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Olga Reznik Donezk, Ukraine Bericht über die durchgeführte Arbeit im Rahmen des Projektes „Erinnerungen und Tatsachen über den Schrecken des II. Weltkrieges (mit den Augen der deutschen Zeitzeugen)01.07.2013 21.07.2013 Ziele der Reise (Fragestellung). Kriegsgeschichten, gebrochene Schicksale und verlorene Biografien regten mich schon immer an, eine neue Art von Wahrheit zu entdecken die Wahrheit, die keine Nationalität in Vordergrund stellt. Ob deutsch oder ukrainisch, französisch oder jüdisch wenn man misshandelt, erniedrigt und gequält wird, existiert für alle die gleiche Wahrheit, die aus Angst, Schmerz und dem einzigen Wunsch besteht, dass es schneller endet. In der Ukraine ist der zweite Weltkrieg ein wichtiges Mittel, das Volk in gewissem Maße zu vereinigen und die Generationen aneinander zu binden. Politische Parteien befassen sich sogar spielerisch mit dem Thema des Krieges, um das Bewusstsein der ukrainischen Bürger zu beeinflussen. Klein und groß, aber seit 68 Jahren gehen wir Hand in Hand zu Gedenkstätten und legen Blumen an Kriegsgräbern nieder. Dabei herrscht immer noch die allgemeine Meinung, dass der Krieg nur für eine Seite Elend und Unglück gebracht hat. Diesen pauschalen Glauben wollte ich zerstören. Andererseits begegne ich immer wieder einer großen Anzahl von jungen Leuten im Alter von ca. 16 bis 22, die im Gegensatz zu der einseitigen Meinung über die Opfer des Krieges überhaupt keine Meinung äußern aus dem einzigen Grunde, dass sie sich dafür nicht interessieren. Ihre Gleichgültigkeit bedeutet für mich ein schlechtes Zeichen, besonders in Hinblick auf sich rasch entwickelnde radikale Jugendbegegnungen in solchen großen Städten der Ukraine, wie Donezk, Kiew, Charkiw, Lwiw. An den Haltestellen in meiner Stadt sehe ich täglich ɩɪɢɡывы zu Rassendiskriminierung und ich weiß, dass es überall in Europa präsent ist. Ich bin überzeugt, dass es sich generell durch den falschen Umgang mit der Vergangenheit entwickeln lässt. Sowohl in Deutschland als auch in der Ukraine ja, im ganzen Europa wird der II. Weltkrieg zur geschriebenen und passiven Geschichte, weil die Zeitzeugen diese Welt verlassen und die Jugendlichen es nicht nachvollziehen wollen. Und solange sich man an den vergangenen Krieg erinnert, kommt kein neuer. Aber auf welche Weise kann man die Leute denken und gedenken lassen,

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Olga Reznik

Donezk, Ukraine

Bericht

über die durchgeführte Arbeit im Rahmen des Projektes

„Erinnerungen und Tatsachen über den Schrecken des II. Weltkrieges

(mit den Augen der deutschen Zeitzeugen)“

01.07.2013 – 21.07.2013

Ziele der Reise (Fragestellung). Kriegsgeschichten, gebrochene Schicksale und

verlorene Biografien regten mich schon immer an, eine neue Art von Wahrheit zu

entdecken – die Wahrheit, die keine Nationalität in Vordergrund stellt. Ob deutsch

oder ukrainisch, französisch oder jüdisch – wenn man misshandelt, erniedrigt und

gequält wird, existiert für alle die gleiche Wahrheit, die aus Angst, Schmerz und

dem einzigen Wunsch besteht, dass es schneller endet. In der Ukraine ist der

zweite Weltkrieg ein wichtiges Mittel, das Volk in gewissem Maße zu vereinigen

und die Generationen aneinander zu binden. Politische Parteien befassen sich sogar

spielerisch mit dem Thema des Krieges, um das Bewusstsein der ukrainischen

Bürger zu beeinflussen. Klein und groß, aber seit 68 Jahren gehen wir Hand in

Hand zu Gedenkstätten und legen Blumen an Kriegsgräbern nieder. Dabei herrscht

immer noch die allgemeine Meinung, dass der Krieg nur für eine Seite Elend und

Unglück gebracht hat. Diesen pauschalen Glauben wollte ich zerstören.

Andererseits begegne ich immer wieder einer großen Anzahl von jungen Leuten im

Alter von ca. 16 bis 22, die im Gegensatz zu der einseitigen Meinung über die

Opfer des Krieges überhaupt keine Meinung äußern – aus dem einzigen Grunde,

dass sie sich dafür nicht interessieren. Ihre Gleichgültigkeit bedeutet für mich ein

schlechtes Zeichen, besonders in Hinblick auf sich rasch entwickelnde radikale

Jugendbegegnungen in solchen großen Städten der Ukraine, wie Donezk, Kiew,

Charkiw, Lwiw. An den Haltestellen in meiner Stadt sehe ich täglich ывы zu

Rassendiskriminierung und ich weiß, dass es überall in Europa präsent ist. Ich bin

