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Nr. 88 Januar/Februar 2013 Zeitschrift für internationale Politik W elt T rends Hegemon wider Willen? China und seine Nachbarn G2 im Pazifik Deutsch-chinesische Beziehungen China im globalen Süden WeltBlick Obamas Neustart Blockfreie nach Teheran Deutsch-kasachische Rohstoffe Forum Syria – What Next? Streitplatz Außenpolitik in Rot-Rot-Grün Bücher & Tagungen China und die Welt 9,50 Euro • 12 CHF ISSN 0944-8101 www.welttrends.de

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Jahr

Nr. 88 Januar/Februar 2013

Zeitschr i f t für internat ionale Pol i t ikWe l t Tr e n d s

Hegemon wider Willen?

China und seine Nachbarn

G2 im Pazifik

Deutsch-chinesische Beziehungen

China im globalen Süden

WeltBlick

Obamas Neustart

Blockfreie nach Teheran

Deutsch-kasachische Rohstoffe

Forum

Syria – What Next?

Streitplatz

Außenpolitik in Rot-Rot-Grün

Bücher & Tagungen

China und die Welt

Auf dem Weg zur FreundschaftSur la voie de l’amitié

Drei Dossiersüber den Elysée-Vertrag

Trois dossierssur le Traité de l’Elysée

Dokumente/DocumentsSommer/Eté 2012

Momente der FreundschaftMoments d’amitié

Dokumente/DocumentsHerbst/Automne 2012

Charles de GaulleKonrad Adenauer

Dokumente/DocumentsWinter/Hiver 2012

Der Vertrag von 1963Le Traité de 1963

Verlag Dokumente GmbHRedaktion Dokumente/DocumentsDottendorfer Straße 8653129 Bonn / Allemagne

www.dokumente-documents.info

WeltTrends U4_WeltTrends U4 12.06.12 17:10 Seite 1

9,50 Euro • 12 CHFISSN 0944-8101

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2 WeltTrends 88

Inhalt 1 Editorial

4 WeltBlick

5 Obamas globale Strategie Christian Hacke

13 Blockfreie in einer multipolaren Welt Renate Wünsche

18 EU-Krise und polnische Migranten Andrzej Sakson

23 Interview: Kasachstan – Rohstoffpartner Deutschlands

Zwis chenruf: Atommacht Pakistan 30 von Wolfgang Schwarz

32 Thema: China und die Welt

35 Zurückhaltung üben! Jisi Wang

48 China und seine Nachbarn Xiaoming Zhang

53 G2 im Pazifik Roland Benedikter

61 Afrika: Aus dem Osten was Neues Henning Melber

69 Was macht China in Lateinamerika? Ralf J. Leiteritz

78 Unsere eigene Menschenrechtspolitik Yanhua Luo

85 Deutsch-deutsch-chinesische Beziehungen Wolfram Adolphi

92 Statistik: Chinas Außenhandel

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3Inhaltsverzeichnis

Nachruf auf Joachim Krüger Erhard Crome und Jochen Franzke 95

Historie: Les 50 ans du Traité de l´Elysée Gérard Foussier 96

Forum Syrien 100

Syria – What Next? An Israeli Position 101 Shmuel Bar

Streitplatz: Außenpolitik in Rot-Rot-Grün 108

Ohne Bewegung geht es nicht 109 Jan van Aken

Kein Linksreformismus ohne Selbstkritik 112 Viola von Cramon

Ja zur Einheit im Widerstand! 115 Christine Buchholz

Bücher und Tagungen 118

Wiedergelesen: Wilhelm Röpke Die deutsche Frage 119

Rezensionen 122 Annotationen 132 Neuerscheinungen 134 Konferenzen 136 Impressum 140

Historischer November in Palästina Kommentar von Salah Abdel Shafi 142

Wort und Strich 144

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WeltTrends • Zeitschrift für internationale Politik • 88 • Januar/Februar 2013 • 21. Jahrgang • S. 5-12

Eindämmung und EinbindungObamas globale Strategie

Christian Hacke

US-Außenpolitik, China, Weltordnung

Präsident Obama reagiert auf drei zentrale Machtverschie-bungen, auf die weltpolitische von West nach Ost, auf die angestiegene Bedeutung der asiatischen Region und schließlich auf die wachsenden Konflikte im asiatischen Raum. Er weiß um die begrenzte Fähigkeit der USA zur globalen Einflussnahme. Zwar wankt der alte Hegemon USA derzeit, jedoch hält die bislang nur schemenhafte neue Weltordnung für den Westen mehr Chancen als Risiken bereit – wenn er klüger als bisher für die eigenen Werte und Interessen einsteht.

