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Pandemie Risiko mit großer Wirkung Ein Report der Allianz und des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung

Pandemie Risiko mit großer Wirkung - RWI Essen · Am Beispiel der Ausbreitung des Vogelgrippevirus H5N1 wird zunächst gezeigt,dass das Risiko des Ausbruchs einer weltweiten Pandemie

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PandemieRisiko mit großer Wirkung

Ein Report der Allianz und des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung

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Erste Fälle von Vogelgrippe bei Wildvögeln auf der Insel Rügen haben im Februar2006 eine große Furcht vor einer Pandemie in Deutschland ausgelöst. Ebensoschnell hat sich aber auch gezeigt, dass das Interesse an diesem Thema die Öffent-lichkeit nur solange elektrisiert, wie täglich neue Meldungen über eine weitereAusbreitung über die Ticker gehen. Auf nicht absehbare Zeit müssen wir mit demRisiko leben. Sinnvoll ist es deshalb, sich dem Thema möglichst unaufgeregt zunähern.

Der Report setzt sich vor allem mit den möglichen Folgen weltweiter Pandemienauseinander. Am Beispiel der Ausbreitung des Vogelgrippevirus H5N1 wirdzunächst gezeigt, dass das Risiko des Ausbruchs einer weltweiten Pandemie zwareher gering einzuschätzen ist. Sollte jedoch der Ernstfall eintreten, hervorge-rufen durch ein mutiertes Vogelgrippevirus oder durch einen neuartigen, bislangunbekannten Erreger, so würden dessen Folgen vielerlei Bereiche nicht nur amRande berühren. Die Finanzbranche wäre nur einer von mehreren Wirtschafts-zweigen, die direkt von einer Pandemie betroffen wären.

Die Allianz und das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI Essen) wollen als Partner vor allem einen Beitrag zur umfassenden Aufklä-rung und Information leisten. Für die interessierte Öffentlichkeit wurden ge-meinsam die wichtigsten Fakten zum Thema Pandemie zusammengetragen undallgemein verständlich aufbereitet. Dabei soll mit diesem Report weder Panikgeschürt werden, noch sollen die Gefahren verharmlost werden.

München und Essen, Juli 2006

Pandemie Report 3

Editorial

Dr. Ulrich Rumm Mitglied des Vorstandes der Allianz Deutschland AGVorstandsvorsitzender Allianz Private Krankenversicherungs-AG

Prof. Dr. Christoph M. Schmidt, Ph. D.Präsident des Rheinisch-WestfälischenInstituts für Wirtschaftsforschung

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I N HALT

Editorial 3

Executive Summary 7

Heißt die nächste Pandemie „Vogelgrippe“? 10

1 Eine neue Pandemie bedroht die Menschheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

2 Pandemien im Rückblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

Exkurs: AIDS – die vergessene Seuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

3 Die Influenza unter dem Mikroskop . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

3.1 Genetische Struktur des Erregers. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

3.2 Entstehung eines neuen Virus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

4 Wie sich das Virus seinen Weg bahnt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

4.1 Die Vogelgrippe ist eine Tierseuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

4.2 H5N1 befällt auch den Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

4.3 Das Virus mutiert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

4.4 Beginn der Alarmphase – Szenarioanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

Exkurs: Seuchen-Vorhersage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

5 Krankheitsbild beim Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

5.1 Saisonale Grippe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

5.2 Vogelgrippe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

Interview mit Prof. Reinhard Kurth,Präsident des Robert Koch-Instituts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

6 Vorbeugen und Heilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

6.1 Prävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

6.1.1 Impfen hilft – zumindest gegen die saisonale Grippe . . . . . . . . . . . 22

6.1.2 Die Entwicklung eines Pandemie-Impfstoffes – ein Wettlauf gegen die Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

6.1.3 Wie sich der Einzelne schützen kann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

6.2 Antivirale Medikamente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

7 Ein Plan für den Notfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

Exkurs: Analyse des RWI Essen und der ADMED GmbH zu den Krankenhauskapazitäten in den 16 Bundesländern . . . . . . . . . 29

Interview mit Dr. Michael Wiechmann,Leiter Leistungs- und Gesundheitsmanagement Allianz Private Krankenversicherungs-AG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

Breitet sich die Angst schneller aus als das Virus selbst? 32

1 Die Medien sind die wichtigste Informationsquelle . . . . . . . . . . . . . 32

1.1 Die Berichterstattung verläuft wellenförmig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

1.2 Das Interesse für die wirtschaftlichen Auswirkungen wächst . . . 33

2 Die Menschen sind nicht verängstigt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

3 H5N1 entspricht nicht den medialen Gesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

Interview mit Prof. Hans-Mathias Kepplinger,Universität Mainz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

4 Pandemie Report

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I N HALT

Pandemie Report 5

Infiziert das Virus auch das Bruttoinlandsprodukt? 38

1 Was kostet eine Pandemie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

Interview mit Gunnar Miller, Head of European Equity Research, Deutscher Investment Trust . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

2 Wie das Virus Volkswirtschaften schadet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

2.1 Angst lähmt den Konsum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

2.2 Der Faktor Arbeit – die unbekannte Größe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

3 Die Schäden der Seuche im Zeitablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

Exkurs: Cost-Benefit-Analyse des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI Essen) und der ADMED GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

Interview mit Raj Singh, Chief Risk Officer der Allianz . . . . . . . . . 46

Wie preist der Kapitalmarkt den Erreger ein? 47

1 Die Grippe lässt die Börse kalt – eine Rückblende . . . . . . . . . . . . . . 47

2 SARS irritierte die Investoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

3 Szenarioanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

3.1 Milde Pandemie – schnelle Erholung der Märkte . . . . . . . . . . . . . . . 48

3.2 Globale Pandemie – die Meinungen gehen weit auseinander . . . . 48

Interview mit Stefan Bielmeier,Analyst bei der Deutschen Bank. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

Wen macht das Virus zu Verlierern, wen zu Gewinnern? 52

1 H5N1 hinterlässt schon Spuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

1.1 Geflügelwirtschaft: Das Virus schadet einer gesamten Branche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

1.2 Alicante statt Antalya . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

1.3 Die Pharmaindustrie rüstet auf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

1.4 Sonderkonjunktur für Schutzkleidung und Putzmittel . . . . . . . . . 57

2 Im Pandemiefall gibt es viele Verlierer und nur wenige Gewinner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58

2.1 Die Verlierer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58

2.2 Die Gewinner. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

3 Wie sich Unternehmen auf den Notfall vorbereiten . . . . . . . . . . . . 61

Chronik des H5N1-Viruses 1996 bis April 2006 63

Literaturverzeichnis 67

Informationen für Verbraucherund Unternehmen 70

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6 Pandemie Studie

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In der chinesischen Provinz Guangdong beginnt1996 vielleicht die Geschichte einer neuen Pan-demie. Eine Gans hat sich damals mit demInfluenza-Virus A/H5N1 infiziert. Von China ausbahnt sich das Virus seinen Weg über Hongkongnach Asien, über Afrika bis nach Europa. Undmit ihm verbreitet sich die Furcht vor einerneuen Seuche. Was, wenn H5N1 der Erreger ist,der eine Pandemie unter Menschen auslöst? Seit-dem das Virus auch Schwäne auf der OstseeinselRügen heimsuchte, beschäftigen sich längst nichtmehr nur Wissenschaftler mit der Vogelgrippe.Staaten legen Vorräte mit antiviralen Medika-menten an; nationale Krisenstäbe planen, wiesich das öffentliche Leben aufrecht erhalten lässt;Forscher arbeiten fieberhaft an der Entwicklungeines Pandemie-Impfstoffs. Unternehmen erstel-len Notfallpläne und Menschen überlegen, wiesie sich selbst schützen können.

E IN V IRUS MIT GROSSER WIRKUNG

„Die Frage ist dabei nicht, ob eine Pandemiekommt, sondern wann sie kommt“, sagt Prof. Rein-hard Kurth, Präsident des Robert Koch-Instituts.Es geht also nicht darum, die Seuche abzuwen-den, sondern möglichst schnell auf sie reagierenzu können. Dazu sollte die Gesellschaft übermedizinische Hintergründe und mögliche Fol-gen aufgeklärt sein. Nur wer informiert ist, kannsich vorbereiten. Dieser Report will einen Beitragzur Aufklärung und Information leisten. Deshalbhaben die Allianz und das Rheinisch-West-fälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWIEssen) die wichtigsten Fakten zum Thema Pan-demie zusammengetragen und allgemein ver-ständlich aufbereitet.

Im medizinischen Teil wird dargestellt, obsich die Vogelgrippe tatsächlich zu einer neuenPandemie auswachsen könnte. Schließlich er-krankten bis heute 224 Menschen am A/H5N1-Erreger, 127 starben daran (Stand 29. Mai 2006).

Zudem erfüllt das Virus bereits zwei der drei Vor-aussetzungen für den Ausbruch einer Pandemie.Allein die Übertragbarkeit von Mensch zuMensch ist bislang nicht in relevanter Weisegegeben. Auch wenn Vorbilder aus jüngerer Zeitfehlen, lassen die Infektions-, Morbiditäts- undMortalitätsraten der Pandemien des 20. Jahrhun-derts Rückschlüsse auf den möglichen Verlaufeiner Pandemie im 21. Jahrhundert zu.

Ein genauer Blick auf die genetische Strukturder Influenza-Viren und die Entstehung neuerViren schafft Klarheit darüber, warum harmloseGrippeerreger sprunghaft zu sehr gefährlichenVarianten mutieren können. Verständlich ist des-halb die Besorgnis, die die Verbreitung des Vogel-grippe-Virus hervorruft. Anzahl und Ausmaß derSeuchenausbrüche haben in den vergangenenJahren erheblich zugenommen.

Wann sich jedoch das Virus auch von Menschzu Mensch vermehrt, weiß keiner, auch keinWissenschaftler. Die Weltgesundheitsorganisa-tion (WHO) hat ein Modell zur Risikoeinschät-zung entwickelt, das eine Pandemie in sechs Pha-sen aufteilt. Wir befinden uns in Phase III, demBeginn der Alarmphase.

Die therapeutischen Möglichkeiten zur Be-handlung einer Pandemie sind begrenzt. Anti-virale Medikamente wie Oseltamivir, das unterdem Markennamen Tamiflu angeboten wird,und Zanamivir, das unter dem MarkennamenRelenza vertrieben wird, sind die einzigen medi-zinischen Interventionsmöglichkeiten zu Beginnder Krankheit. Impfen wäre der beste Schutz,wenn denn ausreichende Kapazitäten zur Verfü-gung stünden und schnell ein Impfstoff entwi-ckelt würde. Derzeit könnten die Pharmaunter-nehmen Impfstoff für maximal sieben Prozentder Weltbevölkerung bereitstellen.

Nicht nur Medikamente sind knapp, auch dieBetten in deutschen Krankenhäusern dürftennicht ausreichen. Die Gesundheitsreform aus

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Pandemie Report 7

Executive Summary

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dem Jahr 2004 führt dazu, dass in den kommen-den Jahren etwa 135000 Krankenhausbetten bun-desweit wegfallen. Deshalb sind nach Einschät-zung des Präsidenten des Robert Koch-Instituts,Reinhard Kurth, in deutschen Krankenhäusernimmer weniger Kapazitäten für plötzlich stei-genden Versorgungsbedarf verfügbar. Zu diesemErgebnis kommen auch die Wissenschaftler desRWI Essen und der UnternehmensberatungADMED: Ihre Analyse hat ergeben, dass inDeutschland zwar genügend Krankenhausbettenzur Verfügung stehen, die Versorgung von Inten-sivpatienten wäre jedoch gerade in Ballungszen-tren wie Hamburg oder Berlin kaum zu bewälti-gen. So müssten sich im Falle einer schwerenPandemie in Berlin vier Patienten ein Intensiv-bett teilen. Und bei einer Erkrankungsrate von30 Prozent wären nur in Sachsen-Anhalt genü-gend Betten vorhanden.

Der Ausbruch der Vogelgrippe in Deutschlandim Februar 2006 war das Thema der Medien,weit vor dem Streit um die Mohammed-Karika-turen und den Streiks im öffentlichen Dienst.Trotz dramatischer Bilder blieb die deutsche Be-völkerung gelassen. Medienwissenschaftler Hans-Mathias Kepplinger sagt, dass die Medien mög-licherweise aus der Erfahrung mit den SeuchenSARS und BSE gelernt haben. Erstmals versuch-ten die Medien dieses Mal die Balance zwischenFaktenreichem und Dramatischem: Auf der Seiteeins spielten die Printmedien das Thema boule-vardesk, im Wissensteil bereiteten sie die Faktenausgewogen auf.

Mit einer Übersicht über die Kostenvorher-sagen der namhaften Pandemiestudien wendetsich der Report den wirtschaftlichen Aspektenzu. Die Bandbreite der Vorhersagen lässt so ziem-lich jede Schlussfolgerung über die wirtschaft-lichen Folgen einer neuen Pandemie zu. Eineschwere Rezession ist für die Wirtschaftsinsti-tute genauso denkbar wie ein statistisch nichtnachweisbarer Produktionsausfall. Die wirtschaft-lichen Annahmen fußen auf den epidemiologi-schen Unsicherheiten und führen zu wider-sprüchlichen Ergebnissen. Dennoch gibt es be-merkenswerte Gemeinsamkeiten: So zeigen diePandemie-Studien in der theoretischen Analyseder Ursachen und Auswirkungen auffällige Paral-lelen. Erklärungsmuster wie Angebot und Nach-

frage sowie kurz-, mittel- und langfristige Effektebeschreiben die den Szenarien zugrunde lie-gende Struktur treffend. Ob die Ursachen fürden wirtschaftlichen Schaden eher auf der Nach-frage- oder Angebotsseite entstehen, hängt wie-derum von der Bewertung der psychologischenEffekte und der Arbeitsleistung ab.

Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirt-schaftsforschung hat in der Zusammenarbeit mitder ADMED GmbH berechnet, dass das Brutto-inlandsprodukt im Fall einer milden Pandemieum ein Prozent und bei einer schweren Pande-mie um 3,6 Prozent schrumpfen würde. Durchden Ausfall an Arbeitsstunden haben die Wis-senschaftler im milden Szenario einen Angebots-effekt von –0,7 Prozent, im schweren Szenariovon –2,4 Prozent ermittelt. Hinzu kommt einNachfrageausfall von –0,3 Prozent beziehungs-weise von –1,2 Prozent.

Außerdem wurde versucht, den volkswirt-schaftlichen Nutzen der wichtigsten Notfallmaß-nahmen im Pandemiefall zu berechnen. In einemersten Schritt haben die Wissenschaftler die Kos-ten der Notfallplanung beziffert. Da sich die Aus-wirkungen der einzelnen Maßnahmen auf dieErkrankungsrate und die Krankheitsdauer nichtzuverlässig ermitteln lassen, haben sie ermittelt,wie effektiv jede dieser Maßnahmen mindestenssein muss, um die Kosten wieder auszugleichen.In einem zweiten Schritt haben sie untersucht,wie sich die Maßnahmen insgesamt auf das Brut-toinlandsprodukt auswirken, etwa die Impfunggegen ein Virus. Im Rahmen dieser Analyseunterscheiden die Wissenschaftler die folgendenvier Notfallmaßnahmen: die Bereitstellung vonMundschutzen für die Bevölkerung, die Impfunggegen ein Virus, das eine Pandemie auslösenkönnte, die Versorgung der Patienten mit anti-viralen Medikamenten und eine Aufstockungder Kapazitäten von Intensivbetten.

Vor allem durch eine landesweite Impfungwürde sich die Erkrankungsrate reduzieren,durch den Einsatz antiviraler Medikamente undeine Aufstockung der Intensivbetten die Krank-heitsdauer verringern. Insgesamt haben dieseMaßnahmen also positive Auswirkungen auf dasArbeitsangebot und damit auch auf die gesamt-wirtschaftliche Nachfrage. Im milden Szenariobeziffern das RWI Essen und die ADMED den

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8 Pandemie Report

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Angebotseffekt auf 0,3 Prozent, den Nachfrage-effekt auf 0,1 Prozent. Im Fall einer schwerenPandemie belaufen sich der Angebotseffekt aufein Prozent und der Nachfrageeffekt auf 0,4 Pro-zent. Gesamtwirtschaftlich bringt die Notfallpla-nung je nach Szenario also zwischen 0,4 und 1,4Prozent. Die negativen Auswirkungen auf dieWirtschaftsleistung reduzieren sich dadurch alsoauf –0,7 Prozent im milden und auf –2,2 Prozentim schweren Szenario.

Gunnar Miller, Analyst des Deutschen Invest-ment Trusts (dit), verbindet die volkswirtschaft-liche Theorie mit der betriebswirtschaftlichenPraxis und einer Analyse über die möglichenAuswirkungen einer Pandemie auf den Kapital-markt. Im Mittelpunkt steht dabei stets dieUnterteilung in Gewinner und Verlierer. Falls eszum Ausbruch einer Pandemie kommen sollte,werden die Börsen die Ersten sein, die entschei-den, wer zu welcher Kategorie gehört. Insgesamtüberwiegen die Verlierer: Je nach unterstelltemSzenario könnten die Aktienmärkte nach Schät-zung der Allianz zwischen 4,3 und 16,7 Prozentverlieren.

Was es heißt, schon heute zu den Verlierernder Vogelgrippe zu gehören, zeigt die Analyse derGeflügelwirtschaft und der Tourismusindustrie.Im Falle einer Pandemie wären weitere Branchenwie das Transportwesen, der Einzelhandel oderdie Luxusgüterindustrie betroffen. Profitierenwürden Hygienemittelhersteller, Anbieter vonUnterhaltungselektronik und Informationstech-nologie. Ein Gewinner steht bereits heute fest:Die Pharmaindustrie, vor allem die Herstellerantiviraler Medikamente und Grippe-Impfstoffe.

Die Versicherungsbranche pauschal zu verur-teilen, wenn es darum geht, die Verlierer einerPandemie zu benennen, wäre vorschnell. Schließ-lich ist das Geschäft weitaus komplexer als daseines Geflügelzüchters, denn das Versicherungs-geschäft umfasst neben Leben- auch Sach- undKreditversicherungsgeschäft. Zum anderen isteine Pandemie versicherungstechnisch betrach-tet kein außergewöhnliches Ereignis. Sie reihtsich ein in Katastrophen wie Erdbeben und Wir-belstürme. Der wesentliche Unterschied im vor-liegenden Fall ist der, dass es keine valide Zahl,keine seriöse Annahme gibt, wann und mit wel-cher Heftigkeit uns demnächst ein Virus tatsäch-lich bedroht.

Versicherungsmathematiker bedienen sich derDaten aus der Zeit der Spanischen, Asiatischenund der Hongkong-Grippe sowie der Lungen-krankheit SARS, damit sie verschiedenen Szena-rien berechnen können, um die möglichen Belas-tungen für das Unternehmen abzuschätzen.

Unter dem Strich bleibt ein Risiko, das aber,selbst im schlimmsten anzunehmenden Falleiner weltweiten Pandemie, von der Allianz ver-kraftet werden kann. Sollte es statt einer zweitenSpanischen Grippe indes zu einer milderen Pan-demie, zu vergleichen mit der Asiatischen Grippeoder der Hongkong-Grippe kommen, so würdedieses Szenario etwa innerhalb der Allianz keineallzu gravierenden Verluste verursachen.

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Pandemie Report 9

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1 EINE NEUE PANDEMIE BEDROHT DIE MENSCHHEIT

Bis vor kurzem glaubten Mediziner noch, derBedrohung durch krankheitserregende Mikro-organismen Herr werden zu können. Die Men-schen in den Industriestaaten sollten nicht längeran infektiösen Seuchen sterben. Krebs, Herz-infarkt oder Arteriosklerose, dachten die Ärzte,seien die Todesursachen, gegen die es fortan zukämpfen gelte. Mikroorganismen und die durchsie hervorgerufenen Seuchen, wie Pocken, Pestund Cholera, schienen endlich der Vergangenheitanzugehören. So erklärte die Weltgesundheits-organisation (WHO) 1980 das Kapitel der Pockenfür beendet. In einer offiziellen Stellungnahmeschrieb die WHO seinerzeit, dass „man nun dasBuch der Infektionskrankheiten schließen könne“.Allein, sie irrte. Der Kampf gegen Infektionser-reger ist noch lange nicht beendet. Neben SARS,AIDS und BSE bedroht eine neue Seuche dieMenschheit – die nächste Influenza-Pandemie, diesich aus der „Vogelgrippe“ entwickeln könnte.

Seit dem Jahr 1996 breitet sich, ausgehendvon Südostasien, ein für Vögel gefährlichesInfluenza-Virus (HPAI) vom Subtyp A/H5N1 aufder Erde aus. Inzwischen ist es auch in Europaangekommen. In den vergangenen Jahren gab eseine Reihe von Ereignissen, die eine Influenza-Pandemie hätten auslösen können. Im Jahr 1997infizierten sich in Hongkong 18 Menschen mitInfluenza-Viren des Subtyps A/H5N1, sechs vonihnen starben. Das Virus bahnte sich damals seinen Weg vom Vogel auf den Menschen undsprang damit erstmals auf eine andere Speziesüber. Die Behörden schlachteten 1,5 MillionenHühner und verhinderten Schlimmeres. In denNiederlanden erkrankten vor 2003 266 Men-schen, die berufsbedingt engen Kontakt zu deninfizierten Tieren hatten, an der Geflügelpest. Indrei Fällen traten auch Erkrankungen in der

Familie auf – ein Indiz für eine Übertragung vonMensch zu Mensch. Ein Tierarzt starb an den Fol-gen einer schweren Lungenentzündung, ausge-löst durch das Virus vom Subtyp A/H7N7. Seitdem Jahr 2004 schließlich breitet sich die Geflü-gelpest vom Subtyp A/H5N1 in einem bislang nieda gewesenen Ausmaß aus – bis Ende Mai 2004erkrankten weltweit 224 Menschen an H5N1,127 starben.

In Deutschland wurde das Virus erstmals am16. Februar 2006 bei Schwänen und einem Ha-bicht auf der Insel Rügen nachgewiesen. Nurwenige Tage zuvor fanden sich seine Spuren inGriechenland, Italien, Österreich, Slowenien, Bel-gien und der Schweiz. Ausbrüche meldeten dieGesundheitsbehörden im März auch bei Geflü-gelbeständen in Frankreich, in Nigeria und Niger.Am 5. April 2006 traf es erstmals deutsche Nutz-tiere: In einem Geflügelzuchtbetrieb in Sachsenverendeten 700 Puten, mehr als 30000 Tiere muss-ten gekeult werden.

NOCH SPR INGT DAS V IRUS N ICHT VON

MENSCH ZU MENSCH

Das Ausmaß ist verheerend – die Zahlen dürfenallerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass essich bei den aktuellen Ausbrüchen immer nochum eine Tierseuche handelt, die mit Ausnahmevon wenigen Fällen, bei denen enger Kontakt mitinfizierten Tieren bestand, nicht zu Erkrankun-gen beim Menschen führt. Erst wenn das Virusdie folgenden drei Bedingungen erfüllen sollte,wären die Menschen der Gefahr einer neuen Pan-demie ausgesetzt:

• ein neuer Virus-Subtyp muss sich bilden,gegen den die Bevölkerung nicht immun ist,

• das Virus muss gefährlich für Menschen und

• relativ leicht von Mensch zu Mensch übertrag-bar sein.

Zwei dieser Bedingungen erfüllt das derzeit gras-sierende Virus vom Subtyp A/H5N1 bereits. Es

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10 Pandemie Report

Heißt die nächste Pandemie„Vogelgrippe“?

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ist für den Menschen neu, so dass sich dasImmunsystem nicht dagegen wehren kann, undes ist gefährlich. Allein die dritte Bedingung istnicht erfüllt. Zwar ist eine direkte Übertragungvon Mensch zu Mensch in einigen Fällen nichtauszuschließen, scheint aber nur bei sehr engemKontakt aufzutreten. Dennoch ist das Risikoeiner Influenza-Pandemie laut WHO so hoch wie lange nicht mehr. Führende Virologen wieProf. Hans-Dieter Klenk von der Universität Mar-burg und Prof. Albert Osterhaus von der Eras-mus-Universität in Rotterdam halten es für mög-lich, dass sich der Erreger durch Mutationenjederzeit so verändern könnte, dass er auch vonMensch zu Mensch leicht übertragbar ist. „DieGefahr einer Pandemie hängt wie ein Damokles-schwert über der Weltbevölkerung“, sagt Oster-haus. „Geht man davon aus, dass pro Jahrhundertzwei bis drei Influenza-Pandemien ausbrechen,dann muss man in absehbarer Zeit wieder miteiner rechnen“, erklärt Klenk. Wir hätten Glück,wenn wir die nächsten zehn Jahre ohne Pande-mie überstünden, sagt Prof. Bernhard Ruf, Präsi-dent der Deutschen Infektiologischen Gesellschaft.

2 PANDEMIEN IM RÜCKBLICK

Unter dem Begriff Pandemie (griechisch: allesVolk betreffend) versteht man den länderüber-greifenden oder sogar weltweiten Ausbrucheiner Krankheit. Im Gegensatz zur Epidemie isteine Pandemie nicht örtlich begrenzt. Sie kanndie ganze Weltpopulation betreffen.

Die Influenza ist als hoch ansteckende Erkran-kung der oberen Atemwege seit über 2000 Jahrenständiger Begleiter der Menschheit. Schon ausdem Altertum und dem Mittelalter sind zahlrei-che Berichte über Grippepandemien überliefert(„Hustenseuche“ der Griechen, „Schweißsucht“,„Englischer Schweiß“). Erasmus von Rotterdamschrieb 1518, dass „in ganz Deutschland eine Artneue Pest mit Husten und Kopfschmerz, die sichbei manchen zu Gehirnentzündungen steigert,wütet“. Damals wie heute gab es Hinweise, dasssich die Grippepandemie von Asien über Russ-land nach Europa ausbreitete. Die verheerendeGrippe von 1732 kam beispielsweise aus demOsten, zog über Mittel- und Südeuropa und brei-tete sich im Jahr danach in Amerika aus.

SPANISCHE GR IPPE

Die Spanische Grippe war die schlimmste Pande-mie des 20. Jahrhunderts und vermutlich auch inder Geschichte der Menschheit. Das Virus gras-sierte von 1918 bis 1920 und forderte 40 bis 50Millionen Todesopfer, deutlich mehr als der ErsteWeltkrieg. Seine Herkunft ist bis heute unbe-kannt, sicher ist nur, dass der Erreger nicht ausSpanien kam. Der erste überlieferte Bericht überdiese neuartige Grippe stammt aus einem US-Militärcamp in Kansas, datiert vom 11. März1918. Mit den US-Truppen marschierte der Erre-ger offenbar in Europa ein und breitete sich bin-nen weniger Monate bis in den letzten Winkelder Erde aus. In der ersten Welle erkrankten dieMenschen an den üblichen Grippesymptomen,nur wenige starben. Das Ende des Ersten Welt-krieges war nicht mehr fern. Die Grippe – ameri-kanische und englische Soldaten nannten sie„Dreitagefieber“, die deutschen Truppen spra-chen vom „Flandrischen Fieber“ – bewirkte zwareine hohe Ausfallquote unter den Kämpfenden,wirkte sich aber kaum auf das Kriegsgeschehenaus, zumal die Erkrankungszahlen bis zum Som-mer 1918 stark zurückgingen.

Ende August machte sich das Virus zum zweiten Mal um den Erdball auf. Wiederum ineinem amerikanischen Militärcamp, diesmal inBoston, wiesen Ärzte die Grippe zum ersten Malnach. Die Krankheit begann als grippaler Infekt.Doch schon nach wenigen Tagen, manchmalauch Stunden, entwickelte sich bei den meistenPatienten eine schwere, oft tödlich endende

PA N D E M I E N I M R Ü C K B L I C K

Pandemie Report 11

Tabelle 1: Pandemien in der Geschichte der Menschheit

Erreger Zeitraum Ausbreitung Todesfälle

Pest 1347–1352 Europa und Asien 25 Millionen

Pest 1894–1944 weltweit 12 Millionen

Spanische Grippe 1918–1920 weltweit 50 Millionen

Asiatische Grippe 1957 Asien 1 Million

Hongkong-Grippe 1968 Asien 0,7 Millionen

AIDS seit 1980 weltweit bislang

25 Millionen

Quelle: Weltgesundheitsorganisation (WHO)

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Lungenentzündung, gegen die es damals nochkeine Medikamente gab. Ein Militärarzt doku-mentierte: „Die Kranken spuckten Blut und star-ben oft einen grausamen Erstickungstod.“ Es seischrecklich gewesen, die jungen Männer, die vor-her kräftig und gesund waren, sterben zu sehen.

DIE SPANISCHE GR IPPE LEGTE DAS

ÖFFENTL ICHE LEBEN LAHM

Wie die erste Grippewelle machte auch diezweite nicht vor der Zivilbevölkerung halt. Alseine der ersten deutschen Städte war Nürnbergvon der zweiten Grippewelle betroffen. Alleinzwischen dem 12. und 18. Oktober 1918 erkrank-ten dort über 3000 Menschen. Die städtischenKrankenhäuser waren überfüllt, das öffentlicheLeben kam weitgehend zum Erliegen. Auchandernorts breitete sich die Grippe im Oktober1918 aus. In einigen Städten mussten die Ein-wohner Gesichtsmasken tragen, Schulen wurdengeschlossen, Husten und Niesen in der Öffent-lichkeit bestraft, in vielen Betrieben erkrankte einGroßteil der Mitarbeiter. Besonders betroffen wardas medizinische Personal in den Hospitälern.

Die medizinische Versorgung in den Kranken-häusern brach zusammen, sämtliche Notbettenwaren belegt. Die Mehrzahl der Grippekrankenblieb deshalb zu Hause. Es fehlte an Transport-möglichkeiten, Ärzte hatten Probleme, die Kran-ken aufzusuchen oder sie in ein Hospital einzu-liefern. Das überforderte Gesundheitswesen warletztlich auch der Grund, warum die Menschen inPanik gerieten. Alle damals bekannten Therapienschlugen fehl. Militärärzte impften Soldaten mitStoffen, die sie aus den Körpersekreten Grippe-kranker gewonnen hatten. Die Einwohner Hei-delbergs bekamen Kalziumchlorid zur Stärkungihres Immunsystems verabreicht. Eine dritteGrippewelle breitete sich von 1919 bis 1920 mitähnlichen, aber schwächer auftretenden Sympto-men weltweit aus. Hiervon war insbesondereRussland betroffen.

Wissenschaftler suchten fieberhaft nach demKrankheitserreger. Sie vermuteten zunächst einBakterium als Auslöser. Erst 1933 gelang es einerenglischen Forschergruppe, das Grippevirus zuisolieren, und erst 44 Jahre später, im Jahr 1997,konnte es schließlich als Influenzavirus vomSubtyp A/H1N1 identifiziert werden. Auch das

Virus ist ursprünglich – so viel ist inzwischenklar – von Geflügel auf den Menschen überge-gangen.

Die Spanische Grippe war keine gewöhnlicheGrippe. Normalerweise tötet das Grippevirusetwa einen von 1000 Kranken – damals starben2,5 Prozent der Infizierten, also 25-mal mehr. Auf-fallend war auch das Opferprofil: In der Regel isteine Grippe für ältere und kranke Menschengefährlich. Bei der Spanischen Grippe war jedochdie Sterblichkeitskurve w-förmig. Am häufigstenbetroffen waren Babys und Kleinkinder unterfünf Jahren, Erwachsene zwischen 20 und 40 Jah-ren, insbesondere Frauen und Schwangere sowiedie Altersgruppe der 70- bis 74-Jährigen. AmEnde der Pandemie registrierten die Behördenallein in Deutschland zehn Millionen Erkrankteund 300000 Grippetote. Weltweit am stärkstenbetroffen waren Afrika und der indische Sub-kontinent. Allein in Indien sollen 18 MillionenMenschen der Pandemie zum Opfer gefallensein. Einige Pazifikinseln und Teile Alaskas ver-loren mehr als die Hälfte ihrer Bevölkerung.

ASIAT ISCHE GR IPPE UND

HONGKONG-GRIPPE

Eine weitere Grippepandemie brach im Jahr 1957als so genannte Asiatische Grippe in Hongkongaus. Chinesische Flüchtlinge hatten das Virus indie Stadt gebracht. Von dort breitete es sichschnell in die USA und nach Europa aus. Insge-samt fielen der Asiatischen Grippe etwa eine Million Menschen zum Opfer, davon 30000 inDeutschland.

Elf Jahre später, 1968, trieb die letzte großeGrippepandemie des 20. Jahrhunderts ihr Unwe-sen. Der Virustyp der so genannten Hongkong-Grippe war eine Mutation des Virus der voraus-gegangenen Asiatischen Grippe mit einem Vogel-grippevirus. Bis 1970 starben daran weltweit700000 Menschen, wiederum etwa 30000 inDeutschland.

PA N D E M I E N I M R Ü C K B L I C K

12 Pandemie Report

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3 DIE INFLUENZA UNTER DEMMIKROSKOP

3.1 GENETISCHE STRUKTUR DESERREGERS

Erreger der Influenza sind Orthomyxoviren, diein die Typen A, B und C unterteilt werden. Eshandelt sich um umhüllte, segmentierte RNA-Viren, die genetisch höchst variabel sind. Epide-miologische Bedeutung beim Menschen habennur die Influenza-A und B-Viren.

Influenza-Viren besitzen spikeartige Oberflä-chenprojektionen, die durch die Eiweiße Hämag-glutinin (HA) und Neuraminidase (NA) gebildetwerden. Anhand der unterschiedlichen Anti-genstrukturen unterteilt die Medizin die Influ-

enza A-Viren in 16 HA- und neun NA-Subtypen. Influenza-Viren besitzen darüber hinaus ein alsM2 bezeichnetes Membraneiweiß, das eine sogenannte Ionenkanalfunktion aufweist. Hämag-glutinin, Neuraminidase und das M2-Proteinsind deshalb wichtige Ziele für die antivirale The-rapie. An diesen Stellen können Medikamenteansetzen, um das Virus zu stoppen.

