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Otto Stolz (1881–1957) Trotz Fleiß kein Preis? Der geknickte Marschallstab 1 von Gerhard Siegl Abb. 24: Otto Stolz I. Ausbildung, politische Sozialisierung, erste Stationen „Was er im Dienste der Tiroler Geschichtswissenschaft geleistet hat, erreicht ein Aus- maß, vor dem man nur mit tiefstem Staunen stehen kann, das, schier unfaßbar in seiner Vielfalt, seiner Verzweigtheit, seinem Umfang und in der Gründlichkeit der Beherr- schung des Stoffes, ungeteilte, rückhaltlose Bewunderung einflößen muß“ 2 . Huldigende Elogen waren zu seinem 70. Geburtstag durchaus angebracht, denn Otto Stolz nahm eine führende Rolle in der Landesgeschichtsforschung ein und konnte bereits zu diesem Zeitpunkt auf das reichhaltigste Oeuvre verweisen, das ein Tiroler Historiker jemals geschaffen hatte. Vier Jahrzehnte Publikationstätigkeit ließen seinen 1 In Anlehnung an eine Formulierung in: Gerhard OBERKOFLER, Die geschichtlichen Fächer an der Philosophischen Fakultät der Universität Innsbruck 1850–1945 (Forschungen zur Innsbrucker Universitätsgeschichte 6, Innsbruck 1969) 143. 2 FS zu Ehren Hofrat Prof. Dr. Otto Stolz’ (Veröffentl. des Museum Ferdinandeum 31, Innsbruck 1951) VII–VIII.

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Otto Stolz (1881–1957) Trotz Fleiß kein Preis? Der geknickte Marschallstab1

von Gerhard Siegl

Abb. 24: Otto Stolz

I. Ausbildung, politische Sozialisierung, erste Stationen

„Was er im Dienste der Tiroler Geschichtswissenschaft geleistet hat, erreicht ein Aus-maß, vor dem man nur mit tiefstem Staunen stehen kann, das, schier unfaßbar in seiner Vielfalt, seiner Verzweigtheit, seinem Umfang und in der Gründlichkeit der Beherr-schung des Stoffes, ungeteilte, rückhaltlose Bewunderung einflößen muß“2.

Huldigende Elogen waren zu seinem 70. Geburtstag durchaus angebracht, denn Otto Stolz nahm eine führende Rolle in der Landesgeschichtsforschung ein und konnte bereits zu diesem Zeitpunkt auf das reichhaltigste Oeuvre verweisen, das ein Tiroler Historiker jemals geschaffen hatte. Vier Jahrzehnte Publikationstätigkeit ließen seinen

1 In Anlehnung an eine Formulierung in: Gerhard OberkOfler, Die geschichtlichen Fächer an der Philosophischen Fakultät der Universität Innsbruck 1850–1945 (Forschungen zur Innsbrucker Universitätsgeschichte 6, Innsbruck 1969) 143.

2 FS zu Ehren Hofrat Prof. Dr. Otto Stolz’ (Veröffentl. des Museum Ferdinandeum 31, Innsbruck 1951) VII–VIII.

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Werkkatalog auf mehrere hundert Veröffentlichungen wachsen, bis zu seinem Tod sollten es inklusive seines Nachlasses mehr als 500 werden. Diese hohe Quantität seiner Lebensarbeit führte zur Inthronisierung von Stolz als verdienstvollster Tiroler Landeshistoriker. Den großen Umfang seines Schaffens außer Frage stellend, ist eine kritische Untersuchung der Qualität seiner Werke allerdings erst in Ansätzen gesche-hen3. Neben dem Versuch, Stolz’ Bibliografie wissenschaftsgeschichtlich einzuordnen, will dieser Beitrag auch auf die berufliche Laufbahn dieses Historikers eingehen, um einerseits einige Mosaiksteine zu seiner unvollständigen Biografie hinzuzufügen, und andererseits, um den Lebenslauf eines Wissenschafters aufzuzeigen, der trotz vieler politischer Brüche zwischen Monarchie und Zweiter Republik bemerkenswert kontinuierlich verlief4.

Otto Stolz kam am 31. März 1881 in Innsbruck zur Welt. Sein Vater Otto (1842–1905) war Mathematikprofessor an der Universität Innsbruck, seine Mutter Paula, geb. Meyer (1848–1915), stammte aus einer Innsbrucker Kaufmannsfamilie. Als Mitglied einer Akademikerfamilie (sein Großvater war Mediziner und Direktor der Landesirrenanstalt in Hall i.T.) wurde Stolz die Ausbildung am Gymnasium (1891–1899) zuteil. Nach dem Abschluss mit ausgezeichnetem Erfolg absolvierte er vom 1. Oktober 1899 bis zum 30. September 1900 als Einjährig-Freiwilliger den Wehrdienst bei den Tiroler Kaiserjägern. Mit Herbst 1900 war der mit einem Staffler’schen Familienstipendium des Magistrats der Stadt Innsbruck ausgestattete Stolz an der Universität Innsbruck für die Fächer Geografie und Geschichte inskribiert5. Sein Hauptinteresse lag zunächst in der Geografie, die Universitätslehrer weckten jedoch nicht seine Begeisterung. Umso mehr taten dies die Historiker Emil von Ottenthal und Hans von Voltelini, deren Vorlesungen Stolz besuchte, weil er die Lehramtsprüfung in Geschichte und Geografie ablegen wollte. Voltelini und Ottenthal waren zugleich seine Entdecker und ersten Förderer, als sie ihn nach guten Leistungen in ihren Seminaren nach Wien empfahlen. Nach vier Semestern in Innsbruck, in denen Ottenthal (Geschichte des Mittelalters), Voltelini (Reichs- und Rechtsgeschichte), Ludwig von Pastor (Geschichte des 19. Jahrhunderts) und Franz von Wieser (Geografie, Kartografie) seine prägend-sten Lehrer waren, kam Stolz 1902 ans IÖG, wo er als ordentliches Mitglied den 25.

3 Zu nennen sind: Laurence COle, Fern von Europa? Zu den Eigentümlichkeiten Tiroler Geschichtsschreibung, in: Geschichte und Region/Storia e regione 5 (1996) 191–226; Herbert DaChs, Österreichische Geschichtswissenschaft und Anschluß 1918–1930 (Wien – Salzburg 1974) 236–239 und Josef rieDmann, Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein in Tirol vornehmlich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Ein Versuch, in: Tiroler Heimat 57 (1993) 291–304. Die Schrift von Hans kramer, Der Tiroler Historiker Otto Stolz. Probleme seiner Laufbahn, in: FS für Karl Schadelbauer zur Vollendung des 70. Lebensjahres (Veröffentl. des Innsbrucker Stadtarchivs NF 3, Innsbruck 1972) 139–147, muss als Apologie für seinen Lehrer beurteilt werden.

4 Günter fellner, Die österreichischen Geschichtswissenschaft vom „Anschluß“ zum Wiederaufbau, in: Kontinuität und Bruch 1938–1945–1955. Beiträge zur österreichischen Kultur- und Wissenschaftsgeschichte, hg. v. Friedrich staDler (Wien – München 1988) 135–155, hier 151, macht trotz der Brüche von 1918, 1938, 1945 und 1955 auf die personelle Homogenität in Verbindung mit weitgehender methodischer und thematischer Kontinuität der österreichischen Historiker aufmerk-sam.

5 UAI, Inskriptionsblätter WS 1900/1901 bis SS 1902.

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Ausbildungskurs (1903–1905) absolvierte. Am 9. Mai 1905 promovierte Stolz mit der Arbeit „Das mittelalterliche Zollwesen Tirols“, die er gleichzeitig als Hausarbeit am IÖG einreichte. Am 10. Juni 1905 bestand er die Staatsprüfung mit ausgezeichnetem Erfolg6. Neben Alfons Dopsch beeinflusste der aus Innsbruck stammende Oswald Redlich Stolz’ Ausbildung und spätere Karriere maßgebend7.

Die Monate nach seiner Promotion verliefen für Stolz turbulent. Zunächst trat er, was er im Übrigen in allen Lebensläufen verschwiegen hatte, noch im Jahr 1905 erstmals ins Statthaltereiarchiv Innsbruck als Praktikant ein. Stolz’ ehemaliger Lehrer und nun-mehriger väterlicher Freund und Mentor (Stolz’ Vater starb am 22. November 1905), Oswald Redlich, empfahl ihm, ins Archiv zu gehen. Als Stolz bei der Beförderung vom Praktikanten zum Konzipisten von Archivdirektor Michael Mayr (Archivleitung 1897–1919) nicht berücksichtigt wurde, riet ihm Redlich, auszuharren. Entgegen der Empfehlung seines Professors kündigte Stolz jedoch seine Stelle. In der Folge zeigte sich die enge Lehrer-Schüler-Beziehung zwischen Stolz und seinen Tiroler Lehrern Redlich (seit 1893 in Wien, 1919–1938 Präsident der ÖAW), Ottenthal (seit 1903 in Wien, 1903–1926 Vorstand des IÖG) und Voltelini (1908–1934 Univ. Prof. in Wien) als überaus bedeutsam. Von Wien aus versuchten sie, Stolz’ Karriere voranzutreiben. Schon im November 1905 bot ihm Redlich die Alternative, beim Historischen Atlas der österreichischen Alpenländer circa zwei Stunden täglich für 75 Kronen im Monat mitzuarbeiten. Ottenthal kam seinerseits mit dem Vorschlag, die von ihm für die Regesta Imperii begonnenen Regesten der Ottonen fortzusetzen. Stolz favorisierte jedoch die Arbeit am Atlaswerk und wurde formell zum Mitarbeiter für die Tiroler Teile ernannt8. Die folgenden fünf Jahre arbeitete er als Mitarbeiter der Akademie der Wissenschaften für den von Eduard Richter begründeten Atlas. Seine Aufgabe war es, die Entstehung der Landgerichte kartografisch darzustellen und in den „Erläuterungen“ schriftlich zu erfassen9. Da Stolz diese geringfügige Beschäftigung nicht auslastete, offerierte Ottenthal im Jahr 1906 die Arbeit an den Regesten Ludwigs des Bayern. Stolz erhielt aber ein Staatsstipendium als Mitglied des Österreichischen Historischen Instituts in Rom und war 1906/1907 in italienischen Archiven in Rom und Venedig tätig. 1907 konnte ihm Redlich eine Stelle im Statthaltereiarchiv in Wien anbieten. Redlich argumentierte, Stolz könne zwar auch in Innsbruck am Atlaswerk arbeiten, aber

6 Zu Stolz am IÖG vgl. Leo santifaller, Das Institut für österreichische Geschichtsforschung. Festgabe zur Feier des zweihundertjährigen Bestandes des Wien Haus-, Hof- und Staatsarchivs (Veröffentl. des IÖG 11, Wien 1950) 127; Alphons lhOtsky, Geschichte des Instituts für öster-reichische Geschichtsforschung 1854–1954 (MIÖG Erg.-Bd. 17, Graz/Köln 1954) 344f. Unter sei-nen Kurskollegen befanden sich Vinzenz Samanek und Theodor Mayer. Die Dissertation wurde ge-druckt als Otto stOlz, Das mittelalterliche Zollwesen Tirols bis zur Erwerbung des Landes durch die Herzoge von Österreich (1363), in: AÖG 97 (1909) 539–806. Siehe zuletzt Fritz fellner, Doris A. COrraDini, Österreichische Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert. Ein biographisch-bibliogra-phisches Lexikon (VKGÖ 99, Wien/Köln/Weimar 2006) 399.

7 Zu Dopsch und Ottenthal vgl. die Beiträge in diesem Band.8 TLA, NL Otto Stolz, Kt. 15, Mappe L–R, Redlich an Stolz am 18.11.1905.9 Erläuterungen zum Historischen Atlas der österreichischen Alpenländer, I. Abt.: Die Landgerichtskarte,

3. Teil: Tirol und Vorarlberg (Wien 1910) 37–94.

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sein Auskommen wäre nur „leidlich“ gewesen, während er in Wien besser verdienen hätte können10. Stolz blieb in Innsbruck, aber die Bemühungen von Redlich, Voltelini und Ottenthal waren in diesen Jahren die Initialzündung für seine wissenschaftliche Karriere, denn Stolz hatte sich mit der Lehramtsprüfung für Geschichte und Geografie im Jahr 1906 nach seinem anfänglichen Scheitern im Archiv bereits für eine Laufbahn als Mittelschullehrer vorbereitet. Redlich schrieb im November 1905 an Stolz: Sie dürfen überzeugt sein, daß wir alle [Redlich, Voltelini, Ottenthal] aufrichtig wünschen und dahin wirken wollen, daß Sie der wissenschaftlichen Laufbahn erhalten werden. Es wird und muß sich da ein Weg für Sie finden11.

Der Beginn dieses Weges war die Arbeit am Historischen Atlas der österreichischen Alpenländer. In diesem Rahmen veröffentlichte Stolz seine wichtigsten wissenschaftli-chen Werke vor dem Ersten Weltkrieg. Neben diesen ersten Erfahrungen als Historiker positionierte sich Stolz noch vor seiner langen Kriegsgefangenschaft (1915–1920) in al-len Bereichen, in denen er nach 1920 eine starke Publikationstätigkeit entwickelte: Auf wissenschaftlicher Ebene waren dies die mittelalterliche Verkehrs- und Zollgeschichte, die Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, die Wirtschaftsgeschichte sowie die Archiv- und Quellenkunde. Neben einigen Bemühungen in der österreichischen Geschichte und gelegentlichen Ausflügen in die Geschichte der Nachbarländer hielt sich Stolz regional zumeist bei der Tiroler Landesgeschichte auf, die er – epochen-übergreifend von der Urgeschichte bis in die Gegenwart – in historisch-geografischen Landes-, Regions-, Talschafts- und Ortsbeschreibungen behandelte.

Ebenfalls vor 1914 begann seine Tätigkeit als Publizist für Zeitschriften und Zeitungen, die außerhalb des wissenschaftlichen Spektrums standen. Stolz förderte damit jene Publikationsforen, die seine politischen und sportlichen Interessen ver-breiteten. Er schrieb beispielsweise zahlreiche Artikel für die Zeitung „Alpenland“, die der Großdeutschen Volkspartei12 als „amtliches Organ“ diente, er hielt Reden für den Andreas-Hofer-Bund (den er auch finanziell unterstützte), den Innsbrucker Turnverein und verschiedene alpinistische Vereine, allesamt Organisationen, die Träger und Verbreiter von großdeutschem, deutschvölkischem und antisemitischem Ideengut waren.

Als „eifriger Alpinist“13 war Stolz bei mehreren Bergsteigergesellschaften Mitglied. Noch als Schüler gründete er mit Freunden im Jahr 1896 die Bergsteigergesellschaft „Edelweiß“, 1903 erlangte er die Mitgliedschaft beim Akademischen Alpenklub Innsbruck (gegründet 1893) mit „freiheitlich-völkischer Grundauffassung“14, ab 1909 bekleidete er eine Funktion im Ausschuss der Sektion Innsbruck des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins. Nach dem tödlichen Absturz seines älteren Bruders Friedrich am Kaunergrat im Jahr 1899 nahm der junge Stolz das Risiko aus sei-

10 TLA, NL Otto Stolz, Kt. 15, Mappe L–R, Redlich an Stolz am 28.09.1907.11 Ebd. Redlich an Stolz am 18.11.1905.12 Stolz war seit 1920 Mitglied der Großdeutschen Volkspartei.13 August lOehr, Otto Stolz. Nachruf, in: Almanach der ÖAW 108 (1958) 356.14 Otto stOlz, Deutsches Bergsteigertum. Festrede gehalten beim 30. Stiftungsfest des Akademischen

Alpenklubs am 29. Juni 1923, in: Alpenland (21.07.1923) 1–2 und Alpenland (28.07.1923) 1–2.

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nen Bergtouren, dehnte aber im Gegenzug seine Wanderungen auf ganz Tirol aus15. In zahlreichen Veröffentlichungen für alpinistische Organisationen beschrieb er die Faszination des Bergsteigens und erweiterte den Blickwinkel einerseits um geografi-sche und historische Zugänge, verknüpfte aber andererseits den Bergsport mit den ideo-logischen Vorstellungen des großdeutschen und deutschvölkischen Gesinnungskreises. Stolz bezeichnete den Alpinismus als „völkische Kulturmacht“ und als „deutschvölki-sches Gemeingut“16, zudem war er ein Anhänger des „Turnvaters“ Friedrich Ludwig Jahn, dem er „zum großen Teile“ die Rettung des Gedankens der „unverlierbaren Einheit des deutschen Volkes“ zuschrieb17. Er führte weiter aus, dass das „deutsche Volkstum […] das Wesen des Landes Tirol“ ausmache und dass die deutschvölkische Gesinnung nichts anderes sei „als die Folgerung einer tausendjährigen Geschichte“18. Seit 1913 publizierte Stolz immer wieder für den Innsbrucker Turnverein. Indem er sich deutlich gegen die Mitgliedschaft von Juden in den Turnvereinen aussprach, trug er die deutschvölkischen und antisemitischen Ressentiments der Deutschen Turnerschaft voll mit. Er war der Meinung, „das immer weitergehende Überwuchern des Judentums“ übe „schädliche Einflüsse“ aus, und das Breitmachen der Juden in den Turnvereinen trage „merkbar zur Verflachung der alten Jahnschen Grundsätze bei“, was folglich „die grundsätzliche Fernhaltung aller jüdischen Einflüsse als Gebot erscheinen“ lasse19. Der 1889 in Wien gegründete Deutsche Turnerbund führte be-reits den Arierparagrafen in den Statuten. Da Stolz für den für die Mittelmächte ne-gativen Ausgang des Ersten Weltkrieges die Juden verantwortlich machte, sah er auch eine „Berechtigung“ der Turnverbände für ihr antisemitisches Vorgehen und die Einführung des Arierparagrafen: „Der Jude hat eben kein Gefühl für die wahren Lebensnotwendigkeiten arischer Völker, wenn nur sein eigener Vorteil und seine eigene Macht gefördert werden kann“20.

Nach seiner Rückkehr aus den römischen und venezianischen Archiven gelang Stolz der Wiedereintritt in das Innsbrucker Statthaltereiarchiv. Mit 16. April 1908 wurde er Praktikant und stieg nach seiner Habilitation für das Fach Österreichische Geschichte bei Hermann Wopfner im Jahr 1912 zum Konzipisten auf. Damit war auch seine wirtschaftliche Stellung abgesichert, nachdem er die Jahre zuvor von Teilzeitbeschäftigungen, Stipendien und dem niedrigen Praktikantengehalt leben musste. Stolz machte sich einen Namen als Spezialist für Tiroler Landesgeschichte und als profunder Kenner der Quellenlage. Seine Lehrer in Wien waren damit aber noch nicht zufrieden und rieten Stolz 1912, über den Tiroler Tellerrand hinauszu-

15 Otto stOlz, Abstammung und äußerer Lebensgang, in: Österreichische Geschichtswissenschaft der Gegenwart in Selbstdarstellungen 1, hg. v. Nikolaus Grass (Schlern-Schriften 68, Innsbruck 1950) 89–118, hier 94.

16 Otto stOlz, Alpinismus und Alpenverein in ihrer völkischen Bedeutung, in: Alpenland (Abendblatt), 10.05.1922.

17 Otto stOlz, Der deutschvölkische Gedanke und das Turnwesen in Tirol, in: FS aus Anlaß des 70. Gründungsfestes des Innsbrucker Turnvereines 1849/1863–1933 (Innsbruck 1933) 9–18, hier 9.

18 Ebd. 9.19 Ebd. 15.20 Ebd. 18.

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blicken, da es für Ihre weitere Karriere unbedingt wichtig ist, dass Sie sich nicht in tirolischer Geschichte vergraben21. Vielleicht hatte Stolz diese mahnenden Worte im Ohr, als er seine letzte Arbeit vor dem Ersten Weltkrieg schrieb, gleichzeitig eine der wenigen ohne direkten Tirol-Bezug mit dem Titel „Ein venetianisch-böhmisch-bel-gisches Verkehrsprojekt Kaiser Karl IV.“ (sic)22, der Krieg bedeutete jedenfalls eine Unterbrechung seiner Karriere.

