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Notizen zur schweizerischen Kulturgeschichte Dr. med. Felix Heusser Landarzt des Zürcher Oberlandes und Pionier der schweizerischen Chirurgie Von ALBERT HÄNi (Rüti, Kt. Zürich) (Mit einem Porträt im Text) Durch die Gründung des chirurgisch-me- dizinischen Instituts im Jahr 1783 hatten sich die ärztlichen Verhältnisse in der Zür- cher Landschaft weitgehend gebessert, um sich dann nach der Gründung einer medi- zinischen Fakultät im Jahr 1831 den städti- schen völlig anzugleichen. Ein zukunfts- gläubiges, optimistisches Leben durchpulste damals viele ländliche Arzthäuser und Ärztegesellschaften. In der medizinisch- chirurgischen Kantonalgesellschaft hielten Landärzte treffliche Vorträge; sie dienten der medizinischen Wissenschaft nicht nur als aufmerksame Hörer, sondern als tatkräf- tige Mehrer von Wissen und Erfahrung. Zu diesen Landärzten gehörte auch unser FELIX HEUSSER, der manches Jahr in Hom- brechtikon im Zürcher Oberland eine an- strengende landärztliche Praxis ausgeübt und daneben unter einfachsten Verhältnis- sen sich geradezu Staunen erregend chir- urgisch betätigt hat. Zu jener .Zeit war freilich die chirurgische Abteilung eines Spitals in ihren Einrichtungen einer Pri- vatpraxis nicht wesentlich überlegen. In den Spital ging, wer zu Hause keine Pflege

Notizen zur schweizerischen Kulturgeschichte - ngzh.ch · Jahrg. 92 Notlzen zur schweizerischen Kulturgeschichte. 49 hatte; sein Ausbau geschah weniger aus medizinischen als aus soziologischen

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48 Vierteljahrsschrift der Naturf. Gesellschaft in Zürich. 1947

265-300. 1902, 16, 15-30, 48-65, 167-180, 280-286, 300-313.

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Notizen zur schweizerischen Kulturgeschichte

Dr. med. Felix HeusserLandarzt des Zürcher Oberlandes und Pionier der schweizerischen Chirurgie

VonALBERT HÄNi (Rüti, Kt. Zürich)

(Mit einem Porträt im Text)

Durch die Gründung des chirurgisch-me-dizinischen Instituts im Jahr 1783 hattensich die ärztlichen Verhältnisse in der Zür-cher Landschaft weitgehend gebessert, umsich dann nach der Gründung einer medi-zinischen Fakultät im Jahr 1831 den städti-schen völlig anzugleichen. Ein zukunfts-gläubiges, optimistisches Leben durchpulstedamals viele ländliche Arzthäuser undÄrztegesellschaften. In der medizinisch-chirurgischen Kantonalgesellschaft hieltenLandärzte treffliche Vorträge; sie dientender medizinischen Wissenschaft nicht nur

als aufmerksame Hörer, sondern als tatkräf-tige Mehrer von Wissen und Erfahrung.Zu diesen Landärzten gehörte auch unserFELIX HEUSSER, der manches Jahr in Hom-brechtikon im Zürcher Oberland eine an-strengende landärztliche Praxis ausgeübtund daneben unter einfachsten Verhältnis-sen sich geradezu Staunen erregend chir-urgisch betätigt hat. Zu jener .Zeit warfreilich die chirurgische Abteilung einesSpitals in ihren Einrichtungen einer Pri-vatpraxis nicht wesentlich überlegen. Inden Spital ging, wer zu Hause keine Pflege

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hatte; sein Ausbau geschah weniger ausmedizinischen als aus soziologischen undlehrtechnischen Gründen. Freilich war einchirurgischer Spitalarzt auf operativem Ge-biet im allgemeinen wesentlich geübter alsein gewöhnlicher Praktiker und hatte denVorteil einer bessern Assistenz, bessernPflegepersonals und eines etwas reichernInstrumentariums. Aber es gab kaum einVerfahren, das nur im Spital, zu Hauseaber nicht möglich war. Die Infektionsge-fahr war in einer Zeit, da man weder überdie Infektionserreger noch über den Infek-tionsmodus Bescheid wusste, im Spital inder Regel wesentlich grösser als in derhäuslichen Privatpraxis, wie ja bekaunt-lich auch das Kindbettfieber nirgendsschlimmer grassierte als in den Gebäran-stalten. Die Landschaft besass damals nochkeine Spitäler; dabei waren die Transport-möglichkeiten in die Stadt häufig schlecht.So musste ein Landarzt vieles können undwagen, Eingriffe machen, die heute bei ver-änderten Verhältnissen kaum zu verant-worten wären. Was unter jenen Verhältnis-sen ein besouders tüchtiger Vertreter diesesStandes zu leisten vermochte, soll auf denfolgenden Blättern geschildert werden.

Dr. FELIX HEUSSER1), geboren am 2, Juli1817, gestorben am 15. Juli 1875 war derSohn eines in Hundwil im Appenzellerlandepraktizierenden Arztes, der indessen schonvor der Geburt seines Sohnes gestorben ist.Die Witwe zog bald nach diesem Unglückin ihre Heimatgemeinde Hombrechtikon,wo ihr Felix dann zur Welt kam und seineersten Jugendjahre verlebte. Die Schulzeitverbrachte er bei einem kinderlosen Onkelin St. Gallen. Dadurch wurde ihm der Be-such der vorzüglichen städtischen Schulenermöglicht. Da der Onkel seinen Pflegesohnzum Handwerk seines Vaters bestimmte,gab er ihn nach der Sitte der Zeit einemSt. Galler Arzt in die Lehre und liess ihnausserdem in der lateinischen Sprache un-terrichten. Zur weitern Ausbildung schickteer ihn dann nach Hirzel zum dortigen ArztJAKOR HEUSSER, als tüchtiger Chirurg imweiten Umkreis geachtet e). Er war derGatte der Liederdichterin META HEUSSERund der Vater von JOHANNA SPYRI. Er wares wohl, der den jungen Adepten für dieoperative Tätigkeit begeisterte. Nachher be-zog Felix noch die Universitäten von Göt-tingen, Heidelberg und Berlin, wo damals

Dr. med. Felix Hensser

die Chirurgen MARTIN VON LANGEN BECK'),CHELIUS4) und DIEFFENBAGH 5) wirkten. Wenner auch kaum Assistent eines dieser Mei-ster gewesen sein wird, darf man doch an-nehmen, dass ihr Einfluss von entscheiden-der Bedeutung auf seine weitere Entwick-lung war, um so mehr, als bei den dama-ligen kleinen Verhältnissen der Kontaktzwischen Lehrern und Schülern viel engerwar als etwa heutzutage und auch die Schü-ler, noch nicht in einem Übermass an Vor-lesungen fast ertrinkend, lebendigeren An-teil an zeitgenössischen fachlichen Proble-men und Kontroversen nahmen als heute.Nach Beendigung seiner Studien trat HEUS-

SEK in den Dienst der ostindisch-niederlän-dischen Gesellschaft, um als Schiffsarzt dieFahrt in die Kolonien anzutreten. Aber dasKlima sagte ihm nicht zu und das Heimwehplagte ihn; so erneuerte er den Vertragnicht. In die Heimat zurückgekehrt, legteer die erforderlichen Examina ab, um sichkurz darauf als Arzt in Pfäffikon am Zü-richsee nieder zu lassen. Als aber in Hom-brechtikon Vater und Sohn STAUB kurznach einander starben, siedelte er in seineHeimatgemeinde über. Er gründete eineneigenen Hausstand und teilte sich mit einemjungen Kollegen in die ländliche Praxis.Sein Ruf als Arzt, vor allem als tüchtiger

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Operateur, drang bald über die engernGrenzen seines Wirkungsbereichs hinaus,so dass seine Praxis eine ungewöhnlicheAusdehnung annahm und er oft tagelangvon zu Hause abwesend war. Erst durchden Ankauf eines geräumigen Hauses, desheute noch stehenden Sonnenhofes°), wurdeer, in den Stand gesetzt, Patienten in seinHaus aufzunehmen, was damals an sichnichts aussergewöhnliches war. BesondersGemütskranke fanden oft Aufnahme inHäusern von Landärzten; dort wurde teil-weise Arbeitstherapie getrieben, als einesolche in den Irrenanstalten noch lange Zeitvollkommen unbekannt war. Seiner Nei-gung gemäss nahm HEUSSER in seinemHeim, Patienten auf, die er operativ be-handeln konnte, so dass man in seinemHaus eine eigentliche chirurgische Privat-klinik zu erblicken hat. Die Zahl der Pa-tienten, die er gleichzeitig beherbergenkonnte, wird freilich nicht gross gewesensein. Die Pflege wurde von seiner Frauallein besorgt. BILLROTH 7) sah ihn einmalbei der Resektion eines Humeruskopfes:die Frau besorgte die Narkose, sein zwölf-jähriger Junge half bei der Gefässligaturund alles übrige besorgte HEUSSER ganzallein. Der vielbeschäftigte Mann schränkteseine Tätigkeit erst ein, als ihn zunehmen-des Alter und körperliche Gebrechen dazuzwangen, rheumatische Beschwerden, Eng-brüstigkeit, Körperschwäche und ein Ma-genleiden, das wohl krebsiger Natur gewe-sen ist, so dass der Tod schliesslich eineErlösung für ihn war. Von heiterem Gemütwar HEUSSER ein zärtlicher Familienvater,ein guter Gesellschafter und ein überallgern gesehener Mann.