3.2 ENTSTEHUNG EINES NEUEN VIRUS

HA und NA sind die entscheidenden Antigenefür die Bildung von Antikörpern. Denn sobalddas Virus mutiert (Antigendrift), wirkt der Im-munschutz, den der Körper durch vorausgegan-gene Infektionen oder Impfung aufgebaut hat,nicht mehr vollständig. Derartige Driftvarianten

D I E I N F L U E N Z A U NT E R D E M M I K R O S KO P

Pandemie Report 13

Die Möglichkeit einer Grippepande-mie löst weltweit Sorge aus. Währenddarüber diskutiert wird, wie die Men-schen am besten geschützt werdenkönnen, gerät ein anderer gefährli-cher Erreger völlig aus dem Blickfeld:Das Human Immunodeficiency Virus(HIV). Die Menschen in den Industrie-staaten fühlen sich zunehmend weni-ger bedroht. Sie verdrängen die globa-len Dimensionen dieser Krankheit, ob-wohl sich in den vergangenen 25 Jah-ren aus dem vermeintlichen Rand-gruppenproblem der Homosexuelleneine weltweite Seuche entwickelte.Seit Beginn des Auftretens von HIVund AIDS haben sich über 60 Mil-lionen Menschen weltweit infiziert,25 Millionen starben daran.

Etwa 38,6 Millionen Menschensind weltweit mit dem Erreger infi-ziert, Tendenz steigend. Sie tragenHIV in ihrem Blut. Die meisten vonihnen leben in Afrika, aber eben nicht

alle. Und nicht alle sind bereitserkrankt. Zwar gibt es einige Erfolgs-meldungen aus den Industrienationenund aus Uganda, wo die Infektions-raten stark gesunken sind. Gleichzeitigbreitet sich die Seuche jedoch weiteraus, überrollt China, Indien und dieStaaten der ehemaligen Sowjetunionund droht so von Osten kommendeinen Wiederanstieg in Mitteleuropazu verursachen.

Der Erreger hat es leicht in Europa:Das Virus kehrt zu einer Zeit zurück,in der AIDS die Menschen nicht mehr so bekümmert wie in den achtzigerJahren. Die neue Sorglosigkeit ziehterschreckende Folgen nach sich. Ge-schlechtskrankheiten wie die Syphilisnehmen in Deutschland wieder zu, dieNeuinfektionsrate mit HIV ist laut An-gaben des Robert Koch-Institutes imJahr 2005 um 13 Prozent gegenüberdem Vorjahr angestiegen. Betroffensind vor allem homosexuelle Männer

zwischen 20 und 30 Jahren. Sie kön-nen oder wollen sich offensichtlichnicht mehr an die Todeswelle in denachtziger Jahren erinnern.

Angesichts der globalen Verhältnis-se scheint ihre Zahl vernachlässigbarklein, aber sie gibt einen gefährlichenTrend wieder, der nicht nur mit derSchwulenszene oder dem Drogenmiss-brauch zusammenhängt: Auch hetero-sexuelle Paare schützen sich wenigerund greifen seltener zum Kondom. Da-rüber hinaus glauben die Menschen,dass sie im Krankheitsfalle mit wirk-samen Medikamenten gegen den Todgefeit seien. Die Pharmaindustrie be-stärkt sie in diesem Irrglauben. „DieseEntwicklung bei diesen vermeidbarenInfektionen gibt Anlass zur Sorge. Wei-tere Anstrengungen sind nötig, um auf-zuklären und zu vermitteln, dass esauch bei verbesserter Therapie keineHeilung der Erkrankung gibt“, sagtReinhardt Kurth, Präsident des RKI.

Quelle: Dr. Bernd Pfeil, Universität Leipzig

Exkurs: AIDS – die vergessene Seuche

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sind die Ursache für die jährlich saisonal wieder-kehrenden Ausbrüche der Influenza. Darüber hinaus können Infektionen aber auchdurch völlig neue Subtypen der Influenza A be-dingt sein. Sie treten auf, wenn bei einer gleich-zeitigen Infektion der Wirtszelle mit humanenund tierischen Influenza-Viren ein Austausch(Reassortment) der Gensegmente für das HAund/oder die NA stattfindet. Diesen Vorgangnennt man antigenen Shift.

Im Prinzip könnte also jedes Influenzavirus,genauer gesagt jeder Subtyp, der noch nie oderlange nicht mehr in der Bevölkerung zirkuliertist, zum Pandemievirus werden. Der derzeitwahrscheinlichste Kandidat sei das Vogelgrippe-virus H5N1, sagt Virologe Hans-Dieter Klenk.Influenza-Viren, die noch nicht an den Menschenangepasst sind, können durch ständige Ände-rungen ihres Erbguts oder durch den Austauschganzer Gene mit humanen Influenza-Viren dieFähigkeit erlangen, Menschen leicht zu infizierenund vor allem effizient von Mensch zu Menschübertragen zu werden. So führte das Auftretenvon H3N2-Viren zur Hongkong-Pandemie von1968. Es war aus einem menschlichen H2N2-Virus und einem von einem Vogel stammendenH3-Virus mit unbekanntem N-Subtyp zusam-mengesetzt. Das Schwein gilt als besonders effektives „Mischgefäß“ für die Entstehung neukombinierter Viren, weil es sich sowohl mitmenschlichen Influenza-Viren als auch mitVogelerregern infizieren kann. Das erstmaligeAuftreten von H2N2, ebenfalls durch Neukombi-

nation (Reassortment) im Schwein entstanden,führte 1957 zur Asiatischen Grippe. Aber auchDoppelinfektionen beim Menschen könnten theoretisch zum Reassortment führen. Dagegenist die Spanische Grippe durch ein Vogelvirus(H1N1) verursacht worden, das sich durch Ände-rungen im Erbgut (Mutationen) an den Men-schen angepasst hatte.

HARMLOSE INFLUENZA-V IREN K ÖNNEN

SICH IN K I LLER VERWANDELN

Anfangs harmlose Influenza-Viren können sichalso durch Mutationen sprunghaft in sehr ge-fährliche Varianten verwandeln. So verursachtenvor allem die hoch pathogenen Influenza A-Virendes Subtyps H5 und vereinzelt H7 die in den ver-gangenen Jahren aufgetretenen Erkrankungenbei Geflügel. Vor allem Hühner und Puten sindstark gefährdet, die Sterberaten liegen bei 60 bis100 Prozent. Häufig auftretende Symptome beiGeflügel sind Bewegungsunfähigkeit, Futterver-weigerung, der Rückgang der Legeleistung odersogar plötzliches Verenden. Das Federvieh schei-det das Virus in erster Linie mit dem Kot undSekreten des Nasen-Rachen-Raumes aus. Über-tragen wird es über direkten Tierkontakt, aberauch über Futter, Wasser oder kontaminierteGegenstände. Außerdem kann die Übertragungdes Virus auf Katzen und Schweine – oder aufden Menschen – auch über unhygienisch zube-reitete Lebens- oder Futtermittel erfolgen.

Wie häufig das Virus mutieren muss, um vonMensch zu Mensch überzuspringen, lässt sichnur schwer sagen. „Das Virus hat acht Gene undzehn Proteine. Die Eiweiße wiederum gehen mitden Proteinen der Wirtszelle eine Vielzahl vonWechselreaktionen ein. Eine Anpassung kannalso an den unterschiedlichsten Stellen erfolgen“,sagt der Virologe Hans-Dieter Klenk von der Uni-versität Marburg. So gebe es bereits eine Muta-tion im Hämagglutinin, so dass sich das Virusbesser an menschliche Wirtszellen andockenkann. Auch bei der Polymerase habe es Verände-rungen gegeben, die verantwortlich sind für eineverstärkte Vermehrung des Virus, so der Wissen-schaftler. Das NS1-Protein weise zudem ebenfallsVeränderungen auf. Dieses Eiweiß hemmt dasnatürliche Immunsystem und begünstigt so dieVermehrung des Virus. „Diese Mechanismen ver-

D I E I N F L U E N Z A U NT E R D E M M I K R O S KO P

14 Pandemie Report

Tabelle 2: Influenza A Subtypen

Neuraminidase (NA oder N) / Hämagglutin (HA oder H)

H1 H2 H3 H4 H5 H6 H7 H9 . . . H16

N1 H1N1 H5N1

N2 H2N2 H3N2 H9N2

. . .

N7 H7N7

N8

N9

Quelle: Bank Julius Bär

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stehen wir noch sehr wenig, die Mutationengehen aber in eine gefährliche Richtung, weil siedie Anpassung an den Menschen vorantreiben“,sagt Klenk.

4 WIE SICH DAS VIRUS SEINEN WEGBAHNT

Jedes Jahr infizieren sich weltweit Menschen mitInfluenza-Viren. Die Influenza kann sporadisch,endemisch, epidemisch und pandemisch auftre-ten. Dabei können sich Ausbrüche in ihrem Aus-maß deutlich voneinander unterscheiden. Influ-enza-Pandemien traten bislang in Abständen von11 bis 40 Jahren auf und waren von einer hohenZahl an Erkrankungen und Todesfällen geprägt.Jährlich fordert die Influenza laut WHO weltweitcirca eine Million Menschenleben. Allein inDeutschland sterben Schätzungen zufolge jedesJahr je nach Stärke der Grippewelle 5000 bis20000 Menschen an den Folgen der Erkrankung,1995/96 waren es sogar mehr als 30000 Grippe-opfer.

4.1 DIE VOGELGRIPPE IST EINETIERSEUCHE

Influenza-Viren kommen beim Menschen undbei zahlreichen Tierarten vor. Wichtigster natür-licher Wirt für Influenza-Viren sind Wildvögel,insbesondere Enten und Gänse. Vor allem Entenbieten Viren ein gutes Reservoir, weil sie seltenkrank werden und kaum Symptome zeigen. Des-halb können sie das Virus leicht verbreiten. EineUntersuchung zur Verbreitung von Influenza-Vi-ren in Europa hat nachgewiesen, dass bei 1,4Pro-zent der untersuchten Wildgänse, bei 2,6 Prozentder Wildenten und bei 1,1 Prozent der MöwenInfluenza-Viren unterschiedlicher Subtypen auf-treten. Die Viren vermehren sich in den Schleim-häuten des Darms, ohne dass das betroffene Tiererkranken muss: Es scheidet die Viren mit demKot aus. Über direkten Kontakt mit Wildvögeln,mit kontaminiertem Futter oder auch über Was-ser kann sich Hausgeflügel anstecken.

Die in der Wildvögelpopulation kursierendenInfluenza-Viren sind in der Regel wenig gefähr-lich. Aus Influenza-Viren vom Subtyp H5 oderH7 können jedoch aus niedrig pathogenen Vari-

anten durch spontane Mutationen im Hämagglu-tinin-Gen hoch pathogene Virusstämme entste-hen, die zum Ausbruch der Geflügelpest oder derVogelgrippe führen. Im Jahr 1878 wurde erst-mals eine verlustreiche Geflügelseuche in Europabeschrieben. Daran erkrankten vor allem Hühnerund Puten.

Nachdem die Vogelgrippe über Jahrzehnte nurselten auftrat, haben Anzahl und Ausmaß derSeuchenausbrüche in den vergangenen Jahrendeutlich zugenommen. In Europa brachen Seu-chen in den Jahren 1999 und 2000 in Italien(H7N1) und im Jahr 2003 in den Niederlanden, inBelgien und Deutschland (H7N7) aus. 2004 gab esGeflügelpestausbrüche in Pakistan (H7N3), Texas(H5N2), Kanada (H7N3) und Südafrika (H5N2).

SÜDOSTASIEN VERL IERT DEN KAMPF

GEGEN D IE T IERSEUCHE

Im Jahr 1997 trat das Virus A/H5N1 erstmals inder chinesischen Provinz Guangdong auf. In denmeisten Fällen führten konsequente Bekämp-fungsmaßnahmen, wie das Keulen der Tiere,zum raschen Stopp der Seuche ohne nennens-werte Verbreitung. Beim Ausbruch der Geflügel-pest in Südostasien im Jahr 2004 gelang das aller-dings nicht: In zehn Ländern brach die Seucheaus, mehrere 100 Millionen Tiere fielen derKrankheit zum Opfer. Nie zuvor war eine so dras-tische Verbreitung beobachtet worden. Trotzanfänglicher Erfolge bei der Bekämpfung gab esin einigen Ländern, wie in Vietnam, Thailandund Indonesien, immer wieder neue Ausbrüche.Mittlerweile gilt diese Region als endemisch ver-seucht.

Im Juli 2005 meldeten Behörden auch Seu-chenausbrüche in Kasachstan, Russland, derUkraine, Rumänien, Kroatien, der Türkei undGroßbritannien. Im Januar diesen Jahres wan-derte das Virus nach Ägypten, Irak, Iran, Indien,Niger und Nigeria. Die nächsten Ziele in Europawaren Bosnien, Bulgarien, Slowenien, Griechen-land, Italien, Frankreich, Österreich, Ungarn, Slo-wakei und die Schweiz. Mit der Identifizierungdes Virus auf der Insel Rügen am 16. Februar2006 hat die Geflügelpest auch Deutschland er-reicht. Nur kurze Zeit später tauchten Fälle inanderen Bundesländern auf, Nachweise gab esbei Wildvögeln, streunenden Katzen und einem

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Pandemie Report 15

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Steinmarder. Schließlich, am 5. April 2006, folgtedie Nachricht, dass erstmals auch ein Nutz-tierbestand in Deutschland befallen war. Ineinem Geflügelzuchtbetrieb in Sachsen verende-ten 700 Puten, mehr als 30 000 Tiere musstengekeult werden.

4.2 H5N1 BEFÄLLT AUCH DENMENSCHEN

Säugetiere oder Menschen infizieren sich nur selten mit dem Virus der Geflügelpest, weil esRezeptoren benötigt, mit denen es an die Wirts-zelle andocken kann. Zum ersten Mal ging dasVirus 1997 in Hongkong direkt auf den Menschenüber. 18 Menschen erkrankten durch den H5N1-Erreger, sechs von ihnen starben. Bis heute sindan der Seuche 224 Menschen erkrankt, 127 vonihnen erlagen ihr, Stand vom 29. Mai 2006.

Alle der bis jetzt am Virus A/H5N1 erkrank-ten Menschen hatten sich bei infiziertem Geflü-gel angesteckt. Eine Anpassung des Virus, dieeine effektive Weiterverbreitung von Mensch zuMensch ermöglichen würde, ist bisher nochnicht erfolgt. Für die Zukunft lässt sich das abernicht ausschließen. „H5N1 ist auf eine große Zahl

von Säugetieren übergesprungen, bei denen sichdas Virus aber noch nicht eingenistet hat. Dazugehört auch der Mensch. Die Chance, dass sichH5N1 an den Menschen adaptiert, steigt mit derAnzahl der menschlichen Infektionen. Ange-sichts der ungewöhnlichen Verbreitung vonH5N1 ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass esirgendwann dazu kommt“, sagt der VirologeHans-Dieter Klenk. Auch das Virus der verhee-renden Spanischen Grippe von 1918/19 scheintursprünglich von Vögeln auf den Menschenübergegangen zu sein.

4.3 DAS VIRUS MUTI ERT

Es ist weitgehend unklar, welche genetischenVeränderungen oder Mutationen notwendig sind,damit das H5N1-Virus leicht von Mensch zuMensch übertragbar wird. Daher ist auch dieZahl der notwendigen Mutationen unbekannt.Die Wissenschaft weiß auch noch nicht, welcheErbgutveränderung die Erkrankungs- und Sterb-lichkeitsrate beeinflussen.

Im Jahre 2005 wurden in Südostasien bei eini-gen Virus-Isolaten aus Menschen und Anfang2006 in einem Isolat eines türkischen Patienten

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16 Pandemie Report

Tabelle 3: A/H5N1-Fälle beim Menschen

Land/Jahr 2003 2004 2005 2006 Gesamt

Fälle Tote Fälle Tote Fälle Tote Fälle Tote Fälle Tote

Ägypten 0 0 0 0 0 0 14 6 14 6

Aserbaidschan 0 0 0 0 0 0 8 5 8 5

Kambodscha 0 0 0 0 4 4 2 2 6 6

China 0 0 0 0 8 5 10 7 18 12

Djibouti 0 0 0 0 0 0 1 0 1 0

Indonesien 0 0 0 0 17 11 31 25 48 36

Irak 0 0 0 0 0 0 2 2 2 2

Thailand 0 0 17 12 5 2 0 0 22 14

Türkei 0 0 0 0 0 0 12 4 12 4

Vietnam 3 3 29 20 61 19 0 0 93 42

Gesamt 3 3 46 32 95 41 80 51 224 127

Quelle: Weltgesundheitsorganisation (WHO)

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Mutationen im Hämagglutinin (HA oder H) ge-funden. Das ist ein Eiweißstoff, der für das Ein-dringen der Influenza-Viren in die Zellen vonMensch und Tier entscheidend ist. Das Hämag-glutinin hatte mehr Ähnlichkeit mit dem ent-sprechenden Eiweiß aus Säugetieren als mit demaus Vögeln. Im März 2006 zeigten Forscher, dassdie in einem H5N1-Isolat eines vietnamesischenPatienten aus dem Jahr 2004 gefundenen ver-änderten Erbgutabschnitte des Hämagglutininsmehr Ähnlichkeit zum gleichen Abschnitt desErregers der spanischen Grippe (H1) und andereran den Menschen angepassten H1 aufwies, als andas H5 von 1997 (Stevens et al, Science express16. März 2006).

Auch bei der Polymerase, einem für die Ver-mehrung der viralen Erbsubstanz unverzicht-baren Eiweiß, fanden deutsche Wissenschaftlerbemerkenswerte Veränderungen (Gabriel et al,PNAS, 20. Dezember 2005). Spezifische Mutatio-nen, die bei einem anderen Vogelgrippevirus(H7N7) die Aggressivität in Mauszellen massiverhöhte, finden sich auch in H5N1-Isolaten ausHühnern und Menschen in Südostasien. Aller-dings scheinen all diese Mutationen eher vor-übergehender Natur zu sein, da sie bislang niegemeinsam in einem Virus auftauchten undnicht in den zirkulierenden H5N1-Stämmen per-sistierten.

Unkalkulierbar ist das Risiko für ein mög-liches neues Virus, wenn sich Menschen gleich-zeitig mit A/H5N1 und einem menschlichenGrippevirus infizieren. Durch Genaustausch beigleichzeitiger Vermehrung im Menschen könntedaraus ein Virus hervorgehen, das sich leicht vonMensch zu Mensch verbreiten kann.

Die wichtigste Maßnahme für Menschen istdeshalb, sich vor Infektionen durch krankesGeflügel zu schützen. Denn vermutlich erfolgtdie Virusübertragung auf den Menschen durchdirekten Kontakt mit Sekreten oder Exkretenbeziehungsweise durch Tröpfcheninfektion odervirushaltigen Stallstaub über die Atemwege. DieGefahr, sich über Essen anzustecken, wird alseher gering eingeschätzt, zumal Influenza-Virenhitzeempfindlich sind. Ausreichend gekochteSpeisen oder erhitzte Lebensmittel sind unge-fährlich. Minustemperaturen hingegen überlebtdas Virus.

4.4 BEGINN DER ALARMPHASE –SZENARIOANALYSE

Zur Beurteilung des Risikos einer Pandemieunterscheidet die WHO sechs Pandemiephasen:

Die WHO schätzt die gegenwärtige Situation alsPandemie-Warnstufe der Phase III ein.

Für Deutschland hat das Robert Koch-Institutals Grundlage für die Abschätzung der Aus-wirkungen einer Pandemie mehrere Szenarienentwickelt. Diese Berechnungen beruhen imWesentlichen auf dem Modell eines Forschungs-teams um den Wissenschaftler Meltzer vom US-amerikanischen Center of Disease Control andPrevention (CDC).

Sollte das H5N1-Virus die Fähigkeit zur Trans-mission von Mensch zu Mensch erlangen, könn-te es eine Pandemie auslösen. In diesem Fallergäbe sich eine Situation, in der die gesamteWeltbevölkerung immunologisch nicht auf denneuen Erreger vorbereitet und somit eine rascheund großflächige Ausbreitung zu erwarten wäre.In diesem schlimmsten Fall ist weltweit mit hun-derten Millionen von schweren Erkrankungenund mehreren Millionen Toten zu rechnen. Zubefürchten ist, dass in den von einer Pandemiebetroffenen Regionen die Funktionsfähigkeit desGesundheitswesens, der Nahrungsmittelversor-gung, des Wirtschaftslebens und die öffentliche

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Pandemie Report 17

Phase I: Es wird ein neuer Virus-Subtyp in Tieren entdeckt, ohnedass eine Gefahr für den Menschen besteht.Phase II: Es wird ein neuer Virus-Subtyp in Tieren entdeckt, der als möglicherweise gefährlich für den Menschen eingeschätzt wird.Phase III: Beginn der Alarmphase. Vereinzelt werden Menscheninfiziert, es erfolgt aber keine oder nur selten eine Übertragungvon Mensch zu Mensch. Phase IV: Kleine, örtlich begrenzte Häufung von Infektionen mitvereinzelten Mensch-zu-Mensch-Ansteckungen, was nahe legt, dassdas Virus sich noch nicht an den Menschen angepasst hat.Phase V: Erhebliches Pandemierisiko. Große, aber immer nochvereinzelte Häufungen von Infektionen mit örtlich begrenztenMensch-zu-Mensch-Übertragungen.Phase VI: Beginn der Pandemie. Wachsende und anhaltende Über-tragung von Mensch zu Mensch in der gesamten Bevölkerung.

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Ordnung zusammenbrechen. Es sind jedochauch mildere Szenarien denkbar, wenn das neueVirus weniger gefährlich oder seine Ausbreitunggleich zu Beginn des Auftretens kontrollierbarwäre. Das war beim SARS-Ausbruch im Jahre2003 der Fall. Eine Pandemie kann jedoch auchdurch einen anderen Influenza-A-Subtyp ausge-löst werden.

„Die Abschätzung der Auswirkungen einerzukünftigen Pandemie ist nur unter Vorbehaltmöglich, weil man die Eigenschaften eines Erre-gers und seine Verbreitung in der Bevölkerungnicht vorhersagen kann“, sagt Prof. ReinhardKurth, Präsident des Robert Koch-Institutes. Legeman die Sterblichkeitsrate bei der Pandemie 1918von zwei bis drei Prozent zugrunde, müsste manmit deutlich mehr Todesfällen rechnen – aller-dings stehen heute Medikamente, ein wesentlichleistungsfähigeres Gesundheitswesen und nacheinigen Monaten ein Impfstoff zur Verfügung, sodass diese Pandemie nicht als Grundlage fürModellrechnungen sinnvoll ist. „Die SpanischeGrippe war verheerend, die Asiatische Grippeund die Hongkong-Grippe waren vergleichsweisemild“, sagt Hans-Dieter Klenk. „Wir wissen abernicht, ob das an der verbesserten Prävention undBehandlung, der Natur der Krankheitserregeroder an anderen Faktoren lag“, sagt der Marbur-ger Virologe.

5 KRANKHEITSBILD BEIM MENSCHEN

Die Übertragung der Influenza-Viren erfolgt vor-nehmlich durch Tröpfcheninfektion beziehungs-weise Aerosole, eine Schmierinfektion ist aberebenfalls möglich. Die Viren infizieren zunächstdie Atemschleimhäute, den Hauptinfektionsortdes Erregers im menschlichen Atemtrakt. Inner-halb von vier bis sechs Stunden vermehrt sich

dort das Virus und befällt in der Folge weitereZellen der Atemwege. Die Ansteckungsfähigkeitbeginnt bereits kurz vor Auftreten der klinischenSymptomatik in weniger als 24 Stunden und be-steht danach gewöhnlich für drei bis fünf Tage.Kleine Kinder können Viren früher und für län-gere Zeit als Erwachsene ausscheiden.

5.1 SAISONALE GRIPPE

Bei einer saisonalen Influenza-Infektion zeigensich bei etwa der Hälfte der Betroffenen keinerleiKrankheitssymptome. Bei den übrigen 40 Pro-zent der Infizierten ist ein überwiegend milderKrankheitsverlauf zu beobachten. Nur circa zehnProzent der Menschen erkranken schwerer. Cha-rakteristisch für eine Influenza-Infektion ist einplötzlicher Krankheitsbeginn, der durch hohesFieber, Kopf- und Gliederschmerzen, Unwohl-sein, Halsschmerzen und Husten gekennzeich-net ist. Die Symptome der Influenza klingen beiunkomplizierten Verlaufsformen innerhalb vonfünf bis sieben Tagen wieder ab, allerdings kehrtdie Leistungsfähigkeit meist nur sehr langsamzurück. Häufig dauert die Rekonvaleszenz wo-chenlang. Komplizierte Influenza-Verläufe wer-den vor allem bei Patienten beobachtet, diegleichzeitig an bakteriologischen Erkrankungenleiden. So ist die Lungenentzündung für diemeisten der durch Influenza verursachten Todes-fälle verantwortlich.

5.2 VOGELGRIPPE

Die Vogelgrippe ist primär eine Tierkrankheit. Dain Einzelfällen die Übertragung von Tieren aufden Menschen möglich ist, wird dieser Begriffumgangssprachlich auch für Infektionen beimMenschen verwendet. Eine Infektion beim Men-schen setzt den engen Kontakt zwischen Tierbeziehungsweise dessen Ausscheidungen undMensch voraus und betrifft daher vor allemGeflügelhalter, Mitarbeiter von Geflügelschlach-tereien oder Tierärzte. Klinisch ist die Erkran-kung beim Menschen zu Beginn nicht von dermenschlichen Influenza zu unterscheiden. DieInkubationszeit der Vogelgrippe ist möglicher-weise etwas länger als bei saisonalen Influenza-Infektionen. Symptome sind meist hohes Fieber,

K R A N K H E I T S B I L D B E I M M E N S C H E N

18 Pandemie Report

Tabelle 4: Bewertungen der Auswirkungen einer Pandemie in Deutschland

Szenario Erkrankungsrate Arztbesuche Krankenhausfälle Todesfälle

I 15 Prozent 6 Millionen 180000 48000

I I 30 Prozent 13 Millionen 360000 96000

I I I 50 Prozent 21 Millionen 600000 160000

Quelle: Robert Koch-Institut (RKI)

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Husten und Atemnot, außerdem kommt es zuDurchfall, Erbrechen, Atembeschwerden sowieNasen- und Zahnfleischbluten. Als auffälligeLaborwerte finden sich eine geringere Anzahlvon weißen Blutkörperchen und Gerinnungszel-len. Viele Patienten leiden an einer ausgeprägtenLungenentzündung, die oft zu Lungenversagenund damit zum Tod führt. Die Sterblichkeit derPatienten ist relativ hoch.

Wie die Symptome im Pandemiefall ausse-hen, kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht

sicher vorausgesagt werden. Wahrscheinlich sindSymptome wie Lungenentzündungen und mas-siver Durchfall. Vermutlich werden aber auchatypische Verläufe und Infektionen vorkommen,ohne jegliche Symptome. Während bei der saiso-nalen Influenza vornehmlich Kinder und ältereMenschen besonders von den Komplikationenbetroffen sind, können bei einer Influenza-Pandemie auch andere Altersgruppen schwererkranken: Die Spanische Grippe traf vor allemjunge gesunde Erwachsene.

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Pandemie Report 19

Eigentlich ist es ganz einfach: Siegehen auf die Webseite www.wheres

george.com, geben die Seriennummereiner Dollarnote ein und schauen einpaar Wochen später nach, wo derSchein gelandet ist.

Forscher aus Deutschland und denUSA haben sich den Datenschatz des„United States Currency Tracking Pro-jects“ für die Seuchen-Vorhersage zu-nutze gemacht. Denn die Reise derScheine erzählt die Reise ihrer Besit-zer. Die Ergebnisse stellten die Wis-senschaftler vom Max-Planck-Institutfür Dynamik und Selbstorganisationder Universität Göttingen und derUniversity of California in Santa Barbara im Fachmagazin Nature vor.Dabei glauben sie, ein universellesGesetz für das menschliche Reisever-halten gefunden zu haben.

Auf der Internetseite sind rund76 Millionen Dollarnoten registriert.Die Forscher nahmen 500 000 Daten-sätze und erkannten in ihnen Gesetz-mäßigkeiten des menschlichen Rei-severhaltens. Demnach ähneln sie den Gesetzen für turbulente Strömun-gen und chaotische Systeme. ZweiParameter sind dafür notwendig: die

Sprunglänge, also der Weg, den eineDollarnote zurücklegt, ehe sie einenneuen Besitzer findet, und die Ver-weildauer des Geldscheins an einemOrt. Beide Faktoren bilden die Basisfür eine Theorie, die erstaunlich genauReisebewegungen auf Entfernungenvon wenigen bis einigen tausend Kilo-metern beschreibt.

Die Theorie beschreibt nicht nurdas Reiseverhalten für die USA, son-dern auch für andere Länder. FürKanada funktioniert das Modell eben-so präzise. Die Forscher sehen in derneuen Theorie einen Durchbruch beider mathematischen Vorhersage derSeuchenverbreitung. Sie könnte dieVorhersage der geographischen Aus-breitung von Epidemien entscheidendverbessern. Denn um die Ausbreitungeiner Seuche vorhersagen zu können,muss man wissen, wie sich Menschenbewegen. Da dieses aber in Zeiten desintensiven Auto- und Bahnverkehrs zu Beginn einer Grippepandemie so-wie globaler Flugverbindungen schwernachzuvollziehen ist, bedienen sichdie Wissenschaftler der Geldnoten.

Erst im Herbst 2004 haben die For-scher aus Göttingen und Santa Barbara

ein Modell zur Seuchenausbreitungauf Basis des internationalen Flugver-kehrs erstellt. Dafür mussten sie dieDaten von 95Prozent aller Flüge welt-weit berücksichtigen. Am Beispiel derLungenkrankheit SARS konnten siezeigen, dass ihr Modell präzise funk-tioniert, allerdings nur für den Flug-verkehr. Die Forscher probierten, ähn-liche Daten auch für den Bahn-, Auto-oder gar Fahrradverkehr zu erheben.Es blieb bei dem Versuch.

Heute aber kann ein Mensch bin-nen weniger Tage zehntausende Kilo-meter zurücklegen und überall auf derWelt andere Menschen infizieren, eheer selbst der Krankheit zum Opferfällt. Das so genannte Diffusions-modell, in dem sich Epidemien wel-lenförmig fortbewegen, greift deshalbnicht mehr. Mancher Mathematikermag sich da ins Mittelalter zurück-wünschen. Die Pest etwa brauchte im14. Jahrhundert volle drei Jahre, umvon Sizilien über Mitteleuropa bisnach Norwegen zu gelangen.

Quelle: Brockmann, D., Hufnagel, L., Geisel, T.:

The scaling laws of human travel.

In: Nature, 26 January 2006.

Exkurs: Seuchen-Vorhersage

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20 Pandemie Report

Herr Prof. Kurth, wie wahrscheinlich isteine Influenza-Pandemie?Niemand kann vorhersagen, wann dienächste Influenzapandemie kommt, aberdrei Pandemien im vergangenen Jahr-hundert – 1918, 1957 und 1968 – zeigen,dass es hier um ein gesundheitlich undökonomisch relevantes Risiko geht. DieFrage ist daher nicht, ob eine Pandemiekommt, sondern wann sie kommt.

Hat sich die Gefahr für den Menschennach den ersten Säugetierinfektionenerhöht?

Das Risiko einer Pandemie wird maß-geblich davon beeinflusst, wie weit einVirus verbreitet ist, das das Potenzial füreine weitere Anpassung an den Men-schen und damit der Entstehung einesneuen Pandemievirus besitzt. Insofernbedeutet jeder neue Fund des Vogelgrip-pevirus H5N1 eine Erhöhung des Risi-kos. Infektionen bei Säugetieren, insbe-sondere bei Hauskatzen mit ihremengen Kontakt zum Menschen, könn-ten die Anpassung des Virus an denMenschen erleichtern. Wichtiger alseinzelne Erkrankungen bei streunen-den Hauskatzen, bei Wildvögeln – mitdenen Bürger normalerweise keinenKontakt haben – oder einzelne Ausbrü-che in Nutztierbeständen in Industrie-ländern sind aber große Ausbrüche beiGeflügel in Regionen mit engem Kon-takt zwischen Geflügel und Mensch, ins-besondere in Südostasien.

Was können wir von SARS, BSE undauch der Spanischen Grippe lernen?

SARS hat daran erinnert, dass Infek-tionskrankheiten drastische Folgen für

Gesellschaft und Wirtschaft haben kön-nen – und dass die Verbreitung einesErregers auch ohne Impfstoffe und Therapiemaßnahmen relativ schnell ge-stoppt werden kann: durch ein moder-nes öffentliches Gesundheitswesen, vor-bereitete Infrastruktur und Maßnah-menkataloge beim Import ansteckenderKrankheiten, rasch verfügbare Informa-tionsangebote besonders im Internet,enge internationale Zusammenarbeitund konsequente Umsetzung klassi-scher Infektionsschutzmaßnahmen wieIsolierung Erkrankter und Erkrankungs-verdächtiger. BSE ist ein Beispiel, wo dieWissenschaft früh auf mögliche Folgenfür die Menschen hingewiesen hat unddie Landwirtschaftslobby zu lange ge-hofft hatte, dass Deutschland nicht be-troffen wäre und notwendigen Maß-nahmen, etwa die gezielte Suche nacherkrankten Tieren, mit Wunschdenkenbegegnete. Im Gegensatz zu BSE hat die Spanische Grippe von 1918 bis 1920eine riesige Zahl von Menschen infi-ziert, nämlich schätzungsweise bis zu500 Millionen. Zwischen 20 und 50 Mil-lionen Menschen starben. Und es hatsich gezeigt, dass eine leicht von Menschzu Mensch übertragbare Infektion letzt-lich alle Winkel dieser Erde erreicht,selbst abgelegene Inuitdörfer warendamals massiv betroffen.

