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4 Dienstag, 19. November 2019 Winterthur Fabio Lüdi 43 Franken. Dafür schlagen zwei junge Erwachsene den Winter- thurer Josef Wartenweiler nieder und verletzen ihn mit einem Messer. Die Stiche treffen ihn im Brustbereich, dort, wo Herz und Lungen sind. Der Fall ist eines derVorkommnisse, die Regisseu- rin Eveline Falk im neuen SRF- DOK-Film «Bedrängt. Bedroht. Geschlagen – Alltägliche Gewalt auf der Strasse» porträtiert. Die Prämisse ist so einfach wie verstörend: Die Gewalt nimmt zu. Laut SRF werden in der Schweiz täglich fast 85 Straf- taten im Gewaltbereich verzeich- net. «Warum?», fragt die DOK- Regisseurin. Angesichts der auf- gezeigten Beispiele wirkt die Frage beinahe hilflos. So ist Josef Wartenweiler kein gezieltes Opfer. Er ist einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort. Auf dem Nachhauseweg lauern ihm die beiden Täter in der Nähe des Hauptbahnhofs auf. «Sie ha- ben auf eine männliche Person gewartet, die allein ist», sagt Wartenweiler vor der Kamera. Die unscharfen Bilder von Überwachungskameras zeigen den Haupttäter, wie er mit dem Geld flüchtet. Sie werden später helfen, ihn zu überführen. Der- weil sucht sein Opfer Hilfe bei einem Polizeiposten. Die Video- kamera dort zeigt einen Mann, der sichtlich unter Schock steht. In seinem T-Shirt klafft deutlich ein Loch, rot eingefärbt vom Blut. Dass er verletzt ist, realisiert er erst, als ein Polizist ihn bittet, das Shirt anzuheben. Gewalt als Erlebnis Geld ist nicht das einzige Motiv der Täter. Der Hauptschuldige wollte schlicht erleben, wie es sei, jemanden niederzuschlagen. Fast unerträglich hallt das War- um in der Erzählung des Opfers und den Originalbildern nach. Und da spielt Regisseurin Falk ihren Trumpf aus: Sie holt nicht nur Opfer, sondern auch Täter vor die Kamera. Der heute 22-jährige Haupt- täter hat heute zwei Jahre seiner über fünfjährigen Haftstrafe hin- ter sich. Er gibt das Bild ab eines jungen Mannes, der sich noch nicht so recht zurechtfinden will in der Erwachsenenwelt. Als hät- te man Kriegsrecht auf einen Bu- benstreich angewandt. Redet er über sein Opfer, spricht er vom «Herrn Wartenweiler». Seit er 14 Jahre alt gewesen sei, sei er auf sich gestellt gewesen. In seinem Leben habe es nie je- manden gegeben, der ihn auf das Erwachsenwerden vorbereitet habe, resümiert er in der Haftan- stalt. «Ich wusste immer, was ich getan habe», sagt der junge Mann. «Aber welches Ausmass meine Taten hatten, für alle Be- teiligten, das war mir damals nicht bewusst.» Damals, das war vor seiner Haft. Erst im Gefäng- nis habe er realisiert, was er an- gerichtet habe. Er erzählt eine Geschichte, wie sie viele kennen, die Gewalt ausüben. Bekannte Muster So wie der Rapper aus Altstät- ten SG. Auch seine Geschichte zeigt vertraute Muster: zerrüt- tete Familienverhältnisse, häus- liche Gewalt, keine Struktur und auf sich gestellt. Mit 14 schlug er das erste Mal zu. «Ich hatte kei- nen Status in der Gesellschaft, keinen Schulabschluss, keine Lehre», sagt er. «Ich hatte nur das.» Damit meint er seinen Stolz. Ein «falscher» Stolz sei das gewesen, bilanziert der geläuterte Gewalttäter rückbli- ckend. Heute findet er in seiner Musik ein Ventil. Das musste er allerdings erst finden. Solche Muster gibt es auf der Opferseite ebenfalls. Etwa bei der jungen Frau aus Dübendorf. Nach einer Attacke auf sie frag- te sie sich, ob sie etwas Falsches, etwas «Freches» gesagt habe. Ob sie die falschen Kleider getragen habe. Heute kann sie das vernei- nen. Aber die Opfer-Täter-Um- kehr, dieser Reflex, um eine Er- klärung im Unerklärlichen zu finden, ist stark. Opfer als Täter Und er kann fatal sein. Dann, wenn er zum Wegbereiter wird für Gewalt. Das kann schneller passieren, als gerne angenom- men wird. Ein Zürcher Partygän- ger etwa reagiert auf die Anek- dote, wie eine Frau im Ausgang belästigt wurde, mit den Worten: «Es kommt immer darauf an, wie sich eine Frau anzieht.» Der DOK-Film wirft ein Schlaglicht auf ein Problem, das zuletzt um die Jahrtausendwen- de Konjunktur hatte. Die Gewalt- thematik ist zweifelsohne aktu- ell, akut, könnte man nach dem Beitrag meinen. Ganz so ratlos, woher die Gewalt kommt, ist man allerdings nicht. Die Mus- ter, die zu Gewalt führen, sind nicht erst seit gestern bekannt. Niedergestochen für 43 Franken: DOK-Film porträtiert Winterthurer Raub-Fall Gewalt Ein neuer DOK-Film von SRF zeigt das Ausmass alltäglicher Gewalt in der Schweiz. Einer der porträtierten Fälle ereignete sich in Winterthur. Das Besondere: Nicht nur das Opfer spricht vor der Kamera. Am Donnerstag wird er das erste Mal ausgestrahlt. Die Überwachungskamera des Polizeipostens hält fest, wie die Polizei Josef Wartenweiler vorfindet. Erst jetzt realisiert der Winterthurer, dass er verletzt ist. Foto: Screenshot DOK-Film