Stolz rückte am 2. August 1914 beim Tiroler Landsturmregiment Nr. II zum Kriegsdienst ein, diente in Galizien und geriet 1915 in russische und japanische Kriegsgefangenschaft, aus der er erst 1920 entlassen wurde. Die Rückkehr erfolgte über Wladiwostok per Seereise23. Bei der Beurteilung der Kriegsschuld zeigte sich Stolz als Antisemit und als Gegner des Marxismus: Der Krieg war ein dem deutschen Volk aufgezwungener, der ganz im Sinn der Dolchstoßlegende von den „jüdischen Führer[n] des Marxismus“ durch die Auflösung der Armee und Aufruhr im Hinterland beendet wurde, um daraus den Vorteil des Besitzes der neuen Staatsgewalt an sich zu ziehen24. Die Heimkehr im September 1920 muss für Stolz in vielerlei Hinsicht schmerzhaft gewesen sein: Seine Mutter war 1915 verstorben und seine Schwester Wilhelmine folgte ihr erst 34-jährig als Patientin der Landesheilanstalt für Geisteskranke im Jahr 1918. Nicht nur familiär, auch politisch hatte er sich an neue Gegebenheiten anzu-passen. Die großen mitteleuropäischen Monarchien waren verschwunden, an Stelle des Habsburgerreiches waren demokratische Nachfolgestaaten entstanden. Die Republik Österreich sollte sich nach Meinung führender Akademiker so rasch wie möglich Deutschland anschließen, auch Stolz glaubte nicht an die Lebensfähigkeit Österreichs25. An der Universität Innsbruck entstand eine „bedeutende Keimzelle der Anschlußbewegung“26, die bei der von der großdeutschen Zeitung „Alpenland“ heraus-gegebenen Schrift „Tirol fordert den Anschluß“ (1921) mitwirkte. Neben Politikern, Journalisten und Innsbrucker Wissenschaftern wie dem Historiker Harold Steinacker, dem Soziologen Karl Lamp oder dem Volkskundler Adolf Helbok lieferte auch Stolz einen Beitrag mit dem Titel „Liegt der Anschluß Tirols an Deutschland im Sinne seiner Geschichte?“ ab, in dem er „die deutsche Abstammung und Volkszugehörigkeit der Bevölkerung Tirols“ auf Grund der Besiedlung des Landes durch den „germanischen Stamm der Bajuvaren“ erörterte und Tirol als „ein lebendiges Glied des deutschen

21 TLA, NL Otto Stolz, Kt. 15, Mappe L–R, Ottenthal an Stolz am 30.05.1912.22 In: MVGDB 52 (1914) 413–422.23 Seine Kriegserlebnisse verarbeitete er in: Otto stOlz, Das Tiroler Landsturmregiment Nr. II im

Kriege 1914–15 in Galizien, in: Veröffentl. des Museum Ferdinandeum 18 (1938) 129–223.24 stOlz, Turnwesen (wie Anm. 17) 18.25 Stolz legte ein Bekenntnis zum „großdeutschen Gedanken“ ab: „Der deutsche Stamm in Österreich

kann nichts anderes tun, als seiner eigentlichen Geschichte getreu, dorthin, im engen Anschlusse an Deutschland, seine Zukunft suchen. Der großdeutsche Gedanke mußte sich durchringen und läu-tern zum nur- und reindeutschen Gedanken, dessen Bahnbrecher in Österreich bekanntlich Georg v. Schönerer gewesen ist“, in: Otto stOlz, Der großdeutsche Gedanke in Tirol im Jahre 1848, in: Alpenland 3. Juni 1926 (Zeitungsausschnitt in der Bibliothek des TLA, Sign. 23.059).

26 COle, Eigentümlichkeiten (wie Anm. 3) 196.

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Gesamtvolkes“ bezeichnete27. Dass Stolz nach kurzen Ausflügen in die Verfassungs-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte zu dem Schluss kam, der Anschluss Tirols an Deutschland liege „durchaus im Sinne des besten Teiles seiner Geschichte“28, ist bei Kenntnis seiner großdeutschen Gesinnung keine Überraschung. Abgesehen von seinem neuerlichen Bekenntnis zum deutschvölkischen Gedanken blieb er aber im Vergleich zu den Beiträgen seiner Kollegen in seiner Wortwahl weitgehend unpathe-tisch. Der Wunsch nach dem Anschluss an Deutschland war nicht nur im Lager der Akademiker, sondern bei der gesamten Tiroler Bevölkerung weit verbreitet: Bei der Volksabstimmung vom 24. April 1921 forderten 98,53 Prozent der Tiroler (bei 147.471 abgegebenen Stimmen und einer Wahlbeteiligung von geschätzten 87 bis 92 Prozent29) den Anschluss, der bekannterweise nicht vollzogen wurde. Anlässlich eines Vortrages im Rahmen der Hauptversammlung des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins am 29. August 1925 mit dem Titel: „Tirol als deutsche Südmark“ sagte Stolz: Und wenn auch die damalige Abstimmung noch nicht in Wirklichkeit umgesetzt werden konnte, das grundlegende Gefühl ist nach wie vor dasselbe und wird nicht aufhören zu wirken, bis es an seinem Ziele angelangt ist. So wendet sich die alte Grenzmark Tirol, die so lange abwehrbereit vor dem großen Mutterlande [Deutschland] gehalten, in ihrem schwersten Schicksale an dieses um Teilnahme und Hilfe30. Eine Radikalisierung der Anschlusshaltung war unverkennbar. Stolz’ Aussage über den Kleinstaat Österreich, wie er erst seit Ende 1918 besteht – soferne er selbständig bleiben und sich nicht an das Deutsche Reich anschliessen will31 war in diesem Zusammenhang folgerichtig, überraschend ist jedoch das Datum: Dezember 1945. Stolz erwies sich als unbelehr-barer Großdeutscher, für den nach der Tragödie des Hitlerregimes der Anschluss an Deutschland noch immer ein Thema war.

II. Otto Stolz und Südtirol

Als fait accompli musste Stolz nach seiner Rückkehr aus der langen Kriegsgefangen-schaft die Abtrennung der südlich des Brenners gelegenen Teile Tirols hinnehmen. Bei den Friedensverhandlungen von Saint-Germain-en-Laye 1919 waren diese Italien zugeschlagen worden. Diese Entscheidung der Siegermächte schuf die „Südtirolfrage“,

27 Otto stOlz, Liegt der Anschluß Tirols an Deutschland im Sinne seiner Geschichte?, in: Tirol fordert den Anschluß!, hg. v. „Alpenland“ (Innsbruck 1921) 38–44, hier 38. Zu Steinacker und Helbok vgl. die Beiträge in diesem Band.

28 Ebd. 44.29 Amtliches Wahlergebnis zitiert nach: Franz Jenewein, Die Tiroler Volksabstimmung über den

Anschlußwillen an das Deutsche Reich am 24. April 1921 im Spiegel der europäischen Diplomatie und unter Berücksichtigung der Tiroler Tageszeitungen (Diplomarbeit Innsbruck 1990) 130–132.

30 TLA, NL Otto Stolz, Kt. 5, Mappe 4, Rede vom 29.08.1925 und Otto stOlz, Tirol als deutsche Südmark, in: Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins NF 41 (1925) 208–210, hier 209.

31 TLA, NL Otto Stolz, Kt. 11, Mappe 5, Gutachten XVI „Die geschichtl. Beziehungen Tirols zu Frankreich“ vom 19.12.1945.

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die von italienischer und österreichischer Seite leidenschaftlich aufgegriffen wurde. Wissenschafter beider Länder versuchten, ihre „geschichtlichen Ansprüche“ auf die betreffenden Regionen durchzusetzen. Von den Historikern war Stolz neben Wopfner der wichtigste Vertreter der österreichischen Sichtweise, die das Vorgehen Italiens scharf verurteilte. Stolz sprach von der „Feindmacht Italien“, die Südtirol, dieses wahre „Schmerzenskind Germanias“32, entgegen dem Selbstbestimmungsrecht der Völker33 zugesprochen bekam. Er bediente sich aller publizistischen Mittel, um die Wiedervereinigung Südtirols, das von seinem Muttergebiete mit gewaltsamer Hand und frecher Willkür abgerissen worden ist34, mit Nordtirol zu erreichen. In Vorträgen, Zeitungsartikeln und Aufsätzen betrieb er die geschichtswissenschaftliche Verteidi-gung der alten Landeseinheit Tirols und der noch älteren deutschen Wesenheit von Südtirol35, der sich neben Historikern auch Volkskundler, Geographen sowie Sied-lungs- und Sprachforscher widmeten. In der Auseinandersetzung ging es vor allem um die Datierung der „Germanisierung“ Südtirols, aus der sich je nach Interpretati-onslage Gebietsansprüche zu Gunsten Italiens oder Österreichs bzw. Deutschlands ableiten ließen. Die deutschsprachigen Wissenschafter stemmten sich gegen die von italienischer Seite vertretene Position, dass Südtirol im Wesen romanisch sei, aber im Zuge der Völkerwanderung von Germanen besiedelt worden war, die in festen Sied-lungskernen gelebt hätten36. Die deutschen „Einsprengsel“ wären jedoch im Laufe der Zeit re-romanisiert worden, wenn nicht die österreichische Herrschaft diesen Prozess gewaltsam unterbrochen und die „volle Germanisierung“ der im Grunde italienischen Regionen vorangetrieben hätte. Das „deutsche Gepräge“ sei nur eine oberflächliche, von Österreich herbeigeführte Erscheinung gewesen, und da Österreich 1918 seine Großmachtstellung verloren hatte, wäre es das Recht Italiens, den natürlichen Gang der Dinge durch scharfe Maßnahmen wiederherzustellen37. Die Brennergrenze sei die natürliche Grenze Italiens, da Etsch und Eisack in die Adria entwässerten. Außerdem, so die Argumentation der italienischen Wissenschafter, sei die ladinische Sprache

32 stOlz, Südmark (wie Anm. 30) 210.33 Der amerikanische Präsident Woodrow Wilson proklamierte am 08.01.1918 ein 14-Punkte-Programm

als Teil seiner Friedenspolitik, die unter anderem die Festsetzung der italienischen Grenze nach dem nationalen Prinzip vorsah.

34 TLA, NL Otto Stolz, Kt. 7, Mappe 8, aus dem Manuskript zu einer Rede 1933.35 Ebd. Kt. 16, Mappe H, Stolz an Hofmann am 06.05.1932.36 Stolz richtete seine Kritik in erster Linie gegen den Sprachwissenschafter Carlo Battisti aus Florenz

und gegen Ettore Tolomei, den Begründer der Zeitschrift „Archivio per l’Alto Adige“, über den er ur-teilte: Vor dem Kriege in deutschen Kreisen als Phantast kaum ernst genommen, ist er nach 1918 die Seele und der leitende Geist aller Bestrebungen geworden, welche die italienische Staatsgewalt zur rücksichtslosen Bekämpfung und Ausrottung des Deutschtums in Südtirol veranlassen und gebrau-chen wollen. siehe Otto stOlz, Die Ausbreitung des Deutschtums in Südtirol im Lichte der Urkunden 1–4, hg. vom Institut für Sozialforschung in den Alpenländern an der Universität Innsbruck und der Stiftung für deutsche Volks- und Kulturbodenforschung Leipzig (München – Berlin 1927–1934), hier 1, Einleitung und Geschichte der deutsch-italienischen Sprachen-, Völker- und Staatenscheide im Etschtale 3.

37 TLA, NL Otto Stolz, Kt. 7, Mappe 8, Vortrag vom Mai 1933, und stOlz, Ausbreitung des Deutschtums (wie Anm. 36) 5f.

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nichts anderes als ein italienischer Dialekt und die Ladiner daher eindeutig Italiener. Stolz begegnete diesen Aussagen mit Verweisen auf die gemeinsame Besiedlungs-, Wirtschafts-, Kultur- und politische (Verfassungs-) Geschichte von Nord- und Süd-tirol. Im Mittelpunkt seiner als „weitgehend sachlich“ bezeichneten Kontroverse mit Carlo Battisti stand die Orts- und Hofnamenforschung. Auf der Basis von empirisch erhobenen Daten sah Battisti eine bedeutende deutsche Einwanderung in Südtirol erst im 12. Jahrhundert. Bis ins 16. Jahrhundert sei Südtirol wegen der weiten Verbreitung des Ladinischen als gemischtsprachig zu bezeichnen. Die deutsche Sprache habe laut Battisti erst vom 14. bis ins 16. Jahrhundert das Ladinische überlagert, woraus er die These ableitete, die deutschen Siedler wären Eindringlinge in ursprünglich romanisch besiedelte Gebiete gewesen38. Stolz hingegen wollte den Germanisierungsprozess Südtirols bereits im 11. Jahrhundert abgeschlossen wissen. Die in späterer Zeit noch weit verbreiteten ladinischen Flur- und Hofnamen führte er darauf zurück, dass die germanischen Einwanderer die bestehenden Namen von den Ladinern übernommen hätten, ohne jedoch selbst den Ladinern anzugehören. Erst als die Besiedlungsdich-te über die romanische hinausging, wären deutsche Bezeichnungen hervorgebracht worden39. Mit Blick auf die Entwicklung nach 1919 klagte Stolz, dass die deutsche Eigenart der Südtiroler durch das Verbot der deutschen Sprache nicht gewahrt würde, weil Italien das Land durch härteste, in der Geschichte bisher unerhörte Massnahmen seiner angestammten deutschen Muttersprache und Väterart berauben wolle40. In einem Lehrbuch für Bergführer legte Stolz den Alpinisten eine extrem revisionistische Geschichtsinterpretation nahe („Wir deutsche Bergsteiger haben auf Südtirol noch nicht verzichtet“) und schürte die Abneigung gegen die italienische Staatsgewalt in Südtirol („So ist Deutsch-Südtirol der Herrschaft Italiens, seines alten Feindes, ausgeliefert worden […]“)41. Südtirol dürfe laut Stolz kein zweites Elsass werden. Im Ausdruck verzweifelter Leidenschaft agitierte er: In diesem Gebiete [Deutsch-Südtirol] betreibt Italien, um seine innerlich dort haltlose Herrschaft einigermassen zu befestigen, seit 1918 und insbesondere seit 1923 eine Politik nationaler Unterdrückung und Entkräf-tung, gewaltsamer Ertötung des angestammten nationalen Gefühles, wie sie kaum irgendwo auf der Welt jemals zu irgend einer Zeit ausgeübt worden ist42. So wenig sich solche Aussagen für die Wissenschaft eigneten, für politische Zwecke ließen sie sich prächtig verwerten. Insofern können Stolz’ Südtirol-Publikationen nach 1920, egal ob offenkundig parteiisch oder in wissenschaftlicher Aufmachung, nur vor dem Hintergrund der „Südtirolfrage“ erörtert werden. Selbst in seinem größten Werk, der

38 Zum Konflikt Stolz – Battisti siehe im Detail Gisela framke, Im Kampf um Südtirol. Ettore Tolomei (1865–1952) und das ‚Archivio per l’Alto Adige’ (Bibliothek des deutschen historischen Instituts in Rom 67, Tübingen 1987) 266–283.

39 stOlz, Ausbreitung des Deutschtums 3 (I. Teil) (wie Anm. 36) 52–53 und 139–142.40 TLA, NL Otto Stolz, Kt. 7, Mappe 8.41 Otto stOlz, Das Schicksal von Deutsch-Südtirol, in: Lehrbuch für Bergführer in den Ostalpen, hg.

v. Hauptausschuß des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins (Innsbruck 1930) 59–63. Die revisionistischen und polemischen Äußerungen gegenüber Italien reihen sich in diesem Aufsatz an-einander.

42 TLA, NL Otto Stolz, Kt. 7, Mappe 8.

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vierbändigen, fast 1700 Seiten umfassenden Darstellung „Ausbreitung des Deutsch-tums in Südtirol im Lichte der Urkunden“43 polemisierte Stolz: „Die Italiener haben heute offenbar gar nicht die Absicht, sich mit der Geschichte des Deutschtums in Südtirol sachlich und in wissenschaftlichem Ernst zu befassen. […] So verlegen sie sich lieber aufs dreiste Behaupten […]. […] Fast scheint es unmöglich, den Italienern die wissenschaftliche Haltlosigkeit dieser geschichtlichen Vorstellungen begreiflich zu machen“44. Stolz’ Zielsetzung dieser vier Bände war „die geschichtliche Verteidi-gung der deutschen Eigenart Südtirols“, die in erster Linie durch „die Ausbreitung der deutschen Sprache als der auffallendsten und stärksten Trägerin der deutschen Volks-art“45 festgestellt werden sollte. Die politische Tragweite seines Vorhabens war ihm durchaus bewusst, als er eingestand, dass der Anlass zu seiner Arbeit „letzten Endes in der Absicht [lag], die unwahren Behauptungen der Italiener über die geschichtli-che Stellung des Deutschtums in Südtirol zurückzuweisen“46. Um das Stigma eines politischen „Machwerks“ abzuschütteln, betonte er deshalb ausdrücklich, im Sinne der Wissenschaftlichkeit das gesamte ihm zur Verfügung stehende Quellenmaterial eingesehen zu haben, ohne eine Auswahl zu treffen oder eine Gewichtung vorzuneh-men47. Die Rezensionen zu seinem Werk, die Stolz eifrig in Mappen sammelte, waren durchwegs positiv48. Um auf die Vehemenz der mit breiter Öffentlichkeitswirkung diskutierten „Südtirolfrage“ hinzuweisen, sei an die sprachgewaltige Besprechung von Heinrich von Srbik stellvertretend für viele ähnlich lautende erinnert49. Die reiche Publikations- und Vortragstätigkeit von Stolz zur Südtirolfrage führte zu Anfragen aus dem deutschsprachigen Raum und vereinzelt sogar aus dem Ausland. Das kuriose

43 stOlz, Ausbreitung des Deutschtums (wie Anm. 36). framke, Kampf um Südtirol (wie Anm. 38) 267, spricht von diesem Werk als seinem „vielleicht bedeutendsten“.

44 stOlz, Ausbreitung des Deutschtums (wie Anm. 36) 5–6.45 Ebd. 8.46 Ebd. 10.47 Ebd. 11.48 Italienischsprachige Rezensionen sammelte er nicht, aber Ettore Tolomei führte in seinen Memoiren

aus, Stolz’ „Ausbreitung des Deutschtums“ sei „wirr“, zudem habe Stolz bewusst Urkundenmaterial unterschlagen. Zitiert nach framke, Kampf um Südtirol (wie Anm. 38) 264, Anm. 189.

49 TLA, NL Otto Stolz, Kt. 11, Mappe 2, ebd. Heinrich Ritter von srbik, Rezension zu stOlz, Ausbreitung des Deutschtums (wie Anm. 36) in: Deutsche Literaturzeitung, Heft 1 (1928) 50–54, u. a.: „Dem deut-schen Volke stehen keine materiellen Waffen für die Verteidigung des Volksbodens Deutschsüdtirols gegen das unmenschliche Bedrückungssystem Italiens zur Verfügung, und politische Waffen kön-nen zurzeit in wirksamer Weise kaum gebraucht werden; aber ein Weg des Ringens um nationale Selbstbestimmung, ein Mittel von langsamer, doch unüberwindlicher Sieghaftigkeit gegen die un-erhörteste Gewalt, gegen den Bruch von Versprechen, gegen die Verfälschung der Geschichte kann den Verteidigern des natürlichen und geschichtlichen Rechtes nicht entrungen werden: die ernste, deutsche wissenschaftliche Forscherarbeit, die der Brutalität fremdnationalen Eroberungsdranges die Maske der Wissenschaftlichkeit vom Antlitz reißt. Sie zeigt an der Hand der unbestreitbaren objek-tiven Quellen und der subjektiven Zeugnisse deutschen Sprach- und Volksbewußtseins, wie unwahr die italienische Behauptung von der bloßen schwarmweisen Niederlassung der Deutschen in Südtirol und der künstlichen Germanisierung des Landes durch die österreichische Herrschaft ist.“

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Angebot aus den USA, einen Artikel mit dem Titel „Südtirol um 1492“ zu verfassen, belegt die weiträumige Wirkung seiner Tätigkeit50.

In seiner Rolle als starker Proponent für die Wiedervereinigung Tirols spürte Stolz infolge des österreichisch-italienischen Konflikts auch negative Auswirkungen für seine wissenschaftliche Arbeit. Die Sensibilität der Südtirol-Thematik begegnete Stolz beispielsweise, als es darum ging, für eine Edition von Südtiroler Urkunden Fotografien anzufertigen. Die Befürchtung, Italien könnte dieses Vorhaben verhin-dern, veranlasste ihn, die Urkunden heimlich fotografieren zu lassen, da er wegen seiner literarischen Tätigkeit auf einer „Liste der Unerwünschten“ [Personen] stand (ebenso wie Franz Huter) und die Brennergrenze nicht mehr passieren konnte. Dieses Einreiseverbot dürfte auch noch nach 1945 aufrecht gewesen sein, denn Stolz mus-ste aus diesem Grund 1951 einen Vortrag in Meran absagen. Sein Eintreten für die Reunion Tirols verhinderte auch die Veröffentlichung des Beitrages „Schulwesen und Wissenschaft in Südtirol als geschichtliche Zeugen der deutschen Zugehörigkeit des Landes“ für eine internationale historische Bibliografie im Auftrag des wissenschaft-lichen Komitees des Völkerbundes, weil Italien drohte, aus dem Projekt auszusteigen, wenn dieser Aufsatz in die Bibliografie käme51. Zur Vermeidung von außenpolitischen Komplikationen wurde im Juli 1938 auch ein Artikel von Stolz zur Südtirolfrage von der Volksdeutschen Mittelstelle beschlagnahmt52.