Welche Probleme ergeben sich bei einerPandemie in Bezug auf das medizini-sche Versorgungssystem in Deutschland?

Die nächste Influenza-Pandemie trifftauf eine Krankenhauslandschaft, diedurch das seit 2004 eingeführte Fallkos-tenpauschal-System erheblichen Verän-

derungen unterworfen ist. Nach vorsich-tigen Schätzungen verringert sich dieZahl der Krankenhäuser um einige hundert; circa 135000 Betten werdenbundesweit in den nächsten Jahrenabgebaut. Daher sind immer wenigerKapazitäten für plötzlich steigendenVersorgungsbedarf ad hoc verfügbar.

Wie lange würde im Pandemiefall dieHerstellung eines Impfstoffes dauern?

Das Paul-Ehrlich-Institut, Bundesamtfür Sera und Impfstoffe, schätzt, dassfür den anzustrebenden günstigsten Fallnach zehn Wochen die ersten Impfstoff-dosen zur Verfügung stehen. Nach wei-teren sechs Wochen stünden 80 Millio-nen Dosen für die erste Impfung bereit,nach weiteren sechs Wochen 80 Millio-nen Dosen für die zweite Impfung.

Was sind die Hauptprobleme bei derHerstellung eines Impfstoffes?

Ein Impfstoff muss einen oder mehrereEiweißstoffe, so genannte Antigene, ge-nau des Virus enthalten, gegen das erschützen soll. Das führt zur Bildung vonAntikörpern, das sind Abwehrstoffe desImmunsystems. Die Antikörper heftensich an den Erreger, der daraufhin zer-stört wird. Antikörper sind äußerst spezi-fisch. Wie ein Schlüssel passen sie nur inein bestimmtes Schloss. Mit der Herstel-lung des Impfstoffs kann daher erstdann begonnen werden, wenn das Virus,das die Pandemie verursacht, bekannt ist.Allerdings kann man wichtige Vorarbei-ten schon erledigen, damit man im Fallder Fälle so rasch wie möglich mit derImpfstoffproduktion beginnen kann.

„Die Frage ist nicht ob, sondern wann die nächste Pandemie kommt.“Interview mit Prof. Reinhard Kurth, Präsident des Robert Koch-Instituts

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Pandemie Report 21

Man könnte jährlich 900 MillionenImpfdosen herstellen, bei einer zwei-maligen Impfung, die bei einem neuenVirusstamm nötig wäre, könnten450 Millionen Menschen geimpftwerden – das sind aber nur siebenProzent der Weltbevölkerung?

Derzeit wäre es nicht möglich, Impf-stoffdosen für die gesamte Weltbevölke-rung herzustellen. Hier kann man nuran die Hersteller appellieren, ihre Kapa-zitäten auszubauen. Auch die Regierun-gen weltweit können durch entspre-chende Verträge mit Herstellern dazubeitragen, die Produktionskapazität zuerhöhen. Auch höhere Impfraten gegendie jährliche Influenza – dazu kannjeder Einzelne beitragen – erhöhen dieProduktionskapazitäten.

Eine Lösung wäre ein Universalimpf-stoff. Dafür hat die Bundesregierungjetzt auch 60 Millionen Euro bewilligt.Reicht die Zeit bis zur Pandemie?

Die Bundesregierung hat im Frühjahr2006 60 Millionen Euro für die Erfor-schung von Influenza und anderen Zoo-nosen – das sind Krankheiten undInfektionen, die von Tier zu Menschund von Mensch zu Tier übertragbarsind – zugesagt, einschließlich der fürdie Entwicklung eines Pandemie-Impf-stoffs bereits im Vorjahr bereitgestellten20 Millionen Euro. Mehrere Herstellerarbeiten an der Entwicklung von Influ-enza-Impfstoffen der zweiten Genera-tion, die eine breitere Wirksamkeitbesitzen sollen. Daher würden sie gegeneine Reihe von Virusstämmen inner-

halb einer Gruppe, eines so genanntenVirussubtyps, wie zum Beispiel H5N1,schützen. Sie werden gelegentlich auchDriftimpfstoffe genannt. Sie könntenvor Auftreten einer Pandemie produ-ziert und eventuell auch angewendetwerden, wenn der die Pandemie auslö-sende Virussubtyp mit ausreichenderWahrscheinlichkeit vorausgesagt wer-den kann. Einen Universalimpfstoff, dergegen alle Influenza-Viren wirkt, etwagegen das virale Eiweiß M2, ist derzeitnoch in keiner klinischen Prüfung, abervielleicht gelingt der Forschung hier jadoch eine Überraschung.

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6 VORBEUGEN UND HEILEN

6.1 PRÄVENTION

6.1.1 IMPFEN HILFT – ZUMINDESTGEGEN DIE SAISONALE GRIPPE

Zu den wichtigsten Maßnahmen für die Prä-vention und Bekämpfung der Influenza gehörtneben hygienischen Maßnahmen und der antivi-ralen Therapie vor allem die Entwicklung einerImpfung. Die Schutzimpfung ist die effektivsteund kostengünstigste Maßnahme. Üblicherweisemuss wegen des Antigen-Drifts der Impfstoffjährlich an den jeweiligen Erreger angepasst wer-den. Der Ständigen Impfkommission (STIKO)zufolge wird die Influenzaimpfung für alle Per-sonen über 60 Jahre und für Personen mit be-stimmten Grundleiden, wie zum Beispiel chro-nische Lungen-, Herz-, Kreislauferkrankungen,Leber-, Nierenkrankheiten, Diabetes oder andereStoffwechselkrankheiten sowie Immundefizienzoder HIV-Infektion, empfohlen. Außerdem sol-len Personen mit erhöhter Gefährdung, zum Bei-spiel medizinisches Personal, und Personen, dieals mögliche Infektionsquelle für von ihnenbetreute ungeimpfte Risikopersonen fungierenkönnen, geimpft werden. Die Wirksamkeit desImpfstoffes hängt von der Übereinstimmung derAntigeneigenschaften der Impfviren mit denender zirkulierenden Grippeviren ab. Nach Be-kanntgabe der empfohlenen Impfzusammen-setzung durch die WHO beginnt die Züchtungder Impfviren in embryonalen Hühnereiern.Diese Anzucht dauert bis zu sechs Monate. DieImpfstoffe sind trivalent, das heißt sie habeneinen vorgeschriebenen Mindestgehalt der Ober-flächenantigene der drei relevanten Typen undSubtypen Influenza-A/H3N2, -A/H1N1 und -B.

Derzeit werden ausschließlich Spaltimpfstof-fe eingesetzt, die Teile inaktivierter Influenza-Viren oder nur die beiden Antigene Hämaggluti-nin und Neuramidase enthalten. Vorteil dieseraufbereiteten Impfstoffe gegenüber den früherverwendeten Ganzvirus-Impfstoffen sind die ge-ringeren Nebenwirkungen. Die Immunität hängtvom Alter des Patienten, von der Anzahl sowieArt früherer Grippeerkrankungen, ab. Immu-nität und Schutz beginnen etwa 14 Tage nach

einer Impfung, die für die „Grippesaison“ einenausreichenden Schutz bietet. Kinder ab drei Jah-ren und Erwachsene erhalten in der Regel eineDosis, Kinder im Alter von sechs bis 36 Monatenzwei Mal eine halbe Dosis. Bislang ungeimpfteKinder ab drei Jahren erhalten zwei Dosen Impf-stoff im Abstand von vier bis sechs Wochen.Nebenwirkungen wie Fieber, Übelkeit, Muskel-und Gelenkschmerzen können ein bis drei Tagenach der Impfung auftreten, klingen in der Regelaber folgenlos ab. Allergische Reaktionen sindäußerst selten. Die zur Zeit zugelassenen Impf-stoffe enthalten keine kompletten, lebensfähigenViren, und können daher keine Influenza-Infek-tion auslösen.

Gesunde Kinder und Erwachsene sind in 70bis 90 Prozent der Fälle durch Impfung vor einerErkrankung geschützt. Bei Menschen im Altervon über 65 Jahren und bei Patienten mit einerchronischen Krankheit wird eine geringereEffektivität der Impfung unterstellt. BernhardRuf, Präsident der Deutschen InfektiologischenGesellschaft, konnte jedoch in einer Studie mit860 Patienten, die älter als 65 Jahre waren, nach-weisen, dass bei mehr als 70 Prozent eine aus-reichende Schutzrate erzielt werden konnte. Ineiner Meta-Analyse von 20 Kontroll-Studiendokumentierten Wissenschaftler bereits 1995,dass mit Hilfe der Schutzimpfung in 56 Prozentaller Fälle eine Atemwegsinfektion, bei derHälfte der Patienten ein Krankenhausaufenthaltund in 68 Prozent aller Fälle eine mit der Grippeverbundene Todesursache vermeidbar ist. Ge-impfte besitzen zudem möglicherweise ein gerin-geres Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko.

6.1.2 DIE ENTWICKLUNG EINESPANDEMIE- IMPFSTOFFES – E IN WETTLAUF GEGEN DIE ZEIT

Die Produktionskapazität von Influenza-Impf-stoffen konzentriert sich weltweit auf neun Phar-maunternehmen. Derzeit könnten die Herstellerjährlich 900 Millionen Impfdosen produzieren.Müsste jeder zwei Mal geimpft werden, wie esbei einem neuen Virusstamm nötig wäre, würdedie Gesamtmenge für 450 Millionen Menschenreichen. Das sind aber nur sieben Prozent derWeltbevölkerung. Bei den Produktionstestläufen

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22 Pandemie Report

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kommen die Hersteller derzeit nur auf die Hälfteder Menge. Sie können 250 bis 300 MillionenImpfstoffdosen pro Jahr produzieren.

Eine Ursache für eine Beschränkung der der-zeit verfügbaren Impfstoffe ist der enorme Be-darf an bebrüteten Hühnereiern, die zur Ver-mehrung der Impfviren notwendig sind. Zudemproduzieren die Hersteller nicht über den Bedarfhinaus: Da die Virenstämme sich jedes Jahr ver-ändern, muss der Impfstoff immer neu produ-ziert werden. Die WHO gibt im Frühjahr eineEmpfehlung heraus, nach der die Produzentenden Impfstoff entwickeln. Übriggebliebene Men-gen müssen am Ende der Grippesaison vernich-tet werden.

Die Herstellung eines Impfstoffes gegen einesaisonale Influenza-Epidemie dauert in der Regelsechs Monate. Dabei reicht der Impfstoff abernur für einen Bruchteil der Bevölkerung aus. DieImpfstoffmenge muss also bei einer Pandemiemassiv erhöht, die Herstellungszeit deutlich ver-kürzt werden.

Wegen der drohenden Engpässe werden sichImpfstoffe im Pandemiefall von den bisher zuge-lassenen saisonalen Influenza-Impfstoffen unter-scheiden. Die Herstellung kann allerdings erstbeginnen, wenn das Pandemievirus identifiziertist. Um die Produktionszeit zu verkürzen und dieAntigenausbreitung zu erhöhen, wird es sichhöchstwahrscheinlich um inaktivierte monova-lente Virusvakzine handeln, die eine höhereImmunogenität aufweisen. „Bei der saisonalenInfluenza zielt der Impfstoff auf drei Viren ab.Bei einer Pandemie konzentriert man sich aufnur einen Virus, so dass bei gleicher Produk-tionsmenge die Zahl der Impfstoffdosen ver-dreifacht werden kann“, sagt der Virologe Klenk.Zudem könne man die Wirksamkeit durch dieVerwendung so genannter Adjuvantien, also bei-gefügte Zusatzstoffe wie zum Beispiel Alumi-nium, erhöhen.

„Doch selbst wenn die genannten Faktorenjetzt schon umsetzbar wären, müssten die Her-steller natürlich noch ihre Kapazitäten drastischerhöhen“, sagt Klenk, „die Produktionsmengereicht aber hinten und vorne nicht.“ Dabei sei dasInteresse der Industrie wesentlich größer alsnoch vor zwei Jahren. Es bedürfe dennoch gewis-ser Subventionen. In der Europäischen Union

(EU) gebe es aber Bestrebungen, entsprechendeAnreize zu schaffen. Die Strategie scheint aufzu-gehen, wie ein Impfstoffhersteller bestätigt: DieHersteller schätzen, dass sich der Bedarf bis 2010verdoppelt, vielleicht sogar verdreifacht. Deshalberweitern die meisten Produzenten derzeit ihreKapazitäten. Einer der führenden Anbieter ver-doppelt derzeit die Kapazität für die Produktionvon Grippe-Impfstoff.

ZELLKULTUREN SOLLEN DAS E I ALS

BASIS FÜR E INEN IMPFSTOFF ABL ÖSEN

Allerdings könnte es zusätzliche Probleme beider Produktion eines Pandemie-Impfstoffes ge-ben: Ein Pandemievirus könnte die bebrütetenHühnereier töten. Bei dem in Asien aufgetrete-nen H5N1-Virenstamm war das der Fall. Zudembesteht das Risiko, dass auch die Legehennenbe-triebe von H5N1 betroffen werden. Nach Her-stellerangaben sind zahlreiche Sicherheitsstufeneingebaut, so dass es fast unmöglich erscheint,dass das Virus in einem solchen Legehennen-betrieb ausbricht. Dennoch bleibt ein Risiko.

Deshalb arbeiten Pharmaunternehmen der-zeit auch an der Entwicklung von Zellkulturen,die das Hühnerei als Basis für den Impfstoff ablö-sen sollen. Damit könnte der Produktionsprozessdeutlich verkürzt werden. Ein Unternehmen hatbereits für einen Impfstoff auf Zellkulturenbasisgegen die normale Influenza eine Zulassung inden Niederlanden erhalten. Wann das Produktauf den Markt gebracht werden soll, wurde bis-lang noch nicht mitgeteilt. Ein Mitbewerberglaubt jedoch, dass nicht vor 2010 mit einermarktreifen Lösung zu rechnen sei.

Neben der Entwicklung von Zellkulturimpf-stoffen testen Forschergruppen in den USA unddie Pharmafirma GlaxoSmithKline einen neuenPrototyp-Impfstoff in klinischen Studien. An-hand von bekannten Varianten des H5N1-Erre-gers werden hierbei Impfstoffe („mock-up“-Vakzine) hergestellt, für die bereits ein Zulas-sungsverfahren eingeleitet wird. Von ihnen er-hofft man sich, dass sie im Fall einer Pandemierasch so verändert werden können, dass sie auchgegen den Pandemie-Erreger wirksam sind. MitHilfe dieser neuen Konzepte und Verfahren kanndie Zeitspanne, bis die ersten Impfdosen eineswirksamen pandemischen Influenza-Impfstoffes

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zur Verfügung stehen, voraussichtlich auf weni-ge Wochen verkürzt werden.

Auch an der Entwicklung von Universalimpf-stoffen arbeiten die Wissenschaftler. So befindetsich ein an der Universität Gent entwickelterImpfstoff bereits in der klinischen Erprobungam Menschen, der das in der menschlichen Zellebefindliche Brückenprotein M2 aktiviert. Im Ge-gensatz zu HA und NA ändert sich M2 bei einemAntigensprung oder einer Antigenverschiebungnicht sehr stark. M2 kommt allerdings in zugeringen Mengen vor, um schützende Antikörperzu induzieren. „Die Hoffnung ist, die schützendeWirkung von M2 auf künstliche Weise zu erhö-hen. Allerdings befinden wir uns da noch ineinem sehr experimentellen Stadium. Ob undwann es dabei zu einem Erfolg kommt, ist offen“,sagt der Virologe Hans-Dieter Klenk. Der zustän-dige EU-Vaccinations-Forschungsdirektor Chris-tian Patemann setzt dennoch große Hoffnungauf den Impfstoff, da er möglicherweise Schutzgegen alle Arten von Grippe, auch gegen dieVogelgrippe, bietet.

6.1.3 WIE SICH DER EINZELNE SCHÜTZEN KANN

Bei einer Influenza-Pandemie sind auch hygieni-sche Maßnahmen im häuslichen und im medizi-nischen Bereich von Bedeutung: Schützen soll-ten sich bei einer Pandemie alle, die mit Erkrank-ten Kontakt haben. Im Nationalen Pandemieplansind einige allgemeine Hygieneregeln aufge-führt, deren Beachtung das Infektionsrisiko imFalle einer Pandemie im Alltag der Bevölkerungreduzieren kann. Dazu gehören:

• das Vermeiden von Händegeben oder anderen, vermeidbaren nahen Körper-kontakten,

• die Benutzung eines vor Mund und Nase ge-haltenen Einwegtaschentuches beim Hustenoder Niesen beziehungsweise mindestens dasAbwenden des Kopfes, um direktes Anhustenoder Anniesen zu vermeiden,

• die Nutzung und sichere Entsorgung vonEinmaltaschentüchern,

• das gründliche Händewaschen nach Personen-kontakten, der Benutzung von Sanitärein-richtungen und vor der Nahrungsaufnahme,

• das Vermeiden von Berührungen der Augen,Nase oder des Mundes mit ungewaschenenHänden,

• eine gute Belüftung geschlossener Räume,

• die Absonderung von an Influenza erkranktenPersonen von Säuglingen, Kleinkindern undPersonen mit chronischen Erkrankungen

• die Empfehlung für fieberhaft Erkrankte, zuHause zu bleiben, um weitere Ansteckungenzu verhindern,

• die Vermeidung von engen Kontakten zumöglicherweise erkrankten Personen,

• der Verzicht auf den Besuch von Theatern,Kinos, Diskotheken, Märkten, Kaufhäusernbeziehungsweise die Vermeidung vonMassenansammlungen sowie

• gegebenenfalls das Tragen eines dicht anlie-genden, mehrlagigen Mund-Nasenschutzes in bestimmten Situationen, in denen einKontakt zu anderen, vermutlich infiziertenPersonen in geschlossenen Räumen nicht ver-meidbar ist. Daten zur Schutzwirkung dieserMaßnahme bei einem Einsatz außerhalb derKrankenbetreuung liegen allerdings bishernicht vor. Zu berücksichtigen ist auch, dassgeeignete Schutzmasken nicht dauernd getra-gen werden können und insofern ein hundert-prozentiger Schutz bei Aufrechterhaltungauch eines eingeschränkten sozialen Lebensdurch sie nicht zu erzielen ist. In jedem Fallsollten die anderen genannten Präventions-maßnahmen nicht im falschen Vertrauen aufeinen Schutz durch das Tragen einer Maskevernachlässigt werden. Die Weltgesundheits-organisation empfiehlt in ihrem Rahmen-Pandemieplan keinen Mund-Nasenschutz fürdie allgemeine Bevölkerung.

6.2 ANTIVIRALE MEDIKAMENTE

Bei Erkrankungen durch die saisonale Grippereicht die normale Behandlung des Hausarztestrotz fehlender Impfung in vielen Fällen aus. BeiRisikopatienten und immunschwachen Patien-ten, zum Beispiel HIV- oder Krebspatienten,sollte jedoch eine spezifische antivirale Therapieangewendet werden. Die Behandlung sollte soschnell wie möglich nach Einsetzen der Haupt-symptome beginnen, weil dadurch die Krank-

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24 Pandemie Report

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heitsdauer und die Schwere der Erkrankung ver-ringert werden kann.

Für die antivirale Therapie können Ärzte inDeutschland die Ionenkanal-Inhibitoren Riman-tadin und Amandatin – gängiger Markennameist InfectoFlu – sowie die Neuramidase-HemmerOseltamivir – allgemein bekannt unter Tamiflu –und Zanamivir – generell geläufig als Relenza –verschreiben. Im vorliegenden Report wird zurbesseren Verständlichkeit und Lesbarkeit auf-grund der hohen Bekanntheit der Markennamenstatt von den Wirkstoffen von den MarkenInfectoFlu, Tamiflu und Relenza gesprochen.Nationale Empfehlungen für Behandlung undProphylaxe der Influenza werden durch dieDeutsche Vereinigung zur Bekämpfung derViruskrankheiten (e.V.) (DVV), die Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie (e.V.) (PEG) unddie Deutsche Gesellschaft für Pädiatriasche Infek-tiologie (DGPI) erarbeitet.

IONENKANAL-BLOCKER

Ionenkanal-Blocker sind trizyklische Amine, diean das M2-Protein, ein für die Virusvermehrungnotwendiges Membraneiweiß, der Influenza A-Viren andocken und dieses hemmen. Amandatinwurde bereits in den sechziger Jahren in zahlrei-chen Ländern zur Therapie und Prophylaxe derGrippe eingeführt. Die Wirkung ist jedoch relativgering. Selbst wenn das Medikament innerhalbder ersten 48 Stunden nach Auftreten der erstenSymptome verabreicht wird, verkürzt sich dieDauer des Fiebers lediglich um einen Tag. Gegen-über Influenza B-Viren und aviären Influenza-Viren ist Amandatin sogar unwirksam. Die Einnahme des Präparates ist zudem oft mitNebenwirkungen, wie Übelkeit, Gleichgewichts-und Konzentrationsstörungen, verbunden. Einweiterer Nachteil von Amandatin ist, dass esinnerhalb von zwei bis drei Tagen häufig zumAuftreten resistenter Virusstämme kommt. InDeutschland wurde und wird Amandatin des-halb kaum angewendet. Das Präparat Rimanta-din ist hierzulande gar nicht zugelassen.

NEURAMIDASE-HEMMER

Neuramidase-Hemmer wie Tamiflu und Relenzasind Vertreter einer neuen Klasse von Virosta-tika. Sie blockieren die Neuramidase des Virus

und unterbinden, dass in der infizierten Zelleneu gebildete Viruspartikel freigesetzt werden.Beide Medikamente sind gegen alle neun be-kannten Neuramidase-Subtypen des Influenza A-Virus sowie gegen die Neuramidase des Influ-enza B-Virus wirksam. Ein Vorteil dieser Sub-stanzen ist, dass Viren bisher kaum resistentdagegen sind.

Relenza, das seit 1999 zur Therapie derInfluenza A und B bei Erwachsenen und Jugend-lichen ab zwölf Jahren zugelassen ist, wird alsPulver inhaliert. Tamiflu, seit Juli 2002 auf demdeutschen Markt erhältlich, wird aufgrund derguten Bioverfügbarkeit als Kapsel oder Pulververabreicht. Damit können Jugendliche, Erwach-sene sowie Kinder ab einem Jahr behandelt wer-den. Es ist auch zur Prophylaxe bei Erwachsenenund Jugendlichen ab 13 Jahren zugelassen. DieNA-Hemmer bewirken eine deutliche Reduzie-rung der Viruslast, so dass sich Dauer undSchwere der Erkrankung verringern. Der Be-handlungserfolg ist nach einer Untersuchungvon Wissenschaftlern der Universität Jena umsogrößer, je frühzeitiger mit der Therapie begon-nen wird.

Beginnt der Patient innerhalb von 48 Stundennach Auftreten der ersten Krankheitszeichen mitder Therapie, treten Symptome wie Fieber, Kopf-und Gliederschmerzen oder Husten nicht sostark auf. Folgeerkrankungen durch bakterielleInfektionen kommen seltener vor. Die Dauer derakuten Erkrankung kann um ein bis drei Tageverkürzt werden. Als seltene Nebenwirkungensind Magen-Darm-Störungen zu nennen, die vor-übergehend auftreten und durch gleichzeitigeNahrungsaufnahme weitgehend verhindert wer-den können. Zweimal täglich sollte der Patientzehn Milligramm Relenza inhalieren, bei Tamifluwerden zweimal täglich 75 Milligramm verord-net, bei Kindern richtet sich die Menge nach demKörpergewicht. Beide Medikamente müssen fünfTage eingenommen werden.

ANTIV IRALE MEDIKAMENTE D IENEN

DER PRÄVENTION UND DER THERAP IE

Ob diese Standardtherapie allerdings auf dieBehandlung von H5N1 übertragbar ist, scheintangesichts der Schwere und Dynamik der Er-krankung bei den bisher beschriebenen Fällen

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fraglich. „Neuramidase-Hemmer sind auch beider aviären Influenza wirksam, wenn sie pro-phylaktisch eingesetzt werden. Die Effektivitätliegt bei 70 bis 90 Prozent, wenn sie innerhalbvon 48 Stunden nach Kontakt zu akuten Erkran-kungen verabreicht werden“, sagt der LeipzigerInfektologe Bernhard Ruf, „wobei vor allem beischweren Verläufen auf eine höhere Dosierungund eine längere Therapiedauer von sieben biszehn Tagen orientiert werden sollte.“

Untersuchungen des Influenza-Überwachungs-programms der WHO haben ergeben, dass Tamiflu gegen den derzeitig vorherrschendenInfluenza-Typ A/H5N1 wirksam ist, wohingegendie meisten der getesteten Stämme resistent ge-gen den Ionenkanal-Blocker Amantadin waren.Allerdings wurden im Februar 2005 erste gegenTamiflu resistente Influenza-Viren A/H5N1 inVietnam isoliert. Sie vermehrten sich wenigerund waren auch nicht so ansteckend. Das Viruserwies sich sowohl in der Zellkultur als auch imTierversuch aber empfindlich gegenüber Relen-za. „In Vietnam waren es Extremfälle, weil diePatienten schwer krank waren und Tamiflu zueinem sehr späten Zeitpunkt verabreicht bekom-men haben“, sagt Hans-Dieter Klenk. Weltweitseien die Resistenzen geringer. Im Übrigenmüsse ein Virus, das gegen Tamiflu resistent ist,nicht gegen Relenza resistent sein, sodass es beiResistenzentwicklung noch Ausweichmöglich-keiten gebe. Deshalb ist es notwendig, das Resis-tenzverhalten der Viren genau zu verfolgen.Außerdem zeigt das Ergebnis, dass Relenza eineAlternative zu Tamiflu sein könnte.

Während einer Pandemie kommt den antivi-ralen Arzneimitteln eine besondere Bedeutungzu. Solange es keinen Impfstoff gibt, werdenantivirale Arzneimittel zunächst die einzigemedizinische Interventionsmöglichkeit sowohlzur Prävention als auch zur Therapie sein. Somitsind sie besonders für die Anfangsphase wichtig.Nach der bisherigen Bevorratungskonzeptionund angesichts der begrenzten Ressourcen (siehePunkt 7 Ein Plan für den Notfall) sollen die Arz-neimittel nur innerhalb der ersten 48 Stundennach Symptombeginn verabreicht werden. Daein Pandemievirus noch nicht existiert unddamit zwangsläufig keine Daten zur Wirksam-keit antiviraler Arzneimittel gegen diesen Erre-

ger vorliegen, können Aussagen über Medika-mente nur unter Vorbehalt getroffen werden. Die Neuramidase-Hemmer Tamiflu und Relenzakönnten wirksam sein, der Ionenkanal-BlockerAmantadin aufgrund der raschen Resistenzbil-dung wahrscheinlich nicht. Noch arbeiten diePharmafirmen fieberhaft an der Entwicklungneuer Präparate. Drei weitere Grippemittel sindin der Entwicklung. Erfolg versprechend scheintvor allem das Präparat Panamavir zu sein, daskurz vor der Zulassung steht.

7 EIN PLAN FÜR DEN NOTFALL

In den vergangenen hundert Jahren tratenInfluenza-Pandemien mit mehreren MillionenErkrankungs- und Todesfällen im Abstand von11 bis 40 Jahren auf, verursacht durch Mutatio-nen von Vogelgrippe-Viren oder durch Neukom-bination von Vogelviren und solchen Erregern,die bereits an den Menschen angepasst waren.Die Gefahr einer erneuten Pandemie wird durchführende Virologen als sehr wahrscheinlich ein-gestuft. Die Folgen für die Bevölkerung werdenvor allem davon abhängen, inwieweit in den ein-zelnen Staaten Vorbereitungen für den schlimm-sten aller Fälle getroffen wurden. Deshalb rief dieWHO die Länder bereits 1999 auf, entsprechendePandemiepläne zu erarbeiten. Dieser Forderungsind bis heute nur rund 50 Staaten nachgekom-men, weil „viele Regierungen die Gefahr nichternst nehmen. Alle Länder sollen eine funk-tionierende Abwehrstrategie in der Schubladehaben, wenn die Epidemie ihren tödlichen Zugum die Welt beginnt. Die Behörden müsstendann Schulen in Lazarette umwandeln, pensio-nierte Ärzte und Krankenschwestern zum Not-dienst rekrutieren“, fordert Klaus Stöhr von derWHO.

Das Robert Koch-Institut hat den von Bundund Ländern getragenen Nationalen Influenza-pandemieplan Anfang 2005 veröffentlicht. DerPlan enthält gemeinsame Empfehlungen desBundes und der Länder zur Vorbereitung aufeine Pandemie und für Maßnahmen im Pande-miefall. Ein Aktionsplan, der die Maßnahmenvor einer Pandemie und im Pandemiefall detail-liert darlegt, ist im April 2005 fertig gestellt undals Teil drei des Influenza-Pandemieplans veröf-

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fentlicht worden. Für vordringlich halten Bundund Länder insbesondere die möglichst früh-zeitige und umfassende Verfügbarkeit einesImpfstoffs im Falle einer Pandemie. Die Bundes-regierung fördert die Entwicklung eines Proto-typ-Impfstoffs und hat Verträge mit den Impf-stoffherstellern geschlossen, die für die gesamteBevölkerung eine frühestmögliche Bereitstellungeines Impfstoffs gewährleisten. Erkrankte Men-schen können mit antiviralen Arzneimittelnbehandelt werden.

Als wahrscheinlichstes Szenario sieht dieExpertengruppe Influenza-Pandemieplanung amRobert Koch-Institut eine Erkrankungsrate von30 Prozent der Bevölkerung an. Im Pandemiefallsollten wenigstens die besonders gefährdetenPersonengruppen, das medizinische Personalund Beschäftigte zur Aufrechterhaltung deröffentlichen Sicherheit und Ordnung versorgtwerden können. In die besonders gefährdetenPersonengruppe zählen 27 Millionen Menschen,eine mittlere Erkrankungsrate von 30 Prozententspricht demnach neun Millionen Personen.Zählt man zu diesen neun Millionen Personendas medizinische Personal und Beschäftigte zurAufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheitund Ordnung von sieben Millionen dazu, folgtdaraus die Minimalmenge von 16 Millionen Be-handlungsdosen für die Therapie der genanntenbesonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen.Das entspricht einer Bevorratungsmenge fürmindestens 20 Prozent der Bevölkerung. DieBundesländer haben angekündigt, dieser Emp-fehlung zu folgen.

Der Pandemieplan sieht auch vor, dass jedesBundesland und jeder Stadt- oder Landkreisseine Planung hinsichtlich der Anforderungendurch eine Pandemie überprüfen soll, auch Kran-kenhäuser sollen vorbereitet sein. Für Kranken-häuser, Länder und Gemeinden ist es wichtig,eine Vorstellung zu bekommen, mit wie vielenErkrankten sie rechnen müssen. Um im Pande-miefall rasch Bettenkapazitäten verfügbar zuhaben, sollte in den Land- und Stadtkreisen min-destens ein geeignetes Krankenhaus zur Behand-lung von Influenza-Erkrankten vorgesehen wer-den. Auch die Ausstattung der Krankenhäuserund die Abläufe bei der Krankenversorgung beiden niedergelassenen Ärzten und im Kranken-

hausbereich sind zu überprüfen und gegebenen-falls anzupassen. Außerdem ist geplant, dieÜberwachung der Influenza auszubauen, offenerechtliche Fragen etwa bei Beschränkungen desReiseverkehrs zu klären und für den Pandemie-fall eine Expertenkommission am Robert Koch-Institut zu berufen.

Um die Ausbreitung des Virus aufzuhalten,sind eine schnelle Charakterisierung und dieÜberwachung des Virus bei Mensch und Tiernötig. „Bei der Überwachung der menschlichenViren gibt es inzwischen weltweit ein eng-maschiges Netz, das gut funktioniert“, sagt Hans-Dieter Klenk. „Bei Tieren hapert es zum Teilgewaltig, vor allem in den Schwellenländern inAsien und Afrika.“

BE I T IERSEUCHEN STELLT S ICH D IE

FRAGE: IMPFEN ODER T ÖTEN?

In Deutschland ist die Geflügelpest eine anzeige-pflichtige Tierseuche, deren Bekämpfung demAmtstierarzt obliegt. Das Vorgehen richtet sichnach dem Tierseuchengesetz und der Geflügel-pest-Verordnung. Bei begründetem Verdachtmuss der Veterinär Proben der kranken be-ziehungsweise verendeten Tiere nehmen, umden Erreger schnellstmöglich differenzieren zukönnen. Beim Landesamt für Gesundheit undLebensmittelsicherheit sowie im nationalen Re-ferenzlabor des Friedrich-Loeffler-Instituts aufder Insel Riems werden die Proben dann analy-siert. Nachgewiesen werden kann der Erregermit Hilfe von Schnelltests, molekularbiologi-schen Methoden und einer Virusanzucht. Fälltder Befund positiv aus, wird ein Sperrbezirk von drei Kilometern um den Fundort gezogen.Innerhalb dieser Zone wird dann der gesamteGeflügelbestand gekeult. Die Kadaver werdenverbrannt, um eine Übertragung auf andere Tier-bestände zu verhindern.

