8
Neuroimaging und Visionen 31 Nicolas Langlitz Neuroimaging und Visionen. Zur Erforschung des Halluzinogenrauschs seit der "Dekade des Gehirns ll Die Wiederkehr der Halluzinogenforschung Das Gehirn gilt als "art der Bilder".l Es empHingt visuelle Eindrucke von auBen und macht sich daraus ein Bild der umgebenden Welt. In der der Fantasie, dem Traum, der Vision es aber auch Bilder aus Antrieb, die dann vor einem "inneren Auge" erscheinen oder, etwa in der Hal- luzination, in die Welt hinaus projiziert werden. Die durch die halluzinogene Meskalin in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts von dem amerikanischen Psychologen Heinrich Kluver erforscht, der eine Reihe immer wieder gesehener, geometrischer Muster, Formkonstanten, identjfizierte. Obwohl er von deren Gleichformigkeit auf ein neuronales Substrat schloss, es ihm in erster Linie urn eine phanomenolo- gische Darstellung der allgemeinen Struktur von Halluzinationen (Abb. 1). 2 Heute wird die funktionale Architektur des Gehirns, das im Halluzinogen- rausch innere Bilder produziert, durch Neuroimaging-Technologien selbst ins Bild gesetzt. Diese Forschungspraxis wurde vom Verfasser im Rahmen einer ethnografischen Studie zur Renaissance der Halluzinogenforschung seit der .. L..""'-l:',U\JL"'- des Gehirns" untersucht. 3 Dass psychedelische Orogen wie Meskalin, LSD und das aus den "Zauberpilzen" isolierte Psilocybin nach den Exzessen der Jahre wissenschaftlich wieder hoffahig nicht zuletzt daran, dass eine neue For- schergeneration es verstanden hat, ihr Interesse an diesen bewusstseinsveran- dernden Substanzen an den Aufschwung der kognitiven Neurowissenschaften in den Jahren zu kniipfen. Die groBe offentliche AufmerksalTI- keit, die die in den letzten Jahren auf sich gezogen hat, Hisst sich maBgeblich auf Entwicklungen im Bereich der funktionellen Bildgebung zuruckfuhren. Zwar erlaubte bereits die Einfuhrung des Elektro- Hans Belting: Bild-Anthropologie. Entwiirfe fi.ir eine Bildwissenschaft, Munchen 2001. Heinrich Kluver: Mescal and Mechanisms Hallucination, Chicago 1966. VgL auch Michael Becourt: ATaxonomy of Abstract Form Using Studies of Synesthesia and Hallucination. In: Leo- nardo 40, Nr. 1, 2007. In jiingster Zeit v,curden diese Forschungen wieder aufgenommen von Paul Bressloff, Jack Cowan, Martin Golubitsky, PeterThomas und MatthewWiener: Geometric visual hallucinations, Euclidean symmetry and the functional architecture of the striate cortex. In: Philosophical Transactions of the Royal Society 356, Nr. 1407,2001, S. 299- 339. Nicolas Langlitz: Neuropsychedelia. The Revival of Hallucinogen Research since the Decade of the Brain (Dissertation, University of California, Berkeley), Berkeley, CA 2007. Der Ausdruck "Dekade des Gehirns" .vurde gepragt von US-Prasident George H. W Bush: Presidential Procla- mation 6158 (1990), http://\vwwJoc.gov/loc/brain/prodaim.html (Stand 0712008). enzephalogramnls 1929, den "Geist bei der Arbeit" zu wahrend seit den sechziger Jahren die Computertomografie (CT) hochaufge- loste anatomische Darstellungen des Gehirns zu Hefern venTIochte. 4 Doch erst die Positronen-Emissi- ons-Tomografie (PET) ermoglichte es in den Jahren des vergangenen Jahrhunderts, physiologische Prozesse (etwa regionaler Blutfluss oder Glukosever- stoffwechslung) anatomisch zu lokalisieren und ihre Topografie mit mentalen Vorgangen in Beziehung zu setzen. Anders als die abstrakten Kurven des EEG und die statischen Schwarz-WeiB-Bilder des CT eigneten sich die dabei entstehenden bunten, scheinbar intuitiv zuganglichen Hirnbilder ganz besonders fur popular- wissenschaftliche Darstellungen, nalistische Berichte und Diesem Trend folgte auch der Schweizer Psychiater Abb. 1. KlOver'sche Formkonstanten: von LSD hervorgerufene, trichter- und spiral- Franz Vollenweider, als er sich in den fruhen neunzi- f6rmige Halluzinationen (nach Oster 1970). ger Jahren mit einer PET- Untersuchung der Effekte von Psilocybin und Ketamin auf die Gehirne gesunder Probanden einen Namen machte. Die Bildgebung dass beide Halluzinogene - trotz ihrer ganz verschiedenen pharmakologischen eine Zunahme der Stoffwechselaktivitat im Stirnhirn bewirkten, die mit dem Grad der im Dro- genrausch erlebten Ich-Auflosung korrelierte (Abb. 5 Ein ahnliches metabo- lisches Muster war zuvor bereits auf PET-Bildern akut schizophrener Patienten beobachtet worden. So trug Vollenweiders Studie dazu bei, den Gebrauch von 4 Cornelius Borck: Hirnstromc. Eine Kulturgeschichte del' Elektroenzephalographie, Gottlngen 2005; Michael Hagner: Del' Geist bei del' Arbeit. Prasentation braler Prozesse. In Cornelius Borck (Hg.): Anatomien mcdizinischcn Wissens. Medizin. Macht. Molekiile, Frankfurt a. M. 1996, S. 259-286. Franz Vollenweider, K. Leenders, Christian Scharfetter,A. Antonini, P. Maguire, J. Missimer und Jules Angst: Metabolic hyperfrontality and psychopathology in the ketamine model of psychosis using positron emission tomography (PET) and [18F]f1uorodeoxyglucose (FOG). In: European Neuropsychopharmacology 7, NT. 1, 1997, S. Franz Vollenweider, K. Leenders, Christi- an Scharfetter, P. Maguire, O. Stadelmann und Jules Angst: Positron emission tomography and fluorodeoxyglucose studies of metabolic hyperfrontality and psychopathology in the psilocybin model of psychosis. In: Neuropsychopharmacology 16, Nr. 5, 1997, 357-372.

