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Organisierte Barmherzigkeit Armenfiirsorge und Hospitalwesen in Mittelalter und Früher Neuzeit herausgegeben von Artur Dirmeier Verlag Friedrich Pustet Regensburg

Organisierte Barmherzigkeit

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Page 1: Organisierte Barmherzigkeit

Organisierte Barmherzigkeit

Armenfiirsorge und Hospitalwesenin Mittelalter und Früher Neuzeit

herausgegeben vonArtur Dirmeier

Verlag Friedrich Pustet Regensburg

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Beginen und Schwestern in der Sorge für Kranke,Sterbende und VerstorbeneEine Problemskizze

von Letha Böhringer

Die Erforschung von Beginen und anderen im Laienstand religios lebenden Frau-en, die keinem der Klausur verpflichteten Orden angehörten, I hat ebenso wie dieHospitalforschung in den letzten Jahrzehnten einen enormen Aufschwung ge-nommen. Da sowohl das bürgerliche Spital als auch BeginengemeinschaftenEinrichtungen sind, die zahllose lokale und regionale Ausfonnungen und Beson-derheiten hervorbrachten, indes keine überregionalen Strukturen, ist eine fast un-übersehbare Menge lokal- und landesgeschichtlicher Studien entstanden. Frank-Michael Reichstein zitiert in seinem Katalog der Beginenhäuser im deutschspra-chigen Raum mehrere hundert Veröffentlichungen.i Demgegenüber gibt es, vorallem in der Beginenforschung, verhältnismäßig wenige vergleichende oder zu-sammenfassende Darstellungen.' Dabei sind Parallelen in der Entwicklung von

IGruppierungen wie Hospitalbrüder und -schwestern und Beginen, die keine kirchenrechtlich binden-den Gelübde in einem etablierten Orden ablegten, sondern als Laien ein Leben intensivierter Fröm-migkeit führen wollten, werden vielfach als ,Semireligiose' bezeichet; vgl. im Anschluss an Ernest W.McDoNNELL, The Beguines and Beghards in Medieval Culture. With special emphasis on the Belgianscene, New Brunswick 1954, VII: semireligious or extraregulars, vor allem Kaspar ELM, Vita regu-laris sine regula. Bedeutung, Rechtsstellung und Selbstverständnis des mittelalterlichen und früh-neuzeitlichen Religiosentums, in: Frantisek SMAHEL (Hg.), Häresie und vorzeitige Reformation imSpätmittelalter (Schriften des Historischen Kollegs: Kolloquien 39), München 1998, 239-273. Elmhat die Bezeichnung auf zahlreiche Lebensformen angewandt, von Einsiedlern und Inklusen überKonversen und Donaten, Hospitalbruderschaften, Pilger und Kreuzfahrer bis hin zu Beginen, Terzia-ren und Terziarinnen und den Brüdern und Schwestern vom gemeinsamen Leben. Dabei ist zu beach-ten, dass ,semireligios' ein ForschungsbegrifT ist, der im Anschluss an die Diskussionen spätmittelal-terlicher Juristen um den kirchenrechtlichen Status solcher Gruppen geformt wurde. Aus einer striktjuristischen Perspektive werden allerdings Aspekte wie die Eigen- und Fremdwahrnehmung mancherGruppen und ihrer Mitglieder ausgeblendet, die sich selbst durchaus als Angehörige des geistlichenStandes betrachteten und von ihrer Umgebung auch als solche wahrgenommen und akzeptiert wurden;vgI. die kritischen Erörterungen bei Hildo VAN ENGEN, Oe derde orde van Sint-Franciscus in hetmiddeleeuwse bisdom Utrecht. Een bijdrage tot de institutioneIe geschiedenis van de Modeme Devo-tie, Hilversum 2006, hier 334fT.2 Frank-Michael REICHSTElN, Das Beginenwesen in Deutschland. Studien und Katalog (Wissenschaft-liche Schriftenreihe Geschichte 9), Berlin 2001, Katalog 210-373, der sich räumlich auf die deutsch-sprachigen Gebiete des Reiches im 14. Jahrhundert bezieht, unter Auslassung der heutigen Schweiz(vgl. Einleitung 7), für die ein eigener Katalog existiert, vgl. unten Anm. 13.1Neben der in Anm. 2 zitierten Dissertation von REICHSTEINvor allem die nach wie vor grundlegendeMonographie von McDoNNELL (wie Anm. 1) sowie Christian-Frederik FELSKAU, Von Brabant bisBöhmen und darüber hinaus. Zu Einheit und Vielfalt der ,.religiösen Frauenbewegung" des 12. unddes 13. Jahrhunderts, in: Edeltraud KLUETlNG(Hg.), Fromme Frauen - unbequeme Frauen? Weibliches

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Hospital- und Beginenwesen nicht zu übersehen. Spitäler und Beginengemein-schaften entstanden vor allem zwischen 1200 und 13504 in großer Zahl und inräumlicher Nähe zueinander, vorwiegend in Städten und vielfach durch bürgerli-che Stifter. Hinsichtlich der Insassen hat sich manches Beginenhaus kaum vonSpitälern für Arme unterschieden, wenn man von der Beschränkung auf das weib-liche Geschlecht absieht." Im späten Mittelalter, als etliche BeginenkonventeRegeln annahmen und sich zu Nonnenklöstern entwickelten, wurden andere Kon-vente als Altersheime für Männer und Frauen zu Einrichtungen der städtischenArmenfürsorge; von Spitälern hoben sich diese Häuser kaum ab," Auch die alsSeelhäuser gegründeten Einrichtungen für Frauen wiesen als Armen- und Alters-heime große Ähnlichkeit mit Spitälern auf," .

Bemüht man sich indes, die Beginen- und Hospitalforschung in Beziehung zusetzen, sieht man sich einer widersprüchlichen Situation gegenüber. Die offen-kundigen Parallelen zwischen Beginengemeinschaften und Spitälern werden nichtthematisiert." Vielmehr charakterisiert die Beginenforschung diese Frauen alsPflegekräfte von Kranken in privaten Haushalten und im Spital. Nicht selten

Religiosentum im Mittelalter (Hildesheimer Forschungen 3), Hildesheim - Zürich - New York 2006,67-103. Zur vergleichenden Hospitalforschung vgl, Gisela DROSSBACH u.a., Einführung. Zur Per-spektivität und Komplexität des mittelalterlichen Hospitals. Forschungsstand, Arbeitstechniken,Zielsetzungen, in: DIES. (Hg.), Hospitäler in Mittelalter und Früher Neuzeit. Frankreich, Deutschlandund Italien. Eine vergleichende Geschichte, München 2007, 9-24 sowie Christina VANJA, Offene .Fragen und Perspektiven der Hospitalgeschichte, in: Martin SCHEUTZ u.a. (Hg.), Europäisches Spital-wesen. Institutionelle Fürsorge in Mittelalter und Früher Neuzeit, Wien - München 2008 (MIÖG Erg.51),19-40.4 Vgl, die grafische Darstellung der Erstbelege für Spitäler bei Michel PAULY, Peregrinorum, paupe-rum ac aliorum transeuntium receptaculum. Hospitäler zwischen Maas und Rhein im Mittelalter(VSWG Beihefte 190), Stuttgart 2007, hier41.5 Ein Beispiel aus Köln ist der 1270 von einem reichen Bürger gegründete Konvent in der Landskro-nengasse für novem personis pauperum mu/ierum, vgl, Leonard ENNEN (Hg.), Quellen zur Geschichteder Stadt Köln, Bd, 3, Köln IS67, If. Nr. 2. Als Beginenhaus bestand der Konvent bis ins IS. Jahr-hundert, vgl. Johannes ASEN, Die Beginen in Köln (3 Teile), in: Annalen des Historischen Vereins fürden Niederrhein (AHVN) 111 (1927) 81-180; 112 (1928) 71-148; 113 (1928) 13-96; Register:AHVN 141 (1959) 75-S0, hier AHVN I11 (1927) 120ff. Ähnlich bestimmte der Kölner Kanoniker zuSt. Gereon Hermann 1288 das von seinem Vater geerbte Haus ad hospitandum in eo beckinas etpauperes in honorem dei; vgl. ENNEN, Quellen 3 (wie oben) 2S0f. Nr. 281 (falsche Datierung) undASEN, Beginen (wie oben) AHVN 111141ff.6 Vgl, zu diesen Entwicklungen REICHSTEIN, Beginenwesen (wie Anm. 2) 192-195. Auch andereEinrichtungen wurden zu Altersheimen, vgl, Michel PAULY, Von der Fremdenherberge zum Senio-renheim: Funktionswandel in mittelalterlichen Hospitälern an ausgewählten Beispielen aus dem Maas-Mosel-Rhein-Raum, in: Michael MATHEUS (Hg.), Funktions- und Strukturwandel spätmittelalterlicherHospitäler im europäischen Vergleich (Geschichtliche Landeskunde 56), Stuttgart 2005,101-116.7 Siegfried REICKE, Das deutsche Spital und sein Recht im Mittelalter, 2 Bde. (KirchenrechtlicheAbhandlungen 111-114), Stuttgart 1932, hier Bd. 1 307f.B Daher wird beispielsweise nicht der interessanten Frage nachgegangen, ob es im späten Mittelaltereine soziale Differenzierung gab zwischen Spitälern mit Pfründen für betagte BUrger und ehemaligenBeginenkonventen mit Plätzen für alte Dienstboten. Zu ehemaligen Dienern in Kölner Beginenhäu-sern vgl. ASEN, BEGINEN(wie Anm. 5) AHVN I11 116; zum Spital als Sozialasyl vgl, Ulrich KNE-FELKAMP, Stadt und Spital im späten Mittelalter. Ein struktureller Überblick zu Bürgerspitälern süd-deutscher Städte, in: Peter JOHANEK (Hg.), Städtisches Gesundheits- und Fürsorgewesen vor 1800(Städteforschung Reihe A, Darst. SO), Köln - Weimar - Wien 2000, 19-40, hier 34f.

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begegnet man weitgehenden Behauptungen des Inhalts, dass die Krankenpflegegeradezu eines der Kennzeichen der beginalen Lebensweise seit dem 13. Jahr-hundert gewesen sei. So erklärt Reichstein, dass in der Krankenpflege und demTotendienst die Hauptbeschäjtigung der Beginen bestanden habe,"

Demgegenüber schweigt die Hospitalforschung weitgehend zum Wirken derBeginen; in der nach wie vor klassischen Darstellung von Siegfried Reicke findetsich diesbezüglich kein einziger Nachweis.!" Ist solchermaßen ein gewisses Miss-trauen geweckt und sucht man nach Belegen, so tritt rasch Ernüchterung ein.Reichstein führt für seine weit reichende Behauptung nur eine Handvoll Beispieledes 15. und 16. Jahrhunderts an. Ernest McDonnell, der bereits 1954 eine bisheute grundlegende Monographie vorgelegt hat, meint zwar ebenfalls A commonvocation was nursing"; beruft sich jedoch lediglich auf Kölner Quellen aus derZeit um 1500; darauf ist zurückzukommen. Wie aber steht es um Belege für dieBlütezeit des Beginenwesens im 13. und 14. Jahrhundert?

Wendet man sich lokalhistorischen Studien zu, so wecken manche Titel gewis-se Erwartungen. Kathrin Utz-Tremp betitelt ihren Aufsatz über die Beginen derStadt Bern Zwischen Ketzerei und Krankenpflege - die Lektüre führt dann zu demernüchternden Resultat, dass besagte Beginen nicht als Ketzerinnen verfolgt wur-den und nur eine einzige Gemeinschaft, wenn überhaupt, für kurze Zeit mit Kran-kenpflege befasst war. In Bern wurden 1331 zwei Häuser an das Niedere Spitalübertragen, in denen Frauen alsfamiliares (sie werden offenbar nicht als Beginenbezeichnet) des Spitals und seiner Insassen leben sollten; schon bald, in der 2.Hälfte des 14. Jahrhunderts, ist vom Begehen der Memorien die Rede, nicht vonKrankenpflege.12 Eines der Häuser ist im 15. Jahrhundert als Pfründenanstaltbelegt.13 Meines Erachtens sind diese familiares als Pfründnerinnen des Spitalsaufzufassen, die von Anfang an mit dem Gebet für Wohltäter betraut waren, dennauch solche Leistungen galten als Dienste am Spital und seinen Insassen.

In eine andere Region führt der Beitrag von Daniel Le Blevec über die Rolleder Frauen im Languedoc, in dem er allgemein auf die Verpflichtung der Beginenzu Werken der Nächstenliebe hinweist; doch abgesehen von dieser gewiss in An-schlag zu bringenden individuellen und spontanen Hinwendung zu Bedürftigennennt er nur ein Beispiel institutionalisierter Fürsorge, nämlich ein Testament ausToulouse von 1275, in dem Beginen ein Legat zur Errichtung eines Spitals erhalten.Ob dieses Spital Beginen aufnehmen sollte oder für die Allgemeinheit bestimmtwar, geht aus der Darstellung von Le Blevec nicht hervor, und es erscheint ge-wagt, aus diesem Beleg darauf zu schließen, dass die Beginen der Städte Süd-

9 REICHSTEIN, Beginenwesen (wie Anm. 2) 169.10 Vg!. Anm. 7.11 McDoNNELL, Beguines (wie Anm. I) 271.12 Kathrin UTz-TREMP, Zwischen Ketzerei und Krankenpflege - Die Beginen in der spätmittelalterli-ehen Stadt Bern, in: Martina WEHRLI-JOHNS - Claudia OPITZ (Hg.), Fromme Frauen oder Ketzerin-nen? Leben und Verfolgung der Beginen im Mittelalter, Freiburg - Basel- Wien 1998, 169-194, hier175f. und 181.13 Kathrin UTZ-TREMP, Bern (Stadt), in: Cecile SOMMER-RAMER (Hg.), Die Beginen und Begarden inder Schweiz (Helvetia Sacra IX 2), Basel 1995, 248-311, hier 261.

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frankreichs im 13. Jahrhundert vorwiegend in der Fürsorge für ihre Mitmenschentätig waren."