Statt das Geflügel zu töten, könnte man esauch impfen. Bisher ist das gemäß EU-Richt-linien aber nicht erlaubt. Dabei ist das Impfverbotunter Experten umstritten – Frankreich und dieNiederlande haben beispielsweise Geflügelbe-stände geimpft. Hauptargument der Impfgegnerist, dass die geimpften Tiere zwar gesund sind,aber immer noch das Virus in sich tragen. Sokönnten sie nicht geimpfte Bestände immer noch

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Pandemie Report 27

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anstecken. Deshalb plädieren Impfgegner meistfür eine Keulung der Tiere. Das Töten sei die ein-zige Möglichkeit, erregerfreie Bestände zu erhal-ten. „Dieses Argument ist richtig, wenn es sichbei einem Ausbruch um ein lokal begrenztes, ein-maliges Ereignis handelt“, sagt der MarburgerVirologe Hans-Dieter Klenk. „Es gilt aber nichtmehr, wenn das Virus in der Natur endemischvorhanden ist und dann immer wieder auf nichtgeimpfte Nutztierbestände übertragen werdenkann. Und danach sieht es im Augenblick aus.“

BUNDESREGIERUNG FÖRDERT D IE

IMPFSTOFFHERSTELLUNG

Bund und Länder halten zudem die möglichstfrühzeitige Verfügbarkeit eines Impfstoffes imFalle einer Pandemie für vordringlich. Es wurdenVorkehrungen getroffen, um die Kapazität derImpfstoffproduktion in den zwei deutschen Pro-duktionsanlagen in Dresden und Marburg zuerhöhen sowie die Zulassung von Zellkultur-Impfstoffen und die Herstellung von Attrappen-impfstoffen zu forcieren. Dafür stellte dieBundesregierung zusätzliche Mittel in Höhe von20 Millionen Euro bereit. Trotz dieser Vorkeh-rungen ist davon auszugehen, dass Impfstoffefrühestens zwei bis drei Monate nach Ausbrucheiner Pandemie zur Verfügung stehen. Bis dahinbleiben antivirale Arzneimittel die einzige Mög-lichkeit, bei bereits Infizierten den möglicher-weise fatalen Folgen einer Infektion entgegenzu-wirken.

Nach Angaben der WHO und Einschätzungdes Robert Koch-Institutes ist eine Bevorratungdieser Arzneimittel für mindestens 20 Prozentder Bevölkerung anzustreben. Mit dieser Mengekönnte die Erkrankungsrate und die Zahl derKrankenhausaufenthalte deutlich gesenkt wer-den. Zur Behandlung der Erkrankten empfehlenWHO und RKI in erster Linie orale Neuramini-dasehemmer.

Die derzeit von den Ländern angestrebteBevorratung von antiviralen Arzneimitteln für20 Prozent der Bevölkerung würde genügen, umfür 13 Millionen behandlungsbedürftige Patien-ten in Deutschland zusätzlich auch sicherzustel-len, dass für knapp vier Millionen Menschen imGesundheitswesen und drei Millionen Sicher-heitskräfte eine ausreichende Verfügbarkeit für

eine Behandlung besteht. Für die vorbeugendeEinnahme, also die Prophylaxe, dieser Personen-gruppen müssten zusätzliche Mengen von Arz-neimitteln zur Verfügung gestellt werden, dadiese länger als für die zur Therapie benötigtenfünf Tage eingenommen werden müssten. Dennfrühestens nach drei Monaten würden die erstenpassgenauen Impfstoffe zur Verfügung stehen.Eine Verstärkung der Kompetenzen des Bundesin der Seuchenabwehr wäre wünschenswert, sagtProf. Reinhard Kurth, Präsident des Robert Koch-Instituts. „Das würde den Abstimmungsbedarfverringern und schnelleres Handeln erlauben.Vor allem bei Entscheidungen über die Bevor-ratung von Medikamenten oder Impfstoffenwäre das hilfreich, aber auch bei bundesweitenGesundheitsgefahren“, sagt Kurth.

Der Medizinethiker Prof. Hans-Martin Sassvom Zentrum für Medizinische Ethik der Ruhr-Universität in Essen fürchtet, dass die Kranken-häuser „für solch einen Fall zu geringe Kapazitä-ten hätten, das öffentliche Leben, die Versorgungmit Lebensmitteln und Energie würde zusam-menbrechen“. Ähnlich kritisch äußern sich füh-rende Vertreter der Kassenärztlichen Bundes-vereinigung (KBV).

Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirt-schaftsforschung und die Unternehmensbera-tung ADMED schätzen, dass es ab einer Infek-tionsrate von 30 Prozent in einigen Ländern zudeutlichen Engpässen bei der Versorgung vonIntensivpatienten kommen würde. „Die nächsteInfluenza-Pandemie trifft auf eine Krankenhaus-landschaft, die durch das seit 2004 eingeführteFallkostenpauschalsystem erheblichen Verände-rungen unterworfen ist“, sagt RKI-PräsidentKurth. Nach vorsichtigen Schätzungen verrin-gere sich die Zahl der Krankenhäuser um einigehundert; circa 135 000 Betten werden bundes-weit in den nächsten Jahren abgebaut. Dahersind immer weniger Kapazitäten für plötzlichsteigenden Versorgungsbedarf ad hoc verfügbar.

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28 Pandemie Report

Page 29: Pandemie Risiko mit großer Wirkung - RWI Essen · Am Beispiel der Ausbreitung des Vogelgrippevirus H5N1 wird zunächst gezeigt,dass das Risiko des Ausbruchs einer weltweiten Pandemie

E I N P L A N F Ü R D E N N OT FA L L

Pandemie Report 29

Die Autoren orientieren sich bei ihrerAnalyse an den unter 4.4 abgeleitetenSzenarien von Meltzer et al., die auchdas Robert Koch-Institut und die Stu-die des Congressional Budget Office(CBO) in den USA verwenden sowiean historischen Szenarien, welche diedrei großen Grippepandemien desletzten Jahrhunderts abbilden. Szena-rio I geht dabei von einer Erkran-kungsrate von 15 Prozent aus und entspricht in seinen Opferzahlen inetwa dem Szenario der AsiatischenGrippe. Szenario II unterstellt eineErkrankungsrate von 30 Prozent undSzenario III von 50 Prozent. Die Kran-kenhaus- und Todeszahlen des Szena-rios III werden nur noch von denendes Szenarios Spanische Grippe, wel-ches das Worst-Case-Szenario ist, über-troffen.

Im Rahmen ihrer Untersuchungunterscheiden die Autoren zudemzwischen der Auslastung normalerKrankenhausbetten, von Intensivbet-ten sowie von Betten, die mit Be-atmungsgeräten ausgestattet sind. Da-bei wird jeweils unterstellt, dass dieLänder alle möglichen Reserven mobi-lisieren würden. Neben der Betten-anzahl geht die Analyse davon aus,dass die 16Bundesländer unterschied-lich stark von einer möglichen Pan-demie betroffen wären, weil die Er-krankungsrate maßgeblich von derKontakthäufigkeit in der Bevölkerungbestimmt wird. Diese hängt von derBevölkerungsdichte und dem Grad der

Urbanisierung ab. Unabhängig vonder Bettenkapazität wären demnachBallungsräume wie Berlin und Ham-burg stärker von einer Pandemie be-troffen als ländliche Gebiete wie Bran-denburg, Mecklenburg-Vorpommernoder Schleswig-Holstein.

KE IN ENGPASS BE I NORMALEN

KRANKENHAUSBETTEN

Die Auslastung der Krankenhaus-betten liegt bei allen Ländern und füralle Szenarien stets unterhalb von100 Prozent. Ein Engpass gibt es daherin keinem Bundesland. Am schwers-ten betroffen wäre noch Berlin, imSzenario der Spanischen Grippe wä-ren 85 Prozent der Betten in derHauptstadt belegt.

VERSORGUNG VON INTENSIV-

PAT IENTEN K ÖNNTE BE I

E INER MITTELSCHWEREN

PANDEMIE KE IN BUNDESLAND

AUSREICHEND BEWÄLT IGEN

Während im milden Szenario I alleLänder über ausreichende Intensiv-und Beatmungskapazitäten verfügen,wäre eine Pandemie mit einem Ausmaß der Spanischen Grippe vonkeinem Bundesland zu bewältigen. In Sachsen-Anhalt würden auf einIntensivbett 2,8 Patienten hoffen, inBerlin wären es mehr als vier Erkrank-te, bundesweit liegt der Durchschnittbei 3,7 Patienten. Bei den Beatmungs-plätzen müssten sich theoretisch2,2 Einwohner aus Sachsen-Anhalt ein

Bett teilen, in Berlin wären es 3,6. Hierliegt der Durchschnitt bei 2,9 Patien-ten pro Bett.

Angesichts dieser Zahlen ist Sze-nario II von besonderer Bedeutung, daes eine Art Grenzszenario darstellt.Dabei sind die Ergebnisse in diesemSzenario differenzierter, es gibt Län-der, die über ausreichend Intensiv-und Beatmungsplätze verfügen, an-dere Länder weisen Engpässe auf. Zurübersichtlichen Darstellung der Län-derergebnisse für das Szenario IIgruppieren die Autoren die Bundes-länder in der unten stehenden Tabellehinsichtlich ihres Grades der Auslas-tung in fünf verschiedene Gruppen.Umgekehrt lässt sich für jedes einzel-ne Bundesland auch eine kritische Er-krankungsquote bestimmen, ab der eszu Engpässen bei der Versorgungkommt.

Interessant ist dabei, dass Inten-sivbetten knapper sein dürften alsBetten mit Beatmungsgeräten. Wäh-rend bei einer Erkrankungsrate von30 Prozent lediglich Sachsen-Anhaltüber ausreichend Intensivbetten ver-fügt, sind es bei den Beatmungsplät-zen lediglich Berlin, Hamburg, Hessenund Schleswig-Holstein, die über zuwenig Betten verfügen.

Die Gründe für die Kapazitäts-engpässe sind verschieden, je nach-dem ob ein Bundesland über relativviele oder wenige Betten verfügt, obes mit einer höheren oder niedrigerenErkrankungsrate rechnen müsste oder

Exkurs: Analyse des RWI Essen und der ADMED GmbH zu den Krankenhaus-kapazitäten in den 16 Bundesländern

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30 Pandemie Report

seine Bevölkerung relativ alt ist. Soliegt beispielsweise Hamburg bei denIntensivbetten mit 0,4 Betten bezie-hungsweise 0,3 Beatmungsplätzen je1000 Einwohnern jeweils unter denbesten fünf Ländern, bildet aber mitBerlin in der Gesamtrechnung das

Schlusslicht. Das liegt an der höherenzu erwartenden Erkrankungsrate, diefür Hamburg und Berlin angenommenwird. Mit einer überdurchschnittlichhohen Bettennachfrage erklären sichauch die Engpässe in Bremen, Nord-rhein-Westfalen, Saarland und Sach-

sen. Die zu geringen Kapazitäten inBrandenburg, Hessen, Niedersachsenund Schleswig-Holstein liegen hinge-gen in der unterdurchschnittlichenAnzahl der zur Verfügung stehendenBetten begründet.

Tabelle 5: Kritische Erkrankungsrate für jedes Bundesland für Intensivbetten

und Beatmungsplätze

Land Intensivbetten Beatmungsplätze

Sachsen-Anhalt 28% bis unter 30% 1 36% bis unter 38% 1

Thüringen 28% bis unter 30% 1 36% bis unter 38% 1

Bayern 26% bis unter 28% 3 34% bis unter 36% 3

Bremen 26% bis unter 28% 3 34% bis unter 36% 3

Mecklenburg-

Vorpommern 26% bis unter 28% 3 34% bis unter 36% 3

Rheinland-Pfalz 26% bis unter 28% 3 34% bis unter 36% 3

Saarland 26% bis unter 28% 3 34% bis unter 36% 3

Brandenburg 24% bis unter 26% 8 30% bis unter 32% 8

Nordrhein-Westfalen 24% bis unter 26% 8 30% bis unter 32% 8

Sachsen 24% bis unter 26% 8 30% bis unter 32% 8

Baden-Württemberg 22% bis unter 24% 11 28% bis unter 30% 11

Hessen 22% bis unter 24% 11 28% bis unter 30% 11

Niedersachsen 22% bis unter 24% 11 28% bis unter 30% 11

Schleswig-Holstein 22% bis unter 24% 11 28% bis unter 30% 11

Berlin 20% bis unter 22% 15 26% bis unter 28% 15

Hamburg 20% bis unter 22% 15 26% bis unter 28% 15

Deutschland 24% bis unter 26% 30% bis unter 32%

Anmerkungen zur Methodik

Die Basis für die Berechnungen bilden die „Grund-

daten der Krankenhäuser 2004“ des Statistischen

Bundesamtes. Für jedes einzelne Bundesland sind die

aufgestellten Krankenhaus- und Intensivbetten sowie

deren Nutzungsgrad gegeben. Bei der Berechnung

der Krankenhausbetten der Länder unterteilen die

Autoren bei den elektiven Betten die Fachabteilungen

in operative und konservative, das heißt nicht-opera-

tive. Unter elektiven Betten versteht man jene Betten,

die im normalen Krankenhausbetrieb für die nicht

schwerwiegenden Fälle eingeplant sind, so dass bei

eintretenden Notfallsituationen wie etwa einer Pan-

demie diese Betten frei wären, da die ursprüngliche

Planbelegung verschoben werden kann. Bei den

Intensivbetten verwenden sie aufgrund fehlender

Daten den gesamtdeutschen elektiven Anteil der

Plan-Intensivbetten (41 Prozent) für jedes Bundes-

land. Bei der Schätzung der zusätzlichen mobilen

Intensivplätze teilen sie die für Gesamtdeutschland

berechneten zusätzlichen Kapazitäten in Höhe von

15000 Betten auf die einzelnen Länder auf. Als

Schlüssel verwendet die Analyse den Anteil der

Krankenhausbetten eines Landes an den Kranken-

hausbetten aller Länder. Zur Bestimmung der Plan-

Beatmungsplätze eines Landes verwendet sie für

jedes Land das bundesdeutsche Verhältnis von Plan-

Intensiv- zu Plan-Beatmungsplätzen von 23000 zu

14500. Die elektiven Beatmungsplätze werden wiede-

rum mit Hilfe des gesamtdeutschen Anteils elektiver

Beatmungsplätze (38 Prozent) bestimmt, die zusätz-

lichen mobilen Geräte werden analog zu den zusätz-

lich zu schaffenden Intensivbetten über den Anteil der

Krankenhausbetten eines Landes berechnet.

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Pandemie Report 31

Herr Dr. Wiechmann, wie bewerten Siedas Risiko einer Influenza-Pandemie?Das Risiko ist nicht sicher abzuschätzen,aber aufgrund des periodischen Auftre-tens von Influenzapandemien alle 20 bis30 Jahre durchaus gegeben.

Wissenschaftlern wie Prof. Balling zu-folge droht die Gefahr von ganz anderer Seite. Die Zahl der Keime, dieresistent gegen Antibiotika sind, steigtdramatisch. Mehr als fünf MillionenMenschen weltweit sterben jedes Jahr an den resistenten Erregern.

Das ist in der Tat ein wachsendes Prob-lem. Das Risiko dürfte von Prof. Ballingrichtig eingeschätzt werden. Hierbei istallerdings zu beachten, dass es sich oftauch um ein durchaus „hausgemachtesProblem“ durch den Selektionsdruck beihäufig unkritischer und unselektiver An-wendung vor allem hochpotenter Anti-biotika handeln kann.

Wie kann die Medizin dieser Gefahrwirksam begegnen?

Dieser beschriebenen Gefahr kann durcheinen selektiven überlegten Einsatz vorallem der hochpotenten Antibiotika be-gegnet werden. Eine ebenso hohe Be-deutung kommt der Beachtung von Vor-schriften der Krankenhaushygiene beider Verhinderung von hospitalen Infek-tionen zu.

Prinzipiell wäre dieses Problem durchden optimierten Einsatz von Antibiotikazumindest zu reduzieren. Es gibt natür-lich besondere Problembereiche wieIntensivstationen, wo im Rahmen derMaximaltherapie und als Ultima Ratiobesondere Bedingungen herrschen. Hierist der Verbreitung entsprechend resis-tenter Hospitalkeime vor allem auchdurch die Anwendung der Hygienevor-schriften zu begegnen.

Die Antibiotika-Forschung lohnt sich fürdie Pharmakonzerne nicht, schließlichtreten die meisten bakteriellen Erkran-kungen in Entwicklungsländern auf . . .

... Diese Einschätzung ist durchaus nach-vollziehbar. Zahlenmäßig treten diemeisten bakteriellen Erkrankungen inden Entwicklungsländern auf. In denentwickelten Industrienationen habenwir für die meisten Infektionskrankhei-ten – natürlich bis auf bestimmte Aus-nahmen – viele potente Antibiotika undder Markt für Neuentwicklungen ist ent-sprechend limitiert.

Wie lassen sich Anreize für die Grund-lagenforschung setzen?

Stellhebel für die Anreize zur Durchfüh-rung von Grundlagenforschung wäreneine entsprechende Preisfestsetzung,ein verlängerter Patentschutz, die Inno-vationsforschung und entsprechendeFörderprogramme.

Welche Rolle kommt den Kranken-häusern bei der Bekämpfung dieserresistenten Erreger zu?Krankenhäusern kommt bei der Be-kämpfung resistenter Keime eine beson-dere Rolle zu im Rahmen der Förderungund des Ausbaus der Krankenhaus-hygiene und durch den kritischen undüberlegten Einsatz von Antibiotika.Ebenso wichtig ist ein dezidiertes Infek-tions-Controlling und -reporting miteiner entsprechenden Surveillance undAwareness für das Problem der hospi-talen Infektionen.

Wie kann ein Unternehmen wie dieAllianz Private Krankenversicherung(APKV) auf dieses Problem aufmerksammachen?

Die APKV könnte auf die genanntenProbleme im Rahmen von Publikatio-nen oder Studien entsprechend auf-merksam machen.

„Ein optimierter Einsatz von Antibiotika könnte das Problem resistenter Keime gegen Antibiotika reduzieren.“Interview mit Dr. Michael Wiechmann, Leiter Leistungs- und Gesundheitsmanagement Allianz Private Krankenversicherungs-AG

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1 DIE MEDIEN SIND DIE WICHTIGSTEINFORMATIONSQUELLE

Vor dem Ausbruch auf der Ostseeinsel Rügenhatte Deutschland von der Vogelgrippe aus-schließlich über Zeitungen, Radio, Fernsehenund Internet gehört. Und auch als das Virus imFebruar Deutschland erreichte, erlebten zunächstnur die Menschen auf Rügen die reale Bedro-hung durch das H5N1-Virus, weil sie von denPräventionsmaßnahmen vor Ort unmittelbar be-troffen waren. Die meisten Deutschen bekamenausschließlich über die Medien mit, dass die Tier-seuche, an der in seltenen Fällen auch Menschenerkranken, in Deutschland bei Wildvögeln aufge-treten war. Das Pandemierisiko hatte sich nachEinschätzung der Robert Koch-Instituts dadurchnicht nennenswert vergrößert.

Die Medien sind im Fall von Seuchen undanderen Katastrophen fast immer die wichtigsteInformationsquelle. Auch staatliche Stellen undVertreter der Wissenschaft müssen sich dieserKanäle bedienen, um die breite Öffentlichkeit zuerreichen. Es ist davon auszugehen, dass dieMenge und die Tonart der Medienberichterstat-tung die Stimmung und die Reaktionen inDeutschland mitbestimmten. Die Medien trans-portierten das Thema Vogelgrippe in die Köpfeder Menschen, weit bevor die Seuche die Bundes-republik erreichte. Medienberichte bildeten dieGrundlage für Meinung und Gefühlslage derRezipienten.

1.1 DIE BERICHTERSTATTUNG VERLÄUFT WELLENFÖRMIG

Die Ausbreitung der Vogelgrippe und der Me-dienberichterstattung verliefen zunächst zeitlichrelativ parallel. Doch ist es den Medien aufgrundihrer Produktionsabläufe nicht möglich, den Ver-lauf und die Bedrohung eins zu eins abzubilden.Sie müssen für die Aufbereitung von Themenden Gesetzen einer medialen Dramaturgie fol-gen. Man kann davon ausgehen, dass sich dasBewusstsein der Bevölkerung für die Gefahrender Tierseuche analog zur Berichterstattung ent-wickelte und nicht entsprechend der realen Aus-breitung.

Das Bonner Medienforschungsinstitut MediaTenor hat in einer Studie 1307 Beiträge in15 deutschen Medien1 und 1485 Beiträge in US-amerikanischen und südafrikanischen Nachrich-ten2 analysiert, die zwischen Januar 2004 undMärz 2006 erschienen sind. Bei den untersuchtenTV-Nachrichten haben die Medienbeobachteralle Beiträge zum Thema Vogelgrippe ausgewer-tet. In den Tages- und Wochenzeitungen erhobensie die Politik- und Wirtschaftsrubriken zumThema Vogelgrippe mit Bezug zu Deutschland,der EU und Unternehmen. Die Menge der kom-pletten Berichterstattung dürfte daher noch weithöher ausgefallen sein, da eine Reihe von Beiträ-gen in den Rubriken Panorama/Vermischtes undauf den Wissensseiten der überregionalen Zei-tungen erschienen, die in der Untersuchungnicht berücksichtigt wurden.

D I E M E D I E N S I N D D I E W I C H T I G ST E I N F O R M AT I O N S QU E L L E

32 Pandemie Report

Breitet sich die Angst schnelleraus als das Virus selbst?

1) Tagespresse: Die Welt, Frankfurter Allgemeine Zeitung,Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Rundschau, Bild; TV-Nachrichten: ARD Tagesthemen, ARD Tagesschau, ZDFHeute, ZDF Heute Journal, RTL Aktuell, Sat.1 „18.30“, Pro-Sieben News, Deutsche Welle (deutsch/englisch), Plusmi-nus, Berlin Direkt; Wochenpresse: Focus, Spiegel, Stern,Bild am Sonntag, Welt am Sonntag, FAZ am Sonntag.

2) USA/Südafrika: NBC Nightly News, CBS Evening News,ABC World News Tonight, Africaans News, English News,E-TV News, Zulu/Xhosa News, Sotho News.

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Der Untersuchung des Bonner Instituts zu-folge nahm die Präsenz des Themas Vogelgrippeüber die vergangenen zwei Jahre stetig zu undfand ihren vorläufigen Höhepunkt im Februar2006. Auch die drei Spitzen der Beitragsmengeentsprachen in etwa den realen Gegebenheiten.Allerdings fällt auf, dass die Journalisten das The-ma recht schnell wieder vernachlässigt haben, alses nicht mehr aktuell genug war.

Am häufigsten berichteten die Medien also,als die Krise nach Deutschland kam und toteVögel auf Rügen eindrucksvolle Bilder lieferten.Allerdings gab es schon zuvor zwei Höhepunkteder Aufmerksamkeit: Zunächst hatten Vogel-grippe-Fälle in Thailand und Vietnam Anfang2004 für verstärkte Berichterstattung gesorgt. Alsdie Krankheit im Herbst 2005 in der Türkei undAsien Menschen befiel, stieg die Anzahl der Arti-kel und TV-Beitrage ebenfalls an (vgl. Grafik 1).

Nach der Entdeckung der Tierseuche aufRügen veröffentlichten die Medien allerdingsdeutlich mehr. Zählt Media Tenor im Februar2004 noch 115 und im Oktober 2005 204 Bei-träge, produzierten die ausgewählten Medien imFebruar 2006 411 Veröffentlichungen. Die Zahlsank allerdings schon im März wieder auf 126,obwohl das Bedrohungsszenario kein andereswar – es fehlte der aktuelle Anlass für die Bericht-erstattung. Wie wichtig das Thema Vogelgrippeim Februar in den deutschen Medien war, bestä-tigt auch eine Erhebung des Fachinformations-dienstes politikerscreen.de. Die Vogelgrippe warzu der Zeit Hauptthema in den deutschen Fern-sehnachrichten. Das H5N1-Virus dominierte dieNews-Sendungen von ARD, ZDF, RTL und SAT.1mit insgesamt 304 Minuten Sendezeit deutlich.Der Karikaturenstreit mit 199 Minuten und derTarifkonflikt im öffentlichen Dienst mit 117 Mi-nuten lagen abgeschlagen auf den Plätzen zweiund drei.

Media Tenor hat darüber hinaus ermittelt,inwieweit die Journalisten den Ausbruch derSeuche in Asien im Jahr 2004 und in der Türkei2005 ausschließlich beschrieben oder sie dabeiden Bezug zu den Auswirkungen auf Deutsch-land herstellten. Dabei ergeben sich drei ver-gleichbare Wellen der Berichterstattung. Sowohlim Februar 2004 als auch im Oktober 2005 befas-sen sich jeweils rund 100 Berichte nur mit den

Fällen im Ausland, der Rest stellte den Deutsch-landbezug her. Das hat zwei Gründe: Zum einenwäre Deutschland im Falle einer Pandemie realbetroffen, zum anderen brauchen Medien denregionalen Bezug, um ihre Aufmerksamkeit fürdas Thema Vogelgrippe zu rechtfertigen. Darauslässt sich schließen, dass Lesern und Zuschauernspätestens seit Februar 2004 die Gefahr einerPandemie, die auch Deutschland beträfe, bewusstgewesen sein könnte.

1. 2 DAS INTERESSE FÜR DIE WIRTSCHAFTLICHEN AUSWIRKUNGENWÄCHST

Die Mehrheit der untersuchten Berichte in deut-schen Medien – 660 von insgesamt 1307 Beiträ-gen – war im Politik- beziehungsweise Nachrich-tenteil platziert. Das liegt aber, wie bereits er-wähnt, auch an der Anlage der Untersuchungund hat nur bedingt Aussagekraft.

Die Journalisten schätzten das Thema alswichtig ein: 128 Artikel – und damit fast zehnProzent – schafften es auf die Titelseite. Dabeiwar der Wirtschaftsfokus gering. Nur 16 Ge-schichten liefen im Wirtschaftsteil, vier davonstanden auf der Aufschlagsseite. Das änderte sichallerdings, je näher die Gefahr rückte (vgl. Gra-fik 2). Nachdem die Vogelgrippe bis zum Som-mer 2005 praktisch ohne wirtschaftlichen Bezug

D I E M E D I E N S I N D D I E W I C H T I G ST E I N F O R M AT I O N S QU E L L E

Pandemie Report 33

500

400

300

200

100

0

2004

Anzahl der Beiträge

2005 2006

Vogelgrippe-Fälle in derTürkei und Asien

Vogelgrippe-Fälleauf Rügen

Vogelgrippe-Fälle in Hamburg, Thailand und Vietnam

Quelle: Media Tenor, 2006

Grafik1: Mit Rügen erreichte die Berichterstattung ihren Höhepunkt

Präsenz des Themas „Vogelgrippe“ in deutschen Medien –

1. Januar 2004 bis 25. März 2006, insgesamt

In den TV-Nachrichten wurden alle Beiträge zum Thema Vogelgrippe ausgewertet.

In den Tages- und Wochenmedien wurden die Politik- und Wirtschaftsrubriken zum Thema

Vogelgrippe mit Bezug zu Deutschland, der EU und Unternehmen ausgewertet.

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in den Medien vermittelt wurde, waren seit demvierten Quartal des Jahres ökonomische Auswir-kungen häufiger Gegenstand der Berichterstat-tung, auch wenn diese Texte nicht zwangsläufigim Wirtschaftsteil erschienen. Über ein Dritteldieser Veröffentlichungen mit Wirtschaftsbezugsetzten die wirtschaftlichen Folgen in einennegativen Kontext.

Nicht weiter erstaunlich ist, dass die Land-wirtschaft die Branche war, die in den Beiträgenam häufigsten thematisiert wurde (vgl. Grafik 3).Fast die Hälfte der Beiträge war negativ. Abge-schlagen liegt die Pharmaindustrie auf dem zwei-ten Platz – nicht mal ein Fünftel so viele Artikelwurden über diese Branche geschrieben wie überdie Landwirtschaft. Obwohl die Pharmaunter-nehmen von der Vogelgrippe profitieren dürften,ist der größte Anteil der Beiträge neutral verfasst,

nur etwas mehr als jeder fünfte steht in einempositiven Kontext. Ähnlich viele Medienberichtewurden über die Tourismus- und Hotelbrancheverfasst, hier ist der Anteil der negativen Bericht-erstattung mit fast 40 Prozent hoch. WeitereBranchen, die in Zusammenhang mit der Vogel-grippe die Aufmerksamkeit der Medien erregten,sind Verkehr/Transport, Banken, Einzelhandelund Lebensmittel /Getränke, wobei die beidenletzteren in über 40 Prozent der Fälle in einemnegativen Kontext standen. Versicherungen inte-ressierten im Zusammenhang mit der Vogelgrip-pe nicht: Ganze vier Berichte zählt Media Tenor,von denen zwei negativ waren.

Eine weitere Studie von Media Tenor zeigt,dass die Vogelgrippe weitaus stärker im Fernse-hen präsent war als zuvor BSE und SARS. DieAuswertung von 2523 Beiträgen in sieben TV-Nachrichtensendungen zwischen 2001 und 2006zeigt zudem, dass die Zeiten, in denen Berichteüber die drohenden Seuchen das Fernsehen do-minieren, von ruhigeren Jahren abgelöst werden,in denen die Themen Lebensmittelsicherheitund Öko-Landwirtschaft auf der Agenda stehen –allerdings in weit geringerem Ausmaß als diedurch die Seuchengefahr verursachten Krisen.

2 DIE MENSCHEN SIND NICHT VERÄNGSTIGT

Wie veröffentlichte und öffentliche Meinungeinander beeinflussen, darüber sind sich Kom-munikationswissenschaftler uneins. Es ist aberdavon auszugehen, dass durch die steigendeMenge der Berichterstattung in den vergangenenMonaten die Aufmerksamkeit der Bevölkerungfür das Thema Vogelgrippe immer größer wurde.Jedoch ergaben Umfragen, dass die Bundes-bürger sich von der drohenden Pandemie nichtallzu stark beunruhigen ließen. Zwar gaben EndeFebruar 2006 knapp ein Viertel von 1000 Ber-liner Befragten gegenüber dem Meinungsfor-schungsinstitut Emnid an, seit dem Ausbruch derVogelgrippe auf Rügen auf den Genuss vonGeflügelfleisch zu verzichten. Die Forschungsge-meinschaft Urlaub und Reisen erhob, dass dreivon vier Menschen, die ursprünglich vorhatten,in diesem Jahr in ein von der Vogelgrippe betrof-fenes Gebiet zu reisen, ihre Reisepläne nicht

D I E M E N S C H E N S I N D N I C H T V E R Ä N G ST I G T

34 Pandemie Report

8

20

0

0

1

0

0

3

1

11

24

1

41

143

14

220

334

27

2004 1. Quartal

2. Quartal Es liegen keine Angaben vor

3. Quartal

4. Quartal Es liegen keine Angaben vor

2005 1. Quartal Es liegen keine Angaben vor

2. Quartal

3. Quartal

4. Quartal

2006 1. Quartal

Quelle: Media Tenor, 2006 negativ nicht eindeutig positiv

Nachdem die Vogelgrippe bis zum Sommer 2005 praktisch ohne wirtschaftlichen Bezug in den

Medien vermittelt wurde, ist seit dem vierten Quartal die konkrete Auswirkung häufiger Gegen-

stand der Berichterstattung – und der Sorge geworden. Insbesondere die Folgen für die

Reisebranche, aber auch für Landwirtschaft und Lebensmittelhandel rückten in den Mittelpunkt.

Grafik 2: Vogelgrippe wird immer mehr zum wirtschaftlichen Problem

Präsenz und Bewertung von Unternehmen/Branchen/Manager zum

Thema Vogelgrippe – 1. Januar 2004 bis 25. März 2006

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änderten. Knapp 20 Prozent wollten erst mal ab-warten, und nur acht Prozent änderten ihr Zieloder verzichteten lieber ganz auf ihren Urlaub.

Offensichtlich fühlen sich die Bürger gutbeschützt: In der Emnid-Umfrage zeigten sichzwei Drittel der Befragten mit dem bisherigenKrisenmanagement der Bundesregierung zufrie-den. In einer Umfrage der GfK MarktforschungEnde Februar gab über die Hälfte an, die Tötungvon Nutztieren als Vorsichtsmaßnahme richtigzu finden. Allerdings zeigte sich in dieser Erhe-bung, dass die größte Sorge der Menschen war,nicht ausreichend mit antiviralen Medikamentenversorgt zu werden. Über 60 Prozent glaubtennicht, dass die Vorratshaltung von Antigrippe-mitteln durch die Landesbehörden ausreichendsei.

Dennoch blieb die Zahl derjenigen, die sichvor einer Infektion fürchteten, relativ gering –und relativ konstant. In drei Umfragewellen (16., 23. und 28. Februar 2006) erhob das InstitutInnofact unter 1000 Deutschen, was diese „emp-finden, wenn sie an die Vogelgrippe denken“. DasErgebnis: Die Bevölkerung blieb relativ ruhig,das änderte sich auch im Zeitverlauf kaum. Rundein Viertel gab jeweils an, die Vogelgrippe macheihnen ernsthaft Sorgen, etwa zwei Drittel sagten,die Seuche sei ihnen „nicht ganz geheuer“, sieseien aber nicht ernsthaft besorgt. Und etwajeder Zehnte gab sogar an, die Vogelgrippe inte-ressiere ihn nicht. In der GfK-Umfrage sagteebenfalls nur einer von fünf Befragten, er habepersönlich Angst, sich mit der Vogelgrippe anzu-stecken.

D I E M E N S C H E N S I N D N I C H T V E R Ä N G ST I G T

Pandemie Report 35

Grafik 3: Risiko für die Versicherungswirtschaft noch kaum thematisiert

Präsenz und Bewertung der meistgenannten Branchen zum Thema Vogelgrippe – 1. Januar 2004 bis 25. März 2006

462

100

77

63

35

26

24

19

7

7

4

4

3

3

3

2

2

2

2

2

Passagen

Landwirtschaft

Andere

Pharma

Touristik /Hotel

Verkehr/Transport

Einzelhandel

Banken

Lebensmittel /Getränke

Elektro/Computer

Medien

Chemie

Versicherungen

Energie/Versorgung

Automobil

Unterhaltung

Erdöl und Gas

Luftfahrt /Rüstung

Telekommunikation

Werbung

Wirtschaftsprüfer /Berater

Quelle: Media Tenor, 2006 0% 100%20% 40% 60% 80%

negativ nicht eindeutig positiv

Bislang stehen in den Beiträgen zur Vogelgrippe die Landwirtschaft, die Pharma-Hersteller (insbesondere Roche mit Tamiflu) und die

Touristik- und Reisebranche im Mittelpunkt. Der absehbare Schaden für die Versicherungen – im Sach- und Lebensbereich – ist dagegen

bis Ende März in den deutschen Medien kaum thematisiert worden.