Die Besetzung Österreichs im März 1938 versprach anfangs eine Lösung der „Südtirolfrage“, denn weite, auch akademische Kreise sahen den „Anschluss“ als Voraussetzung für die Wiedervereinigung Tirols. Hitlers Südtirolpolitik hatte Stolz aber schon lange vor der „Achse Rom-Berlin“ (1936) und dem Hitler-Mussolini-Abkommen (1939) wegen des „Verrates“ an Südtirol missbilligt53. Er äußerte sich in einer 1930 gehaltenen Rede eindeutig ablehnend gegenüber Hitlers Strategie und lehnte die Abfindung oder gar Akzeptanz der italienischen Herrschaft in Südtirol, sei es auch nur vorübergehend, als Schwächung der Verhandlungsposition kategorisch ab54. Ein Publikationsverbot zum Thema Südtirol, wie es Hitler vor seiner Italienreise im Mai 1938 erließ, musste diametral gegen Stolz’ Interessen laufen. Mit seiner starren Haltung begab sich Stolz in Opposition zu den „nationalen Eliten“ Tirols, die Hitlers Südtirolverzichtspolitik in den 30er Jahren teilweise akzeptierten55. Folgerichtig war

50 TLA, NL Otto Stolz, Kt. 16, Mappe 10 „Mumelter“.51 Ebd. Mappe H.52 Michael fahlbusCh, Wissenschaft im Dienst der nationalsozialistischen Politik? Die „Volksdeutschen

Forschungsgemeinschaften“ von 1931–1945 (Baden-Baden 1999) 348, Anm. 730.53 Zum Thema „Verrat an Südtirol“ siehe Rolf steininGer, Südtirol im 20. Jahrhundert. Vom Leben und

Überleben einer Minderheit (Innsbruck – Wien 1997) 139–144; zum Hitler-Mussolini-Abkommen ebd. 158–162. Hitlers Taktik war es, die „Südtirolfrage“ stillzulegen, um die Voraussetzung für ein Bündnis mit Italien zu schaffen. Laut Hitler sollte Italien keine Verlegenheit bereitet werden. Erst nach dem Eingehen eines Paktes könnte wieder über Südtirol verhandelt werden.

54 TLA, NL Otto Stolz, Kt. 9, Mappe 14, Rede von Stolz am 19.11.1930 zum Thema: „Über die weitere Haltung der Nordtiroler in der Südtirolerfrage“.

55 Michael Gehler, Der Hitler-Mythos in den „nationalen“ Eliten Tirols, dargestellt an Hand ausge-wählter Biographien am Beispiel der Südtirolfrage und Umsiedlung, in: Geschichte und Gegenwart 9 (1990) 279–315, hier 307.

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Stolz dann auch gegen die Umsiedlung der Südtiroler ins Deutsche Reich bzw. in besetzte Gebiete im Rahmen der „Option“56. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Südtirolfrage erneut virulent, aber schon 1946 entschieden die Siegermächte, dass die deutsche Minderheit bei Italien verbleiben sollte. Die Inkorporation Südtirols in das Staatsgebiet Italiens anerkannte Stolz zwar als Faktum, in seiner „Geschichte des Landes Tirol“ (1955), unterließ er es aber nicht, gegen die alte „Feindmacht Italien“ und seine alten wissenschaftlichen Gegner Tolomei und Battisti erneut zu polemisieren57.

III. Otto Stolz im Archiv, an der Universität und an sonstigen Einrichtungen

Am TLA war Stolz auch während seiner Abwesenheit zwischen 1914 und 1920 nach der Dienstpragmatik vorgerückt und wurde im Jahr seiner Rückkehr zum Staatsarchivar ernannt. Nach der Pensionierung des seit 1919 amtierenden Archivdirektors Karl Klaar sah Stolz im Jahr 1923 die Chance, diesen Posten zu übernehmen. Neben ihm bewarb sich der dienstältere Karl Moeser. Die Tiroler Landesregierung, deren Eingabe an das Ministerium für die Bestellung maßgebend war, traf jedoch keine eindeutige Entschei-dung und überließ die Besetzung dem Ministerium. Eine Expertengruppe wurde mit der Erwartung installiert, dass sie Stolz den Vorzug geben würde. Stolz’ Duzfreund Theodor Mayer, den er während der gemeinsamen Studienzeit am IÖG kennen gelernt hatte, sah keinen Zweifel an der Ernennung von Stolz zum Archivdirektor und gratulier-te im Voraus58. Im April 1923 schien sich die günstige Ausgangsposition allerdings ins Gegenteil verkehrt zu haben. Die „radikale Vernachlässigung der Rangordnung“ würde laut Expertengruppe zu einem Skandal führen, Moeser sei zwar weniger qualifiziert, aber auch nicht gänzlich ungeeignet. Dopsch schrieb an Stolz: Leider, scheint es, ist die ursprünglich für Sie so günstig sich anlassende Stimmung hier völlig ins Bureau-kratische umgeschlagen und trotz allem Donnerwetter, das losgelassen worden ist, die Ernennung Moesers kaum mehr zu verhindern59. In der Zwischenzeit war der Leiter des Staatsarchivs des Inneren und der Justiz, Heinrich Kretschmayr, vom Innen- und Unterrichtsminister im März 1923 mit der obersten Archivleitung beauftragt worden und damit auch für die Stellenbesetzung in Innsbruck verantwortlich. Kretschmayr

56 Zur Lösung der „Südtirolfrage“ vereinbarten Deutschland und Italien ein Umsiedlungsprogramm: Die Südtiroler konnten entweder für Italien oder für das Deutsche Reich „optieren“. Ab 1939 wan-derten etwa 75.000 deutschsprachige Personen aus Südtirol aus. Nähere Angaben zur „Option“ in: Helmut alexanDer, Stefan leChner, Adolf leiDlmair, Heimatlos. Die Umsiedlung der Südtiroler (Wien 1993).

57 Otto stOlz, Geschichte des Landes Tirol 1: Quellen und Literatur, Land und Volk in geschichtli-cher Betrachtung, Allgemeine und politische Geschichte in zeitlicher Folge (Innsbruck – Wien – München 1955). Stolz sprach darin u. a. von der „Vergewaltigung“ Südtirols und von Versäumnissen seitens Italiens, die Abkommen über Südtirol einzuhalten.

58 TLA, NL Otto Stolz, Kt. 19, Mappe 2, Mayer an Stolz am 23.02.1923. Zu Mayer vgl. den Beitrag in diesem Band.

59 Ebd. Dopsch an Stolz am 09.05.1923.

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versuchte, eine Kompromisslösung zwischen der Expertengruppe und den Ambitionen Stolz’ herbeizuführen. Er empfahl Stolz, als Stellvertreter von Moeser im Archiv zu bleiben, im Gegenzug sollte er einen Lehrauftrag an der Universität Innsbruck erhal-ten, damit er finanziell in etwa auf den Gehalt des Direktors komme. Stolz verlangte zusätzlich freie Hand für wissenschaftliche Arbeiten im Archiv und nach dreijähriger Wartefrist die Ernennung zum Nachfolger von Moeser als Direktor. Kretschmayr ging darauf ein und versicherte, Moeser solle höchstens vier Jahre im Amt bleiben, Stolz müsse aber im Gegenzug versprechen, das Archiv keinesfalls mit einer reinen Professur zu vertauschen60. Stolz akzeptierte den Kuhhandel, er blieb als Direktor-Stellvertreter im TLA und erhielt ab Wintersemester 1923/24 einen Lehrauftrag für Tiroler Ge-schichte und Archivkunde an der Universität Innsbruck. Nach der Enttäuschung im Jahr 1905 war dies der zweite Knick in Stolz’ Laufbahn als Archivar, ein dritter sollte in wenigen Jahren folgen, denn Moeser wurde nicht vorzeitig pensioniert, sondern blieb beinahe zehn Jahre bis 1932 im TLA. Stolz musste warten, ehe er im Jahr 1928 zum Oberstaatsarchivar befördert wurde und ab 1. Dezember 1932, im 52. Lebensjahr stehend, endlich Moeser auf den Posten des Archivdirektors folgte, den er bis zu seiner Pensionierung im September 1946 behielt61. Da seine Mitarbeiter das Tagesgeschäft im Archiv erledigten, konnte sich Stolz der Wissenschaft widmen. Seine Leistungen für das Archiv erstreckten sich auf Ordnungsarbeiten und die Abfassung von Reper-torien für zahlreiche Bestände, u. a. für: Grenzakten, Steuerkataster, neuere Akten des Hochstiftes Trient, Stift Sonnenburg, Stift Hall, Codices, Sammelakten, Urbare, Verfachbücher und Fridericiana. Er erstellte weiters einen Index zu den Urkunden bis 1300 und ein Verzeichnis aller vorhandenen Repertorien. Den Höhepunkt bildete die Zusammenstellung eines Gesamtinventars des TLA im Jahr 193862, das erst im Jahr 2002 durch ein neues Bestandsverzeichnis63 abgelöst wurde.

Eben aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt, erhielt Stolz im September 1920 das Angebot aus Prag, eine Professur für Geschichte des Mittelalters und historische Hilfswissenschaften anzutreten. Er stand auf der Wunschliste der Fakultät in vorder-ster Linie64, seine überraschende Absage stieß in Prag auf Unverständnis: Mit dem grössten Bedauern musste die Kommission vom Referenten erfahren, dass der in dieser Hinsicht hervorragendste Anwärter, der Privatdozent an der Universität in Innsbruck Dr. Otto Stolz, obwohl er nur in der 8. oder 9. Rangsklasse der österr. Staatsbeamten ist, auf eine Anfrage erklärt hat, es falle ihm sehr schwer, seine Tiroler Heimat mit

60 Ebd. Kretschmayr an Stolz am 26.04.1923. Stolz hat von sich aus eine Erklärung in diesem Sinne verfasst.

61 Auf Grund seiner Stellung als Direktor wurde Stolz am 18.01.1936 zum Titular-Hofrat ernannt, „wirklicher“ Hofrat wurde er jedoch im Gegensatz zu anderen österreichischen Archivdirektoren nie, worüber er sich laut Kramer angeblich öfters beklagte, siehe Hans kramer, Otto Stolz †, in: MIÖG 66 (1958) 475.

62 Otto stOlz, Geschichte und Bestände des staatlichen Archives (jetzt Landesregierungs-Archives) zu Innsbruck (Inventare österreichischer staatlicher Archive 6, Wien 1938).

63 Wilfried beimrOhr, Das Tiroler Landesarchiv und seine Bestände (Tiroler Geschichtsquellen 47, Innsbruck 2002).

64 TLA, NL Otto Stolz, Kt. 15, Mappe A–K, Hans Hirsch an Stolz am 28.09.1920.

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dem Aufenthalt in Prag zu vertauschen65. Über die Gründe, weshalb es dem gefragten Wissenschafter, in den besten Jahren stehenden, ledigen und kinderlosen Stolz so schwer fiel, Tirol zu verlassen, kann nur spekuliert werden. Im privaten Bereich war es vielleicht die Erleichterung, nach langer Kriegsgefangenschaft die Heimat wieder zu sehen, die Stolz ein erneutes rasches Verlassen Tirols erschwerte. Außerdem dachte er daran, eine Familie zu gründen. Am 15. Juli 1922 heiratete er Antonie, geb. Huber (1889–1974), und am 3. Mai 1923 kam sein erstes und einziges Kind, Sohn Otto, zur Welt. Auch die beruflichen Chancen ließen es Stolz offenbar ratsam erscheinen, in Tirol zu bleiben, denn es galt, im Archiv den Nachfolger Karl Klaars zu bestellen und an der Universität Innsbruck gab es seit 1917 Bemühungen, ein Extraordinariat ad personam für Stolz zu schaffen. Ein diesbezüglicher Antrag wurde 1917, 1918 und 1920 betrieben, und Stolz wollte seine Chancen in Innsbruck durch eine Abwesenheit in Prag nicht gefährden. Wegen des Widerstandes Ludwig von Pastors, der seinen Schüler Ignaz Philipp Dengel bevorzugte, blieb der Antrag auch 1920 und 1922 erfolglos. Nach dem Tod Michael Mayrs, der bis 1922 die Geschichte Tirols unterrichtete, konnte die Ernennung von Stolz zum Extraordinarius, verbunden mit einem dreistündigen Lehrauftrag für Tiroler Geschichte und Archivkunde, durchgebracht werden, aller-dings erhielt er das Extraordinariat im Jahr 1923 nur als Titel, nicht ad personam. Mit dieser Umwandlung des Antrages war Stolz, mit der Aussicht auf den Direktorposten im TLA, einverstanden, wodurch er in eine „Sackgasse“ geriet, „aus der er einfach nicht mehr herauskommen sollte“66. Für Stolz kam nur mehr ein frei werdendes oder neu zu schaffendes Ordinariat oder ein Extraordinariat ad personam in Betracht, in Innsbruck waren die in Frage kommenden Positionen aber mit Wopfner (seit 1914 Ordinarius für Österreichische Geschichte und Allgemeine Wirtschaftsgeschichte) und Helbok (seit 1919 Privatdozent und ab 1924 Extraordinarius ad personam für diese Fächer) besetzt. Die Lehrkanzel für Allgemeine Geschichte des Mittelalters und historische Hilfswissenschaften belegte seit 1918 Steinacker als Ordinarius und Richard Heuberger, ein Klubbruder von Stolz im Akademischen Alpen-Klub, seit 1919 als Extraordinarius67. Die wesentlichen Besetzungen waren also noch vor Stolz’ Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft geschehen, und ein neues Ordinariat konnte aus Geldmangel nicht errichtet werden. Als schließlich auch Stolz’ Bemühungen um die Aufnahme in den Grazer Vorschlag für die Nachfolge Srbiks fehlschlugen68, war die Quittierung seiner Stellung im Archiv zu Gunsten einer attraktiven Position an einer Universität, in erster Linie in Innsbruck, nach 1923 in weite Ferne gerückt.

65 Ebd. Eine weitere Ablehnung einer Berufung nach Graz im Jahr 1920 wird erwähnt, aber nicht nä-her belegt. Siehe OberkOfler, Fächer (wie Anm. 1) 146. Bereits 1917 wurde Stolz von Heinrich von Srbik aus einem Grazer Berufungsvorschlag explizit herausgenommen, in der Liste der „Genannten“ jedoch als „der beste jüngere Vertreter der österreichischen Geschichte“ erwähnt. Siehe Heinrich Ritter von srbik, Die wissenschaftliche Korrespondenz des Historikers 1912–1945, hg. v. Jürgen kämmerer (Deutsche Geschichtsquellen des 19. und 20. Jahrhunderts 55, Boppard am Rhein 1987) 77.

66 OberkOfler, Fächer (wie Anm. 1) 145.67 Ebd. 121, 129, 141 und 150.68 Ebd. 146, Oberkofler spricht von einer „ungerechtfertigten Auslassung“ aus dem Grazer Vorschlag.

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Der sowohl im Archiv als auch an der Universität zurückgewiesene Stolz musste sich mit Lehraufträgen zufrieden geben. Per Dekret wurde seine venia legendi für Tiroler Geschichte und Archivkunde im Jahr 1925 auf die österreichische Geschichte ausgedehnt69, 1926 wurde er ordentlicher Universitätsprofessor (Titular-Ordinarius) für österreichische und Tiroler Geschichte sowie für Archivkunde, ein Lehrstuhl an einer Universität blieb Stolz jedoch zeitlebens verwehrt. In Vertretung Dengels, der während der Wintersemester in Rom als Direktor des Österreichischen Historischen Instituts tätig war, erhielt Stolz ab 1929 einen Lehrauftrag über weitere zwei Wochenstunden für Neuere Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der neuzeitlichen archivalischen Quellenkunde und Handschriftenkunde70. Zudem las Stolz ab dem Wintersemester 1928/29 eine einstündige „Einführung in die deutsche Verfassungsgeschichte“71. Als im Jahr 1930 der Lehrstuhl für österreichische Geschichte in Graz frei wurde, inter-venierte Stolz abermals und schrieb, dass er die örtliche Veränderung von Innsbruck nach Graz in Kauf nehmen [würde], weil meiner Laufbahn in Innsbruck auf längere Sicht allzu enge Schranken gezogen sind72. Damit wird die Einschätzung von Stolz’ langjährigem Archivmitarbeiter Hans Kramer widerlegt, der meinte, Stolz hätte sich nie aktiv um seine Karriere bemüht, sondern nur seine Werke für sich sprechen lassen73. Stolz war durchaus ehrgeizig und wollte den Sprung vom Archiv an eine Universität schaffen, sogar unter Hinnahme eines Ortswechsels, der in der Kollegenschaft als Hauptgrund für seinen Verbleib in Innsbruck galt. Als er 1930 schließlich bereit war, nach Graz zu gehen, wurde Stolz offiziell aus Rücksicht auf die hiesigen Verhältnisse und wegen der ungünstigen Wirkung auf das wissenschaftliche Schaffen durch das Losreißen eines mit der Heimat verwurzelten Historikers nicht in den Vorschlag der Fakultät aufgenommen74. Weitere Möglichkeiten, außerhalb Tirols an ein Ordinariat zu gelangen, sollten sich für Stolz nicht mehr eröffnen. In Innsbruck wurde 1941 nach dessen vorzeitiger Emeritierung, offiziell aus Gesundheitsgründen, Wopfners Lehrstuhl frei. Bei der Teilung dieser Lehrkanzel wurde für das neu geschaffene Ordinariat für Volkskunde per 1. Oktober 1941 der Wopfner-Schüler Helbok bestellt. Wopfners ursprüngliche Lehrkanzel für Österreichische Geschichte und Allgemeine Wirtschaftsgeschichte wurde auf Wunsch des Rektors Steinacker in „Geschichte und Wirtschaft des Alpenraumes“ umbenannt75. Da der Stellenplan ein weiteres Ordinariat nicht zuließ, wurde dieser Posten im Februar 1942 mit Wirkung vom 1. Dezember 1941 mit Franz Huter als außerordentlichem Professor besetzt, worüber Stolz angeb-

69 ÖStA, AVA, BMU, Kt. 1063/5: Universität Innsbruck, Philosophische Fakultät 1927–1930, Dekret vom 04.03.1925, Zl. 13143/I-3.

70 Ebd. Universität Innsbruck, Philosophische Fakultät 1927–1930, BMU 23640-I/2/1929.71 Ebd. BMU 30409-I/2/1928.72 TLA, NL Otto Stolz, Kt. 16, Mappe E, Stolz an Wilhelm Erben am 17.06.1930.73 kramer, Probleme (wie Anm. 3) 144.74 TLA, NL Otto Stolz, Kt. 16, Mappe E, Wilhelm Erben an Stolz am 20.06.1930.75 Wolfgang meixner, Gerhard sieGl, Erwanderte Heimat. Hermann Wopfner und die Tiroler

Bergbauern, in: Agrargeschichte schreiben. Traditionen und Innovationen im internationalen Vergleich, hg. v. Ernst bruCkmüller, Ernst lanGthaler, Josef reDl (Jb. für Geschichte des ländli-chen Raumes 1, Innsbruck 2004) 228–239, hier 232 und OberkOfler, Fächer (wie Anm. 1) 146.

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lich „sehr verbittert“76 gewesen sein soll. Der im Fakultätsvorschlag an erster Stelle gereihte Stolz kam nicht mehr in Frage, weil er bereits den Titel eines ordentlichen Universitätsprofessors führte und der Posten als Archivdirektor finanziell höher dotiert war als ein Extraordinariat an der Universität. Gegen Stolz sprach auch sein fortge-schrittenes Alter und eine von Wopfner angesprochene Gegnerschaft „in der Partei und bei Fachkollegen“. Wopfner führte in seinem Besetzungsvorschlag Stolz an er-ster Stelle, um eine „gerechtfertigte Anerkennung seiner Leistungen“ auszusprechen, beurteilte ihn aber letztlich als ungefährlichen Konkurrenten für den favorisierten Huter77. Eine allerletzte Chance ergab sich im Jahr 1943, nachdem Karl Hans Ganahl als Inhaber des ordentlichen Lehrstuhls für Deutsche Rechtsgeschichte am 31. Juli 1942 tödlich verunglückt war. Obwohl Stolz kein juristisches Doktorat besaß, wurde er vom führenden Rechtshistoriker Claudius von Schwerin für geeignet erklärt und im Fakultätsvorschlag primo loco gesetzt78. Aus politischen Gründen kam jedoch der vom Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung protegierte drittgereihte Falk Zipperer, ein Angehöriger des Führungsstabes der SS, zum Zug, der in Innsbruck unbekannt war und in der Fachwelt keinen guten Ruf hatte79. Stolz lag auch mit 62 Jahren sehr viel daran, doch noch ein Ordinariat an der Universität zu erlangen. In seinem Schriftverkehr mit Dekan Hermann Hämmerle und dem stellver-tretenden Gauleiter Herbert Parson versuchte er, alle Argumente gegen seine Berufung zu entkräften. Wegen seines fortgeschrittenen Alters und der hohen Stellung im Archiv hatte sich Gauleiter Franz Hofer, für den Stolz zahlreiche historische Gutachten ver-fasste, weder voll zustimmend, aber auch nicht ganz ablehnend verhalten80. Stolz erfuhr erst später, dass Hofer längst mit Heinrich Himmler ein Abkommen getroffen hatte: Die hiesige Alpenuniversität hat Dr. Stolz im vergangenen Jahre zum ordentli-chen Professor auf den Lehrstuhl für deutsche Rechtsgeschichte vorgeschlagen, der Lehrstuhl wurde jedoch inzwischen gemäß unserer Aussprache und Ihres Wunsches mit Herrn Dr. Zipperer, zuletzt an der Universität in Bonn, besetzt81. Nachdem die Aufnahme in den Fakultätsvorschlag für Stolz eine sehr ehrende Anerkennung meiner wissenschaftlichen und akademischen Tätigkeit gewesen war, musste er zur Kenntnis nehmen, dass die Professur für deutsche Rechtsgeschichte, die er mit grosser Freude als einen schönen Abschluss meiner Lebensarbeit82 gerne übernommen hätte, an

76 Nikolaus Grass, Otto Stolz †, in: ZRG GA 75 (1958) 590.77 Gerhard OberkOfler, Franz Huter (1899–1997). Soldat und Historiker Tirols (Innsbruck – Wien

1999) 65.78 Susanne liChtmanneGGer, Geschichte des Lehrkörpers der Rechts- und Staatswissenschaftlichen

Fakultät der Universität Innsbruck 1945–1955 1–2 (Diss. Innsbruck 1998), hier 1, 44–45, bezeich-net diesen Besetzungsvorschlag als „Verlegenheitslösung“, da besser qualifizierte Experten für Innsbruck nicht greifbar waren.