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Neuroimaging und Visionen 31

Nicolas Langlitz

Neuroimaging und Visionen. Zur Erforschung desHalluzinogenrauschs seit der"Dekade des Gehirnsll

Die Wiederkehr der Halluzinogenforschung

Das Gehirn gilt als "art der Bilder".l Es empHingt visuelle Eindrucke von auBen

und macht sich daraus ein Bild der umgebenden Welt. In der der

Fantasie, dem Traum, der Vision es aber auch Bilder aus

Antrieb, die dann vor einem "inneren Auge" erscheinen oder, etwa in der Hal­

luzination, in die Welt hinaus projiziert werden. Die durch die halluzinogene

Meskalin in den zwanziger Jahren des letzten

Jahrhunderts von dem amerikanischen Psychologen Heinrich Kluver erforscht,

der eine Reihe immer wieder gesehener, geometrischer Muster,

Formkonstanten, identjfizierte. Obwohl er von deren Gleichformigkeit auf ein

neuronales Substrat schloss, es ihm in erster Linie urn eine phanomenolo-

gische Darstellung der allgemeinen Struktur von Halluzinationen (Abb. 1).2

Heute wird die funktionale Architektur des Gehirns, das im Halluzinogen­

rausch innere Bilder produziert, durch Neuroimaging-Technologien selbst ins

Bild gesetzt. Diese Forschungspraxis wurde vom Verfasser im Rahmen einer

ethnografischen Studie zur Renaissance der Halluzinogenforschung seit der

.. L..""'-l:',U\JL"'- des Gehirns" untersucht. 3

Dass psychedelische Orogen wie Meskalin, LSD und das aus den "Zauberpilzen"

isolierte Psilocybin nach den Exzessen der Jahre wissenschaftlich

wieder hoffahig nicht zuletzt daran, dass eine neue For­

schergeneration es verstanden hat, ihr Interesse an diesen bewusstseinsveran­

dernden Substanzen an den Aufschwung der kognitiven Neurowissenschaften

in den Jahren zu kniipfen. Die groBe offentliche AufmerksalTI-

keit, die die in den letzten Jahren auf sich gezogen

hat, Hisst sich maBgeblich auf Entwicklungen im Bereich der funktionellen

Bildgebung zuruckfuhren. Zwar erlaubte bereits die Einfuhrung des Elektro-

Hans Belting: Bild-Anthropologie. Entwiirfe fi.ir eine Bildwissenschaft, Munchen 2001.

Heinrich Kluver: Mescal and Mechanisms Hallucination, Chicago 1966. VgL auch Michael

Becourt: ATaxonomy ofAbstract Form Using Studies of Synesthesia and Hallucination. In: Leo­

nardo 40, Nr. 1, 2007. In jiingster Zeit v,curden diese Forschungen wieder aufgenommen von

Paul Bressloff, Jack Cowan, Martin Golubitsky, PeterThomas und Matthew Wiener: Geometric

visual hallucinations, Euclidean symmetry and the functional architecture of the striate cortex.

In: Philosophical Transactions of the Royal Society 356, Nr. 1407,2001, S. 299- 339.

Nicolas Langlitz: Neuropsychedelia. The Revival of Hallucinogen Research since the Decade of

the Brain (Dissertation, University of California, Berkeley), Berkeley, CA 2007. Der Ausdruck

"Dekade des Gehirns" .vurde gepragt von US-Prasident George H. W Bush: Presidential Procla-

mation 6158 (1990), http://\vwwJoc.gov/loc/brain/prodaim.html (Stand 0712008).

enzephalogramnls 1929, den "Geist bei der

Arbeit" zu wahrend seit den sechziger

Jahren die Computertomografie (CT) hochaufge­

loste anatomische Darstellungen des Gehirns zu

Hefern venTIochte.4 Doch erst die Positronen-Emissi­

ons-Tomografie (PET) ermoglichte es in den acl1tzi~e~r

Jahren des vergangenen Jahrhunderts, physiologische

Prozesse (etwa regionaler Blutfluss oder Glukosever­

stoffwechslung) anatomisch zu lokalisieren und ihre

Topografie mit mentalen Vorgangen in Beziehung zu

setzen. Anders als die abstrakten Kurven des EEG und

die statischen Schwarz-WeiB-Bilder des CT eigneten

sich die dabei entstehenden bunten, scheinbar intuitiv

zuganglichen Hirnbilder ganz besonders fur popular­

wissenschaftliche Darstellungen,

nalistische Berichte und J:-'o]rsc~hUnE:stclrder(lntTaj2:e

Diesem Trend folgte auch der Schweizer Psychiater Abb. 1. KlOver'sche Formkonstanten: vonLSD hervorgerufene, trichter- und spiral­

