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TLM Schriftenreihe Band 1
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erausgegeben von derThüringer Landesm
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Druck:
WB-D
ruck, Rieden
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/ Fax: 08
9.6
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19
12
E-mail: info@
kopaed.de / Internet: ww
w.kopaed.de
Vorw
ort
„Der Rundfunk ist D
auergast, und mit einem
solchen macht m
an bekanntlichkeine U
mstände. D
as Leben geht weiter, als w
äre er gar nicht da.“ So charak-terisierte der M
edientheoretiker und Filmkritiker Rudolf A
rnheim das Radio
bereits 19
36
– und da waren Servicew
ellen, Formatierung und Program
muhr
noch nicht erfunden. Inzwischen steht das Radio ganz oben, w
enn man die
Nutzungszeiten der einzelnen M
edien miteinander vergleicht, und diesen Spit-
zenplatz konnte es halten, weil es in seiner G
eschichte eine enorme W
and-lungsfähigkeit bew
iesen hat, sich ständig gehäutet und erneuert hat. Jede Ge-
neration schafft sich ihr eigenes Radio: diese faszinierende Mischung von K
on-tinuität und W
andel hat selten die ihr gebührende Beachtung gefunden. Das
Radio steht in der öffentlichen und in der fachöffentlichen Diskussion im
Schat-ten anderer M
edien; zunächst des Fernsehens, nun des WorldW
ideWeb. Es
wird unterschätzt, und das erst recht, seit seine publizistische Bedeutung nach-
zulassen scheint. Dass im
Gegenzug seine Bedeutung für den A
lltag der Men-
schen zunimm
t, wiegt dies in den A
ugen der Beobachter offensichtlich nichtauf.
In jeder Landesmedienanstalt, zu deren „Kunden“ kein bundesw
eit sendenderFernsehveranstalter gehört, nim
mt das Radio einen w
ichtigen Platz ein. Daher
spielte der Hörfunk in der nunm
ehr zehnjährigen Geschichte der Thüringer
Landesmedienanstalt bei ihren landesbezogenen A
ufgaben eine bedeutendeRolle. In den A
nfangsjahren ging es um die Lizenzierung, dann um
die Ausw
ei-tung des H
örfunks in seinen nicht-komm
erziellen Spielarten: Bürgerrundfunkin Form
von Offenen H
örfunkkanälen, Lokalradios, Hochschulradios und Ver-
anstaltungs- oder Ereignisradios. Parallel dazu gewann die A
ufsicht mit H
ilfevon Instrum
enten wie der Program
manalyse zunehm
end an Bedeutung. Die
Förderung der Vielfalt durch das Radio mit seiner landesw
eiten, regionalenoder lokalen Verbreitung trat dadurch klarer zu Tage. U
nd mehr und m
ehrschob sich die Funktion des Standortfaktors Radio in das m
edienpolitische Be-w
usstsein.
Deshalb haben w
ir uns entschieden, die Festschrift zum zehnjährigen Bestehen
der TLM ausschließlich dem
Radio zu widm
en. Wir w
ollen dazu beitragen, ge-rade das Radio in der Region zu w
ürdigen: als eine tragende Säule im Leben
der Menschen. D
enn regionaler Hörfunk dom
iniert im föderalen D
eutschland,der bundesw
eit verbreitete Hörfunk ist dem
gegenüber schwach ausgeprägt.
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:Festschrift 1
0 Jahre TLM
/ Thüringer Landesmedienanstalt.
Hrsg. von Patrick Rössler .... - M
ünchen : KoPäd-Verl., 2
00
1(TLM
Schriftenreihe ; Bd. 13
)ISBN
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35
68
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ies sich als ausgesprochen fruchtbar, wie die 3
1 Beiträge
dieses Bandes nachdrücklich belegen: Radio in der Region ist nicht nur auf denersten Blick ein überaus facettenreiches Them
a, und viele dieser Facetten sindin der fernsehfokussierten W
ahrnehmung bislang w
eitgehend unbeleuchtetgeblieben. D
ie Fülle der Facetten haben wir in vier A
bschnitte gebündelt, ab-
geschlossen durch Beiträge aus (medien)politisch verantw
ortlicher Warte. D
ererste A
bschnitt zeigt die Wechselw
irkungen von Region und Radio – aus theo-
retischer und historischer Perspektive. Radio erweist sich als ein überaus gang-
barer Zugang, um zu verstehen, w
as eine Region überhaupt ist: ein Komm
uni-kationsraum
. Und um
gekehrt ist auch die Region ein Zugang zum Verständnis
von Radio. Der zw
eite Abschnitt zeigt die program
mliche Seite aus A
nbieter-und aus N
achfragersicht. Hier w
erden zwei zentrale Fragen aufgew
orfen: dienach Vielfalt und die nach Q
ualität im Radio. D
er dritte Abschnitt m
acht deut-lich, dass H
örfunk – ob öffentlich-rechtlich oder privat – eine ökonomische
Seite hat: Es sind Ressourcen erforderlich, um Radio m
achen und nutzen zukönnen. D
er vierte Abschnitt schließlich w
agt einen Blick in die Zukunft, hier inerster Linie einen technisch form
atierten Blick. Aber technische H
erausforde-rungen haben im
mer auch eine organisatorische und kulturelle D
imension,
und so wird deutlich, in w
elchem M
aße auch weiterhin die W
andlungsfähigkeitdes M
ediums H
örfunk gefordert ist.
Die H
erausgeber danken den Autoren für ihre Beiträge und ihre Bereitschaft,
auf unsere Wünsche zu Them
enzuschnitt und Gestaltung einzugehen. Ein be-
sonderer Dank geht an Lorenz Engell für seine w
ertvollen Anregungen und
Hinw
eise. Ihm verdankt die Festschrift ihr Them
a und ihren Titel. Der TLM
dan-ken w
ir für die konstruktive Zusamm
enarbeit und die organisatorische Hilfe.
Insbesondere danken wir A
ngelika Heyen, deren Kom
petenz und Engagement
diese Festschrift erst ermöglichte, und Kathrin W
agner für ihre tatkräftige Mit-
arbeit.
Erfurt, Ilmenau und A
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Für die Definition des Begriffs Region steht eine gew
issermaßen am
tliche Vor-gabe zur Verfügung: D
ie mit Raum
ordnung und Landesplanung befassten Stel-len verstehen darunter ein Teilgebiet eines Bundeslands, in dem
„ausgewoge-
ne Lebens- und Wirtschaftsbeziehungen“ entw
eder schon vorhanden sind oderentw
ickelt werden sollen. In größeren Bundesländern sind die Regionen genau
umschriebene Einheiten, die auf einer Verw
altungsebene über den Kreisen an-
gesiedelt sind. In Baden-Württem
berg, um ein Beispiel zu nennen, gibt es vier
Regierungsbezirke; da auch diese noch relativ groß und weiträum
ig sind, ent-standen innerhalb dieser Regierungsbezirke jew
eils Regionen, in denen einigeLandkreise kooperieren. D
ie Kompetenzen sind nicht eindeutig festgelegt, und
der Grad der Verfestigung und Form
alisierung ist verschieden: Während die
meisten Regionalverbände lockere Zusam
menschlüsse darstellen, hat die Re-
gion Stuttgart sogar ein gewähltes Parlam
ent.
In kleineren Bundesländern wie Thüringen gibt es diese Festschreibung von
Regionen nicht. Aber es w
äre ein Trugschluss, wenn m
an daraus folgerte, esgebe keine Regionen. A
uch hier gibt es offizielle Bemühungen um
ausgewoge-
ne Verhältnisse im Land; in der Staatskanzlei ist eine A
bteilung für die Raum-
ordnung und Landesplanung des Freistaats zuständig und arbeitet an regiona-len Entw
icklungskonzepten. Die entsprechenden Ü
berlegungen und Förder-m
aßnahmen orientieren sich an einer Einteilung in Regionen, auch w
enn diesenicht kodifiziert und festgeschrieben ist. D
ie Regionalentwicklung betrifft in ers-
ter Linie die Wirtschaftspolitik; aber auch auf allen anderen Feldern sind regio
-nale A
bwägungen unverm
eidlich. Ganz offenkundig ist dies beispielsw
eise imBereich des Verkehrs; A
nstrengungen zur besseren Erschließung von Gebieten
können sich selbstverständlich nicht auf einen einzelnen Landkreis beschrän-ken. U
nd auch in der Kulturpolitik können Fördermittel nur dann vernünftig
eingesetzt werden, w
enn der regionale Zuschnitt kultureller Institutionen undihrer Einzugsgebiete bedacht w
ird – überall also regionale Planung und Ord-
nung.
