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Das problem des Stils in der bildenden Kunst Von ERWIN PANOFSKY (Aufsätze 1915) Am 7. Dezember 1911 hielt Heinrich Wölfflin in der Preussischen Akademie der Wissenschaften einen Vortrag über das Problem des Stils in der bildenden Kunst; dieser Vortrag1), in dem Wölfflins Gedanken über das allgemeinste un grundsätzlichste Problem der Kunstwissenschaft in systematischer und – wenigstens solange die angekündigte ausführlichere Veröffentlichtung noch nicht vorliegt – in abschliessender Weisw formuliert sind, ist von so hoher methodischer Bedeutung, dass es unerklärclich und ungerechtfertigt erscheinen muss, wenn weder dir Kunstgeschichte noch die Kunstphiloshophie bis jetzt zu den darin augesprochenen Ansichten Stellung genommen hat. Dieses nachzuholen soll im folgenden versucht werden. I. Jeder Stil – so beginnt Wölfflin – habe zweifellor einen bestimmten Ausdruchsgehalt; im Stil der Gotik oder im Stil der italienischen Renaissance spiegele sich eine Zeitstimmung un eine Lebensauffassung, und in der Linienführung Raffaels komme sein persönlicher Charakter zur Erscheinung. Aber alles das sei erst die eine Seite dessen, was das Wesen eines Stlies ausmache; nicht nur was er sage, sondern auch wie er es sage, sei für ihn charakteristisch: die Mittel, deren er sich bediene, um die Funktion des Ausdrucks zu erfüllen. Dass Raffael seine Linien so und so gestalte, sei bis zu einem gewissen Grade aus seiner inneren Veranlagung zu erklären, dass ab er jeder Künstler des 16. Jahrhunderts, heisse er nun Raffael oder Dürer, gerade dir Linie, und nicht den malesrichen Fleck, als wesentliches Ausdrucksmittel benutze, das hänge nicht mehr zusammen mit dem, was man Gesinnung, Geist, Temperament oder Stimmung nennen könnte, sondern werde nur aus einer allgemeinen Form des Sehens und Darstellens verständlich, die mit irgendwelchen nach “Ausdruck” verlangenden Innerlichkeiten gas nichts zu tun habe, und deren historische Wandlungen, unbeeinflusst von den Mutationen des Seelischen, nur als Änderungen des Auges aufzufassen seien. – Wölfflin unterscheidet also zwei prinzipiell verschdiene Wurzeln des Stiles, nämlich eine psychologisch bedeutungslose Anschauungsform und einer ausdrucksmässig interpretierbaren Stimmungsgehalt, und es ist daher ohne weiters ein leuchtend, dass er auch die Begriffe, durch die man sas Wesen eines Stils zu bestimmen versucht, in zwei grundsätzlich verschiedene Gruppen trennen muss: auf der einen Seite die rein formalen, die sich nur auf die “Seh-

PANOFSKY ERWIN_Das Problem Des Stils in Der Bildenden Kunst

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Artigo clássico de Erwin Panofsky sobre a questão do estilo nas artes figurativas