Franz Vollenweider, als er sich in den fruhen neunzi- f6rmige Halluzinationen (nach Oster 1970).

ger Jahren mit einer PET-Untersuchung der Effekte

von Psilocybin und Ketamin auf die Gehirne gesunder Probanden einen Namen

machte. Die Bildgebung dass beide Halluzinogene - trotz ihrer ganz

verschiedenen pharmakologischen eine Zunahme der

Stoffwechselaktivitat im Stirnhirn bewirkten, die mit dem Grad der im Dro­

genrausch erlebten Ich-Auflosung korrelierte (Abb. 5 Ein ahnliches metabo­

lisches Muster war zuvor bereits auf PET-Bildern akut schizophrener Patienten

beobachtet worden. So trug Vollenweiders Studie dazu bei, den Gebrauch von

4 Cornelius Borck: Hirnstromc. Eine Kulturgeschichte del' Elektroenzephalographie, Gottlngen

2005; Michael Hagner: Del' Geist bei del' Arbeit. Prasentation

braler Prozesse. In Cornelius Borck (Hg.): Anatomien mcdizinischcn Wissens. Medizin. Macht.Molekiile, Frankfurt a. M. 1996, S. 259-286.

FranzVollenweider, K. Leenders, Christian Scharfetter,A. Antonini, P. Maguire, J. Missimer und

Jules Angst: Metabolic hyperfrontality and psychopathology in the ketamine model of psychosis

using positron emission tomography (PET) and [18F]f1uorodeoxyglucose (FOG). In: European

Neuropsychopharmacology 7, NT. 1, 1997, S. Franz Vollenweider, K. Leenders, Christi­

an Scharfetter, P. Maguire, O. Stadelmann und Jules Angst: Positron emission tomography and

fluorodeoxyglucose studies of metabolic hyperfrontality and psychopathology in the psilocybin

model of psychosis. In: Neuropsychopharmacology 16, Nr. 5, 1997, 357-372.

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32 Nicolas Langlitz Neuroimaging und Visionen 33

Abb. 2: Zwei [18FJ-FDG-PET-Darstellungen zur Wirkung des HalluzinogensPsilocybin, links zu Beginn der Untersuchung, rechts nach Zunahme derStoffwechselaktivitat im Stirnhirn.

Halluzinogenen zur Model­

Herung von Psychosen in

del' psychiatrischen For­

schung wiederzubeleben

und zugleich entsprechen­

de Bilder in Umlauf zu

bringen. 6

1m einer diesem

Aufsatz zugrunde liegen­

den wissenschaftsanthro-

pologischen Studie iiber

Vollenweiders Ziircher Labor Neuropsychopharmacology and Brain Imaging in den

lahren 2005 und 2006 fallen mehrere Punkte auf, in denen del' dort prakti­

zierte Ansatz von in der Wissenschaftsforschung maBgeblichen Darstellungen

der funktionellen Bildgebung abweicht. Dabei erhellt dieser besondere Fall del'

Suche nach den neuronalen Korrelaten des im Drogenrausch erlebten kaleido­

skopischen Stroms von Affekten, Gedanken und inneren Bildern die regionale

Epistemologie der neurowissenschaftlichen Bewusstseinsforschung.

Neuroimaging und Introspektion

1m freien Protokoll beschrieb ein Proband des Vollenweider-Labors nach Ver­

SU(~hSellide. wie er eine Messung im PET-Scanner unter Einfluss des Halluzino­

gens PSilocybin erlebt hatte :

"Am Anfang des Trips hatte ich auf einn1al das Bediirfnis, mich im Labor hin­

zulegen. Da begann die optische . Ieh sah zuerst, dass manche

Strukturen sich bewegten und andere Farben und Formen annahmen. Von

del' aus schaute ich auf das Waschbecken und die Seifenpackung an der

Wand. Plotzlich sahen sie aus wie gemalt - wie wenn man iiber ein Bild einen

Filter der es wie ein Olgemalde erscheinen Hisst. VOl' dem Scan ging ich

noch einmal auf die Toilette, wo ich mich jedoch nicht mehr zurecht fand. AIle

Proportionen waren falsch; das we schien meine Hande zu graB, die

Arme zu lang. Auch die ersten Minuten des Scans waren komisch. Als ich den

Versuchsleiter aus dem Augenwinkel bemerkte, sah er aus wie eine Ratte, die

Nicolas Langlitz: Ccd n'est pas une psychose. Toward a Historical Epistemology of Model Psy­chosis. In: BioSocieties 1,2006, S. 158-]80.