Niedergestochenfür43Franken: … · «Entstaubung». Mit wenigen, oberflächlichen Eingriffen soll dieStimmungimHauswohnli-cherwerden. Vor allem das Treppenhaus unddieEingangsbereichestehen

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  • 4 Dienstag, 19. November 2019

    Winterthur

    Fabio Lüdi

    43 Franken.Dafür schlagen zweijunge Erwachsene den Winter-thurer JosefWartenweiler niederund verletzen ihn mit einemMesser. Die Stiche treffen ihn imBrustbereich, dort,wo Herz undLungen sind. Der Fall ist einesderVorkommnisse, die Regisseu-rin Eveline Falk im neuen SRF-DOK-Film «Bedrängt. Bedroht.Geschlagen – Alltägliche Gewaltauf der Strasse» porträtiert.

    Die Prämisse ist so einfachwie verstörend: Die Gewaltnimmt zu. Laut SRF werden inder Schweiz täglich fast 85 Straf-taten imGewaltbereich verzeich-net. «Warum?», fragt die DOK-Regisseurin.Angesichts der auf-gezeigten Beispiele wirkt dieFrage beinahe hilflos.

    So ist JosefWartenweiler keingezieltes Opfer. Er ist einfach nurzur falschen Zeit am falschenOrt.Auf dem Nachhauseweg lauernihmdie beidenTäter in derNähedes Hauptbahnhofs auf. «Sie ha-ben auf eine männliche Persongewartet, die allein ist», sagtWartenweiler vor der Kamera.

    Die unscharfen Bilder vonÜberwachungskameras zeigenden Haupttäter, wie er mit demGeld flüchtet. Sie werden späterhelfen, ihn zu überführen. Der-weil sucht sein Opfer Hilfe beieinem Polizeiposten. Die Video-kamera dort zeigt einen Mann,der sichtlich unter Schock steht.In seinemT-Shirt klafft deutlichein Loch, rot eingefärbt vomBlut.Dass er verletzt ist, realisiert ererst, als ein Polizist ihn bittet, dasShirt anzuheben.