79 UAI, Akten der Juristenfakultät, Sammelkarton Berufungsakten 20. Jahrhundert, Mappe Deutsches Recht 1938–1949, Hämmerle an Schwerin am 20.11.1942, und Hämmerle an Hermann Krawinkel (Königsberg) am 31.03.1943.

80 Ebd. Stolz an Hämmerle am 05.04.1943.81 TLA, Amt der Tiroler Landesregierung, Präsidium (AdTLR, Präs.), PA Otto Stolz, Brief Hofer an

Himmler am 14.08.1944.82 UAI, Akten der Juristenfakultät, Sammelkarton Berufungsakten 20. Jahrhundert, Mappe Deutsches

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Zipperer ging. Nikolaus Grass bestätigte im Jahr 1948 ausdrücklich den Einfluss von NS-Stellen bei der Besetzung von Universitätsposten: Nach dem Tode von Univ Prof. Ganahl (1942) wurde Hofrat Stolz von der Juristenfakultät primo et unico loco für die vakante Professur vorgeschlagen. Gauleiter Hofer befahl jedoch, daß Stolz vom Besetzungsvorschlag zu verschwinden habe, widrigenfalls der Dekan noch einge-sperrt würde! Dafür kam der Nazi Dr. Zipperer in Vorschlag83! Hofer exekutierte zwar Himmlers Wunsch, er wollte jedoch für Stolz als Entschädigung eine höhere Besoldungsgruppe im Archiv erreichen84. Stolz verlor das Ordinariat nicht wegen der ablehnenden Haltung oder persönlichen Antipathie Hofers, sondern auf Grund des Drucks, der auf den Gauleiter ausgeübt worden war.

Da Zipperer nicht nach Innsbruck kam, um seine Professur anzutreten, hielt Stolz trotz Verbot des zuständigen Gaustellenleiters die Vorlesung für deut-sche Rechtsgeschichte85. Anlässlich seines 70. Geburtstages erhielt er von der Juristischen Fakultät am 17. November 1951 das Ehrendoktorat der Rechte86. Stolz las an der Juristischen Fakultät noch bis 1954 „Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte“ und „Geschichte der Neuzeit im Überblick“, bis er wegen Schwerhörigkeit von seiner Lehrtätigkeit zurücktrat; bis zu seinem Tod widmete er sich aber der wissenschaftlichen Forschung.

Außerhalb seiner Tätigkeit im Archiv und als Lehrbeauftragter an der Universität war Stolz für das Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum tätig, wo er seit 1923 Mitglied des Verwaltungsausschusses und von 1931 bis 1937 ehrenamtlicher Vorstand war. Stolz war weiters Obmann der historischen Kommission des Museums, die zahl-reiche Quellenpublikationen herausgab und Ausstellungen organisierte. Ab Mai 1935 war er korrespondierendes Mitglied der ÖAW. Im Alpenverein bekleidete Stolz von 1924 bis 1932 eine Funktion im Verwaltungsausschuss, zusätzlich war er Leiter des wissenschaftlichen Unterausschusses und Referent über Geschichte des Alpinismus und der Alpenländer87. Von 1921 bis 1927 stellte er sich sogar als Obmann des Sonnwendringes der deutsch-völkischen Vereine Innsbrucks und damit für die Organisation der Sonnwendfeuer zur Verfügung. Die Sonnwendfeuer wollte Stolz als Ausdruck des politischen Willens der Tiroler Bevölkerung verstanden wis-sen, die nach der Volksabstimmung vom 24. April 1921 eindeutig für eine staatliche „Wiedervereinigung“ mit Deutschland votiert hatte88.

Recht 1938–1949, Stolz an Hämmerle am 05.04.1943.83 Stadtarchiv (StA) Innsbruck, „Entnazifizierungsakt“ Otto Stolz, Bestätigung von Nikolaus Grass

vom 17.02.1948.84 TLA, AdTLR, Präs., PA Otto Stolz.85 Grass, Otto Stolz † (wie Anm. 76) 590.86 Ebd. 594.87 lOehr, Nachruf (wie Anm. 13) 354 und stOlz, Abstammung (wie Anm. 15) 96. Stolz schrieb häufig

in den „Mitteilungen“ und der „Zeitschrift“ des deutschen und österreichischen (1938–1945: deut-schen) Alpenvereins.

88 Stolz verstand es, die Sonnwendfeuer als Propaganda für seine politischen Ziele zu nutzen: „Wie das Sonnwendfeuer durch die finstere Bergnacht glüht, so strahlt jene Abstimmung durch das Schicksalsdunkel, das uns heute umgibt, so strahlt auch das Recht unseres Volkes auf Leben,

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Stolz war aber nicht nur in Tiroler und österreichische Institutionen eingebunden, er fand auch Zugang zu (reichs-) deutschen, überregionalen Forschungseinrichtungen. Erste Kontakte knüpfte er zur Stiftung für deutsche Volks- und Kulturbodenforschung in Leipzig, die zeitgenössisch als „Zentralinstanz einer innovativen, universal ange-legten Deutschtumsforschung“ mit nationale Identität stiftender Wirkung bezeichnet wurde89. Im April 1926 nahm Stolz an einer Tagung der Stiftung in Meersburg am Bodensee teil, wo er über die „geschichtliche Wesenheit des Landes Tirol“ referierte90. In der Folge wurden von der Stiftung Druckkostenbeiträge für Teile seines Werkes „Die Ausbreitung des Deutschtums in Südtirol“ beigesteuert. Die Leipziger Stiftung übernahm als erste Hauptredaktion auch die Arbeiten am „Handwörterbuch des Grenz- und Auslanddeutschtums“, an dem Stolz sowohl als Autor von Beiträgen wie auch als Mitglied einer der 46 Teilredaktionen (und insgesamt etwa 800 Mitarbeitern) wirk-te91. Intrigen der beiden Innsbrucker Forscher Raimund Klebelsberg und Friedrich Metz gegen den Geschäftsführer Wilhelm Volz in Kombination mit einer national-sozialistischen Pressekampagne bedeuteten das Ende der Stiftung für Volks- und Kulturbodenforschung Anfang 1931. Jene Personen, die dafür verantwortlich waren, gründeten im Gegenzug die „Alpenländische Forschungsgemeinschaft“ (AFG). Die Arbeit der interdisziplinären AFG sollte laut ihrem Vorstand zur Festigung der „deut-schen Stellung in den Alpen“ beitragen, die durch den Zerfall der Donaumonarchie und speziell durch das „starke, ausdehnungsfähige“ Italien gefährdet war. Bei der Gründungssitzung der AFG in Salzburg am 22./23. April 1931 bildete Stolz gemeinsam mit Klebelsberg und Metz den Vorstand92. Die Leiter der AFG waren Klebelsberg (1931 bis März 1942) und Huter (ab März 1942). Stolz bekleidete den Posten eines

Freiheit und Selbstbestimmung durch die Finsternis des Hasses und der Feindschaft, die noch im-mer über Europas Völker ihre unheilvollen Schwingen breitet.“ Der Anschlusseuphorie ließ er die „Südtirolfrage“ folgen: „Und auch jener andere Schmerz, der in unserer Seele brennt, die Zerreißung unserer Heimat Tirol, er soll an jenem Abend zur Flamme schlagen und mit ihr als Gelübde gegen Himmel steigen, daß wir niemals auf das Erbe unserer Ahnen verzichten, niemals unsere Brüder im schönsten Lande des deutschen Südens vergessen werden“. Otto stOlz, Sonnwendfeier 1921, in: Alpenland 28.05.1921.

89 Willi OberkrOme, Volksgeschichte. Methodische Innovationen und völkische Ideologisierung in der deutschen Geschichtswissenschaft 1918–1945 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 101, Göttingen 1993) 28f. Zur Stiftung für deutsche Volks- und Kulturbodenforschung siehe Michael fahlbusCh, „Wo der deutsche … ist, ist Deutschland!“ Die Stiftung für deutsche Volks- und Kulturbodenforschung in Leipzig 1920–1933 (Bochum 1994).

90 Die Tagungen der Jahre 1923–1929, hg. v. Stiftung für deutsche Volks- und Kulturbodenforschung (Langensalza o. J.) 171–204. Aus Innsbruck sprachen außerdem der Geograph Johann Sölch, der Kunsthistoriker Josef Weingartner, der Linguist Leo Jutz und der Historiker Wopfner. Stolz berich-tete bei der letzten Stiftungstagung im Oktober 1930 über „die geschichtliche Entwicklung des deut-schen Volks- und Staatsgebietes in den Alpen“, siehe TLA, NL Otto Stolz, Kt. 5, Mappe 1.

91 Zur Entstehungsgeschichte und wissenschaftlichen Bedeutung des Handwörterbuches des Grenz- und Auslanddeutschtums siehe fahlbusCh, Wissenschaft (wie Anm. 52) 147–156 und Willi OberkrOme, Geschichte, Volk und Theorie. Das „Handwörterbuch des Grenz- und Auslanddeutschtums“, in: Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft 1918–1945, hg. v. Peter sChöttler (Frankfurt/M. 1997) 104–127.

92 Zur AFG siehe fahlbusCh, Wissenschaft (wie Anm. 52) 297–350.

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Ausschussmitgliedes der Region Tirol (Die AFG deckte die Regionen Tirol, Kärnten, Steiermark, Schweiz und Südtirol ab). Die Tiroler Geschäftsstelle wurde 1941 in die Publikationsstelle Innsbruck unter Wolfgang Steinacker eingegliedert, die ihrerseits dem Institut für Landes- und Volksforschung des Reichsgaues Tirol und Vorarlberg angehörte93. An den insgesamt neun Konferenzen der AFG zwischen 1931 und 1938 nahm Stolz zweimal als Redner teil. Bei der dritten Tagung in Vaduz im September 1932 sprach er über die Ladiner in Südtirol, bei der achten Tagung in Imst im Jänner 1938 führte er u. a. aus, der Friedensvertrag von Saint Germain verletze die innere und äußere Einheit Tirols94.

IV. Otto Stolz und Hermann Wopfner

Die realpolitische Lage nach dem Ersten Weltkrieg führte zu einem Aufschwung der Geschichtswissenschaft in Tirol. Die Akzeptanz der in der Öffentlichkeit zuvor wenig rezipierten historischen Forschung stieg, je weiter südlich sie Spuren des „Deutsch-tums“ ausmachte95. Vor diesem Hintergrund eröffnete sich für den überzeugt national gesinnten Stolz ein reiches Betätigungsfeld und er vergrub sich, entgegen dem Rat seiner Lehrer in Wien, in „tirolischer Geschichte“. Diese Konzentration auf Tirol brachte ihn in starke Konkurrenz zu Wopfner (1876–1963). Ähnlich wie Stolz war auch Wopfner ein begeisterter Bergsteiger, der für den Alpenverein publizistisch aktiv war. Während Wopfner seine Wanderungen allerdings zu wissenschaftlichen Zwecken für ethnologische Bestandsaufnahmen des ländlichen Raumes und für die Aufnahme zahlreicher Fotografien durchführte, wanderte Stolz in erster Linie aus sportlichen Gründen. In verschiedenen Bereichen der Tiroler Landesgeschichte begegneten sich die Forschungsinteressen von Stolz und Wopfner immer wieder. Die wissenschaftliche Affinität ihrer Arbeitsbereiche wurde in dem Sinne interpretiert, dass einer den anderen wegen ihrer Deckungsgleichheit als Universitätslehrer mehr oder weniger ausschloss96. Da der fünf Jahre ältere Wopfner bereits an der Universität etabliert war und gemein-sam mit Steinacker stets Helbok förderte, kam Stolz bei seiner Universitätskarriere in Innsbruck nicht entscheidend voran97. Stolz wollte es Wopfner gleichtun, der von 1900 bis 1908 im Statthaltereiarchiv tätig war, dann aber den Sprung an die Universität schaffte. Die thematische und vielfach auch inhaltliche Übereinstimmung musste es für Stolz bei gleichzeitig größerem wissenschaftlichen Output umso schwerer machen, im Schatten Wopfners zu stehen. Am Beginn seiner Karriere rezensierte Stolz Wopfners „Quellen zur Geschichte des Bauernkriegs in Deutschtirol 1525“ sehr positiv, zu einer ersten Konfrontation kam es aber schon 1909, als Stolz die dürftige Quellenarbeit von

93 Ebd. 310.94 Ebd. 343.95 rieDmann, Geschichtsschreibung (wie Anm. 3) 294.96 kramer, Probleme (wie Anm. 3) 145.97 Darauf bezieht sich die Aussage vom „geknickten Marschallstab im Tornister“ von OberkOfler,

Fächer (wie Anm. 1) 143.

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Wopfner in dessen Werk „Die Lage Tirols zu Ausgang des Mittelalters“ kritisierte und die Differenzen auf geschichtsphilosophische Meinungsverschiedenheiten zu-rückführte98. Erstaunlich, dass sich Stolz trotzdem im Jahr 1912 bei Wopfner für das Fach Österreichische Geschichte habilitieren konnte. Wopfner unterstützte dann auch in einem anerkennenden Referat vor dem Fakultätsausschuss die Ernennung Stolz’ zum tit. o. Univ.-Prof. im Jahr 192699. Bei der Beurteilung, ob die darauf folgende sehr wohlwollende Rezension zu Wopfners „Anleitung zu volkskundlichen Beobach-tungen auf Bergfahrten“ (1927) aus ehrlicher Überzeugung oder als Abtragung einer Dankesschuld diente, darf letzteres angenommen werden100.

In den Jahren 1930/31 kam es zu einer heftigen Auseinandersetzung zwi-schen Stolz und Wopfner in der Schwaighoffrage, nachdem Stolz sein Buch „Die Schwaighöfe in Tirol“101 veröffentlicht hatte. Darin nahm er Bezug auf Wopfners Aufsatz „Die Besiedlung unserer Hochgebirgstäler“ aus dem Jahr 1920102, der für das Brennergebiet die Bedeutung der Schwaighöfe erstmals herausstellte. Um einen „nachhaltigen Eindruck auf die Fachwelt“ zu erreichen, wollte Stolz die Wirtschafts- und Siedlungsform der Schwaighöfe umfangreicher als in Wopfners „auf das äußer-ste im Raum beschränk[t]en“ Beitrag darstellen, damit „durch eine ganz spezielle Bearbeitung dieses Problems innerhalb eines größeren räumlichen Rahmens seine Bedeutung für die Wirtschafts- und Siedlungsgeschichte der Alpen und damit für die [Bedeutung] von Mitteleuropa im allgemeinen nachdrücklicher dargelegt“103 werde. Differenzen zwischen Stolz und Wopfner traten vor allem in der Charakterisierung der Schwaighöfe auf. Einig waren sich beide, dass der Käsezins und die Einstellung grundherrlichen Viehs die zentralen Merkmale von Schwaighöfen waren, darüber hinaus sah Stolz aber noch weitere Charakteristika: Die Schwaighöfe sollen in der Form von Einzelhöfen die oberste Siedlungsgrenze dargestellt haben, überwiegend auf Viehzucht, Milchwirtschaft und Käsezubereitung ausgerichtet gewesen sein und kaum Ackerbau betrieben haben104. Wopfner differenzierte in seinen Besprechungen Stolz’ Darstellung105; er wollte die Eigenart der Schwaighöfe nicht wie Stolz in ihrer

98 TLA, NL Otto Stolz, Kt. 17, Mappe 2.99 Ebd. Kt. 15, Mappe A–K, Julius Jüthner (o.Univ.-Prof. für klassische Philologie an der Universität

Innsbruck) an Stolz am 08.07.1926.100 Zu Stolz’ Rezensionen siehe unten.101 Otto stOlz, Die Schwaighöfe in Tirol. Ein Beitrag zur Siedlungs- und Wirtschaftsgeschichte der

Hochalpentäler (Wissenschaftliche Veröff. des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins 5, Innsbruck 1930).

102 Hermann wOpfner, Die Besiedlung unserer Hochgebirgstäler, dargestellt an der Siedlungsgeschichte des Brennergebietes, in: Zs. des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins 51 (1920) 25–86.

103 stOlz, Schwaighöfe (wie Anm. 101) 23.104 Hermann wOpfner, Beiträge zur Geschichte der alpinen Schwaighöfe, in: VSWG 24 (1931) 36–70.105 Hermann wOpfner, Rezension zu stOlz, Schwaighöfe (wie Anm. 101), in: HZ (1931) 159–161, u.

a.: „Wenn St.[olz] von einer ‚Wirtschafts- und Siedlungsform der Schwaigen’ spricht, so verwies ich darauf, daß außer den Schwaigen auch andere hochgelegene Höfe ihrer Lage nach auf einseitigen Betrieb der Viehzucht angewiesen waren, ferner daß die Siedlungsform des Einzel- oder Einödhofes keineswegs für die Schwaigen allein typisch ist. In Ergänzung der Ausführungen bei St.[olz] suchte ich wahrscheinlich zu machen, daß die Ausbreitung der Schwaighöfe im 12. und 13. Jahrhundert zum

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Wirtschafts- und Siedlungsform, sondern vielmehr in der grundherrlichen Organisation sehen, „die sich in der Ausstattung der Schwaighöfe mit grundherrlichem Vieh und im Zusammenhang hiemit in der Forderung eines bedeutenden Käsezinses äußert“106. Seine Ausführungen zielten darauf ab, jede abstrahierende Zusammenfassung des von Stolz ausgewerteten Quellenmaterials abzulehnen, um seinerseits auf die eigene Quellenkenntnis hinzuweisen. Als Platzhirsch der Tiroler Agrargeschichtsschreibung legte er die Schwächen der induktiven Methode bloß, indem er die empirisch gewon-nenen generalisierenden Aussagen von Stolz durch wenige konträre Beispiele zu wi-derlegen versuchte. Die Rivalität der beiden Wissenschafter wurde bis in Detailfragen ausgefochten: Wopfner kritisierte, dass Stolz den Ertrag einer Kuh für das Mittelalter zu hoch angesetzt hatte und auf das Ergebnis kam, dass man für 150 kg Käse (nieder-ster Jahreszins) 1,5 bis 2 Kühe brauchte, während Wopfner den Milchertrag je Kuh niedriger sah und für dieselbe Menge 2 bis 3,5 Kühe veranschlagte, also ca. die Hälfte des vom Grundherrn eingestellten Viehs (6 Stück in der Regel). Je nach regionalen Unterschieden konnte der Käsezins von 300 Stück aber auch bis zu 450 kg betragen, das wäre dann laut Wopfner die Milchleistung von 6 bis 10,5 Kühen, also musste der Bauer die Erträge des Eigenviehs mit heranziehen. Den Schwaighofbauern wäre als Gegenwert für Pflege und Fütterung nach Wopfner nur der zusätzliche Dünger für das Eigenvieh verblieben. Wopfner erkannte darin die Forderung des Grundherrn nach Gegenleistung für die Überlassung von Pachtvieh, Grund und Boden. Die Kritik Wopfners erreichte den letzten Winkel von Stolz’ Ausführungen, als er kleinlich kon-statierte: „Das ‚rohe, unausgesottene Schmalz’ dessen Stolz (82) Erwähnung tut, ist Butter, nicht Schmalz im heutigen Sinn“107. Stolz betonte in seiner Erwiderung seine inhaltliche Nähe zu Wopfner, ohne jedoch auf einen eigenen Standpunkt zu verzich-ten108. In der Debatte wurde aber deutlich, dass Stolz eher auf die Gemeinsamkeiten verwies, während Wopfner versuchte, seine Darstellung massiv gegen Stolz abzu-grenzen109. Eine klare Stellung bezog Stolz allerdings gegen Wopfners Argument, die Schwaighöfe wären im 12. und 13. Jahrhundert durch die Auflösung der großen

Teil mit der Auflösung grundherrlicher Eigenbetriebe im Zusammenhang steht und daß namentlich das von den Grundherren auf den Schwaighöfen eingestellte Vieh den grundherrlichen Eigenbetrieben teilweise entstammen dürfte. St.[olz] sucht die Ausbreitung der Schwaighöfe im Höhengürtel von 1200 bis 2000 m in Zusammenhang mit der mittleren Höhengrenze des Roggenbaues (1200 m) zu bringen; demgegenüber ist zu bemerken, daß eine Reihe von Schwaighöfen Roggenbau betrieb. Ebenso wandte ich mich dagegen, daß St.[olz] die Schwaighöfe als ‚eine ausgeprägte bajuwarische Eigenart’ bezeichnet, da doch ein gleichzeitiges Vorkommen der Schwaighöfe in der alemannischen Schweiz zu erweisen ist. Die abweichende Ansicht, die ich in dieser und einzelnen anderen Fragen vertrete, will den hohen Wert der St.[olz]schen Ausführungen in keiner Weise mindern.“

106 wOpfner, Schwaighöfe (wie Anm. 104) 45.107 Ebd. 52.108 Otto stOlz, Beiträge zur Geschichte der alpinen Schwaighöfe, in: VSWG 25 (1932) 141–157. Der

Titel ist mit jenem von Wopfner in den VSWG 24 (siehe Anm. 104) gleichlautend.109 stOlz, Beiträge (wie Anm. 108) 143, schrieb zur Beruhigung der Diskussion: „In diesen bei-

den Punkten [der Siedlungsform und der Wirtschaftsform, Anm.] besteht also zwischen meinen Ausführungen und jenen W.[opfner]s keine Abweichung in der Sache, sondern nur im Ausdruck, und auch dies nur zum Teil.“

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Eigenbetriebe der Grundherrschaften entstanden.110 Er war vielmehr der Meinung, dass sich die Schwaighöfe in Folge der Bevölkerungsvermehrung am Rand des besiedelba-ren Landes gebildet hätten und sich dieser Vorgang in „den allgemeinen Gang der deut-schen Siedlungsgeschichte“111 einfügte. Das zur Verfügung gestellte grundherrschaft-liche Vieh sicherte die wirtschaftliche Existenz der Schwaighofbauern, im Gegenzug genossen die Grundherren den Vorzug der Käseabgaben. Stolz blieb auch dabei, dass die Schwaighöfe die „obersten und letzten Ausläufer der Dauersiedlung“112 waren. In weiterer Folge wurde der Konflikt abseits der Öffentlichkeit ausgetragen. Wopfner, der von Stolz die Entgegnung zu seiner Kritik zugeschickt bekam, äußerte sich dazu in einem persönlichen Brief an Stolz, in dem er betonte, dass ein völliger Ausgleich in einer wissenschaftlichen Kontroverse […] eine Art von Weltwunder wäre113.

