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nord°lichtDas Magazin der BLG LOGISTICS · 01/2017
Auto°magischDie Intelligenz der Fahrzeuge und des Menschen Nutzen.
Copyright: Die im Magazin enthaltenen
Beiträge sind urheberrechtlich ge-
schützt. Alle Rechte werden vorbe-
halten. Hinweis: Redaktionelle Beiträge
geben nicht unbedingt die Meinung
des Herausgebers wieder.
Impressum°
Herausgeber
Frank Dreeke
BLG LOGISTICS GROUP AG & Co. KG
Präsident-Kennedy-Platz 1
28203 Bremen
Redaktion
Andreas Hoetzel (v. i. S.d.P.)
Redaktionelle Beratung
rethink GmbH, Berlin
Gestaltung und Realisierung
Focus Werbeagentur GmbH, Bremen
Druck
Müller Ditzen AG, Bremerhaven
S. 04
S. 08
S. 16
S. 22
S. 26
S. 32
S. 36
S. 42
Der Erste, der es clever macht …° Wohin fährt’s? Wie Auto, Automatisierung und Autonomie
digital gesteuert zueinanderfinden.
Die Logistik der Zukunft° Müll unterirdisch, Pakete überirdisch: Zukunftsweisende Systeme,
die Verkehrsnetze vor dem Zerreißen bewahren.
Fischmarkt Tokyo°So viel zu „Thun“: Frisch eingefangene Impressionen vom
Tsukiji-Markt – der größten Fischbörse der Welt.
Die BLG-Welt°All in: Hohe Ziele in Flachwaggons, Hafen-Handling in
St. Petersburg, Auszeichnungen in Serie, Neugeschäft in
Berlin, Geschäftszuwachs in XL.
St. Pauli Club°Der irrlichternde Udo Lindenberg eröffnet auf der Reeper-
bahn sein eigenes Museum – ein Gebäude, das mit einem
einmaligen Beleuchtungskonzept glänzt.
Ein Tag im Leben …° Fingerspitzengefühl am Fuß: Damit Berliner Künstler in Oper,
Ballett und Film immer gut dastehen, fertigt Sophie Jentzsch
für sie perfekte Maßschuhe an.
Im Gespräch …° Maximal ist das Mindeste: Für die Lürssen-Werft sind Super-
lative mittlerweile Standard. Über größte Yachten, größte
Chancen und größere Aufträge in unruhigen Zeiten.
Genuss zum Schluss° Muss man nicht ganz neidlos anerkennen: Die Bayern
verstehen viel von gutem Essen. Am Königssee rundet
zusätzlich eine einmalige Kulisse den Genuss ab.
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Inhalt°
Von oben sieht er aus wie ein Patchwork-Teppich, gewebt aus
Stahl und Aluminium. Über eine Gesamtfläche so groß wie 450
Fußballfelder erstreckt sich in Bremerhaven der bedeutendste
Autoumschlagplatz Europas. Die BLG LOGISTICS GROUP schlägt hier
rund 2,1 Millionen Fahrzeuge im Jahr um, circa 80 Prozent davon
sind für den Export nach Nordamerika und Asien bestimmt. Über
18 Schiffsliegeplätze, 14 Bahnrampen und vier Einfahrtstore für
Lastwagen gelangen die Autos ins Terminal – und wieder hinaus.
Bevor die Autos per Lkw oder Autozug zum Händler weiterreisen,
lagern sie auf dem größten Parkplatz Europas, auf einem der über
100.000 Pkw-Stellplätze, die Hälfte davon ist überdacht.
Das Autoterminal in Bremerhaven ist eine Hochburg in der Logistik-
branche. Die fortschreitende Automatisierung hat viele Prozesse
verändert, so wie der digitale Wandel die Automobilindustrie
transformiert hat. Zwischen beiden Bereichen gibt es wichtige
Parallelen, die neue Kooperationen ermöglichen können. Zu
den größten Kunden der BLG LOGISTICS GROUP zählt die Daimler
AG. Fahrzeuge aus den europäischen Werken des schwäbischen
Herstellers werden vor allem über das Autoterminal in Bremer-
haven exportiert. „Autos können schon sehr viel kommunizieren
und Daten weitergeben“, sagt Frank Dreeke, Vorstandsvorsitzen-
der der BLG LOGISTICS GROUP. „Ist es da nicht viel sinnvoller,
die Autos schon während der Bahn- oder Lkw-Fahrt sprechreif zu
machen, sodass die Daten übermittelt werden, die ich brauche,
um das Auto bei uns auf dem Terminal zu parken und nachher
auf das richtige Schiff zu verladen?“
Auch Daimler setzt voll auf Automatisierung. Die neue Mercedes
E-Klasse fährt durch neue Fahrassistenzsysteme noch automati-
sierter als bisher. Die Fahrzeuge können nicht nur den Abstand
zum Vordermann einhalten, sondern auch Kurven erkennen und ▶
„Der Erste,° der es clever macht, wird gewinnen“
Wie sehr wird sich die Automatisierung des Fahrens und der Weg hin zum autonomen Fahren auf die Prozesse zwischen Automobilherstellern und Logistikern auswirken? Darüber sprach Frank Dreeke (Vorstandsvorsitzender BLG LOGISTICS) bei einem Besuch im Stuttgarter Daimler-Werk mit dem Chefentwickler der E-Klasse, Michael Kelz, und Andreas Kellermann, dem Leiter der Produktion von S-, E- und C-Klasse.
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▶ Probefahrt: Michael Kelz und Frank Dreeke (re.)
❶▶ Automatische Parkassistenz
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Kreisverkehre selbsttätig durchfahren. Der Fahrer soll immer mehr
entlastet werden, vor allem in Umgebungen mit Staus, Stop-and-
go-Verkehr und auf der Autobahn.
Die Daten, die für diese Prozesse in die Autos fließen, können
künftig noch besser genutzt werden, und das schon am Anfang
der Wertschöpfungskette. In einem Gespräch mit Frank Dreeke
erläutert Andreas Kellermann, Leiter der Produktion der Mercedes
Benz S-, E- und C-Klasse, welche „erstaunlichen Dinge“ heute schon
möglich sind: „Der Instandhalter in Sindelfingen kann überprüfen,
warum der Roboter im chinesischen Werk nicht läuft. Der
Mitarbeiter in China kann das umgekehrt auch.“ Kellermanns
Bereich werde zurzeit „massiv reif für die Zukunft“ gemacht. Um
zum Beispiel den optimalen Platz für das Auto auf dem Schiff zu
ermitteln, kann sich das Logistiksystem mit den Daten verbinden,
die im Produktionsprozess im Fahrzeug eingebaut werden. Die
Herausforderung für eine reibungslos vernetzte digitale Liefer-
kette besteht laut Michael Kelz, dem Chefentwickler der Mercedes
E-Klasse, darin, Datensysteme für mehrere Prozesse zu nutzen.
„Das, was dem Kunden im Auto zur Verfügung steht, müssen
wir auch schon zur Unterstützung der Produktion anwenden.“
Viele Prozesse im Autoterminal der BLG LOGISTICS GROUP sind
schon automatisiert, egal ob im Lager oder im Container-
Terminal. Eine zellulare Fördertechnik, die das Unternehmen
„smarte Behälter“ nennt, ist Ausweis des digitalen Wandels.
Mittels stationärer und mobiler Sensorik sollen Qualität und
Zustand der in der Lieferkette bewegten Bauteile besser erfasst
und digitalisiert werden. Ziel ist es, eine schlanke und robuste
Lieferkette ohne Sondertransporte, Nacharbeiten, Produktions-
stillstände und Rückrufaktionen zu schaffen. Nachbesserungen
sind kostspielig. Immerhin besteht ein Auto im Durchschnitt aus
10.000 Einzelteilen.
Die immer wieder geäußerte Befürchtung, die Automatisierung
würde Arbeitsplätze vernichten, wird im Bremerhavener Autoterminal
widerlegt. „Der Mensch wird durch die neue digitale Informations-
verarbeitung nicht überflüssig“, sagt Frank Dreeke, „er wird anders
eingesetzt werden.“ In Bremerhaven werden Autos immer noch
nach dem Roll-on-roll-off-Prinzip verladen und dabei von ausge-
bildeten Fahrern bewegt. Gleichwohl werden Arbeitsschritte er-
leichtert. Dank eines eigens entwickelten IT-Systems, das die Autos
anhand ihrer Fahrzeugidentifikationsnummer und eines Barcodes
erkennt, weiß jeder Fahrer ganz genau, wo er welches Fahrzeug
zu platzieren hat.