Die Lieblingsbeschäftigung dieses Land-arztes war stets die operative Chirurgiegewesen. Er machte in seinem Haus opera-tive Eingriffe, die auch nach heutigen Be-griffen ins Gebiet der grossen Chirurgiegehören und konnte dabei Erfolge aufwei-sen, um die ihn die grössten chirurgischenKliniken seiner Zeit beneiden durften undwohl auch beneideten. Er führte mit gros-sem Erfolg Kropfoperationen und Gelenk-resektionen aus zu einer Zeit, da der be-rühmte BH.LROTH in Zürich solche Eingriffenoch nicht wagte, wegen ihrer zu grossenGefährlichkeit; in seinem in vielen Aufla-(Yen erschienenen Werk über «ChirurgischePathologie und Therapie» erwähnt er den

Zürcher Chirurgen freilich nirgends. AuchTHEODOR KOCHER°) wusste, dass HEUSSERder erste Schweizer war, der erfolgreichStrumektomien ausführten); im geschicht-lichen Überblick über diese Operation inseiner «Encyclopädie der gesamten Chirur-gie» würdigte er ihn indessen mit keinemWort. HEUSSER wurde wegen seiner chirur-gischen Tätigkeit von vielen Kollegen scheelangesehen. Man machte ihm den Vorwurf,er habe auch nicht kranke Gelenke rese-ziert und diese Operation überhaupt un-nötig viel angewandt, auch dann, wenn an-dere, konservierende Methoden zum selbenZiel geführt hätten. WILHELM v. MURALT10),der Mitbegründer und langjährige Leiterder chirurgischen Abteilung der ZürcherKinderklinik, der nach HEUSSER's Tod inder kantonalen Ärztegesellschaft einenVortrag über den chirurgischen Nachlassdieses Mannes hielt 11 ) . und seine chirurgi-sche Tätigkeit eingehend würdigte, hattenicht nur HEUssER's Krankengeschichten,die der vielbeschäftigte Landarzt sehr fleis-sig geführt hatte, sondern auch alle nochvorhandenen chirurgischen Präparate sel-ber eingesehen und sorgfältig untersuchtund kam dabei zum Schluss, dass der ersteder beiden Vorwürfe völlig ungerechtfer-tigt sei; den zweiten Vorwurf liess er inseiner Berechtigung offen, da hier schliess-lich nur der Erfolg recht geben konntet').An Anerkennung hat es HEUSSER aber auchnicht gefehlt. BILT.ROTH soll sich einmal ge-äussert haben, HEUSSER sei ein Wundarztvon grosser Kühnheit und Beobachtungs-gabe sowie von aussergewöhnlicher jedochmehr rein technischer Geschicklichkeit; erhabe schnell und geschickt operiert13).MEYER-HOFMEISTER 14), einer der gebildet-sten Zürcher Ärzte seiner Zeit und lang-jähriger, völlig selbständiger Oberarzt einerchirurgischen Abteilung des Kantonsspitalsurteilte über ihn: Dr. HEUSSER hat sichals gewandter und kühner Operateur be-währt, der den Mut hatte, mit geringenHilfsmitteln Eingriffe zu unternehmen, vorderen Schwierigkeit zu jener Zeit Chirur-gen ersten Ranges zurückstanden. Auf demGebiet der Resektionen, insbesondere derKniegelenkresektionen sind seine Ver-dienste um die Förderung der operativenTechnik anerkannt und sein Name wirdin der Geschichte dieser Operation einge-schrieben bleiben15). — Damit ist wohl auch

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die leise Reservation BILLRoTH's in Fragegestellt.

HEUSSER führte wie gesagt genaue Kran-kengeschichten und legte über seine Tätig-keit ausführliche Tabellen an. Nach VON

MURALT sind in denselben aus den Jahren1841-1863 896 Operationen verzeichnet. Esfand sich so ziemlich alles vor, was einenChirurgen zu jener Zeit beschäftigen konnte,auch Augenoperationen von der Entfernungeines Fremdkörpers aus der Cornea biszur Reclination einer Linse und einer Ble-pharoplastik, sowie zahlreiche geburtshilf-liche und gynäkologische Eingriffe. Dasreiche Material, das voN MURALT vorlag, istoffenbar verschollen und verloren. Nebenvielen Notizen, Krankengeschichten, in Zeit-schriften veröffentlichten Aufsätzen undden sorgfältig geführten Tabellen standihm noch HEUSSER'S reiche pathologisch-anatomische Sammlung zur Verfügung, 98Weingeist- und 116 Trockenpräparate, dar-unter 26 Kniegelenkresektions- und 25Kropfpräparate, eine Sammlung, die nachdem Urteil v. MURALT'S geradezu ein Uni-kum bedeutete. Er suchte die kantonaleÄrztegesellschaft zu bewegen, dieselbe derWitwe abzukaufen und als HEUssER-Samm-lung dem pathologisch-anatomischen Insti-tut der Universität zu Lehrzwecken ge-schenkweise zu überlassen. Ob diese Schen-kung wirklich zu Stande kam, entzieht sichindessen unserer Kenntnis.

Obschon HEUSSER's Bedeutung vornehm-lich auf operativem Gebiet liegt, erstreck-ten sich seine medizinischen Interessenauch über die Chirurgie hinaus. In seinemNachlass fanden sich viele Manuskripte vonVorträgen, die er in ärztlichen Gesellschaf-ten gehalten bat; beute sind sie leider nichtmehr auffindbar, doch haben sie v. MURALTnoch vorgelegen. Dieser erwähnte im Jahr1877 in seinem schon erwähnten Vortragfolgende: über Ophthalmia neonatorum,Meningitis, Homöopathie, Magnetismus undMesmerismus, einen Zyklus von Mitteilun-gen über Kinderkrankheiten, eine Arbeitüber Hydrocephalus, die eine vortrefflicheSchilderung der Symptome enthalte. DassHEUSSER auch bestrebt war, die neuere Li-teratur zu verfolgen, zeigte die handschrift-liche Kopie einer grossen Arbeit B?LL-RoTH's, eindrücklicher freilich wohl dieTatsache, dass er die 1847 zuerst beschrie-

bene Chloroformnarkose ' sicher schon imJahr 1849 selber anwandte.

Von HEUssER'S literarischer Tätigkeitzeugen einige Aufsätze in der «Schweize-rischen Zeitschrlft für Medizin, Chirurgieund Geburtshülfe> aus den fünfziger Jahrendes vorigen Jahrhunderts. Für die Ge-schichte der schweizerischen Chirurgie sindsie von bleibender Bedeutung.

In einem dieser Aufsätze beschreibtHEUSSER die operative Behandlung einesLeberabszesses mit Entfernung von vielenhundert Hydatiden16). Als er die Patientinzum erstenmal sah, klagte sie seit vielenMonaten über Schmerzen im rechten Hypo-chondrium. Er fand die Gegend bis überdas Epigastrium hinaus bedeutend auf-getrieben und stellte Fluktuation fest. Vorallem beim Liegen war die Geschwulst an-geblich sehr schmerzhaft. HEUSSER stelltedie Diagnose eines chronischen Leber-abszesses, der sehr tief im Parenchym lie-gen musste, aber einen solchen Grad vonReife erreicht hatte, dass jederzeit mit demPlatzen der Geschwulst gerechnet werdenmusste. Trotz ungünstig gestellter Prognoseschritt er zur Operation, die sein kühnesDraufgängertum drastisch unter Beweisstellt: Lagerung auf einem Sessel, Fest-halten der obern Körperhälfte durch eine.Drittperson, Anspannung der Geschwulstund Einstich im rechten Hypochondriumdicht am untern Ende des Rippenbogensmit grosser Abszesslanzette. Trotz zwei-maliger Einführung der Lanzette entleertesich kein Tropfen Flüssigkeit. HEUSSERdilatierte den Einstich um mehrere Zoll,machte mit dem Skalpell einen tiefen Ein-schnitt ins Leberparenchym von 5i deut-schen Zoll (ca. 14 cm) und drang mit dreiFingern in die Wunde. Nun begann sicheine jaucheartige Flüssigkeit in ununter-brochenem Strahl zu entleeren. Er gelangtedarauf mit den Fingern in eine weite Höhle,die von einem lederartigen Sack umschlos-sen war, darauf an eine grosse Blase, dieschon bei leichter Berührung sprang undeine wasserähnliche Flüssigkeit entleerte.Das Herausziehen des Sacks hielt diePatientin nicht aus. Es entleerten sich dar-auf Hydatiden «zu vielen hunderten». So-wohl die Leberwunde wie auch die äussereWunde wurden mit Charpie ausgestopft,um ein Zuheilen zu verhindern. Wie zu er-warten war, stellte sich in der Folge eine

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Bauchfellentzündung ein, die er mit Anti-phlogose bekämpfte: äusserlich Blutegel,iunerlich Oleosa, Rizinusöl, bedeutende Do-sen von Calomel, in Verbindung mlt zlem-lichen Dosen von Opium, dem «wahren Spe-zifikum bei Unterleibsphlogosen>. Am 5.Tag gingen die Erscheinungen der Bauch-fellentzündung zurück und der Zustand bes-serte sich von Tag zu Tag. HEUSSER spültedie Leberwunde mit reinem Wasser und in-jizierte Ochsengalle. Nach weitern acht Ta-gen wurde der Ausfluss geringer und derwiderliche Geruch verminderte sich. Miteiner Klystierspritze mit knöcherner Ka-nüle zog er täglich die letzten Reste desEiters heraus, worauf er eine Silbernitrat-lösung einspritzte. Nach und nach wurdedie Leber weich und klein, der Ausflusshörte auf, der Appetit hob sich und nachacht Wochen war die Frau geheilt. DieFrage eines Rezidivs liess HEUSSER offen;er war zufrieden, die Frau für einmal vomsichern Tod errettet zu haben.