Autoreneitelkeit und Neid auf größeren Druckraum bestimmten über weite Strecken das Verhältnis zwischen Stolz und Wopfner114. Oberflächliche Bezeugungen von „Hochachtung“ und „Ergebenheit“ konnten nicht über gewisse Animositäten zwischen den beiden Forschern hinwegtäuschen, die sich bis ins hohe Alter hielten und durch den Rangunterschied zusätzlich gespeist wurden115. Lediglich in der Südtirolfrage, die in der Geschichte Tirols als Ereignis apokalyptischen Ausmaßes begriffen wurde, herrschte Einigkeit. Die beiden wichtigsten Tiroler Landeshistoriker standen bei der „Verteidigung der Landeseinheit“ zusammen. Neben inhaltlichen und persönlichen Differenzen116 gab es auch Unterschiede methodischer Natur. Während Wopfner mit ethnologischen und anthropologischen Ansätzen umzugehen wusste, schöpfte Stolz sein Wissen ausschließlich aus Archivquellen und dem Literaturstudium. Exemplarisch für das Verhältnis zwischen beiden sei der Sammelband „Tirol. Land und Natur,

110 stOlz, Beiträge (wie Anm. 108) 144: „Wie W.[opfner] selbst angibt, ist das nicht durch positive Quellenangaben zu beweisen.“

111 Ebd. 145.112 Ebd. 155.113 TLA, NL Otto Stolz, Kt. 16, Mappe W, Wopfner an Stolz am 26.07.1932. Wopfner bewies in seinem

lehrmeisterhaften Schreiben einmal mehr seine Dünnhäutigkeit.114 Siehe kramer, Probleme (wie Anm. 3) 144f. Kramer, Schüler und Mitarbeiter von Stolz, schrieb

über dessen Verhältnis zu Wopfner: „Stolz schwieg sich über Wopfner im allgemeinen vollkommen aus. […] Der einzige Fall, in dem ich Stolz über Wopfner regelrecht schimpfen hörte, war das vom Deutschen und Österreichischen Alpenverein herausgegebene Werk ‚Tirol’ […]. Hier hatte Wopfner weit mehr Druckraum eingeräumt erhalten als Stolz. Gewiß waren seine Ausführungen gerade so wertvoll wie die von Stolz. Aber dieser hatte sich in seinen Darlegungen nicht so ausbreiten kön-nen, wie er es gewünscht hätte.“ Sticheleien gehörten zum schriftstellerischen Alltag: Otto stOlz, Geschichte der Rassenforschung in Tirol, in: Tiroler Heimatblätter Heft 1/2 (1941) 19–22 hob zwi-schen Gedankenstrichen hervor, dass sich Wopfner in einer volkskundlichen Publikation über die „rassische Zusammensetzung“ der Tiroler Bevölkerung „ohne eigene neue Sachforschung“ nur auf eine ältere Studie stütze.

115 Stolz war während der Schwaighofdebatte „nur“ Oberstaatsarchivar, Wopfner war o.Univ.-Prof.116 Angeführt sei hier die zufällige Bewerbung von Stolz und Wopfner um eine frei werdende Wohnung.

Beide wollten die Wohnung für sich in Anspruch nehmen und wiesen den Kompromiss einer Teilung zurück. Leider ist der Konflikt im NL Stolz nicht vollständig dokumentiert, siehe TLA, NL Otto Stolz, Kt. 19, Mappe 2.

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Volk und Geschichte, geistiges Leben“117 herangezogen. Wopfner erhielt für zwei Beiträge 165 Druckseiten, Stolz für vier nur 100. Die große Popularität im ländlichen Raum, die Wopfner infolge dieser Veröffentlichung zukam, resultierte aus der inhalt-lichen Übereinstimmung seiner Aufsätze mit den Interessen der Leser. Der Aufbau und die Kapitelüberschriften deckten sich weitgehend mit Wopfners späterem be-rühmten „Bergbauernbuch“ und behandelten volkskundliche und landwirtschaftliche Themen118, die in Tirol großen Widerhall fanden. Stolz hingegen schrieb über die den ländlichen Menschen nicht so nahe stehenden Wirtschaftssektoren Handel, Handwerk, Industrie und Verkehr119. Die Entwicklung der Städte und die politische Geschichte des Landes Tirol darzustellen war zweifellos weniger attraktiv für die in den 30er Jahren noch überwiegend ländliche Bevölkerung, als die Beschreibung der bäuerli-chen Essgewohnheiten durch Wopfner. Die Themenaufteilung entsprach aber durch-aus ihren wissenschaftlichen Forschungsbereichen, in denen beide seit vielen Jahren etabliert waren. Wopfner verstand es im Gegensatz zu Stolz, seine Arbeitsgebiete zur Themenführerschaft zu bringen. Ihre wissenschaftlichen Hahnenkämpfe trugen Stolz und Wopfner zwar auf Nebenschauplätzen aus, sie zeugen aber von der großen Aufmerksamkeit und Sensibilität der beiden Historiker für die Werke des jeweils anderen im Sinne eines ausgeprägten Konkurrenzdenkens120.

An der Universität Innsbruck wusste Wopfner alle Hebel zu bedienen, damit Stolz nicht Fuß fassen konnte, Wopfner selbst aber als dessen Förderer auftreten konn-te. Nach der Bestellung Helboks im Jahr 1923 war es für Wopfner beispielsweise ein Leichtes, Stolz 1926 bei seiner Ernennung zum Titularprofessor zu unterstützen. Ebenso konnte er Stolz 1942 ohne Risiko an erster Stelle für seine Nachfolge setzen, weil er sich fast sicher sein konnte, dass Stolz nicht berücksichtigt werden würde. Wopfner hielt Stolz wohl für ungeeignet, eine höhere Position an der Universität zu bekleiden, die Abhaltung von Lehrveranstaltungen durch Stolz begrüßte er hin-gegen, wie seine Unterstützung für Stolz’ Verbleib an der Universität im Jahr 1947 belegt. Als eine Überprüfungskommission des Unterrichtsministeriums im Herbst

117 Tirol. Land und Natur, Volk und Geschichte, geistiges Leben, hg. v. Hauptausschuss des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins (München 1933).

118 Hermann wOpfner, Entstehung und Wesen des tirolischen Volkstums, mit den Kapiteln: Der völ-kische „Stammbaum“ des Tiroler Volkes, Die Rassenelemente des Tiroler Volkstums, Die geisti-ge Eigenart des Tiroler Volkes und ihre Bedingungen, Die Religion im Leben des Tiroler Volkes, Religiöse Kultstätten und Denkmäler, Volksbräuche, Volkskunst, Volkstracht, Volksnahrung und Volksgetränk (139–206); Ders., Bäuerliche Siedlung und Wirtschaft, mit den Kapiteln: Geschichte und Formen der ländlichen Siedlung, Das volkstümliche Haus und seine Formen, Bauerngut und bäuerliche Wirtschaftsgesinnung, Der Ackerbau, Viehzucht und Wiesenbau, Die Almwirtschaft, Der Weinbau, Obstanger und Bauerngarten, Der Wald (207–304).

119 Otto stOlz, Handel und Gewerbe, Märkte und Städte, mit den Kapiteln: Der Verkehr, Der Handel, Handwerk und Industrie, Märkte, Städte, ihre Anlage und Bevölkerung (305–336); Ders., Das Land Tirol als politischer Körper, mit den Kapiteln: Die räumliche Entstehung der Grafschaft Tirol, Die politische Stellung des Landes Tirol nach außen, Geschichte der Verfassung und Verwaltung Tirol (337–389); Ders., Kirche, Schulwesen und Wissenschaft (472–484); Ders., Alpinismus und Leibesübungen (485–488).

120 Siehe Anm. 114.

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1947 die Innsbrucker Hochschullehrer auf ihre NS-Vergangenheit überprüfte, verfasste Wopfner im Vorfeld ein Schriftstück, in dem er Stolz bestätigte, dass seine Schriften den Anforderungen der wissenschaftlichen Objektivität entsprechen würden und dass er es bedauerte, falls Stolz dem akademischen Lehramt entzogen würde, denn Stolz’ grundlegenden Forschungen über Südtirol lassen […] seine weitere Lehrtätigkeit an unserer Grenzlandhochschule als unentbehrlich erscheinen121. Stolz wurde von der Kommission entlastet und konnte weiter an der Universität unterrichten122.

V. Otto Stolz und Otto Brunner

Stolz und Brunner stießen 1939 aufeinander, als Brunner eine ungewohnt ungünstige Rezension zu Stolz’ „politisch-historischer Landesbeschreibung von Südtirol“ veröf-fentlichte, die von Stolz nicht erwidert wurde123. Größere Aufmerksamkeit erreichte hingegen Stolz’ erbitterte Diskussion mit Otto Brunner, als dieser im selben Jahr sein viel beachtetes Werk „Land und Herrschaft“ publizierte124. Brunners Absicht war es, das Wesen des voll entwickelten spätmittelalterlichen Landes darzulegen und „grundsätzliche Fragen der deutschen Verfassungsgeschichte des Mittelalters“ in den „Ländern des bayrisch-österreichischen Rechtskreises“ zu erörtern125. Kernpunkt seiner Ausführungen war der Gedanke, dass der Begriffsapparat der „Reichs- und Staatsleh-re“ des 19. Jahrhunderts untauglich war, um die Rechtsverhältnisse des Mittelalters zu beschreiben. Brunner wollte durch zeitgenössische schriftliche Quellen zu einer „quellenverbundenen Begriffssprache“ gelangen, mit der die bisher in Historiker-kreisen gültigen „etatistischen Kategorien“ überwunden werden sollten126. Im Zuge dieser Arbeit stellte er freilich viele in der Geschichts- und Rechtswissenschaft bestens eingeführte Termini wie z. B. „Gesellschaft“, „Souveränität“ oder „Staat“ in Frage und verpasste ihnen eine gründliche begriffsgeschichtliche Analyse. Brunners sprunghafter, anspruchsvoller Darstellungsweise ist es allerdings zu verdanken, dass „eines der ori-

121 StA Innsbruck, „Entnazifizierungsakt“ Otto Stolz, Bestätigung von Wopfner am 23.08.1947. Wopfner ist für die Ausstellung von „Persilscheinen“ nach 1945 bekannt, siehe Peter GOller, Gerhard OberkOfler, Universität Innsbruck. Entnazifizierung und Rehabilitation von Nazikadern 1945–1950 (Innsbruck 2003) 55, 76.

122 Siehe unten Kapitel VIII Otto Stolz nach 1945.123 Otto brunner, Rezension zu Otto stOlz, Politisch-historische Landesbeschreibung von Südtirol

(Schlern-Schriften 40, Innsbruck 1937/1939) in: Deutsche Literaturzeitung für Kritik der internatio-nalen Wissenschaft 60 (1939) Sp. 1389 (abschriftlich im TLA, NL Otto Stolz, Kt. 11, Mappe 2). Es konnten nicht sämtliche Rezensionen dieses Werkes von Stolz herangezogen werden, aber jene, die er aufbewahrte (siehe NL Otto Stolz), waren überwiegend positiv.

124 Otto brunner, Land und Herrschaft. Grundfragen der territorialen Verfassungsgeschichte Südostdeutschlands im Mittelalter (Veröff. des Instituts für Geschichtsforschung und Archivwissenschaft in Wien 1, Brünn/München/Wien 1939).

125 Ebd. Vorwort.126 Aus der mittlerweile umfangreichen Literatur über Brunner sei verwiesen auf Helmut QuaritsCh,

Otto Brunner – Werk und Wirkungen, in: Staat und Recht. FS für Günther Winkler, hg. v. Herbert haller u. a. (Wien – New York 1997) 825–853, hier 835 und 853.

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ginellsten Bücher, die im 20. Jahrhundert zur österreichischen Geschichte erschienen sind“127, Missverständnisse in Bezug auf die Begriffe „Land“, „Landesrecht“ und „Landesherrschaft“ ausgelöst hat. Den innovativen Denkansätzen Brunners folgten trotzdem, wenn auch mit einigem Zögern und in nicht immer korrekter Rezeption, schließlich die meisten Mediävisten. Stolz gehörte nicht zu ihnen128.

In einer ausführlichen Rezension von „Land und Herrschaft“129 und einer Gegendarstellung anhand von bayerischen und Tiroler Quellen130 positionierte er sich klar gegen Brunner. Stolz beklagte die seiner Meinung nach für die Behandlung von Verfassungsfragen unbotmäßige Überbetonung des Fehdewesens im ersten Abschnitt von „Land und Herrschaft“ und wies gleichzeitig auf den Mangel hin, dass die zeit-genössische mittelalterliche Literatur wie auch bestimmte Quellen von Brunner zu wenig berücksichtigt wurden. Laut Stolz kam Brunner aus Vernachlässigung der Quellenarbeit zu seiner These, dass „dem Mittelalter der Begriff der Souveränität und damit einer wirklichen Staatsgewalt fremd gewesen sei“131, die nicht aus den Quellen beweisbar wäre und eine Konstruktion Brunners sei. Die Begriffe „Staat“ und „Souveränität“ wären laut Brunner im Mittelalter nicht bekannt gewesen, was laut Stolz aber nicht im Widerspruch mit der Annahme stehe, dass die mittelalter-lichen Könige, Herzöge und Landesfürsten „wirkliche Herrscher“ gewesen wä-ren. Die Darstellung Brunners vermittle in dieser Frage „eine durchaus einseitige Orientierung“132, etwa wenn Brunner schrieb: „Fehlt also dem Mittelalter eine welt-liche Gewalt, der man das Prädikat der Souveränität zusprechen könnte, so scheint doch dem Papst in der Christenheit diese Stellung zuzukommen.“133 Stolz reagierte darauf, indem er die Vertreter dieser These einer „extrem ultramontanen Staats- und Geschichtsauffassung“134 bezichtigte. Brunner warf er vor, die legislatorische und ko-difikatorische Tätigkeit der mittelalterlichen Herrscher völlig zu übergehen135, obwohl Brunner die Rolle der Landesfürsten keineswegs unterschätzte136. Stolz zog eine auf Urkunden basierende Darstellung der nach seiner Meinung „ziemlich gezwungene[n]

127 Othmar haGeneDer, Land und Landrecht in Österreich und Tirol. Otto Brunner und die Folgen, in: Tirol-Österreich-Italien. FS für Josef Riedmann zum 65. Geburtstag, hg. v. Klaus branDstätter, Julia hörmann (Schlern-Schriften 330, Innsbruck 2005) 299–312, hier 299; siehe auch Ders., Der Landesbegriff bei Otto Brunner, in: Annali dell’istituto storico italo-germanico in Trento / Jb. des italienisch deutschen historischen Instituts in Trient 13 (1987) 153–178.

128 QuaritsCh, Brunner (wie Anm. 126) 838. Für Quaritsch war Stolz in seiner Ablehnung von Brunners Ideen „eine Ausnahme“ (siehe ebd. Anm. 27).

129 Otto stOlz, Das Wesen des Staates im deutschen Mittelalter, zugleich Besprechung des Buches von Otto Brunner, Land und Herrschaft, in: ZRG GA 61 (1941) 234–249.

130 Otto stOlz, Land und Landesfürst in Bayern und Tirol. Ein Beitrag zur Geschichte dieser Bezeichnungen und Begriffe in Deutschland, in: ZBLG 13 (1941/42) 161–252.

131 stOlz, Wesen des Staates (wie Anm. 129) 237.132 Ebd. 237.133 brunner, Land und Herrschaft (wie Anm. 124) (21942) 160.134 stOlz, Wesen des Staates (wie Anm. 129) 237.135 Ebd. 238.136 brunner, Land und Herrschaft (wie Anm. 124) 269 bzw. (21942) 261–262.

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Dialektik“137 Brunners vor, der einen der „Wirklichkeit“ nicht gerecht werdenden Landesbegriff konstruierte. Durch das gesamte Buch Brunners zogen sich laut Stolz Auslassungen, Fehlinterpretationen und Konstruktionen, die durch den Mangel an herangezogenen Archiv- und gedruckten Primärquellen entstand, worauf Stolz ge-radezu allergisch reagierte: „Wenn aber B.[runner] S. 365 u. 435 sagt, daß in Tirol das Pfleggericht für dessen Insassen ‚die Herrschaft’ bedeute, so ist das mehr als ein nur formeller Verstoß gegen die Ausdrucksweise der Quellen, und der Verweis auf sämtliche Bände der Tiroler Weistümer hierfür ganz unzulänglich“138. Stolz wies nach, dass der Ausdruck ‚Pfleggericht’ nur in Salzburg üblich war und mit ‚Herrschaft’ in Tirol im 14. und 15. Jahrhundert stets der Landesfürst gemeint war. Am Ende seiner Besprechung hob Stolz die positiven Qualitäten von Brunners Werk hervor, indem er die „klare Darstellung“, die „große Fülle von Problematik“, die „Anregung und Belehrung“ sowie die „vorzügliche Einführung in den Stand der bisherigen Literatur und Forschung“139 herausstrich. Abschließend ließ sich Stolz noch zu den Themen „Neubau des deutschen Reiches“ und „das deutsche Nationalbewusstsein“ aus, in denen er klarzustellen versuchte, dass seine Interpretation der Geschichte besser in den nationalsozialistischen Kontext passte als jene Brunners. In seiner zweiten, aus-führlicheren und tief greifenden Kritik an Brunners „Land und Herrschaft“ führte Stolz aus, Brunner würde unter dem Begriff „Land“ ein „Gebiet eines einheitlichen Rechts unter verschiedenen Herrschaftsgewalten“ verstehen und behauptete, Brunners Ansicht vom Wesen des Landes sei eine „leere Abstraktion“140. Er verstieg sich sogar zur Behauptung, Brunners Ausführungen wären „bloßes Gerede“ und „eingebildete, willkürliche Meinungen“, die lediglich „anspruchsvoll vorgetragen“ wären141.