Assistentin hatte eine zombiehafte Fratze. Sobald ich die Augen schloss, veran­

derte sich meine Wahrnehmung abrupt und total. Dann glitt ich durch skurrile

geometrische Raumen, zumeist kubisch und intensiv rot gefarbt. Dabei hatte

ich ein enorm weites Blickfeld von bis zu 270°, an dessen Randern ich fliistern­

de menschliche Gestalten wahrnahm. Die konnte ich spateI' nul'

mit knapper Not ausfiillen. Die Antworten schienen luir nicht passend odeI' zu

wenig differenziert. Zum Teil verstand ich die Fragen auch nicht. Faszinierend

dabei war jedoch, dass ich mindestens die Halfte aIler Fragen auf einer Seite

gleichzeitiglesen konnte."7

Die Beschreibung vermittelt ein plastisches Bild von dem mitunter gro-

tesken asthetischen Erleben im HalIuzinogenrausch. Wahrend dessen neuronale

Korrelate durch PET aufgezeichnet werden, soIl die Testperson ihre inneren

Erfahrungen durch das Ausfiillen einer Vielzahl von zu Protokoll

geben. Eines del' wichtigsten Instrumente ist dabei del' von dem deutschen Psy­

chologen Adolf Dittrich in del' Schweiz entwickelte SD-ABZ-Fragebogen, del'

drei Dimensionen veranderter Wachbewusstseinszustande konstruiert: die in

Anlehnung an Freud als Selbstentgrenzung" (OSE) bezeichnete Eks­

tase, deren von bad trips bekannte Kehrseite, die "angstvolle Ichauflosung" (AlA)

sowie die "visionare Umstrukturierung" (VUS), die optisch-haIluzinatorische

Phanomene erfasst. 8 OdeI' frei nach Aldous Huxley: Himmel, Holle und Visionen

als Achsen del' psychedelischen Erfahrung. 9 Die Funktionsweise des 5D-ABZ soIl

anhand del' dritten Dimension, del' VUS, illustriert werden. Sie umfasst AuBe­

rungen wie: "Ich konnte Bilder aus del' Erinnerung odeI' aus del' Phantasie iiberaus

deutlich sehen." / "Ich sah in volliger Dunkelheit odeI' mit geschlossenen Augen

re~~ei]mam~~e Muster." / "Formen schienen sich durch Tone odeI' Gerausche zu

verandern." / "Ich erlebte alles verzerrt." SoIche soIl del'

Proband durch einen Strich auf einer Skala von 1 ("Nein, nicht mehr als gewohn­

lich") bis 10 ("la, sehr viel mehr als gewohnlich") bewerten. Dadurch wird die

unter Drogen massiv veranderte Qualitat des Erlebens in Zahlen iibersetzt.

7 Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Studienleiter Boris Quednow und Felix Hasler.

8 Adolf Dittrich: Strukturen veranderter WachbewuBtseinszustande.

Ergebnisse empirischer Untersuchungen libel' Halluzinogene 1. und II. Ordnung, sensorische

Deprivation, hypnagoge Zustande, hypnotische Verfahren ReizliberHutung, Stuttgart

1985.

Aldous Huxley: Die Pforten der Wahrnchmung. Himmel und Holle. Erfahrungen mit Orogen,

Miinchen 1981.

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34 Nicolas Langlitz Neuroimaging und Visionen 35

Ich erleble alles linklar. \Vie in einer Art Nebel

Eine Stimme kommentierte alles. was ich dachte. obwohl niemand da war.

29. Ich filhlte mich dosig.

28. Manche Nebensachlichkeilen hallen cine besondere Bedeutung

27. Ich war unf'dhig, auch nUl" die kleinste Entscheidung zu Ireffen.

26. Ich ftihlte mi"h kUrperlos.

Abb. 3: Auszug aus dem ,,Fragebogen zur Erfassung AussergewohnlicherBewusstseinszustande" (nach Dittrich, Lamparter und Maurer: 5D-ABZ. Fragebo­gen zur Erfassung Aussergewohnlicher Bewusstseinszustande, ZOrich 1999).

]4 Vollenweider: Positron emission tomography (s. Anm.5), S. 365 NL).15 Damit soIl nicht gcsagt sein, dass sich bei den PET-Bildern um reine Illustrationen handelt.

Sic generieren ihre eigenen Bedeutungen, insbesondere in derRezcption. So niihren sie hiiufig die Vorstellung, 1m Gehirn gabe es aJleriei Zentrcn fUr bestimm~

te mentale Funktionen oder Charaktereigenschaften. In der vvissenschaftlichen Arbeit der

Vollenwcider~Gruppespielte dieses efiiP'e '/cn,tarldnis

Rolle.16 Vgl. Hagner: Dcr Geist (s. Anm. 4), S. 193.

schen

zu erforschen, wurden

die der[Fragebogen] ABZ, AMDP und EPI fiir halluzinatorische Storungen, Ich- und

Denkstorungen mit Veranderungen absoluter Glukosemetabolismusraten und

metabolischer Verhaltnisse verschiedenen Hirnregionen] korre-

liert."141m Forschungsprozess helfen die Bilder, aus der uniiberschaubaren

Menge von Messwerten jene die sieh auf anatomisch signifi-

kante Stellen um diese Werte dann zu psychometrischen Befunden in

l::Sezle'hung setzen zu konnen doch dies geschieht in Tabellen, nieht in Bildern

(Abb.4).Vollenweiders Korrelation zwischen PET-Messungen und Fragebogenpsycholo-

gie dariiber hinaus, dass subjektive Bedeutung und Introspektion nieht in

jedem Fall durch Neuroimaging marginalisiert werden. 16 Uberhaupt ist das in

Hirnforschung und Psychologie lange Zeit verbreitete Misstrauen gegeniiber dem

Blick nach innen als wissenschaftlicher Methode keine Folge der groBen Popula­

ritat, welche die funktionelle Bildgebung seit den neunziger Jahren erlangt hat.