In einer weitern Abhandlung berichteteHEUSSER über erfolgreiche operative Be-handlung von Varizen17 ). Eine 22jährigePatientin hatte seit fünf Jahren an varikö-sen Geschwüren des rechten Unterschenkelsgelitten, die sich wohl gelegentlich schlos-sen, die aber immer von neuem wieder auf-traten. HEUSSER entschloss sich zu einemoperativen Eingriff: Horizontale Lagerungwie bei Herniotomie. Chloroformnarkose.Über dem obersten Knoten der Vena sa-phena magna schnitt er ein, isolierte den-selben und verfolgte die Vena saphena wei-ter hinauf. Direkt über der Fascia latastiess er auf einen weitern Knoten. Er spal-tete die Faszie und dilatierte, mit dem Er-folg, dass die Vene zusammenfiel und dieKrampfadern am Ober- und Unterschenkelin wenigen Minuten verschwanden. Mit derHeilung der Operationswunde heilten auchdie Beingeschwüre rasch zu. — Bei einemweitern Fall sah HEUSSER, wie der Blutab-fluss durch ein Venenkonvulut beim Ein-tritt in die Fascla late gehemmt war; dieoperative Lösung gelang leicht und brachtevollen Erfolg. Auch durch fibröse Strängeund Narben verursachte Stauungen behober operativ mehrmals.

Im Jahr 1850 berichtete HEUSSER übereine Kniegelenkresektion, mit Erhaltungeines künstlichen Gelenks18). Er suchte eineVersteifung zu verhindern, um so weit als

möglich einen normalen Zustand herbeizu-führen. Weil Unterschenkel und Kniescheibegesund waren, schien ihm der Fall für einensolchen Versuch besonders geeignet. DerGrund zur Resektion war in Caries oderKnochenfrass des untern Endes des Ober-schenkes gelegen. HEUSSER glaubte, dienachherige, nicht zu vermeidende Deformi-tät werde beim Gehen weniger in die Augenfallen, wenn nur einigermassen eine Ge-lenkbeweglichkeit erhalten bleiben könne.Die Operation selber beschrieb er folgen-dermassen: Lagerung auf dem Rand einesTisches, wobei ein Gehilfe den Körperhielt, ein anderer das gesunde Bein und eindritter den Unterschenkel des krankenBeins. Er als Operateur stellte sich auf dieäussere Seite des kranken Beins. Mit einemkleinen, geraden, spitzen Amputationsmes-ser machte er über dem Gelenksende desUnterschenkels, der Tuberositas tibiae, einenetwas gebogenen, mehrere Zoll langenSchnitt und verlängerte denselben auf derinnern wie äusseren Seite ungefähr fünfZoll lang bis auf den Oberschenkel, zur Bil-dung elnes dachziegelförmigen Lappens.Der zweite Schnitt drang nun auf der Vor-derseite durch die Fascia lata, die aponeu-rotischen Gebilde verschiedener Muskeln(musc. vast. int. et ext., recti femoris), dasLigamentum Patellae und das Kapselband.Dann wurde die Kniescheibe mit dem ge-bildeten Lappen auf den Oberschenkel zu-rückgeschlagen. Damit war das ganze Ge-lenk abgedeckt und konnte von der vordernSeite genau inspiziert werden. Der Ober-schenkel blieb immer in Extension bei ge-bogenem Unterschenkel, so dass die iunernGelenkbänder, die Hg. cruciata, sichtbarwurden, die er mit einer Schere abschnitt.Damit waren Ober- und Unterschenkelkno-chen von einander getrennt. Die verschie-denen weichen Teile zu beiden Seiten desOberschenkels und in der Kniekehle konn-ten leicht durchschnitten werden, ohne Ge-fahr der Verletzung grösserer Gefässe undNerven. Nun lag das kranke Stück in sei-ner ganzen Ausdehnung frei und konntegenau betrachtet werden, worauf man esmit einer einfachen Amputationssäge ent-fernte. Nach Anlegung einer Knopfnahtwar die Operation beendlgt. — Die Nach-behandlung war bei diesem Fall ungeheuermühsam. An Stelle der schlecht vertrage-nen Antiphlogose (entzündungshemmende

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Behandlung) musste eine stark rorborie-rende und analeptische (stärkende, anre-gende) Methode treten. Chinarinde mit Mi-neralsäuren und Eisenpräparate wurdenlange Zeit unausgesetzt gebraucht. Es kamzn ausgedehnter Eiterung im Kniegelenk.Der gebildete Lappen trennte sich belnaheganz los, so dass man stets das Innere desGelenkes sah. Die knorpeligen 1.1berzügevon Schien- und Wadenbein gingen zuGrunde, so dass die Heilung doppelt schwie-rig war. Trotz verzweifelter Situation ver-lor HEUSSER den Mut nicht. Den Fortgangder Behandlung schilderte er mit folgendenWorten: Unter diesen Ümständen ver-tauschte man örtlich ebenfalls die antiphlo-gistische Methode mit einer die Plastizitätbefördernden und die Jauche verbessern-den Behandlung. Abwechselnd wurden In-jektionen von Quercus (Eichenrindenabsud)mit etwas Myrrhentinktur, Überschlägegleicher Art und Kataplasmen gemacht, fer-ner während geraumer Zeit ein Verbandmit langen Heftpflasterstreifen und Bindenunausgesetzt gebraucht, bis endlich die na-türliche Heilkraft den Sieg über den hart-näckigen Feind davontrug. So entwickeltensich langsam bessere Umstände und täglichging es eine kleine Strecke vorwärts. DieAusschwitzungen des Callus (Knochenneu-bildungssubstanz), das Festerwerden des-selben bis zur knöchernen Epiphyse (Ge-lenkende) an den alten Knochen konnteman hier getreu mit den Augen wahrneh-men. Die ilberreste des Bänderapparatesgingen durch Suppuration (Vereiterung)ebenfalls zu Grunde; an ihre Stelle tratenGranulationen von fleischigem, muskulö-sem Gewebe, das sich nach und nach kon-trahierte und die knöchernen Gebilde aufdiese Weise zusammenhielt. Die Knie-scheibe, die viele Wochen durch den Aus-scheidungsprozess zur Seite gedrängt undtanzend gewesen war, kam wieder auf ihrevon der Natur zugewiesene Stelle undkonnte dort mittels eines festen Verbandesfixiert werden. Bis zur vollständigen Hei-lung, d. h. bis der Kranke den Boden be-treten konnte, vergingen etwa 22 Wochen.— Während der ganzen Zeit wurde derSchenkel in einer schwebenden Extensions-lage gehalten durch einen von HEUSSERselbst erfundenen Schwebeverband. DasBein wurde in ein Kästchen gelagert, aufeinen Spreusack und beidseitig mit Sand-

Säcklein fixiert. Vorn war das Kästchen ge-öffnet, während die beiden seitlichen unddie Hinterwand durch Scharniere umge-klappt werden konnten, zum ungehindertenZugang zur Wunde. Diese Maschine war mitfesten Schnüren an einer beweglichenSchwebestange befestigt, die etwa drei Fussüber der Bettlade angebracht und mit einemfesten Stock an der hintern Bettwand ange-macht und verbunden war. Mit dem Fester-werden der Gewebe wurde die Extremitättäglich extendiert und flexiert zur Erhal-tung der Beweglichkeit im neuen Gelenk.