Und dies reicht über die staatlichen A
ktivitäten hinaus. Auch die großen Ver-
bände müssen regionale A
bgrenzungen vornehmen. Im
Sport etwa w
ird mit
der Organisation des Spiel- und W
ettkampfbetriebs eine regionale Einteilung
vorgenomm
en. Bei der Bezeichnung Regionalliga im Fußball stim
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ar dieRichtung; diese Liga ist unterhalb der beiden Bundesligen angesiedelt. A
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ist, gemessen an der gängigen A
uffassung von Region, der falsche Maßstab:
die Regionalliga Nord um
fasst Vereine von Lübeck bis zur Gegend von Pader-
born und von Münster bis zum
Erzgebirge. Die im
üblichen Sinn regionaleO
rientierung beginnt erst bei den darunter liegenden Spielklassen, vor allemin der Landesklasse und – noch kleinräum
iger – in der Bezirksliga.
Der Regionsbegriff ist, sieht m
an von den amtlich fixierten Regionen ab, nicht
auf eine bestimm
te Größe festgelegt. D
ies macht ihn fungibel für verschieden-
artige Einteilungen – wenn beispielsw
eise von einem „Europa der Regionen“
gesprochen wird, so ist dam
it die Ebene unterhalb der Nationalstaaten anvi-
siert; in Deutschland sind dem
nach die Bundesländer europäische Regionen.D
ie Variabilität des Begriffs komm
t aber auch dem A
lltagsverständnis entge-gen. D
ie meisten M
enschen fühlen sich in einer bestimm
ten Region zuhause;aber eigentlich m
üsste man sagen: in einer unbestim
mten Region, denn das
Gefühl der Zugehörigkeit ist nicht auf ganz präzise G
renzziehungen festgelegt.W
er in Suhl oder Schmalkalden w
ohnt, mag außerhalb der jew
eiligen örtli-chen Bindung ein regionales Bew
usstsein entwickeln, das sich auf den näch-
sten Um
kreis bezieht, möglicherw
eise mitbestim
mt durch historische Prägun-
gen: Das G
ebiet um Suhl gehörte zur preußischen Provinz Sachsen, das um
Schmalkalden w
ar im 1
9. Jahrhundert ein Teil der Landgrafschaft H
essen-Kas-
sel und später Teil der preußischen Provinz Hessen-N
assau, und in beiden Fäl-len bedeutete das auch eine konfessionelle Sonderung – w
ährend die Bevölke-rung in den um
liegenden Räumen ganz überw
iegend evangelisch-lutherischw
ar, handelte es sich hier um Enklaven der evangelisch unierten K
irche. Be-w
ohner von Suhl oder Schmalkalden w
erden aber auch nichts einzuwenden
haben gegen die weiter ausgreifende C
harakterisierung Thüringer Wald, und
sie werden w
ohl auch akzeptieren, dass sie mit den w
eiter südlich lebendenM
einingern und Hildburghäusern zusam
men gesehen w
erden; ja man hat
sogar das südliche Thüringen und das zu Bayern gehörende nördliche Fran-ken m
it guten Gründen zu einer Kulturregion zusam
mengefasst (vgl. Brückner
19
96
).
Der österreichische Soziologe M
anfred Prisching spricht von „abgestuften Iden-titätspotenzialen“, die von der unm
ittelbaren Nachbarschaft, dem
Straßenzugoder Stadtviertel ausgehen und die natürlich über die Region oder Regionenhinausreichen, da ja auch die Bundesländer und die N
ationen ein Identitäts-angebot bereithalten (Prisching 1
99
4: 3
99
). Der Region kom
mt jedoch – rela-
tiv unabhängig davon, wie w
eit ausgedehnt sie gedacht wird – besondere Be-
deutung zu, da sich ein großer Teil des Lebensvollzugs der Menschen in der
Region abspielt. Für die Vergangenheit gilt das in besonderer Weise. Viele deut-
sche Gebiete w
aren jahrhundertelang zersplittert in kleine und kleinste Territo-
rien; Thüringen bildet dafür ein gutes Beispiel. Die politische Struktur prägte so
kleine Regionen, in denen sich für die meisten M
enschen der Lebenskreis er-schöpfte: N
ur hier hatten sie rechtliche Ansprüche und die M
öglichkeit, einem
Gew
erbe nachzugehen, hier fanden sie meist ihre H
eiratspartner, und hierg
alten für
alle d
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leichen G
rundsätze
– nach
dem
Prinzip
„cuius regio, eius religio“ bestimm
te der Herrscher die Konfession der U
nterta-nen, und auf dieser G
rundlage bildeten sich auch einheitliche kulturelle Ver-hältnisse aus. So entstanden Bindungen, die sich auch über das Ende der klein-teiligen Territorialstruktur hinaus hielten. N
och lange nach der Auflösung der
einstigen Territorien konnte man feststellen, dass sich der A
bsatz landwirtschaft-
licher und handwerklicher Produkte und ganz allgem
ein die Marktorientierung
im G
ebiet ehemaliger H
errschaften konzentrierte, auch dann, wenn es sich
dabei nicht um die nächste und verkehrsgünstigste Verbindung handelte.
Die regionale A
usrichtung ist allerdings nicht unbedingt auf einen politischenU
nterbau angewiesen. W
enn man sich die früheren Verkehrsbedingungen vor
Augen führt, dann ist es alles andere als verw
underlich, dass sich die meisten
Menschen zeitlebens fast ausschließlich in ihrem
engeren Um
kreis bewegten.
Natürlich gab es Einzelne, die durch ihren Beruf w
eit herum kam
en, Kaufleuteund H
ausierer zum Beispiel; und es gab auch die „H
eimatlosen“, denen das
Bleiberecht verweigert w
urde. Aber für die m
eisten galt, dass sich ihr Dasein
fast ganz auf die nähere Um
gebung konzentrierte.
Man hat die A
usdehnung einer Region früher gelegentlich bestimm
t durch dieReichw
eite, in der lebenswichtige G
üter transportierbar waren, in der also bei-
spielsweise M
ilch befördert werden konnte, ohne dass sie unterw
egs sauer wur-
de. Gegen dieses Beispiel kann m
an einwenden, dass ja auch solche G
üternicht beliebig und nur nach M
aßgabe der Entfernungen transportiert wurden,
sondern im allgem
einen innerhalb der Herrschaftsgrenzen; aber es ist sicher
richtig, dass neben diesen politischen Grenzvorgaben auch eine gew
isserma-
ßen natürliche Begrenzung der Reichweite von Belang w
ar.
Das Beispiel scheint freilich auch die Folgerung nahe zu legen, dass es sich bei
dieser Begrenzung um einen längst überw
undenen Befund handelt. SchnelleTransportm
ittel und moderne K
ühlsysteme haben bew
irkt, dass die frühere re-gionale Eingrenzung bei der Versorgung m
it Lebensmitteln fast keine Rolle
mehr spielt. U
nd es sind nicht nur Wirtschaftsgüter, sondern auch die M
en-schen, die ziem
lich mühelos und vor allem
schnell Entfernungen und damit
auch Grenzen überw
inden. Das Schlagw
ort heißt Globalisierung – w
as undw
er sich in engen Grenzen bew
egt, gerät leicht in den Geruch des hoffnungs-
los Überalterten und A
ngestaubten.
„Wozu noch H
eimat?“, fragte vor einigen Jahren der Kom
munikationsphilo
-soph Vilêm
Flusser rhetorisch, um dann doch zu erläutern, dass es dank der
fortgeschrittenen Technik heute möglich sei, Kontakte in der ganzen W
elt auf-rechtzuerhalten. H
eimat sei im
allgemeinen nur eine M
ystifikation, die Über-
höhung des zufälligen Geburtsorts (Flusser 1
98
7: 4
9). W
irkliche Freunde finde
Da
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io in
der R
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16
17
Ba
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ger: D
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ika
tion
sraum
man aufgrund gem
einsamer Interessen in allen Kontinenten und nicht auf-
grund der räumlichen N
achbarschaft.
Schon vor 10
0 Jahren äußerte der Soziologe G
eorg Simm
el: „Je primitiver das
Bewusstsein ist, desto unfähiger, die Zusam
mengehörigkeit des räum
lich Ge-
trennten oder die Nichtzusam
mengehörigkeit des räum
lich Nahen vorzustel-
len“ (Simm
el 19
03
: 47
f.). Er stellte das fest mit dem
Blick auf die Großstädte,
in denen eine gewisse „G
leichgültigkeit gegen den räumlich N
ahen einfacheine Schutzvorrichtung“ ist. M
odern, der technischen und sozialen Entwicklung
angemessen ist dem
nach eine Orientierung, die sich aus den Zw
ängen derN
ähe befreit und eher die „Zusamm
engehörigkeit des räumlich G
etrennten“sucht. Sim
mel nim
mt hier, ohne dass er bereits die M
öglichkeiten unbegrenzterKom
munikation vor A
ugen hat, vorweg, w
as im Zeichen der jüngsten Entw
ick-lung vielfach als leitendes Prinzip vorgestellt w
ird. Henryk M
. Broder sprach imgleichen Sinn von der „D
roge Heim
at“; übersetzt heißt das wohl: H
eimatbe-
wusstsein und H
eimatgefühl als pathologische Reaktion auf eine Entw
icklung,die Begrenzungen aufhebt und räum
liche Bindungen relativiert.