Nachdem die Selbstbeobachtung Ende des neunzehnten Jahrhunderts zu einem

zentralen Bestandteil der damals inl Entstehen begriffenen eXDe:rmnelltellen

Psychologie avanciert war, ist es der Siegeszug des Behaviorismus gewesen,

Psilocybin und Ketamin

sieh, dass es darin

in erster Linie um

eine Korrelation von

Zahlen geht: "Um die

Beziehung zwischen

Psilocybin-induzierten

psychologischen Reak­

tionen und metaboli-

101m Rahmen der phanomenologischen Psychiatrie der zwanziger Jahre hatte beispie!sweise

Kurt Beringer soIche Erfahrungsberichte zur Grundlage seiner Studie libel' den Meskalinrausch

gemacht. Kurt Beringer: Der Meskalinrausch. Seine Geschichte und Erscheinungsweise, Ber­

lin 1927.

11 Einc umfassende kritische Auseinandersetzung mit psychologischen Fragebogen im Allgemei­

nen findet sich bei Fritz Strack und Norbert Schwarz: Asking Questions: Measurement in the

Social Sciences. In: Mitchell Ash, Thomas Sturm (Hg.): Psychology's Territories. Historical and

Contemporary Perspectives from Different Disciplines, Mahwah NJ 2007, S. 225 - 250.

]2 Michael (s.Anm. 4), S. 219.

13 Anne Images Arc Not the (Only) Truth: Brain Mapping, Visual and Icono-

clasm. In: Sdencc,Technology, & Human Values 27, Nr. 1,2002, S. 53-86, S.

NL). Vgl. auch Kelly Joyce: Appealing Images. Magnetic Resonance Imaging and the Production

ofAuthoritative Knowledge. In: Social Studies of Science Nr. 3, 2005, S. 437 -462.

Das Ausfiillen derartiger Fragebogen ist nieht dem Schreiben ausfiihrlicher

Erfahrungsberiehte gleiehzusetzen. lO Dem zitierten Probanden scheinen die

vOJre-ee-eIJenlen Antworten die eigene Erfahrung nieht adaquat zu rei>ra:senltie

ren, und es bleibt unklar, vor welchem Erfahrungshintergrund die einzelne

Versuchsperson die Ungewohnlichkeit ihres Drogenerlebnisses bewertet. 11

Doch im Gegensatz zu dem zitierten freien Bericht, der in der systematischen

Auswertung der Studie keine Rolle spielt, ist diese standardisierte und quantifi­

zierte Form von Introspektion mit den numerischen Daten des PET kompatibel

den Auszug in Abbildung

An dieser Stelle ist ein weit verbreitetes Missverstandnis beziiglich der sogenann­

ten funktionalen Bildgebung auszuraumen: Es geht trotz der Bezeiehnung als

"Bildgebung" oder "Imaging" - in dieser wissenschaftlichen Praxis nieht in erster

Linie urn die dabei entstehenden Bilder als solche. Die vermeintliehe "Ikono­

philie" der kognitiven Neurowissenschaften12 ist vielmehr eine Ikonophilie

des Wissenschaftsjournalismus und popularwissenschaftlicher Darstellungen,

welche die Neuroimaging-Bilder aufgreifen, deren Konstruktion und wissen­

schaftliche Verwendung sie jedoch unhinterfragt lassen.

In ihrem Artikellmages Are Not the Truth hat die kanadische Wissenschafts-

forscherin Anne Beaulieu festgestellt, "dass fiir die Forscher diese Bilder, so sie

Bilder von irgend etwas Bilder von Zahlen sind". Von Bildern wird also

nur in einem Sinne gesprochen. "Die Fiille von Reprasentationen

in neurowissenschaftlichen Kontexten, die den Neuling iiberwaltigen, steht

im Widerspruch zur Auffassung der Forscher, dass ihre Arbeit darin besteht,

Messungen am Hirn vorzunehmen, nicht Bilder davon zu machen."13 Auch in

Vollenweiders zitierter PET-Studie zu bewusstseinsverandernden Effekten von

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36 Nicolas Langlitz

,Neuroimaging und Visionen

37

Table 3.Gradients under Psilocybin (n

Left Hemisphere Right Hemisphere

17 Bernard Baars: The Double Life of B.F. Skinner. Inner Conflict, Dissociation and the Scientific

Taboo against Consciousness. In: journal of Consciousness Studies 10, Nr. 1,2003, S. 5-25;

Paul Ziche: Das Selbstbild des Denkens. Introspektion als psychologische Methode. In: Olaf

Breidbach, Karl Clausberg (Hg.): Video Ergo Sum. Reprasentation nach innen und au13en zwi­

schen Kunst und Neurowissenschaft, Hamburg 1999, 82-98.

18 Bernard Baars: HO\'\T Brain Reveals Mind. Neural Studies Support the Fundamental Role of

Conscious Experience. In: Journal of Consciousness Studies 10, Nr. 9-10, 2003, S. 100-114;

Anthony Jack, Andreas RoepstorfT: WhyTrust the Subject? In: Journal of Consciousness Studies

10, Nr. 9-10,2003, S. V-XX; Andreas Roepstorff:A Double Dissociation in Tvvcntieth CenturY

Psychology? A commentary on Bernard Baars: The Double Life of B.F. Skinner. In: Journal ;rConsciousness Studies 10, Nr. 1,2003, S. 62-67.