In der Folge kam HEUSSER freilich zurEinsicht, dass das funktionelle Resultat beiknöcherner Verheilung von Ober- und Un-terschenkel besser sei als bei Erhaltungeines künstlichen Gelenkes, und damit gaber auch diesen Kästchenverband auf. AnStelle des Schwebeverbandes bediente ersich einer einfachen, die Wunde nicht rei-zenden, breiten Guttaperchaschiene, dievon der Oberschenkelmitte bis zur Mitte desUnterschenkels reichte. In heissem Wassererweicht, wurde sie auf die untere Flächeder operierten Extremität gelegt und überdem Rücken von Ober- und Unterschenkelzusammengezogen, im Wundgebiet aber nurbis an die Wundränder gebracht. Dadurcherhielt er einen angeblich sehr festen, abernirgends drückenden Fixationsverband miteinem Wundfenster, der die Wundversor-gung unbehindert erlaubte. Während derganzen Behandlungsdauer musste er nie er-neuert werden. Schon nach wenigen Tagendurfte der Patient jeweils aufsitzen, ohnedass sich deshalb die resezierten Knochen-teile in ihrer Lage verändert hätten19).

Die verstümmelnde Amputation verwarfHEUSSER für alle Fälle, in welcher eine Re-sektion auch zum Ziel führen konnte, ob-schon sie damals bei unheilbaren Kniege-lenkskrankheiten noch die Operation derWahl war, sofern man diese nicht einer Mo-nate und Jahre dauernden Selbstheilungüberliess, da der Kranke nach der Resek-tion seine Extremität immerhin noch be-sitze und «als sein Selbsteigenes gebrauchenköune». Die Heilungszeit war bei den ein-zelnen Fällen freilich sehr verschiedenlang; ein Knabe konnte einmal nach Knie-resektion schon nach acht Wochen an Stök-ken wieder gehen, um kurz darauf ohneStock wieder so rasch umherzugehen wiein gesunden Tagen. Der kürzern Heilungs-

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dauer bei Amputation stellte er den .Nach-teil gegenüber, dass die oft lange anhalten-den Schmerzen im Stumpf das Tragen einerProthese unmöglich machten. Auf jeden Fallwar HEUSSER überzeugt, dass eine Extremi-tät mit reseziertem Kniegelenk Stelzfüssenund schweren hölzernen Schenkeln weitvorzuziehen sei, da ja die Deformität durcherhöhten Absatz und Souspieds ziemlichleicht ausgeglichen werden könne.

1859 legte HEUSSER eine Tabelle an überseine 32 ausgeführten Kniegelenkresektio-nen, von denen 19 geheilt, 2 ungeheilt und11 gestorben waren (3 an Tuberkulose, 4 anBlutvergiftung, 1 an Starrkrampf, 1 angeb-lich an Blutarmut und 2 aus unbekauntenGründen. Zweimal musste wegen Bildungeiner Pseudarthrose (falschem Gelenk) dochnoch zur Amputation geschritten werden,wobei ein Fall zur Heilung, der andere inFolge von Blutvergiftung zum Tode führte.HEUSSER empfahl, diese Operation nach dem55. Altersjahr nicht mehr auszuführen, weildann, wie er sich ausdrückt, die Reproduk-tionskraft zu gering sei. Die Erfahrunghatte ihn dazu geführt, ein steifes Knie-gelenk anzustreben, weil es brauchbarersei als ein bewegliches künstliches Ge-lenk. Von den 32 Resezierten standen 13 imAlter von 10 bis 20, 11 zwischen 20 und 30Jahren. Von diesen 32 Resektionen lagenv. MURALT noch 26 Trockenpräparate vor;es liess sich an allen deutlich erkennen,dass der Knochen jeweils erkrankt gewesenwar, teilweise sogar hochgradig. In seinemVortrag vor der kantonalen Ärztegesellschaftkonnte er im Jahr 1877 noch zwei geheilte,knieresezierte Patienten vorstellen, dieHEUSSER 1850 operiert hatte. Der Vortra-gende bezeichnete sie als «Repräsentanteneiner resektionslosen Zeit, als historischeKabinettsraritäten»26).

HEUSSER führte aber nicht nur Resektio-nen an Kniegelenken, sondern auch an fastallen andern Gelenken aus. In einer spä-tern Arbeit21) berichtete er über seine Er-folge mit der Resektionsmethode an Handder Fälle, die er von 1842-1860 operierthatte. Von 83 Patienten waren 66 geheiltund 17 gestorben. Er operierte neunmal amEllbogen, zehnmal am Kiefer und zwar amOber- und Unterkiefer (zumeist wegenPhos-phornekrose), an Schulter, Handgelenk undoft an den kleinen Gelenken der Fingerund Zehen. v. MURALT konnte ein damals

ausserordentlich seltenes Präparat eines re-sezierten Fussgelenks vorweisen; an einem56jährigen Mann hatte HEUSSER wegen trau-matischer Fussgelenksentzündung Schien-bein, Wadenbein und Sprungbein reseziert.In 16 Wochen war der Mann geheilt gewe-sen und im Stand, wieder unbehindert um-herzugehen. Als er zwei Jahre später aneinem Leberleiden starb, konnte sich derOperateur das in fester Versteifung aus-geheilte Fussgelenk für seine Sammlungerwerben.

Im Jahre 1848 berichtete HEUSSER einerstes Mal über seine Kropfoperationen22).Er polemisierte in seiner Arbeit zunächstgegen die damalige Behandlungsweise derKropfkrankheit. Als im Anfang des 19. Jahr-hunderts die Jodtherapie eingeführt wurde(Coindet, Straub, v. Graefe), gab es immerweniger Chirurgen, welche das Kropfleidenoperativ angingen23 ). Der Heidelberger Chir-urg M. J. CHELIUS empfahl zwar in seinemoft aufgelegten und in viele Sprachen über-setzten «Handbuch der Chirurgie» (Frei-burg, 1840, S. 402 des 2. Bands), man habebei vaskulären, blutreichen Kröpf gutenErfolg mit der Unterbindung der obernSchilddrüsenarterien,da dadurch der grössteTeil des zuströmenden Blutes entzogenwerde. Er zog diese Methode den «früher»gemachten Exstirpationen und der Ein-ziehung des Eiterbandes vor. Die glück-lichen Resultate dieses Eingriffs bestimm-ten ihn, die Exstirpation der Kropfge-schwulst als zu gefährlich beinahe völligzu verbannen (S. 413 l. c.). Etwas später er-freute sich vor allem die Methode der Alko-hol- oder Jodtinkturinjektion in die Kropf-cysten grosser Beliebtheit. B. v. LANGEN-RECK 24) in Berlin propagierte sie besondersund seine Schüler in der Schweiz, BILLROTHin Zürich und LUECKE in Bern folgten ihremMeister begeistert. Noch im Jahr 1874schrieb der erstere in seiner «ChirurgischenPathologie und Chirurgie», die Jodtinktur-injektion sei die Methode der Wahl, weildie Exstirpation noch immer sehr gefähr-lich sei und in Folge von Blutung und deskolossalen operativen Eingriffs rasch zumTode führen könne. Auch G. F. L. STRO-MEYER 22) ging in Kiel zu dieser Art von Be-handlung über, obschon er sonst zu den frü-hesten Befürwortern der Exstirpation ge-hört hatte. Immerhin schrieb er 1865 in sei-nem «Handbuch der Chirurgie», im 2. Band,

Jahrg. 92 Notizen zur schweizerischen Kulturgeschichte. 55

S. 399: Die Injektion des Balgkropfes istvorzüglich von Berlin aus verbreitet wordenund einer ihrer Vertreter, Professor BILL-RoTH in Zürich, möchte sie ganz auf denThron erheben, die Inzision dagegen fastganz verbannen. Es ist daher wohl an derZeit, einmal wieder daran zu erinnern, dassmein Vorgänger in Freiburg, ProfessorBEGK 26 ), und ich eine Menge vonBalgkröpfendurch Inzision geheilt haben und dass unsbeiden nie ein Operierter gestorben ist. Ichfand diese Operation bei meiner Ankunft inFreiburg (1842) in allgemeiner Achtung,bemühte mich, sie darin zu erhalten und dieRegeln kennenzulernen, von denen der Er-folg abhängt. Nach seiner Übersiedlungnach Kiel (1848) scheint er zeitweise andernSinnes geworden zu sein. In diese Kontro-verse griff nun auch HEUSSER temperament-voll ein. Er schrieb, dass man zugebenmüsse, dass durch Ligaturen in grössernPartien schon Kröpfe verschiedener Qua-lität verkleinert worden seien. Diese Me-thode sei aber nicht nur sehr langwierig,sondern auch gefährlich wegen der sichnicht selten einstellenden entzündlichenProzesse, bedeutenden Eiterungen und hef-tigen Schmerzen und Schlingbeschwerden,so dass er sie auf jeden Fall nie mehr an-wenden werde. Er fährt fort: Hat man beider Operation etwa eine Hämorrhagie ausder Halsschlagader, aus der Schilddrüse zubefürchten? Niemals. Denn diese Schlag-ader liegt im Trigonum colli weiter hinten.Bei der Struma cystica haben wir keine wei-tern Verletzungen zu befürchten, weil dieCyste unabhängig ist von der Schilddrüse.Bei andern Kropfarten, welche die Sub-stanz der Drüse einnehmen, sind dieselbenoft krankhaft obliteriert. Oder sind etwabedeutende Nervenverletzungen zu erwar-ten, so dass Lähmungen dieser oder jenerOrgane erfolgen könnten? Wiederum nicht.Man darf eben mit dem Messer nur dieKropfgeschwulst entfernen, ohne Stellen zuberühren, wo wichtige Nervenstämme oder-äste in die nahen Muskeln oder andernOrgane eingehen. Um auf den Kropf zu ge-langen, hat man nur die Haut und denLatissimus colli zu trennen, um das After-gewächs blosszulegen. Ist nun dasselbe einZystenkropf, was vor der Operation mitLeichtigkeit erkannt werden kann, teilsdurch bestimmt zirkumskripte Begrenzung,teils durch das Gefühl des schwammigen