Die Ausführungen von Ilse Schulz über Hygieias christliche Töchter im Ge-sundheitswesen der Stadt Ulm enthalten weitgehend Mutmaßungen über Beginenim Krankendienst, weil für das 13. und 14. Jahrhundert eindeutige Aussagen inden Quellen fehlen, die erst für das 15. und vor allem das 16. Jahrhundert vorlie-gen.15 Im Hinblick auf diese Publikation äußerte bereits Katrinette BodarweZweifel an der den Beginen zugeschriebenen Rolle.16

Überhaupt sind Vermutungen", Spekulationen und Rückschlüsse von späterenauf frühere Zeiten" sowie ein problematischer Umgang mit Quellen und Litera-tur" vielfach alles, was bei genauer Lektüre von den angeblich so engagiert pile-

14 Daniel LE BLEVEC, Le röle des femmes dans I'assistance et la charite, in: La femme dans la viereligieuse du Languedoc (XIIIe-XIVe s.) (Cahiers de Fanjeaux 23), Toulouse- Fanjeaux 1988, 171-190,hier 175: Des mentions eparses, recueillies (:a et la, montrent bien que l'action principale desbeguines dans le siecle etait la pratique des oeuvres de misericorde. Läge es nicht näher anzunehmen,dass derart spärliche Hinweise eher auf geringe caritative Aktivitäten der Beginen deuten?15 IIse SCHULZ, Schwestern, Beginen, Meisterinnen. Hygieias christliche Töchter imGesundheitswesen einer Stadt, Vim 1992; vgl. 29: Es ist aber wahrscheinlich. daß sie sich zumindestin den ersten Jahren pflegerisch betätigt haben; 32 (Kopfregest): Eine Stiftung von 1340 sei wohl dasBeguinenhaus for Krankenpflege-Schwestern; 53: Es ist möglich, daß Beginen zur Pflege der armenSiechen ins Spital gegangen sind. Vgl. zur Krankenpflege im 15.116. Jahrhundert 34ff.16 Katrinette BODARWE, Pflege und Medizin in mittelalterlichen Frauenkonventen, in:Medizinhistorisches Journal 37 (2002) 231-263, hier 251: Oft wird ihnen (den Beginen) ohneausreichende Quellenbasis pauschal eine Betätigung als Krankenpflegerinnen zugeschrieben.17 REICHSTEIN, Beginenwesen (wie Anm. 2) 218: Um 1300 werden am Berliner HeiliggeistspitalBeginen vermutet; vgl. auch Rainer AXMANN, ,,1m Convent". Beginen und Convente in der StadtCoburg, in: Jahrbuch der Coburger Landesstiftung 32 (1987) 115-140, hier 124: Die Möglichkeit, daßsich auch die Coburger ..guten Schwestern" einst der Krankenpflege angenommen haben, wurde bereitsdes öfteren angedeutet. Tatsächlich gibt es keinerlei Beweise; im 16. Jahrhundert war dasBeginenhaus zum Armenhaus geworden, wobei die arbeitsfähigen Armen die Siechen pflegten.Vermutet werdenfreiwillige Frauen und Beginen als Pflegerinnen auch im 14. Jahrhundert im Heilig-Geist-Spital der Stadt Frankfurt am Main, vg!. Ulrich KNEFELKAMP, Über die Pflege undmedizinische Be-handlung von Kranken in Spitälern vom 14. bis 16. Jahrhundert, in: MATHEUS,Funktions- und Strukturwandel (wie Anm. 6) 175-194, Zitat 183 unter Berufung auf eine ältere Arbeitvon Wemer Moritz.18 Vgl. etwa Martina SPIES, Beginengemeinschaften in Frankfurt am Main. Zur Frage der genossen-schaftlichen Selbstorganisation von Frauen im Mittelalter, Dortmund 1998, 54fT.; der Erstbeleg für dieKrankenpflege durch Beginen datiert von 1402, doch spekuliert sie 56, das Vorgehen des MainzerErzbischofs 1310 gegen Beginen, die für das Begräbnis bei den Bettelorden warben, deute auf dieseTätigkeit, denn Krankenpflegerinnen hatten gute Gelegenheit, for das Begräbnis bei den Bettelordenzu werben.Christina FESTERLlNG, Schwesternhäuser in Bamberg (13.-19. Jahrhundert) - Möglichkei-ten und Grenzen weiblicher LebensgestaItung, Phil. Diss. Bamberg 2006 (http://www.opus-bayern.de/uni-bamberglvolltexte/2006/87), hier 161, stellt nach einigen Überlegungen zur Krankenpflege durchBeginen fest, dass der Erstbeleg für Bamberg von 1684 (!) datiert.

19 Die bei REICHSTElN, Beginenwesen (wie Anm. 2) 216 angeführte Krankenpflege im AugsburgerKonvent St. Martin von 1306 wird bei Karl HAUPT, Augsburg. Terziarinnen - Kloster St. Martin, in:Bavaria Franciscana Antiqua 5 (1961) 422-431 nicht erwähnt. Eva Gertrud NEUMANN, RheinischesBeginen- und Begardenwesen. Ein Mainzer Beitrag zur religiösen Bewegung am Rhein (MainzerAbhandlungen zur mittleren und neueren Geschichte 4), Meisenheim am Glan 1960,97 behauptet,dass eine große Zahl Straßburger Beginen Kranke besucht habe und beruft sich aufCharles SCHMIDT,

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genden Beginen übrig bleibt. Vielmehr gewinnt man den Eindruck, dass derglei-chen Vorstellungen weitgehend dem Erwartungshorizont der Historikerinnen undHistoriker entsprungen sind. Eine Aussage wie: Die pflegerische Tätigkeit vonBeginen war in fast allen Städten und Regionen üblich20 kann jedenfalls für das13. und 14. Jahrhundert nicht belegt werden. Anders steht es um den Dienst anSterbenden und Verstorbenen, d. h. den Beistand im Gebet und bei Totenmesseund Bestattung; auch darauf ist noch einzugehen.

Differenzierter ist der kurze Beitrag von Christine Guidera", der in Deutsch-land bislang kaum rezipiert wurde. Die Autorin erörtert zunächst die schwierigeQuellensituation. Beginen, Spitalbrüder und -schwestern hinterließen selbst keineGründungsberichte oder andere erzählende Quellen und, das ist noch folgen-schwerer, mit dem Niedergang ihrer Gemeinschaften oder der Aufhebung ihrerHäuser verschwanden vielfach die empfangenen Privilegien und andere Urkun-den. Es ist daher nicht einfach, einschlägige Diplome in den Urkundenbeständenvon Nachfolgeinstitutionen zu finden (etwa wenn aus einem Beginenhaus einKloster oder eine Einrichtung der städtischen Armenfürsorge wurde) oder in denFonds anderer Empfänger; die Suche gleicht bisweilen dem Aufspüren der be-rühmten Stecknadel im Heuhaufen, zumal unbesoldete oder gegen ein Almosenverrichtete Werke der Nächstenliebe kaum Spuren in Schriftquellen hinterlie-ßen.22 Während Guidera zur Krankenpflege wiederum nur ein undatiertes Bei-spiel anführt/3 verweist sie mit Recht auf die für die Totendienste der Beginenergiebigen Bürgertestamente und steUt die RoUe der Cellitinnen für das 15. Jahr-hundert heraus. Guideras Ansatz, zwischen dem Dienst an Kranken in privatenHäusern und Spitälern ebenso zu unterscheiden wie zwischen der Pflege Krankerzur Gesundheit und der Versorgung von Sterbenden und Verstorbenen, ist weiterzu verfolgen, wobei auch die Entwicklungen des 14. und IS. Jahrhunderts (Seu-

Die Straßburger Beginenhäuser im Mittelalter, in: Alsatia 7 (1861) 149-248, hier 154. Dort ist abernur allgemein von der Aufforderung (!) an Beginen die Rede, sich der Armen und Kranken anzuneh-men; im IS. Jahrhundert hat It. Schmidt nur ein einziges Beginenhaus ein eigenes Siechenhaus beses-sen, wobei offen bleibt, ob dieses der Allgemeinheit diente oder den eigenen Mitgliedern. Die obenreferierten Ausführungen von Kathrin VTz-TREMP(vgl. Anm. 12) werden von Katharina SIMON-MUSCHEID,Spitäler in Oberdeutschland, Vorderösterreich und der Schweiz im Mittelalter, in:SCHEUTZ,Spitalwesen (wie Anm. 3) 231-253, hier 237f. dergestalt wiedergegeben, dass die von Utz-Tremp konstatierte kurze Dauer der Pflege der Spitalinsassen durch einen Beginenkonvent keineErwähnung findet, hingegen 245 pauschal behauptet wird: Als Pflegerinnen waren außer den ange-stellten Laien auch Beginen und verschiedene andere Schwesternkongregationen tätig, so etwa imBerner Niederspital. Als Nachweis außer Bern folgt ein Beispiel aus Luzern von 1590 (l), wo derEinsatz eines Schwesternkonvents im Spital aus praktischen Gründen (räumliche Trennung vonMännern und Frauen) scheiterte (!). Dergleichen Beispiele lassen sich vermehren, überprüft manQuellen- und Literaturangaben.20 SPIES,Beginengemeinschaften (wie Anm. 18) 57.21 Christine GUIDERA,The Role of the Beguines in Caring for the Ill, the Dying, and the Dead. in:Edelgard E. DuBRUCK- Barbara 1. GUSICK(Hg.), Death and Dying in the Middle Ages, New Yorku.a.1999,51-72.22 So GUIDERA,Role (wie Anm. 21) 52.23 Vgl. unten Anm. 66.

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chenzüge, veränderte Wahrnehmung der Armut und des Armen, neue Orden) zuberücksichtigen sind.

In diesem Rahmen kann nur eine Problemskizze mit Anregungen für die weite-re Forschung vorgelegt werden, wobei vielfach auf das relativ gut dokumentierteKölner Beispiel zurückgegriffen wird." Doch zunächst lohnt es sich zu reflektie-ren, welche Leistungen bei der Betreuung Kranker und Sterbender erbracht wer-den müssen." So kann angemessener beurteilt werden, wovon in den Quelleneindeutig die Rede ist und was offen bleibt - damit nicht Überlieferungslückenmit vorschnellen Konjekturen gefüllt werden.

In erster Linie benötigt eine erkrankte oder gebrechliche Person Hilfe beiVerrichtungen des täglichen Lebens wie Essen, Umkleiden und Körperpflege;ihre Umgebung muss sie mit Bettzeug, Kleidung und natürlich Nahrungversorgen, wobei daran zu erinnern ist, dass in der Verordnung einer kräftigendenoder reinigenden Diät die wichtigste mittelalterliche Heilmethode bestand. DerleiVerrichtungen oblagen in erster Linie den eigenen Angehörigen und Dienstboten;ein gewisses Maß an pflegerischen Grundfertigkeiten gehörte demzufolge zujeder Haushaltsführung.

Etliche Handreichungen und Maßnahmen erfordern indes mehr Erfahrung undgewisse medizinische Kenntnisse, wie etwa schonendes Umbetten und Versorgeneines Verletzten, die Wundversorgung und das Anlegen von Verbänden, dieFestsetzung einer Diät, das Verabreichen von Medikamenten sowie dieDurchführung von Aderlass und Schröpfkur. Derartiges erfahrungsmedizinischesWissen konnte sowohl in Familien als auch in Institutionen wie Spitälernweitergegeben werden. Wundversorgung, Schröpfen usw. war auch einArbeitsgebiet von Ärzten, Chirurgen, Badern und Barbieren, die fallweise inHaushalten und Spitälern hinzugezogen wurden.

Den meisten Kranken dürfte die spirituelle Betreuung ebenso wichtig gewesensein wie die medizinische. Zu diesem dritten Bereich der Krankenpflege gehörendie gemeinsamen Gebete mit Freunden und Angehörigen und der Besuch Geistli-cher bei Bettlägerigen. Die Priester nahmen den Siechen die Beichte ab, reichtenihnen die Kommunion und spendeten das Sakrament der Krankensalbung. Einfester Bestandteil der Versorgung im Spital war die Messfeier vor dem dortigenAltar.i" Der Charakter des mittelalterlichen Spitals als kirchlich-religiöse Einrich-tung ist gerade in jüngster Zeit wieder hervorgehoben worden.v

24 Letha BÖHRINGER,Siecherunägde, Barbierinnen und Hebammen. Frauen im Gesundheitswesen der StadtKöln im Mittelalter und in der Friihen Neuzeit, in: Thomas DERES (Hg.), krank \ gesund - 2000 JahreKrankheit und Gesundheit in Köln, Köln 2005, 126-139; DIES., Kölner Beginen im Spätmittelalter -Leben zwischen Kloster und Welt, in: Geschichte in Köln 53 (2006) 7-34.23 Vgl. zum folgenden VANJA,Offene Fragen (wie Anm, 3), die 24f. den Alltag im Spital als Forschungs-feld skizziert, darunter auch (25) die tägliche und noch kaum detailliert untersuchte (Kranken-)Pflege.26 Vg!. zur Spitalseelsorge REICKE,Spital (wie Anm. 7) Bd. 2117-123.27 VANJA, Offene Fragen (wie Anm. 3) 21f.; Gisela DROSSBACH,Das Hospital- eine kirchenrechtli-che Institution? (ea, 1150 - ea, 1350), in: ZRGKan 87 (2001) 51(}-522 sowie Oliver AUGE, ..... nepauperes et debiles in ... domo degentes divinis careant" - Sakral-religiöse Aspekte der mittelalterli-

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Schließlich wurden sowohl im eigenen Haushalt als auch im Spital Sterbendemit bestimmten Gebeten begleitet. Auch nach dem Tod des Kranken endeten diespirituellen Pflichten der Familie oder Freunde nicht. Der Leichnam wurde fur dieBestattung gewaschen, mit dem Totenhemd bekleidet oder in ein Leintuch einge-näht, die Totenmesse gefeiert und der Gang zum Friedhof mit Prozession, Ker-zen, Gesang und Gebet würdig gestaltet. Wohlhabende sorgten durch die Stiftungvon Seelgerät dafür, dass alljährlich an ihrem Todestag mit einem bestimmten,festgelegten Aufwand ihre Memorie begangen wurde, d. h. es wurden Messengelesen und Gebete über dem Grab gesprochen. Die Träger der Memorie erhiel-ten als Gegenleistung Zuwendungen in Form von Bargeld oder Naturalien, undvielfach wurde auch eine Armenspende angeordnet, galt doch das Gebet desKranken und Armen als wirkmächtige Vermittlung der Gnade Gottes."

In jenen modemen Studien, die Thesen von der emanzipatorischenLebensweise der Beginen verfolgen, steht der zweite Bereich der professionellenmedizinischen Tätigkeit im Mittelpunkt. Obendrein wird bisweilen suggeriert,dass es sich bei der Krankenpflege um Lohnarbeit im Sinne modernerBerufstätigkeit gehandelt habe. In der Arbeit von Martina Spies findet sich einganzes Kapitel über Die Entwicklung der Krankenpflege als Beruf, in dembehauptet wird: Die Krankenpflege hildete überdies einen der ältestenArheitsbereiche von Beginen. Auch ist von Entlohnung dieser Tätigkeit durch dieStädte die Rede, was freilich erst im ausgehenden Mittelalter bezeugt ist.29 Dochwährend Belege fur die Frühzeit der Beginen fehlen, ist ein anderes derskizzierten Tätigkeitsfelder seit dem 13. Jahrhundert vielerorts anzutreffen, undzwar derart häufig und in allen bisher zitierten Studien quellenmäßig belegt, dasssich Einzelnachweise erübrigen: Beginenkonvente wurden durchweg beauftragt,die Memorien ihrer Stifter zu begehen; die Beginen hatten die Anniversarien desStifters oder des Stifterehepaars sowie ihrer Angehörigen mit Teilnahme an derMessfeier, bestimmten Gebeten und anderen Verrichtungen wahrzunehmen, diein den Stiftungsurkunden mehr oder weniger präzise festgelegt waren und zuderen Durchführung Seelgerät gestiftet wurde. Die Rolle der Beginen beimTotendienst bietet offenbar den Ansatzpunkt fur eine realistische Einordnungihrer Aktivitäten.