Im Vorwort zur zweiten Auflage von „Land und Herrschaft“ nahm Brunner zu den Vorwürfen von Stolz ausführlich Stellung. Dessen Kritik zur Definition von zentralen Begriffen wie Land, Herrschaft, Souveränität und Staat sah Brunner in der Tradition des Rechtspositivismus des 19. Jahrhunderts begründet. Stolz arbeite mit dem ver-alteten Begriffsapparat der allgemeinen Staatslehre des 19. Jahrhunderts, der für die Verfassungsgeschichte des Mittelalters ungeeignet sei. Brunner, der in seinem Buch v. a. nach neuen Beschreibungen für die Verfassung der mittelalterlichen politischen Gebilde suchte und den Begriff „Land“ als Verfassungsbegriff einführen wollte, fühlte sich in seiner Definitionsarbeit von Stolz „gröblich mißverstanden“: „Die germani-sche Kontinuität in der deutschen Verfassungsgeschichte werden wir nicht aufdecken, wenn wir neuzeitliche Begriffe so verallgemeinern, daß sie auch auf das Mittelalter anwendbar werden, sondern nur, wenn wir die Ordnung des Reichs und der Länder in ihrer Wirklichkeit beschreiben“142. Die von Stolz bemängelte Quellenarmut in „Land und Herrschaft“ wies Brunner zurück und sagte, dass umfangreiches Quellenmaterial

137 stOlz, Wesen des Staates (wie Anm. 129) 239.138 Ebd. 246.139 Ebd. 248. 140 stOlz, Land und Landesfürst (wie Anm. 130) 182, 186.141 Ebd. 224.142 brunner, Land und Herrschaft (wie Anm. 124) (21942) XXI.

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nichts bringe, wenn man deren Bedeutung nicht in den Gesamtzusammenhang einer konkreten Verfassung bringe und die Gültigkeit der gewonnenen Begriffe an der politischen Geschichte nachprüfe143. Er warf Stolz vor, den Inhalt der Urkunden und damit auch den Inhalt seines Buches missverstanden zu haben und an „abstrakten, schulmäßig definierten Begriffen“ festzuhalten. Den missbilligenden Aussagen von Stolz („eingebildete, willkürliche Meinungen“; „bloßes Gerede“) begegnete Brunner auf ähnlichem Niveau, als er behauptete, Stolz betrachte die Geschichte „allzusehr mit den Augen des Beamten“, woraus sich auch „sein starres Festhalten an einer längst erschütterten Begriffswelt“144 erkläre. Zusammenfassend erklärte Brunner, Stolz sei es „nicht gelungen, die Grundgedanken und den inneren Sinn dieses Buches wirk-lich zu erfassen“145 und er lehne alles ab, „was an fruchtbarer verfassungsgeschicht-licher Arbeit in den letzten Jahrzehnten geleistet wurde“146. Den Schlusspunkt der Auseinandersetzung setzte Stolz, der auf das Vorwort der 2. Auflage von „Land und Herrschaft“ reagierte und bemerkte, dass Brunner die Begriffsbildung überspitze147. Er fand, dass Brunner „vor lauter Sucht, eine neue Betrachtungsweise gegenüber der Staatsrechtslehre des 19. Jh. zu gewinnen und dadurch für sich den Ruhm einer wissen-schaftlichen Erneuerung oder Entdeckung zu erwerben, den wahren, d.h. quellenmä-ßigen Stand der Verfassung und Verwaltung des mittelalterlichen Landesfürstentums nicht in das richtige Licht setzt“148. Stolz ging so weit, Brunner eine „Scheu vor den Begriffen des jetzigen Staatsrechtes“ zu unterstellen, die ihn hindere, „unbefangen die Verhältnisse des Mittelalters zu erfassen und zu bezeichnen“149.

Nach 1943 brach die Kontroverse zwischen Stolz und Brunner abrupt ab. Stolz, der ab 1942 an der Universität Innsbruck die Vorlesung für deutsche Rechtsgeschichte hielt, lehnte die „Denkrevolution“150 Brunners bis zu seinem Tod ab. Als er im Jahr 1951 sein Lehr- und Handbuch zur österreichischen Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte veröffentlichte151, bescheinigte er darin zwar die „vortreffliche kritische Übersicht über den Stand der Erforschung der Verfassung und Verwaltung der österreichischen Länder im späteren Mittelalter“ in Brunners „Land und Herrschaft“, der Autor ver-fechte aber „die meines Erachtens irrige Gesamtthese, daß diese Länder im Wesen etwas anderes gewesen seien als der Begriff des neuzeitlichen Staates und verdun-kelt so die Kontinuität oder Zusammenhangsfolge, welche die Verfassungs- und

143 Ebd. XXII.144 Ebd. XIX. Otto stOlz, Land und Herrschaft. Zu Otto Brunners gleichnamigem Buch, in: ZBLG 14

(1943/44) 157–166, hier 165, bezeichnete diese Argumentation als „sehr schwach, um nicht zu sa-gen, lächerlich“.

145 brunner, Land und Herrschaft (wie Anm. 124) (21942) XII.146 Ebd. XXIII.147 stOlz, Land und Herrschaft (wie Anm. 144) 160.148 Ebd. 162.149 Ebd. 164.150 QuaritsCh, Otto Brunner (wie Anm. 126) 837.151 Otto stOlz, Grundriß der Österreichischen Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte. Ein Lehr- und

Handbuch (Innsbruck – Wien 1951).

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Verwaltungsgeschichte Österreichs tatsächlich durchzieht“152. Stolz’ Ablehnung von „Land und Herrschaft“ resultierte aus Brunners Arbeitsmethode. Bei Darstellungen, die nicht überwiegend auf archivalischer Quellenarbeit beruhten, war er grundsätz-lich skeptisch153. Dass eine abstrahierende Zusammenschau der Materie durch fast ausschließliche Bearbeitung der Sekundärliteratur, oder, wie bei Brunner, eine her-meneutisch-kritische Hinterfragung des verwendeten Begriffsapparates durchaus er-kenntnissteigernd für die Geschichtswissenschaft sein kann, wollte oder konnte Stolz nicht akzeptieren.

VI. Seine Publikationen, Arbeitsweise, Methoden, Rezensionen

Bis zu seinem Tod veröffentlichte Stolz 489 Schriften, davon 19 Monografien, 324 Beiträge zu Atlanten, Sammelwerken und Zeitschriften, sowie 146 Zeitungsartikel154. Nicht eingerechnet sind dabei die zahlreichen unveröffentlichten Gutachten im Rahmen seiner Archivtätigkeit. Stolz begann seine Publikationstätigkeit im Jahr 1909 und setzte sie mit Ausnahme der Kriegs- und Gefangenschaftsjahre 1915 bis 1920 ununterbro-chen fort. Nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft war er über dreieinhalb Jahrzehnte gleichmäßig produktiv. Im Durchschnitt veröffentlichte er circa 12 Werke unterschiedlichen Umfangs pro Jahr, sein Ausstoß verminderte sich selbst während des Zweiten Weltkrieges nur unwesentlich. Nach seiner Pensionierung vom Archivdienst im Jahr 1946 publizierte Stolz im folgenden Jahrzehnt sogar überdurchschnittlich viel, erst in seinen letzten beiden Lebensjahren senkte er seine Arbeitsleistung. 17 Schriften sind nach seinem Tod aus seinem Nachlass erschienen.

Tabellarische Übersicht zur Publikationstätigkeit von Otto Stolz von 1909 bis 1957 (Eigene Berechnungen nach Dörrer, Stolz (wie Anm. 146).

Thema Periode Publikationen in % Thema Periode Publikationen in %

Südtirol

1909–1914 3

Wirtschafts-geschichte

1909–1914 6

1920–1937 41 1920–1937 17

1938–1945 3 1938–1945 13

1946–1957 20 1946–1957 37 Summe 67 14 Summe 73 15

152 Ebd. 22.153 Wie auch bei Robert Ritter von srbik, Bergbau in Tirol und Vorarlberg in Vergangenheit und

Gegenwart (Innsbruck 1929), das Stolz stark verbesserungswürdig erschien, weil es ohne Quellen erarbeitet wurde. Dieselbe Kritik traf auch Hermann wOpfner, Die Lage Tirols zu Ausgang des Mittelalters (Berlin 1908). TLA, NL Otto Stolz, Kt. 17, Mappe 2.

154 Angaben nach Fridolin Dörrer, Veröffentlichungen von Otto Stolz, in: Otto stOlz, Geschichte der Verwaltung Tirols. Teilstück des 2. Bandes der Geschichte des Landes Tirol (Forschungen zur Rechts- und Kulturgeschichte 13, Innsbruck 1998) 265–304.

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Thema Periode Publikationen in % Thema Periode Publikationen in %

Alpinismus, Turn-wesen, Beiträge für großdeutsche und deutschnatio-nale Medien

1909–1914 3

Archivwesen und Quellenkunde

1909–1914

1920–1937 62 1920–1937 12

1938–1945 11 1938–1945 8

1946–1957 10 1946–1957 5

Summe 86 17 Summe 25 5

Rechtsgeschichte, Militärgeschichte

1909–1914 3 Lokal- und Regional-ge-schichte Tirols und seiner Nachbarländer

1909–1914 4

1920–1937 18 1920–1937 70

1938–1945 20 1938–1945 36

1946–1957 26 1946–1957 59

Summe 67 14 Summe 169 35

Summe 1909–1914 19 ca. 4 pro JahrSumme 1920–1937 220 ca. 13 pro JahrSumme 1938–1945 91 ca. 13 pro JahrSumme 1946–1957 157 ca. 14 pro JahrGesamt 1909–1957 487 ca. 12 pro JahrPosthum erschienen 17

Werke von Otto Stolz insgesamt 504

Bei seinen Themen wagte sich Stolz über den geografischen Raum von „Alttirol“ (Tirol in seinen Grenzen vor 1919, das heutige Nordtirol, Osttirol, Südtirol und Trentino) und seinen Nachbarländern (Vorarlberg, Bayern, Salzburg) kaum hinaus. Nur etwa zwei Dutzend kleinere Aufsätze und zwei Monografien155 hatten keinen direkten Ti-rol-Bezug. Als profunder Kenner des TLA zog er es vor, aus dessen Materialreichtum zu schöpfen. Den lokalen Horizont verließ Stolz nur, wenn es die Akten des Archivs erlaubten, z. B. zu Detailfragen zur Geschichte des Unterengadins, des Elsass, von Graubünden oder der ober- und vorderösterreichischen Länder. Seine wissenschaftli-chen Interessen galten der Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, der Wirtschafts-geschichte im weitesten Sinn (Verkehrs-, Geld- und Agrargeschichte, Zollwesen), der Tiroler Regionalgeschichte und dem Archivwesen. Mehr als 50 Prozent seiner Veröffentlichungen waren Lokalstudien, die sich mit Stadt-, Gemeinde-, Bezirks-, Talschafts- und Naturgeschichte in Tirol beschäftigten. Chronologisch bewegte sich sein Oeuvre hauptsächlich im Mittelalter und der Neuzeit. Seine Schriften mit zeitge-schichtlichen Bezügen waren durchwegs politische Arbeiten, die zum Teil aktuelle Entwicklungen ignorierten oder negierten. Dieser Befund gilt in erster Linie für seine reiche Publikationstätigkeit zum Thema Südtirol, bei der Stolz die Trennung zwischen Wissenschaft und politischer Leidenschaft besonders schwer fiel.

155 Otto stOlz, Geschichtliche Beschreibung der ober- und vorderösterreichischen Lande (Quellen und Forschungen zur Siedlungs- und Volkstumsgeschichte der Oberrheinlande, Karlsruhe 1943) und Ders., Grundriß (wie Anm. 151).

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Die Geschichtsforschung und die große Mehrheit der Historiker waren im 20. Jahrhundert ein Teil der politischen Kultur und damit dem Einfluss politischer Ideologien ausgesetzt. Für Tirol nach 1919 trifft diese Diagnose in besonderem Ausmaß zu. Stolz gehörte zu jenen im öffentlichen Dienst stehenden Berufshistorikern, die sich einerseits für politische Tagesziele engagierten (Südtirolfrage) und „wissenschaftliche“ Beiträge für ihre politischen Interessen sprechen ließen, andererseits aber die wissen-schaftliche Objektivität ihrer Forschung stets betonten156. Obwohl die politisch beein-flussten Schriften einen zentralen Teil seines Schaffens einnehmen, wäre es dennoch unangemessen, die Leistungen von Stolz ausschließlich daran zu messen. Weitgehend frei von weltanschaulicher Prägung waren Stolz’ Frühwerke zur Wirtschaftsgeschichte, die zum Teil noch immer als Standardwerke gelten, vor allem seine Beiträge zum Zoll- und Verkehrswesen. Stolz eignete sich schon früh jene Herangehensweise an ein Thema an, die er zeitlebens beibehielt: Um sich eine profunde Ausgangsbasis zu verschaffen, begann er vorzugsweise mit etymologischen Wortanalysen und ging dann, analog zu seiner Ausbildung als Geograph, auf naturräumliche Beschaffenheiten des Untersuchungsgebietes ein. Mit dieser Struktur, die dem Leser Bedeutungstiefe und Textsicherheit vermittelte, tastete er sich an seine Aufgaben heran. Der Aufbau seiner Arbeiten war grundsätzlich gut und streng strukturiert, worauf in Rezensionen immer wieder hingewiesen wurde. Zu methodischen Fragen der Geschichtswissenschaft äu-ßerte sich Stolz selten. In der Einleitung zu seinem letzten umfangreichen Werk, der „Geschichte des Landes Tirol“157, sah er die auf Quellenkenntnis basierende „strenge Sachlichkeit oder Objektivität“ als grundlegendes Prinzip der Geschichtswissenschaft. Induktiv, auf der Basis von Quellen, müsse der Historiker vorgehen, der zudem über allen politischen und religiösen Richtungen stehen sollte. Jede Bezugnahme auf die eigene Gesinnung lehnte Stolz ab. Tendenziöse oder parteiische Geschichtsdarstellung benutze zwar auch die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung, würde sie aber „nach ihren Zwecken und Gesichtspunkten“ formen158. Wer sollte besser Bescheid wissen als Stolz selbst, der als politischer Autor die Geschichte mehr als einmal für sein Weltbild zurechtrückte?

Stolz muss auf Grund seines umfangreichen Werkkataloges ein sehr rascher Arbeiter gewesen sein, der zudem kaum auf fremde Hilfe zurückgriff und auch Sach- und Personenregister selbst erstellte. Den Aussagen seiner Mitarbeiter und Schüler ist zwar quellenkritisch mit Skepsis zu begegnen, sie beschrieben Stolz aber einhellig als raschen und gleichmäßigen Arbeiter, der es verstand, aus reichem Quellenmaterial schnell den Sucus herauszuziehen159. Das ebenfalls in seinen Nachrufen erwähnte „enzyklopädische Wissen“160 und „sagenhafte Gedächtnis“ dürfte jedenfalls im

156 Zur Verknüpfung der Geschichtswissenschaft mit der Politik im 20. Jahrhundert siehe etwa Lutz raphael, Geschichtswissenschaft im Zeitalter der Extreme. Theorien, Methoden, Tendenzen von 1900 bis zur Gegenwart (München 2003) 18–20 und 81–95.

157 stOlz, Tirol (wie Anm. 57).158 Ebd. 15–19.159 Dörrer, Veröffentlichungen (wie Anm. 154) 265.160 kramer, Otto Stolz † (wie Anm. 61) 474.

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Laufe der Jahre nachgelassen haben, gelten doch seine Frühwerke als fundiertere, gründlichere Arbeiten161. Seine Alterswerke schrieb er oft rasch, worunter manchmal der Anmerkungsapparat litt, den er teilweise aus dem Gedächtnis, mit unstimmi-gen Quellenangaben, anfertigte162. Der selbst auferlegte Zeitdruck verschlechterte die methodische Qualität, wenn es darum ging, aus seriellen Quellen brauchbares Zahlenmaterial herauszufiltern. In seinen letzten Schaffensjahren scheute Stolz zeitauf-wändige Statistikarbeiten, die für präzisere Aussagen notwendig gewesen wären163.

Von seinen Mitarbeitern und Schülern stammen auch die wenigen Aussagen zu Stolz’ Charakter. Er soll „gerade und offen“, kantig und mit wenig Humor ausgestattet gewesen sein, wenige Freundschaften gepflegt und zurückgezogen gelebt haben164. Diese Eigenschaften standen offenbar im krassen Gegensatz zu jenen Helboks, der als „betriebsamer Organisator und Manager“ beschrieben wurde, der wusste, wie er seine Interessen durchsetzen konnte165, was ihm in seiner Karriere wahrscheinlich Vorteile gegenüber Stolz verschaffte. Stolz’ Vorlesungen an der Universität Innsbruck wurden als „etwas trocken“, aber „sehr gediegen“, „streng systematisch“ und „außerordentlich instruktiv“ charakterisiert166.

Außer mit Wopfner, Battisti und Brunner hatte Stolz keine größeren wissenschaft-lichen Konflikte ausgetragen, wenngleich er als Rezensent wegen seiner offenen Meinungsäußerung gleichermaßen beliebt wie gefürchtet war. Das Spektrum seiner Besprechungen reichte von sehr wohlwollend bis stark ablehnend, wobei es kein Zufall sein dürfte, dass die Werke von weltanschaulich näher gelegenen Autoren deutlich milder bewertet wurden als jene politischer Gegner. Herausragend aus der Vielzahl der Rezensionen von und zu Stolz war der Schlagabtausch zwischen Stolz und Ernst Klebel, die sich zwischen 1940 und 1942 mit negativen Buchbesprechungen ein-deckten. Stolz rezensierte Klebels „Landeshoheit in und um Regensburg“, mit dessen Typisierung und Terminologie er „nicht ganz einverstanden“ war, außerdem fehlte es laut Stolz an Systematik und Übersicht. Ähnlich fiel seine Besprechung zu Klebels „Die Grundherrschaften um die Stadt Villach“ aus167. Klebel seinerseits legte zu Stolz’ „politisch-historischer Landesbeschreibung von Südtirol“ (3. und 4. Lieferung 1939) „eine lange Liste von Wünschen“ vor, da der Autor „eine ganze Reihe von Fragen, die

161 Diese Aussage wird bestätigt in kramer, Otto Stolz † (wie Anm. 61) 474. Hervorzuheben sind Stolz’ frühe Standardwerke über das Zollwesen, die noch immer rezipiert werden (für diesen Hinweis dan-ke ich Prof. Dr. Josef Riedmann, Innsbruck).

162 U. a. davon betroffen: stOlz, Tirol (wie Anm. 57). Das Exemplar im Lesesaal des TLA enthält zahl-reiche handschriftliche Korrekturen.

163 Stolz’ teilweise schlampige Arbeitsweise wurde kritisiert von Herbert hassinGer, Der Verkehr über Brenner und Reschen vom Ende des 13. bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: Neue Beiträge zur geschichtlichen Landeskunde Tirols, Erster Teil (Tiroler Wirtschaftsstudien 26, Innsbruck – München 1969) 137–194.

164 kramer, Otto Stolz † (wie Anm. 61) 475.165 kramer, Probleme (wie Anm. 3) 146.166 kramer, Otto Stolz † (wie Anm. 61) 473.167 TLA, NL Otto Stolz, Kt. 17, Mappe 2. Ernst Klebel, Die Grundherrschaften um die Stadt Villach

(Klagenfurt 1942) und Ders., Landeshoheit in und um Regensburg (Regensburg 1940).

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notwendig zum Stoffe gehören, von der Behandlung ausgeschaltet“168 habe. Klebel bemängelte den Standpunkt von Stolz, „nur immer den Tiroler Landesfürsten zu se-hen und dessen Stellung über die Entstehung des Landes zurück den Grafen zuzu-schreiben“169. Stolz ignoriere neuere Forschungen, die das Hoheitsrecht von Salzburg, Passau, Regensburg, Freising und Augsburg „in einer Reihe von Gerichten auf die Forsthoheit zurückgeführt“ haben. Für Klebel war es „sehr auffallend, daß Brixen zwar grafschaftliche Rechte im Eisacktal, im Inntal und Pustertal erhalten hat, aber nur in einem ganz kleinem Gebiet zur Landeshoheit kam. […] Diese Gebiete, in denen der Bischof Landesherr war, decken sich zum großen Teil mit den an Brixen geschenk-ten Königsforsten Lüsen und Antholz.“ Klebel betonte daher, „daß das, was für die anderen Hochstifter Bayerns gilt, für Brixen ebenso gelten muß, also die Forsthoheit und nicht die ja als Lehen weggegebenen Grafschaftsrechte die Landeshoheit Brixens begründet haben.“ Von der Qualität der Auseinandersetzung ähnlich gelagert wie die Stolz-Brunner-Kontroverse, wird deutlich, dass sich Stolz als Vertreter der „alten Schule“ gegen methodische Neuerungen jüngerer Mediävisten immer weniger durch-zusetzen vermochte. Obwohl seine Werke zunehmend heftigerer Kritik ausgesetzt waren, operierte Stolz weiterhin bis zum Ende seiner wissenschaftlichen Tätigkeit mit einem veralteten Begriffsapparat der Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte. Seine Ablehnung neuer Forschungsansätze führte allmählich zu einer Aburteilung in die Schublade der „alten Schule“, was seinen Ruf schmälerte.