Waren die USA bis zur Präsidentschaft George W. Bush der zentrale Problemlöser der Weltpolitik, so mutierten

sie durch dessen Fehler und Versäumnisse zum Problemfall Nummer eins. Die gute Nachricht ist, dass es dank der cha-rismatischen und klugen Führung von Präsident Obama mit den USA langsam wieder vorangeht. Er gibt seinen Landsleu-ten wieder Mut für die Zukunft und sucht an Amerikas alte Tugenden anzuknüpfen. Die lakonische Bemerkung von Vize-präsident Biden, „General Motors lebt und Osama bin Laden ist tot“, zeigt auch: Amerikas Wirtschaft erholt sich und der Kampf gegen den Terror macht Fortschritte.

Die schlechte Nachricht lautet, dass, trotz aller Bemühungen von Präsident Obama, nach vier Jahren die vollständige Wieder-herstellung von Stärke und Ansehen auf sich warten lässt. Der Westen, noch vor 20 Jahren angesichts des Niedergangs des Sowjetimperiums vor Selbstbewusstsein strotzend, taumelt seit Jahren durch eine Wirtschaftskrise, driftet weiter auseinander, zeigt sich ohne überzeugende Führungsmacht und zerfällt in nationale Egoismen.1

Die seit Jahren andauernde Euro- und Schuldenkrise tut ein Übriges, um das Bild einer atlantisch-demokratischen Zivili-sation im Niedergang zu beschwören. Auch in Asien gleicht Amerikas Hauptverbündeter Japan nur noch einem Schatten

1 Busse, Nikolas: Entmachtung des Westens. Berlin 2009.

Prof. em. Dr. Christian Hacke, geb. 1943, Institut für Politikwissen-schaft und Soziologie, Universität [email protected]

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seiner früheren Stärke. Steht die Welt am Vorabend einer neuen „Twenty Years Crisis“2 wie am Ende der Zwischenkriegszeit von 1919 bis 1939?

Politik gegenüber autoritären Mächten

Die Politik Washingtons wirkt zunächst beruhigend. Präsi-dent Obama hat in den vergangenen vier Jahren gegenüber China und Russland auf Kooperation gesetzt. Anpassung ist das Schlüsselwort. Zwang über Jahrzehnte die Dominanz der USA den Rest der Welt zur Anpassung, so müssen heute die geschwächten USA gegenüber Russland und China konziliant auftreten. Obama weiß um die Machteinbußen, aber er sieht die USA nicht im Niedergang. Nur wenn es ihm gelingt, die gesell-schaftspolitischen Fundamente der USA zu erneuern und die politische Blockade zu überwinden, kann er auch außenpolitisch wieder alle Mittel einsetzen, um vollen Handlungsspielraum zu gewinnen. Obama scheint entschlossen, ein postamerikanisches Zeitalter zu verhindern. Second to none bleibt Angelpunkt seiner Politik, um das im Aufwind begriffene autoritär-staatskapitalis-tische Modell wieder in die Schranken zu weisen. In den vergan-genen vier Jahren hat er zwar das Ansehen der USA wieder verbessert, auch sind seine Vorschläge für eine kooperative Weltordnung auf viel Zustimmung gestoßen, aber seine Diplo-matie der ausgestreckten Hand wurde in Peking mit Schwäche verwechselt. Sie wurde vom Iran negiert und vom russischen Präsidenten Putin mehr oder weniger schroff zurückgewiesen. „Trotzdem“ lautet das Schlüsselwort für Obamas Außenpolitik: Trotz aller gegenwärtigen Widrigkeiten zu Hause, auch mit Blick auf die Verbündeten, und angesichts eigener Schwächen bleibt für Obama Priorität „to renew American leadership in the world“.