Doch ist zunächst auf eine berühmte Persönlichkeit einzugehen, die vor allemim deutschen Sprachraum die Assoziation Begine - Hospitalschwester - Kran-kenpflegerin geweckt hat, nämlich die bis heute überaus populäre Heilige undPatronin unzähliger Krankenhäuser Landgräfin Elisabeth von Thüringen (1207-1231). Erschüttert durch die große Not der Bevölkerung während der Hungerka-tastrophe von 1226 gründete sie als Witwe ein kleines Spital bei Marburg, in demsie in ungewöhnlich radikaler Weise als ,Schwester in der Welt', als Mitglied derkleinen Gemeinschaft von Pflegerinnen lebte, und in persönlicher Armut das

chen Hospitalgeschichte, in: Neithard BULST - Karl-Heinz SPIEß, Sozialgeschichte mittelalterlicherHospitäler (Vorträge und Forschungen 65), Ostfildem 2007, 77-123.28 Vgl. dazu AUGE, Aspekte (wie Anm. 27) 92fT.; PAULY,Hospitäler (wie Anm. 4) 215f.29 SPIES, Beginengemeinschaften (wie Anm. 18) 137-143, Zitat 140, zur Entlohnung 141.

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Schicksal der Kranken bis zum eigenen frühen Tod teilte. Während die Zeitge-nossen an ihrem Verstand zweifelten, betonen modeme Autoren das Ungewöhn-liche und Radikale ihrer Lebensflihrung, die, wie Matthias Werner nachweist, vonFranziskus und seinen ersten Anhängern inspiriert wurde. 30 Elisabeths Engage-ment ging weit über das caritative Engagement vornehmer Damen hinaus, das inViten des 9. bis 12. Jahrhunderts geschildert wird", ihre familiäre und direkteBeziehung zu den Bedürftigen in einem absolut außergewähnliche(n) Bewußtseineiner kollektiven Dimension der Ungerechtigkeir" führte dazu, dass sie alle Stan-desgrenzen in der totalen Erniedrigung überschritt.P

Die bereits 1235 erfolgte Kanonisation Elisabeths und die Propaganda desDeutschen Ordens, der ihr Hospital übernahm, trugen zur raschen Verbreitungdes Heiligenkults bei. Dieser und die Elisabeth-Patrozinien von Kirchen, Spitä-lern und Beginenhöfen sowie die bildliehe Darstellung der Heiligen als Wohltäte-rin der Armen und Kranken34 befördern bis heute die Vorstellung, dass auch an-dere in der Welt lebende geistliche Frauen in der Krankenpflege tätig gewesenseien. Doch das konsequente Sich-Einlassen auf die reale Armut mitsamt derkörperlichen Arbeit" durch die Landgräfin bis zur äußersten Selbstverleugnungmit dem Ziel einer wörtlich gelebten Christusnachfolge" war Ausweis der Hei-ligkeit Elisabeths. Ihr einzigartiger Lebensweg und ihr Heraustreten aus allenfamiliären und sozialen Bindungen konnten von anderen Frauen bestenfalls ein-geschränkt nachgeahmt werden.

Doch bildete Elisabeth keineswegs das einzige mögliche Vorbild für Diensteam Nächsten. Schon eine Generation früher, seit etwa 1180, fanden sich an ver-schiedenen Orten der Diözese Lüttich fromme Frauen (sie wurden noch nichtBeginen genannt, sondern mulieres religiosae u.ä.) zu Gemeinschaften zusam-men, ohne einem Orden beizutreten. Die charismatischen Anflihrerinnen dieserGruppen begegneten geistlichen Biografen, die sich tief beeindruckt von ihrerSpiritualität zeigten. Die Kleriker griffen zur Feder, um die neuartige Lebens-

30 Matthias WERNER, Elisabeth von Thilringen, Franziskus von Assisi und Konrad von Marburg, in:Dieter BLUME - DERS. (Hg.), Elisabeth von Thüringen - Eine europäische Heilige. Aufsätze,Petersberg 2007, 109-135, hier 120-124; Wemer MORITZ, Das Hospital der heiligen Elisabeth inseinem Verhältnis zum Hospitalwesen des frühen 13. Jahrhunderts, in: Sankt Elisabeth. Filrstin,Dienerin, Heilige. Aufsätze, Dokumentation, Katalog, Sigmaringen 1991,101-116.31 Dito Gerhard OEXLE, Armut und Armenfürsorge um 1200. Ein Beitrag zum Verständnis der frei-willigen Armut bei Elisabeth von Thilringen, in: Sankt Elisabeth (wie Anm. 30) 78-100, hier 80 mitAnm.47.32 Andre VAUCHEZ, Gottes vergessenes Volk: Laien im Mittelalter, Freiburg i. Br. - Basel - Wien1993, Zitate 142 und 145.33 Gisela MUSCHIOL, Elisabeth von Thüringen: Weiblichkeit zwischen Rollenerwartung undRollenbruch, in: Jochen-Christoph KAISER (Hg.), Elisabeth von Thüringen = Zeitschrift fürKirchengeschichte 118 (2007) 348-366, Zitat 363.).4 Vgl, Elisabeth von Thüringen - Eine europäische Heilige. Katalog, Petersberg 2007; ferner MonikaBJERSCHENK,Elisabeth besucht Kranke - eine Szene aus dem Medaillonfenster der Elisabethkirche inMarburg, in: Sankt Elisabeth (wie Anm. 30) 240-271.35 OEXLE, Armut (wie Anm. 31) 79.36 WERNER, Elisabeth (wie Anm. 30) 120.

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form, ein Leben vertiefter Religiosität in der Welt, auch in anderen Regionen zuverbreiten.37 Werke der Nächstenliebe wie die Hinwendung zu Kranken und Ster-benden waren selbstverständlicher Teil dieser Lebensform, Maria von Oignies(gest. 1213), der kein geringerer als der Geschichtsschreiber und Kardinal Jakobvon Vitry eine Vita widmete, pflegte mit ihrem Mann Aussätzige, bevor sie sichbeim Priorat Oignies-sur-Sambre niederließ und dort zur spirituellen Mitte einerGruppe von Frauen wurde; sie besuchte auch Kranke, doch war dies nur einesvon zahlreichen Werken der Caritas wie Spenden von Lebensmitteln und Klei-dern an Arme und Beistand am Sterbebettr"

Jutta von Huy (1158-1228) wirkte in einem Leprosorium, dem Höpital desGrands-Malades bei Huy. Dort ließ sie sich in einer Zelle neben der Leprosenka-pelle einmauern, wo sie als Inkluse 36 Jahre lebte und einen großen geistlichenEinfluss auf ihre Umgebung ausübte. 39 Juliana von Mont-Cornillon (gest. 1258)wurde von einer Schwester erzogen, die in einer Gemeinschaft von Männern undFrauen an einem Leprosorium wirkte. Juliana wurde zwar später Priorin dieserGemeinschaft, befürwortete aber eine kontemplative Lebensweise und widmeteihr Leben einer vertieften Eucharistiefrömmigkeit; sie gehört zu jenem Personen-kreis, auf den die Einführung des Festes Fronleichnam wesentlich zurückgeht.Auch sie starb als Rekluse.4O

Zweifellos war die vorbehaltlose Hinwendung zum Nächsten und vor allem zuden ausgestoßenen Leprosen ein bedeutendes Element in der Spiritualität dieserDamen. In der Schilderung ihrer Biografen war ihr Einsatz Ausweis ihres heilig-mäßigen Lebenswandels. Doch wäre es einseitig, in ihnen allein aufopferungsvol-le Krankenschwestern zu sehen. Ihre rigorosen asketischen Übungen und ihreWerke der Nächstenliebe waren Stufen auf ihrem geistlichen Weg mit dem Ziel,sich auf eine hohe Stufe der Kontemplation und der Liebe zu Gott zu erheben, wiees Andre Vauchez formuliert hat." Nicht die Krankenpflege stand im Zentrum

37 Vgl. VAUCHEZ, Laien (wie Anm. 32) 125fT.;Jocelyn WOGAN-BROWNE- Marie-Elisabeth HENNEAU,Introduction: Liege, the Medieval "Woman Question", and the Question of Medieval Women, in:Juliette OOR u.a. (Hg.), New Trends in Feminine Spirituality. The Holy Women of Liege and theirImpact (Medievel Wo~~n. !exts and ~AlDtexts 2), Tu~out 1999, 1-32; _Waiter ~IMONS, Cities of la-dies. Beguine CommunIties m the Medieval Low Countnes 1200-1565, Philadelphia 2001, hier 35-44.38 MCOONNELL, Beguines (wie Anm. 1) bes. 20-44; Michel LAUWERS, Entre beguinisme etmysticisme. La Vie de ~:me d'Oignies (+1213) de Jacques de Vitry ou la defini"io~ d'une saintetefeminine, in: Ons geestelijk erf 66 (1992) 46-68; Brenda M. BOLTON, Mary of Oignies: A Friend tothe Saints, in: Anneke B. MULDER-BAKKER (Hg.), Mary of Oignies. Mother of Salvation (MedievalWomen. Texts and Contexts 7), Turnhout 2006, 199-220. In diesem Band ist auch eine englischeÜbersetzung der Vita von Jakob von Vitry zu finden: Margot H. KING, The Life of Mary of Oigniesby James of Vi try, 35-127.39 Isabelle COCHELIN, Saintete laique: I'exemple de Juette de Huy (1158-1228), in: Le Moyen Age 95(1989) 379-417; SIMONS, Cities of Ladies (wie Anm. 37) 39f.; Anneke B. MULDER-BAKKER, Lives ofthe Anchoresses. The Rise of the Urban Recluse in Medieval Europe, Philadelphia 2005, hier 51-77.40 WOGAN-BROWNE - HENNEAU, Introduction (wie Anm. 37) 13; MULDER-BAKKER, Lives (wie

Anrn. 39) 84-93.41 VAUCHEZ, Laien (wie Anm, 32) 70.

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ihrer Spiritualitätt', sondern die mystische und ekstatische Schau Gottes und derGottesmutter, die Verbindung mit ihnen im Gebet und im Sakrament, wobei dieVerehrung der Eucharistie im Mittelpunkt stand.

Es wäre also verfehlt, in diesen Frauen gewissermaßen die Gründerinnen einerKrankenpflege-Bewegung zu sehen, die durch Beginen getragen wurde. Indirektbezeugt dies Jakob von Vitry, der in keinem seiner Werke eine Verbindung vomDienst frommer Laien in den Spitälern zu den Beginen zog." Zudem stellt sicherneut, wie auch bei Elisabeth von Thüringen, die Frage, ob und inwieweit .ge-wöhnliche' Beginen diese ,außergewöhnlichen', heiligen oder heiligmäßigen Per-sönlichkeiten imitieren konnten und wollten. Daniel Le Blevec hat am Beispielder provenzalischen Begine Douceline de Digne (1214/15-1274) dargelegt, dassderen franziskanisch inspirierter, hingebungsvoller Dienst an den Kranken einerstrengen Askese entsprang, die ähnlich wie bei den älteren brabantischen ,Proto-Beginen' in Ekstasen und Visionen mündete. Werke der Nächstenliebe sind auchhier vor allem Ausweise der Heiligkeit: 11est frappant de cons/a/er combiensaintete feminine et charite sont liees, Le Blevec verweist auf den elitären Cha-rakter eines derartigen Lebens und warnt vor der Vorstellung, dass ein solchesMaß an Selbstaufopferung zahlreiche Nachahmerinnen gefunden hätte: Il va desoi que l'esprit de charite pousse a un tel degre n 'est le fait que d'un petitnombre.44

Zudem ist ein weiterer Aspekt zu bedenken. Die Brabanter Frauen wandtensich als Individuen gleichsam spontan Leprosen, Kranken und Sterbenden zu,nicht als Mitglieder einer Gruppe, die in fester, institutionalisierter Verbindung zueinem Spital stand." Doch diese Vorstellung wird nicht selten in der oben hinter-fragten Beginenforschung erweckt, wenn behauptet wird, ganze Konvente seienzum Zweck der Krankenpflege gegründet worden. Doch die Quellenbasis dafürist recht schwach. Einige belgisehe Beginenhöfe gingen auf Beginen zurück, diein oder bei einem bereits bestehenden Spital lebten," Von den Beginen, die sich

42 GUIDERA, Role (wie Anm. 21) 62f. führt eine Reihe von Beispielen aus der Vita der Maria vonOignies an, die m. E. darauf hindeuten, dass es Jakob von Vitry weniger um die Ausübung der Caritasals um Visionen und Wunderheilungen ging.43 Vg!. auch WERNER, Elisabeth (wie Anm. 30) 119 mit Anm. 145, der festhält, dass Jakob von Vitryin seiner Historia Occidentalis (vor 1225) Beginen nicht erwähnt, wenn er die selbstlosen Dienste vonLaien in Spitälern schildert, vgl, John Frederick HINNEBUSCH (Hg.), The Historia Occidentalis ofJacques de Vitry. A Critical Edition (Spicilegium Friburgense 17), Fribourg 1972, 146ff. c. 29: Dehospitalibus pauperum et domibus leprosorum ... LE BLEVEC, Role (wie Anm. 14) 176. Vgl. auch Penelope GALLOWAY, Neither Miraculous NorAstonishing. The Devotional Practice of Beguine Communities in French Flanders, in: DOR, NewTrends (wie Anm. 37) 107-127; die Autorin beschreibt die unspektakulären, alltäglichenFrömmigkeitspraktiken ,gewöhnlicher' Beginen am Beispiel von Douai und Lilie.45 Die Differenzierung von spontaner/institutionalisierter sowie individuellerlkollektiver Praxis derCaritas nimmt auch LE BLEVEC, Role (wie Anm. 14) 173 vor.46 SIMONS, Cities of Ladies (wie Anm. 37) 76f.

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in Looz am Spital ansiedelten, hieß es Mitte des 13. Jahrhunderts, dass sie dieKapelle nutzten und die Kranken pflegten."

