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Neuroimaging und Visionen 31
Nicolas Langlitz
Neuroimaging und Visionen. Zur Erforschung desHalluzinogenrauschs seit der"Dekade des Gehirnsll
Die Wiederkehr der Halluzinogenforschung
Das Gehirn gilt als "art der Bilder".l Es empHingt visuelle Eindrucke von auBen
und macht sich daraus ein Bild der umgebenden Welt. In der der
Fantasie, dem Traum, der Vision es aber auch Bilder aus
Antrieb, die dann vor einem "inneren Auge" erscheinen oder, etwa in der Hal
luzination, in die Welt hinaus projiziert werden. Die durch die halluzinogene
Meskalin in den zwanziger Jahren des letzten
Jahrhunderts von dem amerikanischen Psychologen Heinrich Kluver erforscht,
der eine Reihe immer wieder gesehener, geometrischer Muster,
Formkonstanten, identjfizierte. Obwohl er von deren Gleichformigkeit auf ein
neuronales Substrat schloss, es ihm in erster Linie urn eine phanomenolo-
gische Darstellung der allgemeinen Struktur von Halluzinationen (Abb. 1).2
Heute wird die funktionale Architektur des Gehirns, das im Halluzinogen
rausch innere Bilder produziert, durch Neuroimaging-Technologien selbst ins
Bild gesetzt. Diese Forschungspraxis wurde vom Verfasser im Rahmen einer
ethnografischen Studie zur Renaissance der Halluzinogenforschung seit der
.. L..""'-l:',U\JL"'- des Gehirns" untersucht. 3
Dass psychedelische Orogen wie Meskalin, LSD und das aus den "Zauberpilzen"
isolierte Psilocybin nach den Exzessen der Jahre wissenschaftlich
wieder hoffahig nicht zuletzt daran, dass eine neue For
schergeneration es verstanden hat, ihr Interesse an diesen bewusstseinsveran
dernden Substanzen an den Aufschwung der kognitiven Neurowissenschaften
in den Jahren zu kniipfen. Die groBe offentliche AufmerksalTI-
keit, die die in den letzten Jahren auf sich gezogen
hat, Hisst sich maBgeblich auf Entwicklungen im Bereich der funktionellen
Bildgebung zuruckfuhren. Zwar erlaubte bereits die Einfuhrung des Elektro-
Hans Belting: Bild-Anthropologie. Entwiirfe fi.ir eine Bildwissenschaft, Munchen 2001.
Heinrich Kluver: Mescal and Mechanisms Hallucination, Chicago 1966. VgL auch Michael
Becourt: ATaxonomy ofAbstract Form Using Studies of Synesthesia and Hallucination. In: Leo
nardo 40, Nr. 1, 2007. In jiingster Zeit v,curden diese Forschungen wieder aufgenommen von
Paul Bressloff, Jack Cowan, Martin Golubitsky, PeterThomas und Matthew Wiener: Geometric
visual hallucinations, Euclidean symmetry and the functional architecture of the striate cortex.
In: Philosophical Transactions of the Royal Society 356, Nr. 1407,2001, S. 299- 339.
Nicolas Langlitz: Neuropsychedelia. The Revival of Hallucinogen Research since the Decade of
the Brain (Dissertation, University of California, Berkeley), Berkeley, CA 2007. Der Ausdruck
"Dekade des Gehirns" .vurde gepragt von US-Prasident George H. W Bush: Presidential Procla-
mation 6158 (1990), http://\vwwJoc.gov/loc/brain/prodaim.html (Stand 0712008).
enzephalogramnls 1929, den "Geist bei der
Arbeit" zu wahrend seit den sechziger
Jahren die Computertomografie (CT) hochaufge
loste anatomische Darstellungen des Gehirns zu
Hefern venTIochte.4 Doch erst die Positronen-Emissi
ons-Tomografie (PET) ermoglichte es in den acl1tzi~e~r
Jahren des vergangenen Jahrhunderts, physiologische
Prozesse (etwa regionaler Blutfluss oder Glukosever
stoffwechslung) anatomisch zu lokalisieren und ihre
Topografie mit mentalen Vorgangen in Beziehung zu
setzen. Anders als die abstrakten Kurven des EEG und
die statischen Schwarz-WeiB-Bilder des CT eigneten
sich die dabei entstehenden bunten, scheinbar intuitiv
zuganglichen Hirnbilder ganz besonders fur popular
wissenschaftliche Darstellungen,
nalistische Berichte und J:-'o]rsc~hUnE:stclrder(lntTaj2:e
Diesem Trend folgte auch der Schweizer Psychiater Abb. 1. KlOver'sche Formkonstanten: vonLSD hervorgerufene, trichter- und spiral
Franz Vollenweider, als er sich in den fruhen neunzi- f6rmige Halluzinationen (nach Oster 1970).