oder fluktuierenden Contentums, legt man,nach einfacher Bloßlegung der Oberflächeder Zyste, das Messer zur Seite und trenntmit dem Zeigfinger den nur durch losesZellgewebe mit der Nachbarschaft in Ver-bindung stehenden Kropf mit grosser Leich-tigkeit los. Keine Ligatur muss man da an-wenden, keine Besorgnis hegen, dass sichdie Geschwulst später wieder regeneriere,was nach Anwendung anderer Operationenund Mittel schon öfter erfolgte. Die kleineWunde wird einfach durch Knopfnaht ver-einigt und heilt in wenigen Tagen perprimam intentionem. Meine Erfahrungdarin weist 6-7 glückliche Fälle nac. —HEUSSER fährt dann fort: In neueren Zeitenmachten LANGENRECK, STROMEYER in Kielund andere auf die Punktion solcher Zystenaufmerksam, nach welcher sie Jodsolutionoder irgendeine andere, eine Reaktion ver-anlassende Flüssigkeit injizieren, analogder bekannten Methode bei Hydrocele testi-culi (Wasserbruch des Hodens). Allein hierwie dort ist dies nie eine Radikalkur unddie Anwendung dieser Methode sogar invielen Fällen unmöglich, namentlich wenndas Contentum der Zyste zu fest ist. Aufder andern Seite macht die Injektion solcheinflammatorischen ErscheinIngen, Schling-beschwerden etc., dass man sich deshalbvor ihr hüten sollte 27). Die Leichtigkeit, mitwelcher ein solcher Kropf ganz exstirpiertwerden kaun, die kleine unbedeutendeLängsnarbe, die sich im ganzen nicht nachder Grösse des Tumors richtet, die schnelle,radikale Kur lassen erwarten, dass dieseMethode in unsern Gegenden, wo so vieleKröpfe zu Hause sind, allen andern Heil-methoden vorgezogen werde.

Etwas anders, schreibt er weiter, verhältes sich mit der degenerierten Schilddrüse,der Struma vasculosa oder parenchymatosa.Nicht, dass man sich hier vor der Ver-letzung der Halsschlagader mehr zu fürch-ten hätte, dagegen erschweren die mit Blutgefüllten Venen die Operation sehr. Aufder andern Seite sind diese strotzend ge-füllten Gefässe gerade vermöge ihrer Grösseauch leicht zu sehen, so dass man sie nichteher zu verletzen braucht, als dass sie dop-pelt unterbunden sind. Das übrige operativeVerfahren gleicht dem bei der zystischenKropfgeschwulst beschriebenen: Längs-schnitt durch die allgemeinen Bedeckungenund die Muskelschicht, das Platysma myoldes.

56 Vierteljahrsschrift der Naturf. Gesellschaft in Züric. 1947

Die Halsmuskeln (Sternocleidomastoideus,Sternothyreoideus, Omohoideus und dieScaleni) werden von einem Gehilfen mitden Fingern zur Seite gehalten. Das beidiesen Kröpfen ziemlich feste Verbindungs-gewebe wird mit leichten Schnitten, ganzauf der Drüsensubstanz, durchtrennt, wäh-rend diese immer mehr und mehr durchHaken hervorgezogen wird. Nach meinenErfahrungen bat man sich vor der Schild-drüsenarterie nicht zu fürchten; will manwegen möglicher Weise vorhandenen Ab-weichungen die nötige Vorsicht gebrauchen,so sondiere man mit dem Finger, um all-fällige Pulsationen zu fühlen. Hat man ein-mal die Drüse von vorn und hinten, vonoben und unten soweit getrennt, dass manaunehmen muss, man sei an ihre Einmün-dungsstelle gelangt, so unterbindet mandie kleinen unbedeutenden Residuen desTumors im ganzen mit fester, derber Liga-tur und schneidet vor der Ligatur dieStruma weg. Nachher Knopfnaht und anti-phlogistisches Verfahren.

Nach den Tabellen, die v. MURALT noch vor-gelegen sind, hat HEUSSER in Hombrechti-kon während zwanzig Jahren 96 Kropf-operationen ausgeführt, mit fünf Todes-fällen, zu einer Zeit, da die bedeutendstenChirurgen aus guten Gründen von diesemEingriff abstanden und dringend vor dem-selben warnten. HEUSSER'S Resultate warendamals wohl in der ganzen Welt unerreicht.

Ebenfalls im Jahr 1852 28) berichteteHEUSSER in der schweizerischen medizini-schen Zeitschrift über eine erfolgreicheRhinoplastik, einen künstlichen Nasen-ersatz. Er zählte zuerst die damals ge-bräuchlichen Methoden auf. Die Lehr-bücher aus jener Zeit zeigen, dass schonrecht viel in Plastik gemacht wurde.HEUSSER führte einige Male die «indische»Methode aus: Überpflanzung eines Lappensaus der Stirnhaut, unter einfacher Um-drehung des Lappens. Er erlebte aber eineGangrän, ein Absterben desselben, weil dieHautbrücke zu schmal war. Er beschloss,diese Methode nicht mehr zu versuchen undeine neue zu ersinnen, wobei er auf dieIdee kam, die neue Nase zuerst auf dieStirn des Patienten zu zelchnen, an derNasenwurzel beginnend. Dann habe er die-sen Stirnlappen breit, weit hinauf bis indie behaarte Kopfhaut hinauf verlängert.Nachher wurde der ganze Lappen, ab-

gesehen von seiner obern Basis, von derUnterlage abgelöst und über den Nasen-defekt heruntergezogen. Dort wurde er andie angefrischten Wundränder der Nase an-genäht. Das Herunterziehen sei sehr leichtgegangen, da die Haut dieser Partien sehrdehnbar sei. Der Hauptvorteil dieser Me-thode bestehe darin, dass der Lappen sonicht gedreht werden müsse und man aufeine gute Blutzufuhr hoffen dürfe. Die Nasesei jeweils schnell geheilt; in 14 Tagen seidie «Reunion» hergestellt gewesen. Dle ausGuttapercha gebildete Unterlage beliess eretwa sieben Wochen, nach welcher Zeit an-zunehmen war, dass die Kontraktionen derNeubildung die Form der neuen Nase nichtmehr beeinträchtigen werden. Unangenehmbei dieser Methode sei einzig, dass ungefährdas obere Viertel der Stirn, sonst vonHaaren befreit, jetzt etwas behaart sei, wasaber mit Schere und Rasiermesser leichtausgeglichen werden könne. — Als HEUSSERüber diese neue Methode in der kantonalenÄrztegesellschaft berichtete, wurde seineoriginelle Leistung sehr anerkannt wieauch sein Mut bewundert, weil D:EFFEN-BAGH einen Fall beschrieben hatte, bei demnach Ablösung der Galea aponeurotica (derKopfhaut) der Tod eintrat.

185329) beschrieb HEUSSER die operativeHeilung eines Patienten, dessen Kniegelenkin starker Kontrakturstellung schon einigeJahre lang ankylosiert gewesen sei, wasihn beim Gehen sehr behinderte. Im folgen-den Jahr30) berichtete er über eine Ober-schenkelresektion unterhalb der beidenHöcker mit Exartikulation des Gelenkkopfs,eine Resektion des untern Schien- und Wa-denbeins sowie des Sprungbeins, eine Re-sektion eines Fersenbeins sowie eines Ell-bogengelenks. Die jeweilige Methode seinesVorgehens muss an Ort und Stelle nach-gelesen werden, aus Raumgründen.