überzeugt, dass es sich generell durch den falschen Umgang mit der Vergangenheit

entwickeln lässt. Sowohl in Deutschland als auch in der Ukraine – ja, im ganzen

Europa – wird der II. Weltkrieg zur geschriebenen und passiven Geschichte, weil

die Zeitzeugen diese Welt verlassen und die Jugendlichen es nicht nachvollziehen

wollen. Und solange sich man an den vergangenen Krieg erinnert, kommt kein

neuer. Aber auf welche Weise kann man die Leute denken und gedenken lassen,

wenn sie den Krieg nur noch mit allgemeinbekannten Tatsachen assoziieren? Mein

Ziel war, einerseits deutsche Gedenkstätten zu besuchen, die den Opfern der

nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gewidmet sind, und andererseits mit

Zeitzeugen und möglicherweise sogar ehemaligen Soldaten zu sprechen, die

unmittelbar über den Schrecken des Krieges berichten könnten. Meinen

Mitbürgern fehlt generell das Verständnis dafür, dass die Deutschen auch während

des Krieges gelitten haben, und nach solchen bildhaften und realistischen

Geschichten habe ich gesucht. Mein Plan war aktiv zu arbeiten, so dass ich anhand

von gesammelten Materialien neue Fakten und erschütternde Erinnerungen

bekommen und an ukrainische junge Leute weiterleiten würde, damit sie

reflektieren und begreifen können, dass der Krieg für beide Seiten nichts als Elend

und Unglück bringt und kein Staat vom Krieg wirklich profitiert, solange das

Menschenleben nichts wert ist. Das gesammelte und überarbeitete Material

grundsätzlich mit den Erinnerungen von Zeitzeugen in russischer Sprache sollte in

Form von einer Broschüre verfasst und an ukrainische Schulen verteilt werden, so

dass junge Leute daraus lernen können und sich hoffentlich auf die neue Weise

aufklären lassen, was ihre Eltern nicht durften. Auf solche Weise hatte ich vor, die

leichtsinnige, oberflächliche, subjektive und einseitige Betrachtung des

Geschehenen zu bekämpfen und damit meinen eigenen Beitrag zur

Völkerverständigung und zum Frieden in Europa leisten.

Vorbereitungen. Wie bereits erwähnt wurde, bestand das Projekt aus zwei

wichtigen Teilen, und nämlich aus Besuchen von Gedenkstätten, Ausstellungen

und Museen (der informative Teil) und Interviews mit Zeitzeugen (der persönliche

Teil). Beide Etappen forderten gründliche Vorbereitungen. Der erste Teil war mit

der Suche nach Routen, Adressen und Kontakten verbunden, wobei der zweite Teil

in der historischen Methodologie als „die Geschichte der Alltäglichkeit“ betrachtet werden kann. Dies ist eine anerkannte Methode, die Vergangenheit zu erforschen,

besonders wenn sie sich nicht eindeutig interpretieren lässt. Die Alltäglichkeit

bedeutet die einfachste Form der menschlichen Existenz und beinhaltet das, was

wir auf den ersten Blick gar nicht in Acht nehmen. Aber eben die Alltäglichkeit

erklärt uns oft unbegreifliche Erscheinungen und antwortet auf die Fragen, warum

die Leute in fürchterlichen Bedingungen wie Hungersnot überlebt, in riskanten

Zeiten rebelliert oder umgekehrt gegen die Macht nicht gekämpft haben.

Alltägliche Kleinigkeiten geben uns die Möglichkeit, die vielseitige historische

Wirklichkeit tiefer zu begreifen. Es ist die Geschichte von denen, deren Namen

nicht in Geschichtsbüchern zu finden sind, die nur als ordinäre Teilnehmer der

außerordentlichen Vergangenheit erachtet werden. Es ist die Mikrogeschichte, die

aber wohl die ehrlichste Geschichte ist und für uns sich vielleicht als die einzige

Möglichkeit erweist, die Wahrheit zu vermitteln.

Um imstande zu sein, die Zeitzeugen zum Gespräch anzuregen und mit ihnen über

ihre dunklen und schmerzhaften Erinnerungen zu sprechen, ohne sie in gewissen

Stress zu bringen, musste ich in der Vorbereitungsphase die Struktur des

Interviews sehr präzise durchdenken. Ein erfolgreiches Interview fordert

bestimmte Erfahrungen und Kenntnisse, z.B. die Wahl des Ortes und der Zeit,

korrekt formulierte Fragen, die Fähigkeit, die Fragen spontan umzuformulieren

und zu korrigieren, die richtige Notiztechnik und die Schaffung der angenehmen

Atmosphäre. Mit einigen eventuellen Gesprächspartnern habe ich mich bereits vor

der Ankunft in Deutschland in Verbindung gesetzt und auf solche Weise mich kurz

über ihr Schicksal informiert, um die für sie unangenehmen Fragen zu vermeiden.