ger Jahren mit einer PET-Untersuchung der Effekte
von Psilocybin und Ketamin auf die Gehirne gesunder Probanden einen Namen
machte. Die Bildgebung dass beide Halluzinogene - trotz ihrer ganz
verschiedenen pharmakologischen eine Zunahme der
Stoffwechselaktivitat im Stirnhirn bewirkten, die mit dem Grad der im Dro
genrausch erlebten Ich-Auflosung korrelierte (Abb. 5 Ein ahnliches metabo
lisches Muster war zuvor bereits auf PET-Bildern akut schizophrener Patienten
beobachtet worden. So trug Vollenweiders Studie dazu bei, den Gebrauch von
4 Cornelius Borck: Hirnstromc. Eine Kulturgeschichte del' Elektroenzephalographie, Gottlngen
2005; Michael Hagner: Del' Geist bei del' Arbeit. Prasentation
braler Prozesse. In Cornelius Borck (Hg.): Anatomien mcdizinischcn Wissens. Medizin. Macht.Molekiile, Frankfurt a. M. 1996, S. 259-286.
FranzVollenweider, K. Leenders, Christian Scharfetter,A. Antonini, P. Maguire, J. Missimer und
Jules Angst: Metabolic hyperfrontality and psychopathology in the ketamine model of psychosis
using positron emission tomography (PET) and [18F]f1uorodeoxyglucose (FOG). In: European
Neuropsychopharmacology 7, NT. 1, 1997, S. Franz Vollenweider, K. Leenders, Christi
an Scharfetter, P. Maguire, O. Stadelmann und Jules Angst: Positron emission tomography and
fluorodeoxyglucose studies of metabolic hyperfrontality and psychopathology in the psilocybin
model of psychosis. In: Neuropsychopharmacology 16, Nr. 5, 1997, 357-372.
32 Nicolas Langlitz Neuroimaging und Visionen 33
Abb. 2: Zwei [18FJ-FDG-PET-Darstellungen zur Wirkung des HalluzinogensPsilocybin, links zu Beginn der Untersuchung, rechts nach Zunahme derStoffwechselaktivitat im Stirnhirn.
Halluzinogenen zur Model
Herung von Psychosen in
del' psychiatrischen For
schung wiederzubeleben
und zugleich entsprechen
de Bilder in Umlauf zu
bringen. 6
1m einer diesem
Aufsatz zugrunde liegen
den wissenschaftsanthro-
pologischen Studie iiber
Vollenweiders Ziircher Labor Neuropsychopharmacology and Brain Imaging in den
lahren 2005 und 2006 fallen mehrere Punkte auf, in denen del' dort prakti
zierte Ansatz von in der Wissenschaftsforschung maBgeblichen Darstellungen
der funktionellen Bildgebung abweicht. Dabei erhellt dieser besondere Fall del'
Suche nach den neuronalen Korrelaten des im Drogenrausch erlebten kaleido
skopischen Stroms von Affekten, Gedanken und inneren Bildern die regionale
Epistemologie der neurowissenschaftlichen Bewusstseinsforschung.
Neuroimaging und Introspektion
1m freien Protokoll beschrieb ein Proband des Vollenweider-Labors nach Ver
SU(~hSellide. wie er eine Messung im PET-Scanner unter Einfluss des Halluzino
gens PSilocybin erlebt hatte :
"Am Anfang des Trips hatte ich auf einn1al das Bediirfnis, mich im Labor hin
zulegen. Da begann die optische . Ieh sah zuerst, dass manche
Strukturen sich bewegten und andere Farben und Formen annahmen. Von
del' aus schaute ich auf das Waschbecken und die Seifenpackung an der
Wand. Plotzlich sahen sie aus wie gemalt - wie wenn man iiber ein Bild einen
Filter der es wie ein Olgemalde erscheinen Hisst. VOl' dem Scan ging ich
noch einmal auf die Toilette, wo ich mich jedoch nicht mehr zurecht fand. AIle
Proportionen waren falsch; das we schien meine Hande zu graB, die
Arme zu lang. Auch die ersten Minuten des Scans waren komisch. Als ich den
Versuchsleiter aus dem Augenwinkel bemerkte, sah er aus wie eine Ratte, die
Nicolas Langlitz: Ccd n'est pas une psychose. Toward a Historical Epistemology of Model Psychosis. In: BioSocieties 1,2006, S. 158-]80.