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Trotz einiger Anzeichen von Hysterie, wie den Tamiflu-Preisen beim Internet-AuktionshauseBay oder dem Streit um eine ARD-Serie, die dieVogelgrippe thematisierte, blieben die Deutschenrelativ ruhig. Die Zahl derjenigen, die sich be-droht fühlen, dürfte inzwischen erfahrungsge-mäß wieder gesunken sein, auch wenn es dazukeine aktuellen Daten gibt. Aber die Beunruhi-gung in der Bevölkerung ist zu Zeiten intensiverMedienberichterstattung verhältnismäßig geringgeblieben. So ist nun zu vermuten, dass die Be-unruhigung weiter abnimmt, da sich die Medienvon der Vogelgrippe ab- und anderen Themenzugewandt haben.

3 H5N1 ENTSPRICHT NICHT DENMEDIALEN GESETZEN

Für die Gelassenheit der Bevölkerung hat derGöttinger Psychiater und Professor Borwin Ban-delow eine simple Erklärung: Solche Effekteseien das Resultat der raschen Folge neuer Bedro-hungen in den vergangenen Jahren: „In gewisserWeise sind die Menschen abgestumpft.“ Auchbei BSE und SARS beschworen die Medien eineSeuchengefahr, deren Auswirkungen die Men-schen – glücklicherweise – nie am eigenen Leibzu spüren bekamen.

Ein weiterer Grund dafür, dass die Bericht-erstattung die Bedrohung nur selten angemessenabbildete, ist das systemische Missverständniszwischen Wissenschaft und Medien. „Journalis-ten suchen das deterministische Element: ja odernein, schlimm oder nicht schlimm“, sagt der Kieler Katastrophenforscher Wolf Dombrowsky.„Wissenschaftler hingegen dürfen vor allem beistochastischen Problemen ihre Thesen auf kei-nen Fall ins Deterministische umwandeln.“ EineTierseuche, die wie derzeit keine Gefahr für denMenschen darstellt, halte den medialen Span-nungsbogen nicht aufrecht.

Die Medienberichterstattung kann demnachoft gar nicht den tatsächlichen Geschehnissengerecht werden. Auch der Mainzer Kommunika-tionswissenschaftler Hans-Mathias Kepplingerbeklagt, dass die Berichterstattung, gemessen amAnlass, weit übertrieben sei (siehe Interview). Inden Medien vermisst er die entscheidende Infor-mation: die Wahrscheinlichkeit eines Risikos für

den Menschen. Der Wissenschaftler hat aberauch festgestellt, dass die Medien möglicher-weise aus den Fehlern der Vergangenheit gelernthaben und beim Thema Vogelgrippe eine neueArt der Berichterstattung über die Seuchenge-fahr testeten: „Wenigstens arbeiten die Medienbei der Vogelgrippe zum ersten Mal doppel-bödig“, sagt Kepplinger. „Während auf Seite einsdie große Gefahr an die Wand gemalt wird, rela-tivieren Beiträge im hinteren Teil der Zeitungendas Risiko.“

MEDIEN SOLLTEN ANTWORTEN AUF D IE

FRAGEN DES 21. JAHRHUNDERTS GEBEN

Dombrowsky kritisiert dennoch, dass die Mediensich wenig Mühe gegeben haben mit der Ant-wort auf die Frage, was für den Leser wirklichnützlich ist. Die Journalisten hätten die Auf-merksamkeit nutzen sollen, um ganz praktischeHinweise unters Volk zu bringen, beispielsweiseden Ratschlag, bei Reisen in betroffene LänderGeflügelmärkte zu meiden. Denn die Informatio-nen über die Vogelgrippe trafen auf eine weit-gehend uninformierte Öffentlichkeit. „UnsereGesellschaft krankt an einem Analphabetismuszu den Problemlagen des 21. Jahrhunderts“, sagtDombrowsky. Lesen, schreiben und rechnenkönne hierzulande fast jeder: Aber was ein Sievert oder ein Becquerel ist, dass eine Wahr-scheinlichkeit von 10 –15 nicht größer ist als 10 –10,verstehen die wenigsten. „Wir in der Modernehaben immer noch nicht gelernt, mit den Grund-lagen, auf denen unsere Lebenswelt aufgebautist, kompetent umzugehen.“

So kommt es, dass die Berichterstattung inkeinem Verhältnis zur tatsächlichen Gefahr steht:„Entweder reagieren die Medien zu spät, oder siesind zu früh dran und übertreiben“, sagt Kepp-linger. Das bedeutet nicht nur, dass die Bürgerüber die Gefahren nicht richtig informiert sind:„Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass esauch negative Nebenwirkungen von medialerKommunikation gibt“, sagt Kepplinger. Dervolkswirtschaftliche Schaden durch eine beun-ruhigte Bevölkerung, die bisher glücklicherweisenoch nicht allzu verunsichert ist, könnte weitausgrößer sein als der bisher durch die Seuche ent-standene.

H 5 N 1 E NT S P R I C H T N I C H T D E N M E D I A L E N G E S E T Z E N

36 Pandemie Report

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Pandemie Report 37

Herr Kepplinger, wie werden lebens-bedrohliche Seuchen medial verarbeitet,gibt es bestimmte Mechanismen, dieimmer greifen, egal ob es sich um BSE,SARS oder die Vogelgrippe handelt? Wie immer in solchen Fällen ist dieBerichterstattung, gemessen am Anlass,weit übertrieben. Das generelle Problembesteht darin, dass wichtige Faktennicht berichtet werden. So fehlt meistdie entscheidende Information: DieWahrscheinlichkeit eines Risikos fürTiere und Menschen. Als die ersten Fälle der Vogelgrippe auf Rügen auftra-ten, habe ich nirgendwo gelesen, wieviele Vögel es insgesamt in etwa aufRügen gibt oder wie lang der Küsten-abschnitt mit den toten Schwänen imVerhältnis zur gesamten Küste der Inselist. Weil die Menschen die meist richti-gen Informationen über Schäden nichteinordnen können, entstehen Überreak-tionen, ähnlich wie bei den Fällen ausder Pharmabranche, als sehr viele plötz-lich Angst hatten vor Lipobay undVioxx.

Also eignen sich nicht nur Seuchen füreine solche Inszenierung . . .

. . . nein, das Kernproblem ist, dass esimmer nur eine Ereignisberichterstat-tung gibt, aber keine Risikobericht-erstattung. Berichtet wird der extremeEinzelfall, den die Menschen intuitivverallgemeinern. Immerhin arbeiten dieMedien bei der Vogelgrippe zum erstenMal doppelbödig. Während auf Seiteeins die große Gefahr an die Wandgemalt wird, relativieren Beiträge imhinteren Teil der Zeitungen das Risiko.Vielleicht sind die Medien aus BSE und

SARS klug geworden, weil viele herbeigeschriebene Gefahren nicht eingetrof-fen sind. Auch die Bevölkerung ist zyni-scher geworden, die Besorgnis der Men-schen bleibt im Zeitlauf relativ konstant,obwohl das Virus näher rückt. Ich geheaber davon aus, dass die anprangerndeNegativberichterstattung stärker wirktals die relativierende.

Nun gibt es eine neue Berichterstattungs-welle, weil auch die Nutztiere betroffensind. Diese Welle ist aber nicht so intensiv wie im Oktober und im Februar.Woran liegt das – denn de facto wird die Gefahr ja jedes Mal größer.

Die Medien folgen nicht der Bedrohung,sondern dem Nachrichtenwert. Und in-fiziertes Nutzgeflügel ist nun mal nichtmehr so überraschend. Es ist ein Abnut-zungseffekt. Das hat mit der objektivenGefährdung – so weit man sie feststellenkann – nichts zu tun.

Gibt es dann nicht die Gefahr von „Peter und der Wolf“? Wenn der Wolftatsächlich angreift, glaubt keiner mehr an die wirkliche Gefahr. Verlierendie Medien ihre Warnfunktion?

Bei der Berichterstattung besteht gene-rell kein Verhältnis zur tatsächlichenGefahr. Entweder reagieren die Medienzu spät – wie bei Contergan – oder siesind zu früh dran und übertreiben. Wirmüssen uns darüber im Klaren sein,dass es auch negative Nebenwirkungenvon medialer Kommunikation gibt. Dervolkswirtschaftliche Schaden durch einebeunruhigte Bevölkerung – die bisherglücklicherweise noch nicht allzu verun-sichert ist – könnte weitaus größer sein

als der bisher durch die Seuche ent-standene.

Wie müssen Information und emotio-nale „Betreuung“ der Leser ineinandergreifen?

Mehr Zurückhaltung halte ich für wün-schenswert. Bilder von toten Tierenhaben keinen Informationswert.

Wenn betroffene Unternehmen dieGefahr realistischer beschreiben wollen,geraten sie in eine kommunikative Falle.Man unterstellt ihnen schnell, sie tätendas aus Eigennutz . . .

. . . ein betroffenes Unternehmen darf dieGefahr am Beginn einer Krise nicht soklein reden, wie sie wirklich ist. Firmensind gut beraten, das Risiko zunächstrelativ hoch einzuschätzen. Das schafftVertrauen und vermeidet böse Überra-schungen. So hätte die TUI zum Beispielim Oktober ihren Kunden bei Türkei-Reisen vom Besuch von Geflügelmärk-ten abraten sollen. Das hätte die Erlösezwar für ein paar Wochen verringert.Der Vertrauen schaffende Rat hätte sichmittelfristig aber mehr als ausgezahlt.Zudem müssen Unternehmen versu-chen, das Risiko in einen sachlichenKontext zu stellen. Ihn müssen sie selbstherstellen. Das kann und macht keinJournalist. So hätte Bayer in Zusammen-hang mit Lipobay frühzeitig an dieÖffentlichkeit gehen und über die Tat-sache informieren müssen, dass auchandere Medikamente im Extremfall, be-ziehungsweise bei falscher Anwendung,tödlich sein können.

„Die Berichterstattung ist, wie immer,weit übertrieben.“Interview mit Prof. Hans-Mathias Kepplinger, Universität Mainz

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WAS KO ST E T E I N E PA N D E M I E ?

38 Pandemie Report

Infiziert das Virus auch dasBruttoinlandsprodukt?

1 WAS KOSTET EINE PANDEMIE?

Auf circa 683 Milliarden Euro schätzt MilanBrahmbhatt, Ökonom der Weltbank, den volks-wirtschaftlichen Schaden für die Weltwirtschaft,den eine Pandemie auslösen könnte. Die asiati-sche Entwicklungsbank prognostiziert einen Ver-lust zwischen 113,4 und 282,7 Milliarden Euroallein für den süd- und ostasiatischen Wirt-schaftsraum ohne Japan. Das US-CongressionalBudget Office entwirft für die USA zwei Szena-rien und hält einen Rückgang des Bruttoinlands-produktes (BIP) von eineinhalb bis fünf Prozentfür möglich. Der Oxford Economic Forecastwiederum geht von einem weltweiten Rückgangdes BIP im ersten Jahr nach Ausbruch der Vogel-grippepandemie zwischen einem und fünf Pro-zent aus. Das australische Lowy-Institut hält inseinen Szenarien gar den Rückgang des BIP umbis zu 12,6 Prozent für vorstellbar.

Die Ergebnisse der Prognosen namhafter undweniger renommierter Verfasser ließe sich nochweiter fortführen, doch auf der Suche nachErkenntnisgewinn ist Skepsis gegenüber demZahlenwerk angebracht. Steht doch die Kosten-vorhersage stets am Ende einer ganzen Kettehöchst unsicherer Annahmen. Dazu gehören epi-demiologischen Prognosen zum Prozentsatz, derim Pandemiefall infizierten Personen (Infek-tionsrate), zum Anteil, der dann tatsächlich amErreger Erkrankten und ärztlich zu Behandeln-den (Morbiditätsrate) bis zum Prozentsatz derErkrankten, die schließlich am Erreger sterben(Mortalitätsrate). Nur wenige Studien treffendarüber hinaus Aussagen, wie gut einzelne Wirt-schaftsregionen beziehungsweise Länder auf denTag X vorbereitet sind. Die breite Nichtberück-sichtigung überrascht, gelingt es doch, mit kon-kreten Zahlen zum Bestand an antiviraler Grip-pemittel wie Tamiflu und Relenza, der Anzahlvon Intensivbetten je Einwohner oder den Labor-

kapazitäten für die Entwicklung von Impfstoffeneiner Vielzahl von Unbekannten einige Gewiss-heiten entgegenzustellen.

DIE GROSSE UNBEKANNTE –

D IE E INTR ITTSWAHRSCHEINL ICHKE IT

Doch ganz gleich welche Annahmen die Szena-rien der Studien treffen, am Anfang ihrer Kausa-litätskette steht stets die große Unbekannte derPandemieforschung: die Eintrittswahrscheinlich-keit für den Ausbruch einer neuen Influenza-Pan-demie. Die Eintrittswahrscheinlichkeit für dengefürchteten Moment, an dem ein H5N1-Erregeroder ein anderer neuer Subtyp soweit mutiert ist,dass er sich leicht seinen Weg von Mensch zuMensch bahnt. Die Epidemiologen sind sich zwardarin einig, dass man – schon vor dem Hinter-grund der Regelmäßigkeit, mit der weltweiteGrippe-Epidemien in der Menschheitsgeschichteausgebrochen sind – mit Gewissheit den Aus-bruch einer neuen Pandemie prognostizierenkann. Doch wann der Tag kommt, an dem einneues Human-Influenza-Virus entsteht, kann imMoment niemand sagen, ohne seine wissen-schaftliche Glaubwürdigkeit zu gefährden.

Auf all diesen epidemiologischen Unsicher-heiten fußen dann wiederum die ökonomischen:Inwieweit lassen sich die erkrankten Arbeits-kräfte ersetzen, wird es zu irrationalen Verhaltenbei den Verbrauchern kommen, wie wirkt sichein erhöhter Krankenstand auf die unterschied-lichen, arbeitsteiligen Produktionsprozesse aus,wie viel Wissen geht verloren, und welche Aus-wirkungen hat all das auf die Wertschöpfungeines betroffenen Landes?

Es überrascht daher nicht, wenn David Mille-ker, verantwortlich für den so genannten Stress-test der Dresdner Bank zum Thema Vogelgrippe-Pandemie, ernüchtert von seiner jüngsten Arbeitberichtet: „So viele Unbekannte wie beim Stress-test zum Ausbruch einer H5N1-Pandemie haben

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wir bei unseren vorangegangenen Arbeiten nochnie gehabt. Ganz gleich, ob bei unseren Tests zumPlatzen einer Immobilienblase in den USA odereinem plötzlichen Anstieg des Erdölpreises, stetskonnten wir unsere Modelle mit konkreten, sta-tistischen Daten füttern“, sagt Milleker. Bei derArbeit zur Vogelgrippe sei das anders. „Hier stüt-zen wir uns auf die Ergebnisse von SzenarienDritter, die wiederum auf einer Reihe von speku-lativen Annahmen beruhen. Das ist für einenÖkonomen eine höchst unbefriedigende Aus-gangssituation.“

Worin also liegen die Gemeinsamkeiten alldieser Szenarien? Gibt es Schlussfolgerungen,die alle Studien zulassen? Die Bandbreite derPrognosen über die wirtschaftlichen Folgen einerPandemie spannt sich von einer zu vernachlässi-genden einmaligen Größe, die aufgrund der sta-tistischen Unschärfe bei der Messung der Welt-wirtschaftsleistung kaum zu erfassen sein wird,bis hin zu einer Rezession, die über Jahre anhal-ten und zu einer wirtschaftlichen Krise führenkann, wie sie die Welt seit 1929/1930 nicht mehrdurchlebt hat. Jedes dieser Szenarien ist im Kontext der von den jeweiligen Verfassern ge-machten Annahmen schlüssig. Eine pauschaleWahrheitsfindung in der Mitte der genanntenBandbreite von Vorhersagen verbietet sich daher.

VOLKSWIRTSCHAFTEN ENTSTEHEN

ERHEBL ICHE KOSTEN DURCH D IE

VORBERE ITUNG AUF DEN ERNSTFALL

Einigkeit herrscht allerdings weitgehend darin,dass schon heute, also vor Ausbruch einer Pande-mie, den Volkswirtschaften erhebliche Kostendurch die Vorbereitung auf den Ernstfall ent-standen sind. Doch die Investitionen in die Aus-arbeitung und Erprobung von Pandemieplänen,die Ausgaben für die Vorratshaltung von Grippe-mitteln oder den Aufbau von Laborkapazitätenzur Impfstoffherstellung werden fast unisononicht nur als notwendig, sondern auch für öko-nomisch sinnvoll erachtet. Dazu zählt der Viro-loge Albert Osterhaus auch die drastischen Maß-nahmen, die Hongkong 1997/1998 nach demAusbruch der Vogelgrippe ergriffen hat: „Dieumfassende Schlachtung der Geflügelbeständeund die zeitweise Schließung des HongkongerGeflügelmarktes waren effektive Maßnahmen,

um eine Verbreitung der Vogelgrippe zu verhin-dern und so das Risiko für den Ausbruch einerPandemie zu minimieren.“

Das Autorenteam um Erik Bloom geht in sei-ner Studie für die Asian Development Bank sogarsoweit, dass sie die Eintrittswahrscheinlichkeitihres milden (–2,6 Prozent BIP) oder starkenSzenarios (–6,5 Prozent BIP) vom Umfang undvon der Effektivität der bis zum Pandemie-ausbruch getroffenen Vorkehrungen abhängigmachen. Dabei werden je nach Studie entwederdie westlichen Industrienationen oder die asiati-schen Länder, die gerade ihre Erfahrungen mitdem Ausbruch von SARS gemacht haben, als be-sonders gut auf den Ernstfall vorbereitet einge-schätzt.

Und noch eine Gemeinsamkeit zeigen diewichtigsten Studien: Sie alle suchen in derMenschheitsgeschichte nach historischen Faktenüber Pandemien. Zumindest die epidemiologi-schen Annahmen werden von den meisten Auto-ren in den Kontext der historischen Erfahrungengestellt und auf ihre Plausibilität überprüft. DiePandemieforschung liefert dazu eine Datenbasisaus mindestens zehn Grippepandemien, die seitdem 17. Jahrhundert die Menschheit ereilt haben.Insbesondere bei den letzten drei Pandemien des 20. Jahrhunderts lohnt sich eine genauereAnalyse.

SPANISCHE GR I PPE

Von den drei Influenza-Pandemien des 20. Jahr-hunderts war die Spanische Grippe die mitAbstand folgenreichste. Nach den im August1918 zeitgleich dokumentierten Ausbrüchen inden USA, Frankreich und Sierra Leone dauerte eskaum ein Jahr, bis der Erreger auch die entfern-testen Pazifikinseln erreicht hatte. Über ein Vier-tel der Weltbevölkerung erkrankte an dem fürdie Spanische Grippe verantwortlichen H1N1-Erreger, und bis zu 50 Millionen Menschen star-ben an den Folgen der Pandemie. Auffällig oftzählten junge Erwachsene zu den Opfern. EineErklärung für die extrem hohe Mortalitätsrateder Spanischen Grippe könnte in den hygieni-schen Verhältnissen und der schlechten ge-sundheitlichen Verfassung vieler Bevölkerungs-schichten nach Ende des Ersten Weltkrieges lie-gen. Außerdem standen den Ärzten zu diesem

WAS KO ST E T E I N E PA N D E M I E ?

Pandemie Report 39

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Zeitpunkt weder Grippe-Impfstoffe zur Verfü-gung, noch konnten sie mit Antibiotika die ofttödlich verlaufenden, sekundären bakteriellenInfektionen der Atemwege der Grippepatientenbehandeln.

ASIAT ISCHE GR I PPE UND

D IE HONGKONG-GR I PPE

Während die historischen Daten zur SpanischenGrippe noch als grobe Schätzungen gelten müs-sen – unter anderem gab es noch keinen Testzum Nachweis des Grippeerregers –, sind zumin-dest die epidemiologischen Informationen überdie beiden Pandemien von 1957 und 1968 deut-lich verlässlicher. Die Verbreitung dieser Pande-mien stand der Spanischen Grippe in der Ge-schwindigkeit, in der die Erreger um die Weltgingen, in nichts nach. Doch der Anteil der Men-schen, die tatsächlich an den Erregern starben,lag mit 0,14 und 0,06 Prozent weit unter der Mortalitätsrate der Spanischen Grippe von etwa2 Prozent. Die nahe liegende Erklärung für dieseweniger dramatischen Folgen liegt im Fortschrittder Medizin begründet. Vor allem die breite Ver-fügbarkeit von Antibiotika half, die Sterblichkeitunter den Erkrankten zu senken.

Die meisten Pandemiestudien haben ihre epi-demiologischen Annahmen in ein Verhältnis zuden historischen Daten einer dieser drei Grippe-pandemien des 20. Jahrhunderts gesetzt. Einige,wie die Studie des Congressional Budget Officeaus dem Jahr 2005, haben ihre Szenarien sogarganz ausdrücklich auf die historischen Zahlenabgestellt. So entspricht das „milde“ Szenario derCBO-Studie in etwa einem Mittelwert aus denZahlen der Epidemien von 1957 bis 1958 undvon 1968 bis 1969. Das schwere Szenario wiede-rum geht von einem Verlauf der Pandemie aus,das dem der Spanischen Grippe ähnelt.

Schwierigkeiten bereitet jedoch den Autorender Abgleich der ökonomischen Annahmen IhrerSzenarien mit den historischen Daten. Entwedersind die Informationen zu unsicher, wie im Fallder Spanischen Grippe, wo die wirtschaftlichenAuswirkungen kaum von denen des Ersten Welt-krieges zu trennen sind. Oder aber es haben sichdie wirtschaftlichen Verhältnisse in den vergan-genen 30 Jahren so sehr verändert, dass ein Ver-gleich kaum mehr möglich ist. So zeigt zum Bei-spiel die chinesische Wirtschaftswelt der Gegen-wart kaum noch Ähnlichkeiten mit den Verhält-nissen von 1957/58 oder 1968/69. Das schränktdie Nutzbarkeit der damals ohnehin schonschlecht dokumentierten Wirtschaftsdaten wei-ter ein.

Verständlich also, dass sich nahezu alle Stu-dien bei der Plausibilisierung ihrer Annahmenüber die wirtschaftlichen Folgen eines Pandemie-ausbruches lieber an einer Begebenheit des21. Jahrhunderts orientieren. Der Ausbruch derLungenkrankheit SARS im Jahr 2003 ist zwarmit etwa 8000 Infizierten und nahezu 800 Totenepidemiologisch nicht mit einer Pandemie zuvergleichen. Die wirtschaftlichen Folgen warendennoch für die betroffenen Länder erheblich.Gerade der psychologische Effekt, den der Aus-bruch einer ansteckenden Viruserkrankung aufdas Verhalten der Individuen haben kann, lässtsich gut an den Wirtschaftsdaten aus 2003 able-sen. Damals führte der Ausbruch von SARS zueinem Schaden von circa 20 Milliarden Dollar imasiatischen Wirtschaftsraum.

WAS KO ST E T E I N E PA N D E M I E ?

40 Pandemie Report

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Pandemie Report 41

Herr Miller, in welchem Umfang be-schäftigen Sie sich mit Ihrem Research-Team zurzeit mit der Vogelgrippe?Miller: Wir haben uns intensiv mit derVogelgrippe beschäftigt und beobach-ten natürlich die weitere Verbreitungder Vogelgrippe. Aus unserer Sichtwären die Auswirkungen erst für denFall einer Mensch zu Mensch-Infektiondramatisch. Tritt dies ein, öffne ich mei-nen Schrank hier . . . öffnet den Schrankund entnimmt einen Hefter mit demAufdruck „Vogelgrippe“. . . und greife aufunsere Analysen zurück.

Ist die Vogelgrippe nur eine Naturkatastrophe mehr, auf die Sie vorbereitet sein wollen?

Nun, wir wollen auf alles vorbereitetsein, was außergewöhnliche Auswirkun-gen auf die Weltwirtschaft habenkönnte. Die globale Erwärmung zähltgenauso dazu wie der Ausbruch einerPandemie oder die plötzliche Verteue-rung von Rohstoffen. Die Vogelgrippeist für uns also eine Gefahr, die wir sehrernst nehmen, in einem Kanon vonmöglichen Gefahren und Entwicklun-gen, die wir laufend beobachten.

Wie konkret sind Sie bei Ihrer Arbeitüber die Vogelgrippe geworden?Verzweifeln Sie nicht ob der Bandbreitevon Annahmen, die in den bekanntenStudien zur Vogelgrippe-Pandemieunterstellt werden?Wir sind sehr konkret geworden. EinBeispiel: es wurde eine Umfrage untereuropäischen und chinesischen Konsu-menten durchgeführt, in der man dasMaß der Verunsicherung durch denAusbruch der Tierseuche erfragt hat.Ergebnis: die chinesischen Konsumen-ten waren erheblich stärker verunsi-chert, als die europäischen. Für sich istdieses Ergebnis schon interessant; dochwenn man dann feststellt, dass Ken-tucky Fried Chicken die am schnellstenexpandierende Fast-Food-Kette Chinasist, dann kann man Schlussfolgerungenziehen, die nichts mit den Ungewisshei-ten der Studien zu tun haben.

Alle vorliegenden Studien „verorten“ dieAuswirkungen einer Pandemie in einemKoordinatensystem aus „langfristig“ und „kurzfristig“ sowie „Angebot“ und„Nachfrage“. Sind Sie bei Ihren Analysenandere Wege gegangen?Nein, grundsätzlich kann man die Aus-wirkungen einer Pandemie in diesenDimensionen abbilden. Eine Pandemiezeigt sowohl Auswirkungen auf derNachfrageseite als auch auf der Ange-botsseite. Der volkswirtschaftliche Scha-den wiederum ist kurz-, mittel- und auchlangfristig festzustellen. Die Kategori-sierung hilft und wiederholt sich inunseren Analysen.

„Die Vogelgrippe ist eine Gefahr,die wir sehr ernst nehmen.“Interview mit Gunnar Miller, Head of European Equity Research,Deutscher Investment Trust (dit)

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2 WIE DAS VIRUS VOLKSWIRT-SCHAFTEN SCHADET

So widersprüchlich die Ergebnisse der zahlrei-chen Pandemieszenarien auch sein mögen, in dertheoretischen Analyse der Ursachen und Auswir-kungen eines solchen gesellschaftlichen Ausnah-mezustandes herrscht auffällige Einigkeit unterden Ökonomen darüber, dass auch dieses Phäno-men mit den volkswirtschaftlichen Grundbegrif-fen von Angebot und Nachfrage sowie kurz-,mittel- und langfristigen Auswirkungen ausrei-chend zu beschreiben ist. Tatsächlich hilft diesesvolkswirtschaftliche Einmaleins sehr, um dieModellhaftigkeit der Szenarien zu überwindenund gleichzeitig die ihnen zugrunde liegendeStruktur durch treffende Kategorisierung be-greifbar zu machen. Mit der Untersuchung derAuswirkungen eines Pandemieausbruches aufdie Angebots- und Nachfrageseite gelingt es, dieUrsachen für einen möglichen volkswirtschaft-lichen Schaden umfassend abzubilden.

2.1 ANGST LÄHMT DEN KONSUM

Auf der Nachfrageseite sind schon heute, nachAusbruch der Tierseuche Vogelgrippe, Verän-derungen der Konsumgewohnheiten sichtbar.Kommt es jedoch zum Pandemieausbruch, wer-den die Verbraucher absehbar heftiger reagieren,als Geflügelfleisch zu meiden oder schlimmsten-falls ihren Urlaub zu stornieren. Der kollektiveVersuch, die Gefahren einer Grippeinfektion zuvermeiden, könnte – zumindest temporär – zueiner grundlegenden Veränderung des Sozial-verhaltens führen. Konsum findet meist in derÖffentlichkeit statt. Doch wer wird sich noch frei-willig in ein Kaufhaus begeben, wenn er sich da-mit der Infektionsgefahr einer tödlichen Krank-heit aussetzt. Selbst wenn sich der Grippeerregerals wenig gefährlich erweisen sollte und dasRisiko von den Individuen richtig eingeschätztwird, ist eine Konsumeinschränkung auf dasdringend Erforderliche, den täglichen Bedarf,nahe liegend.

Wahrscheinlicher ist ohnehin, dass das Risi-koempfinden der Bürger im Verhältnis zur statis-tischen Wahrscheinlichkeit einer Infektion mittödlichem Verlauf ungleich größer sein dürfte.

Hinzu kommt, dass die Unsicherheiten über dievom Erreger ausgehende Gefahr erst im Verlaufder Pandemie ausgeräumt werden können. Kurz-fristig wird es daher nur rational sein, das indivi-duelle Verhalten auf das größtmögliche Risikoabzustellen.

Verfolgt man die Verbraucherreaktionen nachAusbruch von SARS im Jahr 2003 oder der Tier-seuchen- und Lebensmittelskandale der vergan-genen Jahre, so ist ohnehin eher eine unverhält-nismäßige Reaktion zu erwarten. SARS kann indiesem Zusammenhang einen Eindruck davonvermittleln, wie sehr schon eine statistisch ver-schwindend geringe Infektionsgefahr mit einertödlichen Krankheit – dem SARS-Erreger wer-den fast 800 Todesfälle weltweit zugerechnet –das Verhalten der Konsumenten zumindest kurz-fristig verändern kann. Streng genommen han-delt es sich dabei um eine kollektive Fehlein-schätzung der Individuen, war doch die Gefahr,als Autofahrer in einen Unfall mit tödlichemAusgang verwickelt zu werden, auch 2003 inHongkong deutlich höher als sich im Flugzeugoder der Bahn mit SARS zu infizieren.

Dennoch mieden die Menschen kurzzeitigFlugzeuge und Bahnen, während sich der Wachs-tumspfad des motorisierten Individualverkehrsin der Region unverändert zeigte. Es verwundertin diesem Zusammenhang nicht, wenn die Öko-nomen vom Oxford Economic Forecast eineDominanz der Nachfrageeffekte gegenüber denAngebotseffekten prophezeien. Sie halten inihrer Studie fest, dass Wirtschaftszweige wieTouristik oder sonstige Freizeitaktivitäten, beidenen ohnehin eine hohe Nachfragevolatilitätbesteht, besonders unter einer übertriebenenRisikoeinschätzung der Verbraucher leiden wer-den. Außerdem wird unterstellt, dass der – ratio-nal erklärbare oder irrational übertriebene –Nachfragerückgang die durch einen erhöhtenKrankenstand und Todesfälle ausgelöste Ange-botsminderung überkompensieren wird: „EinFreizeitpark, der kaum noch Gäste begrüßendarf, kommt leicht mit einem durch Krankheitreduzierten Personalbestand aus.“ Berücksichtigtman zusätzlich eine mögliche Kompensation aufder Angebotsseite durch die Flexibilität des Fak-tors Arbeit, zum Beispiel durch Einsatz von vor-mals Arbeitslosen, Einrichtung von Heimarbeits-

W I E DAS V I R U S VO L K S W I RT S C H A F T E N S C H A D E T

42 Pandemie Report

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plätzen, und Nutzbarmachung von Produktivi-tätsreserven, so erscheint die Schlussfolgerung,dass die Ursachen für einen volkswirtschaft-lichen Schaden eher auf der Nachfrageseite zuvermuten sind, nachvollziehbar.

Allerdings wird auf der Nachfrageseite auchein gewichtiger Akteur auftauchen, dessen Aus-gabeverhalten heute nur schwer zu prognostizie-ren ist. Der Staat wird mit seinen Interventionenim Pandemiefall absehbar erhebliche Ausgabenverursachen, die wiederum den Nachfragerück-gang der privaten Haushalte zumindest teilweisekompensieren könnten. Über die Höhe dieserStaatsausgaben herrscht Uneinigkeit. Allerdingskann man davon ausgehen, dass die Vielzahl vonstaatlichen Maßnahmen, die heute noch Theorieder Pandemiepläne sind, im Ernstfall auch umge-setzt würden und nicht an sonst gültigen Budget-restriktionen wie der Nettokreditaufnahme inder EU scheiterten. Ob dies allerdings ausreicht,um den Nachfragerückgang der privaten Akteureauszugleichen, wird in der Mehrzahl der Pande-miestudien angezweifelt.

2. 2 DER FAKTOR ARBEIT – DIE UNBEKANNTE GRÖSSE

Die Reaktion der Angebotsseite wird durch dietemporäre Abwesenheit und den dauerhaftenVerlust von Mitarbeitern bestimmt. Grundsätz-lich ist auch der Faktor Arbeit anfällig für diebereits bei der Nachfrageseite beschriebenenpsychologischen Effekte. Dies könnte dazu füh-ren, dass nicht nur die Kranken dem Arbeitsplatzfern bleiben, sondern auch Mitarbeiter denArbeitsplatz oder den Weg zur Arbeit aus Angstvor Ansteckung scheuen. Beide Effekte solltenallerdings kurzfristiger Natur sein. Demgegen-über könnten die Todesfälle unter den Mitarbei-tern neben dem individuellen Leid zu einemernsthaften, den Bestand manches Unterneh-mens gefährdenden Problem werden, insbeson-dere dann, wenn die Pandemie einen der Spani-schen Grippe vergleichbaren Verlauf nähme undihr besonders junge Erwachsene zum Opfer fie-len. Allerdings sieht nur die CBO-Studie in ihremschweren Pandemieszenario die Effekte durchden dauerhaften Verlust von Humankapital alsso gravierend an.

Als einzige namhafte Studie stellt sie dieAngebots- vor die Nachfrageeffekte. Und auchdafür gibt es gute Gründe, denn neben dembereits erwähnten staatlichen Nachfrageschub istauch die hohe Flexibilität des Faktors Arbeit, diesonst stets unterstellt wird, diskussionswürdig.Gerade die Wirtschaftsbereiche, die einen be-sonders hohen Anteil an der Wertschöpfung derjeweiligen Volkswirtschaften haben, sind aufhoch qualifizierte Arbeitnehmer angewiesen. Eindauerhafter Ausfall dieser Arbeitskräfte würdedaher einen Multiplikationseffekt im Hinblickauf die Wirtschaftsleistung haben. Die Annahme,dass deren Ausfall kurzfristig durch den Einsatzvon vormals Arbeitslosen kompensiert werdenkann, ist in diesem Zusammenhang nur als naivzu bezeichnen.