Auch in der eigenen Lackiererei, in der Autos, die z. B. beim Transport
beschädigt wurden, nachlackiert werden, assistiert die Technik dem
Mitarbeiter eher, als dass sie ihn ersetzt. Jeder Originalfarbton kann
nachgemischt werden – und der Bedarf ist groß: Von rund 100 im-
portieren US-Fahrzeugen müssen zehn nachlackiert werden. In
Zukunft werden durch die neue Verbindung von Logistik und Informa-
tionsverarbeitung nicht viel weniger Menschen in der Produktion und
der Logistik tätig sein, aber die Art ihrer Arbeit wird sich ändern.
In der Automobilbranche erweist sich die digitale Transformation
noch komplexer. „Während die BLG LOGISTICS GROUP den großen
Vorteil hat, ein Autoterminal wie in Bremerhaven voll digitalisiert
up to date halten zu können, besteht die große Herausforderung
beim autonomen Fahren darin, dem Fahrzeug Wissen beizu-
bringen. Wissen über seine Umgebung. Und Wissen ist Soft-
ware“, sagt Daimler-Manager Andreas Kellermann.
Vor dem autonomen Fahren aber wird das autonome Parken
kommen – und der Automobilhersteller wird sich zum Mobilitäts-
dienstleister entwickeln. „Es braucht nur eine Plattform, die es
erlaubt, diese ganzen Dienste aus dem Auto heraus optimal zu
nutzen“, sagt Entwickler Kelz. Dann gibt der Fahrer sein Auto im
Eingangsbereich des Parkhauses ab, das Auto sucht sich selbst-
ständig seinen Parkplatz und kommt später per Smartphone-App
von selbst zurückgefahren. Daran arbeiten Daimler und Bosch in
einem gemeinsamen Pilotprojekt. Möglich wird das autonome
Parken mithilfe einer intelligenten Parkhaus-Infrastruktur, einem
Fahrzeug-Steuergerät und der neuesten Generation von
Bordsensorik. Sehr dynamisch werde diese Entwicklung ver-
laufen, meint Andreas Kellermann: „Der Erste, der das clever
macht, wird gewinnen.“
▶ Automatische Parkassistenz
▶ Von links: Frank Dreeke, Andreas Kellermann, Michael Kelz
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• AUTORIN: | CHRISTINA ZUR NEDDEN
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THE NEW era of residential living calls for brand new recycling solutions. At Jätkäsaari, there is a new, innovative pipeline-based waste collection system which introduces hi-tech into waste management on an unprecedented scale. Using an underground pipe network, waste travels to the waste collection station in a flash. Trucks gather the waste and transport it onwards – waste is utilized as recycled material, incinerated for energy or turned into compost soil.
The effect on residents’ every-day living comfort is clear. The traditional waste bins disappear from the yard and the truck traffic in the vicinity of the houses is reduced consider-
ably. The system is easy to use, safe and silent to operate. But how does it work, then? The waste collection points
are usually located in connection to the exits in each block. The residents sort out the waste – mixed waste, biowaste, paper and cardboard – and take them to the appropriate waste collection point. That’s all one needs to do - the waste collection points empty themselves, automatically. Zooooom – traveling at 70 km/h, the waste is whisked away to the waste collection station to their designated waste contain-ers. Trucks pick up the full containers from the station and transport the waste for further processing.
AIR FOR THE PIPE
SYSTEM
PURIFIED AIR EXITS
WASTE TRAVELS TO WASTE COLLECTION STATION AT 70 KM/H
IT’S ALL IN THE TUBE
BIOWASTE is turned into soil
PAPER is recycled into e.g. news- paper, kitchen and toilet paper
CARD- is recycled into paper roll BOARD cores, book binding card- board and paper sacks and bags
MIXED ends up in the waste-to- WASTE energy plant and is used for electricity and district heat production
ENG
LISH
Die Logistik der Zukunft°Jenseits von Straße und Schiene
Die Müllabfuhr kommt nicht mehr – zumindest nicht in Helsinkis
Stadtteil Kalasamata. Den Job übernimmt hier ein unterirdischer
Staubsauger. „Rööri“ – klingt nach einem Möbelstück von IKEA – ist
tatsächlich aber ein unter dem Boden gelegenes Entsorgungssystem
für Abfall. Bis 2030 sollen in dem ehemaligen Hafengebiet 20.000
neue Wohnungen entstehen.
Ökologisches Denken steht im „ersten intelligenten Stadtteil von
Helsinki“ auf der Prioritätenliste ganz oben. Statt die schmalen
Straßen mit Müllwagen zu verstopfen, verläuft die Beseitigung unter-
irdisch. Die ersten Anwohner sind bereits eingezogen und werfen
ihren Müll in die neuen grünen, braunen und grauen Tonnen für Bio-,
Gemischt- und Papierabfall. Jede Wohneinheit mit 50 Wohnungen
verfügt über eine solche Einwurfstation, die mit den ein Meter unter
der Erde gelegenen Röhren fest verbunden ist. ▶
▶ Rööri Entsorgungssystem in Helsinki
Vielerorts erreichen Straßen ihre Belastungsgrenzen, und ewig ausbauen kann man die Verkehrsnetze auch nicht. Eine Lösung: Transporte unter die Erde verlegen. Während automatische Abfallsysteme bereits im Untergrund den Müll befördern, steckt die unterirdische Warenlogistik aber noch in den Anfängen.
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❷▶ Winterliches Helsinki
700Müllsysteme des schwedischen
Unternehmens Envac sind
in über 30 verschiedenen
Ländern installiert.
In Deutschland kommen sie
nur punktuell und im Rahmen
kleiner Anlagen zum Einsatz.
Die Transporte nehmen zu, die Straßen sind verstopft. Grund genug, um über alternative Transportwege nachzudenken. Von tief unter der Erde bis hoch über unseren Städten.
Die Müll-Rohrpost° Envac
Der Güter-Tunnel° Cargo sous terrain
Den dichten Innenstadt-
verkehr der Ballungsgebiete
entlasten die unterirdischen
Müllsysteme des schwedi-
schen Unternehmens Envac:
Der Abfall wird einen Meter
unter der Erde von den
Einwurfstellen am Haus in die
Sammelstation (rechte Seite)
gesaugt und dort verbrannt
oder weiter zum Recycling
transportiert.
Die Planer des Schweizer
Projekts wollen Güter
mit selbstfahrenden
Fahrzeugen in einem
riesigen Tunnelsystem
durch das ganze Land
transportieren lassen.
Die Fakten:1. Transportgeschwindigkeit: 70 km/h
2. 90 Prozent weniger Mülltransporte
in Wohngegenden
3. Drei Millionen Menschen sind
bisher an die Systeme angeschlossen.
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Top 3 der Exportländer: 1. Großbritannien 91,2 Millionen Liter
2. Deutschland 77,5 Millionen Liter
3. Schweden 33 Millionen Liter
70 km
8 Min.braucht der „Paketkop-
ter“ von DHL für den acht
Kilometer langen Weg
zwischen dem Tal und der
Winklmoosalm auf 1.200
Metern Höhe in Reit im
Winkl. Ein Auto benötigt
für den Weg bis zu 30
Minuten.
Die Highspeed-Röhre° Hyperloop
Mit einer Wahnsinnsgeschwindigkeit von 1.220 km/h soll
das Silicon-Valley-Projekt Hyperloop Güter und Menschen
über den Planeten schicken. Demnächst soll die erste Test-
strecke in Kalifornien entstehen.
Die Fakten:1. Zehn Hubs auf einer Strecke von
70 Kilometern
2. Konstante Transportgeschwindig-
keit von 30 km/h
3. Dreispuriges Tunnelsystem
4. Tunneldurchmesser sechs Meter,
in einer Tiefe von 20 – 50 Metern
lang soll die erste Teilstrecke
von Cargo sous terrain
werden und von Härkingen
bis nach Zürich führen.
Schnittstellen („Hubs“)
verbinden das System mit
anderen Verkehrsträgern.
Der Post-Flieger° Paketkopter
DHL testete 2016 die dritte
Generation seines Paketkop-
ters sowie die Packstation
„Parcelcopter SkyPort“. Erst-
mals gelang es damit einem
Dienstleister, eine Drohne
direkt in die Zustellungsab-
läufe einzubinden. Es wurden
130 autonome Be- und Entla-
dungen durchgeführt.
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Unten nimmt der Müll Fahrt auf: „An der Sammelstation positio-
nierte Motoren erzeugen einen Unterdruck, wodurch ein starker
Luftsog entsteht und der Abfall angesaugt wird“, erklärt Jonas
Törnblom vom schwedischen Hersteller des Systems Envac. Um
die Umwelt zu schonen, werden die Motoren nur zweimal am Tag
angeworfen. Dann zieht es die Beutel mit 70 Sachen zwei Kilo-
meter lang durch die 50 Zentimeter breiten Metallrohre hinein in
geschlossene Container – zuerst die Bioabfälle, dann den Restmüll
und schließlich Papier und Pappe. Erst jetzt kommen in der
Müllkette Lastwagen zum Einsatz und fahren die Container von
der außerhalb des Wohnviertels gelegenen Sammelstelle zur
Deponie.