Obamas Russlandpolitik

Russland bleibt für Obama ein sperriger Partner. Seine Politik der Umarmung war nur begrenzt erfolgreich. Per Knopfdruck lassen sich die Adressaten im Kreml kaum vom misstrauischen zum zutraulichen Partner umpolen. Trotz Obamas Charme-Offensive und Kooperationsvorschlägen bleibt die russische

2 Carr, E. H.: The Twenty Years Crisis. London 1939.

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7WeltBlick

Führung auf Distanz und voller Misstrauen, die USA würden die Welt auf Kosten Russlands dominieren. Deshalb treten sie für eine multipolare Welt ein und zeigen unverhohlen Inter-esse an der Schwächung der USA. Entsprechend reduziert sich Moskaus Forderung nach globaler Multipolarität auf antiwestliche und antiamerikanische Reflexe. Russland hat von der globalen Machtverschiebung von West nach Ost in der Weltpolitik kaum profitiert. Russland ist nicht China. Deshalb dominieren Ressentiments in Moskau. Sie entsprechen Putins autoritären Vorstellung von „gelenkter Demokratie“. Freibeu-terkapitalismus, Unterdrückung und Korruption im Inneren passen zu autoritärer Kumpanei in der Weltpolitik. Das macht amerikanische Russlandpolitik nicht einfach.3

Doch trotz aller Störfeuer bleibt Obamas Politik der Einbin-dung Russlands richtungsweisend. Nur so können die natio-nalistischen Kräfte im Kreml in Schach gehalten, aber liberale Gruppierungen in Staat und Gesellschaft ermuntert werden. Außenpolitisch jedoch zeigen sich Grenzen. Auch fordern die jungen Demokratien in Mittel- und Osteuropa von Präsident Obama weniger Einbindung Russlands, sondern mehr Schutz vor russischem Druck. Die Sorge um Sicherheit bleibt für diese Staaten im Schatten des alten Sowjetimperiums nach wie vor dominierend. Sie erinnern die USA auch an ihre Verantwortung als transatlantische Macht, die für die europäische Sicherheit unverzichtbar bleibt.

China und Asien

Seit dem Besuch von Präsident Nixon in Peking 1972 geben die USA einer Politik der Kooperation den Vorzug.4 Kein anderes Land der Welt hat sich so um die Einbindung Chinas in die Weltpolitik verdient gemacht wie die USA. Präsident Obama setzt diese Tradition fort und ist bemüht, die hegemonialen Rivalitäten zu dämpfen. Im Unterschied zur strategischen Kooperation mit Russland, wo nukleare Abrüstung und Nichtweiterverbreitung dominieren, geht es zwischen den beiden Riesen USA und China um wirtschaft-liche Kooperation.

3 Vgl. Brzezinski, Zbigniew: Strategic Vision: America and the Crisis of Global Power. New York 2012, S. 145f.4 Vgl. Hacke, Christian: Die Ära Nixon-Kissinger 1969-1974: Konservative Reform der Weltpolitik. Stuttgart

1983, S.44ff.

Weiterlesen:R. Krämer (Hrsg.), „Four more Years“WeltTrends Spezial 9

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Anders als mit Russland sind heute die USA mit dem Reich der Mitte finanz-, wirtschafts- und handelspolitisch eng verflochten. Von der Konfliktlage der Zwischenkriegszeit und der des Kalten Krieges unterscheidet sich die strategische Lage der USA heute also grundlegend. Trotz aller geostrategischer Rivalitäten und weltanschaulicher Gegensätze wirkt die ökono-mische Interdependenz konfliktmindernd. Machtpolitische Nullsummenspiele scheinen also unangebracht. Im Gegenteil, „wir haben ein Interesse am Erfolg des jeweils anderen“, erklärte Vizepräsident Biden im August 2011 in China.

Alarmismus scheint verfrüht, solange man in Washington und Peking im Sinne von „Chimerika“ die Notwendigkeit der bilateralen Zusammenarbeit postuliert. Präsident Obama braucht die Zusammenarbeit mit den dynamischen Wirtschafts-mächten wie China; nicht nur um die globalen Probleme und Krisen gemeinsam anzugehen, sondern auch um die Probleme zu Hause zu meistern.

China, das die größten Währungsreserven der Welt besitzt, hält mit 1.134 Milliarden Dollar den größten Anteil an US-Staatsanleihen. Manches deutet darauf hin, dass China den USA nicht unbegrenzt aus der Schuldenfalle heraushelfen wird. In den kommenden Jahren wird China bei bilateralen Handelsgeschäften weiter den Dollar umgehen und Shang-hai zum internationalen Finanzzentrum ausbauen. China setzt ungeahnte ökonomische Dynamik frei, sichert sich weltweit neue Rohstoffe, erschließt neue Absatzmärkte, schafft enorme Geldreserven, rüstet auf und zeigt erhöhte Risikobereitschaft.