Assistentin hatte eine zombiehafte Fratze. Sobald ich die Augen schloss, veran
derte sich meine Wahrnehmung abrupt und total. Dann glitt ich durch skurrile
geometrische Raumen, zumeist kubisch und intensiv rot gefarbt. Dabei hatte
ich ein enorm weites Blickfeld von bis zu 270°, an dessen Randern ich fliistern
de menschliche Gestalten wahrnahm. Die konnte ich spateI' nul'
mit knapper Not ausfiillen. Die Antworten schienen luir nicht passend odeI' zu
wenig differenziert. Zum Teil verstand ich die Fragen auch nicht. Faszinierend
dabei war jedoch, dass ich mindestens die Halfte aIler Fragen auf einer Seite
gleichzeitiglesen konnte."7
Die Beschreibung vermittelt ein plastisches Bild von dem mitunter gro-
tesken asthetischen Erleben im HalIuzinogenrausch. Wahrend dessen neuronale
Korrelate durch PET aufgezeichnet werden, soIl die Testperson ihre inneren
Erfahrungen durch das Ausfiillen einer Vielzahl von zu Protokoll
geben. Eines del' wichtigsten Instrumente ist dabei del' von dem deutschen Psy
chologen Adolf Dittrich in del' Schweiz entwickelte SD-ABZ-Fragebogen, del'
drei Dimensionen veranderter Wachbewusstseinszustande konstruiert: die in
Anlehnung an Freud als Selbstentgrenzung" (OSE) bezeichnete Eks
tase, deren von bad trips bekannte Kehrseite, die "angstvolle Ichauflosung" (AlA)
sowie die "visionare Umstrukturierung" (VUS), die optisch-haIluzinatorische
Phanomene erfasst. 8 OdeI' frei nach Aldous Huxley: Himmel, Holle und Visionen
als Achsen del' psychedelischen Erfahrung. 9 Die Funktionsweise des 5D-ABZ soIl
anhand del' dritten Dimension, del' VUS, illustriert werden. Sie umfasst AuBe
rungen wie: "Ich konnte Bilder aus del' Erinnerung odeI' aus del' Phantasie iiberaus
deutlich sehen." / "Ich sah in volliger Dunkelheit odeI' mit geschlossenen Augen
re~~ei]mam~~e Muster." / "Formen schienen sich durch Tone odeI' Gerausche zu
verandern." / "Ich erlebte alles verzerrt." SoIche soIl del'
Proband durch einen Strich auf einer Skala von 1 ("Nein, nicht mehr als gewohn
lich") bis 10 ("la, sehr viel mehr als gewohnlich") bewerten. Dadurch wird die
unter Drogen massiv veranderte Qualitat des Erlebens in Zahlen iibersetzt.
7 Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Studienleiter Boris Quednow und Felix Hasler.
8 Adolf Dittrich: Strukturen veranderter WachbewuBtseinszustande.
Ergebnisse empirischer Untersuchungen libel' Halluzinogene 1. und II. Ordnung, sensorische
Deprivation, hypnagoge Zustande, hypnotische Verfahren ReizliberHutung, Stuttgart
1985.
Aldous Huxley: Die Pforten der Wahrnchmung. Himmel und Holle. Erfahrungen mit Orogen,
Miinchen 1981.
34 Nicolas Langlitz Neuroimaging und Visionen 35
Ich erleble alles linklar. \Vie in einer Art Nebel
Eine Stimme kommentierte alles. was ich dachte. obwohl niemand da war.
29. Ich filhlte mich dosig.
28. Manche Nebensachlichkeilen hallen cine besondere Bedeutung
27. Ich war unf'dhig, auch nUl" die kleinste Entscheidung zu Ireffen.
26. Ich ftihlte mi"h kUrperlos.
Abb. 3: Auszug aus dem ,,Fragebogen zur Erfassung AussergewohnlicherBewusstseinszustande" (nach Dittrich, Lamparter und Maurer: 5D-ABZ. Fragebogen zur Erfassung Aussergewohnlicher Bewusstseinszustande, ZOrich 1999).
]4 Vollenweider: Positron emission tomography (s. Anm.5), S. 365 NL).15 Damit soIl nicht gcsagt sein, dass sich bei den PET-Bildern um reine Illustrationen handelt.