    Gewalt als ErlebnisGeld ist nicht das einzige Motivder Täter. Der Hauptschuldigewollte schlicht erleben,wie es sei,jemanden niederzuschlagen.Fast unerträglich hallt das War-um in der Erzählung des Opfersund den Originalbildern nach.Und da spielt Regisseurin Falkihren Trumpf aus: Sie holt nichtnur Opfer, sondern auch Tätervor die Kamera.

    Der heute 22-jährige Haupt-täter hat heute zwei Jahre seiner

    über fünfjährigenHaftstrafe hin-ter sich. Er gibt das Bild ab einesjungen Mannes, der sich nochnicht so recht zurechtfindenwillin der Erwachsenenwelt.Als hät-teman Kriegsrecht auf einen Bu-benstreich angewandt. Redet erüber sein Opfer, spricht er vom«HerrnWartenweiler».

    Seit er 14 Jahre alt gewesen sei,sei er auf sich gestellt gewesen.In seinem Leben habe es nie je-manden gegeben, der ihn auf dasErwachsenwerden vorbereitethabe, resümiert er in derHaftan-stalt. «Ichwusste immer,was ich

    getan habe», sagt der jungeMann. «Aber welches Ausmassmeine Taten hatten, für alle Be-teiligten, das war mir damalsnicht bewusst.» Damals, daswarvor seiner Haft. Erst im Gefäng-nis habe er realisiert, was er an-gerichtet habe. Er erzählt eineGeschichte,wie sie viele kennen,die Gewalt ausüben.

    BekannteMusterSo wie der Rapper aus Altstät-ten SG. Auch seine Geschichtezeigt vertraute Muster: zerrüt-tete Familienverhältnisse, häus-

    liche Gewalt, keine Struktur undauf sich gestellt. Mit 14 schlug erdas erste Mal zu. «Ich hatte kei-nen Status in der Gesellschaft,keinen Schulabschluss, keineLehre», sagt er. «Ich hatte nurdas.» Damit meint er seinenStolz. Ein «falscher» Stolz seidas gewesen, bilanziert dergeläuterte Gewalttäter rückbli-ckend. Heute findet er in seinerMusik ein Ventil. Das musste erallerdings erst finden.

    Solche Muster gibt es auf derOpferseite ebenfalls. Etwa bei derjungen Frau aus Dübendorf.

    Nach einer Attacke auf sie frag-te sie sich, ob sie etwas Falsches,etwas «Freches» gesagt habe.Obsie die falschen Kleider getragenhabe.Heute kann sie das vernei-nen. Aber die Opfer-Täter-Um-kehr, dieser Reflex, um eine Er-klärung im Unerklärlichen zufinden, ist stark.

    Opfer als TäterUnd er kann fatal sein. Dann,wenn er zum Wegbereiter wirdfür Gewalt. Das kann schnellerpassieren, als gerne angenom-menwird. Ein Zürcher Partygän-

    ger etwa reagiert auf die Anek-dote, wie eine Frau im Ausgangbelästigtwurde,mit denWorten:«Es kommt immerdarauf an,wiesich eine Frau anzieht.»

    Der DOK-Film wirft einSchlaglicht auf ein Problem, daszuletzt um die Jahrtausendwen-de Konjunktur hatte. Die Gewalt-thematik ist zweifelsohne aktu-ell, akut, könnte man nach demBeitrag meinen. Ganz so ratlos,woher die Gewalt kommt, istman allerdings nicht. Die Mus-ter, die zu Gewalt führen, sindnicht erst seit gestern bekannt.

    Niedergestochen für 43 Franken:DOK-Film porträtiertWinterthurer Raub-FallGewalt Ein neuer DOK-Film von SRF zeigt das Ausmass alltäglicher Gewalt in der Schweiz. Einer der porträtierten Fälle ereignete sichinWinterthur. Das Besondere: Nicht nur das Opfer spricht vor der Kamera. Am Donnerstag wird er das erste Mal ausgestrahlt.