Eine Beurteilung von HEUSSER'S Leistun-gen ist natürlich nur möglich unter Berück-sichtigung der Zeit, in der er sie voll-brachte. Seine Tätigkeit fällt in die vor-antiseptische Zeit. In den ersten Jahrenseiner operativen Praxis war auch die Nar-kose noch unbekannt. CHELIUS schrieb imzweiten Band seines 1840 herausgegebenen«Handbuchs der Chirurgie» S. 687: Um dieSchmerzen bei den Operationen selbst zumindern, hat man ausser. angemessenenGaben von Opium vor der Operation auch

Jahrg. 92 Notizen zur schweizerischen Kulturgeschichte. 57

angeraten, die Instrumente mit warmem Ölzu bestreichen. WARDROP31) machte sogarden Vorschlag, vor bedeutenden Operatio-nen den Kranken bis zur Ohnmacht Blutzu entziehen und während der Ohnmachtdie Operation auszuführen! CHELIUS warder Meinung, dass diejenigen Personen, diesehr lange sehr schwer gelitten hätten, anSchmerzen gewöhnt und geschwächt seien,eine Operation am besten ertragen könnten,was teilweise vom moralischen Einfluss derSehnsucht nach der Operation, teils von dergeringere traumatischen Reaktion (!) ab-hangen möge. 1846 wurde in Boston dieÄthernarkose in die Chirurgie eingeführt,1847 in Edinburg dle Chloroformnarkose32).Waun HEUSSER die erste Narkose angewandthat, wissen wir nicht; dagegen steht fest,dass er im Jahr 1849 bereits von ihr Ge-brauch machte; er scheint also mit denFortschritten auf dem Gebiet der Chirurgierasch und wohl vertraut gewesen zu sein.Da er weder von Antisepsis noch vonAsepsis etwas gewusst haben kaun —Lister veröffentlichte seine Erfahrungenerst 1867, und grössere Bedeutung auf demKontinent erhielten diese erst im Deutsch-französischen Krieg —, muss er vor allemauch ein hervorragender Wundarzt gewesensein. Das etwas gönnerhafte Urteil BILL-RoTH'S über den ländlichen Chirurgen, ersei ein Operateur von grosser Kühnheit undBeobachtungsgabe sowie von aussergewöhn-licher, jedoch mehr technischer Geschick-lichkeit gewesen, dürfte kaum ganz zu-treffend sein. Bei aller Anerkennung seinergrossen technischen Geschicklichkeit warenseine hervorragenden Erfolge doch nurmöglich, weil die Nachbehandlung der da-mals immer infizierten Operationswundenebenso ausgezeichnet war. HEUSSER warsicher ein für seine Zeit aussergewöhnlichgeschickter Diagnostiker, dem es an opera-tionstechnischer Geschicklichkeit damalskeiner in der Schweiz gleichtat, und einhervorragender Wundarzt. Es ist eindrück-lich, wie sehr er immer vom erstrebens-werten funktionellen Resultat ausging, ge-rade auch in seiner konservierenden Resek-tionsmethode, und wie er zur Erreichungdieses Zieles eigene technische Methodenersann. Mit technischer Geschicklichkeitallein ist diese Leistung nicht zu erklären.In der vorantiseptischen Zeit lebend undauf seine Privatpraxis angewiesen, steht er

sicher am Ende einer Entwicklungsepoche,während seine jüngeren und vom Schicksalbegünstigteren Kollegen an den Klinikenvon Zürich, Bern und Basel, deren gültigeLeistungen in die anti- resp. aseptischePeriode fallen, d. h. erst dann beginnen,eine neue Zeit einleiten durften. Untergleichen Verhältnissen hat keiner von ihnenHEUSSER übertroffen.

Es darf im ganzen wohl festgehalten wer-den, dass die Entwicklung der operativenChirurgie HEUSSER'S Versuchen weitgehendrecht gegeben hat. Mit seiner Methode derRhinoplastik scheint er zwar allein ge-blieben zu sein. Die von ihm abgelehnte«indische» Methode dagegen ist noch immerim Brauch, wenn auch modifiziert und ver-bessert.

Von besonderer Bedeutung waren seineResektionserfolge, vor allem diejenigen derKniegelenke, die schon so vorzüglich waren,dass seine Methode keiner wesentlichenVerbesserung mehr bedurfte. Ein Patient,bei dem er diese Operation vorgenommenhatte, erstieg schon im folgenden Jahr mitihm den Speer; ein anderer wurde nachherGemsjäger und Bergführer33). AllgemeinerWertschätzung erfreute sich die Resektions-chirurgie erst später, als sie in der asep-tischen Epoche gefahrloser geworden warund B. V. LANGENRECK, der allgemein an-erkannte deutsche Meister, ihren Wert be-sonders bei Schussverletzungen in ver-schiedenen Feldzügen erkannt hatte undihr bedeutender Herold wurde. Es ist jaauch sonst eindrucksvoll, zu sehen, wieviele Impulse im 18. und 19. Jahrhundertder Chirurgie immer wieder von militär-medizinischen Erfahrungen her zuflossen;aber wie teuer mussten die Völker dieseFortschritte bezahlen! Die ersten Gelenk-resektionen waren in England im 18. Jahr-hundert ausgeführt worden, in den sech-ziger Jahren. Die Methode wurde in derFolge vor allem von der französischenChirurgie ausgebaut, vornehmlich von denbeiden MOREAU, auch an Hand von Kriegs-erfahrungen in den neunziger Jahren des-selben Jahrhunderts. Etwa von 1815-1850waren dann aber gerade bei französischenChirurgen die sogenannten heroischen Ope-rationen eigentlich verpönt, so dass, ab-gesehen vielleicht von der Kieferresektion,diese Art operativer Tätigkeit weitgehendabgelehnt wurde"). Es ist möglich, dass

58 Vierteljahrsschrift der Naturf. Gesellschaft in Züric. 1947

HEUSSER in dieser Beziehung unter demEinfluss des Erlanger ChirurgieprofessorsMIGHAEL JÄGER36) stand, der in RUST'S«Theoretisch-praktischem Handbuch derChirurgie», im 5. Band, im Jahr 1831 eineausgezeichnete Schilderung der in Betrachtkommenden Resektionsmethoden gegebenhat, unter dem Titel: Decapitatio s. Ampu-tatio epiphysium s. Resectio articulorum36),ohne freilich damit die Anerkennung dermassgebenden Chirurgen jener Zeit zu ge-winnen.

Eine kühne Leistung war auch HEUSSER'Soperative Behandlung der bereits ver-eiterten Echinokokkenblase gewesen. Alser seine Schilderung im Oktober 1849 derZürcher Ärztegesellschaft vortrug, tadeltefreilich MEYER-HOFME STER, dass er einfachmit einer Lanzette aufs Geratewohl denHerd angestochen habe, statt sich nach aus-reichendem Bauchschnitt systematisch zudemselben vorzuarbeiten 37 ). Das Anstechenvon Leberabszessen war schon damals nichtmehr sehr gebräuchlich, wegen der damitverbundenen Gefahr einer Infizierung derBauchhöhle, wie sie dann HEUSSER ja aucherlebte, der er sich aber als hervorragenderWundarzt einmal mehr gewachsen zeigte.Die Echinokokkenkrankheit war schon zuseiner Zeit ziemlich gut bekannt; auchA. v. HALLER hatte sich um ihre AufhellungVerdienste erworben38). Vor der Eröffnungder Blase suchte man in der Regel eineAdhäsion derselben mit der Bauchwandherbeizuführen, was meist eine zweizeitigeOperation nötig machte. Zuerst wurden dieBauchdecken bis aufs Peritoneum gespal-ten, worauf Charpie in die Wunde gelegtwurde; in der Folge kam es dann meist zueiner Verklebung des Sacks mit der Bauch-wand, worauf der Sack erst eröffnet wurde.HEUSSER'S Lehrer M. LANGENRECK gab nachdem Bericht STROMEYER'S den Rat, den Sackzuerst öfter an nahe beieinanderliegendenStellen anzustechen, da sich auf diese Weisedie erstrebten Adhäsionen ebenfalls bilde-ten. D_EFFENRAGH scheint bei der Eröffnungeines solchen Abszesses, die er möglichstfrühzeitig vorzunehmen empfahl, ähnlichvorgegangen zu sein wie NEUSSER, indem erihn einfach mit einer zollangen Öffnung zurEntleerung brachte. Der oft in Europaweilende amerikanische Chirurg WILLIAMEDMONDS HORNER 30) führte 1834 die ein-zeitige Operation ein, bei der er aber vor

der Eröffnung des Sackes die Leber mitden Rändern der Bauchwunde vernähte4°).Inwiefern HEUSSER in seinem weitern Vor-gehen von andern Autoren beeinflusst war,wie weit seine Schilderung auf andere be-fruchtend gewirkt hat, kann man kaumfeststellen. Es ist immerhin interessant,dass der französische Chirurg BoINET41),der sich vor allem um den Ausbau der Jod-therapie verdient gemacht hat, 1850 angeb-lich als erster medikamentöse Injektionenin den zurückgebliebenen Echinokokken-sack machte und dass Delbeau und Voisinspäter zu diesem Zweck Ochsengalle ver-wendeten, wie das HEUSSER schon 1849 ge-tan hatte, übrigens aus nicht recht ersicht-lichem Grund. DIEULAFOY wird das Ver-dienst zugesprochen, als erster die Punk-tion mit der Aspiration verbunden zu haben,freilich lange nachdem das HEUSSER ver-sucht hatte"). Vielleicht lag ein solchesVorgehen damals einfach in der Luft undhat der ländliche Chirurg von Hombrechti-kon einmal mehr seine feine Witterung be-wiesen.