Umsetzung. Die Reise nach Deutschland hat 20 Tage gedauert und war

außerordentlich erlebnisreich und informativ. Im Laufe der Reise habe ich 6 Städte

besucht, und nämlich die Städte Wolfsburg, Magdeburg, Braunschweig, Lohheide,

Halberstadt und Halle. Insgesamt verfüge ich über Eindrücke und Materialien aus

9 Gedenkstätten: die Gedenkstätte Konzentrationslager Bergen-Belsen (Lohheide,

Niedersachsen), die Gedenkstätte für die Opfer der nationalsozialistischen

Gewaltherrschaft „Waldfriedhof“ (Wolfsburg, Niedersachsen), Stadtmuseum Schloss Wolfsburg mit der Dokumentation über die Opfer der

nationalsozialistischen Gewaltherrschaft (Wolfsburg, Niedersachsen), die

Gedenkstätte KZ-Außenlager Braunschweig Schillstraße (Braunschweig,

Niedersachsen), die Gedenkstätte für Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft

„Braunschweiger Friedhöfe e.V.“ (Braunschweig, Niedersachsen), die Gedenkstätte Konzentrationslager Langenstein-Zwieberge bei Halberstadt

(Sachsen-Anhalt), die Gedenkstätte Roter Ochse (Halle an der Saale, Sachsen-

Anhalt), der sowjetische Friedhof und der Stadtfriedhof der Stadt Magdeburg

(Magdeburg, Sachsen-Anhalt). Während der Reise habe ich drei Zeitzeugen

interviewt: Peter Lorenz, Otto Aldinger und Berta Aldinger.

Reiseerlebnisse und Erkenntnisse mit Blick auf die Fragestellung. Jede Route

und jeder Ort war für mich meine eigene Art der Kommunikation mit der

Vergangenheit.

Mein erstes Reiseziel

war die Stadt

Wolfsburg, die als die

Volkswagen-Stadt

bekannt ist und im

Rhythmus der VW-

Produktion lebt.

Gegründet von Hitler

als die Stadt des KdF-

Wagens war sie zu

jenen Zeiten dank

dem VW-Werk auch

eines der wichtigsten

Zentren der

Rüstungsproduktion. Die sich im Stadtschloss Wolfsburg befindende

Dokumentation über die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gibt

einen Einblick in die Kriegsgeschichte des VW-Werkes und schockiert die

Besucher mit ausführlichen Beschreibungen der unmenschlichen Bedingungen bei

der Rüstungsproduktion. Das VW-Werk war für die Produktion der KdF-Wagen

geplant und wurde für diesen Zweck eingerichtet. Daher blieb zunächst seine

rüstungswirtschaftliche

Mobilisierung aus. Größter

Auftraggeber war die

Luftwaffe, außerdem

produzierte das VW-Werk

für das Heer, ab 1940

bestanden auch

Auftragsbeziehungen zur

Waffen-SS. Im VW-Werk

arbeiteten 5000 bis 6000

sowjetische Zwangsarbeiter.

Wie die Polen und Italiener,

führten auch sie ein Leben

überwiegend im Lager (z.B.

Außenstelle des KZ Neuengamme auf dem Laagberg) und mussten täglich zum

Rüstungsbetrieb gehen. Den jüdischen Auschwitz-Häftlingen erschien jedoch die

Zwangsarbeit im Volkswagenwerk als Rettung vor der Gaskammer. Auch waren

ihre Lebensverhältnisse hier besser als in Auschwitz. Die Quellen registrierten

daher für die Zwangsarbeiter zahlreiche Todesfälle. Meistens starben sie an Folgen

der Gewalttaten und Auszehrungskrankheiten. Ein Sonderfall war das

Massensterben von neugeborenen Kleinkindern der Zwangsarbeiter im Kinderheim

des Volkswagenwerkes.

Die Dokumentation ist das Ergebnis eines historischen Aufklärungsprozesses in

der BRD. Seit 1983 behandelten die Ratsgremien wiederholt die Thematik

„Rüstungsproduktion und Zwangsarbeit im VW-Werk während des II.

Weltkrieges“ und ihre Auswirkung auf das Selbstverständnis der Stadt. In den 80-

ern setzte sich eine breitere Öffentlichkeit unter anderem mit der Persönlichkeit

von Ferdinand Porsche, der von 1941 bis 1943 Vorsitzender der

Panzerkommission war, und seiner Beteiligung an der Kriegsproduktion

auseinander.

Das nächste Objekt, das ich unbedingt besuchen wollte, war die Gedenkstätte für

die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft „Waldfriedhof“ in

Wolfsburg. In diesem Zusammenhang

lassen sich sogar zwei wichtige

Gedenkstätten erwähnen, weil auf dem

Weg zum geplanten Ziel ich auf dem

Territorium des Friedhofs noch

mehrere Kriegsgräber entdeckt habe. Auf dem Waldfriedhof befinden sich

insgesamt 99 Kriegsgräber, darunter 30 Deutsche, 26 Polen, 11 Russen, 8

Holländer, 4 Belgier, 4 Jugoslawen, 3 Franzosen, 3 Letten, 3 Ungarn, 2

Österreicher, 2 Rumänen, 1

Tscheche, 1 Däne und 1

Unbekannter Toter. All

diese Leute sind

nebeneinander begraben

und stellen mit ihrer Ruhe

noch ein trauriges Symbol

der vergangenen Zeit dar.

Neben der von mir

unmittelbar gesuchten

Gedenkstätte

„Waldfriedhof“ lag auf einer anderen Seite vom

Friedhof noch eine

Gedenkstätte, die die

Gräber von Männern, Frauen und Kindern aus der Sowjetunion, von sowjetischen

Kriegsgefangenen sowie KZ-Opfern der Außenstelle Neuengamme beherbergt.

Das 1947 angelegte Ehrenmal ist sowjetischen Gefangenen gewidmet.