Soweit in solchen Stellungnahm
en die Kritik am
ideologischen Missbrauch des
Heim
atbegriffs mitschw
ingt, wird m
an sie akzeptieren; und es ist auch nicht zubestreiten, dass die Kom
munikation inzw
ischen sehr viel weniger auf enge Räu-
me konzentriert ist. Trotzdem
wird m
an fragen müssen, ob solche kritischen
Äußerungen nicht einer Jet-Set-A
ttitüde zuneigen, die für die Mehrzahl der
Menschen gar nicht m
aßgebend sein kann. Die m
eisten Menschen bew
egensich in ihren Kom
munikationsakten und -strategien nicht in w
eltweiten und
überwiegend auch nicht in überregionalen Bezügen – der C
harterflug in dieKaribik oder der C
ampingurlaub an der Riviera ändern daran w
enig. Die M
en-schen leben nach w
ie vor an einem W
ohnort, haben, wenn es gut geht, einen
Arbeitsplatz und bew
egen sich – physisch und geistig – hauptsächlich in ihrerU
mgebung (w
obei dieses Wort freilich nicht ganz eng verstanden w
erden darf).Im
Jahre 19
97
ergab eine Infratest-Um
frage, dass sich ein unerwartet großer
Teil der Deutschen unpathetisch, aber doch klar zum
heimatlichen U
mfeld be-
kennt: Im W
esten erklärten 88
Prozent, im O
sten 87
Prozent der Befragten,dass sie gerne dort leben, w
o sie wohnen. Zur gleichen Zeit w
urde festgestellt,dass von den erw
achsenen deutschen Staatsbürgern ungefähr 60
Prozent nochan dem
Ort leben, in dem
sie aufgewachsen sind – das ist, bedenkt m
an dieZw
angswanderungen aus politischen und w
irtschaftlichen Gründen, ein er-
staunlich großer Teil. Solche Zahlenwerte bezeugen die Fortdauer jener raum
-bezogenen Identität, für die H
eimat ein vielleicht etw
as altväterlicher, jedochkein falscher Begriff ist.
Dabei darf die O
rientierung am N
ahraum nicht nur als Trägheit, als Ergebnis
der Macht der G
ewohnheit verstanden w
erden. Es ist sicher richtig, was vor
allem im
Vergleich mit der am
erikanischen Mentalität herausgearbeitet w
urde:
dass die Deutschen aufgrund der engen Verhältnisse zur Sesshaftigkeit erzo
-gen w
urden. Sie hatten nicht die Möglichkeit aufzubrechen und auszubrechen
und im eigenen Land neuen Boden nutzbar zu m
achen; sie waren vielm
ehrzurückgew
orfen auf den Platz, in den sie hineingeboren wurden. D
och die star-ke lokale und regionale Bindung ist nicht nur A
usdruck einer überholten,lediglich noch in den K
öpfen steckenden Konstellation. D
ie über das Stichwort
Globalisierung laufende A
rgumentation lässt sich näm
lich auch umkehren:
Weil die Verbindungen w
eiträumiger, die früher festeren H
orizonte sehr vieldurchlässiger gew
orden sind und weil die W
elt insgesamt unübersichtlicher
geworden ist, entstand ein starkes Bedürfnis nach einem
strukturierten undtransparenten Binnenraum
, in dem m
an sich mit einiger Sicherheit bew
egenkann.
Die Besinnung auf die Region ging, auch zeitlich, H
and in Hand m
it der zu-nehm
enden Internationalisierung. In den siebziger Jahren entstand in vielenLändern eine regionalistische Bew
egung, die nicht einheitlich war. Im
allge-m
einen ist der Begriff des Regionalismus auf die H
altung der Protestgruppengem
ünzt, die sich gegen die hemm
ungslose ökonomische A
usbeutung gro-
ßenteils peripherer Regionen wandten. A
ber gleichzeitig verstärkten sich auchdie konservativen Bem
ühungen um die Erhaltung und Pflege der regionalen
Kultur, und bezeichnenderweise kam
es im Zeichen des regionalen A
kzentsim
mer w
ieder zu bis dahin undenkbaren Links-Rechts-Koalitionen. Wolfgang
Lipp erklärte die regionalistische Wendung, die in der ökologischen Protestbe-
wegung w
ie im konservativen Traditionalism
us zum A
usdruck kam, als G
egen-bew
egung zu den unverkennbaren weit ausgreifenden globalen Tendenzen:
„Das D
asein kehrt auf den ‚Boden der Tatsachen’ (...) zurück; es besinnt sichauf Lokalität, Regionalität in neuer W
eise“ (Lipp 19
86
: 33
2).
Jedenfalls scheint es geboten, die mit der G
lobalisierung konfrontierten Men-
schen nicht alle über einen Kamm
zu scheren und nicht von allen die Überw
in-dung von eng raum
bezogenen Orientierungen zu fordern. Forscher, die sich
kontinuierlich mit den Problem
en und Chancen der Region befassten, w
ie etwa
Michel Bassand (vgl. Bassand 1
99
0) und D
irk Gerdes (vgl. G
erdes 19
87
), ver-suchten m
it guten Gründen die verschiedenen Einstellungen und das unter-
schiedliche Ausm
aß der Betroffenheit in der Bevölkerung zu registrieren. Ne-
ben dem leider verbreiteten Typus des unkritischen, apathischen Regionalbe-
wohners, der sich w
eithin auf den Konsum von A
llerweltsangeboten der M
as-senkultur zurückzieht, w
erden die Modernisierer genannt, w
elche regionale Tra-ditionen und Bindungen als H
orizontverengungen betrachten, die Traditionali-sten, die sich dezidiert m
it der Region identifizieren, ihr aber keinen Wandel
zubilligen, und die eigentlichen Regionalisten, die das regionale Profil auch imW
andel zu retten suchen.
Da
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18
19
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2R
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atio
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?
Für sie alle aber gilt, wenn auch in verschiedenem
Ausm
aß, dass sie nach wie
vor auf die Region angewiesen sind – positiver ausgedrückt, dass die Region
für sie ein wichtiger Kom
munikationsraum
ist. Dieser Begriff w
ird hier der raum-
erweiternden und letztlich raum
auflösenden Potenz moderner Kom
munikati-
onstechnologien entgegengesetzt; er zielt auf das direkt Erfahrbare und damit
automatisch auf engere räum
liche Bezüge und kleinere räumliche Einheiten.
Trotzdem w
äre es falsch, einen Gegensatz zw
ischen den Erfordernissen derW
irtschaft und den Komm
unikationsbedürfnissen aufzubauen. Mit Recht w
irdviel vom
„industriellen Klim
a“ und von der „Einbettung“ der Wirtschaft gespro-
chen (Grabher 1
99
3: 6
6 f.) – das im
allgemeinen nicht näher definierte „Bett“
ist nichts anderes als die jeweilige soziokulturelle Prägung, die regionale Kul-
tur. In der 1
98
8 vom
Europäischen Parlam
ent angenom
menen G
emein-
schaftscharta der Regionalisierung werden denn auch als Region G
ebiete be-zeichnet, „deren Bevölkerung durch bestim
mte gem
einsame Elem
ente gekenn-zeichnet ist“, und in der A
ufzählung solcher Elemente w
erden „gemeinsam
eM
erkmale hinsichtlich der Sprache, der Kultur, der geschichtlichen Tradition“
den Gem
einsamkeiten „der Interessen im
Bereich der Wirtschaft und des Ver-
kehrswesens“ vorangestellt (Isak 1
99
2: 5
f.).
Die hier angeführte D
efinition von Region bezieht sich auf genau abgegrenzteoder abgrenzbare G
ebiete; dies ist unter den Aspekten politischer Verw
altungverständlich. In der subjektiven Erfahrung und Einschätzung spielt diese Fixie-rung von Regionen nur eine untergeordnete Rolle. W
enn für die Bevölkerungregionale Identität und regionale O
rientierung unterstellt wird, dann heißt dies
in der Regel nicht, dass sich die Bewohnerinnen und Bew
ohner mit einer als
Verwaltungseinheit vorgegebenen oder doch exakt um
schreibbaren Regionidentifizieren – es heißt vielm
ehr, dass sie zur Um
gebung ihres Wohnorts einen
engeren Bezug aufgebaut haben. Sie sprechen ja im allgem
einen auch nichtvon ihrer Region, sondern benennen die G
egend, in der sie leben, oder sagen„bei uns“ und setzen dam
it ein Trennsignal gegenüber den Anderen, die nicht
in dieser Gegend leben. G
renzschranken sind aber für die jeweiligen G
egen-den nicht errichtet, und schon die Verteilung der Bevölkerung innerhalb einerdefinierten Region sorgt dafür, dass die räum
lichen Orientierungen nicht de-
ckungsleich mit diesem
Gebiet sind: W
er ganz am äußersten w
estlichen Randeines als Region fassbaren G
ebiets wohnt, w
ird sich nicht nur nach Osten ori-
entieren, sondern auch Ränder und Übergänge im
Westen einbeziehen. D
erösterreichische Ö
konom G
ernot Grabher hat in diesem
Sinn die Region als„fuzzy system
“, als ausgefranstes System, bezeichnet (vgl. G
rabher 19
93
: 16
).