Logistik unter die Erde zu verlegen, ist eine sinnvolle Lösung, um
dem immer dichter werdenden Verkehr zu entkommen – das weiß
man auch in der Schweiz. Schätzungen des Bundesamtes für Strassen
und Raumentwicklung gehen davon aus, dass der Transport von
Gütern im Land bis 2030 um bis zu 45 Prozent zunehmen wird.
Das kann die heute vorhandene Infrastruktur nicht bewältigen und
sie ist auch nur begrenzt ausbaufähig.
Weil oben also kaum noch Platz ist, hat man sich auch hier tiefge-
hende Gedanken gemacht. Die Aktiengesellschaft „Cargo sous
terrain“ (CST) möchte die Schweizer Straßen durch die Verlegung
des Güterverkehrs in den Untergrund entlasten. Produktionsan-
lagen, Logistikstandorte und Ballungsräume sollen durch Tunnel
verbunden werden, durch die Paletten und Behälter für Pakete,
Stückgüter und Schüttgut jagen. Eine Machbarkeitsstudie hat die
technische und wirtschaftliche Realisierbarkeit bereits belegt. Ende
November 2016 kündigte der Bundesrat daraufhin an, mit einem
neuen Gesetz die Rechtsgrundlage für CST zu schaffen – eine
notwendige Voraussetzung, damit die Initiatoren des Projekts Geld
von Investoren einsammeln können. Ab 2030 will Cargo sous
terrain stufenweise ein großes logistisches Netzwerk aufbauen.
Auf ähnlichen Pfaden bewegt sich auch „Mole Solutions“ in Groß-
britannien. Am Beispiel der für ihren starken Verkehr bekannten
Stadt Northampton spielte das 2002 gegründete Unternehmen im
Rahmen eines neunmonatigen Forschungsprojektes seine Idee
durch. Der Name deutet bereits an, wie sie funktioniert: „Mole“
ist das englische Wort für Maulwurf. Ähnlich wie in den Tunnel-
systemen der unterirdisch lebenden Tierchen fahren hier füh-
▶ Cargo-sous-terrain-Fahrzeuge transportieren Waren durch den Tunnel
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rerlose Waggons auf Schienen durch eine Art XXL-Rohrpost. Genau
wie die derzeit in Japan entwickelten und mehr als 600 Kilometer pro
Stunde schnellen Maglev-Züge setzen die Briten beim Antrieb der
Waggons auf Magnetschwebetechnik. Tests haben gezeigt, wie sich
das unterirdische Netzwerk sinnvoll aufbauen und das System mög-
lichst kostengünstig zusammenfügen lässt. Die Betriebskosten liegen
ganze 12 bis 20 Prozent unter denen der Straße. Die Verhand-
lungen mit großen Städten und Ballungsgebieten laufen.
Während international der große Aufbruch in den Untergrund
herrscht, hält sich Deutschland bisher noch zurück. Obwohl bereits
1972 im Olympischen Dorf in München eine der ersten Müll-
sauganlagen von Envac installiert wurde. Kaum auszudenken, hätte
man damals schon begonnen, die Abfallbeseitigung komplett unter
die Erde zu verlegen. Stattdessen kam das Duale System, das sich
durch die Teilung der Verantwortlichkeiten beim emsigen Müll-
sammeln nicht mit dem schwedischen Gesamtsystem verträgt. Denn
in Deutschland müssen alle mit dem Grünen Punkt gekenn-
zeichneten Verpackungen aufgrund der sogenannten Produkt-
verantwortung von den Herstellern unentgeltlich zurückgenommen
und der Verwertung zugeführt werden. Deutsche Abfälle werden
also sowohl von kommunalen als auch von privaten Entsorgern einge-
sammelt. Envac hat mittlerweile etwa 700 unterirdische Abfall-
systeme in mehr als 30 Ländern installiert. Während sich Norwegens
zweitgrößte Stadt Bergen unlängst entschied, das größte automa-
tisierte Müllsaugesystem der Welt zu errichten und Mega-
Neubauviertel in Indien, Südkorea oder China mit bis zu 50.000
neuen Wohnungen auf das Konzept setzen, hat es sich in
Deutschland nur punktuell durchgesetzt, etwa auf dem Gelände
der Heidelberger Uniklinik.
Dabei hat sich auch in Deutschland unterirdische Logistik bereits
bewährt. Am Potsdamer Platz in Berlin funktionieren Anlieferung
und Entsorgung für das 6,8 Hektar große Gebiet vollständig unter
der Erde. Zwar nicht automatisch wie bei Envac, aber ebenso
durchdacht. Bis zu 180 Lkw fahren pro Tag an die 19 Laderampen
des knapp 5.000 Quadratmeter großen Logistikzentrums unter
dem Marlene-Dietrich-Platz. Daran angeschlossen ist ein Netzwerk
aus Versorgungsgängen, das sich über drei Etagen und eine
Strecke von fünf Kilometern unter der Erdoberfläche ausbreitet.
Neben den Waren für die über 30 Restaurants und 130 Geschäfte
werden hier jährlich mehr als 3.500 Tonnen Müll entsorgt und
während der Berlinale auch schon mal Hollywoodstars heimlich aus
dem Kino gebracht. ▶
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Wie schwierig es in Deutschland ist, ein größer angelegtes Logistik-
system unter die Erdoberfläche zu bekommen, weiß Dietrich
Stein. Der Professor hat im Rahmen einer Entwicklungsarbeit an
der Bochumer Ruhr-Universität unterstützt vom NRW-Wissenschafts-
ministerium die Transportlösung „CargoCap“ entwickelt. Alternativ
zu Straße, Schiene, Wasser und Luft – und damit unbeeinflusst von
oberirdischen Verkehrsstaus und Witterungsverhältnissen – beför-
dern elektrisch angetriebene Minifahrzeuge die Güter unterirdisch.
Die sogenannten „Caps“ sind auf die Größe von zwei Europaletten
ausgelegt, Standards im innereuropäischen Stückgutverkehr. Ob-
wohl das System als wirtschaftlich geprüft gilt und auch schnell
umzusetzen wäre, konnte Stein Wirtschaft und Politik bisher nicht
von seinem Projekt überzeugen. „Das Geld war da. Einen Investor
hatten wir, letztendlich ist es am fehlenden Betreiber und man-
gelnder moralischer Unterstützung seitens der Politik gescheitert.
Unternehmen aus dem Bereich haben uns wohl als Bedrohung
gesehen“, so Stein. Vielleicht bringt der Kontakt zu den Vereinten
Nationen den Umschwung. Vor einiger Zeit stellte Stein sein
Projekt CargoCap beim „Inland Transport Committee“ der UN vor.
Dort glaubt man an die Idee und möchte sie auch in Zukunft
unterstützen.
Die Zeit drängt: Deutsche Straßen haben ihre Leistungsgrenze bald
erreicht, schon heute stockt auf zehn Prozent des fast 13.000 Kilo-
meter langen Autobahnnetzes der Verkehr. Bis 2025 soll sich der
Straßengüterverkehr im Vergleich zu 2008 nahezu verdoppeln öko-
logische Konsequenzen inklusive. „CargoCap ist reinste grüne Logis-
tik. Wir produzieren weder Emissionen noch Lärm. Und wir fahren
elektrisch, was beim Lkw noch in den Kinderschuhen steckt und
können dabei erneuerbare Energien verwenden“, sagt der Professor.
In Steins Heimatbundesland Nordrhein-Westfalen setzt man
trotzdem auf den Ausbau von Straße und Schiene.
Aber ob das überhaupt ausreicht? Nicht alle Unternehmen wollen
sich darauf verlassen und heben deshalb lieber ab: So testete
DHL 2016 die bereits dritte Generation des sogenannten „Paket-
kopters“ in der bayerischen Gemeinde Reit im Winkl. Als erster
Dienstleister weltweit konnte DHL eine Drohne mithilfe der
Packstation „Parcelcopter SkyPort“ direkt in die Zustellungsabläufe
einbinden. Für den acht Kilometer langen Weg vom Tal bis zur
Winklmoosalm auf 1.200 Metern Höhe brauchte der Paketkopter
nur acht Minuten – mit dem Auto dauert das im Winter über
30 Minuten. Auch der Onlinehändler Amazon möchte den
Straßenverkehr offenbar lieber nach oben verlassen und plant mit
„Prime Air“ ebenfalls die Lieferung per Drohne – was bisher
gesetzlich allerdings nicht erlaubt ist. Oder verbessert am Ende
wieder das Silicon Valley unseren hiesigen Lifestyle? Tesla-Gründer
Elon Musk arbeitet zumindest gerade daran. Sein „Hyperloop
One“ soll Personen und Güter oberirdisch in elektrisch getrie-
benen Kapseln auf Luftkissen befördern – und das mit bis zu
1.220 Kilometern in der Stunde. Gerade hat das kalifornische
Start-up eine detaillierte Machbarkeitsstudie für den Personen-
transport zwischen Dubai und Abu Dhabi angekündigt. Mit dem
Superzug dauert die knapp 140 Kilometer lange Strecke nur
zwölf Minuten, mit dem Auto dagegen rund zwei Stunden. 2017
will Musk aber zunächst einmal den ersten voll funktionsfähigen
Hyperloop in der Wüste von Nevada testen.