Erschütternd präzise gerade Linien bilden die Reihen von Liegesteinen mit den

Namen von Opfern, meistens in kyrillischen Buchstaben. Fast auf jedem Grab

wurde ein kleiner Stein niedergelegt, wo die Wörter Paz, Peace, М zu lesen sind,

die in verschiedenen Sprachen „Frieden“ bedeuten. Auch von mir wurde auf dem

Grab von einem jungen Mädchen so ein Stein gelassen, mehr konnte ich in jenem

Moment für sie nicht tun.

Die nächste Station war für mich die Stadt Braunschweig, die ich mehrere Tage

versucht habe, zu erkunden.

Die Gedenkstätte KZ-Außenlager Braunschweig Schillstraße liegt nicht weit vom

Bahnhofsgebäude und schockiert mit seiner Nähe zum Stadtzentrum. Wie ich

bereits erwähnt habe, bildeten die Konzentrationslager zahlreiche Außenlager, in

denen unter strenger Bewachung Häftlinge für die Arbeit in Rüstungsbetrieben

untergebracht wurden. So richtete das KZ Neuengamme für die Arbeit von

Häftlingen in der Firma Büssing-Automobilwerke ein Lager in der Braunschweiger

Schillstraße ein. Die größte Gruppe der Häftlinge, die in das Braunschweiger Lager

kam, bestand aus polnischen Juden des Konzentrationslagers Auschwitz, die

ebenso wie in dem Fall mit dem VW-Werk, nichts sehnlicher wünschten, als dem

Vernichtungslager zu entkommen. Die schlechten Lebensbedingungen im Lager

Schillstraße führten dann allerdings dazu, dass auch dort wieder mehrere hundert

Häftlinge an den Folgen der Entkräftung und der sich ausbreitenden Krankheiten

starben.

Heute besteht die

Gedenkstätte aus

dem Archiv- und

Lesesaal, wo

Einzelpersonen,

Institutionen der

Geschichtsforschu

ng, Vereinigungen,

Parteien,

Kirchengemeinden

und Schulen in

speziellen

Kassetten noch

unbekannte

Kapitel des

Nationalsozialismus dokumentieren können. Einige Kassetten sind bereits voll und

bieten den Besuchern wertvolle Schriftstücke zu vielen Aspekten der regionalen

Geschichte der 30-er und 40-er Jahre. Aber andere Kassetten, die sogar die Namen

von bestimmten Institutionen tragen und auf die Informationen von ihnen warten,

schweigen immer noch. Das Offene Archiv lässt sich auf solche Weise als eine

lebendige, sich verändernde Sammlung von der persönlichen Geschichte

betrachten, da in jeder Kassette unerwartete Gegenstände zu finden sind (Briefe,

Berichte, zeitgenössische Artikel – alles, was der Besitzer von der Kassette für

wichtig für die Gesellschaft hält).

Ein mehrstufiges Podest gibt den Blick auf den Ort des heute nicht mehr

vorhandenen Lagers frei. Während die Öffentlichkeit sich mit Hilfe von sich

ständig ausfüllenden Kassetten mit der Vergangenheit auseinandersetzt, ist da

hinter der Begrenzungsmauer zum früheren Lagergelände eine riesige Baustelle zu

sehen – wo das Lager früher stand, wird nun ein Einkaufszentrum gebaut.

Der zweite bedeutende für mich Ort war die Gedenkstätte für Opfer von Krieg und

Gewaltherrschaft

„Braunschweiger Friedhöfe e.V.“, die

sich auf dem

Stadtfriedhof

befindet. Um die

Friedenskapelle zu

erreichen, die auf

der Karte als die

gesuchte

Gedenkstätte

bezeichnet war,

musste ich durch

den ganzen Friedhof

an unendlichen

Reihen von

Kriegsgräbern von deutschen Soldaten aus dem I. und II. Weltkrieg vorbeigehen.

Vergeblich habe ich versucht, alle Namen auf den Grabsteinen durchzulesen – die

Gräber scheinen unzählbar zu sein. Die sich auf dem Friedhof befindende

Gedenktafel beeindruckte mich mit

folgenden Worten: «Wir gedenken der

Toten, die durch Kriege ihr Leben verloren,

weil der Hass in der Welt mächtiger war als

die Liebe». Nun habe ich die Friedenskapelle

erreicht, die leider geschlossen war und die ich nur von außen besichtigen konnte.

Neben der Kapelle hingen einige Gebete und Gedichte, die der Opfer von Gewalt

und Krieg gedenken.

Magdeburg, fast völlig zerstört durch Bombenangriffe im II. Weltkrieg, ist wieder

zu einer prächtigen Stadt

geworden. Mein erstes Ziel war

der sowjetische Ehrenfriedhof,

wo die Gräber von 1.923

Rotarmisten und Zwangsarbeitern

verschiedener Nationen sich

befinden. Gepflegt sind die

Gräber von Soldaten und

Kindern, die in der schrecklichen

Kriegszeit nicht überleben

konnten. Ständig werden hier

Blumen niedergelegt, was viele

getrocknete Rosen

veranschaulichen.