Sic generieren ihre eigenen Bedeutungen, insbesondere in derRezcption. So niihren sie hiiufig die Vorstellung, 1m Gehirn gabe es aJleriei Zentrcn fUr bestimm~
te mentale Funktionen oder Charaktereigenschaften. In der vvissenschaftlichen Arbeit der
Vollenwcider~Gruppespielte dieses efiiP'e '/cn,tarldnis
Rolle.16 Vgl. Hagner: Dcr Geist (s. Anm. 4), S. 193.
schen
zu erforschen, wurden
die der[Fragebogen] ABZ, AMDP und EPI fiir halluzinatorische Storungen, Ich- und
Denkstorungen mit Veranderungen absoluter Glukosemetabolismusraten und
metabolischer Verhaltnisse verschiedenen Hirnregionen] korre-
liert."141m Forschungsprozess helfen die Bilder, aus der uniiberschaubaren
Menge von Messwerten jene die sieh auf anatomisch signifi-
kante Stellen um diese Werte dann zu psychometrischen Befunden in
l::Sezle'hung setzen zu konnen doch dies geschieht in Tabellen, nieht in Bildern
(Abb.4).Vollenweiders Korrelation zwischen PET-Messungen und Fragebogenpsycholo-
gie dariiber hinaus, dass subjektive Bedeutung und Introspektion nieht in
jedem Fall durch Neuroimaging marginalisiert werden. 16 Uberhaupt ist das in
Hirnforschung und Psychologie lange Zeit verbreitete Misstrauen gegeniiber dem
Blick nach innen als wissenschaftlicher Methode keine Folge der groBen Popula
ritat, welche die funktionelle Bildgebung seit den neunziger Jahren erlangt hat.
Nachdem die Selbstbeobachtung Ende des neunzehnten Jahrhunderts zu einem
zentralen Bestandteil der damals inl Entstehen begriffenen eXDe:rmnelltellen
Psychologie avanciert war, ist es der Siegeszug des Behaviorismus gewesen,
Psilocybin und Ketamin
sieh, dass es darin
in erster Linie um
eine Korrelation von
Zahlen geht: "Um die
Beziehung zwischen
Psilocybin-induzierten
psychologischen Reak
tionen und metaboli-
101m Rahmen der phanomenologischen Psychiatrie der zwanziger Jahre hatte beispie!sweise
Kurt Beringer soIche Erfahrungsberichte zur Grundlage seiner Studie libel' den Meskalinrausch
gemacht. Kurt Beringer: Der Meskalinrausch. Seine Geschichte und Erscheinungsweise, Ber
lin 1927.
11 Einc umfassende kritische Auseinandersetzung mit psychologischen Fragebogen im Allgemei
nen findet sich bei Fritz Strack und Norbert Schwarz: Asking Questions: Measurement in the
Social Sciences. In: Mitchell Ash, Thomas Sturm (Hg.): Psychology's Territories. Historical and
Contemporary Perspectives from Different Disciplines, Mahwah NJ 2007, S. 225 - 250.
]2 Michael (s.Anm. 4), S. 219.
13 Anne Images Arc Not the (Only) Truth: Brain Mapping, Visual and Icono-
clasm. In: Sdencc,Technology, & Human Values 27, Nr. 1,2002, S. 53-86, S.
NL). Vgl. auch Kelly Joyce: Appealing Images. Magnetic Resonance Imaging and the Production
ofAuthoritative Knowledge. In: Social Studies of Science Nr. 3, 2005, S. 437 -462.
Das Ausfiillen derartiger Fragebogen ist nieht dem Schreiben ausfiihrlicher
Erfahrungsberiehte gleiehzusetzen. lO Dem zitierten Probanden scheinen die
vOJre-ee-eIJenlen Antworten die eigene Erfahrung nieht adaquat zu rei>ra:senltie
ren, und es bleibt unklar, vor welchem Erfahrungshintergrund die einzelne
Versuchsperson die Ungewohnlichkeit ihres Drogenerlebnisses bewertet. 11
Doch im Gegensatz zu dem zitierten freien Bericht, der in der systematischen
Auswertung der Studie keine Rolle spielt, ist diese standardisierte und quantifi
zierte Form von Introspektion mit den numerischen Daten des PET kompatibel
den Auszug in Abbildung
An dieser Stelle ist ein weit verbreitetes Missverstandnis beziiglich der sogenann
ten funktionalen Bildgebung auszuraumen: Es geht trotz der Bezeiehnung als
"Bildgebung" oder "Imaging" - in dieser wissenschaftlichen Praxis nieht in erster
Linie urn die dabei entstehenden Bilder als solche. Die vermeintliehe "Ikono
philie" der kognitiven Neurowissenschaften12 ist vielmehr eine Ikonophilie
des Wissenschaftsjournalismus und popularwissenschaftlicher Darstellungen,
welche die Neuroimaging-Bilder aufgreifen, deren Konstruktion und wissen
schaftliche Verwendung sie jedoch unhinterfragt lassen.