Doch keineswegs alle oder auch nur die Mehrzahl der Beginen in der Umge-bung von Spitälern fungierten dort als Pflegerinnen. Eine der ältesten Beginen-gemeinschaften, Saint-Christophe in Lüttich, nahm einen anderen Weg.48 DasLütticher Christophorus-Spital entstand mit einer eigenen Kapelle wahrscheinlichum die Mitte des 12. Jahrhunderts. Die Betreuung der Insassen besorgte eineHospitalgemeinschaft; sie war der Augustinus-Regel verpflichtet. Zu Anfang des13. Jahrhunderts lebten am Spital auch sorores, doch nicht gemeinsam mit denHospitalbrüdern und -schwestern und auch nicht im Spital selbst, sondern indivi-duell oder in kleinen Gemeinschaften. Die Zahl der bald Beginen genanntenFrauen wuchs rasch, und sie ließen unter dem Schutz des Bischofs eine eigeneKirche erbauen. Zu dieser Beginenkolonie gehörte später ein eigenes Spital, das1267 erstmals bezeugt ist und nach dem Stifter Tirebourse genannt wurde. Es warbestimmt zur Aufnahme der kranken Beginen aus der ganzen Stadt. Auch anderegroße Beginenhöfe hatten Infirmarien, in die bis zum Ende des 13. Jahrhundertsalte und kranke Frauen zur Pflege und Versorgung aufgenommen wurden. Als dieHöfe jedoch um 1300 an ihre materiellen Grenzen stießen, wurde die Aufnahmeauf die Angehörigen der Höfe selbst und ihre nächsten Verwandten eingegrenzt."Ähnlich wie in Klosterinfirmarien wurde also die Versorgung nicht arbeitsfähigerFrauen weitgehend auf die eigenen Insassen beschränkt und galt nicht der Allge-meinheit.

Beginenhöfe gab es nur in Flandern, Brabant und den südlichen Niederlanden,und selbst dort überwog der im übrigen Europa ausschließlich existierende Typdes kleinen Beginenkonvents in einem städtischen Wohnhaus'", in dem wenigeFrauen zusammenlebten, vielfach in der idealtypischen Zwölfzahl; größere Häu-ser waren selten, eigene Kapellen ebenso. Derartige Gemeinschaften konntenschon aus Platzgründen keine eigenen Infirmarien beherbergen. Wenn Beginen inoder an Spitälern lebten, wurden sie in der älteren Literatur oft für deren Pflege-kräfte gehalten, so beispielsweise in Köln, der Stadt mit der größten Beginenko-lonie Deutschlands. 51 Diese Vorstellung lässt sich allerdings nicht halten.52 So

47 Pascal MAJERUS, Ces femmes qu'on dit beguines ... Guide des beguinages de Belgique. Bibliogra-phie et sources d'archives, 2 Bde., Brüssel (Archives generales du Royaume) 1997, hier Bd. 2 573;dazu auch SIMONS,Cities of Ladies (wie Anm. 37) 266f. Nr. 21.48 Zum folgenden vgl. MAJERUS,Femmes (wie Anm. 47) Bd. 2 513f. sowie SIMONS,Cities of Ladies(wie Anm. 37) 282ff. Nr. 61A. .49 SIMONS, Cities of Ladies (wie Anm. 37) 76f.; Koen GOUDRIAAN, Die Frühgeschichte desHospitalwesens in den Grafschaften Holland und Seeland und im Niederstift Utrecht, in: MichelPAULY(Hg.), Institutions de I'assistance sociale en Lotharingie medievale, Einrichtungen der sozialenSicherung im mittelalterlichen Lotharingien (Publications de la section historique de l'Institut G.-D.de Luxembourg 121 = Publications du CLUOEM 19), Luxembourg 2008,197-255, hier 219.soSIMONS,Cities of Ladies (wie Anm. 37) 50f.51 Victor von WOIKOWSKY-BIEDAU,Das Armenwesen des mittelalterlichen Köln in seiner Beziehungzur wirtschaftlichen und politischen Geschichte der Stadt, Breslau 1891,76 Anm. 161; ferner FranzHeinrich MIES, Die Kölner Hospitäler, Phil. Diss. Bonn 1921. Im Historischen Archiv der Stadt Kölnwird unter der Signatur Eh 65/1 eine Abschrift von 1927 aufbewahrt, hier 53f. und 60.

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heißt es in Schenkungen, die im 13. Jahrhundert den Spitälern St. Brigiden bei derAbtei Groß St. Martin, St. Andreas und St. Maria im Kapitol gemacht wurden,dass ein Teil des Almosens den Armen und Kranken im unteren Stock des Ge-bäudes (subtus oder injerius) und ein weiterer Teil den domine oberhalb des Spi-tals (super hospitale manentes) zukommen sollte.53 Die Damen im ersten Stock-werk hießen später auch Beginen." Zu keinem Zeitpunkt wird das Verhältnis derBewohner zueinander beschrieben; beide Gruppen erscheinen lediglich als Em-pfänger von Zuwendungen, für die der Stifter auf ihr Gebet vertrauen darf.

Mit dem Ehrentitel domina wurden in Köln die weiblichen Angehörigen derBürgermeister ausgezeichnet.f Ob indes alle diese Spitalbewohnerinnen aus denmächtigsten Familien der Stadt kamen, steht dahin. Mit Sicherheit lässt aber dieBezeichnung domina darauf schließen, dass es sich um hochgestellte Damen undprivilegierte Spitalbewohnerinnen handelte, die über so genannte Herrenpfründenmit gehobener Verpflegung und eigenen Kammern verfugten. Nicht nur in Kölnbefanden sich diese in den Obergeschossen der Spitäler, wo Belüftung und Licht-einfall angenehmer waren als in den Spitalsälen unterhalb.i" In Köln gab es be-reits vor der Mitte des 12. Jahrhunderts die Möglichkeit für Wohlhabende, mitdem Erwerb einer Pfründe die Versorgung im Alter zu sichern." Die domine derKölner Spitäler sind demzufolge als ,Damenpfründnerinnen' einzuschätzen, undes gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass sie als Gruppe mit der Pflege im Spitalbetraut waren. Was sie an individuellen Werken der Barmherzigkeit geleistethaben, während sie in unmittelbarer Nähe zu den Armen und Leidenden lebten,entzieht sich unserer Kenntnis. Ebenso wie die übrigen Spitalbewohner hatten sieGebetsverpflichtungen zu erfüllen, die den Wohltätern der Spitäler zukamen; obdies getrennt oder in Gemeinschaft mit den Menschen in den unteren Stockwer-ken geschah, ist gleichfalls offen. Im Spital von St. Maria im Kapitol verdrängtendie Beginen auf Dauer die Armen, so dass die Einrichtung komplett verpfründetwurde." Ähnliches geschah zu Anfang des 13. Jahrhunderts im Hohen Hospital

52 Bereits ASEN, Beginen (wie Anm. 5) AHVN 111,88 äußerte sich skeptisch zu pflegenden Beginenin den Spitälern.53 Vgl die Beispiele bei Leonard ENNEN, Quellen zur Geschichte der Stadt Köln Bd. 2, Köln 1863,ISS Nr. 154 von 1235 und 189 Nr. 190 von 1238; vgl. auch DERS., QueUen 3 (wie Anm. 5) 172f. Nr.203 von 1281: Testament des Domkanonikers Dietrich von Rheinbach, der alle drei Spitäler bedenkt.54 ASEN, Beginen (wie Anm. 5) AHVN 111,128f. und AHVN 113, 45f. und 57. Zur Entwicklung inBrigiden, wo bereits 1255 die oben wohnenden Damen als Beginen bezeichnet wurden, vgl. LethaBÖHRINGER, Johannes Asen und die Erforschung der Kölner Semireligiosen, in: Annalen desHistorischen Vereins für den Niederrhein 206 (2003) 33-49, hier 39f.5S Manfred GROTEN, Die Kölner Richerzeche im 12. Jahrhundert. Mit einer Bürgermeisterliste, in:Rheinische Vierteljahrsblätter48 (1984) 34-85, hier 43f.56 REICKE, Spital (wie Anm. 7) Bd. 2 189-212; vgl. auch Thomas JUST - Herwig WEIGL, Spitäler imsüdöstlichen Deutschland und in den österreichischen Ländern im Mittelalter, in: SCHEUTZ, Spitalwe-sen (wie Anm. 3) 149-184, bes. 170-173 und 179f.57 Theodor Joseph LACOMBLET,Urkundenbuch für die Geschichte des Niederrheins Bd. I, Düsseldorf1840, 247 Nr. 360, wo bereits vor 1150 von privatae camerae für Bürger im Spital die Rede ist; vgl.REICKE, Spital (wie Anm. 7) Bd. I 200f. und 285; MIES, Kölner Hospitäler (wie Anm. 51) 31.S8 ASEN, Beginen (wie Anm. 5) AHVN 113,46.

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zu Soest, das allerdings keinen Pfründenkauf forderte, sondern unentgeltlich,Jungfern' aufnahm, deren Lebensform fließende Übergänge zujener der Beginenaufwies.59 Statuten von 1311 schreiben den Frauen in dicto hospitali prebendulashabentes vor, dass sie Kleidung grisei coloris tragen sollen, more begginarum,wie es ausdrücklich heißt.60

In der Hospitalforschung ist die Verpfründung von Spitälern ohnehin ein häu-tig beschriebener Prozess. Dass manche Hospitäler auf diese Weise zu behagli-chen Wohnanstalten der betuchten Mittelschlcht wurden" und die Anwesenheitvon Beginen in Spitälern sich mit Pfründenbesitz erklären lässt, ist in der Begi-nenforschung bislang kaum zur Kenntnis genommen worden. Hier liegt die Wur-zel des Missverständnisses, aufgrund dessen die in oder bei Hospitälern wohnen-den Beginen als Trägerinnen tätiger Caritas betrachtet wurden. Während GertrudNeumann immerhin feststellt, dass eine Pflegetätigkeit von Beginen in Hospitä-lern zum Teil nur durch die lokale Nähe ihrer Niederlassungen vermutet werdenkönne 62, wird die Vermutung bei Reichstein zur Gewissheit: Die häufige Nen-nung im Umfeld von Heilig-Geist-Spitälern bzw. Siechenhäusern belegt eindeutigden Stellenwert der Krankenpflege als Wirkungsfeld der Beginen." Künftig wirdeine genauere Analyse des Wortlauts der Quellen viele dieser Vorstellungenkorrigieren können; wenn beispielsweise in Goslar 1274 und in Rhens 1350 Be-ginen ähnlich wie in Köln als ,im Hospital wohnend' gekennzeichnet werden,dürfte es sich ebenfalls um Pfründnerinnen handeln/"

Wie originell zuweilen Beginenkonvent und Spital einander zugeordnet wor-den sind, erweist das Beispiel des Wonnser Konvents Richardi, dessen Grün-

59 Beate Sophie GROS,Das Hohe Hospital in Soest (ca. 1178-1600). Eine prosopographische undsozialgeschichtliche Untersuchung (Urkundenregesten der Soester Wohlfahrtsanstalten 5), Münster1999, bes. 119f.60 Friedrich VONKLOCKE,Urkunden-Regesten der Soester Wohlfahrtsanstalten Bd. 1: Urkunden desHohen Hospitals bis 1600, Münster 1964, 38ff. Nr. 38, Zitat 39 Abschnitt I.61 Vgl. PAULY, Hospitäler (wie Anm. 4) 249-265, Zitate 290.62 NEUMANN,Beginen- und Begardenwesen (wie Anm. 19) 97.63 REICHSTEIN,Beginenwesen (wie Anm. 2) 172.M Zu Goslar: Günter PETERS,Norddeutsches Beginen- und Begardenwesen im Mittelalter, in:Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 41/42 (1969170) 50-ll8, hier SS: begginisinhabitantibus hospitale saneti Lodewici; vgl. auch 65 zu Havelberg; zu Rhens: REICHSTEIN,Beginenwesen (wie Anm. 2) 331. Vgl. auch Brigitte HOTZ, Beginen und willige Arme imspätmittelalterlichen Hildesheim (Schriftenreihe des Stadtarchivs und der Stadtbibliothek Hildesheim17), Hildesheim 1988, hier 52 zum Domspital SI. Johannes, dessen Ordnung von 1440 vorsah, dassvier am Spital bepfrilndete Pflegerinnen mit einer Magd die Armen des Spitals versorgten (Derkrancken sehullen warden de frouwen, de provende hebben in deme hospitale sunte Johannis).Bestimmte Gruppen von Kranken wie ärmere Domherren sollten bei den Beginen des Obergeschosses(dar de begynen uppe wonen) untergebracht werden (den schal men uppe dat sulve begynenhusnemen). Die Autorin nimmt an,' dass diese von den Beginen gepflegt wurden, doch istwahrscheinlicher, dass die privilegierten Kranken mit den Beginen am Herrentisch des Spitalsteilhatten, denn den Domherren sollten ihre Präsenzen und Pitanzen an Brot, Fleisch und Wein insSpital geliefert werden; im Falle ihres Todes erhielt das Spital (nicht der Beginenkonvent) seineAuslagen zurück sowie die Hälfte des Nachlasses, vgl. Richard DOEBNER(Hg.), Urkundenbuch derStadt Hildesheim Bd. 4: 1428-1450, Hildesheim 1890,374-377 Nr. 391, Zitate 375f.

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dungsurkunde ungewöhnlich lang und detailreich ist. Der Stifter Gudelmannvermacht 1288 sein Haus und sein gesamtes Vermögen an pauperibus sororibusvel beogini numero viginti, die in dem Dokument der geistlichen Aufsicht desGuardians der Wormser Minoriten anvertraut werden. Bei den Minoriten wünschtGudelmann auch begraben zu werden. Die Schwestern werden nicht nur damitbeauftragt, anlässlich der Feier seines Begräbnistages, seines Anniversars und zuhohen Festtagen den Minoriten bestimmte Geldbeträge zu Pitanzen auszuzahlen,sondern auch, während der Oktav des Anniversars den infirmis des Hospitals ander Neupforte eine Speisung zukommen zu lassen. Da Gudelmann, der als frühe-rer Schultheiß des Domstifts wohl seine Erfahrungen gemacht hatte, der Verwal-tung des Spitals wenig zu trauen scheint, beauftragt er die Schwestern seinesBeginenkonvents mit der Zubereitung der Speisen; die Magistra soll mit zweiweiteren Schwestern auch die Verteilung übernehmen. Die Beginen sowie dieMitglieder zweier weiterer Beginenhäuser erhalten zum Anniversar einen Geldbe-trag, der für ein stärkendes Frühstück ausgegeben werden soll. Keineswegs aberpflegten die Beginen die Siechen des Spitals; im Gegenteil, an anderer Stelle, amEnde des Dokuments, verbietet Gudelmann ausdrücklich die Pflege von Krankenaußerhalb des Konvents sowie die Aufnahme fremder Kranker in den Konvent;gepflegt werden durften also lediglich Konventualinnen.f

Ein explizites Verbot kennt auch die spätere Hausregel des Beginenhofes St.Elisabeth zu Gent, derzufolge die Beginen einen männlichen Kranken in seinemPrivathaus nicht betreuen dürfen, wenn keine Frau im Haus ist.66 DergleichenVerbote sind natürlich Hinweise darauf, dass Krankenpflege außerhalb der Kon-vente vorkam. So setzte eine Witwe in Tournai 1297 Legate für einen Beginen-konvent aus sowie für eine Begine, von der sie gepflegt wurde/" Das Ausmaßsolcher Aktivitäten ist nur schwerlich einzuschätzen. Vor allem ist offen, ob essich um regelmäßig geleistete Dienste am Gemeinwesen handelte, wie Guiderameint", oder von FaUzu Fall ausgeübte Werke der Nächstenliebe, deren Ausmaßdem Gewissen und der Kraft der einzelnen Begine anheim gestellt war und diekaum Spuren in den Quellen hinterließen. Hier ist noch erhebliche (und unvor-eingenommene) Arbeit an den wenigen überlieferten Zeugnissen zu leisten. Al-lerdings deuten die Verbote oder Einschränkungen darauf hin, dass Krankenpfle-ge in Privathaushalten durch Beginen in den genannten Konventen nicht gern

6S Heinrich Boos (Hg.), Urkundenbuch der Stadt Worms Bd. 1: 627-1300 (Quellen zur Geschichteder Stadt Worms 1), Berlin 1886, 286-291 Nr. 438; Zitat 286 Z. 38 (beoginis Druckfehler fürbecginis?), Armenspeisung 287 Z. 16-20, Verbot der Krankenpflege 291 Z. llfT.; Teilregest:REICHSTEIN, Beginenwesen (wie Anm. 2) 383fT.; vgl, Herber! GRUNDMANN, Religiöse Bewegungenim Mittelalter. Mit Anhang: Neue Beiträge zur Geschichte der religiösen Bewegungen im Mittelalter,4. Aufl. Darmstadt 1977 (zuerst 1935 und 1955) 349f.66 VgI. GUIDERA, Role (wie Anm. 21) 53 mit Anm. 9; zur Datierung vgl, MAJERUS, Femmes (wieAnm. 47) Bd. 1 322 Anm. 5, demzufolge die Statuten Mitte des 13. Jahrhunderts entstanden, aberallein eine Abschrift des 14. Jahrhunderts erhalten ist, die erhebliche Zusätze aus dieser Zeit aufweist.67 SIMONS, Cities of Ladies (wie Anm. 37) 77.68 So GUIDERA, Role (wie Anm. 21) 53, derzufolge das Verbot des Genter Konvents certainlysuggests that visiting the houses of ill townspeople was a regular occupation of these women in Ghent,

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gesehen wurde, vermutlich weil es dem Gemeinschaftsleben abträglich war, wieauch mancherorts den Beginen verboten wurde, als Hebamme tätig zu sein."