19 Michael Hagner: Homo cercbralis. OcrWandel vom Seelenorgan zwn Gehirn, Frankfurt a. M. 2000.

20 Hagnel': Ocr Geist (s. Anm. 4), S. 170-179.21 Jos~ph Dumit: Brain Scans and Biomedical Identity, Princeton, NJ 2004,

S. 23; Hagner: Der Geist (s. Anm. 4), S. 219-222; William Uttal: The Ne\v Phrenology. The

Limits of Localizing Cognitive Processes in the Brain, Cambridge, MA 2001.n Simon Cohn: Increasing resolution, intensifying ambigUity: account of seeing

life in brain scans. In: Economy and 33,1,2004, S. 52-76, 68.

PET jenseits der CyberphrenologieDass (wenn davon unter den Umstanden iiberhaupt

noch gesprochen werden kann) ein Sitz im Gehirn wird, ist nicht

neu. In seinem Buch Homo cerebralis beschreibt Michael den urn 1800erfolgten Wandel der Vorstellung vom Gehirn: War es bis dahin das Organ

einer unteilbaren Seele gewesen, so erscheint es in seiner modernen Gestalt als

dezentral Komplex raumlich voneinander lokalisierter,

aber miteinander in Wechselwirkung stehender geistiger Eigenschaften und

Funktionen. 19 zufolge beginnt die Geschichte funktioneller Hirnbilder

mit Franz-Joseph Galls Phrenologie, die Charakterzuge wie Gewissen­

hai:ti2~kelt oder Frommigkeit auf bestimmte Regionen des Schadels oder des

darunter liegenden Hirns abbildete (Abb. 20 Wie der William

Uttal und der Kulturanthropologe Joseph Dumit hat daraus den Schluss

gezogen, es handle sich bei der Lokalisierung mentaler Funktionen iIn Gehirn

mit Hilfe von Neuroimaging-Technologien urn eine "neue Phrenologie" oder

"Cyberphrenologie".21 Durch die Hintertur der zeitgenossischen Neurowissen­

schaften soll hier die typologische Klassifikation von Individuen, die das

zistische Denken des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts hatte,

wieden~in~etlljhrtworden sein.Ein Blick auf Vollenweiders Erforschung drogeninduzierter Bewusstseinsver-

anderungen eroffnet jedoch eine andere \Vas hier mit PET-Scan-

ner und psychologischen untersucht wird, sind fluchtige geistige

Zustande und keine Charaktereigenschaften. Anstatt aufgrund

bestimmter neuronaler Eigentumlichkeiten in eine Schublade gesteckt zu wer­

den, zerHillt das zerebrale Subjekt in eine Abfolge ephemerer mentaler Phano­

mene. Diese sich nicht im inter- sondern im intraindividuellen Vergleich.

Das Leben des Gehirns manifestiert sich in cler Subtraktion einer

von der anderen, wahrend das Leben als quantitative Differenz zwi­

schen zwei Fragebogen-Skalen erscheint. 22 Die tatsachlich statthabenden biolo-

+0.01

Correlation(Spearman),

pLevel

<.05 Hall. (AMDP) Inverse-UNSNS Identity (EPI) +0.002NS Demarc. (EPI) +0.03

<.05

Inverse-U+0.003+0.05-0.008-0.04-0.003-0.05-0.01+0.0002

Correlation Change of(Spearman), Gradients

p Level p Level Syndrome

Change ofGradients

plevel

FL-TL <.05

PM-OM <.05FM-GA NSFM-TM NSFM-TL NS

FL-PU

der sie bald darauf

ins Abseits geddingt

hatte. 17

Die black box menta­

ler Prozesse wurde

erst in der zweiten

Halfte des

ten Jahrhunderts

wieder als

Abb. 4: Tabelle aus der Stud ie Vollenweiders et al. 1997. die Kybernetik in die

Hirnforschung Ein­

zug hielt. Seit die daraus hervorgegangenen kognitiven Neurowissenschaften

sich verstarkt der funktionellen Bildgebung bedienen, ist es zu einer

Renaissance der Introspektion gekommen. Die Erforschung der neuronalen

Korrelate von Bewusstsein und anderer subjektiv erfahrener, Ereignis­

se und Vorgange (etwa mystische Erfahrungen, Liebe, Angst oder Aggression)

setzt voraus, dass die mit den Instrumenten der Neurowissenschaften unter­

suchten Testpersonen iiber ihr Erleben Auskunft Anders lieBe sich gar

nicht sagen, wovon die auf den Hirnbildern dargestellten neuronalen Korrelate

denn iiberhaupt Korrelate sein sollen. Nach funf Jahrzehnten behavioristischer

Ht':Q"em()me und der damit einhergehenden Tabuisierung von Bewusstsein hat

das Neuroinlaging zu einer Rehabilitation der Introspektion als zur

bewussten Erfahrung gefuhrt. 18 Der aktuelle, von Neuroimaging-Technologien

maBgeblich Wandel des Verstandnisses von Gehirn und Geist lauft

nicht einfach auf eine Zerebralisierung des Subjekts hinaus, sondern impliziert

auch eine Subjektivierung des Gehirns.