    Die Überwachungskamera des Polizeipostens hält fest, wie die Polizei Josef Wartenweiler vorfindet. Erst jetzt realisiert der Winterthurer, dass er verletzt ist. Foto: Screenshot DOK-Film

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    Mit einem Inserat im «Landbo-ten» vom Samstag haben dieStadt Winterthur und die Kan-tonsschule Rychenberg für den26. November zu einer öffentli-chen Gedenkfeier für den am 13.OktoberverstorbenenAlt-Stadt-präsidenten Martin Haas einge-laden. Gefeiert undAbschied ge-nommen wird in der Aula desGymnasiums, an dem Haas vorseiner Zeit als Stadtrat und -prä-sident 19 Jahre lang als Ge-schichtslehrer gewirkt hatte.

    DerAnlass, an demder Stadt-präsident ein Grusswort undKantonsratspräsident DieterKläyeineWürdigung vorträgt, ist, ob-schon stimmig organisiert, eher

    ungewöhnlich. Denn für einePerson des öffentlichen Lebenssieht das Protokoll eigentlicheine Trauerfeier in der Stadtkir-che (oder der Kirche Sankt Peterund Paul) vor, wie zum Beispielvor einem Jahr beim ebenfallsverstorbenen Ex-Stadtpräsiden-ten UrsWidmer.Warum also dieGedenkfeier im Gymnasium?

    Künzles kleiner AusschussStadtpräsident Michael Künzlebringt Licht in dieAngelegenheit.Nachdem die Angehörigen sichfür einen Abschied im kleinenKreis entschieden hatten – wasin jedem Fall zu respektieren sei–, hätten sich ehemalige Schüler

    vonHaas gemeldet.Offenbarwarbei vielen derWunsch gross, demfrüheren Lehrer und Stadtpräsi-denten Adieu zu sagen. Künzlefand die Idee einer Gedenkfeierunterstützungswürdig und bil-dete einen kleinen Ausschuss –mit Arthur Frauenfelder, demfrüheren Stadtschreiber,mit Na-thalie Gauer von der Stadtkanz-lei, mit dem Rektor der KS Ry-chenberg, Christian Sommer,und mit zwei Söhnen von Mar-tin Haas, Philipp und LorenzHaas. Die Feier in der Rychen-berg-Aula am Dienstag in einerWoche beginnt um 17Uhr, es gibteine musikalische Umrahmungund einen Apéro. (mcl)

    Ein öffentliches Adieu für Martin HaasAbschied Frühere Schüler undWeggefährten haben für denverstorbenen Alt-Stadtpräsidenten eine Gedenkfeier organisiert. Adventszeit Es gilt allmählichernstmitWeihnachten:Amkom-

    menden Freitag wird in der Alt-stadt die Festtagsbeleuchtungeingeschaltet und der Weih-nachtsmarkt imNeumarkt eröff-net. Gleichzeitig, und damit eineWoche früher als sonst, startetdas traditionelle Rösslitram indieAdventssaison. Start und Zielliegen wie immer am Untertor(Höhe Migros-Bank). GefahrenwirdvonDienstag bis Freitag von14 bis 17 Uhr, am Samstag schoneine Stunde früher.An den Sonn-tagsverkäufen am 15. und 22.De-zember sitzt zusätzlich ein Ge-schichtenerzählermit imWagen.Gratistickets gibt es in denUnter-tor-Geschäften. Sie haben dasTram vor 51 Jahren als Marke-tingmassnahme initiiert undsind ihm treu geblieben. (mcl)

    Rösslitram«reloaded»

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    DER BERUFSMESSE ZÜRICH

    19.–23.11.2019MESSE ZÜRICH

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    5Dienstag, 19. November 2019

    Winterthur

    Marc Leutenegger

    Es ist eine Pinselrenovation, aberauch mehr, was die ReformierteKirchgemeinde Stadt mit ihremSorgenkind, dem Kirchgemein-dehaus an der Liebestrasse, vor-hat.Alfred Frühauf, Präsident derKirchgemeinde, spricht von «at-mosphärischen Massnahmen»,einer «Auffrischung», ja einer«Entstaubung». Mit wenigen,oberflächlichen Eingriffen solldie Stimmung im Haus wohnli-cher werden.