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Das problem des Stils in der bildenden KunstVon ERWIN PANOFSKY (Aufstze 11!"Am #$ De%ember 111 &ielt 'einri(& W)l*in in der Preussis(&en A+ademie der Wissens(&a,ten einen Vortra- .ber das Problem des Stils in der bildenden Kunst/ dieser Vortra-1"0 in dem W)l*ins 1edan+en .ber das all-emeinste un -runds2t%li(&steProblem der Kunst3issens(&a,t in s4stematis(&er und 5 3eni-stens solan-e die an-e+.ndi-te aus,.&rli(&ere Ver)6entli(&tun- no(& ni(&t 7orlie-t 5 in abs(&liessender Weis3 ,ormuliert sind0 ist 7on so &o&er met&odis(&er 8edeutun-0 dass es uner+l2r(li(&und un-ere(&t,erti-t ers(&einen muss0 3enn 3eder dir Kunst-es(&i(&te no(& die Kunstp&ilos&op&ie bis 9et%t %u den darin au-espro(&enen Ansi(&ten Stellun- -enommen &at$ Dieses na(&%u&olen soll im ,ol-enden 7ersu(&t 3erden$I$:eder Stil 5 so be-innt W)l*in 5 &abe %3ei,ellor einen bestimmten Ausdru(&s-e&alt/ imStil der 1oti+ oder im Stil der italienis(&en Renaissan(e spie-ele si(& eine ;eitstimmun- un eine dass die eine Epo(&e linear0 die andere maleris(& Bsie&tC0 ist ni(&t StilFWur%el oder StilFGrsa(&e0 sondern ein StilFP&2nomen0 das ni(&t Er+l2run- ist0 sondern Er+l2run- beste&en m.sste0 3o&l niemals m)-li(& ist/ sie 3urdeeine so tie,e %eitps4(&olo-is(&e Einsi(&t0 und %u-lei(& eine so -rosse innere Gnbeteili-t&eit 7orausset%en0 dass 3eder die 'erbei%ie&un- und Ausdeutun- +ultur-es(&i(&tli(&er Parallelen0 no(& au(& die mit dem 1eist der 7ers(&iedenen Epo(&en si(& -lei(&sam identiN%ierende BEin,.&lun-C 9emals %um ;iele ,.&ren d.r,te$ Allein0 3enn die 3issens(&a,tli(&te Er+enntnis des&alb die &istoris(&en und ps4(&olo-is(&en Grsa(&en der all-emeinen +.nstleris(&en Darstellun-s,ormen ni(& au,%u%ei-en 7erma-0 so m.sste es um so me&r i&re Au,-abe sein0 den met&istoris(&enuns metaps4(&olo-is(&en Sinn derselben %u er,ors(&en0 d$ &$ %u ,ra-en0 3as es 5 7on den metap&4sis(&en 1rundbedin-un-en des Kunsts(&a6ens aus betra(&tet 5 bedeut0 dass eine Epo(&e linear oder maleris(&0 D2(&en&a,t oder tie,en&a,t darstellt/ der ?)-li(&+eit aber0 diese unendli(& ,ru(&tbare Fra-e au(& nur %u stellen0 3.rde si(& die Kunstbetra(&tun- selbst berauben0 3enn sie in den -rossen darstelleris(&en P&2nomenen0 anstatt sie als die ausdru(+s7ollen Aus3ir+un-en des 1eistes au,%u,assen0 die so%usa-en natur-eset%li(& determinieren und da&er in +einer Weise me&r deutbaren ?odalit2ten des Se&ens erbli(+en 3ollte$ FFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFFR" BVer,asser le-t Wertau, die Feststerllun-0 dass das ?anus+ript seines Arti+els si(& s(&on An,an- :uli 11! in den '2nden der Reda+tion be,andC1" Ab-edru(+t in den BSit%un-sberi(&en der K-l$ Preuss$ A+ad$ der Wissens(&a,tenC 8d$SSSI (11I"0 S$ !#I 6$ Au(& als Sonderdru(+ er&2ltli(&$I" Wir +onnen da&er au(& ni(&t darau, ein-e&en0 in 3el(&er Weise W)l*in die Subsumtionder &istoris(&en Ers(&einun-en unter diese 8re-ri6e 7ornimmt0 es ist0 3as diese Fra-e an-e&t0 au, den Vortra- selbst %u 7er3eisen0 so3ie au, einen Au,sat% im B ,.r das 1#$ :a&r&undert 3ar die ,reie Art so se&r der all-emeine Darstellun-smodus -e3orden0 dass er an si(& +eine bestimmtemFarbe me&r &atte0 d$ &$ ni(&t im Sinne eines bestimmten Ausdru(+s 3ir+en +onnte$ Was nat.rli(& ni(&t auss(&liesst0 dass au(& inner&alb dieses Stils m)-li(& 3ar0 -e3isse -an% ,reie Kompositions,ormen ausdru(+sm2ssi- %u 7er3enden$C Wir m)(&ten da%u no(& ,ol-endes sa-en d.r,en> dass die Epo(&e0 die si(& eines bestimmten Darstellun-smodus bediente0 si(& selbst der Ausdru(+s&a,ti-+eit desselben ni(&t be3usst 3ar0 be3eist ni(&ts da-e-en0 dass er ausdru(+s&a,t ist/ denn 3ir &aben es ni(&t mit dem empiris(&en Sub9e+t0 das eine Kunst ma(&te oder ,.r das sie -ema(&t 3urd0 %u tun0 sondern mit der Kunst selbst0 ni(&t mit dem0 3as die 'er7orbrin-un-en der ?ens(&en beabsi(&ti-en und im Au-enbli(+ errei(&en0 sondern 5 -lei(& dem Er+enntnist&eoreti+er 5 mit dem0 3as in i&nen lie-t> eine un3ill+Trli(& 1este +ann o&ne eine Spur 7on Ausdru(+s absi&t eminent ausdru(+s 7oll sein0 und 3enn 3ir nur dasm 3as ein K.nstler und seine ;eit-enossen Selbst als ausdru(+sbedeutsam 7orstellten0 als ausdru(+sbedeutsam aner+ennes 3ollten0 so m.ssten 3ir au(& dir indi7iduelle Form-ebun- ( Bmit9eder neuen Opti+ is au(& ein neues S(&)n&eitsideal (s(ili(et> eine neuer In&alt" 7erbundenC ni(&t die 5 -lei(&3o&l not3endi-e 5 Fol-erun- -e%o-en0 dass dann eben diese BOpti+C stren- -enommen -ar +eine Opti+ me&r ist0 sondern eine bestimmte Weltau6assun-0 die0 .ber das BFormaleC 3eit &inaus-e&end0 die BIn&alteC mit +onstituiert$#" Womit aber +ein &istoris(&er Parallelismus be&auptet0 sondern nur ein be-ri*i(&es Analo-ie7er&2ltnis +onstruiert 3erden soll$ ;eits(&r$ ,$ Est&eti+ u$ al,$ Kunst3issens(&a,t$ S$U" Et3a> 8roder =&ristiansen0 P&ilosop&ie der Kunst0 1OU0 S$ @O 6$