Die operative Varizenbehandlung war zuHEUSSER'S Zeit an sich nichts aussergewöhn-liches. Sle bestand in Kompression, Punk-tion, Inzision, subkutaner Unterbindungund auch in Exzision. Nach den operativenVerfahren trat freilich sehr häufig Venen-entzündung auf, so dass besonders die Ex-zision gerade damals ziemlich in Misskre-dit gekommen war. Über die Ursache derVarizenbildung war man nicht einer Mei-nung. HASSE"), Professor für medizinischeKlinik und Pathologie in Zürich von 1844bis 1852 hatte 1846 als erster eine abnormeBeschaffenheit der Venenwand dafür ver-antwortlich gemacht, welcher Ansicht sichauch sein Nachfolger LERERT") anschloss,während Chirurgen wie STROMEYER (1844)und teilweise auch BILLROTH das Haupt-gewicht vor allem auf äussere mechanischeHindernisse legten, die den Blutstrom inden Venen beeinträchtigen sollten"). In sei-nem 1844 herausgekommenen 1. Band sei-nes «Handbuch •der Chirurgie» schreibtSTROMEYER S. 364 f.: Varizen einer ganzenUnterextremität entstehen durch Verenge-rung des Cruralrings vermittelst fibröserNeubildung. Bei einer weiblichen Leichemit einseitiger Varicosis einer ganzen untern Extremität hatte er auf der krankenSeite eine starke Verengerung dieses Rings

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gefunden, durch fibröse narbenähnliche Ge-webe, die mit dem Poupart'schen Bandinnig verwachsen waren, wodurch die Vene,die keine Spur von Entzündung zeigte,stark komprimiert wurde. STROMEYER warallerdings der Ansicht, die fibrösen Neu-bildungen wären in diesem Fall viel zuausgedehnt gewesen, als dass sie mit Er-folg hätten durchtrennt werden köunen. Erverlangte weitere Beobachtungen, weil erstdie Möglichkeit vorhanden sein müsse, dieaus solcher Ursache entspringenden Vari-zen von andern zu unterscheiden, bevorpraktische Folgerungen gezogen werdendürften. Es ist wahrscheinlich, dass sichHEUSSER unter dem Einfluss der Beobach-tungen STROMEYER'S zu seinem Vorgehenentschloss; ein abschliessendes Urteil wirdman sich auch heute nicht erlauben dürfen.

Zur Schilderung von HEUSSER'S Knopf-operationen ist kaum etwas wesentlichesnachzutragen. Auch hier gab ihm die wei-tere Entwicklung recht. In der Bewertung

der Gefahr einer Rekurrenslähmung wer-den die Chirurgen zwar kaum einer Mei-nung mit ihm sein; in dieser Beziehungscheint er ganz einfach Glück gehabt zu ha-ben, Glück auch darin, dass er nach keinerseiner Strumektomien ein Myxödem auftre-ten sah; wenigstens erwähnt er diesen Fallnirgends. Vermutlich hängt dies aber dochauch mit seiner Strumektomietechnik zu-sammen; Zysten hat er zwar wie auch heuteüblich enukleiert, aber bei parenchymatö-sen Strumen keine Exstirpationen, sondernnur Resektionen vorgenommen, spricht erdoch selber von den zurückbleibenden Re-sten.

Unter den schweizerischen Chirurgen ge-bührt Dr. HEUSSER von Hombrechtikonzweifellos ein Ehrenplatz; seinen Namender Vergessenheit zu entreissen und ihmdiesen Platz wieder zu verschaffen, warnicht der kleinste Anreiz zur Abfassungdieser Studie gewesen.

Anmerkungen

1) Über Heusser vgl. man d. Nekrolog i.«Anzeiger d. Bez. Meilen» v. 24. Juli 1875u. d. Nachruf i. «Korrespondenzblatt f.Schweizer Ärzte» v. Dr. Treichler i. Stäfa,1876, S. 33 1.

2) Jakob Heusser i. Hirzel, gest. 1859, warseit 1818 Mitg l. d. med.-chirurg. Ges. d.Kt. Züric. Über seine dort gehaltenenVorträge vgl. d. «Denkschrift d. med.-chirurg. Gesellschaft d. Kt. Zürich», 1860,S. XII.

3) Martin Langenbeck, 1776-1851, war einvollendeter Anatom u. nicht minder be-deutend als Chirnrg, verdient vor allemum d. Technik d. Amputation, Arterien-unterbindung u. d. Steinschnitts. Auch soller mehrmals d. totale Uterusexstirpationvorgenommen haben. Prof. f. Chirurgieu. Anatomie i. Göttingen seit 1814.

") Maximilian Joseph Chelius, 1794-1876,Prof. f. Chirurgie i. Heidelberg u. Heraus-geber eines «Handbuch f. Chirurgie», dasv. 1822-1857 acht Aufl. erlebte u. in elfversch. Sprachen übersetzt wurde. In derersten Hälfte d. 19. Jhds. d. bedeutendsteVertreter d. Chirurgie u. Augenheilkundei. Südwestdeutschland.

5) Johann Friedrich Dieffenbach, 1792 bis1847, seit 1841 Direkt. d. chirurg. Uni-versitätsklinik v. Berlin u. Prof. f. Chirur-gie, schrieb ein zweibändiges Werk, «Dieoperative Chirurgie», gedr. 1845-1848.

Das stattliche Haus, mitten i. Dorf Hom-brechtikon, v. Heusser v. 1840-1875 be-wohnt u. heute i. Besitz d. EhepaarsSchärer-Walder, ist noch i. Familien-besitz, da Frau Schärer die Enkelin d.Chirurgen Heusser ist.

7) Christ., Albert, Theodor Billroth, 1829 bis1894, Assist. bei B. v. Langenbeck i. Ber-lin, Direktor d. chirurg. Klinik u. Prof. f.Chirurgie i. Zürich v. 1860-1867, nach-her i. gleicher Stellg. i. Wien, veröffent-lichte i. Zürich 1863 seine «Allg. chirurg.Pathologie u. Therapie», die bis 1893 fünf-zehn Aufl. erlebte, u. 1869 die «Chirurg.Klinik Zürich, 1860-1867». Hgb. vonchirurg. Zeitschr., führend auf vielen Ge-bieten d. Chirurgie.

8) Theodor Kocher, 1841-1917, Prof. fürChirurgie u. Direktor d. chirurg. Kliniki. Bern. Neben vielen andern Leistungenvor allem berühmt durch seine Förde-rung d. operat. Kropfchirurgie. Diesestellte überhaupt ein Ruhmesblatt derschweiz. Chirurgie dar, beteiligten sichdoch an dieser Leistg. i. Zürich Billrothu. Krönlein, i. Basel Socin, i. Genf Rever-din u. i. Bern Luecke und vor allen an-dern Kocher. Alle- diese Leistungen fal-len aber i. d. anti- resp. aseptische Perioded. Chirurgie. Aus d. vorantiseptischenZeit ist Heusser mit diesen Männern i.eine Reihe zu stellen, da er diese Opera-tion nicht nur als erster Schweizer Chir-

60 Vierteljahrsschrift der Naturf. Gesellschaft in Zürich. 1947

urg empfahl, sondern gegen hundertmalmit Erfolg selber ausführte.Dr. Berchtold v. Uster erfuhr bei gemein-samer Eisenbahnfahrt v. Kocher persön-lich, dass Heusser der erste SchweizerChirurg gewesen sei, der , mit ErfolgStrumektomien ausgeführt habe.

10) Wilhelm v. Mnralt, 1845-1913, Mitbe-gründer u. bis 1909 Leiter d. chirurg. Ab-teilung d. Zürcher Kinderspitals, einstPräs. d. Zürc. Ärztegesellschaft.

11) Korresp. Blatt f. Schweizer Ärzte, 1878,S. 78: Ber. über d. chirurg. Nachlass v.Dr. Heusser i. Hombrechtikon, erstattetv. Dr. W. v. Muralt, i. d. Sitzung d. med.-chirurg. Gesellsc. d. Ärzte d. Kt. Zürichv. 5. Nov. 1877.

1 ") Das Manuskript d. Vortrags fand sich i.Nachlass des verstorbenen Spitalarztes v.Rüti (Zch.), Dr. Walder, u. ist jetzt i. Be-sitz d. Verf.

13 ) Angabe i. Bericht v. Muralts.13 ) Konrad Meyer-Hofmeister, Spross eines

bedeutenden Zürcher Ärztegeschlechts,lebte v. 1807-1881. Sekundärarzt undChef einer chirurg. Abteilung d. ZürcherKantonsspitals v. 1842-1867, Gründer d.«Blätter f. Gesundheitspflege» u. Präs.d. Ges. d. Ärzte d. Kt. Züric. Vgl. Fest-schrift d. Ges. d. Ärzte, Zürich 1935,S. 21 f.Nekrolog i. Korresp. Blatt f. SchweizerÄrzte, l. c.Schweiz. Zeitschrift 1. Medizin, Chirurgieu. Geburtshülfe, 1850, S. 52, Abscessuschronicus hepatis in. Entfernung v. vielenhundert Hydatiden, vorgetragen in derSitzg. v. 8. Okt. 1849 i. d. med.-chirurg.Ges. cl. Kt. Zürich.

