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Neuroanatomie Forschung: Unter neuronaler Plastizität versteht man die Fähigkeit des Gehirns, seine strukturelle und funktionelle Organisation veränderten Bedingungen anzupassen. Neuronale Plastizität ist eine fundamentale Eigenschaft des Gehirns und ist die zelluläre Grundlage von Lernen und Gedächtnis. Neuronale Plastizität lässt sich beginnend von der Gehirnentwicklung bis in das hohe Alter hinein beobachten. Auch bei Schädigungen des zentralen Nervensystems (ZNS) ist die neuronale Plastizität von Bedeutung. So können überlebende Nervenzellen ihre Verbindungen verändern, um einen Teil der Ausfälle zu kompensieren. Neuronale Plastizität scheint aber auch bei einigen Maladaptationen des Gehirns beteiligt zu sein, denn verschiedene Untersuchungen weisen auf eine verminderte neuronale Plastizität während der Depression hin. Abb. 1: Neuronale Plastizität ist eine fundamentale Eigenschaft unseres Gehirns, die an einer Vielzahl von Prozessen beteiligt ist. Unsere Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit den Grundlagen neuronaler Plastizität von Nervenzellen im ZNS unter physiologischen (Lernen) und psychopathologischen (z.B. Depression) Bedingungen. Die morphologischen Änderungen, die im Zusammenhang mit der neuronalen Plastizität stehen, werden auf mikroskopischer Ebene untersucht. Dabei interessieren uns insbesondere die Veränderungen, die an den dendritischen Dornen („Spines“) zu beobachten sind, sowie die Neubildung von neuen Neuronen in einigen Hirnarealen („Neurogenese“). neuronale Plastizität Änderungen bei der Gehirnentwicklung Maladaption Änderungen während des Alterns Regeneration (z.B. Verletzungen) Gedächtnis (Lernen aber auch Vergessen)

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Page 1: Neuroanatomie - medizin.uni-greifswald.de · Neuroanatomie Forschung: Unter neuronaler Plastizität versteht man die Fähigkeit des Gehirns, seine strukturelle und funktionelle Organisation

Neuroanatomie Forschung:

Unter neuronaler Plastizität versteht man die Fähigkeit des Gehirns, seine

strukturelle und funktionelle Organisation veränderten Bedingungen anzupassen.

Neuronale Plastizität ist eine fundamentale Eigenschaft des Gehirns und ist die

zelluläre Grundlage von Lernen und Gedächtnis.

Neuronale Plastizität lässt sich beginnend von der Gehirnentwicklung bis in das hohe

Alter hinein beobachten. Auch bei Schädigungen des zentralen Nervensystems

(ZNS) ist die neuronale Plastizität von Bedeutung. So können überlebende

Nervenzellen ihre Verbindungen verändern, um einen Teil der Ausfälle zu

kompensieren. Neuronale Plastizität scheint aber auch bei einigen Maladaptationen

des Gehirns beteiligt zu sein, denn verschiedene Untersuchungen weisen auf eine

verminderte neuronale Plastizität während der Depression hin.

Abb. 1: Neuronale Plastizität ist eine fundamentale Eigenschaft unseres Gehirns, die an einer Vielzahl von Prozessen beteiligt ist.

Unsere Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit den Grundlagen neuronaler Plastizität von

Nervenzellen im ZNS unter physiologischen (Lernen) und psychopathologischen

(z.B. Depression) Bedingungen.

Die morphologischen Änderungen, die im Zusammenhang mit der neuronalen

Plastizität stehen, werden auf mikroskopischer Ebene untersucht. Dabei

interessieren uns insbesondere die Veränderungen, die an den dendritischen Dornen

(„Spines“) zu beobachten sind, sowie die Neubildung von neuen Neuronen in einigen

Hirnarealen („Neurogenese“).

neuronale Plastizität

Änderungen bei der Gehirnentwicklung

Maladaption

Änderungen während des Alterns

Regeneration(z.B. Verletzungen)

Gedächtnis(Lernen aber auch Vergessen)

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5 µm

A B

Abb. 2: Strukturelle Korrelate neuronaler Plastizität können auf Ebene von dendritischen Dornen (A) oder auf Ebene der hippocampalen Neurogenese (B) beobachtet werden.

Die zeitlichen Abläufe und die physiologischen Parameter der neuronalen Plastizität

werden an lebenden Nervenzellen (mit Hilfe der Elektrophysiologie [extrazelluläre

Ableitungen, LTP, LTD]) untersucht.

CA1

EPSP

population spike

dentate gyrus

CA3

stimulus

A B

0 15 30 45 60 75 900

50

100

150

200

250

min

Theta-

burst

Control

1mV

5 ms

Abb. 3: Schematische Zeichnung eines hippocampalen Schnittpräparates (A) mit der Position von Reiz- (gelb) und Ableitelektroden (blau). An hippocampalen in-vitro Lebendschnittpräparaten kann nach einer hochfrequenten Reizung („Thetaburst“) eine langanhaltende Erhöhung der exzitatorischen Postsynaptischen Potentiale (EPSP) ausgelöst werden (B). Dieses Phänomen wird als LTP („long-term potentiation“ [Langzeitpotenzierung]) bezeichnet. LTP wird als ein zellulärer Mechanismus angesehen, dem Lern- und Gedächtnisprozesse zugrunde liegen.