In ihrem Artikellmages Are Not the Truth hat die kanadische Wissenschafts-
forscherin Anne Beaulieu festgestellt, "dass fiir die Forscher diese Bilder, so sie
Bilder von irgend etwas Bilder von Zahlen sind". Von Bildern wird also
nur in einem Sinne gesprochen. "Die Fiille von Reprasentationen
in neurowissenschaftlichen Kontexten, die den Neuling iiberwaltigen, steht
im Widerspruch zur Auffassung der Forscher, dass ihre Arbeit darin besteht,
Messungen am Hirn vorzunehmen, nicht Bilder davon zu machen."13 Auch in
Vollenweiders zitierter PET-Studie zu bewusstseinsverandernden Effekten von
36 Nicolas Langlitz
,Neuroimaging und Visionen
37
Table 3.Gradients under Psilocybin (n
Left Hemisphere Right Hemisphere
17 Bernard Baars: The Double Life of B.F. Skinner. Inner Conflict, Dissociation and the Scientific
Taboo against Consciousness. In: journal of Consciousness Studies 10, Nr. 1,2003, S. 5-25;
Paul Ziche: Das Selbstbild des Denkens. Introspektion als psychologische Methode. In: Olaf
Breidbach, Karl Clausberg (Hg.): Video Ergo Sum. Reprasentation nach innen und au13en zwi
schen Kunst und Neurowissenschaft, Hamburg 1999, 82-98.
18 Bernard Baars: HO\'\T Brain Reveals Mind. Neural Studies Support the Fundamental Role of
Conscious Experience. In: Journal of Consciousness Studies 10, Nr. 9-10, 2003, S. 100-114;
Anthony Jack, Andreas RoepstorfT: WhyTrust the Subject? In: Journal of Consciousness Studies
10, Nr. 9-10,2003, S. V-XX; Andreas Roepstorff:A Double Dissociation in Tvvcntieth CenturY
Psychology? A commentary on Bernard Baars: The Double Life of B.F. Skinner. In: Journal ;rConsciousness Studies 10, Nr. 1,2003, S. 62-67.
19 Michael Hagner: Homo cercbralis. OcrWandel vom Seelenorgan zwn Gehirn, Frankfurt a. M. 2000.
20 Hagnel': Ocr Geist (s. Anm. 4), S. 170-179.21 Jos~ph Dumit: Brain Scans and Biomedical Identity, Princeton, NJ 2004,
S. 23; Hagner: Der Geist (s. Anm. 4), S. 219-222; William Uttal: The Ne\v Phrenology. The
Limits of Localizing Cognitive Processes in the Brain, Cambridge, MA 2001.n Simon Cohn: Increasing resolution, intensifying ambigUity: account of seeing
life in brain scans. In: Economy and 33,1,2004, S. 52-76, 68.
PET jenseits der CyberphrenologieDass (wenn davon unter den Umstanden iiberhaupt
noch gesprochen werden kann) ein Sitz im Gehirn wird, ist nicht
neu. In seinem Buch Homo cerebralis beschreibt Michael den urn 1800erfolgten Wandel der Vorstellung vom Gehirn: War es bis dahin das Organ
einer unteilbaren Seele gewesen, so erscheint es in seiner modernen Gestalt als
dezentral Komplex raumlich voneinander lokalisierter,
aber miteinander in Wechselwirkung stehender geistiger Eigenschaften und
Funktionen. 19 zufolge beginnt die Geschichte funktioneller Hirnbilder
mit Franz-Joseph Galls Phrenologie, die Charakterzuge wie Gewissen
hai:ti2~kelt oder Frommigkeit auf bestimmte Regionen des Schadels oder des
darunter liegenden Hirns abbildete (Abb. 20 Wie der William
Uttal und der Kulturanthropologe Joseph Dumit hat daraus den Schluss
gezogen, es handle sich bei der Lokalisierung mentaler Funktionen iIn Gehirn
mit Hilfe von Neuroimaging-Technologien urn eine "neue Phrenologie" oder
"Cyberphrenologie".21 Durch die Hintertur der zeitgenossischen Neurowissen
schaften soll hier die typologische Klassifikation von Individuen, die das
zistische Denken des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts hatte,
wieden~in~etlljhrtworden sein.Ein Blick auf Vollenweiders Erforschung drogeninduzierter Bewusstseinsver-
anderungen eroffnet jedoch eine andere \Vas hier mit PET-Scan-
ner und psychologischen untersucht wird, sind fluchtige geistige
Zustande und keine Charaktereigenschaften. Anstatt aufgrund
bestimmter neuronaler Eigentumlichkeiten in eine Schublade gesteckt zu wer
den, zerHillt das zerebrale Subjekt in eine Abfolge ephemerer mentaler Phano
mene. Diese sich nicht im inter- sondern im intraindividuellen Vergleich.
