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New III. Versammlungsrechtliche Eingriffsmaßnahmen · 2019. 2. 2. · nicht unter freiem Himmel“ 3. Versammlungsverbote oder Auflagen bei öffentlichen Versammlungen unter freiem

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  • III. Versammlungsrechtliche Eingriffsmaßnahmen

    Überblick

    1. Grundsätzliche Ausführungen2. Versammlungsverbote oder Auflagen bei „öffentlichen Versammlungen

    nicht unter freiem Himmel“3. Versammlungsverbote oder Auflagen bei öffentlichen Versammlungen

    unter freiem Himmel4. Versammlungsauflösungen5. Maßnahmen gegen einzelne Versammlungsteilnehmer6. Übersicht über die versammlungsrechtlichen Maßnahmen7. Maßnahmen gegen unfriedliche Gegendemonstranten (außerhalb des Ver-

    sammlungsrechts)

    1. Grundsätzliche Ausführungen

    a) Grundsätzlich unterscheiden die versammlungsrechtlichen Normen betr. Auf-lagen und Versammlungsverbote

    aa) einerseits zwischen präventiven Eingriffen der Versammlungsbehörde (vorVersammlungsbeginn):

    Erteilung von „Auflagen“ (Versammlungsbeschränkungen) und Verbot der Ver-sammlung,

    und

    bb) andererseits Eingriffen oder Maßnahmen, die während der Durchführungeiner Versammlung oder eines Aufzuges stattfinden:

    – sogenannte Minusmaßnahmen– Ausschluss einzelner oder mehrerer Teilnehmer, und– Auflösung der gesamten Versammlung

    b) Unter dem grundgesetzlich geprägten Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit,der insbes. bei Art. 8 GG und der möglichen Einschränkung der Versammlungs-freiheit durch behördliche Maßnahmen eine überragende Bedeutung hat, kom-men vorrangig Eingriffe „nur“ in Form der Auflösung der gesamten Versamm-lung oder des Ausschlusses einzelner oder mehrerer Teilnehmer (evtl. sogenannteMinus-Maßnahmen) in Betracht

    „Es ist nicht erkennbar, dass es ausgeschlossen ist, mögliche Straftaten durch Maß-nahmen gegen einzelne Versammlungsteilnehmer zu bekämpfen, so dass ein Ver-sammlungsverbot unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit ausscheidet“ 295)

    295 BVerfG, NJW 2003, 3689, 3690

    .

    TypoScript GmbH Di 23.11.2010 6:30:26 Z:/wk/buch/weber/weber S. 92

    C. Besondere versammlungsrechtliche Problembereiche

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  • D.h. im Zweifel findet die Versammlung also statt (kein präventives Verbot, evtl.Durchführung unter Auflagen ebenfalls als präventive Maßnahme) und nur beiVorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm kann eine Auflösungder gesamten Versammlung als Eingriffsmaßnahme stattfinden296)

    296 Hoffmann-Riem, NJW 2002, 257, 264; Höllein, NVwZ 1994, 635, 638

    .

    c) Dabei ist wiederum unter dem Gesichtspunkt der Bedeutung des Art. 8 GG zubeachten, dass vor einer Auflösung der Versammlung polizeiliche Maßnahmen(auf versammlungsrechtlicher Grundlage) gegen einzelne Teilnehmer in Betrachtzu ziehen sind, bevor die komplette Versammlung aufgelöst wird, Das bedeutetkonkret Vorrang der sogenannten Minusmaßnahme, dann Ausschluss einzelneroder mehrerer Teilnehmer.

    „Denn das Versammlungsrecht der friedlichen Demonstrationteilnehmer muss auchbei Ausschreitungen Einzelner gewahrt bleiben“297)

    297 Höllein, NVwZ 1994, 635, 639

    .