Was bedeutet es aber konkret, w
enn die Region als Komm
unikationsraum auf-
gefasst wird? In der Vergangenheit – das w
urde andeutungsweise gezeigt –
war dieser Kom
munikationsraum
nicht nur durch den Mangel an technischen
Möglichkeiten zur Erw
eiterung des Aktionsradius, sondern auch durch rechtli-
che Bestimm
ungen eingegrenzt. Aber das sogenannte H
eimatrecht w
urdeschon in der zw
eiten Hälfte des 1
9. Jahrhunderts abgelöst durch das rechtliche
Prinzip des Unterstützungsw
ohnsitzes, das auch entfernt von der ursprüngli-chen H
eimat ein M
inimum
an Hilfe und Versorgung garantierte; und die G
e-w
erbefreiheit erlaubte in Verbindung mit den Verbesserungen im
Verkehrswe-
sen größere berufliche Mobilität. H
eute gilt nur noch für Asylbew
erber die Vor-schrift, dass sie den Landkreis, dem
sie zugewiesen w
urden, nicht verlassendürfen – eine Bestim
mung, die denn auch den M
akel eines unzeitgemäßen
Relikts an sich trägt. Für die ganz überwiegende M
ehrheit der Bevölkerung gilt,dass sie ihre Kom
munikationsbahnen ganz nach eigenem
Bedarf und Ge-
schmack auslegen darf.
Trotzdem lässt sich die These aufrechterhalten, dass die Region der w
ohl wich-
tigste Komm
unikationsraum ist. Sie ist, im
Gegensatz zu den früheren G
ege-benheiten, nicht m
ehr der (fast) einzige Komm
unikationsraum; aber sie ist cha-
rakterisiert durch eine ganz offensichtliche Verdichtung der Komm
unikation.D
afür sorgen ökonomische Barrieren – eine Fahrt über Land in die 1
00
oderm
ehr Kilom
eter entfernte Hauptstadt, oder um
gekehrt eine Fahrt von derH
auptstadt in ein weit entferntes Erholungsgebiet, ist eine finanziell und auch
zeitlich aufwendige A
ngelegenheit. Dafür sorgen zum
Teil auch Norm
en – man
fährt nicht stundenlang zu einem Konzert oder zu einer Theateraufführung,
selbst wenn m
an es sich leisten könnte. Vor allem aber sorgen dafür die Ver-
bindungen und Bindungen, die man in der Region selber hat.
3K
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um
liche G
run
dm
uste
r
Will Teichert verw
endet zur Beschreibung der räumlichen Kom
munikationsstruk-
turen die Begriffe „Aktionsraum
“ und „Ereignisraum“ (vgl. Teichert 1
98
2: 7
,9
2-9
4). Im
Aktionsraum
sind die Handlungsm
uster des Raumverhaltens einer
Bevölkerungsgruppe zusamm
engefasst. Der Begriff Ereignisraum
ist weniger
scharf; er bezieht sich (da Teicherts Überlegungen auf die A
ufgaben und Mög-
lichkeiten der Medien zielen) auf die D
ichte medienrelevanter Ereignisse, die
sich in einem bestim
mten Raum
abspielen. Im folgenden w
ird der Versuch un-ternom
men, die kom
munikationsräum
lichen Grundm
uster noch etwas diffe-
renzierter herauszuarbeiten. Dabei w
erden drei solcher Muster unterschieden:
Kontaktgeflecht, Erfahrungsreichweiten und Interessenhorizonte.
3.1
Der Kom
munikationsraum
als Kontaktgeflecht
Elisabeth Pfeil arbeitete in ihren Nachkriegsuntersuchungen zur Soziologie der
Großstadt die Kategorie des „Verkehrskreises“ heraus (vgl. Pfeil 1
95
5: 2
41
-2
46
): Während auf dem
Dorf und auch in kleineren Städten die Kontakte durch
Da
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der R
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20
21
vorgegebene räumliche Beziehungsstrukturen bestim
mt w
aren und sich vor al-lem
auf die Nachbarschaft konzentrierten, bildete sich in der G
roßstadt einneues Beziehungsgeflecht heraus, der Verkehr m
it Freunden und Bekannten,die nicht in der N
achbarschaft wohnen. D
ieses urbane Muster ist inzw
ischenlängst auch in die ländliche W
elt vorgedrungen; selbst in kleinen Dörfern w
irdder kom
munikative U
mgang nicht m
ehr allein und oft auch nicht primär von
der Nachbarschaft diktiert. D
ie Reichweite der persönlichen Kontakte hat sich
im Verlauf der letzten Jahrzehnte zw
eifellos ständig vergrößert. Berufliche Kon-takte überschreiten oft viele G
renzen, und auch im privaten Bereich spielen
Urlaubs- und Reisebekanntschaften eine größere Rolle. A
uf den ersten Blickkönnte m
an daraus die Folgerung ziehen, dass an die Stelle des räumlichen
Kontaktmusters (in konzentrischen K
reisen, ausgehend von der Nachbarschaft,
und sich nach außen verdünnend) ein soziales getreten ist – unabhängig vonder räum
lichen Platzierung.
Aber diese U
nabhängigkeit ist eine Fiktion. Wie oft w
ird auf Cam
pingplätzenoder in Ferienzentren gesagt: „W
ir besuchen Euch bald einmal“, und w
ie seltenw
ird diese Drohung w
ahr gemacht – oft zur Erleichterung der U
rlaubsnach-barn. N
och imm
er lassen sich Räume nicht beliebig überbrücken; es kostet
Zeit und Geld, w
enn man für einen Besuch w
eite Strecken zurücklegen muss.
Für einmalige oder seltene Treffen nim
mt m
an das vielleicht noch in Kauf; re-gelm
äßige direkte Kontakte lassen sich meistens nur aufrecht erhalten, w
enndie Entfernungen nicht zu groß sind. Zeichnet m
an die Bewegungen nach, die
der Aufrechterhaltung von privaten Kontakten dienen (in kleinem
Um
fang hatm
an dies verschiedentlich versucht), so gibt es zwar im
Vergleich zu früherw
eitere Ausgriffe; aber das G
rundmuster m
it einer deutlichen Verdichtung desKontaktgeflechts am
Wohnort und in der näheren U
mgebung und m
it einerspürbaren Verdünnung nach außen hat sich erhalten.
Dies gilt auch, w
enn die weniger persönlichen Kontakte einbezogen w
erden.D
ank der Errichtung großer Einkaufszentren auf der grünen Wiese hat sich die
Kauforientierung (was inzw
ischen als bedenkliche Entwicklung registriert w
ird)von Städten und D
örfern stärker auf die Um
gebung verlagert; aber es ist, siehtm
an von den eher seltenen Einkaufsfahrten in die Großstädte ab, die nähere
Um
gebung. Auch in diesem
Bereich bestätigt sich also die Verdichtung desKontaktgeflechts in der Region. Ä
hnlich verhält es sich mit den Kontakten zu
Behörden und anderen öffentlichen Institutionen. Die verschiedentlich ange-
stoßenen Reformen zur Vereinfachung der Verw
altung bedeuten für die Nutzer
und Kunden nicht imm
er eine Vereinfachung. Dass die Entfernung zum
Land-ratsam
t und zur nächsten Poststelle plötzlich sehr viel größer war als vorher, w
ur-de denn auch oft m
issbilligend aufgenomm
en und manchm
al mit Protesten,
zumindest durch Leserbriefe, quittiert. A
uch dies ist ein Zeichen dafür, dass dieräum
liche Nähe für solche Kontakte nach w
ie vor eine wichtige Rolle spielt.
Man kann nun freilich einw
enden, dass die Beschränkung auf direkte Kontakte
ein unvollständiges Bild ergibt – ein großer Teil der Komm
unikation spielt sichja nicht face to face ab. A
uch wenn m
an von den modernsten Technologien
noch absieht, muss doch jedenfalls an das Telefon erinnert w
erden, über dassehr viele persönliche und berufliche Kontakte laufen. Zw
eifellos reicht das te-lefonische K
ontaktgeflecht nicht nur bei Industriemanagern und anderen glo-
bal players sehr weit; aber auch hier sollte m
an sich nicht blenden lassen vondem
weltw
eiten Panorama, das vor allem
in der Werbung präsentiert w
ird. Esist richtig
, dass d
ie externen, ins Ausland
führenden Telefong
espräche in
Deutschland innerhalb w
eniger Jahre auf das Fünffache angewachsen sind;
darauf wird lautstark hingew
iesen. Dagegen w
ird selten darauf aufmerksam
gemacht, dass der A
nteil dieser internationalen Telefonate erst bei ungefährzw
ei Prozent aller Telefongespräche angekomm
en ist. Das w
eitaus dichtesteG
esprächsnetz liegt am W
ohnort selbst und in seiner unmittelbaren U
mge-
bung – in der Region.