Das zentrale Objekt meines

Projektes, wie ich es später

verstanden habe, war der

Stadtfriedhof, der auf die

tragischste Weise die Geschichte

des XX. Jahrhunderts

wiederspiegelt. Zunächst führt uns der Weg zu den Gräbern von Soldaten, wo

unter jedem Grabstein 4 bis 6 Menschen begraben worden sind. Das sind

diejenigen, die als

Kanonenfleisch am

Krieg der Ideologien

teilnehmen sollten. Ein

Stück weiter liegt eine

grüne Wiese, die auf

den ersten Blick ganz

harmlos zu sein scheint.

Ein Gedenkstein

daneben weist auf das

Datum „16. Januar 1945“ hin, als die Stadt Magdeburg von den

Amerikanern bombardiert wurde. Die Quellen nennen die Zahl ca. 17 000 Opfer

der Zivilbevölkerung, alles nur alte Leute, Frauen und Kinder. Eben diese grüne

Wiese wurde zu ihrer letzten Ruhestätte, als die namenlosen Leichen zu tausenden

ins Massengrab geworfen wurden. Dies ist das zweite Gesicht des Krieges, wenn

die Hilflosen betroffen werden. Links vom Ort der fürchterlichen Bombardierung

befindet sich das Massengrab für mehrere hunderte Kriegstote, die im Lazarett an

Kriegswunden

gestorben sind. Und

noch ein Stück weiter

steht ein großes

Denkmal für die Opfer

des Krieges mit

riesigen Worten „Halt wach dein

Gedächtnis“. Vor dem

Denkmal liegen lange

Reihen von ermordeten

KZ-Häftlingen aus

verschiedenen Ländern, was schwer zu fassen ist, aber unmittelbar zu diesem

Krieg gehört. So unterschiedlich waren die Schicksale aller auf diesem Friedhof

begrabenen Leute, so weit weg von einander wurden sie geboren, so verschiedene

Nationalitäten und Weltanschauungen haben sie gehabt, aber ihre ewige Ruhe

haben sie auf demselben Stück Erde gefunden. Eben dieser Ort stellt die größte

kalte

Dusche für

diejenigen dar, die vom Schrecken des Krieges noch nicht überzeugt sind.

Beim nicht geplanten Besuch des faszinierenden Magdeburger Doms habe ich eine

Ausstellung entdeckt, die zu dieser Zeit mitten im Dom standfand. Die Ausstellung

hatte ein spezifisches Thema, das die nationalsozialistische Medizin in den

Vordergrund stellte. Die Tätigkeit von fanatischen NS-Ärzten wurde hier

aufgedeckt, wie z.B. von Dr. Kurt Heißmeyer, der Experimente im KZ

Neuengamme durchführte, bei denen man erst Erwachsene und später Kinder

durch in die Lunge gelegte Gummischläuche und Spritzen mit hochvirulenten

Tuberkulosebakterien infizierte. Außerdem wurde das Thema „Kinder aus Opfer eugenischer Zwangssterilisation“ angesprochen, das zum Ausdruck bringt, dass

bis 1945 in Deutschland etwa 360 000 Menschen unfruchtbar gemacht wurden.

Die Grundlage dafür war das 1933 verabschiedete „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“, das die zwangsweise Unfruchtbarmachung bei einigen,

als „Erbkrankheiten“ angesehenen Leiden legalisierte. Auch Kinder waren betroffen: auf Antrag des gesetzlichen Vertreters konnten bereits zehnjährige

sterilisiert werden. Nicht weniger schockierend ist die Beseitigung von geistig

behinderten, „bildungsunfähigen“ Menschen. Bekannt ist auch der Fall des

„Kindes K“, als im Frühjahr 1939 ein Ehepaar aus Sachsen ein Gesuch zur Tötung

seines schwer behinderten Kindes an Adolf Hitler richtete. Der Fall des „Kindes K“ soll dazu beigetragen haben, dass Hitler im Herbst dieses Jahres ein

„Euthanasie“-Programm entwickelte. Das Motto „Kinder dienen der Wissenschaft“ ist eine der zentralen Überschriften der Ausstellung und ruft eine große Resonanz

bei den Besuchern hervor.

Die Reise zur Gedenkstätte Langenstein-Zwieberge bei Halberstadt erwies sich

als ein langer Weg, am dessen Ende eine enge Landstraße mitten im Harz direkt

zum ehemaligen Konzentrationslager führt. Der einzige Gedanke drehte sich

damals in meinem Kopf,

dass alle Häftlinge, die ins

Lager kamen, auch

denselben Weg gemacht

hatten.

Im März 1944 lagen im

Reichsministerium für

Rüstung und

Kriegsproduktion erste

konkrete Planungen für

ein unterirdisches Projekt

in den Thekenbergen bei

Halberstadt vor.

Vorgesehen war ein Stollen für die Untertageverlagerung der Rüstungsproduktion

der Junkers

Flugzeug- und

Motorenwerke.

Umgeben von der

malerischen Natur,

entstand dort im

April 1944 ein

Außenlager des KZ

Buchenwald, wo

über 7.000

Häftlinge aus 23

Ländern arbeiten

mussten, um das

Vorhaben zu

realisieren. In den

zwölf Monaten des

Bestehens des KZ wurden weit mehr als 1.800 Häftlinge systematisch durch

Unterernährung, Terror und überhöhte Arbeitsanforderungen vernichtet, weitere

2.500 kamen während eines der berüchtigten Todesmärsche ums Leben. Die

Häftlinge sollten unermüdlich im Stollen arbeiten, Schienen verlegen, Steine

zerschlagen. Zum Zeitpunkt der Befreiung des Lagers lagen überall im Gelände

und in den Baracken Leichen von Gefangenen. Langensteiner Männer mussten die

Toten bestatten. Dafür nutzten sie eine vorhandene Grube, die später als südliches

Massengrab bezeichnet wurde.