3 DIE SCHÄDEN DER SEUCHE IM ZEITABLAUF

Die unmittelbarste Reaktion auf den Ausbrucheiner Pandemie wird mit einiger Gewissheit eineplötzliche, sprunghafte Nachfrage nach Dienst-leistungen und Gütern des Gesundheitswesenssein. Auch für die Industrienationen kann nichtmit Gewissheit vorausgesagt werden, ob dieKapazitäten des Gesundheitswesens dieser plötz-lichen Nachfrageexplosion standhalten würden.Engpässe werden – unabhängig von der Qualitätder jeweiligen medizinischen Infrastruktur –kaum zu verhindern sein, da weder Impfstoffesofort verfügbar sind noch der Ausfall von medi-zinischem Fachpersonal kurzfristig zu kompen-sieren ist.

In Abhängigkeit vom Verlauf der Pandemiewerden dann voraussichtlich eine Reihe vonstaatlichen Maßnahmen greifen, die im Extrem-fall bis zum Stopp sämtlicher internationalenHandelsverbindungen führen könnten. Zeit-gleich wird sich vermutlich das Konsumverhal-ten der Verbraucher auf die Befriedigung derdringendsten Bedürfnisse reduzieren. Touris-mus, Freizeit, Verkehr und Teile des Handels wer-den – wiederum abhängig von der Schwere derPandemie und ihrer Rezeption in den Medien –am schnellsten einen Nachfragerückgang ver-zeichnen. Offene Volkswirtschaften, mit ihremhohen Grad an Wirtschaftsverflechtungen durch

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Pandemie Report 43

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den Handel mit Gütern und Dienstleistungen,werden besonders betroffen sein.

STAATL ICHE INTERVENTION

UND KOLLEKT IVE R IS IKOVERMEIDUNG

KÖNNTEN DAS GESAMTE

ÖFFENTL ICHE LEBEN LAHM LEGEN

Im Extremfall könnte eine Mischung aus staat-licher Intervention und kollektiver Risikovermei-dung das gesamte öffentliche Leben lahm legen.Vorhersehbar wird es auch zu Einschränkungenim Transportwesen und der öffentlichen Infra-struktur kommen. Zusammen mit dem wachsen-den Krankenstand wird dies wiederum Auswir-kungen auf das produzierende Gewerbe und denHandel haben. Alles zusammen würde mittelfris-tig zu einem Rückgang der wirtschaftlichen Akti-vität führen. Doch wie die meisten Ökonomen zuRecht betonen, wird die wirtschaftliche Aktivitätauch für den Fall einer schweren Pandemie nichtvöllig zum Erliegen kommen. Schließlich bliebedie Infrastruktur erhalten, ganz im Gegensatz zuden Folgen vieler Naturkatastrophen. Dienstleis-tungsunternehmen könnten außerdem die durch

moderne Kommunikationstechniken gewonneneFlexibilität der Arbeitsprozesse nutzen und dieMitarbeiter mit Heimarbeitsplätzen ausstatten.

Langfristige Auswirkungen auf die wirt-schaftliche Leistungsfähigkeit stehen im engenZusammenhang mit der Mortalitätsrate einerPandemie. Die in den milden Szenarien unter-stellten Mortalitätsraten würden vermutlich nichtzu langfristigen ökonomischen Effekten führen,da in modernen Volkswirtschaften eine ausrei-chende Flexibilität des Faktors Arbeit und Pro-duktivitätsreserven unterstellt werden kann. Fürden Eintritt eines starken Szenarios, beispiels-weise entsprechend der epidemiologischen An-nahmen des australischen Lowy-Instituts, würdedie wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unzweifel-haft auf Jahre gestört werden. Eine konstanteNachfragefunktion und unveränderte Rahmen-bedingungen unterstellt, würde dies theoretischzu einem Lohngewinn der verbliebenen Arbeits-kräfte führen. Eine Untersuchung der Ökono-men Bloom und Mahal zur Lohnentwicklungnach der Pest im 14. Jahrhundert konnte dieseReaktion allerdings nicht bestätigen.

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44 Pandemie Report

Das Rheinisch-Westfälische Institutfür Wirtschaftsforschung (RWI Essen)und die ADMED GmbH haben in einerAnalyse versucht, den volkswirtschaft-lichen Nutzen der vier wichtigstenNotfallmaßnahmen im Pandemiefallzu berechnen. In einem ersten Schritthaben die Wissenschaftler die Kostender Notfallplanung beziffert. Da sichdie Auswirkungen der meisten Maß-nahmen auf die Erkrankungsrate unddie Krankheitsdauer nicht zuverlässig

ermitteln lassen, wurde ermittelt, wieeffektiv jede dieser Maßnahmen min-destens sein muss, um die Kosten wie-der auszugleichen. Mangels validerDaten kann es sich dabei nur um eineÜberschlagsrechnung handeln. Diesebeschränkt sich auf die Angebotseffek-te, das sind in erster Linie die ausgefal-lenen Arbeitsstunden. In einem zwei-ten Schritt haben die Wissenschaftleruntersucht, wie sich eine Impfung derBevölkerung auf das Bruttoinlandspro-

dukt auswirkt. Nur für die Notfallmaß-nahme Impfung liegen verlässliche In-formationen über die Auswirkung aufdie Erkrankungsrate vor. Aufgrund derunsicheren Datenlage übernehmen siedie Annahmen von Metzler et al, die ineiner ihrer Arbeiten die Auswirkungeneiner Impfung auf die Erkrankungs-rate untersucht haben. Dabei wirdunterstellt, dass es gelingt, die Erkran-kungsrate im milden Szenario von15 Prozent auf neun Prozent und im

Exkurs: Cost-Benefit-Analyse des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung(RWI Essen) und der ADMED GmbH

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Pandemie Report 45

schweren Szenario von 50 Prozent auf30 Prozent zu senken. Entsprechendgeringer ist der Ausfall an Arbeitsstun-den. Es wird zusätzlich angenommen,dass auch der Rückgang der Konsum-nachfrage in diesem Umfang geringerausfällt. Diese beiden Effekte wirkensich positiv sowohl auf der Angebots-als auch auf der Nachfrageseite aus.

Im Rahmen der Cost-Benefit-Ana-lyse unterscheiden RWI Essen undADMED analog die Szenarien einermilden und einer schweren Pandemiesowie die folgenden vier Notfallmaß-nahmen:1. Die Bereitstellung von Mund-Nase-

schutz für die Bevölkerung2. Die Impfung gegen ein Virus, das

eine Pandemie auslösen könnte3. Die Versorgung der Patienten mit

antiviralen Medikamenten4. Die Aufstockung der Kapazitäten

von Intensivbetten

DIE KOSTEN DER NOTFALL -

MASSNAHMEN

1. Die Bereitstellung von Mundschutzenfür die BevölkerungDie Kosten veranschlagen das RWIEssen und ADMED sowohl im mildenSzenario als auch im schweren Szena-rio auf 10 Milliarden Euro. Damit sichdiese Maßnahme volkswirtschaftlichamortisiert, das heißt den Rückgangdes BIP allein durch den Angebots-effekt ausgleicht, wäre eine Verringe-rung der Erkrankungsrate von 15 Pro-zent auf fünf Prozent notwendig. Im schweren Szenario müssten dieKosten durch eine Senkung der Er-krankungsrate von 50 Prozent auf40 Prozent ausgeglichen werden. Dadie Bereitstellung von Mundschutzenauch Nachrageeffekte auslösen wür-de, müsste die Erkrankungsrate aller-dings weniger stark sinken. Daten zurSchutzwirkung dieser Maßnahme beieinem Einsatz außerhalb der Kranken-betreuung liegen allerdings bishernicht vor. Die Weltgesundheitsorgani-

sation (WHO) empfiehlt in ihrem Rah-men-Pandemieplan „WHO Global Influ-enza Preparedness Plan, 2005“ keinenMund-Nasenschutz für die allgemeineBevölkerung („not known to be effec-tive, permitted but not encouraged“).2. Die Impfung gegen ein Virus, daseine Pandemie auslösen könnteDie Kosten einer flächendeckendenImpfung betragen laut RWI Essenund ADMED in jedem Szenario rundzwei Milliarden Euro. Um diesen Be-trag gesamtwirtschaftlich auszuglei-chen, müsste die Erkrankungsratedurch die Impfung jeweils um zweiProzentpunkte zurückgehen. Auchhierbei entstünden Nachfrageeffekte,die sich entsprechend positiv auf dasBIP auswirken.3. Die Versorgung der Patienten mitantiviralen MedikamentenDen Annahmen des RWI Essen undder ADMED zufolge vermindert derEinsatz von antiviralen Medikamentennicht die Erkrankungsrate. Die Kostenin Höhe von rund 100 Millionen Euroim milden und 300 Millionen Euro imschweren Szenario könnten gesamt-wirtschaftlich also nur über eine gerin-gere Krankheitsdauer ausgeglichenwerden. Dabei werden wiederum nurAngebotseffekte betrachtet. Im mil-den wie auch im schweren Szenariowürde schon eine geringfügige Verrin-gerung der durchschnittlichen Krank-heitsdauer aller Erkrankten von nichteinmal einem Prozent ausreichen, umdiese Kosten auszugleichen. 4. Die Aufstockung der Kapazitätenvon IntensivbettenEine Erhöhung der Anzahl der Inten-sivbetten würde im mittleren Szena-rio rund 600 Millionen Euro, imschweren Szenario 2,9Milliarden Eurokosten. Dabei kann nicht angenom-men werden, dass diese Kosten nurdadurch ausgeglichen werden kön-nen, dass weniger Patienten sterben.Es müsste gleichzeitig die Dauer derErkrankung verringert werden. Hier-

bei wäre ebenfalls eine deutliche Verringerung der Dauer notwendig.Insgesamt erscheint der gesamtwirt-schaftliche Ausgleich der Kosten rela-tiv schwierig.

AUSWIRKUNGEN AUF DAS

BRUTTOINLANDSPRODUKT

OHNE NOTFALLMASSNAHMEN

Durch den Ausfall an Arbeitstundenhaben die Wissenschaftler im mil-den Szenario einen Angebotseffektvon –0,7 Prozent, im schweren Szena-rio von –2,4 Prozent ermittelt. Hin-zu kommt ein Nachfrageausfall von –0,3 Prozent beziehungsweise von–1,2 Prozent. Das Bruttoinlandspro-dukt würde nach dieser Rechnung imFall einer milden Pandemie um einProzent und bei einer schweren Pan-demie um 3,6 Prozent geringer seinals im Szenario ohne Pandemie.

AUSWIRKUNGEN AUF DAS

BRUTTOINLANDSPRODUKT EINER

LANDESWEITEN IMPFUNG

Durch eine landesweite Impfungwürde sich die Erkrankungsrate redu-zieren, so dass positive Auswirkungenauf das Arbeitsangebot und auch aufdie gesamtwirtschaftliche Nachfrageentstehen. Im milden Szenario be-ziffern die Wissenschaftler des RWIEssen und der ADMED den Angebots-effekt auf 0,3 Prozent, den Nachfrage-effekt auf 0,1 Prozent. Im Fall einerschweren Pandemie belaufen sich derAngebotseffekt auf ein Prozent undder Nachfrageeffekt auf 0,4 Prozent.Gesamtwirtschaftlich bringt die Not-fallplanung je nach Szenario also zwi-schen 0,4 und 1,4 Prozent. Die negati-ven Auswirkungen auf die Wirtschafts-leistung reduzieren sich dadurch auf–0,7 Prozent im milden und auf–2,2 Prozent im schweren Szenario.

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46 Pandemie Report

Herr Singh, die Rating-AgenturStandard & Poor’s nennt in einer Studiedie Versicherungsbranche als einenHauptbetroffenen, sollte das Influenza-Virus von Mensch zu Mensch übertrag-bar sein.Die Versicherungsbranche pauschal zunennen, wenn es um die am meistenbetroffenen Wirtschaftszweige geht,wäre vorschnell. Schließlich ist dasGeschäft weitaus komplexer als daseines Geflügelzüchters, denn unser Ge-schäft umfasst neben Leben- auch Sach-und Kreditversicherungsgeschäft, sowieBankdienstleistungen und Vermögens-verwaltung. Zum anderen ist eine Pan-demie versicherungstechnisch betrach-tet kein außergewöhnliches Ereignis. Siereiht sich ein in Katastrophen wie Erd-beben und Wirbelstürme. Der wesent-liche Unterschied im vorliegenden Fallist der, dass es keine valide Zahl, keineseriöse Annahme gibt, wann und mitwelcher Heftigkeit uns demnächst einVirus tatsächlich bedroht.

Wie reagiert die Allianz auf diesesInformationsdefizit?

Die Allianz bildet mit ihren Risiko-modellen permanent Szenarien ab, diezum Beispiel die Auswirkungen vonEpidemien, Katastrophen und Kapital-marktschocks berechnen. Auf Basis dieser Modelle hat die Allianz für denFall einer Influenza-Pandemie drei neueSzenarien entwickelt, um die möglichenBelastungen für das Unternehmen abzu-schätzen. Diese Szenarien orientieren sichan denen der WHO und des CBO. ImFokus stehen dabei die Lebens-, Sach-und auch die Krankenversicherungsowie das Bankgeschäft. Dabei gleichtdas Low-Impact-Szenario mit einer an-genommenen Infektionsrate von 15 Pro-

zent der Hongkong-Grippe von 1968.Das High-Impact-Szenario mit einerInfektionsrate von 40 Prozent ähnelthingegen dem Ausmaß der SpanischenGrippe.

Im Bereich der Krankenversicherungdefiniert die Allianz zum Beispiel dieHäufigkeit der Arztbesuche, die Anzahlder Krankenhausfälle und Sterberaten,analog zu Terroranschlägen oder Natur-katastrophen.

Der Unterschied zu anderen Krisenist, dass es im Falle einer weltweitenPandemie eine geringere Diversifikationzwischen Geschäftsbereichen, Risiko-arten und Regionen gibt, weil alle dieseParameter gleichzeitig betroffen wären.So zum Beispiel ist abzusehen, dassauch die Kapitalmärkte global reagierenwerden, wodurch die Versicherungs-branche als institutioneller Investor er-heblich getroffen würde.

Und wie hoch ist das Risiko für dieAllianz im schlimmsten Fall?

Unter dem Strich bleibt ein Risiko, dasaber, selbst im schlimmsten anzuneh-menden Fall einer weltweiten Pande-mie, von der Allianz verkraftet werdenkann. Sollte es statt einer zweiten Spa-nischen Grippe indes zu einer milderenPandemie, zu vergleichen mit der Asia-tischen Grippe oder der Hongkong-Grippe kommen, so würde dieses Sze-nario innerhalb der Allianz keine allzugravierenden Verluste verursachen.

Was heißt in diesem Zusammenhang,die Allianz kann das Risiko „verkraften“?

Im operativen Geschäft hängt das Ge-samtrisiko von einer Vielzahl unter-schiedlicher Faktoren ab. Die Todesfällesind leider eine wichtige Variable. Aus-

gleichseffekte, wie zum Beispiel dietodesfallbedingte Auflösung von Rück-lagen in der privaten Krankenversiche-rung, sind dafür verantwortlich, dass fürdie Allianz das finanzielle Risiko tragbarbleibt.

Also bleibt der Kapitalmarkt der Ort,von dem aus die größte Gefahr für dieVersicherungsbranche ausgeht?

Sicher, Panikreaktionen an den Kapital-märkten würden dazu führen, dass dasKapital in vermeintlich sicherere Anla-gen umgeschichtet wird. Als Folge sin-ken die Anleihe-Renditen der Industrie-länder. Neben den Aktienmärkten fielenauch die Kurse der Schwellenländer-Anleihen, die Renditen stiegen, ebensodie Volatilität. Allerdings hätte eine Ver-sicherung das Kapitalmarktrisiko bei-leibe nicht allein zu tragen. Sie teilt essich mit ihren Kunden, in guten wie inschlechten Zeiten: Da die Versicherungein Großteil des Geldes ihrer Kundenam Kapitalmarkt angelegt hat, reduziertsich entsprechend auch die Rendite desVersicherungsnehmers. So bekommt erbei einer Kapital-Lebensversicherungzwar seine Garantieverzinsung, aller-dings würden die Überschussbeteili-gung und die Ablaufleistung bei einemderartigen Szenario zusammen schrump-fen. Zudem profitiert die Versicherungvon den Kurssteigerungen der Indus-trieanleihen, in die viele Anleger in un-sicheren Zeiten ihr Geld umschichten.Hinzu kommt, dass sämtliche Reaktio-nen an den Kapitalmärkten voraussicht-lich temporär auftreten. Greifen die Not-fallmaßnahmen – die Eindämmung derSARS-Epidemie gilt hier als Lehrstück –und steht ein Impfstoff zur Verfügung,beruhigen sich auch die Kapitalmärktewieder.

„Reaktionen an den Kapitalmärkten stellen die größte Gefahr dar.“Interview mit Raj Singh, Chief Risk Officer der Allianz

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1 DIE GRIPPE LÄSST DIE BÖRSE KALT –EINE RÜCKBLENDE

Angesichts der Unsicherheit der Ökonomen isteine mögliche Pandemie auch für Investoren einDilemma. Deshalb lassen sich auch die Auswir-kungen auf den Kapitalmarkt nicht seriös vor-hersagen. Auch liefern die Bewegungen an denFinanzmärkten während der früheren Influenza-Ausbrüche kaum Belege, einzig die SARS-Epide-mie aus dem Jahr 2003 könnte als Indikator dienen.

DIE BÖRSE IGNORIERTE D IE SPANISCHE

GRIPPE

Es sind kaum zuverlässige Informationen überdie wirtschaftlichen Auswirkungen der Spani-schen Grippe erhältlich. Das liegt vor allem da-ran, dass die Pandemie während des Ersten Welt-krieges ausbrach, einer Zeit, die geprägt war vonAbschottung und Zäsur. Gesichert ist, dass derUS-Leitindex Dow Jones von 93,3 Punkten imApril 1917 auf 70,2 im Dezember 1918 fiel und bisFebruar wieder auf 79,95 Punkte kletterte. ImMärz 1918 erreichte der H1N1-Erreger die USA:Der Dow Jones stieg bis Kriegsende im Novem-ber 1918 leicht auf 84,0 Punkte und ignorierte dieGrippewelle damit völlig.

Auch die Epidemien von 1957 und 1968hinterließen keine deutlichen Spuren an denFinanzmärkten. Doch sei indes sicher, dass derAusbruch einer Pandemie heute gravierendeAuswirkungen hätte, und die Finanzmärkte miteinem herben Rückschlag rechnen müssten,schreibt die Bank Sarazin in ihrer Studie „DasRisiko einer Pandemie und die Folgen”.

2 SARS IRRITIERTE DIE INVESTOREN

Indikationen, wie die Märkte auf eine Pandemiereagieren könnten, liefert schon eher die SARS-

Epidemie aus dem Jahr 2003, obgleich sich derErreger in erster Linie in Asien und Kanada aus-breitete. „SARS hat uns gezeigt, dass die volks-wirtschaftlichen Schäden und damit auch dieErwartungen an den Kapitalmärkten immenssein können, obwohl sich damals 8000 Menscheninfiziert haben und rund 800 gestorben sind. DieMarktteilnehmer neigen nun einmal zur Über-treibung“, sagt Jürgen Stanowsky vom GroupEconomic Research der Allianz. Die SARS-Epide-mie im Frühjahr 2003 habe den Kapitalmärktengezeigt, wozu Reisebeschränkungen und Qua-rantänemaßnahmen führen. „Die wirtschaft-lichen Aktivitäten in Asien haben sich seinerzeitspürbar verlangsamt“, heißt es in einer Studie derCitigroup. „Die Kurse asiatischer Aktien sindgefallen, die der Anleihen gestiegen.“ Ein typi-sches Muster für die Unsicherheit der Märkte,denn in unsicheren Zeiten ziehen InvestorenRentenpapiere Dividendenpapieren vor. Beieiner vergleichenden Betrachtung dürfe aller-dings nicht vergessen werden, dass die Kursein-brüche im März 2003 auch mit dem Beginn desIrak-Krieges zusammentrafen.

An den Finanzplätzen in Südostasien, inChina, Hongkong, Singapur und Taiwan hinter-ließ der SARS-Erreger deutliche Spuren. Hong-kong erwischte es am schlimmsten. Der Hang-Seng-Index verlor zwischen Mitte März und EndeApril 2003 über zehn Prozent. „Obwohl damalsnur ein Promille der Bevölkerung Hongkongs mitdem Virus infiziert war, ist der Konsum auf derInsel regelrecht eingebrochen und hat das Brutto-inlandsprodukt um 3,2 Prozent nach unten gezo-gen“, sagt Tim Craighead, Stratege von GoldmanSachs. Es bedürfe also noch nicht einmal einerweltumspannenden Pandemie, um das Gefüge anden Finanzmärkten durcheinander zu bringen.Betroffen waren vor allem Immobilien-, Touris-mus-, Konsum- und Bankaktien. Profitiert habenvor allem Pharmawerte und Versorger.

D I E G R I P P E L Ä S ST D I E B Ö R S E K A LT – E I N E R Ü C K B L E N D E

Pandemie Report 47

Wie preist der Kapitalmarktden Erreger ein?

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3 SZENARIOANALYSE

John Praveen, Chefinvestmentstratege bei Pru-dential International, verglich das Wirkungspo-tenzial des Influenza-Erregers im Februar 2006im Manager-Magazin mit den Terroranschlägenam 11. September 2001. Vor allem an den Finanz-märkten würden die Folgen einer Pandemie zuspüren sein, nicht so sehr in den Volkswirtschaf-ten. Die Unsicherheit über die Folgen einer Pan-demie sei Gift für die Märkte. Generell sei davonauszugehen, schreibt das Lowy Institut, dass eseinen Kapitaltransfer von den stärker betroffe-nen Regionen in Asien hin zu den weniger starkbetroffenen Regionen wie Europa und USAgeben werde. Unter den verschiedenen Anlage-klassen rechnen die Wissenschaftler mit einerUmschichtung von Aktien in sicherere Anleihender Industrieländer. Das Ausmaß der Kapitalum-schichtungen hängt wiederum von den ange-nommenen Szenarien ab.

3.1 MILDE PANDEMIE – SCHNELLEERHOLUNG DER MÄRKTE

Falls eine Pandemie ein ähnliches Ausmaß wiedie SARS-Epidemie hätte, kalkulieren die Volks-wirte der Allianz mit einem Rückgang derAktienmärkte um bis zu 4,3 Prozent. Auch dieAnalysten der Deutschen Bank erwarten nurgeringe Korrekturen an den Aktienmärkten, ab-gesehen von Branchen wie der Tourismusindus-trie, die von einer Pandemie stärker betroffenwären. Eine milde Pandemie dürfte nach Mei-nung der Citigroup-Analysten allenfalls kurz-fristige Dollar-, Franken- oder Eurokäufe vonSpekulanten auslösen. Die Auswirkungen auf dieFinanzmärkte seien durch die verstärkte Medien-berichterstattung vor allem psychologischer Na-tur, schreiben die Analysten der Citigroup. Sierechnen deshalb mit einer schnellen Erholungder Märkte – mit einer Hausse an den Aktien-märkten und einer Korrektur an den Renten-märkten.

3. 2 GLOBALE PANDEMIE – DIE MEINUNGEN GEHEN WEIT AUSEINANDER

Anders sehe es im schlimmsten aller Fälle aus.Im Worst-Case-Szenario beeinflusst ein Höchst-maß an Unsicherheit die Meinungen und mithindie Schätzungen der Analysten und Wissen-schaftler. So haben die Volkswirte der Allianz ein Rückschlagpotenzial der Aktienmärkte von16,7 Prozent errechnet. Jan Amrit Poser, Chef-Volkswirt der Bank Sarasin, rechnet mit erhebli-chen Aktienmarkteinbußen. Bei einem Einbruchdes Bruttoinlandsproduktes von 1,5 Prozent kal-kuliert er mit einem Börsen-Crash von 35 Pro-zent. Sinkt die Wirtschaftsleistung um fünf Prozent, könnten die Anteilsscheine sogar um60 Prozent einbrechen. Praveen von Prudentialglaubt hingegen nicht, dass es zu einem Crashkommen werde. „Die Aktienkurse werden um biszu zehn Prozent vergleichsweise moderat aufeinen solchen Schock korrigieren.“

Riskante Anlagen würden am meisten leiden,prognostizieren die Analysten der Société Géné-rale. So würden vor allem Aktien aus den klassi-schen Globalisierungsbranchen und Schwellen-länderaktien unter Druck geraten. Dabei taxierendie Analysten der Bank die Wahrscheinlichkeit,dass sich das Virus von Mensch zu Mensch über-trägt, auf weniger als fünf Prozent.

Unabhängig davon, welches Ausmaß ein Crashhaben wird, dürfte er ein temporäres Phänomenbleiben, schreibt das Lowy Institut. Spätestensnach einem Jahr wäre die Wirtschaft wiederlebendig, abgesehen von arbeitsintensiven Berei-chen. „Der Unterschied zu einer Naturkatastro-phe ist, dass die Infrastruktur erhalten bleibt unddie Produktion schnell wieder aufgenommenwerden kann“, sagt Boris Augurzky vom RWIEssen.

SINKENDE RENDITEN AN DEN ANLE IHE-

MÄRKTEN

Im Gegensatz zu den Aktienmärkten würde derMarkt für Staatsanleihen erst einmal profitieren,sagt Stefan Bielmeier, Analyst bei der DeutschenBank. Allerdings würde die Zinsentwicklungeine mögliche Gegenbewegung an den Aktien-märkten verstärken. Denn infolge der Anleihe-

S Z E N A R I OA N A LY S E

48 Pandemie Report

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käufe sinken die Renditen an den Bondmärktenund damit der Risikoaufschlag gegenüber Ak-tien. Dadurch steige im Gegenzug die Attrakti-vität der Dividendenpapiere, sagt Bielmeier.

STE IGENDE STAATSAUSGABEN –

STE IGENDE INFLAT IONSERWARTUNGEN

Wenn nun allerdings die USA, Europa und Asienflächendeckend betroffen wären, dann profitier-ten auch Anleihen nicht länger. Denn im Falleiner globalen Krise würden die Einnahmen derStaaten sinken und damit ihre Bonität. Breitetsich ein Erreger in einem Land aus, steigen frü-her oder später die Staatsausgaben, allein schonwegen der zusätzlichen Investitionen in dasGesundheitssystem und die öffentliche Sicher-heit. In der Prä-Pandemiephase, in der wir unsderzeit befinden, lässt sich das bereits nachvoll-ziehen. So hat die Bundesregierung bereits einenzweistelligen Millionenbetrag für die Entwick-lung eines Universalimpfstoffes bewilligt unddie Bundesländer haben allesamt ihre Tamiflu-Vorräte aufgestockt. Zudem bezahlt der Staatüber die Tierseuchenkassen die Entschädigun-gen an die vom Seuchenfall betroffenen Geflü-gelzüchter. Die Studie des Lowy Instituts unter-stellt deshalb für den Fall einer Pandemie einenAnstieg des Staatsverbrauchs um durchschnitt-lich 1,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.

Durch den beschriebenen Nachfragerückgangwerden darüber hinaus die Einnahmen des Staa-tes aus der Mehrwertsteuer sinken, ebenso dieEinnahmen aus der Körperschaftssteuer, weil dieGewinne der Unternehmen geringer ausfallen.Höheren Staatsausgaben stehen also geringereEinnahmen gegenüber, ein Dilemma, was einStaat kurzfristig nur über höhere Schulden lösenkönnte. Dadurch würden die Inflationserwartun-gen an den Märkten steigen.

Ob die Inflationsrate steigt oder fällt, hängt inerster Linie davon ab, ob die Angebots- oder dieNachfrageeffekte während einer Pandemie domi-nieren und wie die Notenbanken darauf rea-gieren. Konsumverschiebung beziehungsweiseverändertes Kaufverhalten beeinflusst die Nach-frage negativ. Daraufhin würden die Preise fal-len. Als Folge der zu erwartenden Todesfälleverringert sich das Arbeitsangebot, die dadurchgestiegenen operativen Kosten wirkten preisstei-

gernd. Sinkt die Inflationsrate, während gleich-zeitig das Bruttoinlandsprodukt fällt, haben dieNotenbanken die Möglichkeit, mit expansiverGeldpolitik gegenzusteuern. Würden die Preisehingegen während einer Rezession steigen, stän-den die Notenbanker vor einem Dilemma.

IN DEN INDUSTRIENATIONEN FALLEN

DIE ZINSEN, IN DEN SCHWELLENLÄNDERN

STE IGEN S IE

In den USA und der EU rechnen die Analystenmit fallenden Zinsen. „Selbst wenn wir einen An-gebotsschock bekämen“, sagt Bielmeier, „glaubeich nicht, dass die Notenbanken darauf reagierenwürden. Das wäre ein externer Effekt, der sichkaum in den Löhnen widerspiegeln würde. Manwird auch vorsichtig agieren, in so einer Situa-tion würde keine Notenbank die Zinsen deutlichanheben.“ In den Entwicklungs- und Schwellen-ländern hingegen rechnet der Analyst mit stei-genden Zinsen. In Regionen wie Hongkong, dieihre Währung an den Dollar gekoppelt haben,dürfte der Zinssprung noch stärker ausfallen,damit das Kapital im Land bleibt und damit dieWährung zu stabilisieren wäre. Die Notenbankmüsste die Zinsen anheben, das aber bremst dasWirtschaftswachstum – eine schwierige Situa-tion. „Man kann dagegen als Bank oder Staatganz wenig dagegen machen, weil die Kapital-ströme einfach umgelenkt werden“, sagt Biel-meier.

SCHULDNERLÄNDER BEKÄMEN

WÄHRUNGSPROBLEME

Nur eine globale Pandemie dürfte nach Meinungder Citigroup-Analysten zu Turbulenzen an denWährungsmärkten führen. Probleme bekämenvor allem Länder mit einem Handelsbilanzdefi-zit, während die Währungen in Ländern mit Ex-portüberschüssen profitieren dürften. Das wärevor allem in der EU, der Schweiz, Japan, Schwe-den und Norwegen der Fall.

Weil die USA der größte Schuldner der Weltsind, müsste der Dollar nach dieser Annahmeeigentlich am stärksten betroffen sein. Schließ-lich ist das US-Defizit drei Mal so hoch wie dasder übrigen Schuldnerländer zusammen. Zudemfließt das Kapital in risikoaversen Zeiten, und dazählt eine Pandemie zweifelsohne dazu, langsa-

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Pandemie Report 49

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mer. Investoren legen ihr Geld lieber auf demHeimatmarkt an, weil sie diesen besser kennen.Die Folge könnte sein, dass ausländische Anlegerihr Geld aus den USA abziehen und das Defizitder USA und damit den Druck auf den Dollarnoch verstärken. Allerdings ist der Greenbacknoch immer die Weltwährung. „Der Dollar ist fürviele eine Safe Haven-Option, wenn es irgendwoKrisen gibt“, sagt Bielmeier. Es käme darauf an,wie stark die USA von einer Pandemie betroffenwären.

EP IZENTRUM ASIEN

Es sind also vor allem die Schwellenländer, dieKapital verlieren werden, und deshalb Gefahrlaufen, dass ihre Währung unter Druck gerät.Besonders betroffen dürften hierbei die asiati-schen Volkswirtschaften – außer Japan und Tai-wan – sein, also vor allem Indonesien, Malaysia,Philippinen, Korea, aber auch China und Indien.Hauptgrund seien die unzureichenden Vorberei-tungen in diesen Ländern, schreibt die BankSarasin in ihrer Spezialstudie zum Risiko einerPandemie und die Folgen. Insbesondere Chinaund Indien mit ihren zusammen 2,4 MilliardenEinwohnern wären betroffen. Und die Auswir-kungen ihres Konjunktureinbruchs hätten einenüberaus negativen Einfluss auf den restlichenTeil der Welt, sind beide Staaten doch die amschnellsten wachsenden Volkswirtschaften. Einegrößere Konjunkturdelle dürfte mit einem Nach-frageeinbruch in China auch die Rohstoffpreiseunter Druck setzen.

ROHSTOFFMÄRKTE – ÖL WIRD B ILL IGER ,

GOLD TEURER

Vor allem China kommt eine besondere Bedeu-tung zu, weil es den höchsten Verbrauch anZement, Eisen, Stahl, Aluminium, Kupfer undKohle aufweist, und auch bei Erdöl ist das Reichder Mitte Abnehmer Nummer zwei. Öl könntedeutlich im Preis fallen aufgrund der fehlendenNachfrage. Gold und Platin sind nach wie vorsichere Anlagen, weil sie als wertbeständig gel-ten. Deshalb würden die Preise für die Edel-metalle steigen. Bei den Agrarmärkten könntezweierlei passieren: Wenn die Produktion deut-lich zurückgeht, müssten die Preise steigen.Wenn allerdings viele Menschen sterben, würdedie weltweite Nachfrage sinken und damit auchdie Preise.

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50 Pandemie Report

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Pandemie Report 51

Herr Bielmeier, im März hat das H5N1-Virus erstmals Nutztiere in Deutschlandbefallen. Was bedeutet das für dieWirtschaft?Zunächst sind die Folgen auf die Land-wirtschaft begrenzt, da die Verbrauchernur auf Geflügelfleisch verzichten. DieGeflügelwirtschaft ist ein recht kleinerBereich, so dass der Konsumrückgangkeinen merklichen Einfluss auf das Bruttoinlandsprodukt haben wird. Al-lerdings hat der Ausbruch der Vogel-grippe Preiseffekte: Wenn die EU diePreise stabilisieren sollte, wird Geflügelnicht billiger. Gleichzeitig wird Rind-und Schweinefleisch aber teurer, da esvon den Verbrauchern stärker nachge-fragt wird. Insgesamt könnte dadurchdie Inflationsrate in Deutschland um0,3 Prozent steigen.