Auch der Einsatz von M
obiltelefonen hat daran wenig geändert; er hat neben
der Erleichterung des Kontakts über weite Strecken auch die Verbindungen im
Nahbereich w
eiter gesteigert und verdichtet. In meiner H
eimatstadt ereiferte
sich vor einiger Zeit ein Leserbriefschreiber über den inflationären Handyge-
brauch bei imm
er jüngeren Schulkindern. Er schilderte eine Reihe von Beob-
achtungen, darunter auch die folgende: „Zwei zirka 1
4-jährige M
ädchen lau-fen, w
ohl nach einer langen Shoppingtour, mit vollgepackten Einkaufstüten die
Wilhelm
straße hinab. Die eine schaut sich Schaufenster auf der rechten Seite
an, die andere auf der linken. Gegenseitig erzählen sie sich über ihr H
andy,w
as sie gerade sehen.“ Was in dem
Leserbrief als bedenkliche Entgleisungangegriffen w
ird, charakterisiert aber in Wirklichkeit, w
enn auch in pointierterW
eise, eine Hauptfunktion des H
andygebrauchs bei den jüngeren Jahrgän-gen: D
as Mobiltelefon w
ird weniger für Ferngespräche verw
endet als für dieErleichterung und Intensivierung der Kom
munikation im
näheren Um
kreis (Höf-
lich 20
01
: 11
). Selbst die Mail-M
öglichkeit im Internet trägt nur zum
Teil zurH
erstellung weltw
eiter Verbindungen bei; zum anderen Teil dient sie der Festi-
gung von Beziehungen im engeren U
mkreis (vgl. Bosshart 1
99
8: 4
9; Schön-
berger 1998: 84), und die virtuellen Chatroom
s werden oft in reale G
esprächs-gruppen überführt, bei denen dann das M
oment der Entfernung zw
angsläufigw
ieder von Bedeutung ist, so dass sich hier vieles im regionalen U
mkreis ab
-spielt (vgl. Bahl 1
99
7: 9
1-9
4). Zusam
menfassend kann m
an jedenfalls kon-statieren, dass auch die über technische M
edien vermittelte persönliche Kom
-m
unikation einen Schwerpunkt im
Nahbereich hat und dass sie zw
ar teilweise
die direkte Komm
unikation ersetzt und auch kompensiert, in vielen Fällen aber
ergänzt, also zur Stabilisierung auch des medienfreien K
omm
unikationsnetzesbeiträgt.
Ba
usin
ger: D
ie R
eg
ion
als K
om
mun
ika
tion
sraum
Da
s Gerä
usc
h d
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der R
eg
ion
22
23
Ba
usin
ger: D
ie R
eg
ion
als K
om
mun
ika
tion
sraum
3.2
Der K
omm
unikationsraum als Erfahrung
Kontaktgeflecht und Erfahrung
sreichweite hängen unm
ittelbar zusamm
en.W
enn ich Freunde öfter besuche, dann werde ich auch m
it ihrem W
ohnort undder G
egend, in der sie leben, vertrauter; und neue Erfahrungen verbinden sichnicht nur m
it dem Zielort, sondern auch die W
egstrecke ist in meine Erfahrung
einbezogen. Die Vorstellung einer gew
issermaßen organischen Erw
eiterung derErfahrung lässt sich heute nicht m
ehr halten. Es gibt Leute, die mit ihrer Jahr
für Jahr aufgesuchten Ferienlandschaft an der Ostsee, in K
ärnten oder Anda-
lusien mindestens so vertraut sind w
ie mit ihrer engeren U
mgebung. A
ber auchhier gilt, dass m
an diese Ausw
eitung nicht überschätzen sollte. Die Regel ist,
dass trotz dieser Fernorientierung die Erfahrungsdichte am O
rt und in der je-w
eiligen Region am größten ist. D
ies ergibt sich großenteils schon aus denkontinuierlichen Zw
ängen zur Ortsveränderung auf engem
Raum; ob ich zur
Arbeit fahre, ob ich einen A
bstecher zur Tankstelle oder zum G
roßeinkauf ma-
che, ob ich eine Sportveranstaltung oder eine Gaststätte aufsuche oder m
ichm
it Bekannten treffe – imm
er lerne ich dabei Orte und Plätze kennen. Es gibt
aber auch die bewusste A
neignung solcher Orte und Plätze, und die nach w
ievor gegebene Popularität von W
andervereinen zeigt, dass diese Seite nicht zuvernachlässigen ist.
Georg Sim
mel spricht in der bereits zitierten A
bhandlung „Soziologie des Rau-m
es“ von der „Individualisierung“ von Orten; als Beispiel erw
ähnt er die Ver-trautheit m
it den Eigennamen der Stadthäuser (vgl. Sim
mel 1
90
3: 4
3). Tat-
sächlich ist die Kenntnis von Nam
en – Flurnamen, Straßennam
en, aber auchN
amen kleiner O
rte – ein Indiz für die Ausw
eitung und Verfestigung von Erfah-rung. A
uch hier folgt der – im allgem
einen nicht bewusste und nicht kontrollier-
te – Lernprozess nicht strikt dem organischen M
uster einer allmählichen Ent-
wicklung von der N
ähe in die Ferne. Die N
amen von Eisenbahnstationen an
einer mehrfach befahrenen Strecke prägen sich oft schneller ein als die von
Orten in der nächsten U
mgebung – und nicht nur für die N
amen, sondern
auch für die Orte und Plätze selbst gilt, dass sie nicht alle m
it der gleichenLeichtigkeit zur Kenntnis genom
men w
erden. In der ökologischen Psychologiew
urde der Begriff der „imageability“ geprägt; er besagt, dass m
anche Land-schaftsteile, Plätze und Bauten ein höheres A
ttraktionsmom
ent aufweisen und
sich besser einprägen, während andere sich nicht in der Vorstellung festsetzen.
Trotzdem aber, obw
ohl nicht schematisch m
it einem höheren Bekanntheitsgrad
des Nahen gerechnet w
erden kann, ergibt sich auch hier als dominantes Raum
-m
uster, dass die dichtesten Erfahrungsbezüge imm
er noch im N
ahraum gege-
ben sind, während sie sich im
weiteren U
mkreis und in größerer Entfernung
verdünnen.
3.3
Der Kom
munikationsraum
als Interessenhorizont
Es liegt auf der Hand, dass die Reichw
eite der Erfahrungen wiederum
engzusam
menhängt m
it der dritten der genannten Kategorien, m
it dem Interes-
senhorizont. Es handelt sich um den Raum
, für den und innerhalb dessen ver-m
ehrter Informationsbedarf besteht. D
abei ist klar, dass Interessenhorizontenicht ein für alle m
al fixierbar sind und dass nicht nur vorhandenes Interesseden W
unsch nach Information erzeugt, sondern dass auch um
gekehrt Infor-m
ationen eine Ausw
eitung der Interessen bewirken können. W
äre dies nichtso, dann w
äre die gesamte w
eltweite politische Berichterstattung in die Luft
geredet. Konkret gesprochen: Berichte über die Konflikte im N
ahen Osten sind
gewiss nicht nur für diejenigen interessant, die Erfahrungen in jenen G
ebietengem
acht oder persönliche Beziehungen dorthin aufgebaut haben. Und Inter-
esse an Wahlen in einem
deutschen Bundesland setzt nicht voraus, dass einebesondere innere N
ähe zu diesem Bundesland besteht. D
ie weltw
eite Interde-pendenz der Politik hat dafür gesorgt, dass das „fern in der Türkei“, das sprich-w
örtlich die ganz unbeteiligte Kenntnisnahme von Ereignissen erlaubt, nicht
mehr gilt.
Aber auch hier spielt die N
ähe – oder, noch einmal m
it dem hier favorisierten
Terminus, die Region – eine einflussreiche Rolle. Bleiben w
ir bei der Türkei:A
ngenomm
en, ein Reisebus verunglückt in der Türkei, so wird dies von deut-
schen Zeitungslesern oder Radiohörern als bedauerliches, aber nicht beson-ders aufregendes Ereignis zur Kenntnis genom
men. D
ies ändert sich sofort,w
enn berichtet wird, dass unter den Toten oder Verletzten auch D
eutsche sind.U
nd es ändert sich noch einmal, w
enn Thüringer in ihrer Lokalzeitung lesen,dass Reisende aus irgend einer thüringischen Stadt betroffen w
aren. Diese Ver-
änderung der Aufm
erksamkeitsskala ist unter ethischen G
esichtspunkten nichteinzusehen – aber in ihr drückt sich das G
ewicht der räum
lichen Nähe aus.