Auf dem Territorium der Gedenkstätte wurden auch sehr informative

Ausstellungen über das Leben im Lager und über die Rolle der Polizei im NS-

Regime organisiert. Videosequenzen machen einen erheblichen Eindruck auf die

Psyche und regen an, einige Zeilen auf weißen Papierblättern zu schreiben, die für

Tote und Lebende gedacht sind.

Die Natur lebt hier ihr Leben weiter und weiß nichts von der dunklen

Vergangenheit dieses

Ortes. Nur die Reste vom

Stacheldraht und die

Todeskiefer sind stumme

Zeitzeugen der

Geschichte. An dieser Todeskiefer tötete die SS-

Mannschaft Insassen des Konzentrationslagers,

die versucht hatten, zu fliehen. Sonst begegnete

ich nur einzelnen Besuchern der Gedenkstätte,

die aber wegen ihrer Hunde in der malerischen

Natur mitten im KZ einen Spaziergang machten.

Gruselig war es in der Gedenkstätte „Der ROTE OCHSE“ in Halle, die in der Zeit

des Nationalsozialismus als eine Hinrichtungsstätte diente. Während für viele

Häftlinge der obengenannten Konzentrationslager noch eine Chance zu überleben

bestand, war dieser Ort

tatsächlich die letzte Instanz für

die Gefangenen. Bis zum

Kriegsende vollstreckten die

Schaftrichter im Zuchthaus Halle

(„der ROTE OCHSE“) 549 Todesurteile an Menschen aus 15

Ländern Europas.

Im Sommer 1942 ließ das

Reichsjustizministerium Teile

des Lazarettgebäudes von

Gefangenen zu einer Richtstätte

umbauen. Diese erhielt zunächst

eine so genannte

Fallschwertmaschine

(Guillotine), ab Anfang 1944

zudem eine Vorrichtung zum

Erhängen. Bis April 1945

exekutierten nacheinander drei

Scharfrichter mit ihren Gehilfen

über 500 Verurteilte.

Am 13. Dezember

1944 vollstreckten

wegen Abwesenheit

des Henkers sogar

Beamte des „ROTEN OCHSEN“ die Urteile.

Erschüttern ist noch

eine Tatsache, die die

Gedenkstätte

offenbart: in den

Jahren 1942 bis 1945

verwendeten Lehr-

und

Forschungseinrichtungen der Universitäten Halle und Jena Leichen aus der

Richtstätte des „ROTEN OCHSEN“ für die Ausbildung von Medizinern.

Die Dauerausstellung dokumentiert die Geschichte der Richtstätte und schildert

einzelne Biografien der Hingerichteten, so dass wir das kurze Leben der

Gefangenen einigermaßen verfolgen können. Wer waren also die Opfer der

fürchterlichen Fallschwertmaschine? Widerstandskämpfer waren es, Gläubige und

Andersdenkende - auf jeden Fall waren es diejenigen, die der Ideologie des NS-

Regimes nicht entsprachen.

Meine letzte Station war die Stadt Lohheide, in der die Gedenkstätte

Konzentrationslager Bergen-Belsen liegt. Dies ist ein Ort der Erinnerung und ein

großes Dokumentationszentrum. Die Dauerausstellung umfasst mehrere

Teilausstellungen:

Kriegsgefangenenlager

der Wehrmacht 1939-

1945

Konzentrationslager

Bergen-Belsen 1943-

1945

Displaced Persons Camp

Bergen-Belsen 1945-

1950

Strafverfolgung nach

1945

Mit zahlreichen Texten,

Fotografien, Dokumenten, Gegenständen und Ausschnitten aus

lebensgeschichtlichen

Videointerviews mit

Überlebenden werden die

Besucher über die

Geschichte des Ortes

Bergen-Belsen informiert,

wo zwischen 1941 und

1945 im

Kriegsgefangenen- und

Konzentrationslager mehr

als 70 000 Menschen ums

Leben kamen. Zunächst

bestand da ein

Kriegsgefangenenlager

der Wehrmacht. Die meisten der etwa 20 000 Opfer waren sowjetische

Kriegsgefangene. Erst 1943 richtete die SS auf einem Teil des Geländes ein

Konzentrationslager ein. Hier starben mindestens 52 000 Männer, Frauen und

Kinder infolge Überfüllung, unzureichender Versorgung und Krankheiten. Bislang

sind nur etwa 10 000 der verstorbenen Häftlinge namentlich bekannt. Die Toten

des Konzentrationslagers wurden auf dem Lagergelände in Massengräbern

bestattet. Die nicht wirklich großen, aber zahlreichen Massengräber mit den

Worten „Hier ruhen 5000 Tote“, „Hier ruhen 2500 Tote“ hinterlassen einen schweren Eindruck auf die Besucher und schockieren mit ihrer Menge.