Auf welche Branchen wirkt sich derAusbruch der Vogelgrippe noch aus?

Einen leichten Effekt hat sie vermutlichauch auf den Tourismus, weil einigeUrlauber bestimmte Reiseziele meiden.Ob dieser Trend nachhaltig sein wird,lässt sich heute aber noch nicht beurtei-len. So lange die Vogelgrippe eine Tier-seuche bleibt, wird kaum ein weitererSektor betroffen sein. Positiv wirkt sichdie Seuche auf die Pharmabranche aus.Die Forschung nach Pandemie-Impfstof-fen wird intensiviert, außerdem werdenverstärkt Antigrippemittel nachgefragt.

Und angenommen, das Virus mutiertund wird gefährlich für den Mensch?Bei einer Pandemie schwächt sich daswirtschaftliche Leben stark ab. Vermut-lich käme es zu einer leichten Rezession,da sämtliche Branchen von den Folgenbetroffen wären.

Tourismus wird es während einerPandemie nicht mehr geben. Die Regie-rungen müssten die Reisefreiheit ein-schränken, um eine Ausbreitung derKrankheit zu verhindern. Der Flugver-kehr käme zum Erliegen, und auch deröffentliche Verkehr würde weitgehendzusammenbrechen. Außerdem würdensich die Menschen aus Angst vor Anste-ckung nicht unnötig in Gefahr begeben.Sie würden Reisen absagen, Hotels, Res-taurants und Kneipen, Kinos und Thea-ter meiden. Auf dem Binnenmarkt wäreder Einzelhandel stark betroffen, weildie Menschen nur das Nötigste einkau-fen würden. Dies trifft wiederum dieLebensmittelbranche, die Bekleidungs-und Kosmetikindustrie, die Möbel-industrie und andere Produzenten.Auch der Export würde erlahmen, weilder Güterverkehr eingeschränkt wäre.Maschinen- und Autobauer könntenihre Waren nicht mehr verkaufen.

Gäbe es auch Profiteure?Pharmaunternehmen würden natürlichauch im Pandemiefall profitieren, weildie Bevölkerung in großem Maße Anti-grippemittel und Impfstoff benötigenwürde. Viele Menschen würden zudemverstärkt Desinfektions- und Reini-gungsmittel kaufen. Auch Anbieter vonUnterhaltungselektronik und IT-Lösun-gen können zu den Gewinnern zählen,da sich das Leben weitgehend zu Hauseabspielen würde.

Wie lange würde eine Pandemie die Wirtschaft lähmen?

Die historischen Erfahrungen zeigen,dass so etwas nicht so lange dauert. Eswürde sicherlich vier bis sechs Monatedauern, bis ein Impfstoff da ist. In derZeit würde die Wirtschaft sich rückläu-fig entwickeln.

Also wären die negativen Effekte lediglich kurzfristig?

Es werden eher kurzfristige Effekte sein.Spätestens nach einem halben Jahr wäreeine Pandemie ausgestanden. Diejenigen,die überlebt haben, werden aus Freudedarüber um so mehr konsumieren. Dannwerden sich alle Branchen schnell erho-len. Insofern könnte es hinterher auchein höheres Wachstum geben als vordem Ausbruch der Grippewelle.

„Die Inflationsrate könnte um 0,3 Prozent steigen.“Interview mit Stefan Bielmeier, Analyst bei der Deutschen Bank

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1 H5N1 HINTERLÄSST SCHON SPUREN

Bisher sind nur wenige Fälle bekannt, in denensich Menschen mit der Vogelgrippe angesteckthaben. Meist passierte das in ärmeren Ländern,wo Menschen eng mit Tieren zusammenleben.Die Vogelgrippe ist nach wie vor eine Tierseuche.Und dennoch hat die Diskussion um den ErregerH5N1 und eine mögliche Grippepandemie be-reits jetzt Auswirkungen auf die Wirtschaft.Einige Branchen sind negativ betroffen, andereprofitieren davon.

1.1 GEFLÜGELWIRTSCHAFT:DAS VIRUS SCHADET EINER GESAMTEN BRANCHE

Unter dem Ausbruch der Tierseuche leidetbesonders die Geflügelwirtschaft. Bereits imJanuar 2006, als Medien die Gefahren der Vogel-grippe diskutierten, aßen die Deutschen der Zen-tralen Markt- und Preisberichtstelle (ZMP) zu-folge etwa 18,6 Prozent weniger Hähnchen und14,6 Prozent weniger Pute als im Vorjahresmo-nat. Als im Februar das H5N1-Virus Deutschlanderreichte, sank der Absatz von Hähnchen bei Pri-vatverbrauchern erneut um 16,6 Prozent und vonPute um 17 Prozent. Im März erholte sich derMarkt etwas, obwohl das Virus einen Nutztier-betrieb in Sachsen befiel. Ersten Einschätzungenzufolge kaufen die Verbraucher trotzdem wiedermehr Geflügel.

Nach Angaben des Zentralverbands der Deut-schen Geflügelwirtschaft (ZDG) belaufen sich dieUmsatzeinbußen für die deutsche Geflügelwirt-schaft von Januar bis März 2006 auf insgesamt143 Millionen Euro. Das bedroht zwar noch nichtdie Existenz der Geflügelbetriebe, die Produzen-ten spüren die Folgen des Absatzrückgangs aberschmerzlich.

GEFL ÜGEL IST B ILL IGER

Zuerst traf der Umsatzrückgang die Geflügel-schlachtereien. Mit der Nachfrage fielen auch diePreise, weil das Angebot von Frischfleisch zugroß ist. Bei Pute fiel der Preis stärker als beiHähnchen: Zahlte der Handel den Schlachthöfenim Oktober etwa 4,07 Euro für ein KilogrammPutenbrust, waren es im April 3,22 Euro, das sind20 Prozent weniger. Im gleichen Zeitraum sankder Preis für das Kilo Hähnchenbrust um fünfProzent von 5,35 Euro auf 5,06 Euro.

Die Schlachthöfe konnten den Preisdrucknicht an die Geflügelzüchter weitergeben. Meis-tens werden die Kontrakte ausgehandelt, bevorder Landwirt die jungen Tiere zur Mästung inden Stall sperrt. Mittlerweile haben die Schlach-tereien jedoch auch ihre Preise nach unten ange-passt und bezahlten den Mastbetrieben statt74 Cent für das Kilo lebendes MasthähnchenAnfang April nur noch 66 Cent. Das sind zehnProzent weniger.

Bei solchen Preisen lohnt sich nach Angabender ZMP für viele der insgesamt 12300 Hühnerund Putenmastbetriebe die Produktion kaumnoch. Sofern keine Lieferverpflichtungen beste-hen, stellt sich für viele die Frage, ob es sinnvollist, neue Küken zu kaufen, zu mästen und unterUmständen billiger verkaufen zu müssen.

BRÜTERE IEN BLE IBEN AUF DEN E IERN

SITZEN

Sollten tatsächlich viele Geflügelzüchter für eineMastperiode ihre Ställe leer lassen, träfe dies die Brütereien. Hier werden die Masthähnchengeboren, die als Küken an die Mäster verkauftwerden. Die 110 deutschen Brütereien bliebenentweder auf den geschlüpften Jungtieren oderauf den Bruteiern sitzen. Für den Lebensmittel-einzelhandel sind die Bruteier nicht geeignet.Statt des Verkaufs bliebe nur, die Eier zu ver-nichten.

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52 Pandemie Report

Wen macht das Virus zu Verlierern, wen zu Gewinnern?

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Wie es für die Branche weitergeht, ist unklar.Auf Hilfe aus Brüssel können Mastbetriebe undSchlachtereien kaum hoffen: Der Geflügelmarktist ein freier Markt. Anders als in der Milch-wirtschaft oder beim Getreidemarkt gibt es hierkeine Stützungsinstrumente zur Stabilisierungder Preise. Deshalb haben die EU-Agrarministerden Weg für Subventionen für die Geflügelwirt-schaft geebnet, um Umsatzeinbußen wegen derVogelgrippe aufzufangen. Die Kosten sollen sichEU-Haushalt und die nationalen Regierungen tei-len. EU-Agrarkommissarin Mariann Fischer Boelsagte, Verbrauch und Preise im Geflügelsektorseien in einigen Ländern stark gefallen. Sie riefdie EU-Staaten dazu auf, vor allem die Drosse-lung der Produktion zu fördern.

BIO- UND FRE ILANDBETRIEBE KÄMPFEN

MIT DER AUFSTALLPFL ICHT

Für die Legehennenbetriebe, in denen Eier fürden Lebensmittelhandel produziert werden, hatdie Vogelgrippe nicht so massive Auswirkungen:Die Deutschen essen nach Angaben der ZMP fastunverändert viele Eier, vor Ostern stieg die Nach-frage wie immer saisonbedingt an.

Allerdings würde sich das schlagartig ändern,wenn das Virus in einem der 77000 Legehennen-betriebe ausbräche und Tiere gekeult werdenmüssten. Die meisten Hühnerbetriebe in Deutsch-land sind groß, auf einen Schlag würden großeEinheiten ausfallen: Nach Angaben des Statisti-schen Bundesamtes befanden sich im Jahr 2004fast 80 Prozent der Hennen in 500 Betrieben mitüber 10000 Tieren.

Die Stallpflicht bereitet vor allem den Boden-und Freilandbetrieben Probleme. Seit dem17. Februar muss das Geflügel im Stall bleiben,um die Ansteckungsgefahr mit H5N1 zu reduzie-ren. Zunächst sollte die Schutzmaßnahme nurbis Ende April gelten. Mitte April aber hat Land-wirtschaftsminister Horst Seehofer entschieden,die Stallpflicht bis auf weiteres zu verlängern.Um auch in Zukunft eine Freilandhaltung vonGeflügel zu gewährleisten, sieht die VerordnungAusnahmen vor, teilte das Bundesministeriumfür Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucher-schutz am 10. Mai 2006 mit. Danach sollen Aus-nahmen von dem Aufstallungsgebot von derzuständigen Behörde zum Beispiel genehmigt

werden, soweit sich Geflügel nicht in unmittel-barer Nähe eines Gebietes befindet, in dem sichwildlebende Watt- und Wasservögel sammeln.Von den insgesamt etwa 36,2 Millionen Legehüh-nern leben mittlerweile 8,7 Millionen am Bodenoder im Freiland. Die zwangsweise Aufstallungder Legehennen nutzt denn auch die Lobby derKäfighaltenden Legehennenbetriebe für sich: An-fang 2007 sollte die Käfighaltung gänzlich abge-schafft werden. Legehennen dürfen dann entwe-der nur noch im Freien oder auf dem Stallboden– statt in Legebatterien – gehalten werden. Dage-gen protestierten vor allem Bundesländer wieNiedersachsen, in denen viele Legehennenbe-triebe angesiedelt sind. Die Lobbyarbeit hat sichgelohnt: Im April hat der Bundesrat entschieden,dass die Übergangsfrist für konventionelleKäfige um bis zu drei Jahre verlängert wird.

Die Stallpflicht macht auch den Junghennen-züchtern Probleme: Sie erhalten die Küken vonBrütereien und ziehen sie bis zur Geschlechts-reife auf. Nach 18 bis 22 Wochen werden dieJunghennen an Legehennenbetriebe oder auchan Hobbyhalter verkauft. Wegen der Stallpflichtsind viele Freiland- und Bodenhaltungsbetriebesowie private Hühnerhalter zurückhaltend mitder Bestellung neuer Tiere.

WENIGER HÜHNER BRAUCHEN AUCH

WENIGER FUTTER

Die Krise der Geflügelbranche trifft auch diedeutsche Futtermittelindustrie: Die Branchestellt unter anderem Misch-, Spezial- und Zusatz-futter für Tiere her. Den größten Anteil machtdas Mischfutter aus – und das wird zum großenTeil an die Geflügelbranche verkauft: Nach Anga-ben des Deutschen Verbandes Tierernährung(DVT) werden fast 90 Prozent der 20 MillionenTonnen Mischfutter an Geflügelzüchter und Le-gehennenbetriebe verkauft. Wenn nun wenigerTiere eingestallt werden, benötigen die Erzeugerweniger Futter. In welchem Maße die Nachfragezwischen Januar und April zurückgegangen ist,konnte der Verband noch nicht genau beziffern.Noch sei auch nicht zu beantworten, ob der Rück-gang die Branche nachhaltig beeinflusse: Wennder Geflügelkonsum sich rasch wieder erholensollte, würde sich die Nachfrageschwäche amEnde des Jahres kaum auswirken.

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Pandemie Report 53

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Die Futtermittelhersteller können ihre Pro-dukte auch nicht kurzfristig in andere Länderverkaufen, weil die europäischen Nachbarn ähn-liche Sorgen haben: In Italien ist der Umsatz derGeflügelfleischproduzenten um 70 Prozent zu-rückgegangen. Dort war die Nachfrage nachGeflügel bereits seit Oktober gesunken. Als dannim Februar der erste Fall von Vogelgrippe be-kannt wurde, gab der Markt innerhalb von zweiTagen massiv nach. Nach Einschätzungen des ita-lienischen Industriellenverbandes Confindustriasind bereits 30000 der insgesamt 180000 Arbeits-plätze verloren gegangen. Die Schäden beliefensich allein bis Februar auf etwa 600 MillionenEuro.

Frankreich trifft vor allem das Exportverbotfür Teile Asiens. Das Land ist der größte Geflü-gelexporteur der Europäischen Union. Ange-sichts der Umsatzeinbußen haben einige großeZuchtbetriebe Kurzarbeit eingeführt und meh-rere hundert Zeitverträge nicht verlängert.

PRE ISE FÜR AGRARROHSTOFFE B ISLANG

UNVERÄNDERT

Auf die Märkte für Agrarrohstoffe hat sich dieGeflügelseuche bislang nicht ausgewirkt, imGegenteil: Im ersten Quartal 2006 waren unterden zehn Rohstoffen mit den höchsten Preisstei-gerungen sieben Agrarprodukte. Nach Angabender Deutschen Bank herrschte in vielen Anbau-gebieten Trockenheit. Deshalb sind die Erntenvon Mais und Weizen in den USA und Indienschlecht ausgefallen, die Preise gestiegen. Ledig-lich bei Sojaschrot und Sojabohnen, den wichtig-sten Grundstoffen für Hühnerfutter, ist die Preis-entwicklung noch nicht eindeutig: Einerseits istauch hier ein verringertes Angebot durch Miss-ernten möglich. Andererseits ist noch offen, wiesich die Nachfrage in Asien entwickelt. Asien istder Preistreiber bei Sojaschrot, gleichzeitig trifftdie Geflügelzüchter dort die Vogelgrippe aber amstärksten.

RIND- UND SCHWEINEFLE ISCH-

PRODUZENTEN, F ISCHINDUSTRIE UND

BIOBRANCHE PROF IT IEREN

Von der Krise der Geflügelwirtschaft profitierengleichwohl andere landwirtschaftliche Bereiche,wie die Rind- und Schweinefleischproduktion,

die Fischindustrie und die Biobranche. StattGeflügel kaufen viele Verbraucher Rind- undSchweinefleisch. Deutschland ist der größteSchweinefleischproduzent und der zweitgrößteRindfleischlieferant in der EU. Die Schweine-fleischerzeugung macht etwa 65,2 Prozent dergesamten Fleischproduktion aus, gefolgt vonRind (18,3 Prozent) und Geflügel (15,5 Prozent).Aufgrund der höheren Nachfrage sind die Preisefür Rind und Schwein gestiegen. Allerdings ist der Substitutionseffekt geringer als ange-nommen: Laut einer ZMP-Studie ersetzen dieDeutschen nur 40 Prozent des geringeren Ge-flügelverbrauchs durch Rind und Schwein. DieZMP-Studie geht davon aus, dass die Verbrau-cher stattdessen mehr Fisch, Gemüse und Käseessen.

Matthias Keller, Geschäftsführer des Bundes-verbandes der deutschen Fischindustrie und desFischgroßhandels, kann indes noch nicht abse-hen, ob die Vogelgrippe den Fischkonsum nach-haltig steigen lässt. Von der BSE-Krise vor fünfJahren habe die Fischindustrie profitiert: Damalsstieg der Fischverbrauch in Deutschland von13,7 Kilogramm auf 15,3 Kilogramm pro Person.Allerdings sank der Pro-Kopf-Konsum bereits einJahr später wieder um ein Kilogramm. Insgesamtessen die Deutschen aber mehr Fisch als noch vorzehn Jahren.

Auch die Biobranche gehört zu den Seuchen-gewinnern. Ob die jüngste Umsatzsteigerungallerdings auf die Vogelgrippe oder den allgemei-nen Trend zu Bioprodukten zurückzuführen ist,vermag Alexander Gerber vom Bund Ökologi-sche Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) nicht zusagen. Die Branche profitiere insgesamt von den Lebensmittelskandalen des konventionellenLebensmittelhandels. Die Biofleischerzeuger je-denfalls seien derzeit ausverkauft und auch Eierwürden stärker nachgefragt als sonst. Seit eini-gen Jahren verzeichnet die Biobranche zweistel-lige Zuwachsraten. Rund vier Milliarden Eurosetzten Biobetriebe im Jahr 2005 um, das ent-spricht 14 Prozent mehr als im Jahr 2004. Dassind allerdings nur knapp drei Prozent desGesamtumsatzes des Lebensmittelhandels.

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54 Pandemie Report

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GEFLÜGELKRISE HAT KE INE AUSWIRKUN-

GEN AUF DAS BRUTTOINLANDSPRODUKT

Gesamtwirtschaftlich gesehen fällt die Krise derGeflügelbranche kaum ins Gewicht: Der Anteilder Landwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt(BIP) beträgt lediglich ein Prozent. Boris Augurz-ky vom RWI Essen schätzt die Auswirkung derVogelgrippe auf lediglich 0,1 Prozent des BIP.

1.2 ALICANTE STATT ANTALYA

Die Nachricht von Vogelgrippe-Opfern in derTürkei blieb für das Reiseland nicht ohne Folgen.Laut des türkischen Verbandes der Touristik-Investoren (TYD) sind in den ersten drei Mona-ten dieses Jahres etwa 243000 Touristen wenigeran die türkische Riviera nach Antalya gereist als im Vorjahreszeitraum – ein Rückgang von38 Prozent. Insgesamt buchten 7,4 Prozent weni-ger Touristen eine Reise in die Türkei. Und eskönnte noch schlimmer kommen: In Westeuro-pa liegen die Türkei-Buchungen für die MonateMai bis August um 40 Prozent unter den Vorjah-reszahlen. Allerdings ist dieser Einbruch wohlnicht nur auf die Vogelgrippe zurückzuführen.Deutsche Reiseveranstalter und der türkischeVerband gehen davon aus, dass die Proteste umdie Mohammed-Karikaturen viele Menschen ver-unsichert hätten. Auch die Deutschen sind zu-rückhaltend mit Buchungen für Türkei-Urlaube.Der Reiseanbieter Alltours schätzt, dass die Neu-buchungen branchenweit bis zu 35 Prozent unterdem Vorjahresniveau liegen. Die türkische Rivie-ra ist für deutsche Reiseveranstalter ein wichti-ges Feriengebiet. Sie erwirtschaften hier acht bisneun Prozent ihres Umsatzes. Die Türkei zu mei-den bedeutet indes nicht, dass die Menschenweniger reisen: Sie fahren woanders hin. Derzeitprofitieren vor allem Spanien und Griechenlandvon der Flaute am Bosporus.

KAUM BUCHUNGSRÜCKGÄNGE FÜR

DEUTSCHE RE ISEZ IELE

Auch Deutschland hat als Reiseziel bislang kaumunter dem Ausbruch der Vogelgrippe gelitten.Dem Deutschen Hotel- und Gaststättengewerbe(DEHOGA) zufolge gab es in Mecklenburg-Vor-pommern vorübergehend leichte Buchungsrück-gänge – andere von der Vogelgrippe betroffene

Ferienregionen hätten davon nichts gemerkt.Auch auf Rügen hat sich die Nachfrage im Märzwieder stabilisiert: Es würden wieder mehr Kata-loge angefragt. Ob sich das auch in Buchungs-zahlen niederschlage, könne noch nicht gesagtwerden, sagt Uwe Barsewitz vom mecklenburgi-schen Landesverband der DEHOGA.

GASTRONOMIE SPÜRT KE INE

AUSWIRKUNGEN

Auch die deutsche Gastronomie vermeldet bis-lang keine Einbußen. Der DEHOGA zufolge ge-hen die Deutschen nicht weniger essen. EinigeRestaurants hätten Geflügelspeisen von der Kar-te genommen, aber auch das sei die Ausnahme.Selbst die großen Fastfood-Ketten halten anGeflügelprodukten fest.

1.3 DIE PHARMAINDUSTRIE RÜSTET AUF

Vom Ausbruch der Vogelgrippe profitieren An-bieter von Antigrippemitteln, Grippe-Impfstoffund Hersteller von Grippeschnelltests. Ihre Pro-dukte sind gefragt, seit die WHO Ende 2004 voreiner drohenden Pandemie warnte.

TAMIFLU IST PL ÖTZL ICH E IN

BLOCKBUSTER

Der Schweizer Pharmakonzern Roche konnteallein im vergangenen Jahr die Erlöse aus demAntigrippemittel Tamiflu um 370 Prozent stei-gern. Viele Länder legen Vorräte für ihre Bevöl-kerung an. Das Medikament, das vorher einNischenprodukt war, avancierte innerhalb einesJahres zur Blockbuster-Arznei. So werden Pro-dukte genannt, die mehr als eine Milliarde Dollarpro Jahr einbringen.

Neben den Staaten fragen vor allem Unter-nehmen antivirale Medikamente nach. Aus Sor-ge, die staatlichen Vorräte könnten im Fall einerPandemie nicht reichen, legen sie selbst Anti-grippemittellager für ihre Mitarbeiter an. KeinWunder, dass die Hersteller anfangs mit der Pro-duktion nicht hinterherkommen. Inzwischen istdie Belieferung mit Tamiflu laut Roche wiedergesichert. „Die Lage an der Versorgungsfront istvollkommen unter Kontrolle“, sagte der Chef des Schweizer Pharmakonzerns, Franz Humer.

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Pandemie Report 55

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Roche könne bis Ende des Jahres 400 MillionenDosen des Präparats herstellen, weit mehr als diebisher eingegangenen Bestellungen. Humer gehtdavon aus, dass die Tamiflu-Verkäufe bis zumJahresende 1,2 Milliarden Schweizer Franken(761 Millionen Euro) erreichen werden. Konkur-rent GlaxoSmithKline hat die diesjährige Pro-duktion seines Produktes Relenza bereits abge-setzt. Beide Firmen erweitern ihre Produktions-kapazität. Roche plant, Ende des Jahres 300 Mil-lionen Packungen Tamiflu herstellen zu können,das wären etwa zehn Mal so viele wie heute. GlaxoSmithKline hingegen will die Produktions-menge des Medikaments Relenza verdoppeln,möglicherweise verdreifachen. Das Pharmaunter-nehmen produziert etwa 15 Millionen Packungenim Jahr.

In den vergangenen Monaten nutzten Ge-schäftemacher die Angst der Menschen undboten eine Packung Tamiflu für bis zu 400 Dollarim Internet an. Dabei kostet diese in der Apo-theke etwa 38 Euro. Um die Verbraucher vorGeschäftemacherei zu schützen, ist Tamiflu re-zeptpflichtig. Roche warnt auf seiner Homepageausdrücklich davor, das Medikament im Internetzu kaufen.

IMPFSTOFFBEDARF STE IGT

Die Angst vor einer möglichen Pandemie hatdazu geführt, dass der Bedarf an Grippe-Impf-stoffen steigt. Bisher beläuft sich der globaleMarkt für Grippe-Impfstoff laut einer Studie derBank Julius Bär auf 2,5 bis 2,7 Milliarden Dollar.Die Studie geht davon aus, dass der Bedarf weitersteigt – nicht nur wegen einer drohenden Pande-mie: Die alternde Gesellschaft schafft die Nach-frage. Gerade ältere Menschen gelten als be-sonders gefährdet. Die meisten Produzentenerweitern derzeit ihre Kapazitäten. So verdoppeltbeispielsweise der drittgrößte Hersteller fürImpfstoff, GlaxoSmithKline, seine Produktions-möglichkeiten von Grippe-Impfstoff im Sächsi-schen Serumwerk Dresden.

Laut dem Verband der forschenden Arznei-mittelhersteller, einer Vereinigung der deutschenPharmaindustrie, haben sich im Jahre 2005 auchin Deutschland mehr Menschen gegen Grippeimpfen lassen als noch im Vorjahr. Die verkauf-ten Einheiten stiegen gegenüber dem Jahr 2004

um rund 30 Prozent. Die etwa 22 Millionen pro-duzierten Dosen waren nach Angaben des Paul-Ehrlich-Instituts bereits Ende Oktober 2005 beiProduzenten und Händlern ausverkauft, auchweil einige Bundesländer ihre Impfempfehlun-gen ausgeweitet hatten.

Sollte es zu einer Pandemie kommen, würdendie Produktionskapazitäten indes kaum reichen.Der WHO zufolge können weltweit etwa 250 bis300 Millionen Dosen hergestellt werden. Damitkönnten gerade mal fünf Prozent der Weltbevöl-kerung geschützt werden.

ANBIETER VON SCHNELLTESTS

PROF IT IEREN

Neben den Impfstoffherstellern profitieren auchdie Anbieter molekularer Diagnostikverfahrenvom Ausbruch der Vogelgrippe. Influenza-Schnellteste können nur Influenza-A- oder B-Viren feststellen. Ob es sich um H5N1 handeltoder um einen der zirkulierenden Influenzastäm-me des Subtyps H3N2 oder H1N1, wird durcheinen so genannten PCR-Test untersucht, bei derdas zu untersuchende Erbgut vermehrt und dietypischen Erbgutabschnitte mit bestimmtenMarkern nachgewiesen werden. Für vertiefendeUntersuchungen bestimmt man die Sequenz, dasheißt die Abfolge der Erbgutbausteine.

Durch die Ausbreitung der Krankheit aufimmer mehr Länder steigt der Bedarf an Verfah-ren, mit denen man bei toten Tieren das Virusnachweisen kann. Allerdings handelt es sich hier-bei um einen vergleichsweise kleinen Markt, dahauptsächlich wissenschaftliche Institute dietoten Vögel untersuchen. Der Markt würde nachEinschätzung des Herstellers Qiagen allerdingsgrößer, sollte sich die Vogelgrippe weiter unterNutztieren in Europa ausbreiten. Als Vergleichdiene die BSE-Krise aus dem Jahr 2001. Damalswurden europaweit Routinetests für Rinder ein-geführt. Jedes Rind, das älter als 30 Monate alt istund für die Lebensmittelproduktion geschlachtetwerden soll, muss auf BSE getestet werden. Sosoll verhindert werden, dass infiziertes Fleisch inden Lebensmittelhandel gelangt.

Sollte eine solche Vorschrift auch für Geflügel-betriebe eingeführt werden, entstünde ein neuerMarkt für Testverfahren. Allerdings ist fraglich,für wie lange: Da beispielsweise das Kilogramm

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56 Pandemie Report

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Hähnchenbrustfilet in Deutschland im Jahres-durchschnitt laut ZMP gerade mal 5,30 Euro kos-tet, stehen die Kosten für einen Test in keinemVerhältnis zum Verkaufswert eines Huhns anden Einzelhandel. Derzeit führt nur China solcheTests bei Geflügel durch. Dort ist die Vogelgrippewesentlich weiter verbreitet als in Europa.

1.4 SONDERKONJUNKTUR FÜRSCHUTZKLEIDUNG UND PUTZMITTEL

Als die ersten Fälle von Vogelgrippe in Grie-chenland und der Türkei auftraten, haben lautder Arbeitsgemeinschaft Körperschutzimporteu-re (AGKI) viele Händler Schutzanzüge, Masken,Müllbeutel und Handschuhe eingekauft und ihreLagerbestände erhöht. Aus Erfahrung wissen dieAnbieter, dass die Nachfrage nach Schutzklei-

dung steigt, wenn Tierseuchen oder Naturkatas-trophen eintreten. So war es auch diesmal: Nach-dem die Vogelgrippe auf Rügen die örtlichenBehörden nahezu unvorbereitet traf, stieg dieNachfrage nach Schutzbekleidung enorm. Obdieser Nachfrageeffekt sich auch auf das Jahres-ergebnis auswirken wird, bleibt nach Angabendes Präsidenten des AGKI abzuwarten.

Die Hersteller von Desinfektionsmitteln spü-ren dem Industrieverband Hygiene und Oberflä-chenschutz (IHO) zufolge bislang keinen Nach-frageanstieg. Bei Tierseuchen setzen die Helferauf Empfehlung der Veterinäre häufig einfacheChemikalien ein, wie sie im Landhandel erhält-lich sind. Auf Rügen wurde beispielsweise mitAmeisensäure desinfiziert. Käme es zu einer Pan-demie, wären vor allem Händedesinfektions- undFlächenreinigungsmittel gefragt.

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Pandemie Report 57

Tabelle 6: Branchenauswirkungen im Worst Case Szenario

Phase Merkmale Implikationen Betroffene Branche

I Vor-pandemische Starke Nachfrage nach antiviralen Medikamenten, Pharma- und

Phase Grippe-Impfstoffen, Entwicklung neuer Impfstoffe Biotechbranche

I I Ausbruch der Einschränkung des freien Personenverkehrs Fluglinien/Flughäfen

Krankheit Unterbrechung der Nahrungsversorgung Transportindustrie

Tourismus/Hotellerie

Konsumgüterindustrie

Nahrungsmittelbranche

I I I Ausbreitung der Erhöhte Auslastung der Krankenhäuser Krankenhäuser

Krankheit Starke Nachfrage nach Medikamenten Pharmaindustrie

Steigende medizinische Kosten und Versicherungen

Versicherungsleistungen

IV Weltwirtschaft ist Einbruch asiatischer Volkswirtschaften Zyklische Sektoren

betroffen Sinkende Rohstoffpreise Erdölgesellschaften

Sinkender Ölpreis und Versorger

Anhaltend hohe Nachfrage nach Gesundheits- Pharmabranche

diensten Krankenhäuser

V Panik Steigender Goldpreis Goldindustrie

Aufwertung der Währungen, die als sicher gelten,

Kapitalabfluss aus den am stärksten betroffenen

Ländern

Kurzfristige Zinssätze fallen als Reaktion auf die Finanzsektor

Interventionen der Zentralbanken

Langfristige Zinssätze steigen

Quelle: Bank Julius Bär

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2 IM PANDEMIEFALL GIBT ES VIELE VERLIERER UND NUR WENIGEGEWINNER

Die Prognosen zu den Auswirkungen einer Pan-demie auf die verschiedenen Branchen eint vorallem eins: die Unsicherheit über die tatsäch-lichen Folgen. Nahe liegend ist jedoch, dass dieheute schon von der Vogelgrippe betroffenenBranchen auch im Pandemiefall zu den Verlie-rern gehören. Das Virus frisst sich einer Studieder Citigroup zufolge während einer Pandemieauch ins Transportwesen und die Luxusgüter-industrie, die Rohstoff- und die Versicherungs-branche.

Gleiches gilt für die bisherigen Profiteure der Vogelgrippe: Für Pharmaunternehmen undHygienehersteller würde sich der positive Effektverstärken. Zu den Gewinnern gehört außerdemder Technologiesektor.

Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirt-schaftsforschung hat aus den Szenarien einermilden und einer schweren Pandemie die Verän-derungen der Nachfrage für verschiedene Bran-chen abgeleitet – prozentual und in absolutenZahlen (siehe Tabelle 7 Pandemie Szenarien). Im

Fall eines milden Ausbruchs wären Transportmit 17 Prozent beziehungsweise 11,61 MilliardenEuro sowie Gastgewerbe (6,1 Milliarden Euro)und Kultur (7,77 Milliarden Euro) mit jeweils20 Prozent am stärksten betroffen. Mit einemNachfrageplus von vier Prozent könnte dasGesundheitswesen rechnen. Das würde einer zu-sätzlichen Nachfrage im Gegenwert von 5,6 Mil-liarden Euro entsprechen.

Im schlimmsten aller Szenarien würde dieNachfrage von Gastgewerbe und Kultur gar um80 Prozent einbrechen, Transport mit 67 Prozent.Allein für diese drei Branchen würde dieses Sze-nario ein Minus von über 55 Milliarden Eurobedeuten. Einzig die Gesundheitsbranche profi-tiert auch in diesem Fall – mit einem Plus von15 Prozent oder 21 Milliarden Euro.

.

2.1 DIE VERLIERER

TOURISMUS FÄLLT IN ZE ITEN E INER

PANDEMIE AUS

Bisher hat die Tourismusbranche die Folgen derVogelgrippe kaum gespürt: Die Deutschen mei-den die Türkei, aber ansonsten reisen sie nachwie vor gern und häufig. Nicht nur zu fernen Zie-len, sondern auch im eigenen Land. Außerdemkommen auch Ausländer gern in die Bundesre-publik: Gemessen an den Ausgaben, die interna-tionale Gäste in Deutschland tätigen, ist das Landdas fünftwichtigste Reiseziel der Welt. NachBerechnungen des World Travel and TourismCouncil (WTTC) erwirtschaftet die deutsche Tou-rismusbranche 84,5 Milliarden Dollar im Jahr.Das sind etwa drei Prozent des Bruttoinlandspro-duktes. 2,8Millionen Menschen arbeiten laut Jah-resbericht des Bundesverbandes der DeutschenTourismuswirtschaft (BTW) im Tourismus undin ihm verbundenen Branchen.