• AUTORIN: | SANDRA PISKE
▶ Hyperloop Dubai Präsentation ▶ Konzeptstudie: Hyperloop Transportkapsel
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▶ Hyperloop One Modell, Dubai
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Ein süßlicher Geruch erfüllt die Halle. Aus allen Richtungen kommen Arbeiter auf
kleinen Gabelstaplern und Karts angefahren und bewegen die Waren von A nach B.
Kein Thunfisch bleibt lange liegen. Das Durchschnittsexemplar auf dem Markt wiegt
zwischen 50 und 60 Kilo und bringt tiefgekühlt 1.200 Yen (zehn Euro) pro Kilo ein.
Gute 2.000 Yen (16,60 Euro) kostet ein Thunfisch pro Kilo, wenn er frisch ist. ▶
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▶ Begutachtung der Ware
▶ Großer Andrang am Handelstag
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Der Tsukiji-Markt in Tokio ruft jeden Morgen zur berühmten Thunfischauktion auf. Dabei wird schon einmal ein Exemplar für eine Million Euro verkauft. Ein Blick hinter die Kulissen des größten Fischmarkts der Welt.
Auf den unzähligen Holzpaletten, die in der nasskalten, morschen Halle des Tsukiji-
Marktes in Tokio stehen, ist die ganze Welt vertreten: Gut 1.600 tiefgefrorene Thun-
fische liegen darin. Sie stammen aus dem Südpazifik, dem Atlantik oder aus den Ge-
wässern an der Küste Südafrikas. Dazu kommen an einem typischen Morgen noch ein-
mal 270 frische Thunfische, gefangen vor der Küste Japans, höchstens fünf Tage zuvor.
Während die vor Japans Küste gefangenen Fische in Kühlboxen per Lkw herange-
schafft werden, kommt die Ware aus dem Ausland mit Eis vollgestopft per Schiff – weil
Tsukiji mit seiner Rückseite an einem der vielen Tokioter Flussarme liegt, können sie
ihre Ware dort direkt entladen.
Der Thunfisch-Basar°von Tokio
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▶ Auktionsvorbereitungen
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Jeden Morgen um Punkt fünf Uhr treffen im Tsukiji-Markt 50 Fischer
und deren Vertreter auf 300 Einkäufer. Dann wird gehandelt. Tokios
tägliche Thunfischauktion ist die größte und berühmteste der Welt.
Auch dank der eingespielten Logistik des Marktes.
Die Restaurantbetreiber, Einzelhandelsvertreter und Ladenbesitzer
wissen genau, worauf sie schauen müssen. Mit skeptischen Blicken
gehen sie durch die Reihen, leuchten die rundbäuchigen Fische mit
Taschenlampen an, um Fettgehalt, Gewicht und Körperoberfläche
zu prüfen. Wenige Sekunden, nachdem ein Aufseher mit einer
Klingel das Bieten eröffnet hat, sind die Fische schon durch ein paar
Handbewegungen verkauft. Die wartenden Kartfahrer transpor-
tieren sie ab, die nächste Ladung folgt, wieder binnen Sekunden.
Viel gesprochen wird nicht.
Ein paar hundert Meter weiter gehen die ersten Thunfische aus der
Auktion direkt in den Weiterverkauf, neben Kugelfischen, Garnelen,
und diversen anderen Meeresfrüchten. Besitzer von Lebensmittel-
geschäften oder Inhaber von nahe gelegenen Restaurants kaufen
hier ihren Fisch ein. Mit elektrischen Sägen werden Kontingente
kleingeschnitten und danach für den sofortigen Verbrauch in großen
wassergefüllten Kanistern frisch gehalten, andere für die weitere
Lagerung mit Eis gekühlt. Die Fischhändler verbrauchen hier jeden
Tag so viel Wasser, dass man damit 20 Schwimmbäder füllen
könnte.
Was nicht direkt in den Verkauf geht, kommt auf die Ladeflächen
der Lkws, die bereits während der Versteigerungen hinter den
Markthallen warten. Dann geht es in Höchsttempo in alle Rich-
tungen von der Hauptstadt weg, damit das Land mit Fisch versorgt
wird. Denn Tsukiji ist die Hauptschlagader für Japans Proteinver-
sorgung.
Hierher, so sagt man, kommt nicht nur der frischeste Fisch,
sondern auch der zarteste und teuerste. Besonders teuer wird es
traditionell bei der ersten Auktion nach dem Jahreswechsel. Dann
spielen die edlen Blauflossen-Thunfische wahnwitzige Erlöse ein.
In der Hoffnung, mit üppigen Geboten eine erfolgreiche Saison
einzuläuten, scheint betriebswirtschaftliches Denken keine Rolle
mehr zu spielen. Im Jahr 2013 bezahlte Kiyoshi Kimura, Besitzer
der bekannten Sushi-Kette „Sushizanmai“ für eine 222 Kilo schwere
Blauflosse 155,4 Millionen Yen (rund 1,29 Millionen Euro). Selbst
für die Neujahrsauktion ein sensationeller Preis.
Nirgends auf der Welt wird mit Thunfisch so viel Geld verdient wie
in Tokio: An einem ganz normalen Tag wechseln auf dem Tsukiji-
Markt rund 245 Millionen Yen den Besitzer, ein Umsatz von knapp
2,04 Millionen Euro. Und auch sonst erreicht kein Fischmarkt der
Welt die Dimensionen von Tsukiji: Über 400 Fischsorten werden
gehandelt, 60.000 Arbeitskräfte und rund 1.000 Großhändler
tummeln sich hier. Dieser Markt versorgt eine der größten
Fischesser-Nationen der Welt.
Längst haben die Superlative der Thunfischauktion von Tsukiji den
Markt auch zu einer beliebten Sehenswürdigkeit für Touristen
gemacht. Lange Zeit kamen täglich Tausende. Bis die Veranstalter
vor einigen Jahren Besucher zuerst ganz verboten und dann
deren Zahl auf 140 pro Tag begrenzten. „Tsukiji ist kein Ort für
Touristen“, erklärte der damalige Marktpräsident Yoshiaki Takagi.
„Sie behindern den Handel.“ Besucher störten den Ablauf, indem
sie zwischen den Paletten hin- und herliefen, Fotos mit Blitzlicht
macht und manchmal sogar die Fische anfassten. Zuletzt
Anfang 2015 fanden die Auktionen deshalb wieder vorüberge-
hend hinter verschlossener Tür statt. ▶
Täglich knapp 2,04 Mio. Euro Umsatz
Über 400 Fischsorten
60.000 Arbeitskräfte
Rund 1.000 Großhändler
DER TSUKIJI-MARKT
築地市場
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▶ Fischvielfalt
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▶ Premium-Thunfisch, Verkaufswert: 14 Mio. Yen
Kaufen dürfen Touristen hier sowieso nichts. „Wer mitbieten will,
braucht die Händlerlizenz von der Stadt“, sagt Yuka Kayoko, die für
die Metropolregierung Tokio den Fischmarkt beaufsichtigt.
Doch die Zukunft des größten Fischmarktes der Welt, und damit
auch dessen Thunfischauktion, ist ungewiss. Das derzeitige Markt-
gelände ist seit Langem marode, deshalb hat die Metropolregierung
Tokios einen Umzug angeordnet. Das neue Areal liegt zweieinhalb
Kilometer weiter südlich im Stadtteil Toyosu. Der neue Markt liegt
näher an den großen Häfen von Tokio und Yokohama und ist besser
an diese angebunden. Dadurch werden sich die Transportwege
vereinfachen.
Erst im April, dann im November 2016 sollte die rund 588 Milliarden
Yen (gut 4,89 Milliarden Euro) teure und 40 Hektar große Anlage,
deren Budget erheblich ausgeweitet werden musste, eigentlich
eingeweiht werden. Mit vier daneben angesiedelten Shopping-
komplexen und Markthallen, in denen sich auch Händler und
Restaurants ansiedeln sollen, wird das Gelände viel größer sein als
das in Tsukiji.