Eines der Symbole des Konzentrationslagers Bergen-Belsen ist das jüdische

Mädchen Anne Frank, die mit ihrem Tagebuch zu einem Symbol des

Wiederstandes und Kampfes für die Gerechtigkeit geworden ist. Am 12. Juni 1942

begann sie ihr Tagebuch und im August 1944 verhaftete die Polizei Anne und ihre

Schwester Margot. Anne Frank war bei ihrem Tod im März 1945 in Bergen-Belsen

fünfzehn Jahre alt, aber das genaue Todesdatum ist unbekannt.

Die Gedenkstätten und Ausstellungen bieten authentische Materialien, Fotografien,

rührende Briefe in die Heimat an, aber die unmittelbare Nähe zu der Vergangenheit

schaffen nur die Berichte von Zeitzeugen, die ehrlicher sind, als jede

Dokumentation. Während meiner Reise habe ich einige Leute kennen gelernt,

deren Worte über unbegreifliche Kraft verfügen – das ist die Kraft der lebendigen

Geschichte.

Die Familie Aldinger hat neulich ihren 65. Hochzeitstag gefeiert. Der rote Faden

ihres Lebens war die Suche nach dem Ort, wo sie ruhig einschlafen könnten. Die

Entstehung von zahlreichen deutschen Kolonien im Osten ist mit dem Namen von

Katharina der II. verbunden. Frau Aldinger (geb. 1922) und Herr Aldinger (geb.

1926) kommen

beide aus

Bessarabien, das

damals zu

Rumänien gehörte

und jetzt ein

südwestlicher Teil

der Ukraine ist.

Als ethnische

Deutsche haben

sie in ihren

Dörfern

Alexanderfeld und

Hoffnungstal

mühevoll das

deutsche Kulturgut gepflegt und sich keine andere Heimat gewünscht. Sie haben ja

gar nicht geahnt, dass sie am einem Tag im Herbst 1940 alles verlieren werden.

Gezwungen aufgrund der territorialen Neuordnung in Osteuropa ihre Heimat zu

verlassen, haben sie sich auf einen langen Weg der Flucht über halb Europa nach

Deutschland begeben. Die Flucht in der Kriegszeit war keine Abenteuerreise, so

dass sie oft bei Bauern arbeiten sollten, um ihr Stück Brot zu verdienen. Mit der

Hoffnung, ihre neue Heimat zu finden, sind sie zunächst in Polen angekommen,

wo sie einige Jahre im Haus von polnischen Juden leben sollten, bis die Rote

Armee kam und sie weiter flüchten ließ. Deutsch, aber trotzdem anders, sollten sie

nach dem Krieg ein neues Leben in Deutschland beginnen. Es war nicht einfach,

besonders im Grenzgebiet zwischen Ost und West, aber zusammen übersteht man

alle Hindernisse. Auf die Frage, was sie erwartet hätte, wenn sie in Bessarabien

geblieben wären, gibt es keine konkrete Antwort. Bekannt ist nur, was mit anderen

ethnischen Deutschen auf dem Territorium der Sowjetunion passiert ist. Nach

Stalins Befehl wurden die meisten von ihnen als "antisowjetische Elemente"

in Gulags nach Sibirien oder nach Kasachstan deportiert. Die unendliche Flucht

der Familie Aldinger hatte doch ihr Ziel, und dieses Ziel war das Gefühl, richtiges

Zuhause gefunden zu haben.

Peter Lorenz hat für mich einen außerordentlichen Stadtrundgang durch

Magdeburg organisiert.

Dabei war seine

Exkursion sehr stark

durch Kriegsbilder und

-Erinnerungen geprägt.

Er war drei Jahre alt,

als der Krieg zu Ende

ging. Wegen einer

schweren

Ohrenentzündung

sollte er im Lazarett im

Bunker operiert

werden, wo auch

zahlreiche verwundete

Soldaten mit

Kopfverbänden und anderen Verletzungen behandelt wurden. Einer der Soldaten

hat ihn damals ständig durch die Gegend getragen und versucht, das weinende

Kind zu beruhigen.

Die Amerikaner haben zu der Zeit die Ortschaft Burg mit dem Lazarett immer

wieder beschossen, und als seine Mutter Herrn Lorenz im Bunker besuchen wollte,

lief sie direkt durch das Artilleriefeuer, während die Soldaten sich alle auf den

Boden hinlegten und Schutz suchten. Keine Kugel traf sie, und sie konnte ihrem

Sohn einige Minuten Geborgenheit schenken.

Nachdem der Krieg beendet worden war, wohnten sie zu zweit in der

Oberförsterei, wo ein russischer Kommandant sie unterstützte und viele deutsche

Frauen vor der Vergewaltigung von den Rotarmisten beschützte. An einen der

Burschen vom Kommandanten, der Wanja hieß, kann sich Herr Lorenz noch heute

erinnern, der ihm und anderen Kindern immer Süßigkeiten schenkte.

Einige Bilder im Kopf kann er immer noch nicht loswerden. Unendliche Reihen

der Leichen nach der Bombardierung von Magdeburg oder Leute mit verbundenen

Köpfen aus dem Lazarett sind unvergessliche Erinnerungen und wurden zu

häufigen Alpträumen. Die Kriegsspuren begleiten ihn sein ganzes Leben lang.