Die Untersuchungen werden hauptsächlich am Hippocampus (eine Hirnregion, die

für Lern- und Gedächtnisprozesse von großer Bedeutung ist) und an der Amygdala

(einer Hirnregion, die für „emotionale“ Vorgänge sehr wichtig ist) von Mäusen

durchgeführt.

Zentrale wissenschaftliche Fragen unserer Arbeitsgruppe sind:

Was geschieht bei der neuronalen Plastizität?

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Welche strukturellen Veränderungen treten bei unterschiedlichen Aktivitätszuständen

von Nervenzellen auf? Welche Rolle spielt die Neurogenese? Welche Moleküle

regulieren diese Prozesse?

Was geschieht während des Alterns? Obgleich lange postuliert wurde, dass es während des Alterns zu einem signifikanten

Verlust von Neuronen im Vorderhirn kommt, konnten neuere Untersuchungen dies

nicht bestätigen. Kommt es zu Änderungen an den Spines? Kommt es zu

Veränderungen bei der Neurogenese? Was sind die Gründe und Ursachen dafür?

Welche Rolle spielt neuronale Plastizität im Rahmen von neurologischen Erkrankungen? Kommt es zur Reorganisation des Gehirns bei neurologischen Erkrankungen (z.B.

bei der Depression)? Findet sich eine Veränderung der neuronalen Plastizität bei

neurodegenerativen Erkrankungen (Morbus Parkinson, Morbus Alzheimer)?

Welche Rollen spielen Wachstumsfaktoren bei der neuronalen Plastizität? Wachstumsfaktoren spielen entscheidende Rollen bei der Gehirnentwicklung, jedoch

sind sie, zusammen mit ihren spezifischen Rezeptoren, auch postnatal im Gehirn

vorhanden. Können Wachstumsfaktoren Einfluss auf die neuronale Plastizität

nehmen? Können sie Einfluss auf die Struktur des Gehirns nehmen? Könnten

Wachstumsfaktoren hilfreich sein um Maladaptationen (z.B. Depression)

abzumildern? Könnten Wachstumsfaktoren neurodegenerative Prozesse

beeinflussen?

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Publikationen:

Originalarbeiten und Reviews:

PubMed

Bücher: von Bohlen und Halbach, O, Dermietzel, R (2006): Neurotransmitters and

Neuromodulators. Handbook of receptors and biological effects. 2nd Edition.

Wiley-VCH. Weinheim.

von Bohlen und Halbach, O, Dermietzel, R (2002): Neurotransmitters and

Neuromodulators. Handbook of receptors and biological effects. Wiley-VCH.

Weinheim.

von Bohlen und Halbach, O, Dermietzel, R (1999): Methoden der Neurohistologie.

Spektrum-Verlag Heidelberg.

Buchkapitel:

von Bohlen und Halbach, O, Unsicker, K (2009): Neurotrophic Support of Midbrain

Dopaminergic Neurons. In: Pasterkamp, J.R., Smidt; M.P., J. P. H. Burbach;

J.P.H.: Development and Engineering of Dopamine Neurons (Advances in

Experimental Medicine and Biology; Vol. 651). Landes Bioscience / Springer. 73-

80.

Roussa, E, von Bohlen und Halbach, O, Krieglstein, K (2009): TGF-ß in Dopamine

Neuron Development, Maintenance and Neuroprotection. In: Pasterkamp, J.R.,

Smidt; M.P., J. P. H. Burbach; J.P.H.: Development and Engineering of Dopamine

Neurons (Advances in Experimental Medicine and Biology, Vol. 651). Landes

Bioscience / Springer 81-90.

Albrecht, D, von Bohlen und Halbach, O (2008): Cellular Cognition: A Focus on LTP

and LTD in the Lateral Nucleus of the Amygdala. In: Kaiser, T.F. and Peters, F.J.:

Synaptic Plasticity: New Research. Nova Science Publishers.

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Unsicker, K, Reuss, B, von Bohlen und Halbach, O (2006): Fibroblast growth factors

in brain functions. In: Lajtha, A. , Lim, R (Eds.). Handbook of Neurochemistry and

Molecular Neurobiology. 3rd Edition. Neuroactive Proteins and Peptides.

Springer. 93-121.

Albrecht D, Hellner, K, Walther, T, von Bohlen und Halbach, O (2003): Angiotensin II

and the amygdala. In: Shinnick-Gallagher, P., Pitkänen, A., Shekhar, A., Cahill, L.

(Eds). The amygdala in brain function: Basic and clinical approaches. Annals of

the New York Academy of Sciences. 985: 498-500.