Aber der Umzug bringt Chaos mit sich, und mittlerweile wurde er
wieder auf Eis gelegt. Weil zuvor der Gasversorger „Tokyo Gas“
einen Standort in Toyosu hatte, waren Boden und Grundwasser
dort derart mit dem krebserregenden Benzol und Zyanid und
weiteren Giftstoffen verseucht, dass zunächst für rund 76 Milliarden
Yen (632 Millionen Euro) zwei Meter der Erdoberfläche abgetragen
werden mussten. Als Tokios neue Gouverneurin Yuriko Koike diesen
Sommer ihr Amt antrat, gab sie eine Untersuchung der Vorgänge in
Auftrag und ließ die Umsiedlung zunächst auf Eis legen. Denn es
wurden noch weitere Schadstoffe in Toyosu gefunden.
Der neue Markt soll dennoch sauberer und sicherer als der jetzige
werden. Doch einige Fischhändler haben Zweifel an der Sache.
Denn neben den betriebswirtschaftlichen und logistischen
Vorteilen ist unklar, ob der neue Fischmarkt jemals den Ikonen-
status des alten Areals von Tsukiji erreichen wird. Eine Umfrage
unter Fischhändlern ergab, dass eine erdrückende Mehrheit
gegen den Umzug ist, der früher oder später aber kommen soll.
Speziell für die Thunfischauktion sind die Fragen zur Zukunft
noch grundsätzlicher. Die Kilopreise der begehrtesten Sorte, des
Blauflossen-Thunfischs, sind in den fünf letzten Jahren um mehr
als zehn Prozent gestiegen. Das liegt einerseits an der Beliebtheit
des fettreichen, zarten Fleischs, andererseits aber auch an
Überfischung und dem drohenden Aussterben dieser Art. Durch
weitere Verknappung könnte bald jeder fettreiche Thunfisch zur
Luxusware werden. Bei den Auktionen in Tokio würde sich das
durch höhere Preise, geringere Mengen und womöglich noch
weniger zugelassene Verkäufer bemerkbar machen.
Noch ein weiterer Trend könnte sich bald auf das große Geschäft
mit den Thunfischen auswirken: An der Universität Kinki in Osaka,
der zweitgrößten Stadt Japans, wird seit einiger Zeit Blauflossen-
Thunfisch durch künstliche Befruchtung gezüchtet. In einer
Zuchtfarm im 1.200 Kilometer südwestlich gelegenen Nagasaki
will die Hochschule ab 2023 etwa 4.000 Tonnen pro Jahr produ-
zieren. Das entspricht einem Zehntel des jährlichen Konsums in
Japan. Dies würde nicht nur die Natur des Thunfischs radikal
verändern, sondern auch die Logistik hinter der täglichen Ver-
steigerung in der Hauptstadt. Denn dann müsste man für den
besten Thunfisch womöglich erst einmal nach Nagasaki fahren.
• AUTOR: | FELIX LILL, lebt in Tokio und arbeitet als freier Journalist u. a. für „Der Spiegel“ und „Die Zeit“
本鮪 マグロ
▶ Hafen Bronka, Russland
Neuer Hafen°
in Russland
St. Petersburg Zu Beginn des Jahres hat BLG Logistics Automobile
SPb (St. Petersburg) ihre Hafenaktivitäten vom Stadthafen in
St. Petersburg zum neu gebauten Hafen Bronka, 50 Kilometer west-
lich von St. Petersburg, verlagert. Mit einer Lagerfläche für 6.000
Fahrzeuge hat die BLG ihre Kapazität damit verdoppelt und kann
zukünftig noch intensiver neue Kunden werben. Zudem soll auch
die Zusammenarbeit mit dem Eigentümer des Hafens Bronka, der
LLC Fenix, weiter intensiviert werden. Mittelfristig plant die BLG
den Ausbau ihrer Lagerkapazitäten im Hafen auf 12.000 Stellplätze,
um damit dem Ziel, den Hafen Bronka als Haupthafen für die
Automobilindustrie in Russland gemeinsam ausbauen zu können,
einen weiteren Schritt näher zu kommen. Die Umstellung auf den
neuen Hafen bietet noch einen weiteren Vorteil. Es war immer
Anspruch der BLG, das gesamte Hafenhandling in Russland in
eigener Regie und mit eigenem Personal durchzuführen, so wie es
die Unternehmensgruppe an allen anderen von ihr betriebenen
Hafenstandorten seit jeher praktiziert. Diesen strategischen
Ansatz konnte BLG LOGISTICS jetzt erstmals verwirklichen.
Die Verlagerung der Hafenaktivitäten nach Bronka zeigt auch,
dass BLG LOGISTICS an eine Konsolidierung des russischen
Marktes glaubt, obwohl die wirtschaftliche Lage in Russland seit
dem Markteintritt der BLG in 2009 durch ein permanentes Auf
und Ab gekennzeichnet ist. Dennoch sprechen die Zahlen für
sich: 150 Millionen Konsumenten, ein Fahrzeugbestand von 250
Fahrzeugen pro 1.000 Einwohner sowie eine Überalterung des
aktuellen Fahrzeugbestands zeigen: In Russland gibt es einiges
nachzuholen. Daher blickt die BLG, für die das Russland-
Geschäft vor fast zehn Jahren mit der Sicherung von Um-
schlagsflächen und einem Liegeplatz für Seeschiffe im Stadt-
hafen von St. Petersburg sowie dem Kauf einer Lkw-Flotte mit
50 Fahrzeugen begonnen hat, positiv auf die Entwicklung des
Marktes.
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BLG Autorail°
investiert in neue Flachwaggons
Wrzesnia Seit Anfang Januar übernimmt BLG LOGISTICS für das
neue Volkswagen Werk im polnischen Wrzes nia den Bahntransport
des VW Crafter und liefert die Sprinter ab Werk zu diversen euro-
päischen Entladepunkten zwischen Rumänien und Dänemark. Bis
Ende des Jahres wird die BLG für ihren Kunden 200 Flachwaggons
im Einsatz haben und damit die Anzahl der eingesetzten Schienen-
fahrzeuge in Anpassung an die steigende Produktion des Kunden
aufstocken. Mit einem Waggon können bis zu fünf VW Crafter trans-
portiert werden. Durch die Investition in 200 neue Flachwaggons
hat BLG LOGISTICS ihr Geschäftsfeld Schiene gezielt erweitert und
einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil gegenüber den Mitbe-
werbern geschaffen, die für ihre Transporte in der Regel Waggons
mit einer Länge von 31 Metern einsetzen, wohingegen die der BLG
33 Meter messen.
Die°BLG-Welt
▶ Flachwaggons im Einsatz
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Ausgezeichnete°
Logistik
Bremen Gleich drei Auszeichnungen hat die BLG-Gruppe in den
vergangenen Monaten erhalten. Im November letzten Jahres er-
hielt die italienische Tochtergesellschaft BLG Logistics Solutions
Italia den Logistics of the Year Award in der Sonderkategorie High-
tech. Ausgezeichnet wurde das Unternehmen für das von ihm
entwickelte Projekt „App & Go“. Die für mobile Endgeräte wie
Handys und Tablets entwickelte App ermöglicht Echtzeit-Trackings
von Kundensendungen. Das Innovative an der Lösung: Es bedarf
keiner kostspieligen Vorrichtung, um die Daten einzusehen, ein
mobiles Endgerät ist vollkommen ausreichend. Die App ist auf
jeder Android-Plattform nutzbar und kostenlos im Play Store
erhältlich. Eine Übertragung auf andere Plattformen ist ebenfalls
möglich. Ausschlaggebend für die Auszeichnung mit dem Logistics
of the Year Award waren die niedrigen Installationskosten, die
einfache Bedienung, die stärkere Verzahnung mit den Kunden in
Sachen Datenerhebung sowie die Echtzeitüberwachung ver-
schiedener Status.
Ebenso wie die italienische Tochtergesellschaft der BLG konnte
sich auch der polnische BLG Autoterminal Danzig Ende 2016 über
eine Auszeichnung freuen. Zum ersten Mal in seiner 25-jährigen
Firmengeschichte wurde er als „Gazelle of Business” gewürdigt –
eine in Polen sehr angesehene Auszeichnung für die dynamische
Entwicklung kleiner und mittlerer Unternehmen. Als Kriterien für
die Aufnahme eines Unternehmens in die „Gazelle of Business“-
Rangliste dienen Umsatzdynamik und Gewinnsteigerung über
einen Zeitraum von drei Jahren sowie das Erreichen eines positiven
EBT während dieses Zeitraums. In den für die Auszeichnung
zugrunde gelegten Referenzjahren 2013 bis 2015 verzeichnete
der BLG Autoterminal Danzig eine Umsatzsteigerung von
4,7 Prozent und eine deutliche Erhöhung des EBT. Ein klarer Fall
also für die Würdigung als „Gazelle of Business“.