Zwar schwimmen den USA nicht gleich alle Felle davon, aber auf dem G-20-Gipfel in Südkorea im November 2010 kam Präsident Obamas wirtschaftspolitische Schulmeisterei schlecht an. Es fehlte das eigene vorbildliche Verhalten.

Peking dagegen erscheint machtpolitisch aufgeblüht. Das alte Machtgefälle zwischen Washington und Peking hat sich umgekehrt. Während die USA seit Jahren über ihre Verhältnisse leben und dringend der Reform ihres gesellschaftspolitischen Systems bedürfen, sind dem chinesischen Drachen derweil Flügel gewachsen. Wird China als aufsteigende Macht die USA verdrängen, um dann wie Japan in den 1930er und 1940er Jahren Asien zu beherrschen?

Sah es zeitweilig so aus, als ob die Asiaten sich mehrheit-lich von den USA distanzieren, Zuflucht in Neutralität suchen

Weiterlesen:B. Zyla,

US Foreign Policy: Multilaterism à la carte?

WeltTrends 54

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9WeltBlick

oder sich gar an China anlehnen, so suchen sie jetzt unter dem Eindruck chinesischen Auftrumpfens wieder die Nähe der USA. Sie reagieren besorgt auf die Konflikte zwischen China und seinen Nachbarn. Dies spielt wiederum den USA in die Hände. Zwar erklärt sich Washington öffentlich weiter an einem starken China interessiert, doch lassen sich die USA diese Möglichkeiten nicht entgehen, um chinesischen Einfluss einzudämmen. Dabei vermei-det Präsident Obama geschickt eine lupenreine Eindämmungs-politik. Für sie gäbe es in der Region auch nur wenig Verbündete. Er bevorzugt auch in Asien leading from behind („verhaltene Führung vom Rücksitz“). Damit fahren die USA in Asien gut. Sie passen die alten Bündnisse des Kalten Krieges geschickt den neuen Herausforderungen an. Mit Vietnam, Erzfeind der 1960er und 1970er Jahre, werden die guten Beziehungen sogar durch gemeinsame militärische Manöver intensiviert. Die Besuchs-diplomatie von Außenministerin Clinton und Präsident Obamas jüngste Besuche in Thailand und Burma unterstreichen Amerikas wiedergewonnene Rolle als pazifische Macht. Obamas Kombi-nation von Eindämmung und Einbindung (congagement), wie von ihm in Canberra formuliert, erfährt Zustimmung, weil er mit einer Mischung von Verständnis und Eigeninteresse auf die Sorgen der asiatischen Länder reagiert.

Mehr Einfluss statt Macht

Mit diesem re-balancing ziehen die USA die Konsequenzen aus den globalen Machtverschiebungen des vergangenen Jahrzehnts. China wird aufholen, die USA aber auf absehbare Zeit nicht als stärkste Macht ablösen, weder global noch regional. Denn China fehlt bislang, was die USA erneut unter Beweis stellen: Amerika sucht nicht die Macht über andere, sondern Einfluss gemeinsam mit Partnern. Über Bündnisse werden die weltpolitischen Netzwerke wieder neu geknüpft. So gewinnen die USA an soft power bzw. an Einfluss, der wichtiger wird als harte Machtfähig-keit. Macht funktioniert letztlich nur durch Druck und Zwangs-maßnahmen, Einfluss dagegen beruht auf Überredungskunst und dem Verständnis für die Interessen der anderen. Einfluss ist deshalb effektiver, kostet weniger, ist ein Sympathieträger, daher weniger riskant und Voraussetzung für Zustimmung bzw. Gefolg-schaft.5 Der Mangel an soft power, an Einfluss, bleibt Chinas

5 Vgl. Wolfers, Arnold: Discord and Collaboration. Baltimore 1962, S. 103ff.

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politische Achillesferse. Die USA mögen wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Kursschwankungen unterliegen, aber bei anhaltender zivilisatorischer Attraktivität und überlegener militä-rischer Stärke wird ihre weltpolitische Schlüsselrolle so schnell nicht schwinden: Keine Macht, auch nicht die USA, handelt nur altruistisch. Aber es gibt im Vergleich keine andere große Macht, die auch nur annähernd ordnungspolitische Vorstel-lungen vorlebt. Deshalb bleiben vorerst nur die USA prädesti-niert, sanfter Hegemon zu sein.6

Anstatt die kraftvolle Asienstrategie von Präsident Obama als Abwendung von Europa zu bedauern, sollten die Europäer die neue machtpolitische Dynamik aufgreifen und die selbstpostu-lierte weltpolitische Rolle in einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik konkretisieren. Diese würde auch die transatlantischen Beziehungen stärken. Doch sieht die europäische Wirklichkeit so trübe aus wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Kein Wunder, dass die Regierung Obama sich unzufrie-den über die fehlende Tatkraft der Europäer zeigt.