Eigentümlich ist auch das Verhältnis von Damenstiften und Beginen. AmHospital zum Heiligen Geist, das im 13. Jahrhundert durch die Äbtissin Bertha 11.des Damenstifts Gandersheim gegründet wurde, entwickelte sich - wohl aus denim Spitallebenden Frauen - ein Beginenkonvent, der im 15. Jahrhundert mehr-fach bezeugt ist. 70 Die Bezeichnung der Frauen als unse beginen deutet daraufhin, dass diese Frauen zur familia der Stiftsdamen gehörten und in einem Dienst-verhältnis zu diesen standen." Dafür spricht auch, dass eine Äbtissin die Beginenin ihrem Testament bedachte und dass die Beginen mit der Totenwache derStiftsdamen betraut waren. Ob sie tatsächlich auch die Pflege im Hospital wahr-nahmen, bedarf der Überprüfung.f Eine Parallele zu den Beginen am Ganders-heimer Stift findet sich in Köln. Die Kanonisse des Stifts St. Ursula Imagina vonWaldeck übertrug 1338 ihr Klaustralhaus der Begine Jutta, die sich im Infirmari-um des Stifts aufhielt (in infirmario commoranti). Jutta sollte das Haus für min-destens 30 Mark veräußern; die Summe war für die Verzierung eines Schreinsbestimmt. Ein derartiger Auftrag macht es unwahrscheinlich, dass Jutta lediglichKrankenpflegerin war; vielmehr nahm sie wohl eine Vertrauensstellung ein undwar erfahren in Angelegenheiten der Güterverwaltung.P

Die bislang vorgetragenen Überlegungen mahnen zu großer Vorsicht, Beginenim Zusammenhang mit Spitälern vorschnell als Pflegekräfte zu betrachten. Zueinem ähnlichen Ergebnis kam auch die Schweizer Hospitalforschung; galtenfrüher die den Beginen ähnlichen Bußgemeinschaften der Humiliaten als diejeni-gen, die Dienst in den Hospizen der Alpen taten, so wurde diese Auffassung mitt-lerweile korrigiert. Die in den Hospizen tätigen Laien gehörten zumeist Spital-

ft 74bruderscha en an.

III Würzburger Beginenordnungen beschränken die Pflege von Kranken außerhalb der Konvente auf14 Tage, vg!. Hannah KEss,Klausnerin - Nonne - Begine? Eine schwierige Kategorisierung. ZumBeginenwesen in Franken, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 67 (2007) 19-48, hier 31 mitAnm. 61; Beispiele für Verbote von Hebammendiensten bei SIMONS, Cities of Ladies (wie Anm. 37)

78.70 Zum folgenden Hans GoEITING, Das Bistum Hildesheim 1.Das reichsunmittelbare KanonissenstiftGandersheim (Germania Sacra Neue Folge 7, I), Berlin - New York 1973,208.71 Vg!. zu Beginen als Dienstboten Letha BÖHRINGER, Möglichkeiten und Grenzen der sozialen Ein-ordnung von Kölner Beginen und ihren Familien, in: Sigrid SCHMIIT - Sabine KLAPP (Hg.),Städtische Gesellschaft und Kirche im Spätmittelalter. Kolloquium Dhaun 2004 (GeschichtlicheLandeskunde 62), Stuttgart 2008,167-188, hier I8If.tz GoEITING, Gandersheim (wie Anm. 70) zitiert und paraphrasiert ungedruckte Quellen; seineAusfiihrungen lassen offen, ob Krankenpflege ausdrücklich erwähnt oder lediglich von ihmvorausgesetzt wird.73 Historisches Archiv der Stadt Köln, Best. 266 (Ursula), Urk. 1/81; vgl, BOHRINGER,Möglichkeiten(wie Anm. 71) 182.74 SIMON-MuSCHEID, Spitäler (wie Anm. 19) 239.

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Dennoch fällt eine klare Affinität zwischen Beginenbewegung und Hospitälernins Auge.7s Die frühen Beginen siedelten sich auffallend häufig und offenbargezielt in der Umgebung von Spitälern an. Warum dies geschah, ist bislang in derForschung kaum erörtert worden. Grundsätzlich ist das Leben bei oder gar untereinem Dach mit den Armen und Schwachen als Kennzeichen aktiver Christus-nachfolge zu sehen; für die belgischen Charismatikerinnen war der konkreteDienst am Nächsten Ausgangspunkt ihres spirituellen Weges. Seit dem frühen 13.Jahrhundert haben wohl auch franziskanische Ideale eine Rolle gespielt." Jakobvon Vitry berichtete 1216 in einem Brief von seiner Reise durch Italien, wo erden ersten fratres minores et sorores minores in der Nachfolge des Franziskusbegegnete. Er beobachtete, dass in der Nähe der Städte die Frauen in diversishospitiis gemeinschaftlich leben; auch das könnte auf Spitäler bezogen sein. 77

Die bürgerlichen Spitäler in oder in der Nähe urbaner Zentren waren um 1200offenbar .Brutkästen' und Ausgangspunkte für neue Formen laikaler Frömmig-keit. Getragen von bürgerlichen Stiftern, Wohltätern und Bruderschaften, gelegenam Rand oder außerhalb der Städte boten sie neuartigen und noch wenig gefestig-ten Frauengemeinschaften die Möglichkeit, eigene Wege zu beschreiten - ineinem gewissen Abstand zur Heimatpfarrei und wohl auch zu ihren Plebanen,zumal Spitäler bischöflicher Jurisdiktion unterstanden und sich auch des päpstli-chen Wohlwollens erfreuten. An der Kurie begriffman den innovativen Charak-ter der Spitäler und ihrer Institutionen, die man ins Kirchenrecht zu integrierentrachtete, wie Gisela Drossbach herausgestellt hat.78

Aus einer anderen Perspektive hat auch Mathias Kälble auf den privilegiertenRechtsstand des bürgerschaftlieh verfassten Spitals hingewiesen, das dem unmit-telbaren Zugriff weltlicher Machthaber entzogen war und somit dem städtischenMeliorat die Gelegenheit bot, Einfluss auf caritative Institutionen auszuüben undsie nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Kälble betont, dass diese Einfluss-nahme vielfach derjenigen auf kommunaler Ebene deutlich voranging. Spitälerbildeten demzufolge eine erste Handlungsplattform für jene Gruppen, die nachbürgerlicher Selbstverwaltung strebten, und waren somit gewissermaßen Aus-gangspunkt und Wegbereiter bürgerlicher Autonomic." Wenn Spitäler Kristalli-

7S Darauf wies zuerst hin Joseph GREVEN, Die Anfänge der Beginen. Ein Beitrag zur Geschichte derVolksfrömmigkeit und des Ordenswesens im Hochmittelalter (Vorreformationsgeschichtliche For-schungen 8), Münster 1912, hier 312-315.76 Vgl. LE BLEVEC, Role (wie Anm. 14) 176f.77 Robert B. C. HUYGENS(Hg.), Lettres de Jacques de Vitry, Leiden 1960, Zitate 75 Z. 109f. und 76 Z.121.78 DROSSBACH,Hospital (wie Anm. 27) 521, zur bischöflichen Jurisdiktion 513.79 Mathias KÄLBLE, Sozialfürsorge und kommunale Bewegung. Zur Bedeutung von Hospitälern fürdie soziale Gruppenbildung in der Stadt, in: BULST - SPIESS, Sozialgeschichte (wie Anm. 27) 237-271, Zitate 270; vgl. auch Joseph P. HUFFMAN, Polens et Pauper: Charity and Authority inJurisdictional Disputes over the Poor in Medieval Cologne, in: Robert C. FIGUEIRA (Hg.), Plenitude ofPower. The Doctrines and Exercise of Authority in the Middle Ages: Essays in Memory of RobertLouis Benson, Aldershot 2006, 107-124.

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sationspunkte und Katalysatoren sowohl bürgerlicher Autonomie als auch neuerFormen laikaler Frömmigkeit waren, ist es vielleicht möglich, prosopographischeVerbindungslinien zu ziehen? Gehörten die Förderer der Spitäler und die frühenBeginen denselben Familien bzw. derselben sozialen Gruppe an? Bereits HerbertGrundmann hat herausgestellt, dass die ersten Beginen aus angesehenen undwohlhabenden Familien stammten; für Köln lässt sich präzisieren, dass unterihnen Angehörige der Kölner Geschlechter waren sowie Frauen, deren Familienkurz vor dem Aufstieg vom Meliorat zu den exklusiven Geschlechtern standen."Ob und inwieweit Beziehungen dieser Kreise zu den frühen Hospitalbruderschaf-tenS1 bestanden, ist hier wie andernorts unbekannt und bedarf weiterer For-schungsanstrengungen. So formuliert Matthias Werner, einer der besten Kennerdieser Problematik, im Hinblick auf die frühen Beginen im heutigen Belgien undin den Niederlanden: Doch bedarf die Hospitaltätigkeit und Krankenpflege derBeginen ... als eines ihrer Anliegen und Wesensmerkmale in ihrer Frühzeit nochgenauerer Untersuchung, scheint doch die gleichzeitige Entstehung des bruder-schaftlichen Hospitals ... und des Beginenwesens bei verwandter Wurzel aufunterschiedliche Entwicklungen zu verweisen, wobei jedoch gerade for die Früh-zeit im frühen 13. Jahrhundert noch Misch/armen und Überlagerungen wahr-

h . tt h . dS2sc em IC stn .In solche Überlegungen sind jene männlichen und weiblichen Laiengemein-

schaften mit einzubeziehen, die nach Ausweis der Quellen explizit mit der Ver-sorgung und Pflege der Spitalbewohner betraut waren. Aus welchen Schichtenrekrutierten sie sich, und welches Sozialprestige genossen sie? Waren sie wirklichgesellschaftlich derart verachtet, dass Elisabeth von Thüringen gerade ihren Standzur Selbsterniedrigung teilen wollte?s3 Oder entstammten sie als freiwillig Arme,die in der aktiven Caritas die Nachfolge Christi verwirklichen wollten, ebenfallsdem städtischen Bürgertum dieser Zeit? Vielerorts im 13. Jahrhundert nachweis-bar, war kaum einer dieser dienenden Spitalverbrüderungen, wie Reicke sienennt, eine längere Existenz vergönnt. Im Laufe des 14. Jahrhunderts wurden siefast überall durch städtische Dienstboten ersetzt, die einen festgesetzten Lohnerhielten; die Gebetsverpflichtungen wurden durch die Gesamtheit der Spitalin-sassen erbracht. 84

Am Heilig-Geist-Spital Frankfurts am Main konnte eine Kongregation vonLaienbrüdern und -schwestern nur zwischen 1273 (Ersterwähnung) bis etwa 1315

80 GRUNDMANN, Bewegungen (wie Anm. 65) 188-198; Letha BOHRINGER, Kreuzzugsprediger. Dom-scholaster und fromme Frauen. Beobachtungen zum klerikalen Umfeld der ersten Kölner Beginen, in:Rheinische Vierteljahrsblätter 72 (2008) 35-53.81 Vg!. Klaus MILlTZER. Quellen zur Geschichte der Kölner Laienbruderschaften vom 12. Jahrhundertbis 1562/63 Bd. I (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 71), Dilsseldorf1997 bes, XXX-XXXV.82 W~RNER. Elisabeth (wie Anm. 30) 132 Anm. 144, der auch auf die Diskussion bei FELSKAU,Brabant (wie Anm. 3) 83 verweist.83 Vg!. WERNER. Elisabeth (wie Anm. 30) 122 mit Anm. 157; vgl. FELSKAU,Brabant (wie Anm. 3) 73f.... REICKE, Spital (wie Anm. 7) Zitat Bd. 1 86; vgl. auch 288f.

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nachgewiesen werden.f Auch die Laienbruderschaften an den großen Spitälernder Städte Augsburg und Biberach überlebten das 14. Jahrhundert nicht; die Bibe-racher Bruderschaft löste sich bereits im ersten Drittel des 14. Jahrhunderts auf.86

Ebenso verschwanden die pflegenden Fraternitäten im Raum zwischen Maas undRhein im frühen 14. Jahrhundert; sie waren hier ohnehin eine vorübergehendeund minoritäre Erscheinung.t' Die Entwicklung lässt sich in allen Landschaftenverfolgen; für die Schweiz konstatiert Elsanne Gilomen-Schenkel als Resultat:Institutionell betrachtet bedeutete es das Scheitern, die Armen- und Krankenfür-sorge durch kirchlich-religiöse Laiengemeinschaften dauerhaft zu organtsierent"Spätestens im 15. und 16. Jahrhundert lag die Leitung eines Spitals durchweg inden Händen eines Spitalmeisters oder einer Spitalmutter, gelegentlich findet sichauch ein Ehepaar, das alle anfallenden Arbeiten und Leistungen organisierte. DenMeistem und Meisterinnen standen Küchen-, Kranken- und Viehmägde zur Seite;nicht zuletzt wurden auch die arbeitsfähigen Spitalinsassen herangezogen. Baderund Wundärzte kamen nach Bedarf ins Spital und wurden ebenfalls für ihreDienste entlehnt."