Auch in Deutschland konnte sich BLG LOGISTICS über eine
Auszeichnung freuen: Im April dieses Jahres erhielt die BLG den
elogistics Tool Award 2017 für ihre Lösung „Drohnenunterstüt-
zung in der Logistik“, die BLG LOGISTICS gemeinsam mit dem
Startup sitebots GmbH umgesetzt hat. Mit der Auszeichnung
würdigt der Arbeitskreis AKJ Automotive in erster Linie innovative
Praxisprojekte, die in geeigneter Weise Logistik und Informations-
verarbeitung verbinden. Gemeinsam mit dem Dienstleister site-
bots GmbH ist es der BLG mithilfe des Einsatzes moderner
Technik gelungen, Drohnen in die operativen Unternehmens-
prozesse einzubinden. Am BLG-Standort Emmerich werden die
unbemannten Kleinfluggeräte zur Unterstützung der opera-
tiven Prozesse wie der unterjährigen Inventur des Blocklagers,
der wöchentlichen Regalkontrolle und die Gebäudekontrolle
eingesetzt. Mithilfe der Drohne wird eine schnellere und flexi-
blere Inventur in nicht direkt einsehbaren Bereichen des
80.000 Quadratmeter großen Lagers der BLG ermöglicht.
▶ Von links: Prof. Dr. Klaus-J. Schmidt (AKJ Automotive), Lars Viet (BLG), Jakub Piotrowski (BLG) und Julian Bremer (BLG) bei der Preisverleihung in Saarbrücken
▶ Von links: Jens Wollesen, Mitglied des Vorstands BLG LOGISTICS, Björn Kitzinger, bisheriger geschäfts-führender Gesellschafter KICO, und Christian Marnetté, Geschäftsführer Spedition BLG LOGISTICS
▶ Neues Logistikzentrum, Berlin
Neugeschäft°
für Siemens
Berlin Ab März 2018 wird BLG LOGISTICS die Werksversorgung für
den Fertigungsstandort von Gasturbinen ihres Kunden Siemens in
Berlin aus einem 22.000 Quadratmeter großen, neuen Logistik-
zentrum steuern, das sich derzeit im Bau befindet. Bis dahin be-
treibt die BLG ein vorgeschaltetes Konsolidierungszentrum im Werk
seines Kunden, in dem sämtliche Materialien und Vorprodukte ver-
schiedener Lieferanten zusammenlaufen. Seit April übernimmt die
BLG dort die Kommissionierung der angelieferten Teile gemäß
Kundenauftrag, den Werkstransport sowie die Verteilung der
Materialen an den Verbauort im Siemens-Werk. Für Siemens ist
BLG LOGISTICS bereits seit dem Jahr 2000 tätig und erbringt mittler-
weile an unterschiedlichen Standorten Dienstleistungen für die
verschiedenen Divisionen des Kunden. Das Neugeschäft in Berlin
ist ein weiterer Meilenstein in der langjährigen Partnerschaft
zwischen Siemens und der BLG.
Ausbau°
des Geschäftsfeldes Spedition
Bremen Rückwirkend zum Jahresbeginn hat BLG LOGISTICS im Mai
das Speditionsunternehmen Kitzinger & Co. (GmbH & Co. KG) sowie
dessen Tochtergesellschaft Arno Rosenlöcher (GmbH & Co. KG) über-
nommen. Beide Gesellschaften sind unter der Dachmarke KICO
seit vielen Jahren im Markt bekannt. Nach der Übernahme der
FORTRAGROUP im Jahr 2016 ist KICO ein entscheidender Baustein für
den weiteren Ausbau des Geschäftsfelds Spedition der BLG.
Schwerpunkte des Speditionsunternehmens sind See- und Luftfracht,
ergänzt um Dienstleistungen rund um temperaturgeführte
Transporte. Die elf deutschen Niederlassungen von KICO passen ideal
in das vorhandene Netz der BLG und sind an strategisch entschei-
denden Kundenmärkten platziert. Starke internationale Partner rund
um den Globus sichern die hohen Qualitätsansprüche der BLG.
Nationale und europäische Landverkehre runden das Bild des
Komplettdienstleisters ab. Hinzu kommen außerdem komple-
mentäre Lagerdienstleistungen, die über die Tochtergesellschaft
Arno Rosenlöcher erbracht werden. Mit der Übernahme der
Kitzinger-Gruppe macht BLG LOGISTICS einen weiteren entschei-
denden Schritt zum Ausbau des Geschäftsfelds Spedition, das als
zusätzliche starke Säule im Geschäftsbereich CONTRACT etabliert
werden soll. Ziel des Logistikexperten ist eine noch bessere
Wahrnehmung und Durchdringung im anspruchsvollen Markt für
speditionelle Dienstleistungen. KICO ist dabei ein wertvoller und
wichtiger Baustein. Die Transaktion steht noch unter dem
Vorbehalt der Zustimmung durch die Kartellbehörden.
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▶ Spielbudenplatz, Hamburg
▶ Udo Lindenberg
eröffnete. Die Stimme schnoddrig, wie meistens eben: „Geile Meile,
auf die ich kann“, nuschelt Udo Lindenberg ins Mikro und blickt über
den Spielbudenplatz, auf dem sich an diesem Abend die Menschen
drängeln. „Hier kommt die absolute Obersensation.“ Langsam zählt
der Rockstar von sieben auf eins runter, dann erstrahlt das Gebäude
hinter ihm in grellem Licht. Metallische Beats schallen über die
Reeperbahn, die Fassade erwacht. Hunderte Vierecke leuchten im
Takt. Es blitzt und blinkt, flackert und schillert. Minutenlang. In Puff-
Lila, in Knall-Rot, in Grell-Gold. Auf dem Fahrstuhl rechts außen
schlängeln sich Strahlen empor. Dann brechen die Kuben optisch
zusammen wie Ziegel bei einem Erdbeben, virtuelle Wellen fließen
das Gebäude hinab, Beifall brandet auf.
Der Neubau zwischen Veranstaltungszentrum Docks und Schmidt-
Theater beherbergt Musikklubs, Bars, Büros und ein Theater. Doch
der eigentliche Star ist die Fassade. Gut 320 Metallpaneele ragen
unterschiedlich tief in den Platz hinein. Auf den 700 m2 sind
mehr als zwei Millionen Leuchtdioden (LED) verbaut. Sie strah-
len rund um die Uhr und buhlen um Aufmerksamkeit.
An der imposanten Fläche haben zwei Firmen aus dem Norden
entscheidend mitgewirkt: Urbanscreen aus Bremen und Onlyglass
aus Verden. Knapp vier Jahre haben die Lichtkünstler von Urban-
screen an dem Konzept getüftelt. Um eine Medienwand zu ge-
stalten, die ein wenig Times-Square-Feeling in die Hansestadt holt
und doch ganz nach Hamburg aussieht. „Wir haben das mit Res-
pekt für die Reeperbahn entworfen“, sagt Thorsten Bauer. Der
40-jährige Firmenmitgründer verantwortet das Projekt als künstleri-
scher Leiter. Er hat das grundlegende Farbkonzept entwickelt.
Passend zum Kiez wird die Fassade häufig mit Gold- und Rosatönen
zum Glänzen gebracht: „Das ist ein bisschen prollig und wunder-
schön.“ ▶
Die Reeperbahn° im neuen Licht
„Panik City“ – ist nicht schwer zu entschlüsseln. Es klingt nach Lindenberg und kann nur in Hamburg angesiedelt sein. Im Herbst soll sie an den Start gehen – als Museum der sehr besonderen Art. Auf 700 Quadratmetern werden die Besucher ins „Udoversum“
entführt, in eine „Welt aus Hightech, Multimedia und Magie“, wie
Udo Lindenberg es jüngst selbst formulierte. Die Besucher fliegen
virtuell wie mit einer Drohne über die Zuschauermenge bei einem
Stadionkonzert oder finden sich zwischen dem Panik-Orchester
auf der Bühne wieder und singen gemeinsam mit Udo.
Und natürlich ist die Panik City standesgemäß untergebracht. Auf
der Reeperbahn am Spielbudenplatz im vierten Stock des Klub-
hauses, dessen Fassade weltweit für Schlagzeilen sorgt, das 2016
zuletzt den Medien Architekturpreis in Sydney gewann und das
Udo Lindenberg, einer der Bauherren, auf seine Weise selbst
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▶ Klubhaus, Hamburg
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Bauer ist Musikwissenschaftler, ihn hat das Experiment gereizt.
Bisher hat Urbanscreen temporär Hausfassaden mit überdimen-
sionalen Videoprojektionen zum Leben erweckt. Wie das Opern-
haus in Sydney und die Kunsthalle in Hamburg. Auch für die BLG
hat Urbanscreen schon eine Videoinstallation entworfen. Während
eines Viertelfestes in Bremen bewegten zwei Hände Container
und Schiffe über die Fassade des Theaters am Goetheplatz und
sorgten für maritimes Flair.