Welche Weltordnung?

Die USA stehen heute vor einer dreifachen Herausforderung: Sie müssen sich selbst erneuern, um den Anspruch, Weltord-nungsmacht zu sein, wieder zu erfüllen, und ihre schwächelnden Verbündeten müssen wieder Dynamik entwickeln. Doch beson-ders der Aufstieg Chinas und Asiens hat die weltpolitische Macht-balance zuungunsten der USA und des Westens verschoben.

Dabei wird auch in Umrissen sichtbar, welche globalen Ordnungsmodelle für Obama wegweisend sind. Lupenreine uni- oder bipolare Weltordnungsmodelle erscheinen derzeit außer Reichweite.7 Zur Disposition steht die Wahl zwischen instabiler Multipolarität oder einer multipolaren Weltordnung. Ein globales Gleichgewichtssystem nach Vorbild des europäi-schen Konzerts des 19. Jahrhunderts mit gemeinsamen Regeln und Übereinstimmung über die Grundordnung erscheint irreal; zu stark sind die Interessenunterschiede und zu verschieden die Wertvorstellungen.

Diffuse Multipolarität kündigt sich an, gekennzeichnet durch die zunehmende Bedeutung der regionalen Machtzentren

6 Friedman, Thomas / Mandelbaum, Michael: That Used to Be Us. New York 2012.7 Vgl. Berenskoetter, Felix / Williams, M. J. (Hrsg.): Power in World Politics. London, New York 2007.

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und einer Vervielfachung der globalen Machtpole. Weil dabei auch die Handlungsmöglichkeiten der alten Mächte schwin-den, erlangen regionale Gleichgewichtsmodelle Bedeutung. Sie funktionieren jedoch am besten, wenn sie durch einen Hegemon in der Balance gehalten werden. Die derzeitigen Machtverschiebungen werden dann kontrolliert ablaufen, wenn sie sich global wie auch regional durch hegemoniale Stabilität auszeichnen. Diese kann weiterhin am besten garan-tiert werden, wenn die Hegemonialmacht wiederum mit den regionalen Führungsmächten kooperativ agiert. Das deutet sich in Asien an.

Allerdings sind Konflikte nicht auszuschließen. In Asien könnte das Problem entstehen, dass einerseits aus ökonomi-schen Motiven immer mehr Asiaten die Zusammenarbeit mit der VR China anstreben, andererseits jedoch aus sicherheits-politischen Gründen den Schutz der USA suchen. Wie dann künftige Konflikte um Einflusssphären sich entwickeln werden, das ist fraglich.

Vorerst haben sich die Chancen für die US-Strategie des re-balancing angesichts der Machtverschiebungen nach Asien wieder verbessert. Gerechtigkeit, Stabilität und Ordnung entstehen nicht von selbst in diffuser Multipolarität, sondern müssen organisiert und institutionalisiert werden. Angesichts der schwindenden Macht der USA und des wachsenden Selbstbewusstseins der autoritären Mächte wird der Mehrheit der Asiaten deshalb bewusst, dass eine multipolare Welt ohne US-amerikanische Führung auch für Asien die schlechtere Alternative darstellt. „Wilde“ Multipolarität birgt Unsicher-heit, weil in neue Machthohlräume autoritäre Mächte eindringen.

Kein Zweifel, die Zeit der kompakten Überlegenheit des Westens ist vorbei. Während die USA sich fangen und den Willen zur Erneuerung in die Tat umsetzen, verharrt Europa in Tatenlosigkeit. China ist in der globalen Machthierarchie aufgestiegen.8 Zugleich begünstigen die Machtverschiebungen die USA. Deren Gesellschaftsmodell, ihr Wirtschaftsmodell, ihr Eintreten für Sicherheit und nicht zuletzt der ungebro-chene Wille zur Selbstbehauptung als globale Ordnungsmacht bestärken die Mehrzahl der Asiaten in einem gemeinsamen re-balancing gegenüber China.