Es handelt sich aber nicht oder nicht nur darum, dass sich durch die zusätzli-
chen Informationen die W
ahrscheinlichkeit erhöht, es könnte ein Bekannteroder eine Bekannte unter den O
pfern sein. Die Zunahm
e des Interesses folgtvielm
ehr relativ mechanisch dem
räumlichen M
uster. Ein zweites Beispiel: D
ieregionale Presse berichtet regelm
äßig über schwerere Verkehrsunfälle. D
ieseBerichte, oft m
it Bildern bestückt, werden von den m
eisten Leserinnen und Le-sern zur Kenntnis genom
men, und zw
ar ziemlich flüchtig, w
enn es sich umeinen w
eiter entfernten Unfallort handelt, recht genau dagegen, w
enn sich dasU
nglück in der eigenen Region abgespielt hat. Dabei spielt sicher eine Rolle,
ob man die betreffende Stelle selber häufiger passiert; aber auch unabhängig
davon gilt das „Gesetz“, dass das in der N
ähe Geschehene größeres Interesse
beansprucht.
Da
s Gerä
usc
h d
er P
rovin
z - R
ad
io in
der R
eg
ion
24
25
Die regionale Einteilung der Fußball-Ligen ist A
nlass, nochmals auf diesen Be-
reich zurückzukomm
en. Die Landespresse – in diesem
Fall: die ThüringischeLandeszeitung – hält sich in ihren Spielberichten an die oberen Ligen, aber siebringt regelm
äßig die Ergebnisse und Tabellen auch der unteren Klassen, und
zwar aus dem
ganzen Land. Dies ist w
ohl eine technische Vereinfachung, dennes ist leichter, alle A
usgaben mit diesem
Überblick zu bedienen, als jew
eilseine besondere A
uswahl auf die G
ebietszeitungen zuzuschneiden. Abgesehen
von wenigen extrem
en Fußballfanatikern, dürfte kaum jem
and alle Ergebnisseund Tabellenstände zur Kenntnis nehm
en; es ist ziemlich unw
ahrscheinlich, dassm
an sich in Nordhausen für die M
annschaften der Staffel 3 der Bezirksliga
interessiert, die großenteils ganz im Südosten des Landes beheim
atet sind. Vor-sichtiger gesagt: Besonders Fußballbegeisterte w
erden vielleicht feststellen,dass sich Lobenstein (in der letzten Spielzeit) auf einem
Aufstiegsplatz hält; sie
werden aber alles W
eitere ignorieren. Dagegen w
erden die in dieser Regionansässigen Fußballanhänger zum
indest im Vorbeigehen auch die anderen Er-
gebnisse mitnehm
en, werden also, w
enn auch nicht in ihrem Langzeitgedächt-
nis, registrieren, wie Ranis gegen Langenw
etzendorf gespielt hat, auch wenn
sie diese Orte nicht aus eigener A
nschauung kennen und eigentlich nichts mit
diesen Nam
en verbinden. Die Region, der N
ahraum ist bis zu einem
gewissen
Grad ein autonom
es Steuerungsinstrument des Interesses.
Ähnlich w
ie beim N
etz der Kontakte und den Bahnen der Erfahrung ist aberauch hier die Einschränkung zu m
achen, dass sich das Interesse nicht in jedemFall m
it zunehmender Entfernung verdünnt. Es gibt „A
usbuchtungen“ des Inter-essenhorizonts, die durch die Erfahrungsreichw
eiten bestimm
t sind: Die Vor-
gänge in weiter entfernten O
rten, durch die ich regelmäßig bei Besuchsfahrten
komm
e, sind interessanter für mich als die Vorgänge in einem
näher gelege-nen O
rt, den ich fast nie berühre. Und es gibt Inseln verstärkten Interesses,
lokalisiert an denjenigen Plätzen und Orten, an denen das Kontaktgeflecht ei-
ner Person gewisserm
aßen in einem K
noten festgemacht ist. Im
Beispiel: Wenn
ein großer Teil meiner Verw
andtschaft in einem etw
a 40
Kilom
eter entferntenO
rt lebt, d
ann ist mein Interesse an d
iesem O
rt größ
er als das an d
endazw
ischen liegenden, räumlich näheren O
rtschaften. Und schließlich hängt
das Interesse auch ab von dem, w
as an Informationen aus einem
Ort oder
einer Gegend angeboten w
erden kann. Teichert bezeichnet mit dem
Begriff„Ereignisraum
“ ein Gebiet, in dem
sich Ereignisse größerer Relevanz massie-
ren (vgl. Teichert 19
82
: 81
). Wo M
ittelpunktsfunktionen massiert sind, die auf
den eigenen Lebensraum ausstrahlen, und w
o wichtige, auch in größerer Ent-
fernung relevante Entscheidungen getroffen werden, konzentriert sich auch
mehr Interesse von außen; Inform
ationen aus diesen zentralen Bereichen sindinteressanter als die aus dezentralen Räum
en im W
indschatten der persönli-chen Erfahrungsbahnen.
4Sch
lussfo
lgeru
ng
en
In diesem Essay w
urde die Region betrachtet als Handlungsraum
, als ein Ge-
biet, in dem die dort Lebenden interagieren, untereinander in Kontakt treten
und miteinander kom
munizieren. D
ie Region ist aber natürlich auch ein Kom-
munikationsraum
im Sinne des M
edienangebots und der Mediennutzung. W
odies das Them
a ist, wird das G
eflecht der elementaren, direkten Kom
munika-
tion oft ignoriert oder doch vernachlässigt. Wie aber die staatliche Landespla-
nung regionale Entwicklungskonzepte nicht einfach von oben überstülpen, son-
dern auch regionale Aktivitäten von unten erm
utigen und fördern sollte (dieThüringer Landesrichtlinien sehen ausdrücklich eine intensive D
iskussion mit
den regional relevanten Entscheidungsträgern vor), so ist auch die Medienpo
-litik gut beraten, w
enn sie sich an vorhandenen Komm
unikationsstrukturen ori-entiert. W
as dies bedeutet, kann hier nicht im einzelnen erörtert w
erden; ab-schließend sollen lediglich drei Folgerungen angedeutet w
erden.
Erstens: Das G
eschehen in den verschiedenen Regionen bildet einen wichtigen
Bestandteil der Berichterstattung in den Medien. Vor allem
die elektronischenM
edien tendieren fast automatisch zum
Ausgriff ins W
eite: Es bedarf einer ge-w
issen Anstrengung, über Söm
merda und Pößneck zu berichten, w
enn man
Leitungen nach Washington, M
oskau und Peking stehen hat. Es ist kein Zufall,dass die Regionalisierung des Rundfunks erst verhältnism
äßig spät eingesetzthat; vielfach hat erst die Konkurrenz der von vornherein auf einen kleinerenRadius festgelegten privaten A
nstalten das Manko im
öffentlich-rechtlichenRundfunkbereich klar gem
acht.
Zweitens: D
ie regionale Berichterstattung des Rundfunks neigt ihrerseits oftdazu, sich auf regionale Zentren zu konzentrieren. W
as über den „Ereignis-raum
“ gesagt wurde, legt dies nahe, und es ist auch verständlich unter dem
Aspekt des konzentrierten und dam
it ökonomischen Einsatzes der Ressourcen
und im H
inblick auf die Quote. D
och es gibt zu denken, dass viele regionaleZeitungen das Prinzip hochhalten, in gem
essenen Abständen über jeden O
rtihres Verbreitungsgebiets zu berichten. D
as führt mitunter zu etw
as seltsamen
journalistischen Aktivitäten: W
enn in einem kleinen D
orf längere Zeit kein Ver-kehrsunfall passiert und kein K
rach im G
emeinderat ist, m
üssen für die Be-richterstattung oft kuriose Bagatellen herhalten. D
as ist fragwürdig, aber rich-
tig ist die Erkenntnis, dass die Leute von Zeit zu Zeit etwas aus ihrer unm
ittelba-ren N
achbarschaft lesen wollen. A
uch in Funk und Fernsehen sollten deshalbdie ländlichen Teile einer Region in exem
plarischen Sendungen berücksichtigtw
erden – meinetw
egen über die Fußballvereine in Ranis und Langenwetzen-
dorf.
Schließlich drittens: Es gibt ein Ineinander, ein Zusamm
enspiel von direkterund m
edialer Kom
munikation. D
er Abschnitt über die Interessenhorizonte hat
Ba
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ger: D
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eg
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als K
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ika
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sraum
Da
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26
27
Ba
usin
ger: D
ie R
eg
ion
als K
om
mun
ika
tion
sraum
dies verdeutlicht: Interessen werden auch durch Inform
ationen aus den Medi-
en ausgelöst oder gestärkt; umgekehrt m
üssen die Medien aber auch vorhan-
denem Interesse entgegenkom
men, das heißt die G
egebenheiten der direktenKom
munikation beachten.