Für diese Entwicklung sind mehrere Ursachen auszumachen. Zum einen betontReicke die wirtschaftlichen Belastungen durch die Bruderschaften, die wie dieArmen vom Vermögen und Einkommen des Spitals lebten. Traten in Zeiten öko-nomischer Bedrängnis mehr gesunde Menschen diesen Bruderschaften bei, umnicht zuletzt das eigene Auskommen zu sichern, verschob sich das Verhältnis derPflegenden zu den Armen zu Ungunsten der Letzteren; schon Anfang des 13.Jahrhunderts beschränkten manche Städte die Zahl der Spitalschwestern?" Zudieser Zeit führte Jakob von Vitry Klage über Spitalverwalter, die eigennützigwirtschaften aufKosten der Armen." Zudem machte sich im Bruderschaftswesenallgemein die Tendenz bemerkbar, Zuwendungen sowie Werke der Nächstenliebenur noch den eigenen Mitgliedern zukommen zu lassen und sich aus der allge-meinen Fürsorge zurückzuziehen."

Darüber hinaus weisen Thomas Just und Herwig Weigl auf die sich änderndenreligiösen Wertvorstellungen mit einer gewissen Tendenz zur Klerikalisierung

U KNEFELKAMP,Pflege (wie Anm. 17) 183.86 KNEFELKAMP,Pflege (wie Anm. 17) 191f.87 PAULY, Hospitäler (wie Anm. 4) 218.88 Elsanne GlLOMEN-SCHENKEL, Spitäler und Spitalorden in der Schweiz (12JJ3.-15. Jh.). EinForschungsbericht, in: DIES. (Hg.), Die Antoniter, die Chorherren vom heiligen Grab in Jerusalem unddie Hospitaliter vom heiligen Geist in der Schweiz (Helvetia Sacra IV 4), Basel- Frankfurt am Main1996, 19-34, hier 32; vgl, auch SIMON-MusCHEID, Spitäler (wie Anm. 19) 245.89 Vgl, beispielsweise für Köln die Nachweise bei MIES, Hospitäler (wie Anm. 51) 307, 316 und334f.; ferner KNEFELKAMP, Pflege (wie Anm. 17) 180f., vgl. auch 185 zu den ähnlichen Verhältnissenin NUrnberg.90 Beispiele bei REICKE, Spital (wie Anm. 7) Bd. I 286f.91 Vg!. HINNEBUSCH,Historia Occidentalis (wie Anm. 43) 148f.92 Vg!. zu dieser häufig beschriebenen Entwicklung zuletzt Monika ESCHER-ApSNER, Karitativ-sozialeLeistungen bruderschaftlicher Organisationen im hohen und späten Mittelalter, in: PAULY, Institutions(wie Anm. 49) 137-180, hier 172f.

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hin.93 Diese Beobachtung trifft auch hinsichtlich der religiosen Frauen im Laien-stand zu, deren Status im Umgang mit Kranken allmählich wohl als unpassendempfunden wurde, so dass im 15. Jahrhundert neue Pflegeorden entstanden.Frauen dienten im späten Mittelalter und in der Frühen Neuzeit in Spitälern ent-weder als angestellte Dienstmägde oder als Ordensmitglieder. So lagen Verwal-tung und Pflegedienste des bedeutenden St. Katharinenspitals in Regensburgursprünglich in den Händen einer Laienbruderschaft, der ein Brüder- und einSchwesternkonvent unter einem Spitalmeister angehörten; die Gemeinschaftenfolgten der Augustinusregel. Die Bruderschaft löste sich um 1380 auf, indesverblieb der Schwesternkonvent, der bis zur Reformation fortbestand." In Mainzerfolgte bereits 1259 eine Gütertrennung zwischen den Hospitalbrüdern und denSchwestern, da zwischen den Konventen Zwistigkeiten entstanden waren; dieFrauen verließen das Spital und schlossen sich dem Zisterzienserorden an.95

Auch in anderen gemischten Bruderschaften konnten Frauen ihre ursprünglichden Männern gleichgeordneten Stellungen nicht halten, vor allem wenn sich dieBruderschaft zum Orden wandelte. Exemplarisch ist die Entwicklung des Antoni-terordens, des einzigen vorwiegend kurativen Hospitalordens, der sich überwie-gend der Krankenpflege und nicht in erster Linie der Pilger- und Armenflirsorgewidmete. Sein hervorragender Ruf in der Behandlung der Mutterkornvergiftungund von Formen des Wundbrandes gründete sich auf erfolgreiche Behandlungendurch gesunde Kost mit ungiftigem Brotgetreide, einem reinigenden Kräutersudund ggf. Amputationen. Der Orden war aus einer Bruderschaft hervorgegangen,die in einem kleinen Dorf an der Isere zwischen Valence und Grenoble seit etwa1095 die wachsende Zahl von Pilgern betreute, welche an Mutterkornvergiftunglitten und bei den Reliquien des Mönchsvaters Antonius Hilfe suchten. Männerund Frauen wirkten dort ursprünglich gleichberechtigt, wobei die Männer auchfür Kollektengänge zuständig waren und Geld sammelten. Die Frauen waren aufdie Aufnahme und Pflege der Kranken beschränkt. Nach einer raschen Verbrei-tung im 12. Jahrhundert verfestigte sich die Organisationsstruktur der Antoniterzu Anfang des 13. Jahrhunderts. Im Laufe dieser Entwicklung wurden die Schwes-tern allerdings in dienende Positionen gedrängt. Wie Adalbert Mischlewskigezeigt hat, wurde der Orden der Antoniter schließlich 1247 als reiner Männeror-den gegründet, in dem Frauen keine Vollmitglieder mehr werden konnten; dieFrauen pflegten fortan die Kranken als einfache Dienerinnen." Besoldete weibli-

93 ]UST- WEIGL, Spitäler (wie Anm. 56) 169.94 Artur DIRMEIER, Armenfürsorge. Totengedenken und Machtpolitik im mittelalterlichenRegensburg. Vom hospitale pauperum zum Almosenamt, in: Martin ANGERER u.a. (Hg.), Regensburgim Mittelalter Bd. I: Beiträge zur Stadtgeschichte vom frühen Mittelalter bis zum Beginn der Neuzeit,Regensburg 1995,217-236, hier 220; vgl. KNEFELKAMP,Pflege (wie Anm. 17) 190f.9~NEUMANN, Beginen- und Begardenwesen (wie Anm. 19) 23fT.96 Adalbert MISCHLEWSKI, Die Frau im Alltag des Spitals aufgezeigt am Beispiel des Antoniterordens,in: Frau und spätmittelalterlicher Alltag (Österreichische Akademie der Wissenschaften, phil.-hist.Klasse, Sitzungsberichte 473 = VerölTentlichungen des Instituts für mittelalterliche RealienkundeÖsterreichs 9), Wien 1986, 587-615; DERS., Männer und Frauen in hochmittelalterlichen Hospitälern.Das Beispiel der Antoniusbruderschaft, in: Kaspar ELM - Michel PARISSE (Hg.), Doppelklöster und

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ehe Dienstboten wurden gelegentlich selbst von den Spitalorden beschäftigt", dienicht Gegenstand dieser Untersuchung sind; diese konnten auch auf eigene Laien-schwestern zurückgreifen, die in unterschiedlichen und nicht immer eindeutigerkennbaren organisatorischen Beziehungen zu den Kommenden standen."

Doch Kranke wurden nicht primär in Spitälern versorgt, sondern überwiegendin den eigenen Familien." Es versteht sich, dass in erster Linie den Familienan-gehörigen die oben skizzierten Aufgaben am Krankenbett zukamen; sie übernah-men Pflege und Versorgung je nach Wissen und Erfahrung. Auch konnten sieErfahrungsmediziner aus der Bekanntschaft um Rat bitten oder Barbiere ins Hauskommen lassen, und wer die finanziellen Möglichkeiten hatte, bemühte einenArzt oder Apotheker.

In diesem privaten Bereich ist im 14. Jahrhundert ein steigendes Engagementvon Beginen zu beobachten, das seinen Ausgangspunkt in ihren Gebetsdienstenfür Verstorbene hat. Wie bereits erwähnt, wurden Beginenkonvente im frühen 13.Jahrhundert gegründet, um die Memorien der Stifter und Wohltäter zu sichern.Dies schloss die Teilnahme an den Beerdigungen ihrer Gönner ein. Die im 13.Jahrhundert einsetzenden und im 14./15. Jahrhundert dichter überlieferten Bür-gertestamente bieten Anhaltspunkte für eine derartige Entwicklung. In Wormssetzten Heinrich Rufus und seine Ehefrau Alheidis bereits 1275 ein Legat aus fürdie hohe Anzahl von 40 Beginen, die bei ihren Totenfeiern wachen und betensollten.l'" In Flandern sind testamentarische Zuwendungen für Totendienste seitder 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts bezeugt.'?' Wohlhabende Bürger legten Wertauf ein stattliches Gefolge im Leichenzug und setzten testamentarisch ein kleinesHandgeld für Teilnehmer aus; so ordnete der reiche Kölner Bürger Gerhard von

andere Formen der Symbiose männlicher und weiblicher Religiosen im Mittelalter (Berliner Histori-sche Studien 18 = Ordensstudien 8), Berlin 1992, 165-176.97 Anthony LUTTRELL - Helen J. NICHOLSON, Introduction: A Survey, in: DIES. (Hg.), HospitallerWomen in the Middle Ages, Aldershot 2006, 1-42, hier 11; SIMON-MusCHEID, Spitäler (wie Anm.19) 239.98 Vg!. Francesco TOMMASl, Men and Women of the Hospitaller, Templar and Teutonic Order:Twelfth to Fourteenth Centuries, in: LUTTRELL - NICHOLSON, Hospitaller Women (wie Anm. 97) 71-88, vg!. 79f. zur Terminologie; ferner Klaus MILlTZER, Die Hospitaltätigkeit des Deutschen Ordens,in: PAULY, Institutions (wie Anm. 49) 421-436. Ohnehin reduzierte der Deutsche Orden seineSpitaltätigkeit im Abendland im Laufe der Zeit, vgl. Klaus MlLITZER, Die Rolle der Spitäler bei denRitterorden, in: MATHEUS, Funktions- und Strukturwandel (wie Anm. 6) 213-242, hier 232f.99 Robert JÜTTE, "Wo kein Weib ist, da seufzet der Kranke" - Familie und Krankheit im 16.Jahrhundert, in: Jahrbuch des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung 7 (1988)7-24, hier 7, bemängelt den Mangel an Forschungen zum Thema Familie und Krankheit.100 Boos, Urkundenbuch der Stadt Worms (wie Anm. 65) 239ff. Nr. 373, hier 240 Z. 27f.: Itemquadragtinta muliebris bekinis vigilantibus et orantibus ad funus XL solidos ha/lensium; vgl,NEUMANN, Beginen- und Begardenwesen (wie Anm. 19) 98.101 Beispiele bei SIMONS, Cities of Ladies (wie Anm. 37) 78f. sowie GUIDERA, Role (wie Anm. 21)54-57; das von ihr angeführte Testament von 1311, in dem eine Erblasserin zur Feier ihres Anniver-sars eine Begine mit Diensten an Kranken beauftragt, ist so zu verstehen, dass diese Begine die kran-ken Frauen des eigenen Beginenhofes (St. Elisabeth in Gent) aufsuchen und diese zum Gebet auffor-dern soll (vg!. 70 Anm. 32: ... le gane int hof ende onder de zieke omme bedinghe, eende teescheneven elker beghinen eenen miserere mei Deus).

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Lintlair 1397 an, an jeden Begarden und jede Begine, die seinen Leichnam in dieKarmeliterkirche zur Bestattung tragen, 2 Schillinge auszuteilen.l'"

Die wiederkehrenden Pestwellen ließen den Dienst der Beginen an Sterbendenund Toten zur gesellschaftlichen Notwendigkeit werden, weil nunmehr familiäreBindungen aus Angst vor Ansteckung vielfach zerrüttet wurden, die Familie sichvon erkrankten Verwandten entfernte, einen Sterbenden isolierte und niemandmehr den Leichnam berühren mochte. Nunmehr wurden Beginen und Begardenauch an die Krankenbetten gerufen, um einen Sterbenskranken zu pflegen, mitGebeten zu begleiten und schließlich für die Beerdigung zu waschen, insLeichentuch einzunähen und für die Bestattung vorzubereiten. Diese inSchriftquellen nicht thematisierten (und als Tätigkeit des Bestattungsgehilfen bisheute tabuisierten) Tätigkeiten werden veranschaulicht in einer Miniatur, die sichim Stundenbuch Philipps des Guten, Herzogs von Burgund, befindet, das um1454 entstand.l'" Das Bild zeigt zwei Angehörige eines Pflegeordens oderBeginen, die einen Leichnam ins Leichentuch einnähen; der geöffnete Sarg stehtdaneben bereit. Im Hintergrund des großen Raumes sieht man das Bett desVerstorbenen. Davor trauert eine vornehm gekleidete Dame, die in ihren Händennoch das Stundenbuch mit den Sterbegebeten hält. Sie ist modisch gewandet mitSpitzhaube und einem Kleid mit eng anliegendem Oberteil und sehr weitausladendem Rock. Im Gegensatz dazu tragen die Schwestern schlichteGewänder in körpernahem Schnitt, Schürzen und kurze Schleier, die bei derArbeit nicht behindern. Doch ist bei aller Wertschätzung dieser Tätigkeiten durchdie städtische Bürgerschaft festzuhaiten, dass derartige Arbeiten, Gebets- undTotendienste nach wie vor als Werke der Barmherzigkeit galten; die Frauenerhielten nach wie vor ein Almosen, keine nennenswerte Entlohnung.l'"

Wie es scheint, spezialisierten sich auf diese Tätigkeiten allmählich bestimmteKonvente in den Städten. In Köln lässt sich dies zumindest ansatzweise verfol-gen. Dort entstanden um 1300 mehrere Konvente für Beginen, die in den Quellenvolkssprachlich swesteren, swestrisse oder ähnlich genannt werden; da in denQuellen mehrfach ihre freiwillige Armut herausgehoben wird, scheint es sich um

102 HAStK, Testamente 3/L 266: voluitque et instanter desideravit statim post ipsius obitum perfratres beggardos ad prefatum monasterium deportari seu sepe/iri necnon per eosdem fratresbeggardos et eciam sorores begutas ipsius memor(iam) et exequias in eadem ecclesia humi/iter fieriseu peragi more consueto sine pompa et expensis desuper faciendis; nichilominus tamen cuilibetbeggardo et begute predictis funeralibus et exequiis peractis iussit et commisit statim duos solidospagamenti Coloniensis pro presentiis in eorum cuiuslibet manus dari eis distribui.10) Vgl. Abbildung aufS. 155; vgl. Truus VANBUEREN (Hg.), Leven na de dood. Gedenken in de lateMiddeleeuwen, Katalog, Tumhout 1999, 191 Nr. 56; ferner Martina WEHRLI-JOHNS, ,.Tuo daz guoteund la daz übele". Das Fegefeuer als Sozialidee, in: Peter Jezler (Hg.), Himmel Hölle Fegefeuer. DasJenseits im Mittelalter, Katalog, Zürich 1994,47-58, hier 55f. mit Abb. 32 zur Entwicklung in Basel.104 So NEUMANN, Beginen- und Begardenwesen (wie Anm. 19) 98 zu Frankfurt und Aschaffenburg;zu Hamburg vgl. Hedwig RÖCKELEIN, Hamburger Beginen im Spätmittelalter - ,.autonome" oderfremdbestimmte" Frauengemeinschaft?, in: WEHRLI-JOHNS - OPITZ, Fromme Frauen (wie Anm. 12)'j19-137, hier 133; ferner Andreas WILTS, Beginen im Bodenseeraum, Sigmaringen 1994, hier 238,der feststellt, dass die Krankenpflege nur ganz geringe Bedeutung flir den Lebensunterhalt derSchwestern in Konstanz und Überlingen hatte.