Es gibt allein 16000 Reisebüros und 1000 Rei-severanstalter in Deutschland. Die Reisebürossetzen dem Jahresbericht der BTW zufolge imJahr 2004 etwa 20 Milliarden Euro mit Urlaubs-reisen, Linienflügen, Bahntickets, der Vermitt-lung von Hotels, Autovermietungen und Reise-versicherungen um. Die Reiseveranstalter gene-rierten einen Umsatz in Höhe von 18,6 Milliar-den Euro. Dabei fallen laut BTW-Jahresbericht82 Prozent auf die sechs größten Veranstalter in

I M PA N D E M I E FA L L G I B T E S V I E L E V E R L I E R E R U N D N U R W E N I G E G E W I N N E R

58 Pandemie Report

Tabelle 7: Pandemie Szenarien

Nachfrageausfall Mildes Szenario Schweres Szenario

in % in Mrd. EUR in % in Mrd. EUR

Landwirtschaft 3,00 0,64 10,00 2,14

Bergbau 3,00 0,12 10,00 0,39

Bau 3,00 2,53 10,00 8,45

Verarbeitendes Gewerbe 3,00 13,02 10,00 43,40

Groß- und Einzelhandel 3,00 6,31 10,00 21,04

Transport 17,00 11,61 67,00 45,75

Gesundheitswesen – 4,00 – 5,60 –15,00 –21,01

Gastgewerbe 20,00 6,10 80,00 24,38

Kultur 20,00 7,77 80,00 31,10

Sonstige Dienste 1,00 0,55 5,00 2,73

Insgesamt 2,20 43,04 8,10 158,36

Quelle: Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung (RWI Essen)

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Deutschland. Zur Tourismusbranche zählen auchdie rund 180000 Restaurants und Gaststättensowie 50000 Hotels und Pensionen hierzulande.

Vom Tourismus profitieren auch andere Bran-chen in Deutschland, wie der Einzelhandel oderdie Luxusgüterindustrie. Touristen geben inDeutschland laut BTW 135 Milliarden Euro aus,das sind zwölf Prozent des privaten Konsums.Sollte also die Tourismusbranche durch den Aus-bruch einer Pandemie zusammenbrechen, wür-den auch diese Wirtschaftszweige in Mitleiden-schaft gezogen.

Wenn eine Pandemie in Deutschland wütet,würde die Reisebranche als Erste fallen. „Tou-rismus wird es für die Zeit der Pandemie nichtgeben“, sagt Stefan Bielmeier, Analyst bei derDeutschen Bank. Die WHO und auch das Con-gressional Budget Office gehen davon aus, dassvon der Seuche betroffene Staaten die Reisefrei-heit beschränken würden, damit sich das Virusnicht so schnell verbreitet. Außerdem könne essein, dass andere Länder Einwohnern aus denbetroffenen Regionen die Einreise verweigern.Unabhängig von Reisebeschränkungen ist an-zunehmen, dass die meisten Menschen ausAngst vor Ansteckung ohnehin zu Hause bleibenwürden.

Es ist schwer zu prognostizieren, mit welchenUmsatzeinbußen die Tourismuswirtschaft rech-nen müsste. Einer Studie der Autoren Siu undWong zu den ökonomischen Folgen von SARSzufolge hat der Ausbruch der LungenkrankheitSARS in Hongkong dazu geführt, dass im April2003 etwa 60 Prozent weniger Touristen die Inselbesucht haben. Infolgedessen hätten nicht nurRestaurants deutlich weniger eingenommen alssonst üblich.

Das CBO hat die Umsatzeinbußen für zweiSzenarien errechnet und jeweils einen Zeitraumvon drei Monaten angesetzt. Bei einem mildenPandemie-Verlauf, wie im Fall der Grippewellenvon 1957 und 1968, würden Hotels und Restau-rants jeweils bis zu 20 Prozent ihres Umsatzeseinbüßen. Für den Fall, dass die Pandemie inihrem Ausmaß der Spanischen Grippe ähnelte,rechnet die Studie mit Einbrüchen von bis zu80 Prozent.

ANGST VERDIRBT D IE LUST AM LUXUS

Der Markt für Luxusgüter beläuft sich nachExpertenschätzungen auf weltweit 120 bis150 Milliarden Dollar, Tendenz steigend: Chine-sen haben teure Kleider und Düfte für sich ent-deckt. Schon heute fragt China einer Studie derBank Vontobel zufolge zwölf Prozent der welt-weiten Luxusgüter nach. Im Jahr 2008 sollen es20 Prozent sein.

Den größten Umsatz erwirtschaften nacheiner Schätzung der UnternehmensberatungMcKinsey die Bereiche Prêt-à-Porter (26 Prozent),Lederwaren (17 Prozent) und Spirituosen (15 Pro-zent) ein. Parfums und Kosmetika machen jezwölf Prozent aus vor Uhren (neun Prozent),Schmuck (fünf Prozent) und Tischgeschirr (vierProzent). Etwa 40 Prozent aller Luxusgüter kau-fen Berechnungen der Investmentbank LehmanBrothers zufolge Geschäftsreisende und Urlau-ber. Flughäfen sind ein beliebter Einkaufsort fürDüfte und Kosmetika, weil diese dort meist zoll-frei angeboten werden. So macht einer der welt-weit größten Hersteller von Kosmetika etwazehn Prozent seines Umsatzes in Duty-Free-Shops. Der Studie der Citigroup zufolge hättenKosmetikhersteller mit der eingeschränkten Rei-sefreiheit zu kämpfen.

Auch der Einzelhandel wäre von einer Pande-mie betroffen, da die Menschen aus Angst vorAnsteckung lieber zu Hause blieben. Mit einemBranchenumsatz von 505 Milliarden Euro imJahr 2004 beträgt der Anteil am Bruttoinlands-produkt Berechnungen des Hauptverbandes desDeutschen Einzelhandels (HDE) zufolge etwa22,9 Prozent. Der CBO-Studie zufolge wären dieUmsatzeinbrüche zwar nicht so massiv wie imTourismus. Bei einer milden Pandemie rechnendie Experten mit einem Minus von drei Prozent.Eine zweite Spanische Grippe würde die Einnah-men um zehn Prozent schmälern. Ob diese Zah-len für jedes Land gelten würde, ist fraglich: DieAutoren Siu und Wong haben errechnet, dass in Hongkong der Umsatz im Einzelhandel um15 Prozent gesunken ist, während die Lungen-krankheit SARS grassierte. Allerdings habe derHandel dort auch eine höhere wirtschaftlicheBedeutung als in den USA.

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Pandemie Report 59

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TRANSPORT WIRD AUF DAS NÖT IGSTE

BESCHRÄNKT

Im Falle einer Pandemie würden der WHO undder CBO zufolge Transportbeschränkungen gel-ten. Das würde unmittelbar Fluggesellschaften,die Containerschifffahrt, Speditionen und denBahnverkehr treffen. Der Flugverkehr würde so-fort zusammenbrechen, wie das Beispiel SARSzeigte. Damals flogen der Studie der Citigroup zu-folge bis zu 30 Prozent weniger Menschen nachAsien. Aufs Jahr gerechnet haben die großen Air-lines dadurch vier Prozent weniger umgesetzt.Sollte die Grippepandemie sich jedoch geogra-fisch weiter ausbreiten, würden die europäischenAirlines für den Zeitraum der Pandemie zwischen30 und 50 Prozent der Passagiere verlieren. DieAktien der am schwersten betroffenen Airlineswürden nach Meinung der Volkswirte der Citi-group substanziell sinken. Dieser Rückgang wärenoch massiver als nach dem Ausbruch von SARS.

Das CBO rechnet bei einem milden Pandemie-Ausbruch mit einem Rückgang der Einnahmenvon 17 Prozent für Flug- und Bahngesellschaften.Für den schlimmsten aller Fälle beziffern sie dieUmsatzeinbußen für beide Bereiche auf jeweils67 Prozent.

Der eingeschränkte Schiffs- und LKW-Trans-port würde den Export belasten, vor allem inDeutschland. Nach Angaben des StatistischenBundesamtes exportierten deutsche Firmen Wa-ren im Wert von 838,61 Milliarden Euro. Dem-gegenüber standen Importe im Wert von 729,74Milliarden Euro. „In einer Welt des Just-in-Time-Managements bei Rohstoffen, Fertigwaren undArbeit müsste ein Zusammenbruch der Häfen,Flughäfen, Grenzen und Bahnlinien mehr oderweniger alle Sektoren der internationalen Wirt-schaft in Mitleidenschaft ziehen“, heißt es in derStudie von Julius Bär.

2.2 DIE GEWINNER

Die Profiteure der Vogelgrippe – die Pharma- undHygieneunternehmen – würden auch beim Aus-bruch einer Pandemie zu den Gewinnern zählen.Unmittelbar profitieren würden außerdem Kran-kenhausketten, positive Effekte würden auch An-bieter von Unterhaltungselektronik, IT-Firmenund Internetanbieter verspüren.

GESUNDHEITSSEKTOR KÖNNTE MIT

NOCH HÖHERER NACHFRAGE RECHNEN

Den Studien der Citigroup und von Julius Bärzufolge würde der Gesundheitssektor am stärk-sten vom Ausbruch einer Pandemie profitieren.Als die Lungenkrankheit SARS in Kanada aus-brach, beliefen sich die Kosten für das Gesund-heitswesen allein im Bundesstaat Ontario auf763 Millionen Dollar. Das Geld wurde zu einemgroßen Teil für SARS-Kliniken und den Schutzder Ärzte und des Pflegepersonal ausgegeben,wie es in der Studie von Julius Bär heißt. DiePharmaunternehmen könnten im Pandemiefallmit einer noch höheren Nachfrage rechnen alsohnehin schon.

HYGIENEMITTELHERSTELLER

PROF IT IEREN VOM DES INFEKT IONSWAHN

„Wir glauben, dass es die natürlichste Reaktionder Menschen in den betroffenen Regionenwäre, häufiger und mit mehr Reinigungsmittelnzu putzen, in der Hoffnung, dass sich durch vieleverschiedene Mittel die Desinfektionskraft er-höht“, schreiben die Analysten der Citigroup. DieMenschen würden folglich mehr Putzmittel,Duschgel, Seife oder Händedesinfektionsmittelkaufen. Ein großer Hersteller von Hygienemit-teln geht davon aus, dass alle Produzenten vonHändedesinfektionsmitteln innerhalb kürzesterZeit leer gekauft wären. Selbst wenn die Herstel-ler Sicherheitsbestände aufbauen würden, reich-te es nicht: „Man kann nicht für 80 MillionenMenschen auf Vorrat produzieren“, erklärt derSprecher eines Hygienemittelunternehmens.

Wie schnell nachproduziert werden könnte,ist nicht nur von den Herstellern abhängig: Auchdie Zulieferer wie Rohstoff-, Flaschen- und Eti-kettproduzenten müssten mit der Produktionnachkommen. Fraglich ist auch, welche Flaschen-größen benötigt würden: Verbraucher würdeneher Kittelflaschen mit etwa 150 Milliliter kau-fen, Krankenhäuser, Feuerwehren und andereHelfer bräuchten größere Einheiten.

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60 Pandemie Report

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INFORMATIONSTECHNOLOGIE -ANBIETER

UND HERSTELLER VON S ICHERHE ITS-

SOFTWARE VON DER HE IMEL IGKE IT

Im Fall einer Pandemie würden auch die Unter-haltungselektronik, Internetfirmen und Telekom-munikationsunternehmen profitieren. Schließ-lich würde sich das Leben weitgehend zuhauseabspielen. Mit Hilfe elektronischer Kommuni-kation könnten Mitarbeiter von zuhause ausarbeiten. Allerdings benötigten Firmen dafüreine ausreichende Informationstechnologie (IT)-Infrastruktur. Hiervon könnten neben IT-Anbie-tern vor allem Hersteller von Sicherheits-Soft-ware sowie Verschlüsselungstechniken profitie-ren. Schon heute boomt der Markt: Für das Jahr2006 schätzt Marktforscher Gartner-Dataquestden Markt für Sicherheitssoftware auf weltweitrund 6,6 Milliarden Dollar.

Indirekt würden davon auch die Telekommu-nikationsunternehmen profitieren, da insgesamtmehr telefonisch und übers Internet kommuni-ziert würde. Nach Meinung der Citigroup-Ana-lysten wäre dieser Effekt jedoch nur gering, daviele Tarife als Flatrate pauschal gelten oder dieGebühren sehr günstig sind.

Die Unterhaltungsindustrie und die Compu-terspielbranche haben bereits in den vergange-nen Jahren kräftig zugelegt. Allein im vergange-nen Jahr wurden hierzulande für etwa eine Mil-liarde Euro Computerspiele gekauft – für Kino-besuche hingegen gaben die Deutschen etwa750 Millionen Euro aus. Der Weltmarkt für Com-puterspiele wird auf etwa 56 Milliarden Dollargeschätzt. Die Hersteller von Spielekonsolen,LCD-Flachfernsehern und tragbaren Musikgerä-ten erreichten in diesem Jahr einen Umsatz von12,4 Milliarden Euro, ein Plus von 13,3 Prozent.Bei einem Pandemieausbruch würden die Men-schen mehr Zeit vor Fernseher oder Compu-ter verbringen. Insofern würde die Nachfragenach Unterhaltungselektronik steigen. Auch derElectronic Commerce, Versandhandel sowie klas-sische Internetanbieter könnten von der Heime-ligkeit der Deutschen profitieren. Vermutlichwürden viele Menschen neue Spiele, Filme oderBücher übers Internet kaufen oder tauschen.

3 WIE SICH UNTERNEHMEN AUF DEN NOTFALL VORBEREITEN

Im Fall einer Pandemie würden sich nach denSzenarien des RKI zwischen 15 Prozent und imschlimmsten Fall sogar 50 Prozent der Menschenmit dem Virus infizieren und krank im Bett liegen. Deshalb müssten Unternehmen Notfall-pläne entwickeln, um im Fall der Fälle ihrenBetrieb aufrechterhalten zu können. Um Firmendabei zu unterstützen, hat das RKI in Anlehnungan die WHO Empfehlungen entwickelt. Zur Vor-bereitung zählen einfache Maßnahmen wie An-gebote von Grippe-Impfungen für Mitarbeiter,die Verschärfung der Hygienemaßnahmen inden betroffenen Gebieten oder Empfehlungenfür Asienreisende.

Unternehmen müssen in einem Notfallplanfestlegen, wie sie den Betrieb aufrecht erhaltenkönnen. Dazu sollten sie entscheiden, ob sieAntigrippemittel und Schutzkleidung für ihreMitarbeiter kaufen. Fragen sind: Welche Unter-nehmensbereiche sind besonders gefährdet?Welche Abteilungen müssten auf jeden Fallbesetzt sein, und auf welche könnte notfalls ver-zichtet werden? So könnte beispielsweise in vie-len Branchen die Forschung und Entwicklung imFalle einer Pandemie ausgesetzt werden. AlleMitarbeiter sollten im Vorfeld einer Pandemiedarüber informiert werden, welche Strategiendas Unternehmen entwickelt und welche Ver-haltensregeln im Falle einer Grippe-Pandemiegelten.

Die Beratungsfirma für RisikomanagementMarsh hat einen Fragebogen entwickelt, mit demUnternehmen ihren Vorbereitungsstand analy-sieren können. Danach muss beispielsweise kon-trolliert werden, ob die IT-Infrastruktur aus-reicht, wenn viele Mitarbeiter von zu Hausearbeiten, ob es Strategien gibt, Mitarbeiter, Kun-den und Aktionäre rechtzeitig zu informieren.Bisher hätten sich darauf primär Unternehmengemeldet, die von der Lungenkrankheit SARSbetroffen waren. Notfallpläne müssten für jedeFirma und jede Branche individuell zugeschnit-ten werden. Fluggesellschaften müssten Flug-sicherheit gewährleisten und das Ansteckungs-risiko minimieren, Banken den Zahlungsverkehraufrechterhalten.

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Pandemie Report 61

Page 62: Pandemie Risiko mit großer Wirkung - RWI Essen · Am Beispiel der Ausbreitung des Vogelgrippevirus H5N1 wird zunächst gezeigt,dass das Risiko des Ausbruchs einer weltweiten Pandemie

18 DER 30 DAX-UNTERNEHMEN HABEN

EINEN NOTFALLPLAN ERARBE ITET

Laut einer Umfrage des Magazins Wirtschafts-woche haben 18 der 30 im Deutschen Aktien-index (Dax) notierten Gesellschaften einen Not-fallplan für den Fall einer Pandemie erarbeitet.Zwölf informieren ihre Mitarbeiter über dasIntranet über potenzielle Gefahren und siebenUnternehmen haben bereits Antigrippemittelfür ihre Mitarbeiter gekauft. Ein großes IT-Unter-nehmen hat zudem schon die Möglichkeiten dervirtuellen Zusammenarbeit verdoppelt, so dassmöglichst viele Mitarbeiter von zuhause ausweiterarbeiten könnten. Laut einer Umfrage desHandelsblattes befassen sich vor allem Aktienge-sellschaften und global agierende Unternehmenin Deutschland selbst mit dem Thema. Kleinereund mittelständische Unternehmen hingegengreifen eher auf Spezialisten in Sachen Risiko-management zurück.

Banken werden von der Bundesanstalt fürFinanzdienstleistungsaufsicht (BAFin) verpflich-tet, Notfallpläne für den Katastrophenfall vorzu-bereiten. „Seit Dezember 2005 gelten Mindest-anforderungen an das Risikomanagement, dieallgemein für Notfälle gelten“, sagt ein Sprecherder BAFin. Die Konzepte müssen Kommunika-tionswege für einen Notfall festlegen, es müs-sen Ersatzlösungen wie Heimarbeit installiertwerden, und sie müssen die Rückkehr zum Nor-malbetrieb ermöglichen. Einige internationalarbeitende Banken haben aus der Zeit der Lun-genkrankheit SARS bereits Erfahrung mit Not-fallsituationen. Die Niederlassungen in Hong-kong haben damals beispielsweise Teams inwichtigen Geschäftsbereichen doppelt besetzt –wäre ein Team krankheitsbedingt ausgefallen,hätte das andere die Arbeit übernehmen können.Auch haben einige Institutionen ihre IT-Infra-struktur aufgerüstet, damit viele Mitarbeiter imFall einer Pandemie sofort von zuhause arbeitenkönnen.

Einige Hygienemittelhersteller geben keinekonkreten Angaben zu ihren Strategien. Sie ver-weisen vielmehr auf ihr allgemeines Risiko-management oder aber geben an, sich nach denEmpfehlungen des RKI und der WHO zu rich-ten. Allerdings reiche es nicht aus, wenn die Firmen gut vorbereitet seien, sagt der Sprechereines Hygienemittelherstellers. Schon heutemüsste die Kommunikation zwischen Unterneh-men und Staat besser vernetzt sein. So müssteheute auf nationaler Ebene das Transportprob-lem geklärt werden. Welche Branchen dürfenihre Waren noch ausliefern, wann und wohin?Inwiefern kann die Privatwirtschaft dem Staatmit Leistungen behilflich sein?

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62 Pandemie Report

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1996

China meldet die Infektion einer Gans auf einerFarm in der Provinz Guangdong mit dem VirusH5N1.

FRÜHJAHR 1997

In Hongkong treten erste Fälle von Vogelgrippeauf.

MAI 1997

In Hongkong stirbt ein dreijähriger Junge aneiner Infektion durch den H5N1-Virus.

ENDE 1997/ANFANG 1998

Nach einem neuerlichen Ausbruch der Vogel-grippe in Hongkong sind 18 Menschen infiziert,sechs davon sterben.

FEBRUAR 2003

Zwei weitere Fälle von H5N1-Infektionen beiMenschen werden in Hongkong gemeldet, einerdavon endet tödlich.

FRÜHJAHR 2003

Die Niederlande verhängen nach einem Aus-bruch der Vogelgrippe des Virustyps H7N7 einExportstopp für Geflügel. 80 Menschen werdeninfiziert, ein Tierarzt stirbt. Belgien ist ebenfallsbetroffen. Auch Geflügelzüchter im deutsch-holländischen Grenzgebiet müssen ihre Betriebesperren. Millionen Tiere werden geschlachtet.

MAI 2003

Der Geflügelpest-Verdacht auf einem Bauernhofin Viersen bestätigt sich. Zehntausende Tierewerden getötet.

3. DEZEMBER 2003

Zwei Tiger und zwei Leoparden sterben in einem thailändischen Zoo. Sie wurden mit infiziertem Geflügel gefüttert.

19. DEZEMBER 2003

Die Vogelgrippe bricht in Südkorea aus. Massen-schlachtungen können eine Ausbreitung inAsien jedoch nicht verhindern, weil H5N1aggressiver als seine Vorgänger ist.

8. JANUAR 2004

Vietnam meldet Fälle von H5N1 bei Geflügel.

12. JANUAR 2004

Japan meldet Fälle von H5N1 bei Geflügel.

23. JANUAR 2004

Thailand meldet erste Fälle von H5N1 beiGeflügel.

24. JANUAR 2004

Kambodscha meldet Fälle von H5N1 beiGeflügel.

27. JANUAR 2004

Laos meldet Fälle von H5N1 bei Geflügel.

2. FEBRUAR 2004

Indonesien meldet Fälle von H5N1 bei Geflügel.

4. FEBRUAR 2004

China meldet erneute Fälle von H5N1 beiGeflügel.

MÄRZ 2004

Im 1. Quartal des Jahres 2004 werden zwölfFälle von Infektionen mit H5N1 beim Menschenin Thailand registriert, acht davon tödlich;sowie 23 Fälle in Vietnam, 16 davon tödlich.

23. JULI 2004

Die Welttiergesundheitsorganisation erklärtJapan wieder für seuchenfrei.

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Pandemie Report 63

Chronik des H5N1-Viruses 1996 bis April 2006

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7. AUGUST 2004

Malaysia meldet den ersten Fall von H5N1-Virus bei Geflügel.

12. AUGUST 2004

Vietnam meldet drei neue Infektionen beiMenschen, alle verlaufen tödlich.

20. AUGUST 2004

China meldet die Entdeckung des H5N1-Virusbei Schweinen.

7. SEPTEMBER 2004

Ein weiterer Todesfall wird in Vietnambestätigt.

21. SEPTEMBER 2004

Korea erklärt sich wieder seuchenfrei.

9., 28. SEPTEMBER UND 4., 25. OKTOBER 2004

Thailand meldet insgesamt fünf durch den H5N1-Virus verursachte Todesfälle beiMenschen.

11. OKTOBER 2004

147 Tiger in einem thailändischen Zoo sterbenan H5N1.

30. DEZEMBER 2004

In Vietnam infiziert sich ein weiterer Menschmit dem Erreger.

3. JANUAR 2005

Malaysia erklärt sich für seuchenfrei.

6. JANUAR 2005

Vietnam berichtet von zwei neuen Fällen vonH5N1 beim Menschen.

27. JANUAR 2005

Erster Bericht über die mögliche Weitergabe desVirus H5N1 von Mensch zu Mensch, geschehenin Thailand.

2. FEBRUAR, 29. MÄRZ, 12. APRIL, 4. MAI 2005

Kambodscha meldet insgesamt vier durch dasH5N1-Virus verursachte Todesfälle beiMenschen.

30. APRIL 2005

In Zentralchina registrieren Behörden ein Massensterben von Wildvögeln.

21. JULI 2005

In Indonesien stirbt der erste Mensch an derdurch das Virus H5N1 verursachten Vogel-grippe.

23. JULI 2005

Russland meldet die ersten H5N1-Fälle beiGeflügel in Sibirien.

2. AUGUST 2005

Kasachstan meldet die ersten H5N1-Fälle beiWildvögeln.

12. AUGUST 2005

Die Mongolei meldet die ersten H5N1-Fälle beiWildvögeln.

16., 22., 29. SEPTEMBER UND 10. OKTOBER 2005

Indonesien meldet vier weitere H5N1-Fälle beim Menschen.

13. OKTOBER 2005

Die Türkei meldet die ersten H5N1-Fälle beiGeflügel.

15. OKTOBER 2005

Rumänien meldet die ersten H5N1-Fälle beiGeflügel.

20. OKTOBER 2005

Thailand meldet den ersten Fall beim Menschenseit über einem Jahr.

22. OKTOBER 2005

Das Bundesverbraucherministerium ordnet einedeutschlandweite Stallpflicht an.

23. OKTOBER 2005

H5N1 wird bei einem Papagei in England festge-stellt. Das Haustier verendet drei Tage später.

24. OKTOBER 2005

Thailand und Indonesien bestätigen weitereFälle bei Menschen.

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64 Pandemie Report

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26. OKTOBER 2005

Kroatien meldet die ersten H5N1-Fälle bei Wildvögeln.

5. DEZEMBER 2005

Die Ukraine meldet die ersten H5N1-Fälle beiGeflügel.

15. DEZEMBER 2005

In Deutschland endet die Stallpflicht, weil derVogelzug vorbei ist.

1. JANUAR 2006

Die Türkei meldet den ersten durch H5N1 verursachten Todesfall.

17. JANUAR 2006

Der Irak meldet den ersten Todesfall durchH5N1.

24. JANUAR 2006

Nordzypern meldet die ersten H5N1-Fälle beiWildvögeln.

3. FEBRUAR 2006

Landwirtschaftsminister Horst Seehofer kündigteine neue Stallpflicht für den 1. März an.

8. FEBRUAR 2006

Nigeria meldet die ersten H5N1-Fälle beiGeflügel.

9. FEBRUAR 2006

Aserbaidschan meldet die ersten H5N1-Fälle beiWildvögeln.

11. FEBRUAR 2006

Bulgarien, Griechenland und Italien meldenerste H5N1-Fälle bei Wildvögeln.

12. FEBRUAR 2006

Slowenien meldet den ersten H5N1-Fall beiWildvögeln.

13. FEBRUAR 2006

China meldet den zwölften Fall einer H5N1-Infektion bei Menschen, acht davon endetenbislang tödlich, Indonesien meldet den 25. Fall,wovon 18 Menschen starben.

14. FEBRUAR 2006

In Deutschland werden auf der Insel Rügen ver-endete Schwäne mit dem H5N1-Virus entdeckt,Österreich und der Iran melden erste Fälle vonH5N1 bei Wildvögeln.

17. FEBRUAR 2006

Landwirtschaftsminister Horst Seehofer fordertdie Bundesländer auf, ihre Notfallpläne für denFall eines Ausbruchs der Vogelgrippe zu über-prüfen. Ägypten meldet den ersten Fall vonH5N1 bei Geflügel.

18. FEBRUAR 2006

Indien meldet den ersten Fall von H5N1 beiGeflügel.

19. FEBRUAR 2006

Nachdem rund 80 Wildvögel an H5N1 gestor-ben sind, ruft die Landrätin von Rügen, KerstinKassner, den Katastrophenfall für die Insel aus.Die Bundeswehr stellt zwei Dekontaminations-trupps mit insgesamt 40 Helfern zur Verfügung,weitere 250 Soldaten werden zugesagt. In denLandkreisen Nordvorpommern und Ostvorpom-mern werden zwei Fälle von an H5N1 verende-ten Wildvögeln gemeldet. Frankreich meldetden ersten H5N1-Fall bei einer Wildente.

20. FEBRUAR 2006

In den Landkreisen Nordvorpommern und Ost-vorpommern wird der Katastrophenfall ausge-rufen.

21. FEBRUAR 2006

Wissenschaftler weisen in Südchina das VirusH5N1 in offensichtlich gesunden Zugvögelnnach. Damit scheint festzustehen, dass sie auchmit dem Virus große Strecken zurücklegen kön-nen. Ungarn meldet den ersten Fall von H5N1bei Wildvögeln, ebenso taucht die Vogelgrippeerneut in Malaysia auf.

22. FEBRUAR 2006

Der Agrarausschuss des Bundestages beschäftigtsich mit der Vogelgrippe. Das H5N1-Virus wirdzum ersten Mal in der EU bei Nutztieren ent-deckt: In Österreich erkrankten Hühner undEnten.

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Pandemie Report 65

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24. FEBRUAR 2006

Die Vogelgrippe greift auf zwei weitere Bundes-länder über. In Schleswig-Holstein wird dasH5N1-Virus bei zwei toten Wildenten gefunden.Auch am Bodensee trägt ein totes Tier den Erre-ger in sich. Das französische Landwirtschafts-ministerium meldet, dass im Départment Ain400 Puten an der Vogelgrippe verendet sind. Als Vorsichtsmaßnahme werden 11000 Puten ineinem Mastbetrieb getötet.

25. FEBRUAR 2006

Brandenburg meldet zwei Fälle von am H5N1-Virus verendeten Wildvögeln. Ebenso meldendie Schweiz und die Slowakei die Entdeckungeines ersten an der Vogelgrippe verstorbenenTieres.

26. FEBRUAR 2006

Baden-Württemberg bestätigt die Existenz desH5N1-Virus im Bundesland: Eine zwei Tagezuvor entdeckte tote Tafelente war an der Vogel-grippe verendet.

28. FEBRUAR 2006

Das H5N1-Virus wird in Europa erstmals beieiner Katze auf Rügen nachgewiesen. Bayernund Schweden melden die ersten Fälle von ander Vogelgrippe verendeten Wildvögeln. Sach-sen und Thüringen beschließen, ihre Vorräte anantiviralen Arzneimitteln für den Fall einerGrippe-Pandemie für 20 Prozent der Bevölke-rung aufzustocken.

1. MÄRZ 2006

Nach dem ersten Vogelgrippefall bei einem Säu-getier in Deutschland vereinbart der NationaleKrisenstab von Bund und Ländern für Tierseu-chen schärfere Schutzmaßnahmen in befallenenRegionen: Katzen müssen im Haus bleiben,Hunde an die Leine.

3. MÄRZ 2006

Das H5N1-Virus wird bei einer toten Ente inMannheim gefunden – der bislang erste Fall ineiner deutschen Großstadt.

4. MÄRZ 2006

Das Virus erreicht Niedersachsen als sechstesBundesland. In Walsrode wird eine infizierteWildgans gefunden. Deutschlandweit treten ver-schärfte Schutzvorschriften in Kraft.

5. MÄRZ 2006

Polen meldet den ersten Fall von H5N1 beiWildvögeln.

9. MÄRZ 2006

Auf der Insel Rügen hat sich erstmals ein Stein-marder mit dem gefährlichen Vogelgrippe-VirusH5N1 infiziert. Das Tier war lebend gefundenworden. Damit ist neben Katzen eine weitereSäugetierart von der Seuche betroffen.

16. MÄRZ 2006

Afghanistan und Myamar (Burma) melden dieersten Fälle von H5N1 bei Wildvögeln.

21. MÄRZ 2006

Pakistan meldet den ersten Fall von H5N1 ineinem Geflügelbetrieb.

4.APRIL 2006

In Bayern ist es gelungen, die Gene des H5N1-Virus zu entschlüsseln.

5.APRIL 2006

Erstmals ist in einem deutschen Geflügelbetriebder Vogelgrippe-Erreger H5N1 nachgewiesenworden. Betroffen ist ein Hof in Sachsen, teiltedas Sozialministerium in Dresden mit. Großbri-tannien meldet den ersten H5N1-Fall bei einemin Schottland gefundenen toten Wildvogel.

Quelle: Weltgesundheitsorganisation (WHO)

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66 Pandemie Report

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L I T E R AT U RV E R Z E I C H N I S

Pandemie Report 67

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Pandemie Report 69

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INFORMATIONEN FÜR VERBRAUCHER

ALLGEMEINE INFORMATIONEN

ZUR VOGELGRIPPE

Bundesregierungwww.bundesregierung.de

Bundesministerium für Gesundheitwww.bmg.bund.de

Bundesministerium für Ernährung,Landwirtschaft und Verbraucherschutz www.bmelv.de

Friedrich-Loeffler-Institut,Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheitwww.fli.bund.de/

World organisation for animal health (OIE)www.oie.int/eng/en_index.htm

INFORMATIONEN ZUR VOGELGRIPPE UND

PANDEMIEPLANUNG

Robert Koch-Institutwww.rki.de

Ständige Impfkommissionwww.rki.de

WHO – Avian influenza www.who.int/csr/disease/avian_influenza/en/

index.html

Informationen zu Reiseempfehlungen: Auswärtiges Amtwww.auswaertiges-amt.de

Schweizer Bundesamt für Gesundheitwww.bag.admin.ch/influenza/01119/01128/index.

html?lang=de

FÜR UNTERNEHMEN

Notfallplanung: Aufrechterhaltung des BetriebsBundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfewww.bbk.bund.de

Continuity Forum, mit Links zu Risiko-managementberatungen und Expertenwww.continuityforum.org

WHO – World Health Organization(Weltgesundheitsorganisation)www.who.int

www.who.int/csr/resources/publications/

influenza/WHO_CDS_CSR_GIP_2005_5.pdf

INFORMATIONEN ZU VERSICHERUNGEN

Allianzwww.allianz.de

Gesamtverband der Deutschen Versicherungs-wirtschaft (GDV)www.gdv.de

Schweizerischer Versicherungsverbandwww.svv.ch

Insurance Information Institutewww.iii.org

I N F O R M AT I O N E N F Ü R V E R B R AU C H E R U N D U NT E R N E H M E N

70 Pandemie Report

Informationen für Verbraucher und Unternehmen

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Pandemie. Risiko mit großer Wirkung.Juli 2006

Herausgeber Allianz Private Krankenversicherungs-AG,Fritz-Schäffer-Straße 9, 81737 München

Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschafts-forschung e.V., Hohenzollernstraße 1–3,45128 Essen

Ihr AnsprechpartnerAllianz Private Krankenversicherungs-AGUnternehmenskommunikation, Münchenwww.allianz.com Ulrich Hartmanne-mail: [email protected]

Allianz AG Group Communications, Münchenwww.allianz.comMichael Anthonye-mail: [email protected]

Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschafts-forschung e.V.Presse und Information, Essenwww.rwi-essen.deJoachim Schmidte-mail: [email protected]

AutorMEDIENMANUFAKTUR „Zu den kleinen Hirschen“,BerlinTelefon: +49.(0)30.28 50 03 59e-mail: [email protected]

GestaltungSchumacherGebler KG, München

DruckMediahaus Biering GmbH, München

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