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ad
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28
29
Klaus Beck
Üb
era
ll un
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Territo
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t von
Kom
mu
nik
atio
n
1Im
Hie
r un
d Je
tzt
„Der M
ensch entsteht durch Komm
unikation. Er ist das Resultat komm
unizieren-der Kräfte. Verbindung, Verm
ittlung, Verständigung, Verkehr machen das indivi-
duelle Leben möglich.“ So beschreibt H
arry Pross die grundlegende anthropolo-gische Bedeutung von Kom
munikation (Pross 1970: 22). „Verbindung, Verm
itt-lung und Verkehr“ stehen hierbei für eine Ü
berwindung von Körpergrenzen und
räumlichen D
istanzen, ohne die Verständigung nicht möglich erscheint. Kom
-m
unikation entfaltet demnach im
mer ein G
ebiet, ein Territorium, das von den
Komm
unikationspartnern geteilt und symbolisch „beherrscht“ w
ird. Die Entw
ick-lung der Sprache und die Verw
endung von Symbolen unterscheidet den M
en-schen vom
Tier; sie sind die Wurzeln und G
rundlagen menschlicher Kultur und
sozialer Gem
einschaft. Die akustische w
ie die semantische Reichw
eite der Spra-che setzte über den längsten Zeitraum
der Menschheitsgeschichte den M
öglich-keiten der Verständigung und der Bildung von G
emeinschaften G
renzen. Ge-
meinschaft bedeutete – bis zur Erfindung technischer M
edien – eine Gem
ein-schaft der im
Hier und Jetzt A
nwesenden. Zw
ar erlaubten rituelle Tänze, Höhlen-
malereien und die gesprochene Sprache eine Transzendierung der eigenen Le-
benszeit, doch die gesprochene Sprache ist zur Überw
indung des Raumes nur
begrenzt geeignet: Die Ruf- und H
örweite von Stim
me und O
hr verband dieKultur der G
emeinschaft nahezu untrennbar m
it dem Territorium
, das eher Ort
denn Raum w
ar. Nicht die Botschaft überw
and den Raum, sondern die Boten.
Archaische Telekom
munikation w
ar gleichbedeutend mit M
obilität.
2V
on
hie
r na
ch d
ort
Erst die Entwicklung technischer M
edien steigerte die Möglichkeiten zur kom
-m
unikativen Überw
indung des Ortes bzw
. Raumes. Eng verknüpft dam
it, jaihre m
aterielle Voraussetzung war zunächst die Ü
berwindung der Zeit. D
ie Er-folgsgeschichte der M
edien erhielt durch die Erfindung der Speichermedien
Bild und Schrift, vor allem durch den Ü
bergang von der Oralität zur Literalität
einen neuartigen Impuls. D
ie „Verräumlichung der Sprache“ durch Bildschrif-
ten und phonetische Alphabete erlaubte zunächst die m
aterielle Fixierung vonBotschaften über die Zeit, doch m
it der Verwendung zum
Transport geeigneterSchriftträger w
ar auch in räumlicher H
insicht eine neue Qualität erreicht: D
ieraum
zeitliche Gegenw
art von Sprecher und Hörer w
urde ergänzt um die „vir-
tuelle Gem
einschaft“ von Schreiber und Leser.
Da
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rovin
z - R
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io in
der R
eg
ion
30
31
Beck: Te
rritoria
lität v
on
Kom
mun
ika
tion
Diese Erw
eiterung des Komm
unikationsraums zeitigte w
eit reichende sozialeund kulturelle Folgen: Verständigung über räum
liche Distanz w
ar nun ge-bunden an eine neue zeitliche G
renze; an die Stelle der Gegenw
art trat dieTransportgeschw
indigkeit materieller Trägerm
edien. Das Ü
berschreiten derRuf- und H
örweite bedeutete zugleich den Verlust unm
ittelbarer, synchronerInteraktivität als conditio sine qua non m
enschlicher Verständigung. Die Ent-
kopplung von Handlungs- und K
omm
unikationsraum erw
eiterte den Kom
-m
unikationsraum nicht nur territorial und tem
poral, sondern auch seman-
tisch: Die D
eutung von Botschaften, die Re-Konstruktion von Sinn w
ar nunnicht m
ehr direkt durch die unmittelbare m
ündliche Nachfrage beim
Spre-cher m
öglich, sondern bedurfte alltags-hermeneutischer Regeln des Verste-
hens. Viele Folgen von K
omm
unikation, insbesondere die Anschlusshandlun-
gen des Kom
munikationspartners, w
aren für den Sprecher/Schreiber nichtm
ehr ab
sehba
r, sondern allenfalls einer weiteren gespeicherten Botschaft
ab
lesba
r. Das geschriebene W
ort, so der kanadische Literaturwissenschaftler
Marshall M
cLuhan, gab den Menschen „ein A
uge für ein Ohr“ (M
cLuhan1
96
4: 8
4).
Der A
ustausch schriftlicher Botschaften über weitere D
istanzen veränderte dieForm
en menschlichen Zusam
menlebens, zunächst der literaten Eliten und in
der Folge der gesamten G
emeinschaft bzw
. Gesellschaft. H
ielt Plato noch dieH
örweite des Redners für den geeigneten territorialen M
aßstab einer politi-schen G
emeinschaft, so erw
eiterte die Schrift das Territorium m
enschlicherG
emeinw
esen. Hierauf hat der kanadische W
irtschaftshistoriker Harold A
dams
Innis hingewiesen: Je leichter ein Schriftm
edium zu transportieren sei, um
sobesser eigne es sich für die Etablierung einer zentralen Verw
altung, unter de-ren Kontrolle große Territorien und eine Vielzahl von Provinzen stehen. D
asvon den Ä
gyptern und später den Römern als Schriftträger verw
endete Papyrusund das zunächst in C
hina gebräuchliche Papier erleichterten die Ausw
eitungder politischen Territorien. Im
Gegensatz dazu w
urden in den theokratischenStadtstaaten an Euphrat und Tigris Lehm
tafeln als Schreibmedium
verwendet,
die zwar die Kontinuität von H
errschaft und die Überlieferung kaufm
ännischenW
issens ermöglichten, sich jedoch für den Transport über räum
liche Distanzen
als weitaus w
eniger geeignet erwiesen (vgl. Innis 1
99
7a: 5
6-6
6 und Innis
19
97
b: 95
-11
7).
Die körpergebundenen M
odi menschlicher Kom
munikation (G
estik, Mim
ik,Spiel, Tanz, Ritual und gesprochene Sprache) lassen das gegebene Territoriumsolange als fraglos gegebenen O
rt erscheinen, bis technische Medien hinzu-
treten. Medialisierte Kom
munikation ist – neben M
obilität – eine der grundle-genden Voraussetzungen für die Entgrenzung des Territorium
s menschlicher
Gem
einschaften. Zugleich errichten die Medien der K
omm
unikation neueG
renzen: Wo die Einheitlichkeit und G
ültigkeit der Codierung endet, w
ird dieG
renze des Komm
unikationsraums und des gem
einschaftlichen Territoriums
(„Heim
at“) überschritten. Zur „natürlichen“ Sprachgrenze tritt eine mediale
Grenze, die bis heute ihren A
usdruck in den Regeln der Codierung findet, etw
ain unterschiedlichen technischen Standards (Fernsehnorm
en, Inkompatibilitä-
ten digitaler Medien) oder in G
estalt unterschiedlicher soziokultureller Norm
enund kom
munikativer K
ompetenzen.
Der m
ittels Speichermedien bew
erkstelligte „Transport“ von Botschaften überräum
liche Distanzen und G
renzen allein schafft weder ein neues, erw
eitertesTerritorium
noch einen homogenen Kom
munikationsraum
, wie es uns die A
po-
logeten der Globalisierung via Internet G
lauben machen w
ollen. Vielmehr w
irderkennbar, dass die Transport-M
etapher von Komm
unikation zu kurz greift.U
m Verständigung zu erzielen, also den Sinn des G
esagten, Geschriebenen,
Abgebildeten usw
. zu verstehen, ist die möglichst störungsfreie m
edientechni-sche Ü
bermittlung nur eine notw
endige, aber noch keine hinreichende Voraus-setzung. D
ie Ausw
eitung der technischen Reichweite, die „Extensions of M
an“(M
cLuhan 19
64
) und die homogene „Versorgung“ eines Territorium
s mit M
edi-entechniken können die U
nwahrscheinlichkeit gelingender Kom
munikation er-
höhen, aber sie führen nicht automatisch zu m
ehr oder zu besserer Verständi-gung.