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eine Art Gegenbewegung zum sonst in Köln üblichen Beginenwesen zu handeln,das bürgerlichen Frauen mit eigenem Immobilien- und Rentenbesitz eine mate-riell durchweg gesicherte Lebensweise bot. Wie diese Schwestern ihren Lebens-unterhalt bestritten, ob durch Arbeit oder gar Bettel, ist nicht bekannt.l'" Drei derSwesteren-Konvente wurden im 15. Jahrhundert zu Konventen von Cellitinnenund könnten sich schon im Zusammenhang mit den Pestwellen und anderen Seu-chenzügen seit der Mitte des 14. Jahrhunderts auf Dienste an Sterbenden undVerstorbenen spezialisiert haben.l'" 1401 setzte der Kölner Bürger Peter Brack inseinem Testament sechs mit Fürsorge befassten Konventen, die hier Einungengenannt werden, Legate von je einer Mark aus, nannte aber leider die Namen derKonvente nicht.I07

Indes führten diese Tätigkeiten in Privathaushalten dazu, dass sich in den da-mit befassten Konventen auch medizinisches Erfahrungswissen ansammelte;nicht jeder Schwerkranke, zu denen die Beginen gerufen wurden, verstarb, und sowurden aus Sterbebegleiterinnen nunmehr Krankenpflegerinnen, die sich aufhilfreiche Maßnahmen und nützliche Ratschläge zur Gesundung verstanden.l'"Um wiederum ein Kölner Beispiel anzuführen: 1414 vermachte die wohlhabendeWitwe Elisabeth Roetstock der Begine Kunigunde, die an ihrem Krankenbett war,einen Gulden.l'" Ob dabei medizinische oder spirituelle Leistungen im Vorder-grund standen, ist schwer zu entscheiden, und das wurde in der Praxis wohl auchkaum getrennt.

Und auch diese Tätigkeiten unregulierter Laiengemeinschaften mündeten ineinem institutionalisierten Orden, dem der Celliten, auch Alexianer genannt, unddem weiblichen Zweig, den Cellitinnen. Dieser Orden verbreitete sich seit dem15. Jahrhundert entlang des Rheins und in Norddeutschland. Die Entwicklung zurOrdensgemeinschaft ging von Begardenhäusern aus; diese sind leider weitgehend

105 Vgl. Helga JOHAG,Die Beziehungen zwischen Klerus und Bürgerschaft in Köln zwischen 1250und 1350 (Rheinisches Archiv 103), Bonn 1977, zu den Beginen 98-102 und 141-147, zu denSwesteren 146f. und 345f.; ferner BÖlIRlNGER,KölnerBeginen(wieAnm 24) 24.106 Stephanie HABETH-ALLHORN,175 Jahre Cellitinnen zur hl, Maria in der Kupfergasse. Eine sozial-caritative Ordensgemeinschaft im Herzen von Köln, Köln 2003, hier 15-18. Es handelt sich um dieKonvente Zederwald, Zelle, Einung Marzellenstraße (auch Klein S1.Ursula genannt), die ursprünglichSwesteren beherbergten, sowie den Konvent Denant, der für ärmere Beginen gegründet worden war;vgl, auch Theodor PAAS,Das Cellitinnenkloster zur hI. Maria in der Kupfergasse zu Cöln, Köln 1909,14-75 sowie ASEN,Beginen (wie Anm. 5) AHVN Ill, 145fT.(Einung Marzellenstraße), AHVN 113,59-63 (Zederwald und Zelle) und 91-94 (Denant).107 Historisches Archiv der Stadt Köln, Best. 110 (Testamente) 2JB 788: sex conventibusso/icitudinibus vulgariter dictis eynonge.108 Ein frühes Beispiel könnte ein etwas rätselhafter Auftrag an den Kölner Konvent Zum hohenDürpel sein, dem 1350 gemeinsam mit anderen Konventen zwei Mark Erbzins ilbertragen wurden.Zudem erhielten die 10 älteren Beginen allein dieses Konvents zwei weitere Mark Erbzins zumNutzen armer Kinder mit krätzigen Köpfen (ad usus pauperum puerorum capite scabiosa); warendiese Schwestern erfahren in der Linderung derartiger Leiden? Es bleiben Zweifel, denn in einemundatierten Nachtrag wurde die Schenkung zurückgezogen; vgl. Historisches Archiv der Stadt Köln,Best. 101 (Schreinsbücher) 143 fol. 30r; Asen, Beginen (wie Anm. 5) AHVN 113, 89.109 HAStK, Testamente 2/R 466: Item sorori Cu(o)negundi bagute que foil prope ipsam in lectoegritudinis unumflorenum Renen. semel dandum.

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unerforscht, ebenso wie die Entstehung des Cellitenordens selbst. Im 13. Jahr-hundert wurden umherziehende Begarden, die sich weder in den Säkular- noch inden Ordensklerus einfügten, des unlauteren Bettelns und der häretischen Predigtverdächtigt; man siedelte sie daher in städtischen Konventen an. Mancherortsunterschied man ,Webbegarden " die von der Leinenweberei lebten und spätervielfach die Terziarenregel der Franziskaner annahmen, von ,Brotbegarden' , diebettelten und auch Toten- und Memorialdienste versahen.'!" Diese Bruderkonven-te verfestigten und verbreiteten sich im Anschluss an die Seuchenzüge der 2.Hälfte des 14. Jahrhunderts; Brigitte Hotz bezeichnet daher die Pestwellen alsKatalysatoren bei der Herausbildung und Ausdehnung der Zellitengemeinschaf-ten, die freilich erst später so genannt wurden.'!' Allfällige Verdächtigungen derHäresiell2 ließen die Konvente, die keine gemeinsamen Ursprunge hatten'!',überörtlich kooperieren, um die Anerkennung der kirchlichen Hierarchie undauch weltlicher Autoritäten zu erwirken und den eigenen Status abzusichern -dies in Abkehr von der Praxis älterer Begarden- und Beginenhäuser, die zu kei-nem Zeitpunkt Anstalten machten, sich zu lokalen oder gar überregionalen Ver-bänden zusammenzuschließen. Gemeinsam traten sie auf dem Konstanzer Konzilauf und bemühten sich um die Bestätigung lokaler Privilegien als Ausweis ihrerOrthodoxie.114 1431 wurden sie von Papst Eugen IV. in dessen Schutzbulle aus-drücklieh als Celliten angesprochen. Etwa seit dieser Zeit, dem ersten Drittel des15. Jahrhunderts, entwickelten sich die Bruder- und Schwestergemeinschaftenzum Orden weiter. Pius 11.gestattete ihnen 1458 das Ablegen bindender Gelübdeund das Befolgen der Augustinusregel.l" 1468 hielt der männliche Zweig in

110 HOTZ, Beginen (wie Anm. 64) 96 Anm. 3; in Köln existierte je ein Konvent für die beidenGruppen, vgl. Johannes Asen, Die Begarden und die Sackbrüder in Köln, in: Annalen desHistorischen Vereins für den Niederrhein 115 (1929) 167-179.111 HOTZ, Beginen (wie Anm. 64) 97.112 In Köln nahm 1383 der Offizial der Kölner Kirche Johannes de Cervo pauperes utriusque sexusverschiedener Pfarreien in seinen Schutz, die Iicet humiliter et honeste in simplici et humili decentihabitu ac in paupertate et castitate viventes ungerechtfertigten AngrifTen auf ihre Rechtgläubigkeitausgesetzt waren; ausdrücklich genannt werden 10 Beginenkonvente, darunter die oben Anm. 106genannten Konvente Zelle und die Einung ManeIlenstraße, vgl. Paas, Cellitinnenkloster (wie Anm.106) 133-136, Zitat 134.m Das betont McDoNNELL, Beguines (wie Anm. I) 267.114 Vgl, zur Entstehung des Cellitenordens Christopher J. KAUFFMAN, Sie haben den Tod vertrautgemacht Bd. I: Geschichte der Alexianerbrüder von 1300 bis 1789, Aachen o. J. (OriginalausgabeNew York 1976); HoTZ, Beginen (wie Anm. 64) 98-103; ferner McDoNNELL, Beguines (wie Anm. I)266-269, der ebenso wie KoufTman nur unzureichend zwischen den Vorgängerkonventen der Begar-den und den Cellitengemeinschaften difTerenziert. Vgl. im Anschluss an McDonnell auch GUIDERA,Role (wie Anm. 21) 59fT., die kaum Unterschiede zwischen Beginen und Cellitinnen festzustellenvermag; sie verkennt jedoch die kirchenrechtlich bedeutsame Annahme einer Regel und das Ablegenlebenslang bindender Gelübde. Pierre-Jean NIEBES, Les freres cellites ou Alexiens en Belgique.Monasticon (Introduction bi~liographique a I'histoire des couvents Beiges anterieure a 1796), Brüssel2002, trägt den fließenden Übergängen Rechnung, indem er 9 Anm. 9-11 die ,Begardenphase' derKonvente bei der Angabe der Ersterwähnungen mit einbezieht.IIS Vgl, Werner GROOTAERS, Oorsprong en spiritualiteit van de Zwartzusters in Belgie, in: Onsgeestelijk erf 67 (1993) 147-16 I, Teilübersetzung der Bulle: 156f. Auch Grootaers unterscheidet nichtzwischen Ordenshäusern und Vorgängerkonventen, die in Brabant und Flandern wohl auch aus

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Lüttich das erste Generalkapitel ab, bei dem bereits fünf Provinzen vertretenwaren: Holland, Brabant, Flandern, das Rheinland und Sachsen (Norddeutsch-land). Die endgültige Anerkennung des Ordens erfolgte 1472 durch Papst Six-tus IV.116 Die Entwicklung des weiblichen Zweiges und seine institutionelle Ver-fasstheit sind bislang kaum untersucht worden. Celliten und Cellitinnen kümmer-ten sich um Kranke und Sterbende in existierenden Spitälern und in Privathäu-sern; es ist unsicher, ob sie eigene Spitäler unterhielten.'!"

Die Errichtung weiblicher Pflegeorden ist ein eigentümliches Phänomen, danach der Bulle Periculoso von Papst Bonifaz VIII. 1298 eigentlich die strikteKlausur für alle Frauenklöster vorgeschrieben war.118 Der Bulle war kein durch-schlagender Erfolg beschieden, denn sie ging offensichtlich an den gesellschaftli-chen Bedürfnissen vorbei, bildete aber gleichwohl ein kirchenrechtliches Darno-kles-Schwert, das über jenen Gemeinschaften hing, die sich der vita activa zu-wenden wollten. In den Niederlanden entstanden daher Pflegeorden, die sich der1289 päpstlich approbierten Franziskaner-Terziarenregel verpflichteten. DieseRegel wurde in den Niederlanden für Neugründungen geschickt und vielgestaltigeingesetzt. In den nördlichen Regionen wurde sie überwiegend kontemplativausgelegt, um weibliche Gemeinschaften im Umfeld der Devotio moderna all-mählich zu regulierten und zu klausurierten Klöstern umzuformen.'!" In den süd-lichen Niederlanden gab es ebenfalls kontemplative Gemeinschaften, die derTerziarenregel folgten, doch vor allem Konvente, die der vita activa verpflichtetund trotz der fehlenden Klausur von der kirchlichen Hierarchie als geistlicheGemeinschaften anerkannt waren.120 Hier diente der Terziarenstatus dazu, ihneneine unangreifbare Regel zu geben. Mit deren Annahme konnten sich die in derWelt tätigen Schwestern kirchenrechtlich absichern und damit ihren untadeligenRufwahren - eine wichtige Voraussetzung fur den Umgang mit Schwerkrankenund vor allem Leichnamen. Der unregulierte Status zwischen Kloster und WeItwar dafür offenbar auf Dauer ungeeignet.l'"

Swesteren bestanden; den Antwerpener Konvent gründete 1345 Heinrich Sudermann, der aus Kölnstammte, vgl. 151.116 NIEBES, Les freres cellites (wie Anm. 114) 11 und 14.117 PAULY, Hospitäler (wie Anm. 4) 272.118 Elizabeth MAKOWKSI, Canon Law and Cloistered Women. Periculoso and its Commentators 1298-1545 (Studies in Medieval and Early Modem Canon Law 5), Washington D.C. 1997.119 Vgl. Madeion VANLUIJK, Bruiden van Christus. De tweede religieuze vrouwenbeweging in Leidenen Zwolle 1380-1580, Zutphen 2004; VANENGEN, De derde orde (wie Anm. I).120 Marc CARNIER, De reguliere vrouwe1ijke derde orde in de zuidelijke Nederlanden, in: SabrinaCORBELLINI- Hildo VANENGEN (Hg.), De derde orde op orde. Balans van het onderzoeksproject naarde derde orde van Sint-Franciscus in het middeleeuwse bisdom Utrecht = Trajecta 14 (2005), 205-220, hier 209: Actief kloosterleven was met het bestaan van alexianen, zwartzusters (das sindCellitinnen) en hospitaalzusters in de zuidelijke Nederlanden bijzonder krachtig en de kerkelijkehierarchie slaagde erin deze beweging in te kapselen door een actief /even met een vol/edigereligieuze staatte aanvaarden.121 Es stimmt mit diesem Befund überein, dass die Schwestern in den Häusern der Devotio modernakaum in der Krankenpflege tätig waren, vgl. GOUDRIAAN, Frühgeschichte (wie Anm. 49) 220; dieDevoten am Niederrhein pflegten in ihren Siechenhäusern Mitglieder der eigenen Konvente undgegebenenfalls enge Verwandte in deren Häusern, vgl. Martina B. KLUG, Armut und Arbeit in der

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Die nach der Terziarenregel lebenden so genannten Grauwzusters (so wurdensie seit der Mitte des 15. Jahrhunderts genannt in Abgrenzung von den Zwart-zusters/Augustinessen, zu denen auch die Cellitinnen zähltenl22) wurden in meh-reren Kongregationen organisiert. Eine Gruppierung bildeten die Hospitaalzusters.Sie verfugten im ausgehenden Mittelalter über eigene Spitäler und pflegten auchKranke in deren Häusern. Die Kongregation der Cellzusters (nicht zu verwech-seln mit den Cellitinnen) folgte wohl einer ähnlichen Lebensform. Allerdingsverfugten die Schwestern nicht über eigene Spitäler. Sie taten sich dadurch her-vor, dass sie Kranke in privaten Haushalten auch bei ansteckenden Krankheitenpflegten; solche Personen hielt man bekanntlich aus Spitälern eher heraus.123