Das Leben des Gehirns manifestiert sich in cler Subtraktion einer
von der anderen, wahrend das Leben als quantitative Differenz zwi
schen zwei Fragebogen-Skalen erscheint. 22 Die tatsachlich statthabenden biolo-
+0.01
Correlation(Spearman),
pLevel
<.05 Hall. (AMDP) Inverse-UNSNS Identity (EPI) +0.002NS Demarc. (EPI) +0.03
<.05
Inverse-U+0.003+0.05-0.008-0.04-0.003-0.05-0.01+0.0002
Correlation Change of(Spearman), Gradients
p Level p Level Syndrome
Change ofGradients
plevel
FL-TL <.05
PM-OM <.05FM-GA NSFM-TM NSFM-TL NS
FL-PU
der sie bald darauf
ins Abseits geddingt
hatte. 17
Die black box menta
ler Prozesse wurde
erst in der zweiten
Halfte des
ten Jahrhunderts
wieder als
Abb. 4: Tabelle aus der Stud ie Vollenweiders et al. 1997. die Kybernetik in die
Hirnforschung Ein
zug hielt. Seit die daraus hervorgegangenen kognitiven Neurowissenschaften
sich verstarkt der funktionellen Bildgebung bedienen, ist es zu einer
Renaissance der Introspektion gekommen. Die Erforschung der neuronalen
Korrelate von Bewusstsein und anderer subjektiv erfahrener, Ereignis
se und Vorgange (etwa mystische Erfahrungen, Liebe, Angst oder Aggression)
setzt voraus, dass die mit den Instrumenten der Neurowissenschaften unter
suchten Testpersonen iiber ihr Erleben Auskunft Anders lieBe sich gar
nicht sagen, wovon die auf den Hirnbildern dargestellten neuronalen Korrelate
denn iiberhaupt Korrelate sein sollen. Nach funf Jahrzehnten behavioristischer
Ht':Q"em()me und der damit einhergehenden Tabuisierung von Bewusstsein hat
das Neuroinlaging zu einer Rehabilitation der Introspektion als zur
bewussten Erfahrung gefuhrt. 18 Der aktuelle, von Neuroimaging-Technologien
maBgeblich Wandel des Verstandnisses von Gehirn und Geist lauft
nicht einfach auf eine Zerebralisierung des Subjekts hinaus, sondern impliziert
auch eine Subjektivierung des Gehirns.
38 Nicolas Langlitz Neuroimaging und Visionen 39
Abb. 2: Einteilung des Schadels nach Gall (Sammlungen der Medizinischen Universitat Wien, Sign.274 a).
gischen und mentalen Prozesse zwischen diesen Momentaufnahmen bleiben im
Verborgenen. Mag dieser Blick auf den Menschen auch noch so reduktionistisch
und unbefriedigend sein, so begreift er ihn doch als das heiBt in
standigem Wandel Organismus. Dabei ist Vollenweiders Ansatz
auch wenn er aus einem etwas exotischen Bereich cler Psychopharmakologie
stammt - in eine breitere Verschiebung der Aufmerksamkeit von traits zu states
einzuordnen. 1m Zeitalter der kognitiven Neurowissenschaften werden eher
moralische Entscheidungsprozesse als Gewissenhaftigkeit erforscht und an die
Stelle von Galls Suche nach dem zerebralen Sitz der Frommigkeit ist die neuro
theologische Erforschung mystischer Erfahrungen getreten.