    Vor allem das Treppenhausund die Eingangsbereiche stehenzurDisposition.Hier sollen neueFarben und eine freundlichereBeleuchtung den kalten, monu-mentalen Charakter der Archi-tektur brechen. Und es soll ein

    Café geben, das gleichzeitig alsEmpfang dient – was auch per-sonelle Synergien ermöglicht.

    Die Massnahmen zielen dar-auf ab, wieder mehr Leben insHaus zu bringen, dessenWeiter-betrieb nach jahrelangen Defizi-ten zeitweise infrage stand. ZweiDrittel externe Vermietungenund ein Drittel eigene Nutzun-gen, lautet die nun gefasste Ziel-vorgabe.

    Die Planer ausgewechseltEntworfen hat das Konzept fürdieses «Remake», wie man Neu-deutsch sagt, die Denkstatt Sàrl.Das Basler Beratungsunterneh-men ist in Winterthur keine Un-bekannte. Es hat schon die Ent-wicklungdes Lagerplatzes beglei-tet und ist an derUmnutzung der

    Halle 53 beteiligt. Die neuen Plä-ne wurden an der Kirchgemein-deversammlung im letzten Früh-ling zum erstenMal skizziert. ImSommer hätte die Gemeindedannüber einen Investitionskre-dit abstimmen sollen. Doch dieausserordentliche Versammlungwurde ausgesetzt. Laut Frühaufstellte sich heraus, dass die geo-grafischeDistanzdie Zusammen-arbeitmit demBaslerBeratungs-unternehmen erschwerte.Darumsuchteman sich einenneuenPro-jektleiter – und fand ihn in UrsWäckerlig vom WinterthurerArchitekturbüroZollinger,derdieKirchgemeinde ohnehin schon inBaufragen berät.

    DerKredit über 290000 Fran-ken ist nun für die Gemeindever-sammlung vom nächsten Don-

    nerstag traktandiert. Frühaufspricht von einem«Kostendach»,das den Rahmen der Planungvorgibt. Die Details müssten inenger Absprache mit der Denk-malpflege erarbeitet werden.Frühaufwill allerdings vorwärts-machen: «Wirwollen versuchen,für die Arbeiten die nächstenSommerferien zu benutzen,weildas Haus dann nicht so gut be-legt ist – vielleicht ist das etwasoptimistisch.»

    DieMieter sind zurückZuletzt war die Kirchgemeindemit ihremVeränderungsprozessschleppend vorangekommen.Das trug ihr auch Kritik ein,weilsowohl der reformierte Stadtver-band als auch die politische Stadteinen Beitrag ans jährliche Defi-

    zit gezahlt hatten, um einenNeu-anfang zu ermöglichen. Unter-dessen sehen dieAussichten bes-ser aus. Durch den Verzicht aufdie Gastronomie seien die Per-sonalkosten gesunken, sagtFrühauf. LangjährigeMieter, diein der Phase der Unsicherheitauswärts Räume gebucht hatten,seien zurückgekehrt. Das Ziel,dass die externenVermietungenselbsttragend werden, liegt of-fenbar in Griffweite.

    Nach dem eher erfolglosenVersuch, das Kirchgemeindehausals Kongresshaus zuvermarkten,ist das neue Konzept für Frühaufauch eine Art Rückkehr zu denWurzeln. Das Haus sei in seinerGeschichte stets kirchlich undausserkirchlich genutzt worden,sagt er. «Es war immer auch ein

    Haus derStadt.» Gerade sei er ansJahreskonzert des Musik-CorpsAlte Garde Winterthur eingela-den gewesen, das im Festsaal ander Liebestrasse stattgefundenhat. «Da bekamenwirviel Lob fürunser Kirchgemeindehaus.»

    Der Versammlung vom Don-nerstagwolle er nicht vorgreifen,sagt Frühauf. Der Weiterbetriebscheint in der Gemeinde aberweitgehendunbestritten. «Es hateine eindeutige Willensbildungstattgefunden»,sagt er. «Wirwol-len auf diesem Weg weiterma-chen. Es gibt keine Alternative.»