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38 Nicolas Langlitz Neuroimaging und Visionen 39

Abb. 2: Einteilung des Schadels nach Gall (Sammlungen der Medizinischen Universitat Wien, Sign.274 a).

gischen und mentalen Prozesse zwischen diesen Momentaufnahmen bleiben im

Verborgenen. Mag dieser Blick auf den Menschen auch noch so reduktionistisch

und unbefriedigend sein, so begreift er ihn doch als das heiBt in

standigem Wandel Organismus. Dabei ist Vollenweiders Ansatz

auch wenn er aus einem etwas exotischen Bereich cler Psychopharmakologie

stammt - in eine breitere Verschiebung der Aufmerksamkeit von traits zu states

einzuordnen. 1m Zeitalter der kognitiven Neurowissenschaften werden eher

moralische Entscheidungsprozesse als Gewissenhaftigkeit erforscht und an die

Stelle von Galls Suche nach dem zerebralen Sitz der Frommigkeit ist die neuro­

theologische Erforschung mystischer Erfahrungen getreten.

Die Entwicklung wurcle clurch Technologien wie PET begiinstigt, erlaubten

diese es doch Hirnaktivitat in vivo zu l1lessen statt wie in der Bliitezeit der Phre­

nologie Schadelknochen zu untersuchen und tote Gehirne zu sezieren. Eine

cler zeitlichen Auflosung in der funktionellen Bildgebung hat es

Neurowissenschaftlern erlaubt, von einer statischen auf das Gehirn

und entsprechenden unveranderlichen Personlichkeitsmerkmalen zu einer

clynamischen physiologischen Prozesse iiberzugehen, die dem

Strom des Bewusstseins zugrunde liegen sollen. Die Zeitlichkeit der Positronen­

Emissions-Tomografie ist mit clem Ausfiillen des 5D-ABZ-Fragebogens vor und

nach einer Messung gut vereinbar. Beide Techniken sind auf die Kurzlebigkeit

von Vollenweiders Forschungsgegenstand zugeschnitten. Sie dienen der Erfas­

sung veranderter Bewusstseinszustande, die sich mit cler Verstoffwechselung

der verabreichten Psychopharmaka wieder auflosen. Urn eine neue Phrenologie

handelt es sich bei dieser Form des Neuroimaging nicht.

Dadurch kommt es noch zu einer weiteren von hochst

Zumindest Vollenweiders Ansatz zufolge trifft es nicht

zu, dass die funktionelle Bildgebung mit einem Riickfall in das prakyberneti­

sche Menschenbild des Organizismus einhergeht. 23 Es geht nicht darum, die

von korperlichen Strukturen und individuellen Merkmalen abstrahierenden,

allgemeinen GesetzmaBigkeiten von Funktionen darstellenden kybernetischen

Schaltkreisen durch eine Klassifikation von Menschen anhand von typologi­

sierenden Hirnbildern zu ersetzen. Tatsachlich nutzt Vollenweider die in den

PET-Messungen generierten Daten, urn das neurokybernetische CSTC-Model1

empirisch zu unterfiittern.

Dieses Modell basiert auf der Annahme, dass innere und auBere Wahrneh­

mungsreize in eine cortico-striato-thalamo-corticale Riickkopplungsschleife

(CSTC) eingespeist werden und dass dieser neuronale Informationsverarbei­

tungsprozess in psychotischen beziehungsweise durch Halluzinogene kiinstlich

erzeugten Bewusstseinszustanden gestort wird. 24 Durch eine auf verschiede-

Damit solI nicht gesagt sein, dass sich nicht auch Beispiele finclen lieHen, die Hagners These von

del' tY1Pol,o£i:schen Klassifikation clurch Ncuroimaging untermauern wiirden, Dagegen soIl aber

heraUS!!Csltellt werden, den im neunzehnten Jahrhundert so nieht gegeben hat und

cler in der heutigen Situation durchaus nicht marginal zu sein scheint.

24 Vgl. Hagner: Oer Geist (s. Anm. 4), S. 221f.

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40Nicolas 41

Cortico-striato-thalamo_cortical feedback loops (CSTC)

nen pharmakologischen Wegen erreichbare Hemmung der Filterfunktion des

Thalamus kommt es demnach zu einer sensorischen Reiziiberflutung des Cor­

tex, die als angstvoll oder ekstatisch erlebte Auflosung der Ich-Demarkation

erfahren wird und Sinnestauschungen und Visionen zur Folge hat. 251m

satz zu der popularen Rezeption von PET-Bildern, die aktivierte Hirnareale als

Zentren fiir bestimmte mentale Funktionen vorstellt, dient dieser sYE;telml:sCJlle

Ansatz dazu, Modelle zu entwickeln, die das funktionelle Zusammenspiel ver­schiedener Teile des Gehirns zu erklaren vermogen (Abb. 6).

Doch a~ch wen.n Vollenweiders Methoden zur des HalIuzinogen­

rauschs 1m BereIch der neurowissenschaftlichen Bewusstseinsforschung verbrei­

tet und anerkannt sind, ist es nicht geboten, seinen Ansatz als reprasentativ fiir

den Gebrauch der funktionellen Bildgebung insgesamt darzustellen. So erfor­

dern die meisten PET-Studien mentaler Prozesse keine Introspektion, sondern

bedienen sich kognitiver Leistungstests, in denen beispielsweise die Aufmerk­

samkeit oder das Kurzzeitgedachtnis des Probanden gefordert werden. Die hier

25 Arvid Carlsson: The current status of the flOI''''n'llnf' In1no'tl1p,,,,,

Chopl1armclcolollV 3, Nr. 1, 1988, S. 179-186.