Die Entwicklung wurcle clurch Technologien wie PET begiinstigt, erlaubten
diese es doch Hirnaktivitat in vivo zu l1lessen statt wie in der Bliitezeit der Phre
nologie Schadelknochen zu untersuchen und tote Gehirne zu sezieren. Eine
cler zeitlichen Auflosung in der funktionellen Bildgebung hat es
Neurowissenschaftlern erlaubt, von einer statischen auf das Gehirn
und entsprechenden unveranderlichen Personlichkeitsmerkmalen zu einer
clynamischen physiologischen Prozesse iiberzugehen, die dem
Strom des Bewusstseins zugrunde liegen sollen. Die Zeitlichkeit der Positronen
Emissions-Tomografie ist mit clem Ausfiillen des 5D-ABZ-Fragebogens vor und
nach einer Messung gut vereinbar. Beide Techniken sind auf die Kurzlebigkeit
von Vollenweiders Forschungsgegenstand zugeschnitten. Sie dienen der Erfas
sung veranderter Bewusstseinszustande, die sich mit cler Verstoffwechselung
der verabreichten Psychopharmaka wieder auflosen. Urn eine neue Phrenologie
handelt es sich bei dieser Form des Neuroimaging nicht.
Dadurch kommt es noch zu einer weiteren von hochst
Zumindest Vollenweiders Ansatz zufolge trifft es nicht
zu, dass die funktionelle Bildgebung mit einem Riickfall in das prakyberneti
sche Menschenbild des Organizismus einhergeht. 23 Es geht nicht darum, die
von korperlichen Strukturen und individuellen Merkmalen abstrahierenden,
allgemeinen GesetzmaBigkeiten von Funktionen darstellenden kybernetischen
Schaltkreisen durch eine Klassifikation von Menschen anhand von typologi
sierenden Hirnbildern zu ersetzen. Tatsachlich nutzt Vollenweider die in den
PET-Messungen generierten Daten, urn das neurokybernetische CSTC-Model1
empirisch zu unterfiittern.
Dieses Modell basiert auf der Annahme, dass innere und auBere Wahrneh
mungsreize in eine cortico-striato-thalamo-corticale Riickkopplungsschleife
(CSTC) eingespeist werden und dass dieser neuronale Informationsverarbei
tungsprozess in psychotischen beziehungsweise durch Halluzinogene kiinstlich
erzeugten Bewusstseinszustanden gestort wird. 24 Durch eine auf verschiede-
Damit solI nicht gesagt sein, dass sich nicht auch Beispiele finclen lieHen, die Hagners These von
del' tY1Pol,o£i:schen Klassifikation clurch Ncuroimaging untermauern wiirden, Dagegen soIl aber
heraUS!!Csltellt werden, den im neunzehnten Jahrhundert so nieht gegeben hat und
cler in der heutigen Situation durchaus nicht marginal zu sein scheint.
24 Vgl. Hagner: Oer Geist (s. Anm. 4), S. 221f.
40Nicolas 41
Cortico-striato-thalamo_cortical feedback loops (CSTC)
nen pharmakologischen Wegen erreichbare Hemmung der Filterfunktion des
Thalamus kommt es demnach zu einer sensorischen Reiziiberflutung des Cor
tex, die als angstvoll oder ekstatisch erlebte Auflosung der Ich-Demarkation
erfahren wird und Sinnestauschungen und Visionen zur Folge hat. 251m
satz zu der popularen Rezeption von PET-Bildern, die aktivierte Hirnareale als
Zentren fiir bestimmte mentale Funktionen vorstellt, dient dieser sYE;telml:sCJlle
Ansatz dazu, Modelle zu entwickeln, die das funktionelle Zusammenspiel verschiedener Teile des Gehirns zu erklaren vermogen (Abb. 6).
Doch a~ch wen.n Vollenweiders Methoden zur des HalIuzinogen
rauschs 1m BereIch der neurowissenschaftlichen Bewusstseinsforschung verbrei
tet und anerkannt sind, ist es nicht geboten, seinen Ansatz als reprasentativ fiir
den Gebrauch der funktionellen Bildgebung insgesamt darzustellen. So erfor
dern die meisten PET-Studien mentaler Prozesse keine Introspektion, sondern
bedienen sich kognitiver Leistungstests, in denen beispielsweise die Aufmerk
samkeit oder das Kurzzeitgedachtnis des Probanden gefordert werden. Die hier
25 Arvid Carlsson: The current status of the flOI''''n'llnf' In1no'tl1p,,,,,
Chopl1armclcolollV 3, Nr. 1, 1988, S. 179-186.
26 Franz Vollenweider: Perspektiven der BewuBtscinsforschung mit Halluzinogenen. In: .~oger
Liggenstorfer, Christian Ratsch (Hg.): Maria Sabina - Botin der heiligen Pilze. Vom tradltl~nel
len Schamanentum zur weltweitcn Pilzkultur, Freiburg 1996, S. 203 - 210; Franz VollenweIder:
Recent Advances and Concepts in the Search for Biological Correlates of Hallucinogen-indu
ced Altered States of Consciousness. In: The Heffter Review of Psychedelic Research 1. 1998,
S.21-32.
herausgestellten Aspekte von Vollenweiders mt~thodOlC)gu:;cn sehr vieI facetten
reichereln Ansatz konnen jedoch als Bezugspunkt kiinftiger r-olrsc:hungsal'be:lte:n
dienen, die Feiner zwischen regionalen Epistemologien innerhalb der Praxis des
Neuroimaging unterscheiden.