8 Vgl. Kissinger, Henry: China zwischen Tradition und Herausforderung. München 2011.

Weiterlesen:Neue Weltordnung 2.0WeltTrends 86

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Präsident Obamas Vorstellungen über die Rolle der USA in der Welt lassen sich in mancher Hinsicht mit denjenigen von Präsident Nixon vergleichen. Obama schwebt wie Nixon eine pentagonale, eine fünfpolige Welt vor, in der autoritäre Regime in die Schranken gewiesen und die Bündnispartner in Europa und Asien zur Kooperation aufgefordert werden. Obama möchte wie Nixon ein multipolares Gleichgewichtssystem konstruieren, in dem die USA die entscheidende Macht darstel-len. Wie die Spinne ihr Netz, so wollen auch die USA weiter die Fäden der Weltpolitik ziehen. In diesem Sinne wird Obama in seiner zweiten Amtsperiode weiter Allianzen schmieden und autoritäre Gegenkoalitionen abwehren.

Ob in den kommenden Jahren Präsident Obama das Koope-rationsdreieck zwischen den USA, der EU und Japan mitsamt den asiatischen Partnern kraftvoll führen und das rivalisierende Kräftedreieck USA-Russland-China in vorteilhafter Balance wird halten können, das bleibt abzuwarten.

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Themenhefte (Auswahl)88 | China und die Welt87 | Weltunordnung 2186 | Neue Weltordnung 2.085 | Brasilien – Land der Gegensätze84 | Ernährung garantiert?83 | Arabische Brüche82 | Autoritarismus Global81 | Atomare Abrüstung80 | Japan in der Katastrophe79 | Rohstoffpoker78 | Polen regiert Europa77 | Vom Fremden zum Bürger76 | Herausforderung Eurasien75 | Exit Afghanistan74 | Vergessene Konflikte73 | Klimapolitik nach Kopenhagen72 | Südafrika und die Fußball-WM71 | Selektive Grenzen70 | Brodelnder Iran69 | Europäische Brüche68 | NATO in der Sinnkrise67 | Außenpolitik in Schwarz-Rot66 | Energiesicherheit Deutschlands65 | Naher Osten – Ferner Frieden64 | Konfliktherd Kaukasus63 | Geopolitik Ost62 | Zerrissene Türkei61 | Soziale Bewegungen in Lateinamerika60 | Russische Moderne59 | EU-Außenpolitik nach Lissabon58 | Regionalmacht Iran57 | Ressource Wasser56 | Militärmacht Deutschland?55 | G8 Alternativ54 | Identität Europa53 | Rotes China Global52 | Deutsche Ostpolitik51 | Geheime Dienste50 | Kerniges Europa49 | Militär in Lateinamerika

48 | Internet Macht Politik47 | Europäische Arbeitspolitik46 | Globale Finanzmärkte45 | Von Dynastien und Demokratien44 | Modernisierung und Islam43 | Großmächtiges Deutschland42 | Europäische Außenpolitik41 | Transatlantische Perspektiven II40 | Transatlantische Perspektiven I39 | Wohlfahrt und Demokratie38 | Politisierung von Ethnizität37 | Vergelten, vergeben oder vergessen?36 | Gender und IB35 | Krieg im 21. Jahrhundert34 | EU-Osterweiterung im Endspurt?33 | Entwicklungspolitik32 | Balkan – Pulverfaß oder Faß ohne Boden?31 | Recht in der Transformation30 | Fundamentalismus28 | Deutsche Eliten und Außenpolitik27 | 10 Jahre Transformation in Polen26 | (Ab-)Rüstung 200024 | Wohlfahrtsstaaten im Vergleich21 | Neue deutsche Außenpolitik?20 | Demokratie in China?19 | Deutsche und Tschechen18 | Technokratie17 | Die Stadt als Raum und Akteur16 | Naher Osten – Region im Wandel?14 | Afrika – Jenseits des Staates12 | Globaler Kulturkampf?11 | Europa der Regionen 8 | Reform der UNO 7 | Integration im Pazifik 6 | Zerfall von Imperien 5 | Migration 3 | Realer Post-Sozialismus 2 | Chaos Europa 1 | Neue Weltordnung

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