17) Ibidem, S. 59. Radikale Heilung vari-köser Geschwüre m. äussern, aus lokalerUrsache entstandenen Varizen. Operationv. 6. Aug. 1849.

18 ) Ibidem, S. 62. Am 2. Okt. 1848 referierteH. i. d. Gesellschaft über Kniegelenk-resektion, Strumektomie, Resektion einesOsteosarkoms d. Fibula u. Exartikulationeines Unterkieferastes.

11) L. c. i. d. Sitzung v. 29. Sept. 1851, Jgg.1852, 5.400.

2°) Mitgeteilt von v. Muralt, l. c.21)Ibidem.22)L. c., Sitzung v. 2. Okt. 1848 (Jgg. 1849,

S. 62) u. v. 29. Sept. 1851 (Jgg. 1852,S. 466) .

23)Handbuch d. Gesc. d. Medizin, v. Neu-burger u. Pagel, Jena 1905, 3. Bd., S. 175;Th. Kocher und F. de Quervain, Enzyklo-

pädie d. gesamten Chirurgie, 1903, 2. Bd.,S. 503 (Artikel v. Kocher).

2i ) Bernhard v. Langenbeck, 1810-1887, derberühmteste deutsche Chirurg seinerZeit, Direktor der chirurg. Klinik u. Prof.f. Chirurgie in Berlin v. 1847-1883. Seit1848 Generalstabsarzt d. schleswig-hol-steinlschen Armee. L. trat frühzeitig f.Gelenkresektionen bei Schussverletzun-gen ein; erste Publikation darüber imJahr 1864. Die Vervollkommnung derResektionsmethoden war weitgehend seinWerk.

25) Georg Friedr. Louis Stromeyer, 1804 bis1876, doktorierte 1826 mit einer Diss.über Injektionskur bei Hydrocele. Prof.f. Chirurgie i. Erlangen 1838, München1841, Freiburg 1842, Nachfolger B. v.Langenbecks in Kiel als Prof. und Gene-ralstabsarzt der schleswig-holsteinischenArmee. Später Generalstabsarzt der han-noveranischen Armee. Er machte wie B.v. Langenbeck mehrere Feldzüge mit. St.machte sich vor allem verdient durch denAusbau der subkutanen Myotomie undTenotomie und verfasste ein zweibändi-ges «Handbuch d. Chirurgie», 1844 und1864.

26 ) Karl Joseph Beck, 1794-1838, i. frühereJahren militärärztlich tätig, seit 1826Direktor d. chirurg. Klinik und Prof. f.Chirurgie i. Freiburg, vor allein auf demGebiet d. Augenheilkunde tätig.

27)L. c., Jgg. 1852, S. 466 f.28)L. c., S. 470.2°) L. c., Jgg. 1853, 83. Sitzung der med.-

chirurg. Gesellschaft, 5.136 f.30)L. c., Jgg. 1854, S. 217 f.31)James Wardrop, berühmter englischer

Chirurg (1782-1869), der vor allem zwi-schen 1813 und 1825 chirurgische Arbei-ten in den Med.-chirurg. Transactionsveröffentlichte.

32)Vgl. Handbuch d. Gesc. d. Medizin v.Neuburger u. Pagel, Bd. 3, S. 51 ff. Dieerste Äthernarkose wurde i. d. Schweizin Bern von Prof. Demme ausgeführt,am 23. Jan. 1847. Am 5. Febr. 1847 ope-rierte Landarzt Dr: Jenny in Ennenda alszweiter Schweizer in Äthernarkose (Fuss-amputation), am 8. Febr. 1847 Dr. Ellmerin Netstal (Armamputation) und am11. Fehr. 1847 Dr. Engwiler in St. Gallen(Brustamputation). Der Glarner Dr.Jenny machte vom 5. Febr. bis 15. Mai1847 bei 38 Patienten 44 Äthernarkosen.(Vgl. J. J. Jenny, Erfahrungen über dieWirkung eingeatmeter Schwefeläther-dämpfe im menschl. Organismus, Zürich.

Jahrg. 92 Vorträge 61

1847.) Am 2. Aug. 1849 referierte Jennyan d. Tagung d. Schweiz. Naturf. Gesell-schaft in Frauenfeld über «Erfahrungenüber das Chloroform i. d. chirurg. undärztl. Praxis». Auch dieser Landarzt ge-hört wie Heusser zu den Pionieren derschweiz. Chirurgen. Über seine Wirksam-keit vgl. man die vorzügliche Arbeit vonJ. Hoffmann (Ennenda) : «Geschichte derGesellschaft der Ärzte des Kt. Glarus»,Glarus 1934.

33) V. Muralt, l. c.f4) Häser, Lehrbuch d. Gesc. d. Medizin,

3. Bearb., Jena 1881, 2. Bd., S. 977.35) Michael Jäger (1795-1838), seit 1826

Prof. für Chirurgie und Direktor derchirurg.-augenärztl. Klinik in Erlangen.

35) Jäger berichtet S. 660 ff. auch über Pro-gnose und Erfolg der damals sonst be-sonders gefürchteten Kniegelenkresek-tion. Er schreibt: In Beziehung auf dieAusübung u. d. Gefahren während u.nach d. Operation ist d. Prognose gut;denn d. Operation nach Moreau's Ver-fahren ist zwar schwerer als die Ampu-tation, aber nach einiger Übung an Lei-chen sehr gut auszuführen; von Zer-fleischen u. dgl. kann keine Rede sein.Weit leichter u. sehr wenig v. d. Exarti-culatio genus verschieden und nur mehrZeit fordernd, ist die Methode mittelsQuerschnitt. Gefährlich ist nach Überein-stimmung der meisten d. Operation nicht,ebensowenig sind es die ihr folg. Zufälleu. d. von Roux wegen d. Ausdehnung d.Gelenks, d. grossen Unordnung durch d.Operation, der darauf folg. Zufälle usw.erhobenen Einwendungen haben sich inmeinem Fall nicht als berechtigt er-wiesen. — Jäger konnte damals freilicherst über zwölf ausgeführte Fälle be-richten, von denen nur vier ein gutesResultat aufwiesen (darunter auch einFall, der v. ihm selbst operiert wordenwar). — Diese Arbeit Jägers über Ge-lenkresektionen bildete die Grundlage

für alle spätern Publikationen über die-ses Gebiet. Sie wurde erst überholt durchdie B. v. Langenbeck gewidmete undauch medizin-histor. interessante, um-fangreiche Darstellung v. E. Gurlt: «DieGelenkresektlonen nach Schussverletzun-gen», 1879, die freilich bereits der anti-septischen Periode angehört. — Zu denzwölf von Jäger mitgeteilten Kniegelenk-resektionen kamen i. d. Folge noch wei-tere vier Fälle von 1835-1841, alle vonAmerikanern ausgeführt; vom Kontinentist aus dieser Zeit eine einzige Knie-gelenkresektion bekannt, die Textor inWürzburg ausführte. Die Zahl der vonHeusser ausgeführten Resektionen die-ses Gelenks ist also doppelt so gross wlediejenige, die von sämtlichen Chirurgender Welt bis auf seine Zeit erreicht wor-den war, soweit wir wenigstens Kenntnisdavon haben.

37)Schweiz. Zeitschr. f. Medizin, Chirurgieu. Geburtshülfe, Zürich, Jgg.1850, S. 52 ff.

38)Handb. d. Gesch. d. Medizin, v. Neubur-ger u. Pagel, 3. Bd., S. 218 ff.

30) W. E. Horner (1793-1853), seit 1831 Prof.für Anatomie in Philadelphia, viel inEuropa weilend. Verdient als Arzt i. d.Choleraepidemie v. 1832.

40)Neuburger u. Pagel, l. c.41)A. A. Boinet (1808-1886), bedeutender

Pariser Arzt, der sich in verschiedenenPublikationen mit der therapeutischenVerwendbarkeit des Jods beschäftigte.

42)Neuburger u. Pagel, l. c.43)K. E. Hasse (1810-1902), Prof. f. Patho-

logie und Direktor der med. Klinik inZürich v. 1844-1852, später i. Göttingen.Vgl. auch Neuburger u. Pagel, 3. Bd.,S. 97 f.

44)H. Lebert (1813-1878), Prof. u. Direktorder med. Klinik in Zürich und Breslau,Schüler Schönleins in Zürich.

45)Stromeyer, Handb. d. Chirurgie, 1. Bd.(1844), S. 364 f.

Vorträgeder Naturforschenden Gesellschaft in Zürich

21. Oktober 1946. Prof. Dr. G. WENTZEL, Zürich: «Das Meson und die Kräfte im Atomkern».

Das «Meson» ist eine Elementarpartikelmittlerer Masse (rund 200 Elektronen-massen oder 1110 Protonenmasse). Die harteKomponente der kosmischen Strahlung be-

steht hauptsächlich aus Mesonen; sie is tvorläufig die einzige Quelle unserer Kennt-nisse von den Eigenschaften der Mesonen,so über ihre ß-Aktivität. Man hofft aber