Derartige Tätigkeiten wurden von städtischen Autoritäten gern gesehen undnun auch als notwendige Dienste am Gemeinwesen eingefordert. Wohl im Jahre1487 fand in Köln eine Visitation der Beginenkonvente statt, und die Ratsherrenmachten keinen Hehl aus ihrer Einstellung, dass sich Beginen nützlich zu machenhätten; von den Insassen der Konvente, die von den Ratsherren Gesindel genanntwurden, sei eyn deyll zo den siechen zo ordinyeren ind der graver zo verwaren.124Für einen Konvent wurde konkret die Einrichtung eines Spitals für erkrankteStudenten vorgeschlagen, die von vier Beginen gepflegt werden sollten; dieserPlan wurde allerdings nicht ausgeführt, 125 Dies ist die Quelle, die von McDonnellin der oben erwähnten Weise bemüht wird, um die generelle Pflegetätigkeit vonBeginen zu untermauern. Indes handelt es sich bei dem Visitationsprotokoll umeine Bestandsaufnahme mit Vorschlägen zur Schließung zahlreicher Häuser, dieschwach besetzt und baulich vernachlässigt waren; manche dienten bereits alsAltersheime. Aus den Reformvorschlägen geht hervor, dass eher ein geringer Teilder Konventualinnen unter den gewandelten Bedingungen des 14.115. Jahrhun-derts der Krankenpflege nachging und dass man deren Zahl zu erhöhen trachtete.Im Bericht werden neben den oben erwähnten Konventen, die Ende des Jahrhun-derts zu CeIlitinnenklöstern wurden, auch andere Gemeinschaften erwähnt, diesich in der Krankenpflege engagierten; von den Schwestern des Hauses Ver Lorein der Antonsgasse heißt es, die verwaren ouch die krancken. Diese Schwestern

Devotio modema. Studien zum Leben der Schwestern in niederrheinischen Gemeinschaften (Studienzur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas 15), Münster u.a. 2005, hier 22lf.IIIGROOTAERS,Oorsprong (wie Anm. 115) 154.m CARNIER,Derde Orde (wie Anm. 120) 214-218; vgl. auch DERS.,De communauteiten vantertiarissen van Sint-Franciscus, Monasticon Bd. 1: De grauwzusters (Biografische inleiding tot deBelgische kloostergeschiedenis voor 1796 56), Brüssel 2002, hier 13-27.124 Waiter STEIN(Hg.): Akten zur Geschichte der Verfassung und Verwaltung der Stadt Köln Bd. 2,Bonn 1895 (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 10), 687-694 Nr. 507,Zitat 691 Z. 31f.; vgl. Z. 10: noch bleve vasels genoich, vasel = Pack, Gesindel. Wohl unter demstädtischen Erwartungsdruck pflegten auch die Begarden des Olvunde-Konvents zeitweilig Kranke,vgl. ASEN, Begarden (wie Anm. 110) 174f. In Straßburg haben im 15. Jahrhundert eine ZeitlangBeginen Spitalinsassen gepflegt; 1501 bedauerte der Milnsterprediger Geiler von Kaysersberg, dassman sie durch entlohnte Laien ersetzt hatte, vgl. SIMON-MuSCHEID,Spitäler (wie Anm. 19) 252.m STEIN,Akten Nr. 507 (wie Anm. 124) 690 Z. 12f. für den Konvent Kriech; vgl. ASEN,Beginen(wie Anm. 5) AHVN 113,21.

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befolgten im 15. Jahrhundert die Augustinusregel; ob sie tatsächlich Cellitinnenwaren, wie Asen behauptet, bedarf weiterer Untersuchungen.P"

Der Kölner Hermann Weinsberg bezeugt in seinem berühmten Hausbuch,welch hohen Ansehens sich die Schwestern dieser Häuser im 16. Jahrhundert alsErfahrungsmedizinerinnen erfreuten. Sie wurden bei schweren Erkrankungen inseinem Haushalt mehrfach hinzugezogen. Während der schweren Erkrankungseiner Schwägerin 1553 schickte man eine Begine mit einer Urinprobe zum Arzt.

1557 ließ Hermanns erste Frau Weisgin eine Begine kommen: Des saterstachleis sei ein begin zu ir komen und sucht allen rat zor gesontheit. Hier wird mitaller Deutlichkeit ausgesprochen, dass es der Kranken nicht um Sterbebegleitungoder Gebetsdienste ging, sondern um medizinische Ratschläge, um die Krankheitzu besiegen. Weisgin erlag allerdings ihrem Leiden. Als 10 Jahre späterHermanns zweite Ehefrau Drutgin erkrankte, schickte die Familie erneut nacheiner Begine: Mir leissen auch ein begine, suster Geirtgin, uis der Thonisgassenzo ir komen, die irer warte, vielleicht dieselbe wie zuvor.127 Diese kundigeSchwester kam aus dem erwähnten Konvent Ver Lore in der Antonsgasse. ImVolksmund behielten die Frauen die Bezeichnung Begine, auch wenn es sich umOrdensangehörige handelte, weil sie zum einen früheren Beginenkonventenangehörten und zum anderen wie Beginen in der Öffentlichkeit präsent waren, imGegensatz zu klausurierten Nonnen.V"

Eine andere Kölner Schwester, suyster Tringin, deren Konvent leider nichtnamentlich genannt wird, erhielt 1531 ein Legat von Beelgin Buechels. Beelginbedachte Tringin, von der sie während ihrer Krankheit gepflegt wurde, nebenihrem Lohn mit einem halben Gulden sowie einem Stück Leinen zu einem Kopf-tuch und drei Hauben.i" Hier wird deutlich, dass die Krankendienste nicht miteinem informellen Almosen, sondern mit einer Entlohnung fur geleistete Dienstevergolten wurden. Ob dies allerdings verbreitete Praxis war, steht dahin; die VI-mer Terziarinnen des Konvents im Hirschbad waren Anfang des 16. Jahrhundertsobrigkeitlich angehalten, arme Kranke um Gotteslohn und reichere lediglich zu

126 Zitat: STEIN,Akten (wie Anm. 124) 690 Z. 34; zum Konvent ASEN,Beginen (wie Anm. 5) AHVN113,76fT.127 Konstantin HÖHLBAUM(Hg.): Das Buch Weinsberg. Kölner Denkwürdigkeiten aus dem 16.Jahrhundert Bd. 2 (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 4), Leipzig 1887,zu 1553: 35f., zu 1557: 92 und zu 1567: 167; vgl. auch JÜTTE,Familie und Krankheit (wie Anm. 99)20 zur Hinzuziehung von Beginen und Alexianem: Diese Fachpfleger verstanden sich darauf, denKranken nicht nur Tag und Nacht zu warten, sondern auch ärztliche Anweisungen ... sachkompetentauszuführen.128 Vgl, Paas, Cellitinnenkloster (wie Anm. 106) 11, dem damals (1909) die Bezeichnung BeginelWartsbegine für Krankenpflegerinnen noch geläufig war.129 Historisches Archiv der Stadt Köln, Best. lIO (Testamente) SIB 1066. - Die Würzburger,Bitterinnen', d.h. Beginen im Totendienst, werden 1491 für ihre Tätigkeit entiohnt, vgl. KEss,Klausnerin (wie Anm. 69) 34.

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einem Mindestbetrag zu pflegen, der nach Gutdünken von reicheren Bürgernd k 130aufgestockt wer en onnte.

Erst im ausgehenden Mittelalter und in der Frühen Neuzeit kann mantatsächlich von Beginen als Krankenpflegerinnen sprechen, die übermedizinisches Fachwissen verfügten, das von der Bevölkerung gezieltnachgefragt wurde. Von ihrer Tätigkeit sollte man allerdings nicht auf dieAktivitäten der Beginen des 13./14. Jahrhunderts zurückschließen, denn esbestehen gewichtige Unterschiede. Die Begine früherer Zeiten, die keiner Regelfolgte und keinem Orden angehörte, übte nach eigenem Ermessen Werke derNächstenliebe aus, wenn sie einen Kranken besuchte oder einem Sterbendenbeistand. Verpflichtet war sie als Mitglied ihrer Gemeinschaft hingegen zuGebetsdiensten. Institutionalisiert war die Sorge für die Kranken nicht; es konntenicht nachgewiesen werden, dass ganze Beginenkonvente einem Spital, das derAllgemeinheit ofTen stand, dauerhaft als Pflegekräfte zugeordnet waren.

Im Zuge einer längeren Entwicklung und ausgelöst durch die sich wiederho-lenden Pestwellen und andere Seuchen übernahmen bestimmte Konvente regel-mäßig und als Schwerpunkt ihrer Aktivitäten Krankendienste; spätestens im 16.Jahrhundert waren sie indes keine Beginen mehr, auch wenn sie noch so genanntwurden, sondern Angehörige geistlicher Gemeinschaften, Mitglieder spezialisier-ter Pflegeorden. Vielfach kümmerten sie sich um Kranke in deren Häusern, dochwaren nunmehr auch ganze Konvente fest mit Spitälern verbunden. Zu dieser Zeitwird die besondere Eignung der Frau für den Dienst am Nächsten auch .gender-typisch' begründet. So heißt es in den Statuten des Pariser Hötel-Dieu von 1535:Le prince de philosophes Aristote tesmoigne et enseigne que la nature de lafemme est plus incline et plus prompte Cl pitie et compassion que n 'est la naturede l'home; es folgt ein Bibelzitat, das auch in deutscher Sprache sprichwörtlicheVerbreitung fand: Wo kein Weib ist, seufzt der Kranke+" Die Pflegetätigkeitwurde, trotz der Aktivitäten der Alexianer, als spezifisch weiblich betrachtet;geistliche Frauen dienten in eigens zu diesem Zweck gegründeten Ordensgemein-schaften (wie die Augustinerinnen am Hötel-Dieu, deren Zahl auf 40 festgelegtwurde), weibliche Laien als entlohnte Siechenmägde in Spitälern oder auch inprivathaushalten.132

Wie es scheint, haben sich im 16. Jahrhundert auch der gesellschaftliche Statusund die ökonomische Situation der pflegenden Konvente allmählich gehoben. Imausgehenden Mittelalter lebten sie vielerorts in ärmlichen Verhältnissen. Wäh-

130 SCHULZ. Schwestern (wie Anm. IS) 37; bemerkenswert ist, dass diese Schwestern sich gegen eineobrigkeitliche Verpflichtung zur Krankenpflege (also auch in Pest- und anderen Gefahrenzeiten)wehrten, vgl. 37tT.131 Christine JEHANNO, L'alimentation hospitaliere ä la fin du Moyen Age. L'exemple de l'Hötel-Dieude Paris, in: Drossbach, Hospitäler (wie Anm. 3) 107-162, hier 147 c. 86. Das Zitat Du if n'y a poinctdefemme le mal/ade se plainct (vg!. auch den Titel des Beitrags von Jütte, wie Anm. 99) geht zurückauf Ecc1esiasticus (Jesus Sirach) 36, 27: Ubi non est mulier, gemescit egens.III Belege über weltliche Frauen als Krankenpflegerinnen seit dem 16. Jahrhundert bei ArnoldLASSOTTA, Formen der Armut im späten Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit. Untersuchungenvornehmlich an Kölner Quellen des 14. bis 17. Jahrhunderts Bd. 2, Köln 1993, hier 241 Anm. 1830.

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rend der Visitation von 1478 stellten die Kölner Ratsherren fest, dass sich dieSchwestern des Konvents Zelle gar nicht gut standen: dat synt arme ellendigesustergen ind bidden broil ind wardent der siechen.t" Ohne Bettel konnten dieseSchwestern von der Krankenpflege nicht leben, wohl ein Grund, warum sie sicheinige Zeit später dem CeJlitinnenorden anschlossen. Auch die Klöster der nieder-ländischen Grauwzusters waren arm, der Bildungsstand der Schwestern ehergering. Beides ist auch ein Grund für die geringe Quellendichte, denn derartigeKonvente erhielten kaum Schenkungsurkunden und produzierten keine erzählen-den Quellen wie Klosterchroniken.':" Auch unter den Hildesheimer Celliten be-fanden sich einfache Handwerker und Analphabeten.!" Wie es scheint, übernah-men in der Zeit nach der Großen Pest solche Menschen gefährliche Pflegedienste,die materiell in der Welt wenig zu verlieren hatten. Immerhin gewannen sie durchihren Dienst gesellschaftliches Ansehen mit der Aussicht auf den höchsten Lohnim Jenseits. Brigitte Hotz schildert die Celliten in der Mitte des 15. Jahrhundertsals gefestigte Gemeinschaft. die aufgrund ihres gottgefälligen und mildtätigenWirkens allgemeine Achtung und damit auch Integration in das städtische Lebengefunden hatte; im Gegenzug empfingen die Männer Zuwendungen von der Be-völkerung.l'"

Die in dieser Skizze vorgetragenen Beobachtungen und kritischenBemerkungen deuten darauf hin, dass die soziale und materielle Situation sowieder juristische Status der Frauen, die in der Sorge für Kranke, Sterbende undVerstorbene tätig waren, räumlich und zeitlich große Unterschiede aufwiesen undVeränderungen unterlagen, die in der Forschung bislang kaum oder nurunzureichend in den Blick genommen wurden. Vor allem um 1200 und erneutnach 1350 im Zuge der Seuchenwellen gingen von Laien, die in verschiedenenFormen von Gemeinschaften lebten, wichtige Anregungen für diespätmittelalterliche Caritas aus. Aber im Be-reich der konkreten Dienste amKrankenbett folgte dem laikaIen Impuls durchweg die Institutionalisierungspezialisierter Ordensgemeinschaften oder eine rein weltlicheSpitaladministration. Weitere Forschungen werden erweisen, ob und inwieferndie in diesem Beitrag skizzierten Entwicklungen zutreffen; dabei sindgemeinsame Anstrengungen der Beginen-, Spital- und Ordensforschungvonnöten, so dass alle pflegenden Gruppen vergleichend in den Blick genommenwerden können. Gerade in diesem Bereich fehlen die von Christina Vanjageforderten Studien, die regionale Darstellungen durch vergleichende. stärker ansystematischen Fragen orientierte Forschungen zu ergänzen vermögen.P"

133 STEIN. Akten (wie Anm. 124) 690 Z. 25fT.134 CARNIER, Derde orde (wie Anm. 120) 216.m HOTZ, Beginen (wie Anm. 64) 123.136 HOTZ, Beginen (wie Anm. 64) Zitat 115f., vgl. auch 152 und 164f.137 VANJA, Offene Fragen (wie Anm. 3) 39.

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Abb. 1: Stundenbuch Philipps des Guten, Herzog von Burgund, um 1454

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