Aus den lokalen G
emeinschaften kopräsenter M
enschen entwickelten sich im
Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende ausdifferenzierte moderne G
esell-schaften, deren Kom
munikationsbedarf stieg und deren K
omm
unikationsräu-m
e vielschichtiger wurden: Raum
dimension und Beziehungsdim
ension ent-koppeln sich durch Fernkom
munikation, ohne ihre Bedeutung vollständig ein-
zubüßen: Wer schreibt und liest, hört deshalb noch nicht auf zu sprechen und
zu hören. Nicht allein die Erw
eiterung des Territoriums ist das Ergebnis von
Kom
munikation, sondern seine Ö
ffnung und seine Re-Konfiguration. Kom
-m
unikation integriert Menschen lokal und sozial – über Territorien hinw
eg.W
er komm
uniziert, kann zugleich M
itglied einer territorialen Gem
einschaftund Teil einer nicht-territorialen Beziehung sein. D
ie Identität sozialer Grup
-pen und G
emeinschaften ist unter Bedingungen räum
licher und zeitlicherFernkom
munikation (Telekom
munikations- und Speicherm
edien) nicht mehr
allein an das Hier und jetzt des Territorium
s gebunden. Sie ist das Resultatvon H
ier und Dort (Edm
und Husserl), das Produkt von Entgrenzung (kom
mu-
nikativer Verbindung) und von Abgrenzung (W
ahrnehmung von K
ontingenz).
Erst die Wahrnehm
ung von Grenzen lässt das „eigene“ Territorium
erkennen;sinnvoll w
ird der Begriff erst im Plural. D
er leere Raum der M
athematik, die
aristotelische Vorstellung des Raumes als G
efäß (Braun 19
96
: 30
) hat wenig
gemein m
it dem „erlebten Raum
“ (Bollnow) unseres sozialen A
lltags. Der er-
lebte Raum ist nicht nur ein a priori individueller sozialer Erfahrung, sondern
als Korrelat an das Subjekt gebunden:
Da
s Gerä
usc
h d
er P
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z - R
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io in
der R
eg
ion
32
33
Beck: Te
rritoria
lität v
on
Kom
mun
ika
tion
„Das bedeutet ..., daß der Raum
nicht unabhängig vom M
enschen einfach daist. Es gibt einen Raum
nur, insofern der Mensch ein räum
liches, d.h. ein Raumbildendes und Raum
gleichsam um
sich aufspannendes Wesen ist“ (Bollnow
19
97
: 23
).
Der M
ensch, so Jean Paul Sartre, „wird nicht durch seine Beziehungen zu den
Orten situiert, durch seinen Längen- und Breitengrad: er situiert sich in ei-
nem m
enschlichen Raum“. (Sartre 1
96
2: 3
92
) Das Territorium
des handeln-den und kom
munizierenden M
enschen ist also – entgegen unserer naivenA
lltagsvorstellung – kein objektiver, leerer Raum, den es zu füllen gälte. V
iel-m
ehr ist er „ein Mittleres zw
ischen »Gegenstand« und »A
nschauungsform«,
weder ein subjektunabhängiger Behälter, noch ein bloß subjektiver Entw
urf“(Bollnow
19
97
: 27
4). Raum
ist ein dialektisches Konstrukt, das Resultat von
sozialen „Strukturierungsprozessen“ (Giddens 1
99
5): Einerseits w
erden wir
in einen durch die vergangenen Handlungen und K
omm
unikationen andererM
enschen aufgespannten Raum hineingeboren, andererseits situieren w
ir unsselbst in ihm
, wir reproduzieren und m
odifizieren den menschlichen Raum
,d
er in der Fo
lge unseren H
and
lungen und
Ko
mm
unikatio
nen wied
erumG
renzen setzt. Der m
enschliche Raum ist, w
eil wir soziale und kom
munizie-
rende Wesen sind, ein intersubjektiver Raum
, der sich zwischen ego und alter
aufspannt. Und: Er ist kein fester, klar um
grenzter Behälter, sondern ein dy-nam
isches Sozialgebilde, das durch Interaktion und Kom
munikation im
mer
wieder aufs N
eue entgrenzt und begrenzt wird. K
omm
unikation und Territori-um
stehen also in einem dialektischen W
echselspiel, das durch die Art und
Weise unserer Kom
munikation und der verw
endeten Medien variiert w
ird.
Die Intersubjektivität des m
enschlichen Raumes, von Kant als die M
öglichkeitdes Beisam
menseins bezeichnet, dient dem
Soziologen Georg Sim
mel als A
us-gangspunkt für die A
nalyse der „Raumbedingungen einer Vergesellschaftung“.
Gruppen und Individuen erlangen durch Ein- und A
usgrenzung innere Ge-
schlossenheit für sich (Identität), die durch die Raumgrenze als Territorium
„sym-
bolisiert“ (Simm
el) wird. D
istanz und Nähe beeinflussen die soziale Beziehung,
doch ist es möglich „durch die M
ittel des indirekten Verkehrs und noch mehr
durch die Phantasie ... die Bedingungen von Zeit und Raum in einer oft m
ys-tisch erscheinenden W
eise“ (Simm
el 19
83
: 23
2) zu überw
inden: Auch räum
-lich distanzierte Personen als zusam
mengehörig und benachbarte als nicht zu-
samm
engehörig zu erkennen, ist eine kulturelle Leistung, die ohne Medien nicht
gelingen kann.
3H
ier u
nd
Dort?
3.1
Vom G
espräch zum Ferngespräch
Die U
nterscheidung von Hier und D
ort, zugleich hergestellt und aufgehobendurch den Transport m
aterieller Speichermedien, bezeichnet nicht nur eine
räumliche, sondern auch eine zeitliche D
ifferenz. Die Ü
berwindung räum
licherD
istanz zwischen K
omm
unizierenden in „Echtzeit“, also ohne Zwischenspei-
cherung und Transport materieller Trägerm
edien, ermöglichte die Telefonie.
Von den Zeitgenossen vielfach als „mystisch“ (Sim
mel 1
98
3: 2
32
) empfunden,
löste sich die Stimm
e vom K
örper (Gestik, M
imik, Proxem
ik), die Ruf- und Hör-
weite vergrößerte sich schrittw
eise: Anfangs bedeutete Ferngespräch de facto
lediglich Ortsgespräch. D
ie zunehmende A
rbeitsteilung, eine Ausdehnung der
Handels- und G
eschäftsbeziehungen und die vor allem in Industriem
etropolenw
ie Berlin beobachtbare Trennung von Wohn- und A
rbeitsort im N
ahraum hat-
te zu einer Ausw
eitung des gemeinschaftlichen, insbesondere des städtischen
Territoriums geführt. Effiziente Kooperation im
Wirtschaftsleben und die Pflege
sozialer Beziehungen erforderten parallel zur Errichtung neuer Nahverkehrs-
systeme eine synchrone Ü
berwindung von D
istanzen, die durch Telegrafie,Briefverkehr und Rohrpostsystem
e nicht länger befriedigend bewerkstelligt w
er-den konnte (vgl. Beck 1
98
9: 4
5-7
5).
Unter den Bedingungen des neuen K
omm
unikationsmedium
s jedoch verän-derte sich dann auch das gesellschaftliche Verständnis des Raum
s: Nähe w
arnicht länger an physische N
achbarschaft gebunden; Distanz nicht länger aus-
schließlich eine Frage der Transportgeschwindigkeit. D
er Werbeslogan einer
US-Telefongesellschaft: „Reach out, and touch som
eone“, beschreibt das Ent-stehen „künstlicher N
achbarschaften“. Die instantane Punkt-zu-Punkt-Verbin-
dung zweier Kom
munikanden löst die Beziehungs-D
yade tendenziell vom O
rt„als M
öglichkeit des Beisamm
enseins“ (Kant nach Simm
el 19
83
: 22
2). G
leich-w
ohl wird das Territorium
deshalb nicht bedeutungslos, der Raum w
ird nichtzum
„virtuellen Raum“: Bis heute führen w
ir ganz überwiegend O
rtsgesprächeoder gar H
ausgespräche; die meisten Telefonate gelten w
ohl noch imm
er Men-
schen, mit denen w
ir zuvor und/oder nach dem Telefonat ortsgebunden „Face-
to-face“ kom
munizieren. Telefonkom
munikation ist in hohem
Maße Vorläufer-
oder Anschlusskom
munikation für ortsgebundene Verständigung. Zu einem
–ökologisch durchaus w
ünschenswerten – Rückgang physischer M
obilität hatdie Telekom
munikation bislang nicht geführt, verm
utlich trifft sogar das Ge-
genteil zu.
Der konkrete O
rt der Komm
unikation ist beim Telefonat allerdings nicht m
ehrzu bestim
men: Ist es der O
rt des Anrufers, der des A
ngerufenen, die Vermitt-
lungsstelle, ein virtueller Ort zw
ischen den Anrufer und A
ngerufenem? Brief
und Telefonat stellen selektive und transitorische Punkt-zu-Punkt-Verbindungen
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zwischen (in der Regel) zw
ei Komm
unikanden her, die noch keine Einheit desRaum
es begründen. Die Vorstellung