Für Onlyglass aus Verden ist das Ganze eine Chance, um weltweit
zu glänzen. Der traditionsreiche Glasproduzent hat den Außen-
fahrstuhl extra neu entwickelt: Zwischen zwei Isolierglasscheiben
verlaufen Leuchtdioden, sie verwandeln den Fahrstuhl zur Bild-
schirm-Säule. Trotzdem kann man von innen hinausschauen. „Was
Sie hier sehen, ist einzigartig in der Welt“, schwärmt Reinhard
Cordes. Der Inhaber von Onlyglass ist stolz auf diese Innovation:
„Ich hätte nicht gedacht, dass das so fantastisch aussieht.“
Auf der Medienfassade sollen sich künftig Kunst und Kommerz,
Wetter und Werbung, Tweets und Nachrichten abwechseln: alles
auf einer Fläche, gesteuert per Computer-Datei, fest installiert.
„Wir haben ein neues Genre gebaut“, sagt Axel Strehlitz, einer der
fünf Investoren des Klubhauses. Etwa vier Millionen Euro hat dieses
Experiment aus Licht und Architektur gekostet, sagt er. Weit mehr
als geplant. „Aber wir wollten nicht den größten Fernseher der
Welt entwickeln, sondern Kunst auf dem Kiez.“
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▶ Außenfassade bei Nacht
▶ Luminierter Außenfahrstuhl
Die Stiftung Oper in Berlin. Vergleichbares gibt es in Deutschland sonst nicht. Sie hält die Bühnenwerkstätten vor für Staatsballett und Deutsche Oper, für die Staatsoper Unter den Linden und die Komische Oper. Ist Dienstleister für die Babelsberger Film- produktion und den Friedrichstadtpalast. Beheimatet Bühnen- bau und Malerei, Kostümwerkstatt, die Hutmacher und die Schuhmacherwerkstatt.
Sophie Jentzsch arbeitet hier, hat 2013 die Gesellenprüfung absolviert und sagt: „Ich bin gerne Handwerkerin und hier in der Schuhmacherei habe ich am Ende was richtig Cooles in der Hand.“
Ein Tag im Leben …°der Sophie Jentzsch
„Auftritt hat immer°
auch etwas mit Auftreten zu tun. So wie man steht, so wirkt man.“
Morgens um sieben ist die Welt noch so schön ruhig. Zeit für
Sophie Jentzsch, uns zu zeigen, was sie an ihrer Arbeit so fasziniert.
Der Umgang mit so verschiedenen Materialien wie Holz und
Metall. Dass es eine Schuhmacherin immer noch mit dem Leisten
zu tun hat. Dass sie an Maschinen steht und Kraft einsetzen muss.
Manchmal sogar rabiat sein darf. Und dann wieder ganz behut-
sames Vorgehen von ihr gefragt ist.
Eine viertel Stunde darf sie schwärmen. Dann kommt die erste
Auslieferung: 15 Paar Schuhe, die gestern Nachmittag gefertigt
wurden, werden abgeholt. Für den „Troubadour“, ein Repertoire-
stück. Schwieriges Bühnengelände. Die Schuhe müssen besonders
weich und rutschfest sein. Wie wichtig das ist? Ganz wichtig, sagt
Sophie Jentzsch.
Fünf Premieren im Monat haben die Werkstätten im Schnitt zu
bedienen, dazu das Repertoire und Wiederaufnahmen. Produziert
wird nur das, was es nicht anderswo zu kaufen gibt. Gearbeitet
wird dann nach alter Handwerkskunst. Den nackten Fuß im
Socken vermessen. Den Schaft zuschneiden. Mit dem Zwickel in
Form bringen. Den Boden bauen. Und immer den besonderen
Bedürfnissen der Theaterwelt entsprechen. Denn Bühnenbildner
lieben es gern besonders. Sie lassen „La Boheme“ auf Plexiglasunter-
grund aufführen. Sie brauchen für den „Kirschgarten“ Schuhe,
die laut quietschen. ▶ h7.00 Uhr
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❻▶ Sophie Jentzsch im Atelier
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q15.30 Uhr
Mit der zweiten Anlieferung des Tages kommen kleinere Än-
derungsaufträge für die „Schwanensee“-Produktion. Zettel heften
an den Schuhen: „Bitte für Herrn G. an der Wade enger machen
und auch auf dem Spann circa 1 cm enger. Vielen Dank.“
Das wird Arbeit für morgen. Gleich ist Feierabend. Die eine Frage
aber muss noch gestellt sein. Schaut sie sich denn auch die
Stücke an, für die sie die Schuhe fertigt?
„Viel zu selten“, antwortet Sophie Jentzsch, „eigentlich nur dann,
wenn die Generalprobe abends stattfindet und ich dafür Karten
bekomme.“
b13.00 Uhr
Der Bote kommt und holt die zweite Auslieferung des Tages ab.
„Kiss me Kate“ ist wieder ins Programm genommen worden an der
Komischen Oper. Die Schuhe für diese Inszenierung haben lange
im Fundus gelegen. Manche Steps-Sohle war locker, die eine oder
andere Klangplatte verschwunden. Für die Stepptänzer mussten
Schrauben besorgt werden. Jetzt sind alle Schuhe wieder auf Vor-
dermann gebracht.
Neufertigungen und Reparaturen halten sich die Waage. Manchmal
vergeht ein ganzer Tag damit, die Schuhe aus abgespielten Pro-
duktionen für den Fundus aufzubereiten. Manchmal aber auch, und
das schätzt Sophie Jentzsch sehr, arbeitet sie drei bis vier Tage an
einem neuen Projekt. Dann ist sie mit dem Futterlederhammer be-
schäftigt, mit Zwickel und Leisten. Bringt in Form, schneidet zu und
näht. „Manchmal braucht man dabei Kraft“, sagt Sophie Jentzsch,
„aber nicht zu doll. Eigentlich ist das alles eine sehr fragile An-
gelegenheit.“
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x10.30 Uhr
Die erste Lieferung des Tages erreicht die Schuhmacherei. In der
Regel ist es ein Überraschungspaket. Auftrag vorher unbekannt.
Heute ist der Absender die Deutsche Oper. Bei der „Salome“-Auf-
führung hinterlassen die Schuhe auf dem empfindlichen Bühnen-
boden seltsame Streifen – offenbar durch Farbabrieb. Der Auftrag:
Alle Schuhe durchsehen und von Farbe befreien.
Sophie Jentzsch ist durch ein Praktikum 2007 auf den Geschmack
gekommen. Damals konnte sie in der Schneider-, der Hutmacher-
und der Schusterwerkstatt die besondere Theaterluft erleben. Der
Berufswunsch war geweckt, die ursprüngliche Idee allerdings war,
Kostümbildnerin zu werden. Bis sie merkte, dass das mit dem
Zeichnen nicht so ihre Sache war und sie die Handwerkerin in sich
entdeckte.
a12.00 Uhr
„Große Mittagspausenfreaks“ – seien sie, sagt Sophie Jentzsch.
Maschine abstellen, Zwickel aus der Hand legen, die Hände vom
Pech reinigen. Und bei schönem Wetter raus aus dem großen
Gebäudekomplex mit der Adresse „Am Wriezener Bahnhof 1“.
Gelegen ganz in der Nähe des Ostbahnhofs.
Zu zehnt sind sie in der Werkstatt: zwei Meisterinnen, sieben
Gesellen und ein Lehrling. Nicht alle machen alles. Manche sind
spezialisiert. Auf den Schaft, auf’s Nähen oder den Bodenbau.
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Im Gespräch° Frank Dreeke – Friedrich Lürßen
FD: Wenn ich mich so umschaue, dann herrscht unter den
Schiffswerften in aller Welt großes Wehklagen. Nur dem
Marktführer im Yacht- und Marinebau geht es gut.
FL: Zunächst einmal: Im Yachtbau sind wir marktführend bei
Schiffen ab 90 Metern Länge. Im Marineschiffbau ist der Wett-
bewerb weitaus differenzierter. Hier sehen wir uns gut aufge-
stellt, zählen aber nicht zu den Marktführern. Zweitens haben
wir auch die eine oder andere Krise durchstehen müssen. Bis
Ende der 1970er-Jahre haben wir hauptsächlich vom Handels-
❼ schiffbau gelebt. Als ich 1977 ins Unternehmen eingetreten bin,
waren die Preise schlecht. Man musste Garantien abgeben, Charter-
partien besorgen. Das Ganze war höchst ungesund. Dann haben
wir den Handelsschiffbau eingestellt und das Marinegeschäft ausge-
baut. Das ging ein Jahrzehnt lang gut. Dann haben wir uns ent-
schieden, in den Yachtbau zu intensivieren. Mein Vater hat damals
gesagt: „Alle fünf Jahre können wir uns den Bau einer Yacht erlauben“
– denn verdienen konnte man damit früher kaum. Ich weiß noch, es
war bei einer unserer Weihnachtsfeiern, dass ich den Yachtschiffs-
bauern gut zugeredet und gesagt habe: „Seid mal nicht traurig,
gebt nicht auf! Eure Zeit wird noch kommen.“
FD: Die Lürssen-Werft hat dann aber sehr schnell Duftmarken
gesetzt und ist zum Weltmarktführer geworden.