    Auch die sogenannten „Minus-Maßnahmen“ sind unter Beachtung des Verhält-nismäßigkeitsprinzips in Betracht zu ziehen, siehe später unter 5.

    d) Im präventiven Bereich298)

    298 BVerfG, NVwZ 2008, 671, 672: „Erlass vorbeugender Verfügungen der Behörde“; LT-Drucksache Sachsen 5/286, S. 10

    der Maßnahmen (Verbot bzw. Auflage) durch dieVersammlungsbehörde (d. h. vor Stattfinden der geplanten Versammlung) istwiederum vorrangig (vor dem Aussprechen eines Verbotes) an die Erteilung vonAuflagen zu denken i. S. von sogenannten „beschränkenden Verfügungen“299)

    299 Ständige Rechtsprechung des BVerfG: BVerfG NJW 2001, 2069, 2071; 2003, 3689,3690, und 2004, 2814, 2816; DVBl. 2000, 1121, 1122; 2004, 697; NVwZ 2008, 671,672; VGH Mannheim, NVwZ 1987, 237, 238; VG Freiburg, VBlBW 2002, 497; Druck-sache 5/286, S. 10.Zutreffenderweise spricht nunmehr das BayVersG in Art. 15 nicht mehr von „Auflagen“,sondern von „Beschränkungen“ einer Versammlung; ebenso § 13 VersammlGLSA

    .

    Dies ist die mildere Maßnahme unter Beachtung des grundgesetzlich gebotenenVerhältnismäßigkeitsprinzips gegenüber einem Versammlungsverbot300)

    300 BVerfG, NJW 2001, 2069, 2071; OVG Bautzen, NVwZ-RR 2002, 435; OVG Weimar,NVwZ-RR 2003, 207, 211; Pappermann, NJW 1971, 211; Drucksache 5/286, S. 10

    .

    Die Behörde untersagt also die Versammlung nicht komplett, sondern trifft dasVersammlungsrecht einschränkende Regelungen. Die Versammlung kann alsogrundsätzlich durchgeführt werden unter Beachtung der entspr. Beschränkungenin Form einer Auflage (die Behörde sagt ja, aber . . .).

    Oder es wird ein sogenannter „Aufzug“ untersagt und als Auflage lediglich einestationäre Versammlung ermöglicht301)

    301 BVerfG, NVwZ 2006, 1049, 1050

    .

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  • e) Letzte Möglichkeit im präventiven Bereich, also im Vorfeld einer Versamm-lung, ist das Verbot der Versammlung durch die Versammlungsbehörde als„ultima ratio“.302)

    302 VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 3. 9. 2010, 14 L 970/10

    Es wird deshalb in der Rechtsprechung auch als sogenanntes„Totalverbot“ bezeichnet303)

    303 BVerfG, NJW 2001, 2069, 2071; NVwZ 2007, 574, 575

    .

    f) Übersicht zur Rangfolge der Maßnahmen unter Beachtung von Art. 8 und desverfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips

    1. Sogenannte Minus-Maßnahme,d. h. der Versammlungsteilnehmer macht weiterhin von seinem VersammlungsrechtGebrauch, nur das bspw. mitgeführte Schild mit strafbaren Äußerungen wird ent-fernt

    2. Ausschluss eines oder mehrerer Teilnehmer von der Versammlung

    3. Auflösung der gesamten Versammlung

    Die Maßnahmen 1 – 3 werden getroffen, während die Versammlung durchgeführtwird (Vollzugspolizei)

    4. Erteilung einer Auflage (versammlungsbeschränkende Maßnahme)

    5. Ausspruch eines Versammlungsverbotes

    Die Maßnahmen 4 oder 5 werden vor dem Stattfinden der Versammlung getroffen,sogenannte präventive Maßnahmen (Versammlungsbehörde)

    Alle angesprochenen Maßnahmen sind unter Beachtung des Grundrechts aus Art. 8GG in Verbindung mit dem verfassungsrechtlich bedeutsamen Verhältnismäßigkeits-prinzip durchzuführen

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    C. Besondere versammlungsrechtliche Problembereiche

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  • 2. Versammlungsverbote oder Auflagen bei„öffentlichen Versammlungen nicht unter freiem Himmel“

    a) Übersicht über die Rechtsgrundlagen

    BundesVersG Bayern Sachsen Sachsen-Anhalt

    §5 Art.12 §5 §§ 4 und 5

    b) Die verfassungsrechtliche Problematik dieser Regelungen in den jeweiligenVersammlungsgesetzes ist bereits angesprochen worden, siehe oben unter C I imZusammenhang mit der Abgrenzung der verschiedenen Versammlungsarten.

    Denn Art. 8 Abs. 2 GG (nicht aber die Verfassung des Freistaates Bayern)beschränkt den Gesetzesvorbehalt und somit die Reichweite der Versammlungs-gesetze auf „öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel“304)

    304 VGH München, DÖV 2008, 1006, 1007

    .