VII. Otto Stolz im Nationalsozialismus

Die auf Stolz zutreffenden Attribute deutschvölkisch und antisemitisch waren un-bestritten Bestandteile der NS-Ideologie, sie mussten aber nicht zwangsläufig zur Anhängerschaft des Nationalsozialismus führen. Wie im Kapitel zur Südtirolfrage ausgeführt, hatte sich Stolz schon 1930 gegen Hitlers Südtirolpolitik positioniert. Diese Ablehnung dürfte sich auch nach der Annexion Österreichs und der Schaffung Großdeutschlands nicht geändert haben, bekräftigte doch Hitler weiterhin seine bis-herige Haltung in dieser Frage170. Freilich gab es bei Stolz dennoch mehr Affinitäten als Konfliktlinien mit dem Nationalsozialismus. Der von Stolz seit dem Zerfall der österreichischen Monarchie propagierte Anschluss Österreichs an Deutschland wurde im März 1938 Realität, im April erklärte Stolz bereits, Hitler habe Österreich auf den Weg seiner „völkischen Bestimmung“ und zur „wirtschaftlich-sozialen Gesundung“

168 Ernst klebel, Buchbesprechung zu Otto stOlz, Politisch-historische Landesbeschreibung von Südtirol (Schlern-Schriften 40, 3. und 4. Lieferung, Innsbruck 1939), in: ZBLG 13 (1941/42) 403–404.

169 Ebd. 404.170 Die von Michael Gehler vertretene These, dass der „eminente Prestigezuwachs und Aufwertungsschub“

Hitlers um 1938 zur weitgehenden Akzeptanz seiner Südtirolpolitik bei den Nordtiroler „nationalen“ Eliten geführt habe, kann bei Stolz nicht verifiziert werden. Siehe Gehler, Hitler-Mythos (wie Anm. 55) 280 und 307.

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zurückgeführt171. Stolz’ deutschvölkische und antisemitische Gedanken fanden in der Politik des Nationalsozialismus ihre Bestätigung: „Ich habe seit meiner Jugendzeit jener politischen Richtung angehört, welche das Volk, seinen Bestand und sein Wohl und Wehe über den Staat gestellt hat und ich habe auch schon seit langem dieser Richtung meine wissenschaftliche Kenntnis und Fähigkeit gewidmet, weil sie auch meiner wissenschaftlichen Überzeugung entspricht; in dieser Hinsicht habe ich im Jahre 1938 wahrlich nicht umzulernen gebraucht“172. Offenbar musste oder wollte er dennoch „umlernen“, denn Stolz, der vor 1938 nicht zur „Rassenforschung“ gear-beitet hatte, schrieb plötzlich eine Handvoll Aufsätze und Artikel zu diesem Thema. Diese Publikationen standen im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Mitarbeiter des Rassenpolitischen Amtes für den Gau Tirol-Vorarlberg für Fragen der Sippen-forschung173. Als Archivdirektor dürfte ihm der Aufschwung der „Ahnenforschung“, die für die Erstellung der „Ariernachweise“ notwendig wurde, nicht entgangen sein. Ob er aus freien Stücken Mitarbeiter des Rassenpolitischen Amtes oder auf Grund seiner Stellung im Archiv automatisch eingebunden wurde, ist nicht bekannt, seine Aktivitäten zu diesem Thema hielten sich jedenfalls stark in Grenzen. Die „neue politische und rechtliche Bedeutung“ der „Sippe als Blutsverband“ schien Stolz, der wohl deutschvölkisch, aber nicht extrem sozialdarwinistisch dachte, nicht besonders zu interessieren. Als „Spezialist“ für Fragen der Sippenforschung hielt er vor der NSDAP-Ortsgruppe Innsbruck im März 1941 den Vortrag „Volkstum und Rasse im Reichsgau Tirol-Vorarlberg“174, der keine rassenbiologische Propaganda für ein rein „arisches“ Deutschtum enthielt. Seine wenigen Aufsätze zu diesem Thema gestalteten sich auffällig neutral und wiederholten im Kern seine siedlungsgeschichtlichen Ar-beiten zu Tirol175. Dass ihm jedoch die Darstellung der „Freiheit und Wehrhaftigkeit der Bauern“ in Tirol und Vorarlberg am Herzen lag, bewies er mit einem Vortrag

171 Otto stOlz, Tirol und das Deutsche Reich – Geschichtliche Beziehungen, in: Innsbrucker Nachrichten 85 (06.04.1938) 15.

172 stOlz, Land und Herrschaft (wie Anm. 144) 165.173 Stolz erwähnte diese Tätigkeit in einem Lebenslauf, gedruckt nach einer Quelle im UAI, in:

liChtmanneGGer, Geschichte des Lehrkörpers 2 (wie Anm. 78) 349, Nr. 373. Das Rassenpolitische Amt der NSDAP wurde 1934 von Rudolf Heß gegründet, ging aus dem Aufklärungsamt für Bevölkerungspolitik und Rassenpflege hervor und hatte Schulungs- und Propagandaarbeit zum Ziel, siehe Ernst klee, Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945 (aktua-lisierte Ausgabe Frankfurt/M. 2005) 729.

174 TLA, NL Otto Stolz, Kt. 9, Mappe 8.175 Beispielsweise Otto stOlz, Die Sippe im alten Tiroler Landesrecht, in: Adler 5 (1943) 166–169.

Die hier ausgeführte Argumentation steht im Gegensatz zu COle, Eigentümlichkeiten (wie Anm. 3) 203, der Stolz eine Anhängerschaft zur „Rassenlehre“ unterschiebt und daraus die ideologi-sche Identifizierung Stolz’ mit dem NS-Regime ableitet. Die Affinität Stolz’ mit Zielen der NS-Ideologie ist zwar tatsächlich gegeben, aber eben nicht aus seinen leidenschaftslosen Äußerungen zur „Rassenlehre“ ablesbar, sondern vielmehr wegen seiner deutschvölkischen und antisemitischen Aussagen. Dass Stolz Antisemit, aber dennoch kein Verfechter des Rassenbiologismus war, ging zusammen, denn Stolz interessierte sich für die gesetzlich verordnete „Rassenlehre“ („Nürnberger Gesetze“) nur im Zusammenhang mit der Siedlungsgeschichte und über den genealogischen Zugang der „Sippenforschung“ (Stolz war im Rassenpolitischen Amt für Fragen der „Sippenforschung“ zu-ständig). Cole selbst unterstützt diese These durch ein Zitat von Stolz (Anm. 38).

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bei einer von Theodor Mayer organisierten Tagung im Rahmen des „Einsatzes der Geisteswissenschaften im Krieg“ 1941 in Weimar176.

Neu unter nationalsozialistischer Herrschaft war auch die umfangreiche Gutachtertätigkeit des Archivs im Auftrag der Gauleitung, die Stolz zumeist persön-lich, manchmal unter Mithilfe eines Archivbeamten, erledigte. Von 29 dokumen-tierten Gutachten betrafen mehr als die Hälfte siedlungsgeschichtliche Themen, die sich vor dem Hintergrund der Südtirolfrage in erster Linie mit der Geschichte der Tiroler Regionen als „Grenzlandgebiete“ beschäftigten. Gauleiter Hofer und sein Stellvertreter Parson ließen sich von Stolz über das Verhältnis zwischen Nord- und Südtirol und über die „geschichtliche Zugehörigkeit“ von Tiroler Grenzregionen bzw. Sprachgruppen informieren177. Ein zweiter Themenkomplex der Expertisen betraf die Tiroler Kriegsgeschichte. Großes Interesse zeigten die Nationalsozialisten für die Tiroler „Nationalhelden“ Andreas Hofer und Michael Gaismair sowie, unter stän-diger Hervorhebung der „Wehrhaftigkeit“ der Tiroler Bevölkerung, für das Tiroler Schützenwesen. Martin Bormann, Leiter der Parteikanzlei der NSDAP, verlangte 1942 nach einem „Verzeichnis der geschichtlich hervorragenden Männer aus dem Reichsgau Tirol und Vorarlberg und deren Grabstätten“178, vermutlich zur planvol-leren Inszenierung der Heldenverehrung und des Totenkults, beides ideologische Versatzstücke zur Motivierung für den Kriegseinsatz. In gewohnter Akribie erstell-te Stolz eine Liste mit Tiroler Persönlichkeiten aller Gesellschaftsbereiche von der Kultur bis zur Politik. Sein letztes Gutachten vom Mai 1944 war eine Kurzbiografie zu Michael Gaismair. Die Anfrage dazu war durch das Vorhaben veranlasst worden, eine Abteilung der Waffen-SS nach Gaismair zu benennen. Von den 29 im Repertorium erwähnten Gutachten fehlt im NL Otto Stolz nur jenes mit dem Titel: „Verhalten der Juden in Tirol“. Wegen der Brisanz dieses Themas wäre es spannend, den Inhalt dieses Gutachtens zu kennen, das leider auch nach eingehender Suche unauffindbar blieb179.

176 Gedruckt im Tagungsband: Adel und Bauern im deutschen Staat des Mittelalters, hg. v. Theodor mayer (Leipzig 1943) 170–212. Siehe auch das Protokoll der Tagung vom 31.10. und 01.11.1941 in Weimar 28–31. Aus Innsbruck nahmen noch Harold Steinacker und Karl Hans Ganahl teil. Das Protokoll ist erhalten etwa im Nachlass des Teilnehmers Wilhelm Weizsäcker im AAVČR, Osobní fond Wilhelm Weizsäcker, K. 6 Nr. 107. Vgl. weiters zu Stolz Frank-Rutger hausmann, „Deutsche Geisteswissenschaft“ im Zweiten Weltkrieg. Die „Aktion Ritterbusch“ 1940–1945 (Schriften zur Wissenschafts- und Universitätsgeschichte 1, Dresden 1998) 111, 189 und 192, der ebd. bemerkt: „Dieser Gruppe [freie Bauern] galt dann das besondere Interesse des Bandes. Die einzelnen Beiträge sind, läßt man den Kontext außer Acht, im allgemeinen wissenschaftlich ‚zeitlos’. Nur Otto Stolz wollte ein Modell der deutschen Wehrbauern der Gegenwart in der Vergangenheit von Tirol und Vorarlberg ausmachen und erklärte das Reichserbhofgesetz von 1933 für unnötig, da das Tiroler Höferecht von 1900 den gleichen Zweck erfülle.“ Auch zur letzten „Kriegseinsatz“-Besprechung im Januar 1945 in Braunau lud Mayer Stolz ein, siehe Mayers Brief vom 25.12.1944 in MGH, Archiv B 704 II, 2–3. Für Hinweise auf dieses Wirken Stolz’ danke ich Karel Hruza.

177 Beispielsweise Gutachten 1: „Kurze Grundgedanken über den geschichtlichen Zusammenhang zwischen Nord- und Südtirol“; Gutachten 2: „Die geschichtliche Stellung der Ladiner Südtirols“; Gutachten 10: „Die geschichtliche Zugehörigkeit von Kufstein“. Alle Gutachten für die Gauleitung befinden sich im TLA, NL Otto Stolz, Kt. 12, Mappe 3.

178 TLA, NL Otto Stolz, Kt. 12, Mappe 3, Gutachten 12.179 Ich danke Herrn Thomas Albrich (Institut für Zeitgeschichte, Innsbruck) für seine Bemühungen zur

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Im Mittelpunkt von Stolz’ Tätigkeit für die Gauleitung stand die historische Sicherung von Gebietsansprüchen auf „deutsche“ Regionen. Seine Arbeiten aus den 20er und 30er Jahren, in denen er die Ausbreitung des Deutschtums untersuchte, erwiesen sich als äußerst interessant für die NS-Führungsriege. Besonders nach dem Sturz Mussolinis im Juli 1943, als gewisse Hoffnung auf eine Wiedervereinigung der Tiroler Landesteile bestand, wurde die Frage erneut aufgeworfen, inwiefern geschichtliche Ansprüche auf die deutschsprachigen Gebiete innerhalb Italiens von Seiten des Deutschen Reichs for-muliert werden könnten. Stolz beschrieb in mehreren Gutachten die deutschsprachigen Gebiete im Detail und wies ihre Zugehörigkeit zu Tirol und Österreich geschichtlich nach. Er bestätigte auch die überwiegende Italienischsprachigkeit der Bevölkerung des Trentino und belegte die wenigen deutschen Sprachinseln in diesem Raum. Das Resümee seiner Untersuchungen gliederte er in einen „politisch-staatsrechtlichen“ und einen „sprachlich-volklichen“ Teil. Politisch-staatsrechtlich vollzog Stolz einen bemerkenswerten Spagat, indem er „das heutige Deutsche Reich als Erbe des alten Deutschen Reiches und in einem gewissen Sinne auch des alten Staates Österreich“ betrachtete und dem „Reichsgau Tirol-Vorarlberg als Nachfolger des alten Landes Tirol sicherlich einen tausendjährigen Rechtsanspruch auf den Besitz und die Zugehörigkeit von Welschtirol oder des Trentino“180 bescheinigte. Damit verdrängte er die österreichi-sche Erste Republik und die deutsche Weimarer Republik als historische Faktoren.

Der Wunsch nach der Einheit Tirols schien sich 1943 zu erfüllen. Gauleiter Hofer trieb die Errichtung der „Operationszone Alpenvorland“, in der von Nordtirol bis nach Belluno praktisch alle Landesteile des „alten“ Tirol wieder vereint waren, maßgebend voran. Mit der Einsetzung eines Obersten Kommissars für die Operationszone ab September 1943 wurde die Landeseinheit de facto wieder hergestellt181. Stolz erteilte in einem Gutachten sogleich Ratschläge für den Fall, dass die bäuerliche Bevölkerung des Trentino, die er seit langem deutschfreundlich einschätzte, weil die Bauern in Österreich seiner Meinung nach besser lebten als in Italien, wieder „in einen politi-schen Verband“ mit dem Deutschen Reich eintreten wollte. Die Regierung sollte in diesem Fall neben der italienischen auch die deutsche und ladinische Schriftsprache als Verwaltungssprache einführen. Ausdrücklich warnte er davor, die italienische Sprache völlig auszuschließen, denn damit wäre die italienische Vorgehensweise in Südtirol, die zu großer Ablehnung der deutschen Bevölkerungsmehrheit führte, im Trentino spiegelverkehrt kopiert worden182.

Die Gesinnungslage im akademischen Milieu war den Ideen des Nationalsozialismus insgesamt nicht abgeneigt. Auch Stolz sympathisierte teilweise mit den Zielen der NS-Politik. Wie bei vielen anderen war es aber auch bei ihm ein weiter Schritt vom Sympathisanten zum Anhänger der Partei oder gar zur Verehrung Hitlers. Es wird

Auffindung dieses Gutachtens.180 TLA, NL Otto Stolz, Kt. 12, Mappe 3, Gutachten 24: „Die geschichtliche Stellung Welschtirols“

23.181 Gehler, Hitler-Mythos (wie Anm. 55) 301.182 TLA, NL Otto Stolz, Kt. 12, Mappe 3, Gutachten 24: „Die geschichtliche Stellung Welschtirols“,

24.

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überliefert, dass er „schon im Jahre 1939 und erst recht bei Kriegsausbruch“ Bedenken gegen die NS-Politik geäußert habe183 und ein “Gegner des autokratischen Regimes Hitlers“ gewesen sei, der seine Kritik „wiederholt namentlich vor illegalen Studenten zum Ausdruck gebracht“ habe184. Diese Aussagen sind zwar quellenkritisch proble-matisch, decken sich aber mit der Lustlosigkeit von Stolz, sich mit „rassenpolitischen“ Fragen zu beschäftigen, die er mit allgemeinen siedlungsgeschichtlichen Ausführungen umging. Dennoch stellte er am 25. Februar 1939 den Antrag auf Mitgliedschaft in der NSDAP, der er per 1. Jänner 1940 mit der Nummer 7,891.842 angehörte185. Im Anhang zum Meldeblatt zur Registrierung der Nationalsozialisten („Verbotsgesetz“) aus dem Jahr 1946 verlegte Stolz seine Parteianwärterschaft auf Ende 1939 und trat nach eigener Aussage deshalb in die Partei ein, weil ich den Eindruck hatte, dass mir sonst mit der Zeit die Leitung des Landesregierungsarchives, die ich seit 1932 inne-hatte und auch heute noch inne habe, entzogen und damit eine andere Persönlichkeit betraut würde, welche dieses Amt ausschliesslich in dem Sinne, um der Führung der Partei zu gefallen und nicht im bisherigen objektiv-fachlichen Sinne ausüben wür-de186. Die Parteimitgliedschaft, zu der er sich angeblich als Amtsdirektor „verpflichtet fühlte“187, brachte Stolz im Machtspiel um ein Ordinariat an der Universität Innsbruck keine erkennbaren Vorteile. Am 27. Oktober 1939 wurde er als Titularprofessor (im reichsdeutschen Sprachjargon: außerplanmäßiger Professor) an der Philosophischen Fakultät Innsbruck für die Fachgebiete Landesgeschichte und Archivkunde bestätigt188, im Reichsgauarchiv hatte er am 18. März 1938 den Diensteid auf den „Führer“ zu leisten189. Stolz gehörte weiters den nationalsozialistischen Formationen Reichsbund Deutscher Beamter (RDB), NS-Volkswohlfahrt (NSV), Reichsluftschutzbund (RLB) und NS-Reichsbund für Leibesübungen (NSRL) an. Die Mitgliedschaften dürften Stolz teils aus Zwang, teils aus Eingliederung der lokalen Verbände in reichsdeutsche Dachorganisationen erwachsen sein. Seine hohe NSDAP-Mitgliedsnummer korre-spondierte mit seinem verspäteten Eintritt in die Vaterländische Front (VF) sechs Jahre zuvor. Die Mitgliedschaft in der VF war zwar wie in der NSDAP freiwillig, eine Nicht-Mitgliedschaft war jedoch gleichbedeutend mit einem Berufsverbot im öffentli-chen Dienst190. Durch die Mitgliedschaften in der VF und in der NSDAP schaltete der Familienvater Stolz das Risiko aus, seine hohe Beamtenstellung zu verlieren. Dieser

183 kramer, Probleme (wie Anm. 3) 144.184 Erkenntnis der Überprüfungskommission beim BMU vom 13.09.1947, Abschrift aus dem UAI, ab-

gedruckt in: liChtmanneGGer, Geschichte des Lehrkörpers 2 (wie Anm. 78) 349, Nr. 374.185 BAB, R (BDC), NSDAP-Gaukartei, Otto Stolz.186 StA Innsbruck, „Entnazifizierungsakt“ Otto Stolz, Anhang zum Meldeblatt des Prof. Otto Stolz.187 kramer, Probleme (wie Anm. 3) 144.188 BAB, R 4901/15534 (Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung), Stolz,

Otto.189 „Ich schwöre: Ich werde dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes Adolf Hitler treu und ge-

horsam sein, die Gesetze beachten und meine Amtspflichten gewissenhaft erfüllen, so wahr mir Gott helfe.“ TLA, AdTLR, Präs., PA Otto Stolz.

190 Emmerich tálOs, Walter manOsChek, Aspekte der politischen Struktur des Austrofaschismus, in: Austrofaschismus. Politik-Ökonomie-Kultur 1933–1938, hg. v. Emmerich tálOs, Wolfgang neuGebauer (Politik und Zeitgeschichte 1, Wien 52005) 124–160, hier 147. Im Nationalsozialismus

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Konformismus unterstützt die These, dass Stolz eher zu den Opportunisten zu zählen ist als zu den fanatischen NS-Anhängern. Allein der Parteiname „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei“ dürfte bei Stolz zunächst unterschiedliche Konnotationen hervorgerufen haben: Der Nationalismus war dem Chauvinisten Stolz in Tiroler Fragen zu wenig stark ausgeprägt, gegen den Sozialismus hatte er seit jeher eine Aversion, das Deutsche sah er als heilbringend, zur Arbeiterklasse zählte er sich als Akademiker nicht und das Parteienwesen war ihm suspekt. Eine differenzierte Betrachtung ver-mittelt insgesamt ein diffuses und nuancenreiches Bild von Stolz, der sich oberfläch-lich zur Sicherung seiner beruflichen Stellung immer wieder den neuen politischen Gegebenheiten anpasste und erforderliche Adaptionen an die aktuelle Politik stets vornahm, im Wesentlichen aber seiner in jungen Jahren eingeschlagenen wissenschaft-lichen und politischen Linie treu blieb. In wissenschaftlicher Hinsicht waren seine Paradigmen ebenso starr wie seine politischen Prinzipien, er wechselte seine Position nicht mit jedem politischen Machtwechsel oder innerdisziplinären Disput.