    Kirchgemeindeversammlung derReformierten KirchgemeindeStadt, Donnerstag, 21. November,19.30 Uhr, im KirchgemeindehausLiebestrasse 3 (grüner Saal).

    Atmosphärische Eingriffe an der LiebestrasseAufwertung Mehr Licht, freundlichere Farben und ein Café als Treffpunkt und Empfang – so lautet das Rezept,mit dem die Reformierte Kirchgemeinde Stadt das defizitäre Kirchgemeindehaus Liebestrasse attraktiver machen will.

    «Mein Eisleben begann im No-vember 1976», sagt Fritz Morf.«Eisleben» – das ist keine Über-treibung. Seit 43 Jahren gehörtMorf zurWinterthurer Eisflächewie die Schlittschuhe, die daraufihre Kreise ziehen. Heute ist der63-Jährige Betriebsleiter der Eis-halle Deutweg. Begonnen hat erals DJ auf demZelgli.Dazwischentrug er lange die schlichte Be-zeichnung, die ihnwohl am pas-sendsten beschreibt: Eismeister.

    Bäckermit TechnikflairGeplant war Morfs Weg eigent-lich aufweniger rutschigen Bah-nen. Aufgewachsen in Neuburgoberhalb vonWülflingen, lernteer Bäcker und Konditor in dernahe gelegenen Bäckerei Lyner.«Ich war ein bisschen ein Exot.Sonst gingen vor allem Bäckers-söhne in den Beruf», erinnert ersich. Lebensmittel fasziniertenihn –mehrnoch aberdieMaschi-nen, die im Betrieb zum Einsatzkamen. Funktionierte eine nicht,zerlegte er sie kurzerhand undsorgte dafür, dass dieArbeit baldweitergehen konnte. Seine Leh-re schloss er als Zweitbester imKanton Zürich ab.Dann kam ihmeine Mehlallergie in die Quere.

    Fortan fiel Morf als Ruhestö-rerauf – zumindestwenn es nachden Anwohnern der damaligenEisbahnZelgli ging.Mit Lautspre-chern und einem Plattenspielerbeschallte er amWochenende dieSchlittschuhbegeisterten, in der«Sommernachtsdisco» auchmaldie weniger Rutschfesten. Nochsollten einige Umwege in seinerZukunft liegen – als Kellner, alsglückloser Betreiber des Restau-rants im SchwimmbadWolfens-berg, als LastwagenchauffeurbeiderToni-Molkerei.Doch danebenbahnte sich auf demZelgli bereitssein Umstieg vom DJ zu seinerwahren Berufung an.

    Badenmit demBärenIn seiner Freizeit zog es Morfzum Zirkus, er bekam Unter-richt bei einem Dompteur – undhielt sich gar, mit Segen desdamaligen Direktors des Züri-Zoos, selbst einen AsiatischenSchwarzbären zuHause. «So binich zumeinem ersten ‹Landbote-Artikel› gekommen», sagt er undlacht. «Ich binmitmeinemBären

    in die Töss baden gegangen. Dasist bei der Polizei nicht so gut an-gekommen.» Den Bären, der ihminzwischen auch über den Kopfgewachsen war, musste er da-raufhin an einen Zoo abgeben.

    ImZelgli übernahmMorf der-weil die Stelle des Eismeisters,erst aushilfsweise, dann vollbe-ruflich.Mehr als 25 Jahrewird erdort bleiben, bis die Eisbahn2002 der Eishalleweichenmuss.Geschätzt hat er vor allem denfamiliären Umgang im Betrieb

    und den engen Kontakt mit denGästen. «Aber das Medium Eishatmich schon auch interessiert.Das ist nicht einfach nur gefro-renesWasser.»

