vor Eintritt ins Familienunternehmen mehrere berufliche Stationen außerhalb desReifenhandels. Die NEUE REIFENZEITUNG hat den 38-Jährigen, der seit Juni auch Vorsitzender des BundesverbandesReifenhandel imd Vulkaniseurhandwerk (BRV) ist, zu seinen Erfahrungen bei der Unternehmensnachfolge befragt.

Stephan Helm