    Demnach sind gegen diese Regelungen (§§ 5 ff. BVersG, für „öffentliche Ver-sammlungen in geschlossenen Räumen“) innerhalb der Versammlungsgesetzeverfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht worden.

    c) Bei einem Vergleich der Verbots- und der Auflösungsnormen bei den beidengenannten Arten von Versammlungen (als Grundrechtseingriffe) bei

    – öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel, §§ 14 ff. BVersG, und– öffentlichen Versammlungen in geschlossenen Räumen, §§ 5 ff. BVersG,

    ist festzustellen, dass §15 bei den „öffentlichen Versammlungen unter freiem Him-mel“ für Verbote und Auflösungen relativ weit gefasste generalklauselartige Rege-lungen enthält (z.B. ähnlich der sogenannten polizeirechtlichen Generalklausel).

    Dagegen sind in

    – § 5 BVersG (Verbot einer öffentlichen Versammlung in geschlossenen Räu-men), und in

    – § 13 BVersG (Auflösung einer öffentlichen Versammlung in geschlossenenRäumen)

    sehr eng begrenzte Tatbestände normiert, die nur bei Vorliegen dieser speziellen Tat-bestände entsprechende behördliche Maßnahmen ermöglichen (die Behörde bzw.Vollzugspolizei „kann“ dann, wenn der Tatbestand bejaht wird, tätig werden)305)

    305 OVG Weimar, DÖV 1998, 123, 124, zu §5 VersG; VGH Mannheim, NVwZ 1998, 761ff., zu§13 VersG; Deger, NVwZ 1999, 265, 266; jetzt auch Art.12 BayVersG in Bayern

    .

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    C. Besondere versammlungsrechtliche Problembereiche

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  • d) Es handelt sich bei den Festlegungen in den §§ 5 und 13 BVersG um abschlie-ßende Regelungen, die wegen der Bedeutung der Versammlungsfreiheit nichtausgeweitet werden dürfen. Es geht dabei um Konkretisierungen verfassungsim-manenter oder -unmittelbarer Schranken der Versammlungsfreiheit306)

    306 VGH Mannheim, NVwZ 1998, 761, 764; VGH München, DÖV 2008, 1006, 1007; Ket-teler, DÖV 1990, 954, 958; Höllein, NVwZ 1994, 635, 636

    .

    e) Auf die sogenannte „Polizeifestigkeit“ des Versammlungsgesetzes ist bereitshingewiesen worden, die sich hier auf „öffentliche Versammlungen in geschlosse-nen Räumen“ bezieht.

    Außerhalb der Versammlung besteht der besondere Schutz der Versammlungs-freiheit nicht mehr. Außerhalb des Versammlungsraumes können demnach Maß-nahmen aufgrund der Vorschriften des allgemeinen Polizeirechts, z. B. Personen-feststellungen oder Durchsuchungen von Personen oder Sachen durchgeführtwerden307)

    307 VGH Mannheim, NVwZ 1998, 761, 764

    .

    f) Die vorgenannten Ausführungen zu den „öffentlichen Versammlungen nichtunter freiem Himmel“ bezogen sich auf das BVersG und das SächsVersG.

    Aber auch die entsprechende Regelungen in Bayern und Sachsen-Anhalt sind ein-schränkend zu interpretieren.

    aa) So gibt es in Bayern für diese Versammlungen keine Anmeldepflicht (sieheArt. 10) und die Maßnahmen der Beschränkungen, Verbote oder Auflösungennach Art. 12 sind zurückhaltend anzuwenden.

    bb) Gleiches gilt für Sachsen-Anhalt, wie sich aus den §§ 4 (Verbot) und § 11(Auflösung) im Vergleich mit den Eingriffsmöglichkeiten nach § 13 bei eineröffentlichen Versammlung unter freiem Himmel ergibt.

    3. Versammlungsverbote oder Auflagen (bzw. Beschränkungen) bei„öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel“

    a) Übersicht über die Rechtsgrundlagen

    BundesVersG Bayern Sachsen Sachsen-Anhalt

    §15 Art.15 §15 §13

    b) Es handelt sich um die typischen präventiven Eingriffsmaßnahmen derVersammlungsbehörde bei den „öffentlichen Versammlungen unter freiemHimmel“. Sie sind gegen die gesamte Versammlung gerichtet, da ansonsten die

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    C. Besondere versammlungsrechtliche Problembereiche

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