Inhaltliche Akzentverschiebungen der wissenschaftlichen Veröffentlichungen fan-den bei Stolz während der NS-Zeit nur an der Oberfläche statt. Als Reaktion auf einen Vorschlag von Theodor Mayer veränderte er die Titelformulierung eines Aufsatzes zur Geschichte Tirols von „tirolische Landesgeschichte“ in „Deutsche Geschichte im tirolischen Raum“191. Regionalpatriotismus wurde mit großdeutschem Pathos un-terlegt, der mitunter auch den Einleitungs- oder Schlussabsatz durch nationalsozia-listische Floskeln verdarb. In Stolz’ Nachlass befindet sich ein Manuskript mit dem Titel „Die Auffassung der Staatsgewalt im alten Tirol. Eine geschichtliche Vorstufe der Führergewalt im Großdeutschen Reich“, dessen erster Satz lautet: Unser heuti-ges Großdeutsches Reich, das derzeit in schwersten Kämpfen gegen eine Welt von Feinden verteidigt werden muss, ist in seiner gesamtvölkischen Ausdehnung und in seiner Vereinheitlichung und Stärkung der Staatsgewalt etwas ganz Neues in der deutschen Geschichte, das am besten in dem Leitspruch ausgedrückt wird: Ein Volk, ein Reich, ein Führer192. Die Genese derartiger propagandistischer Aussagen von Stolz ist wegen der Anonymität des Adressaten und des Zwecks der Schrift ebenso interessant wie nebulös, vor allem die Frage betreffend, ob sie den „wahren“ oder den „opportunistischen, angepassten“ Stolz repräsentierte. Im dichten Netzwerk von Partei(-politik), persönlichem Karrierestreben und Wissenschaft bleibt eine Analyse solcher unveröffentlichter Textteile spekulativ. Erwiesen ist jedoch, dass Stolz kein NS-Sympathisant der ersten Stunde war und sich erst zögernd den wechselnden Machtverhältnissen anpasste, wenngleich es ideologische Übereinstimmungen mit dem Regime zweifellos gab.

war für die Beamtenschaft zumindest der Status eines Parteianwärters (Antrag auf Parteimitgliedschaft) erforderlich.

191 TLA, NL Otto Stolz, Kt. 16, Mayer an Stolz am 18.06.1943.192 Ebd. Kt. 12, Mappe 2/22.

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VIII. Otto Stolz nach 1945

Wie Günter Fellner bemerkte, waren die österreichischen Historiker nach 1945 auf sprachlicher Ebene kaum bereit oder fähig, den politischen und kulturellen Bruch nachzuvollziehen, sie „dachten und schrieben weiterhin in Begriffen, die wesentlich zur Ausformung und Verfestigung dieser [der Nazi-] Ideologie beigetragen hatten“193. Für Stolz traf diese Feststellung wie bei vielen anderen ins Schwarze, denn er veränderte seine Inhalte und seine Terminologie nur ansatzweise. So sprach er beispielsweise im Jahr 1950 von der geschichtswissenschaftlichen Verwertung der „Rassenforschung“, die er zwar nie im rassenbiologischen Kontext des Nationalsozialismus betrieben hatte, aber in seiner Autobiografie (1950) in Form einer ausführlichen „Sippenge-schichte“ viel Platz einnahm194. An anderer Stelle zitierte Stolz im Zusammenhang mit rechtsgeschichtlichen Erläuterungen den „völkischen Grundbestand“, auf den er die unterschiedlichen Hofstrukturen in Tirol zurückführte195. Dem Antisemitismus stand er nach 1945 differenzierter gegenüber, wenn er zumindest die vom NS-Regime ver-anlasste „allgemeine Rechtsminderung“ für Juden und die „widerrechtliche Bedrohung an Leib und Leben“ verurteilte196. Diese Kritik trat allerdings nicht in Widerspruch zu seinen eigenen (wirtschafts-)antisemitischen Aussagen der Zwischenkriegszeit, als er das angebliche Vorteils- und Machtstreben der Juden anprangerte. Von der seit Jahrzehnten geübten ideologisch überhöhten Darstellung des Tiroler Bauerntums konnte sich Stolz nach 1945 ebenfalls nicht mehr lösen. In der Einleitung zu einem seiner am häufigsten zitierten Werke bezeichnete er die ländliche Bevölkerung als „den natürlichen Lebensquell der gesamten Nation“197 und knüpfte damit an die Blut-und-Boden-Ideologie der Nationalsozialisten an.

Es war zunächst die NSDAP-Mitgliedschaft, die Stolz nach Kriegsende Probleme bereitete. Bei der Nationalratswahl am 25. November 1945 durfte er seine Stimme nicht abgeben. In einer Eingabe an die zuständige Wahlbehörde bat Stolz um die Zuerkennung des Wahlrechts mit dem Argument, dass er bei den Lehrstuhlbesetzungen 1941 (nach Wopfners Ausscheiden) und 1942 (nach Ganahls Tod) nicht berücksich-tigt worden war. Dadurch, dass ich bei diesen Beförderungsanträgen übergangen wurde, habe ich einen merkbaren materiellen Schaden und nicht minder eine ge-

193 fellner, Geschichtswissenschaft (wie Anm. 4) 151.194 stOlz, Abstammung (wie Anm. 15) 89–97 und 99. Es wird bei Stolz nicht klar, ob er mitunter von

„Rassenforschung“ sprach, aber eigentlich „Sippenforschung“ meinte, was bedeuten würde, dass für ihn beide Begriffe gleichwertig waren.

195 Otto stOlz, Rechtsgeschichte des Bauernstandes und der Landwirtschaft in Tirol und Vorarlberg (Bozen 1949) 446–447. Der Begriff „völkisch“, der auch bei Wopfner nach 1945 vorkommt, siehe Hermann wOpfner, Bergbauernbuch 2: Bäuerliche Kultur und Gemeinwesen, hg. v. Nikolaus Grass (Schlern-Schriften 297 = Tiroler Wirtschaftsstudien 48. Folge, Innsbruck 1995) 452, Anm. 29 (die Entstehung dieses Textes wird in der NS-Zeit vermutet), ist für Grass ein Indikator für die Abfassung eines Textes während der NS-Zeit, er wurde jedoch auch von anderen Autoren nach 1945 noch ver-wendet.

196 stOlz, Grundriß (wie Anm. 151) 264.197 stOlz, Rechtsgeschichte (wie Anm. 195) 2.

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wisse Zurücksetzung meines fachlichen Ansehens erlitten, und zwar sicherlich aus politischen Gründen, weil ich mich nicht um eine Empfehlung durch die Partei beworben habe, bezw. meine Konkurrenten eine solche, und zwar jener im letzten Falle [Falk Zipperer] eine besondere parteipolitische Protektion besessen haben198. Mit dieser Argumentation verschleierte Stolz, dass ein Übertritt vom Archiv an die Universität nicht einer Beförderung, sondern vielmehr einem Berufswechsel gleich gekommen wäre, denn ein Ordinariat und die Archivleitung in Personalunion wa-ren nicht denkbar. Eine Beförderung innerhalb der Gauverwaltung, beispielsweise vom Leiter der Unterabteilung II f (Reichsgauarchiv) zum Leiter der Abteilung II (Erziehung, Volksbildung, Kultur- und Gemeinschaftspflege) hatte Stolz hingegen nie angestrebt.

Der verweigerten Wahlteilnahme folgte die Nennung auf der Registriertenliste („Verbotsgesetz“) als „Minderbelasteter“, wogegen Stolz Einspruch erhob. Seine Hauptargumente waren die ununterbrochene wissenschaftliche Auswertung des Archivs im Sinne der überlieferten geschichtlichen Bedeutung des Landes Tirol und des Staates Österreich, für die er einige Bestätigungen von Forschern beilegte, seine faire Behandlung von Mitarbeitern, die keine Parteimitglieder waren und sein Eintreten für den Verbleib von Bibliotheks- und Archivbeständen der Klöster Stams, Wilten und Fiecht in Tirol, die laut seiner Aussage ansonsten in der Berliner Zentralbibliothek gelandet wären199. Besonders augenfällig hob er wieder die materielle Schädigung hervor, die er während des NS-Regimes durch den Entzug eines Lehrauftrages und die Nichtberücksichtigung bei den Professorenernennungen erlitten hätte. Stolz’ Einspruch kam allerdings zu spät – mit Datum 3. Februar 1948 wurde sein Antrag vom 31. Dezember 1947 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumnis des fristgerechten Einspruches gegen die Eintragung in der Registriertenliste abgelehnt. Der Berufung gegen diesen Bescheid des Stadtmagistrats Innsbruck legte er u. a. den bereits erwähnten „Persilschein“ Wopfners bei200, sowie ein Schreiben von Grass, der aussagte, dass Professor Stolz ein um das Land Tirol hochverdienter Mann ist, der die Schäden des NS-Regimes auch seit jeher gekannt u. manche Wahnsinnstat des Gauleiters Hofers auf dem Gebiete der Archivwesens abgewehrt hat201. Die Berufung wurde am 26. Oktober 1948 „mangels gesetzlicher Möglichkeiten“ abgelehnt202. Die Aussage von Grass und Stolz’ kleinere Arbeiten zur Demokratie in Tirol aus den Jahren 1945/46203 reichten nicht aus, um der Säuberung des öffentlichen Dienstes zu entgehen. Trotz der Bestätigung seines erstma-

198 TLA, NL Otto Stolz, Kt. 16, Mappe St, Stolz an die Wahlbehörde für die Stadt Innsbruck (Polizeirevier Hötting) am 16.11.1945.

199 StA Innsbruck, „Entnazifizierungsakt“ Otto Stolz, Anhang zum Meldeblatt des Prof. Otto Stolz.200 Siehe Anm. 111.201 StA Innsbruck, „Entnazifizierungsakt“ Otto Stolz, Bestätigung von Nikolaus Grass, datiert Innsbruck,

17.02.1948.202 TLA, AdTLR, Abt. Ic-NS, K. 15, Zahl 5325/1948.203 Otto stOlz, Demokratie im Stadtrecht von Innsbruck, in: Volkszeitung Nr. 117 (1946) 5; Ders.:

Demokratie in der alten Tiroler Landesverfassung, in: Volkszeitung Nr. 127 (1946) 4; Ders.: Die alte Tiroler Landesfreiheit. Geschichtliches über die Entwicklung einer demokratischen Landesverfassung, in: Alpenbote (1946) 88–95. Stolz verfasste im Jahr 1945 für die französische

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ligen Bekenntnisses zur österreichischen Demokratie aus dem Jahr 1922204 konnte er die Eintragung seines Namens in die Registriertenliste nicht verhindern. Sein Aufscheinen darin zog im Jahr 1946, zeitgleich mit dem Erreichen der Altersgrenze von 65 Jahren, die Zwangspensionierung als Archivdirektor nach sich. Das vom Ministerrat eingesetzte Komitee zur Säuberung der höchsten Staats- und Wirtschaftsstellen hat per Erlass vom 16. April 1946 die Pensionierung von Stolz beschlossen205. Er wurde aufgefordert, von sich aus ein Pensionierungsgesuch zu stellen. Stolz kam dieser Aufforderung nach, erbat sich aber zur Weiterführung seiner wissenschaftlichen Arbeit das Archiv wie bis-her nutzen zu dürfen und sich auch einer Schreibkraft des Archivs zu bedienen. Die Landeshauptmannschaft kam der Bitte entgegen, Stolz wurde per 1. September 1946 vom Archivdienst pensioniert. Bereits ab Juni 1946 übergab Stolz die Leitung des Archivs an seinen langjährigen Stellvertreter Karl Dörrer.

An der Universität Innsbruck wurde Stolz der Überprüfung gemäß § 19 Abs. (1) lit. b des Nationalsozialistengesetzes vom 6. Februar 1947 unterzogen, die er jedoch, paradoxerweise im Gegensatz zur „Entnazifizierung“ im öffentlichen Dienst, unbe-schadet überstand. Unter dem Kommissionsvorsitz des Sektionschefs im BMU Otto Skrbensky erhielt er die Berechtigung zurück, als Privatdozent für österreichischen Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte zu lehren206. Stolz wurde in der Begründung als NS-Gegner eingestuft, der der NSDAP aus Schutzbedürfnis beigetreten war und ansonsten keine Vorteile aus der Parteimitgliedschaft gezogen hatte. Bis 1954 konn-te Stolz an der Universität Vorlesungen halten und wirkte zudem als Betreuer von Dissertationen sowie als Koreferent bei Habilitationen (Grass 1946, Hans Lentze 1947, Franz Klein-Bruckschwaiger 1955).

Zu Stolz’ Aktivitäten für das Rassenpolitische Amt lieferte das „Entnazifizierungsverfahren“ keine neuen Erkenntnisse. Im Meldeblatt zur Registrierung der Nationalsozialisten stand beim Punkt „Funktion in der NSDAP“ handschriftlich „keine“, obwohl Stolz selbst in einem Lebenslauf vom 12. April 1943207 auf diese Funktion aufmerksam gemacht hatte und das Rassenpolitische Amt als Dienststelle der NSDAP geführt wurde. Stolz dürfte aber nur eine ehrenamtliche Funktion ohne höheren Rang in der Partei bekleidet haben, weshalb die Meldung unterbleiben konn-te. Die Konsequenzen der Entnazifizierung waren für Stolz nicht schwerwiegend, denn außer der Parteimitgliedschaft konnte ihm nichts vorgeworfen werden, da er in keinem militärischen Verband inkorporiert war. Die Erreichung der Altersgrenze und die Zwangspensionierung bewahrten ihn davor, weitere Sühnemaßnahmen tragen zu müssen. Ein eventuelles Berufsverbot traf ihn nicht mehr, und an der Universität

Militärregierung eine Reihe von Gutachten die Südtirolfrage betreffend, in denen er ebenfalls die de-mokratische Geschichte Tirols herausstrich, siehe: TLA, NL Otto Stolz, Kt. 11, Mappe 5.

204 Otto stOlz, Die alte Tiroler Landesverfassung – ein Erbstück bodenständiger Demokratie, in: Tiroler Heimat 2 (1922) 39–53.

205 TLA, AdTLR, Präs., PA Otto Stolz.206 liChtmanneGGer, Geschichte des Lehrkörpers 2 (wie Anm. 78) 349, Nr. 374. Auch Grass, den Stolz

1946 als Koreferent bei dessen Habilitation betreute, war Mitglied der Überprüfungskommission!207 Vermutlich erstellt für die Bewerbung um die Nachfolge Ganahls, siehe liChtmanneGGer, Geschichte

des Lehrkörpers 2 (wie Anm. 78) 349, Nr. 373.

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konnte er ja weiterhin unterrichten. Sein Name wurde gemeinsam mit allen an-deren „Minderbelasteten“ per Gesetz vom 13. Juli 1949 (BGBl. Nr. 162) von der Registriertenliste gestrichen. Dieser Akt setzte einen formalrechtlichen Schlussstrich unter Stolz’ NS-Vergangenheit, die einige Fragen offen lässt. Während seine „wissen-schaftliche Grenzlandarbeit“ im Rahmen der AFG bekannt ist, bleiben letztlich seine Aufgaben im Rassenpolitischen Amt und seine Mitwirkung bei der Evakuierung der Archiv- und Bibliotheksbestände der Tiroler Klöster weitgehend im Dunkeln.

Die Publikationstätigkeit von Stolz erreichte bereits 1947 wieder die Quantität der 30er Jahre. Er schrieb jetzt weniger zu den Themen Archivwesen und Alpinismus, dafür erhöhte er, parallel zu seiner Tätigkeit an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, den Ausstoß an verfassungs- und verwaltungsgeschichtlicher sowie an wirtschafts-historischer Literatur. Seine bedeutendsten Monografien nach 1945 waren die „Rechtsgeschichte des Bauernstandes und der Landwirtschaft in Tirol und Vorarlberg“ (1949), der „Grundriß der Österreichischen Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte“ (1951) und der erste Band der „Geschichte des Landes Tirol“ (1955). Die Arbeiten am zweiten Band konnte Stolz nicht mehr vollenden, ein Teil des Manuskripts wurde 1998 herausgegeben208. Die von Grass vermutete „zusammenfassende Krönung seiner wissenschaftlichen Lebensarbeit“209 konnte die „Geschichte des Landes Tirol“ hinge-gen schon allein wegen ihrer Unvollständigkeit nicht werden, und darüber hinaus litt sie an den bereits erwähnten Schwächen von Stolz’ Alterswerken.

IX. Zusammenfassung

„Die wissenschaftliche Tätigkeit ergreift ja mit ihrem Eifer den ganzen Menschen und wird nicht als Last, sondern als eine Befriedigung und Freude des ganzen Daseins ge-fühlt“210.

Die Basis von Stolz’ Werken bildeten stets archivalische Quellen, in erster Linie aus dem TLA, und Sekundärliteratur. In beiden Bereichen galt er als ausgezeichne-ter Kenner. Seine Arbeiten sind von der Handschrift eines soliden und gründlichen Handwerkers gekennzeichnet, der sein Metier beherrscht. Darüber hinaus kann Stolz aber nicht zugute gehalten werden, dass er neue Ideen in die historische Forschung einge-bracht hätte. Die von ihm praktizierte Zusammenführung von Geschichte und Geografie kann nicht als wirkliche Neuerung eingestuft werden. Aus seiner Richtung kamen kei-ne geschichtsphilosophischen oder methodologischen Erneuerungsvorschläge, die der Geschichtswissenschaft Impulse verliehen hätten. Stolz bekämpfte im Gegenteil jene, die Veränderungen anstrebten, die außerhalb des Rahmens seiner Ausbildung und damit

208 Otto stOlz, Geschichte des Landes Tirol 2, Verwaltungsgeschichte Tirols, bearb. v. Dietrich thaler (Forschungen zur Rechts- und Kulturgeschichte 13, Innsbruck 1998). Weitere Teile des Manuskripts zum 2. Bd. dürften ungedruckt im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum liegen, siehe Dörrer, Veröffentlichungen (wie Anm. 154) 268 (Nr. 13) und 295 (Nr. 510).

209 Grass, Otto Stolz † (wie Anm. 76) 593.210 Zitat von Otto Stolz in: kramer, Otto Stolz † (wie Anm. 61) 473.

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seiner wissenschaftlichen Vorstellungswelt lagen. Er war ein nüchterner Arbeiter ohne Visionen oder Kreativität. Aus diesen Gründen wirkte Stolz trotz seines riesigen Oeuvres im Gegensatz zu Wopfner oder Brunner nicht schulbildend. Dennoch wird Stolz neben Wopfner und Huter zu „den großen drei“ Tiroler Historikern der Zwischenkriegs- und unmittel-baren Nachkriegszeit gezählt211. Sein Einfluss auf nachfolgende Historikergenerationen wird durch seine jahrzehntelange Vorlesungstätigkeit an der Universität und die häufige Zitierung seiner Werke deutlich. Stolz wirkte aber auch, wiederum ähnlich wie Wopfner, als Volksbildner. So wie Wopfner als Redner bei zahlreichen Veranstaltungen der agra-rischen Vereinigungen auftrat, beeinflusste Stolz Generationen von Alpinisten mit seinen Reden und Beiträgen für die Jahrbücher und Mitteilungen des Alpenvereins. Stolz als Einsiedler in der Archivklause zu betrachten212 oder als isolierten Wissenschafter im Elfenbeinturm ohne Öffentlichkeitswirksamkeit, wäre verfehlt. Wie seine Bemühungen um eine Professur noch im höheren Alter belegen, versteckte sich Stolz keineswegs im Archiv und er scheute es auch nicht, seine politische Meinung in zahlreichen Beiträgen in einschlägigen Zeitungen und Zeitschriften kund zu tun. Ebenso wenig schreckte er vor Disputen mit Fachkollegen zurück. Die Auseinandersetzung mit Brunner war seine spektakulärste, jene mit Wopfner die intimste.

Stolz’ wissenschaftliche Leistungen erstreckten sich, stark generalisierend, auf die österreichische Rechtsgeschichte (Verwaltungs- und Verfassungsgeschichte), die Wirtschaftsgeschichte (Zoll-, Verkehrs- und Agrargeschichte) und auf die Tiroler Lokal- und Regionalgeschichte, die er mit der Methodik eines gelernten Mediävisten und Geographen bewältigte. Als Schwerpunkte zu bezeichnen, aber weitgehend außer-halb des wissenschaftlichen Spektrums stehend, waren seine Arbeiten zur Südtirolfrage und zur Alpinismusgeschichte. Obwohl Stolz auf dem Gebiet der Verfassungsgeschichte ein kalter Gegenwind ins Gesicht blies, und die Agrargeschichte sowie die Tiroler Landesgeschichte mit Wopfner von einem Konkurrenten besetzt waren, der eine hö-here berufliche Stellung inne hatte und dessen Schriften prestigeträchtiger waren als jene von Stolz, war er in Teilbereichen dennoch sehr erfolgreich, beispielsweise in der ruhigeren Ecke des Zoll- und Verkehrswesens, wo seine früheren Schriften ihren herausragenden Wert behielten. Ebenso sind seine Beiträge zum historischen Atlas der österreichischen Alpenländer zu Stolz’ besten Arbeiten zu zählen.

Die wissenschaftliche Karriere endete für Stolz im Archiv als Direktor mit dem Titel eines Hofrats und an der Universität Innsbruck als Lehrbeauftragter mit dem Titel eines Professors. Rückblickend war für seine Laufbahn die Entscheidung ausschlaggebend, eine Berufung nach Prag sofort nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft im Jahr 1920 abzulehnen. In seiner Heimat Tirol konnte Stolz zwar einer planbaren Beamtenlaufbahn entgegen sehen, der „Marschallstab im Tornister“ bezüglich seiner Universitätskarriere war aber tatsächlich geknickt.

Otto Stolz starb am 4. November 1957 in Innsbruck an den Folgen eines Schlaganfalls.

211 COle, Eigentümlichkeiten (wie Anm. 3) 219.212 Wie es Hans Kramer macht, kramer, Probleme (wie Anm. 3) 144.