Dabei ist Peter Lorenz ein begeisterter Sammler von historischen Tatsachen und

Legenden. Seine eigene Geschichte und Kultur sind für ihn die Grundelemente des

persönlichen Wertesystems. Als Zeitzeuge des II. Weltkrieges empfiehlt er der

jungen Generation sich auf ihre eigene Kultur zu besinnen. Mit seinen

tiefgreifenden historischen Kommentaren bringt er Respekt vor der eigenen

Geschichte bei.

Eventuelle Schwierigkeiten und Herausforderungen. Die Reise zu drei aus

zwölf Gedenkstätten im Rahmen des Projektes ist aufgrund einiger

Schwierigkeiten gescheitert, die ich nicht überwinden konnte. Die Gedenkstätte

Buchhorst: Tatort der NS-Militärjustiz Braunschweig war unerreichbar wegen der

fehlenden Verkehrsverbindungen. Was die Gedenkstätte Justizvollzugsanstalt

Wolfenbüttel angeht, die den Opfern der NS-Justiz gewidmet ist, ist dort der

Zugang nur für Gruppen möglich, da sie sich im Sicherheitsbereich einer

Justizvollzugsanstalt befindet. Der Besuch von der Gedenkstätte für die Opfer der

NS-„Euthanasie“ Bernburg war unmöglich, weil die Suche nach Zeitzeugen, die

ebenso zum wichtigen Teil meines Projektes gehörte, viel zu lange gedauert hat,

was auf solche für mich die nächste Schwierigkeit bereitete. Generell waren meine

Versuche, Gesprächspartner zu finden, ziemlich erfolglos, da ich gar nicht

vermutet habe, wie schwer es den Leuten in Deutschland fällt, über das Erlebte zu

sprechen. Es scheint, als hätten sie die Vergangenheit verdrängt, und der größte

Stress entsteht bei dem Versuch, die Erinnerungen auszulösen. Die Leute leben in

Angst beschuldigt zu werden, auch wenn sie keine Täter gewesen sind, bloß weil

der Stempel der Zeit sie erreichen kann. Zurzeit läuft in Deutschland ein Projekt

„Spät. Aber nicht zu spät!“, das vom Simon Wiesenthal Center – einer der größten

Menschenrechtsorganisationen initiiert wurde. Sein Hauptziel ist die Aufspürung

der letzten noch lebenden Nazi-Verbrecher und eine große öffentliche Resonanz.

Verwirklicht wird dies durch ein einfaches Prinzip: jeder, der der Meinung ist, dass

sein Nachbar ein Nazi gewesen sein könnte, soll ihn aufdecken und dafür 25 000

Euro als Belohnung erhalten. Auf solche Weise leben alte Leute in ständiger

Angst, wegen seines Alters verdächtigt und beschuldigt zu werden. In solchen

Bedingungen riskieren die Zeitzeugen falsch interpretiert und für Kopfgeld

angeklagt zu werden.

Fazit. Das durchgeführte Projekt ist noch nicht zu Ende gekommen. Das

Wichtigste beginnt etwas später, wenn andere Leute meinen Bericht und meine

Broschüre mit den Interviews lesen. Ich habe erschütternde Geschichten und

Tatsachen gesammelt, die beweisen, dass es im Krieg keine gewonnene und

verlorene Seite gibt. Alle, die unglücklicherweise betroffen wurden – egal, ob

Soldaten, Zivilisten oder Kinder – tragen tiefe Spuren im Herzen und wünschen

sich am liebsten, dass es nie wieder passiert. Ich werde auch weiter an diesem

Thema arbeiten, weil noch nicht alles von mir untersucht wurde. In meinem

Bekanntenkreis wächst die Zahl der Personen, die mit mir diese Mission teilen

würden.

Die meisten Anhänger der rechten Bewegungen sind noch in der Pubertät und

suchen ihre Identität, wobei sie radikale Ideen unterstützen. Wenn sie in der Schule

diese kostenlose „Lektüre“ bekommen, machen sich einige Gedanken über ihre Weltanschauung. Da ich als Lehrkraft Kontakte zu vielen Schulen in Donezk habe,

habe ich bereits einige Broschüren an die Schulen geschickt. Meine Freunde aus

Europa werden diese Interviews auf Deutsch bekommen, denn es gibt kaum

Familien in Deutschland, Polen, in den Niederlanden, die den Krieg nicht miterlebt

haben.

Für mich persönlich war das Projekt eine Herausforderung, ob ich die geplanten

Ziele erreiche. Ich glaube, dass ich mehr erreicht habe, als geplant, weil mit solch

einem tiefen Eindruck und mit solchen Emotionen habe ich nicht gerechnet. Ich

habe während der Reise so viel reflektiert, weil es immer wieder neue Impulse gab,

wie noch nie in meinem Leben. Auf viele komplizierte Fragen habe ich meine

eigene Antwort gefunden, die ich weiter vermitteln werde. Ich glaube, dass ich

viele Leute, die zurückhaltend und isoliert waren, dazu gebracht habe, ihre

Erinnerungen mitzuteilen. Ich habe bemerkt, dass sie am Ende es gar nicht

bedauert haben. Sie haben es auch versprochen, sich weiter mit jungen Leuten über

die Vergangenheit zu unterhalten. Der einzige Gewinn im Krieg ist der Verlust

vom Menschenleben. Und nur wenn wir – alle Europäer – auf einander achten,

können wir gemeinsam für den Frieden sorgen.