    Für Morf wurde das Eis baldschon eine neueHeimat.Auf demZelgli lernte er seine spätere Fraukennen, ihre Mutter arbeitete imRestaurant der Eisbahn. Späterwohnt die junge Familie gleichnebenan. «Unsere Kinder sindauf der Eisbahn aufgewachsen»,sagt Morf. Sein ältester Sohn,

    auch er ein Fritz Morf, richtetschon als Jugendlicher mit denHilfseismeistern die gefroreneFläche her. «Ich habe ihnen ein-fach gesagt, sie sollen aufpassen,dass er amSchluss nicht das bes-sere Eis macht als sie.» Heutearbeitet auch der Junior, inzwi-schen gelernter Elektromonteur,im Team der Eishalle Deutweg –und empfiehlt sich als Nachfol-ger, wenn sein Vater nach Ab-schluss dieser Saison den Schlüs-sel fürdie Eismaschine endgültig

    an denHaken hängt. «Das ist na-türlich nicht meine Entschei-dung», so Morf senior. «Aber erhat mich auch schon vertreten,als ich ausgefallen bin, und hatgezeigt, dass er das kann.»

    Bevor es aber soweit ist,wirdMorf sein Team noch eine letzteSaison langmit all seiner Erfah-rung unterstützen. Dabei gilt esauf einiges zu achten: «Für Spie-lemuss das Eis kälter sein als fürTrainings, für Kinderwärmer alsfür Erwachsene, für das Eis-

    kunstlaufen anders als fürs Eis-hockey. Wie viel Publikum imHaus ist und was draussen fürBedingungen herrschen, spieltebenfalls eine Rolle», erklärt er.

    Plötzlich AssistenzarztAuchNothilfe gehört bei ihm zurStellenbeschreibung. «Die Leutesind sich oft nicht bewusst, dasssie an jedemFuss eineWaffe tra-gen», sagt Morf. Früher sei er oftmit den Verletzten gleich selbstin den Notfall gefahren. Mit derZeit habeman ihn dort so gut ge-kannt, dass er einmal, als er miteinemEishockeyaner ankamundwenig Personal da war, gleichzumMithelfen aufgefordertwur-de. «So bin ich für kurze Zeit zumAssistenzarzt geworden, undwirhaben ihn zu zweit wieder zu-sammengeflickt.» Auch selbstträgt er Spuren davon – vomPuck, der seinen Backenknochengebrochen hat, bis zu einem ge-sprungenen Stück Plexiglas, dasihm vier Zähne ausschlug.

    Das Zelgli vermisst er nochmanchmal – trotz prekärer Platz-verhältnisse. «Wir haben jeweilsgescherzt: Jedem sein obligato-rischer Quadratmeter. Aber da-für hatte es eine persönliche At-mosphäre, die heute fehlt.»Trotzdem ist er stolz auf die neueEishalle, die er schon in der Pla-nung mitgeprägt hat. Nur dasser es nicht mehr geschafft hat,eine Überdachung für dasAussenfeld zu organisieren, reutihn. «Mit der Klimaerwärmungwird es immer schwieriger, eineEisbahn draussen zu unterhal-ten.Mit einemDach könntenwirdie Hälfte der Energie sparen.»

    Diese Aufgabe will Morf nunseinem Nachfolger überlassen.«43 Jahre auf dem Eis sind ge-nug», sagt er. Er freue sich dar-auf, baldwiedermehr Zeit in derNatur zu verbringen.Auchwennes darum geht, die Schlittschu-he anzuschnallen, findet er: «FürStädter ist die Eisbahn gut. Abermir fehlt da dieWeite.» Ihn selbstzieht es deshalb nur aufs Natur-eis – zuletzt vor Jahren auf denPfäffikersee. Ob es noch einmalfür ein paar Runden reicht, lässter offen: «Vielleicht gefriert jawieder mal ein See.»

    Jonas Keller

    Eine letzte Saison für denMeister des EisesPorträt Vierzig Jahre lang hat Fritz Morf dafür gesorgt, dass inWinterthur Schlittschuh gelaufen werden kann. Ende Saison tritt er ab.

    Die Eisbahn gehört zum Leben von Fritz Morf. Selbst bevorzugt er gefrorene Seen. «Ich brauche die Weite», sagt er. Foto: Madeleine Schoder