26 Franz Vollenweider: Perspektiven der BewuBtscinsforschung mit Halluzinogenen. In: .~oger

Liggenstorfer, Christian Ratsch (Hg.): Maria Sabina - Botin der heiligen Pilze. Vom tradltl~nel­

len Schamanentum zur weltweitcn Pilzkultur, Freiburg 1996, S. 203 - 210; Franz VollenweIder:

Recent Advances and Concepts in the Search for Biological Correlates of Hallucinogen-indu­

ced Altered States of Consciousness. In: The Heffter Review of Psychedelic Research 1. 1998,

S.21-32.

herausgestellten Aspekte von Vollenweiders mt~thodOlC)gu:;cn sehr vieI facetten­

reichereln Ansatz konnen jedoch als Bezugspunkt kiinftiger r-olrsc:hungsal'be:lte:n

dienen, die Feiner zwischen regionalen Epistemologien innerhalb der Praxis des

Neuroimaging unterscheiden.

1m Bereich der gilt jedenfalls, dass PET-Bilder nicht

nur der menschlichen Subjektivitat ihren objektivierenden Stempel aufdriicken,

sondern eben diese auch in die vermeintlich objektiven, neurowis­

senschaftlichen Darstellungen eingeschrieben wird. Doch die Flut von Gedan­

ken, Gefiihlen, Halluzinationen und inneren Bilder, die der Einzelne im Rausch

Hisst sich auch durch die hier beschriebene Kombination von Introspek­

tion mit kybernetischen Modellen und funktioneller Bildgebung nicht erfassen.

Dazu ist die zeitliche Auflosung von PET und Fragebogen zu Sie zeich­

nen nur Momente auf oder iiber Zeitraume gemittelte Zustande, nicht

aber die physiologischen Korrelate des Erlebnisstroms selbst. Auch entgeht die-

sen Messungen die Drogenerfahrung. Das subjektive Erleben

wird hier auf schematische und Zahlen reduziert. Nur als solches

lasst es sich mit den yom PET produzierten numerischen Daten korrelieren. In

der Halluzinogenforschung sticht diese phanomenologische Diirftigkeit beson­

ders ins Zwischen der mitunter erdriickenden Unmittelbarkeit jener im

Rausch erfahrenen Uberflutung mit auBeren und inneren Eindriicken und der

quantifizierenden Fragebogenpsychologie, welche das komple­

Inentiert, liegt der Graben der Unaussprechlichkeit von Erfahrung.

In einem Gedankenexperiment hat der finnische Philosoph und Kognitionswis-

senschaftler Antti Revonsuo die aufgeworfen, ob eine immer komplexer

werdende Modellierung Daten nicht von einem

Punkt an aufhort, wie ein weiterer Datensatz auszusehen, und stattdessen

einer Wahrnehmungswelt zunehnlend ahnlicher wird. Am Ende stiinde eine

"Visualisierung" (oder sagar noch andere Sinnesmodalitaten mnfassende "Pha­

nomenalisierung") der Messungen, welche es Hirnforschern

konnte, die Erfahrungen ihrer Probanden zu simulieren und in einer virtuellen

Sch1Zophr·enia. In: Neuropsy-

PSilocybin activates 5-HT2 receptors •

ORketamine bloCks NMDA receptors 0

Abb. 6: CSTC-Loop

sensory assoc. cortex

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42 Nicolas Langlitz

Realitat nachzuerleben. 27 Dann gabe es keinen Unterschied mehr zwischen den

"Bildern des Gehirns" als Genitivus subiectivus und Genitivus obiectivus: Die

Bilder im Gehirn und die Bilder vom Gehirn fielen in eins.

Vielleicht ware eine solche Hegel'sche Aufhebung der zerebralen Ikonografie die

Konsequenz aus der heftig umstrittenen Gleichsetzung von Bewusst­

sein und neuronaler Aktivitat. Doch eine solche asthetische Demonstration der

Ubersetzbarkeit von Neurophysiologie in phanomenales Erleben ist gegenwartig

pure Spekulation. So diirfte das Grenzgebiet zwischen Gehirn und Geist bis

auf Weiteres ein von naturalistischen Hoffnungen und humanistischen Angsten

beseelter Austragungsort weltanschaulicher Konflikte bleiben. 28

27 Aus Unzufriedenheit dariiber ist man in Vollenweiders Labor zwecks Erforschung schneller

Verarbeitungsmechanismen unter anderem zum EEG zuruckgekehrt, das mit Hilfe cler Com­

putersoftware LORETA inzwischen sehr vieI raschere, dreidimensionale Visualisierung

elektrophysiologischer Prozesse erlaubt. Was das raumliche Auf16sungsvermogen betrifft, lassen

diese elektroenzephalografischen Trickfilrne jedoch zu wunschen ubrig.

28 Antti Revonsuo: Inner Presence. Consciousness as a Biological Phenomenon, Cambridge, MA

2005, S. 339-361.

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Sonderdruck

Bildwelten des WissensKunsthistorisches Jahrbuch fur Bildkritik. Band 6,1

Ikonografie des Gehirns

ISSN 1611-251 2ISBN 978-3-05-004463-7

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2008
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Nicolas Langlitz, “Neuroimaging und Visionen. Zur Erforschung des Halluzinogenrauschs seit der ‘Dekade des Gehirns’.” In: Horst Bredekamp, Gabriele Werner, and Matthias Bruhn (eds.), “Ikonographie des Gehirns. Bildwelten des Wissens. Kunsthistorisches Jahrbuch für Bildkritik“ 6:1 (2008), Akademie Verlag: Berlin, 30-42.
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