1m Bereich der gilt jedenfalls, dass PET-Bilder nicht
nur der menschlichen Subjektivitat ihren objektivierenden Stempel aufdriicken,
sondern eben diese auch in die vermeintlich objektiven, neurowis
senschaftlichen Darstellungen eingeschrieben wird. Doch die Flut von Gedan
ken, Gefiihlen, Halluzinationen und inneren Bilder, die der Einzelne im Rausch
Hisst sich auch durch die hier beschriebene Kombination von Introspek
tion mit kybernetischen Modellen und funktioneller Bildgebung nicht erfassen.
Dazu ist die zeitliche Auflosung von PET und Fragebogen zu Sie zeich
nen nur Momente auf oder iiber Zeitraume gemittelte Zustande, nicht
aber die physiologischen Korrelate des Erlebnisstroms selbst. Auch entgeht die-
sen Messungen die Drogenerfahrung. Das subjektive Erleben
wird hier auf schematische und Zahlen reduziert. Nur als solches
lasst es sich mit den yom PET produzierten numerischen Daten korrelieren. In
der Halluzinogenforschung sticht diese phanomenologische Diirftigkeit beson
ders ins Zwischen der mitunter erdriickenden Unmittelbarkeit jener im
Rausch erfahrenen Uberflutung mit auBeren und inneren Eindriicken und der
quantifizierenden Fragebogenpsychologie, welche das komple
Inentiert, liegt der Graben der Unaussprechlichkeit von Erfahrung.
In einem Gedankenexperiment hat der finnische Philosoph und Kognitionswis-
senschaftler Antti Revonsuo die aufgeworfen, ob eine immer komplexer
werdende Modellierung Daten nicht von einem
Punkt an aufhort, wie ein weiterer Datensatz auszusehen, und stattdessen
einer Wahrnehmungswelt zunehnlend ahnlicher wird. Am Ende stiinde eine
"Visualisierung" (oder sagar noch andere Sinnesmodalitaten mnfassende "Pha
nomenalisierung") der Messungen, welche es Hirnforschern
konnte, die Erfahrungen ihrer Probanden zu simulieren und in einer virtuellen
Sch1Zophr·enia. In: Neuropsy-
PSilocybin activates 5-HT2 receptors •
ORketamine bloCks NMDA receptors 0
Abb. 6: CSTC-Loop
sensory assoc. cortex
42 Nicolas Langlitz
Realitat nachzuerleben. 27 Dann gabe es keinen Unterschied mehr zwischen den
"Bildern des Gehirns" als Genitivus subiectivus und Genitivus obiectivus: Die
Bilder im Gehirn und die Bilder vom Gehirn fielen in eins.
Vielleicht ware eine solche Hegel'sche Aufhebung der zerebralen Ikonografie die
Konsequenz aus der heftig umstrittenen Gleichsetzung von Bewusst
sein und neuronaler Aktivitat. Doch eine solche asthetische Demonstration der
Ubersetzbarkeit von Neurophysiologie in phanomenales Erleben ist gegenwartig
pure Spekulation. So diirfte das Grenzgebiet zwischen Gehirn und Geist bis
auf Weiteres ein von naturalistischen Hoffnungen und humanistischen Angsten
beseelter Austragungsort weltanschaulicher Konflikte bleiben. 28
27 Aus Unzufriedenheit dariiber ist man in Vollenweiders Labor zwecks Erforschung schneller
Verarbeitungsmechanismen unter anderem zum EEG zuruckgekehrt, das mit Hilfe cler Com
putersoftware LORETA inzwischen sehr vieI raschere, dreidimensionale Visualisierung
elektrophysiologischer Prozesse erlaubt. Was das raumliche Auf16sungsvermogen betrifft, lassen
diese elektroenzephalografischen Trickfilrne jedoch zu wunschen ubrig.
28 Antti Revonsuo: Inner Presence. Consciousness as a Biological Phenomenon, Cambridge, MA
2005, S. 339-361.
Sonderdruck
Bildwelten des WissensKunsthistorisches Jahrbuch fur Bildkritik. Band 6,1
Ikonografie des Gehirns
ISSN 1611-251 2ISBN 978-3-05-004463-7