FL: Bei den großen Yachten!
FD: Was bezeichnen Sie als groß?
FL: Heute ist „groß“ über 90 Meter. Der Yachtbau-Markt ist natür-
lich in den vergangenen 25 Jahren immens gewachsen. Unsere
Hauptkonkurrenten, die holländischen Werften, waren damals
kleiner. Weil die Schiffe eben nur 40, 50, vielleicht mal 60 Meter
lang waren. Wir hatten aufgrund unserer Marineschiffbautradi-
tion komplexere Organisationen. Die Wettbewerber waren eher
wie eine Manufaktur aufgestellt, halb Werkstatt, halb Bootsbau.
FD: Wenn man sich heute im Markt umhört, lautet die
Gretchenfrage bei denen, die sich eine solche Yacht leisten
können, stets: Wollen wir eine Yacht oder wollen wir eine
Lürssen kaufen? Denn Sie gelten als der Rolls-Royce unter
den Yachten.
FL: Dieses Image ist hart erarbeitet und erklärt sich aus unserem
hohen Qualitätsanspruch, unserer Zuverlässigkeit und dass wir „in
budget“ fertigen. ▶
▶ Botschafter Makhenkesi Arnold Stofile (li.) und Frank Dreeke (re.) ▶ Friedrich Lürßen (li.) und Frank Dreeke (re.)
FD: Wie ist denn so jetzt die Aufteilung zwischen Marine und
Yachtaufträgen? Oder schwankt das nach Konjunktur?
FL: Es schwankt. Im Moment sind es zwei Drittel Yachten, ein
Drittel Marine.
FD: Wie lange braucht Ihre Werft für ein Schiff von Auftrags-
eingang bis Auslieferung?
FL: Nicht unter vier Jahren. Bei vollen Orderbüchern und einem
130-, 140-Meter-Schiff auch mal fünf Jahre. Die Konstruktions- und
Fertigungszeit wirkt vor allem für Neukunden zunächst ungewöhn-
lich lang, für die Produktqualität ist sie aber unumgänglich.
FD: Wie viele Schiffe kann Lürssen gleichzeitig bauen angesichts
der vielen Werftstandorte, über die die Gruppe mittlerweile
verfügt?
FL: Wir haben in jedem norddeutschen Bundesland eine Werft.
Die Neue Jadewerft und die Hamburger Norderwerft sind reine
Reparaturwerften. In Wolgast fertigen wir Marineschiffe und
Küstenwachboote. Die seit September 2016 zu unser Gruppe ge-
hörende Werft Blohm+Voss möchten wir für den Neubau von
Marineschiffen nutzen – zusätzlich zum Reparaturgeschäft von
Kreuzfahrtschiffen und sogenannten Yacht-Refits. Und in Rends-
burg und Bremen steht der Yachtneubau im Fokus. Abliefern kön-
nen wir durchschnittlich drei. Eine 80-, eine 100- und eine 140-
Meter-Yacht. 2009 war die letzte Krise. Zu dieser Zeit haben wir
erst einmal keinen einzigen Auftrag reingeholt, fast 15 Monate
lang. 2011 ging das dann wieder aufwärts. Und im Jahr 2012 hat es
geboomt. Jetzt merken wir wieder, dass die Nachfrage nachlässt
und sich das Marktumfeld verschlechtert.
FD: Dafür zieht doch das Geschäft mit den Marinebauten der-
zeit wieder an angesichts der unruhigen Lage in der Welt.
FL: Eine Zeit lang hat man vor allem Einheiten abgebaut und ge-
sagt: „Die Welt wird immer friedlicher.“ Das war leider ein Irrglaube.
Auch das deutsche Verteidigungsbudget wird wieder erhöht. Und
wir merken weltweit eine steigende Nachfrage. Das Berliner Ver-
teidigungsministerium hat sich entschlossen, die nächsten großen
Fregatten europaweit auszuschreiben. Drei Konsortien sind derzeit
im Bewerbungsverfahren. Die Ausschreibung ist sehr komplex und
kostenintensiv. Allein die Kosten, die nur für das Angebot an-
fallen, summieren sich auf einen zweistelligen Millionenbetrag.
FD: Wenn in den USA ein solcher Auftrag des dortigen Ver-
teidigungsministeriums vergeben würde, hätte doch keine
kanadische oder mexikanische Werft eine Chance, sich auch
nur an der Ausschreibung zu beteiligen.
FL: Die europaweite Ausschreibung ist eine Premiere. Die Fran-
zosen realisieren Militäraufträge nach wie vor im eigenen Land,
die Italiener ebenso, auch die Engländer und Holländer verge-
ben Aufträge national. Wir kennen ja die Kollegen. Und die waren
auch sehr erstaunt und wollten das erst gar nicht richtig glauben.
FD: Wenn der Auftrag ins Ausland gehen sollte, dann gehen
ja auch System-Know-how und viele Zulieferer weg.
FL: Deutschlands Werften haben sich in den vergangenen Jahren
zusehends spezialisiert und mit Erfolg Nischenmärkte besetzt.
Neben den Kreuzfahrtschiffen sind deutsche Werften vor allem
noch bei Yachten und Marineschiffen weltweit wettbewerbsfähig.
Der Handelsschiffbau ist hierzulande hingegen nicht mehr kon-
kurrenzfähig.
FD: Aber da sage ich, Gott sei Dank sind wir nicht mehr drin.
Denn diejenigen, die sich auf den Bau von Containerschiffen,
Tankern und Bulkern konzentriert haben, denen geht es ganz
schlecht. Deren Wehklagen ist laut.
FL: Der Markt ist so schlecht wie noch nie.
FD: Koreanischen Reedereien geht es schlecht, japanischen
Werften geht es schlecht. Chinesischen Werften geht es ganz
schlecht.
FL: Die Chinesen bauen jetzt schon für sich selbst. Aktuell ferti-
gen sie, glaube ich, 20 oder 30 Bulker.
FD: Von China zurück an die Weser. Zum guten Schluss die
Frage, wie wichtig denn der Standort Bremen für die Lürssen-
Gruppe ist.
FL: Für mich ist Bremen wichtig, Bremen-Nord inbegriffen. Ich
bin hier geboren, bin hier zur Schule gegangen und bin ein
Mensch, der keinen großen Wert auf Wohnortwechsel legt. Ich
fühle mich hier wohl. Meine Frau auch. Und wir sind ein Fami-
lienunternehmen, das in der vierten Generation Schiffbau in
Bremen betreibt – da müssen wir über den Standort nicht nach-
denken.
FD: Ich bedanke mich für das Gespräch.
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▶ Friedrich Lürßen (li.) und Frank Dreeke (re.)
▶ Yacht „Azzam“, Lürssen-Werft
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▶ Friedrich Lürßen
Friedrich Lürßen wurde 1949 in Bremen-Nord geboren und stieg 1977 ins Familienunternehmen ein. Heute führt der leiden-
schaftliche Werder-Bremen-Anhänger die norddeutsche Unternehmensgruppe gemeinsam mit seinem Vetter Peter Lürßen in
vierter Generation.
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▶ Wallfahrtskapelle St. Bartholomä am Königssee
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Mehr Mythen und Legenden als um den Königssee ranken sich um kein Gewässer in Deutschland. Und der See revanchiert sich dafür: mit großartigen Perspektiven, einem beeindruckenden Echo und der berühmten Watzmann-Kulisse.
Weil nur Elektroboote den See befahren dürfen und selbst das
Schwimmen nicht gestattet ist, ist der Lebensraum Königssee ein
Paradies für Forellen, Saiblinge und Renken. Angelrechte hat nur
einer: der Fischer vom Königssee, beheimatet auf St. Bartholomä am
Ende des Sees unterhalb des Watzmann-Massivs. Thomas Amort
heißt er und führt den Betrieb in der dritten Generation.
400 Jahre alt ist der Räucherofen, der in der Fischerei neben der
kleinen Kirche steht. Jeden Morgen wird geräuchert, die Fische
vorher zwölf Stunden in Salzlake gelegt, danach für vier Stunden
in den Ofen. Buche, Esche und Ahorn geben den gewünschten
Geschmack.
Um 11 Uhr öffnet die Fischerei, dann darf sich der Besucher auf
eine seltene Mahlzeit freuen: eine Scheibe Graubrot, ein wenig
Butter und einen geräucherten Fisch, dazu selbstverständlich ein
halbes Helles.
Der Fischer vom Königssee – St. Bartholomä, 83471 Schönau am Königssee
▶ Bootsanleger, Königsee
▶ Geräucherter Saibling mit Brot
Genuss°zum SchlussGeräucherter Fisch aus dem Königsee
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